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Die Wundergrotten von Briennes

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Die Wundergrotten von Briennes.

 

W. Belka.

 

Die Mainacht war windstill und warm. Vom wolkenlosen Himmel lugte der Mond auf diese wunderliche Erde herab, deren Bewohner sich seit Monaten in einem schlimmen Aufruhr befanden.

Noch nie hatte der alte Herr mit dem runden, strahlenden Gesicht, über das er aber für gewöhnlich eine dunkle Kappe hüllte, bei seinen Wanderungen am nächtlichen Firmament so viele aufregende Dinge zu sehen bekommen, wie seit jenem Augusttage 1914, wo er in den Straßen der deutschen Reichshauptstadt Berlin vor dem königlichen Schloß dichte Volksmassen beobachtet hatte, die, wie von einem Taumel der Begeisterung erfaßt, bald allerlei Kriegslieder gesungen, bald auch wieder laute Rufe ausgestoßen hatten, deren Brausen sich wie Orkanstöße in den Äther fortpflanzte …

Das war der Anfang gewesen. Und dann begann der gegenseitige Vernichtungskrieg, begannen Erde und Himmel zu dröhnen unter dem Knall unzähliger Feuerschlünde und krepierender Geschosse, versanken große Schiffe auf dem Meer wie Blei, gingen ganze Städte und Dörfer in Flammen auf, fielen die Menschen in ganzen Reihen wie reife Saat zu Boden, dampfte das Blut von Tausenden empor, füllte sich die Luft mit ganzen Scharen künstlicher Vögel, die verderbliche Eier in Gestalt von Kugeln fallen ließen, deren Aufgabe es zu sein schien, mit furchtbarem Getöse zu zerplatzen, Tod und Vernichtung umherzustreuen und alles in Brand zu stecken, was nur in Flammen aufgehen wollte …

Schon manchen Krieg hatte der alte Herr miterlebt, hatte feststellen können, wie mit den Jahrhunderten die Vernichtungswaffen immer gefährlicher wurden. Zum letztenmal[1] hatten Russen und Japaner sich in Ostasien bekriegt. Aber dieses Ringen war ein Kinderspiel gewesen gegen das, was jetzt auf einem Teile der Weltkugel sich abspielte, – ja, wahrhaftig – ein Kinderspiel! –

Vater Mond wandelte jetzt gerade über der Nordküste Frankreichs hin. Hinter ihm lag die endlos lange Front, die sich vom englischen Kanal bis hinab zur Schweizer Grenze erstreckte. Allerlei hatte es dort zu sehen gegeben, – unendlich viel Trauriges. Millionen von Männern lagen sich dort in tiefen Gräben gegenüber, jeder Zeit bereit, sich mit einem Hagelschauer von Kugeln zu überschütten …

Hier über der Küste der Bretagne war es stiller, friedlicher. Genau unter dem gemächlichen Wanderer lag eine längliche Insel unweit des Festlandes. Das war Vannes mit den alten Festungswerken auf der Westseite und dem kleinen Fischerdörfchen im Südosten.

Mehrere Kilometer nördlich wieder ragten die zahlreichen kleinen Eilande der Briennes-Gruppe aus der See empor mit ihren vielen Wasserrinnen und den drei breiteren Kanälen, die dieses Insellabyrinth bis zur Mitte durchschnitten, ohne sich hier jedoch zu vereinigen. Das war nicht gut möglich, da den Mittelpunkt der Gruppe eine große, fast kreisrunde Insel bildete, die wieder von förmlichen Wällen von Felsblöcken und steilen Wänden umgeben war.

Öde, kahl und unwirtlich waren diese Briennes-Eilande. Und Vater Mond blickte beinahe mitleidig auf dies Felsengewirr herab. Er kannte andere Inseln, dort im Indischen Ozean, wo der Boden eine bezaubernd üppige Vegetation hervorbrachte, wo Palmen und Urwaldriesen im Nachtwinde rauschten und ein Duft von diesen reichen Eilanden aufstieg, der sich meilenweit ausbreitete …

Dann wandte der stille Wanderer mit dem hellen Gesicht die Augen mehr nach rechts. Der Westausgang des englischen Kanals war nicht allzu breit. Die englische Küste war gut zu erkennen, besonders die Lichter der großen Hafenstadt Plymouth. Schiffe glitten über den Kanal hin, weiße Scheinwerferstrahlenbündel zuckten auf, erloschen wieder.

