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Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften

Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften

18. Dezember 1926. (R.G.Bl. 1926 I S. 505)

 

§ I.

(I) Zum Schutze der heranwachsenden Jugend werden Schund- und Schmutzschriften in eine Liste aufgenommen. Sie sind, sobald ihre Aufnahme in die Liste öffentlich bekanntgemacht ist, im ganzen Reichsgebiete folgenden Beschränkungen unterworfen:

I. sie dürfen im Umherziehen weder feilgehalten noch angeboten oder angekündigt werden; auch dürfen auf sie keine Bestellungen im Umherziehen gesucht oder entgegengenommen werden;

2. sie dürfen im stehenden Gewerbe, von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten nicht feilgeboten, angekündigt sowie innerhalb der Verkaufsräume und in Schaufenstern oder an anderen von der Straße aus sichtbaren Orten nicht zur Schau gestellt werden; auch dürfen Bestellungen auf sie nicht gesucht werden;

3. sie dürfen Personen unter 18 Jahren weder zum Kaufe angeboten noch innerhalb des gewerblichen Betriebs entgeltlich oder unentgeltlich überlassen werden.

(2) Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden haben die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß in keiner ihrer Einrichtungen Kindern oder Jugendlichen Bücher oder Schriften zugänglich gemacht werden, die in die Liste der Schmutz- oder Schundschriften aufgenommen sind.

(3) Werden mehr als zwei Nummern einer periodischen Druckschrift, die innerhalb Jahresfrist erschienen sind, auf die Liste gesetzt, so kann auch die periodische Druckschrift als solche auf die Dauer von drei bis zwölf Monaten auf die Liste gesetzt werden. Politische Tageszeitungen und politische Zeitschriften werden hiervon nicht betroffen.

(4) Als auf die Liste gesetzt gilt auch eine angeblich neue Schrift, die sich sachlich als eine bereits auf die Liste gesetzte Schrift darstellt.

(5) Eine Schrift kann wegen ihrer politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder weltanschaulichen Tendenz als solcher nicht auf die Liste gesetzt werden.

 

§ 2.

(I) Die Entscheidung darüber, ob eine Schrift auf die Liste gesetzt werden soll, erfolgt durch Prüfstellen, die von dem Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit den Landesregierungen nach Bedarf errichtet werden. Ihre Zuständigkeit wird räumlich abgegrenzt. Die Entscheidungen der Prüfstellen haben für das gesamte Reichsgebiet Gültigkeit. Zur Entscheidung über Anträge gegen Aufnahme einer Schrift in die Liste oder auf Streichung sowie über Beschwerden (§ 4) wird eine Oberprüfstelle in Leipzig gebildet.

(2) Antragsberechtigt sind die Landeszentralbehörden und die Landesjugendämter.

(3) Die Entscheidungen sind dem Vorsitzenden der Oberprüfstelle mitzuteilen. Dieser hat die Schriften, deren Aufnahme in die Liste ausgesprochen ist, binnen drei Wochen öffentlich bekanntzumachen. Die Bekanntmachung unterbleibt einstweilen, wenn das Reich oder ein Land gemäß § 4 die Entscheidung der Oberprüfstelle beantragt.

 

§ 3.

(I) Die Prüfstelle setzt sich aus einem beamteten Vorsitzenden und acht Sachverständigen zusammen. Von den Sachverständigen sind je zwei zu entnehmen den Kreisen

I. der Kunst und Literatur,

2. des Buch- und Kunsthandels,

3. der Jugendwohlfahrt und der Jugendorganisationen,

4. der Lehrerschaft und der Volksbildungsorganisationen.

Der Reichsminister des Innern ernennt auf Grund von Vorschlägen der beteiligten Verbände von jeder dieser Gruppen auf drei Jahre eine Anzahl Sachverständiger unter Berücksichtigung der Vertreter der Körperschaften des öffentlichen Rechtes nach Artikel 137 der Reichsverfassung. Die Heranziehung im Einzelfall erfolgt nach einem bestimmten Plane durch den Vorsitzenden.

(2) Nur bei Übereinstimmung von wenigstens sechs Mitgliedern der Prüfstelle ist eine Schrift in die Liste aufzunehmen.

 

§ 4.

(I) Das Reich, jedes Land sowie der Verfasser und der Verleger können bei der Oberprüfstelle einen Antrag gegen Aufnahme einer Schrift in die Liste oder auf Streichung einer Schrift von der Liste stellen. Der Antrag kann von dem Verfasser oder Verleger nur binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung gestellt werden. Ist ein Antrag gegen Aufnahme oder auf Streichung abgelehnt worden, so darf er vor Ablauf eines Jahres von keiner Seite erneuert werden.

(2) Lehnt die Prüfstelle den Antrag ab, eine Schrift auf die Liste zu setzen, so können die Antragsberechtigten, der Vorsitzende oder zwei an der Entscheidung beteiligte Beisitzer innerhalb zwei Wochen seit dem Tage der Entscheidung Beschwerde bei der Oberprüfstelle einlegen.

(3) Ist ein Antrag gegen Aufnahme in die Liste oder auf Streichung gestellt, so kann der Vorsitzende der Oberprüfstelle veranlassen, daß die öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung der Prüfstelle einstweilen bis zur Entscheidung der Oberprüfstelle unterbleibt.

(4) Die Oberprüfstelle besteht aus einem Vertreter des Reichsministeriums des Innern als Vorsitzenden, sechs vom Reichsrat gewählten Beisitzern und aus Sachverständigen der im § 3 Abs. I Satz 2 bezeichneten Gruppen, die vom Reichsminister des Innern auf drei Jahre ernannt werden. Sie entscheidet in der Besetzung von sieben Mitgliedern, die aus dem beamteten Vorsitzenden, zwei Beisitzern und je einem Sachverständigen der obenbezeichneten Gruppen bestehen. Die Entscheidungen erfolgen mit einfacher Mehrheit. Soll indessen der Antrag gegen Aufnahme in die Liste oder auf Streichung abgelehnt oder der Beschwerde aus § 4 Abs. 2 stattgegeben werden, so muß die Mehrheit wenigstens fünf Stimmen betragen.

(5) Bei geschäftlicher Anpreisung von Schriften ist der Hinweis darauf verboten, daß ein Verfahren auf Aufnahme der Schrift in die Liste anhängig oder anhängig gewesen ist.

 

§ 5.

(I) Die Kosten der Errichtung der Reichsprüfstellen trägt das Reich.

(2) Die Kosten des Verfahrens bei der Oberprüfstelle trägt im Falle der Ablehnung der Verleger, wenn er das Verfahren beantragt hat.

 

§ 6.

(I) Wer vorsätzlich den Bestimmungen der §§ I und 4 Abs. 5 zuwiderhandelt, und wer die Liste (§ I) zum Zwecke des Anpreisens abdruckt oder vervielfältigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Wer die Tat fahrlässig begeht, wird nur mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders leichten Fällen kann von Strafe abgesehen werden.

(3) Neben der Strafe ist bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung auf Einziehung der zur Begehung der Tat gebrauchten oder bestimmten Schriften zu erkennen, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Auf die Einziehung kann selbständig erkannt werden, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist.

 

§ 7.

Der Reichsminister des Innern wird ermächtigt, mit Zustimmung des Reichsrats Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetze zu erlassen.

 

Berlin, den 18. Dezember 1926.

Der Reichspräsident
von Hindenburg
Der Reichsminister des Innern
Dr. Külz

 

 

Anmerkung:

  1. Die Ziffer „1“ bei Paragraphen, Absätzen usw. wurde in der Vorlage jeweils als römische Zahl gedruckt.