Da erinnerte sich Vater Mond plötzlich, daß er ja in den letzten Monaten auf der mittelsten Briennes-Insel zwei kleine Menschlein häufiger gesehen hatte, die dort in dem grünen, fruchtbaren kleinen Talkessel als Einsiedler hausten. Dieser grüne Talkessel, rund und wohl nur achtzig Meter im Durchmesser, strafte die Behauptung Lügen, daß es auf der Briennes-Gruppe nur Moose, Flechten, ärmliches Strauchwerk und zahllose Möwen gebe. Sogar einen kleinen Hain von Kastanien, Eichen und Edeltannen besaß die tiefe Felsenmulde, dazu üppiges, grünes Gras und einen kleinen Teich, um den herum allerlei Büsche und Blumen und auch eine Hütte standen, ein sauberes, blumenumranktes Häuschen, das die beiden Robinsons sich erbaut hatten und in dem an den Winterabenden regelmäßig Licht gebrannt hatte …

Daran dachte Vater Mond und schaute nochmals abwärts auf das Insellabyrinth der Briennes …

Da – sein Antlitz verdüsterte sich für einen Moment, als zögen Wolkenschleier darüber hin …

Sollte auch hier der Haß der Völker, die Kriegsfurie, gewütet haben …?!

Das Hüttchen war verschwunden. Schwarzer Qualm stieg aus den Trümmern auf, hin und wieder auch ein Funkenregen.

Und – richtig! – dort etwas abseits hatte es ja auch einen Stall gegeben, umschlossen von einer Hürde, in der noch vor kurzem vier muntere Ziegen sich ihres Daseins gefreut hatten.

Auch der Stall war verschwunden, niedergebrannt. Schwelender Dunst quoll auch an dieser Stelle empor. Die glatten, heiteren Ziegen waren nicht mehr da, ebensowenig die beiden Hunde, die ihren kleinen Herren stets so freudig entgegengesprungen waren und die zuweilen den Papa Mond so jämmerlich angeheult hatten, daß er sein helles Antlitz wohl oder übel zu einem Lächeln verziehen mußte.

Einsam und traurig lag das Tal da …

„Der schreckliche Krieg wird daran schuld sein“, dachte der nächtliche Wanderer bekümmert und zog weiter …

* * *

Einsam lag das Tal da. In den halbverkohlten Brettern und Balken, die sämtlich einst zu stolzen, die See befahrenden Schiffen gehört hatten, knisterte es leise. Polternd fielen die Trümmer auch von Zeit zu Zeit mehr in sich zusammen …

Der Mond war untergegangen. Tiefe Dunkelheit lagerte über dem Labyrinth der Briennes-Inseln, über dem kleinen, fruchtbaren Fleckchen Erde, von dessen Vorhandensein die Küstenbewohner der Bretagne nichts ahnten, bis eines Tages – das war nun ungefähr drei Wochen her –, aus der Feste Vannes Leutnant Meinke und sein Bursche Krapatkul entflohen und zwei Flugzeuge aus der Höhe die unübersichtlichen Briennes-Inseln nach ihnen absuchten, dabei auf das Tal aufmerksam wurden und nun sich bald französische Marinesoldaten einfanden, die weiter Jagd auf die Flüchtlinge machen sollten.

Aber die Leute kamen zu spät.

Wohl fanden sie in dem Talkessel die Hütte und den Stall, bemerkten auch aus allerlei Anzeichen, daß noch vor kurzem Menschen in diesem schwer auffindbaren und noch schwerer zugänglichen Schlupfwinkel gehaust hatten, reimten sich richtig zusammen, daß diese bisherigen Bewohner des Tales sich mit den entsprungenen Kriegsgefangenen vereinigt und gemeinsam sich nun anderswo verborgen hätten, entdeckten aber trotz eifrigsten Spürens bei Tag und Nacht nichts mehr von den verd… Deutschen, mußten vielmehr, nachdem Wochen über diesen nutzlosen Bemühungen dahingegangen waren, die Sache als aussichtslos aufgeben und sich mit dem Gedanken abfinden, ein deutsches U-Boot hätte die Flüchtlinge vielleicht an Bord genommen oder aber diese wären im Besitz eines Bootes gewesen, das ihnen das Entkommen ermöglichte. (Wer von unseren lieben Lesern sich gern genauer über diese hier kurz angedeuteten Ereignisse unterrichten möchte, beachte die beiden vorhergehenden Hefte „Die Kolonie auf den Briennes“ und „Die Flucht aus Vannes“.)

* * *

Der Morgen begann zu grauen. Ein prächtiger Junitag, sonnerfüllt, mit leichter Brise und klarem Himmel versprach’s zu werden.

Früh waren die Möwen munter, die auf den Felsen der äußeren Inseln der Gruppe nisteten. In Scharen, kreischend und lärmend, zogen sie auch über das Tal hin, graziös sich wiegend, allen Gesetzen der Schwere zum Trotz, als bestehe ihr Körper nur aus einer leichten, leeren Hülle.

Von der Insel Vannes herüber kam ein Schwarm Krähen gezogen. Die besuchten gern das Eiland-Labyrinth der Briennes, um auf den Außenriffen bei Ebbe nach Muschel- und Krebstieren und toten Fischen auszuspähen.

Ein paar von den Krähen machten Rast auf den Bäumen der Felsenmulde, die an der Ostseite ein kleines Gehölz bildeten und sämtlich ehrwürdigen Alters waren.

Einer der schwarzgrauen Vögel, der reiche Lebenserfahrungen hinter sich hatte und bereits 70–71 auf den Schlachtfeldern in Frankreich leckere Mahlzeit an Pferdekadavern gehalten hatte, – Krähen werden ja bekanntlich sehr alt und beweisen ihre Zugehörigkeit zum Rabengeschlecht durch eine gewisse Verschlagenheit –, hatte sich abseits von den anderen auf eine Eiche am Talrande niedergelassen, drehte und wendete den Kopf mit den runden schwarzen Perlenaugen aufmerksam hin und her und wunderte sich genau so wie Papa Mond, daß das fruchtbare Stückchen Erde heute so verändert ausschaute.

Diese alte Krähe war ja heute nicht zum ersten Male hier. Und wenn sie so oft nach unten spähte, hatte das seinen guten Grund. Die beiden kleinen Menschensöhne, die hier hausten, besaßen ja so gefährliche gebogene Stäbe, mit denen sie recht weit todbringende dünnere, gerade Stäbe mit eisernen Spitzen in die Luft schleudern konnten. Und vor diesen unheimlichen Dingern mußte man sich verteufelt in acht nehmen …

Heute schien allerdings keinerlei Gefahr vorhanden zu sein. Das Tal lag wie ausgestorben da. Und die dünnen Rauchsäulen, die noch aus den Resten der Hütte und des Stalles hervordrangen, bewiesen doch eigentlich, daß die kleinen Menschensöhne ihren Wohnsitz verlassen hatten. So dachte die Krähe mit den reichen Erfahrungen.

Nun – unter diesen Umständen konnte man es wohl wagen, ein wenig Morgentoilette zu machen, das Brustgefieder und die Schwingen mit dem Schnabel zu ordnen und auch die Füße zu säubern, an denen vom Tage vorher von der Mäusejagd in der feuchten Lehmgrube noch Lehmklümpchen klebten.

Gerade wollte die Krähe den zweiten Flügel vornehmen, als sie den Hals lang reckte und zwischen dem Grün der jungen Blätter hinab in die Tiefe blickte.

Ein leises Geräusch hatte sie bei ihrer Reinigungsarbeit gestört. – Da – wieder dieses Knirschen, als würden Steine aneinander gerieben.

Das Geräusch kam fraglos von dem Steinhaufen her, der da an der steilen, viele Meter hohen Talwand regellos aufgeschichtet war.

Ah – also das war’s …! – Inmitten dieser Felstrümmer stand eine besonders große Steinplatte dicht an der Felswand. Und diese Platte wurde langsam zurückgelehnt. Gleich darauf erschien zwischen ihr und der Wand der Kopf eines Knaben, – ein hageres, braunes Gesicht mit wirrem Haar darüber und ein Paar Augen, die jetzt mit scharfem Blick über das Tal hinglitten.

Da wurde der alten, klugen Krähe die Sache ungemütlich. Ein wenig zuviel Vorsicht schadet nie, dachte sie und strich mit lautem warnenden Krah Krah davon.

Dem menschlichen Kopf folgte jetzt der in einem Lederanzuge steckende, schlanke Körper. Und nun bückte der Knabe sich und sprach in den Raum zwischen Talwand und Steinplatte hinein.

„Herr Leutnant, – hier ist keine Seele mehr. Aber die französischen Gäste haben traurige Andenken zurückgelassen: unsere Hütte und der Stall sind niedergebrannt.“

Worauf von unten eine kräftige Stimme erwiderte:

„Der Verlust ist leicht zu verschmerzen, Heinrich. Wir hätten ja doch nicht wagen dürfen, Euer Häuschen wieder zu beziehen, da wir jeden Augenblick damit rechnen müssen, daß der Feind zurückkehrt, um sich zu überzeugen, ob wir vielleicht nicht doch wieder das Tal als Schlupfwinkel benutzen.“

„Sehr richtig, Herr Leutnant. Die Hauptsache bleibt, daß wir jetzt schnell für unsere armen, schon seit zwei Tagen hungernden Ziegen Gras hauen können. – Während wir – Fritz und ich – dies besorgen, müßten Sie eigentlich zu unserer aller Sicherheit auf der Felskuppe im Süden, unserem alten Ausguck, Wache halten. Dann sind wir vor jeder Überraschung sicher.“

Nun kam zunächst noch ein in einer feldgrauen Pionieroffiziersuniform steckender junger Leutnant mit schmalem, energischem Gesicht zum Vorschein, dann ein zweiter, in Leder gekleideter Knabe, der etwas kleiner und schmächtiger als Heinrich Leitner war.

Die beiden Klassenkameraden einer Emdener Schule, hatten bei Kriegsausbruch gerade in Plymouth geweilt und waren dann nach mancherlei Abenteuern auf die Briennes-Eilande gelangt, wo sie monatelang in dem freundlichen Tale ein richtiges Robinsondasein geführt hatten. Heinrich Leitners Vater, der als deutscher Schiffskapitän eines Emdener Dampfers noch im Konzentrationslager in Plymouth saß, hatte seinem Jungen, bevor dieser zusammen mit Fritz Burke einen Fluchtversuch wagte, wichtige Papiere mitgegeben, die Heinrich in Emden bei dem Reeder van Schmeding abliefern sollte, falls er glücklich die Heimat erreichte. Nun – dies war den mutigen kleinen Burschen bisher zwar nicht gelungen. Aber jetzt, wo noch Leutnant Meinke und der kräftige Krapatkul dasselbe Ziel ständig vor Augen hatten, waren die Aussichten schon bedeutend besser geworden, ja, man hatte sogar in dem neuen Versteck bereits mit dem Bau eines Fahrzeuges begonnen, das, erst einmal fertiggestellt, die vier Deutschen dem Vaterlande zum mindesten ein Stück näherbringen würde. –

Zwei Stunden arbeiteten die Knaben unverdrossen, schnitten mit langen Messern in Ermangelung von Sensen oder Sicheln das Gras ab, schichteten es zu Haufen auf und schauten in den Ruhepausen froh den beiden Hunden und den vier Ziegen zu, die Krapatkul inzwischen ebenfalls an die Oberwelt befördert hatte, damit sie sich einmal wieder gehörig bewegen konnten.

Krapatkul, ein Ostpreuße, begann jetzt die Heuhaufen einzeln in eine große Öltuchdecke einzupacken und wegzuschaffen, wobei er sehr genau darauf aufpaßte, daß keinerlei Spuren entstanden, die den geheimen Eingang zu den unterirdischen Grotten verraten konnten.

Hinter der großen Steinplatte gähnte ein unregelmäßig bogenförmiges Loch in der Talwand. Eine verwitterte Treppe von Eichenholz führte in einem dunklen Schacht etwa drei Meter abwärts. Und dann begannen die Wundergrotten von Briennes, wie der schnell, aber in diesem Falle mit Recht begeisterte Heinrich sie bezeichnet hatte, als er sie zusammen mit den drei Gefährten vor etwa drei Wochen zum ersten Male betrat.

Es handelte sich hier um eine Reihe aneinandergrenzender Höhlen von verschiedener Größe, die, sieben an der Zahl, insofern recht eigenartig waren, als sie ihr Licht von draußen durch eine Menge von Spalten und Rissen erhielten, die sich in der einen, östlichen Außenwand befanden. Diese, an manchen Stellen kaum zwanzig Zentimeter stark, bildete, wenigstens bei den vier nördlichsten Grotten, gleichzeitig das Steilufer einer in diese mittelste Insel der Gruppe tief einschneidenden schmalen Bucht, so daß man durch die natürlichen Fenster bequem auf die Wasseroberfläche hinabsehen konnte. Am merkwürdigsten aber war, daß an fünf Stellen das Wasser der Bucht durch dicht unter dem Wasserspiegel befindliche Öffnungen dieser Uferwand in die Höhlen eintrat und hier kleine Teiche bildete, die, wenn draußen die Sonne in die enge Bucht hineinfiel, in zartgrünem, oft ins Bläuliche übergehendem Lichte erstrahlten und mit diesen Farbentönen auch die Grotten dann erfüllten. Diese Farbenwirkung beruhte wie bei der berühmten Blauen Grotte auf Kapri auch hier auf der Zurückwerfung durch die gebrochenen Lichtstrahlen. Bei klarem Himmel entstand so im Innern der düsteren Felsen in der Tat eine wahre Wunderwelt, besonders um die Mittagszeit, und keine künstliche, durch farbige Gläser beeinflußte Lichtquelle hätte so zauberhaft zarte Töne hervorrufen können, als die Sonne und das Meereswasser es hier zustande brachten.

Die größte der Höhlen, etwa fünfzehn Meter lang, ebenso breit und durchschnittlich fünf Meter hoch, war zugleich auch die hellste und besaß zwei Durchbrüche nach der Bucht hin. Hier hatten die vier Flüchtlinge sich häuslich eingerichtet, einen Herd erbaut, Lagerstätten und auch Tische, Schemel und manches andere geschaffen, um es sich gemütlicher zu machen.

Jannek Krapatkul freilich brachte seine Heulasten nur bis in die erste Grotte nahe dem geheimen Zugang, die als Stall für die Ziegen und als Vorratsraum bestimmt worden war.

Nachdem er die letzte Last weggestaut hatte, ging er in die nächste Höhle, die zweitgrößte, und zündete hier, wo nur ein schwaches Dämmerlicht herrschte, mehrere an den Wänden angebrachte Petroleumlampen an, deren Metallteile spiegelblank geputzt waren.

Der rötliche Schein der Lampen fiel jetzt auf eine Menge von Kisten, Fässern, Blechkannen und anderen Dingen, die in einer Ecke übersichtlich aufgestapelt waren. Ferner auf einen breiten Werkzeugtisch an der gegenüberliegenden Wand und auch auf ein aus Kistenbrettern hergestelltes, gut zehn Meter langes Bootsgerippe, das teilweise bereits mit Zinkblech bekleidet war.

Das im Bau begriffene Boot hatte die Form einer auf einer Seite abgeplatteten Spindel bei einem größten Durchmesser von dreieinhalb Meter. Die Pläne dazu hatte Leutnant Meinke entworfen, nachdem er genau berechnet hatte, ob er das fertige Fahrzeug auch durch eine der unterseeischen Öffnungen der Außenwand würde ins Freie schaffen können und ob die vorhandene Menge an Zinkblech reichen würde.

Woher stammten nun aber alle diese Dinge, die das Licht der Lampen jetzt deutlich erkennen ließ, – die verschiedenartigen Werkzeuge, die Kisten, Fässer und all das andere? Wie hatten die Flüchtlinge überhaupt in der höchsten Not diesen neuen Schlupfwinkel in Gestalt dieser Wundergrotten entdeckt?

Draußen in dem Talkessel stand eine Eiche, in deren Rinde einst ein Unbekannter eine Zeichnung eingeschnitten hatte, die Leutnant Meinke nach längerem vergeblichem Bemühen zu enträtseln wußte. Und diese Zeichnung deutete auf den geheimen Eingang zu den sieben Höhlen hin, wo die Deutschen vor ihren Verfolgern dann eine sichere Zufluchtstätte fanden, ohne ganz von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. War es ihnen doch jeder Zeit möglich, durch eine der unterseeischen Öffnungen durch Tauchen in die Bucht zu gelangen und sich mit Nahrungsmitteln in Gestalt von Möweneiern und Fischen, die sie an ausgelegten Angelschnüren fingen, zu versehen, aber auch sich von dem Tun und Treiben des Feindes zu überzeugen, der hartnäckig den Talkessel besetzt hielt und von dort seine Streifen nach den Flüchtlingen unternahm.

Die Überraschung der vier Gefährten über die Reichtümer, die die Grotten in Gestalt der gefüllten Kisten und der anderen Dinge bargen, war nicht gering gewesen, wenn sie sich auch gesagt hatten, daß die Höhlen früher häufiger von Menschen besucht worden sein mußten. Wer die Leute aber gewesen, die sich hier einen so gut verborgenen Stapelplatz für die verschiedenartigsten Gegenstände angelegt hatten, ließ sich nur vermuten, nicht mit Bestimmtheit feststellen.

Die Kisten enthielten zum größten Teil Schußwaffen einer Konstruktion, die kurz nach dem Kriege 70–71 aufgekommen war, der dem französischen Kaiserreiche ein Ende machte. Auch Munition war in Menge vorhanden, desgleichen Werkzeuge, wie man sie zum Ausbessern von Feuerwaffen gebraucht. Ferner noch ein paar Handdruckpressen, Stöße von Papier und mehrere Bücher, in denen Aufzeichnungen in einer auf keine Weise selbst von Leutnant Meinke nicht zu entziffernden Geheimschrift standen.

Aus alledem hatte der junge Offizier sich folgendes zusammengereimt:

Die Grotten waren von Anhängern der vertriebenen Napoleoniden als Waffenstapelplatz und als Ort zur Anfertigung von Aufrufen an die Franzosen zwecks Wiedereinsetzung des Kaisertums eingerichtet und benutzt worden. Die wenigen Männer, denen dieses gefährliche, den Fortbestand der republikanischen Verfassung Frankreichs bedrohende Geheimnis bekannt war, mußten dann wahrscheinlich entweder kurz hintereinander gestorben sein oder aber schmachteten jetzt noch als politische Verbrecher, denen man Umsturzpläne nachgewiesen hatte, in französischen Kerkern. Jedenfalls stand fest, daß seit Jahren niemand mehr die Grotten betreten hatte.

Leutnant Meinke war dann auf den Gedanken, ein mit Zinkblech bekleidetes Fahrzeug zu bauen, erst gekommen, als er festgestellt hatte, daß all die Waffenkisten – und die anderen Höhlen waren hiermit teilweise ebenfalls angefüllt – zum Schutz gegen die Feuchtigkeit starke, verlötete Zinkblecheinsätze hatten.

* * *

Nachdem Krapatkul die Werkstätte zur Fortsetzung der Arbeit an dem Boote in Ordnung gebracht hatte, rief er die Knaben herbei, die erst die Ziegen und dann auch die Hunde in die Grotten zurückschaffen mußten. Mittlerweile hatte sich auch Fritz Meinke in der Werft, wie die zweitgrößte Höhle allgemein genannt wurde, eingefunden. Der geheime Zugang wurde nun verschlossen, und dann machten sich die vier Deutschen mit Eifer an den Weiterbau ihres Fahrzeuges, das sie in die Heimat zurückbringen sollte.

Der junge Pionieroffizier, in allen technischen Dingen gut bewandert, hatte seine drei Gehilfen in den zwei Wochen seit Beginn des Bootsbaues schon so weit angelernt, daß sie ihm geschickt zur Hand gingen.

Während man jetzt eine neue Zinkplatte festlötete, erklärte Meinke seinen aufhorchenden Gefährten, daß ihm, während er oben auf der Felskuppe den Wächter gespielt habe, eine neue, vielleicht durchführbare Idee gekommen sei, wie man das Boot sogar mit einem Motor versehen könne.

„Bekanntlich liegt im Südwestkanal noch jetzt das Flugzeug, das Krapatkul und ich versenkten, nachdem es uns glücklich bis mitten in das Inselgewirr der Briennes getragen hatte“, fuhr er jetzt fort. „Ich beabsichtige nun zu versuchen, den Doppeldecker während einer der nächsten Nächte zu heben, den Motor hierher zu schaffen und ihn in unser Boot einzubauen. Es wird uns dann schon gelingen, die Kraft des Motors auf eine Schraube zu übertragen, die wir uns allerdings selbst schmieden müssen. – Mehr noch: das vorhandene Zinkblech genügt vollauf, um unser Fahrzeug, das innen starke Holzzwischenwände erhalten soll, mit doppelten Wandungen und einer Einrichtung zu versehen, die es ermöglicht, es sozusagen als Tauchboot zu benutzen, natürlich mit der Einschränkung, daß wir es höchstens werden wagen dürfen, etwa ein halbes Meter unter die Oberfläche hinabzugehen. Aber auch das wäre schon für unsere weiteren Pläne ein enormer Vorteil, da wir dann in der Lage sind, bei der Heimfahrt nach einem deutschen Hafen bei Begegnung mit verdächtigen Schiffen schleunigst uns unsichtbar zu machen. Ich denke mir die Taucheinrichtung so, daß wir am Boden unseres Fahrzeuges vier Abteilungen einrichten, die, wenn wir sie voll Wasser laufen lassen, das Boot bis unter den Wasserspiegel hinabziehen, die sich nachher aber auch durch Handpumpen wieder leermachen lassen, so daß unser Fahrzeug dann nach dieser Entlastung hochsteigt. Bedingung dabei ist, daß wir die Wandungen und das Deck völlig wasserdicht herstellen, ferner, daß die Deckluken ebenfalls wasserdicht sind und daß schließlich eine Einrichtung getroffen wird, um, falls die Pumpen zum Entleeren der Ballasttanks versagen sollten, trotzdem wieder auftauchen zu können. Was nun diese eben erwähnte Einrichtung anbetrifft, so denke ich mir dies in der Weise, daß wir dem Fahrzeuge einen vielleicht aus drei passenden Steinblöcken bestehenden Ballast genau in der Mitte des Schiffsbodens geben. Diese Ballaststeine müßten sich in einem nach dem Inneren des Bootes zu wasserdichten Behälter befinden und nach Wunsch durch eine aufklappbare Bodenöffnung entfernt werden können. Jedenfalls werde ich gleich heute abend alle notwendigen neuen Berechnungen anstellen und die Zeichnungen abändern. Hoffe ich doch ziemlich bestimmt darauf, daß es uns gelingt, den Doppeldecker aus dem Kanal zu heben und den Motor für unsere Zwecke dann verwenden zu können. Ihr drei aber müßt gleich in der kommenden Nacht aus den Überresten der Hütte und des Stalles ein Floß in der Bucht zimmern, das wir zur Hebung des Flugzeuges unbedingt brauchen.“

Nach diesem langen Vortrag blieb es eine Weile still. Sowohl Krapatkul als auch die Knaben waren zuerst ganz verblüfft durch die scheinbar so phantastischen Pläne ihres Anführers. – Ein Tauchboot …!! Der Gedanke schien ihnen so unglaublich, so undurchführbar, daß es erst noch eingehenderer Erörterung der geplanten technischen Einzelheiten durch Meinke bedurfte, ehe sie Vertrauen zu der Sache gewannen. Nachdem sie nun erst zu der Überzeugung gelangt waren, daß das Tauchboot kein bloßes Hirngespinst war, packte sie die Begeisterung für die großzügige Idee, und sie konnten den Einbruch der Dunkelheit kaum abwarten, um zunächst das Floß fertigzustellen, da ja die Verwirklichung des einzigartigen Gedankens davon abhing, daß man den Motor glücklich in die Werft bekamt – –

* * *

Ein Monat später.

Wochen angestrengtester, eifrigster Tätigkeit lagen hinter den vier Bewohnern der unterirdischen Räume.

Es war ihnen damals wirklich gelungen, den Doppeldecker aus der Tiefe des Kanales nach mehreren mißlungenen Versuchen heraufzubefördern und den Motor nach den Grotten zu bringen.

Dieser Erfolg spornte ihren Eifer derart an, daß sie fortan nur noch einem Gedanken lebten: ihr Boot möglichst schnell fertigzustellen.

In den ersten vierzehn Tagen war das Tal und das Insellabyrinth noch viermal ganz überraschend von den mißtrauischen Franzosen, die noch immer hoffen mochten, der Flüchtlinge habhaft zu werden, abgesucht worden. Natürlich vergeblich. Meinke hatte sehr wohl daran gedacht, daß sich nirgends außerhalb der Höhlen irgend welche Spuren vorfanden, die darauf hätten hindeuten können, daß die entsprungenen Gefangenen oder die früheren Bewohner des Talkessels sich noch in der Nähe aufhielten. – Nun schien es so, als ob die Franzosen endgültig darauf verzichtet hätten, den Deutschen weiter nachzustellen. Seit zwei Wochen hatte sich kein Feind mehr blicken lassen. Trotzdem blieben die Deutschen vorsichtig, wagten sich erst in das Tal oder auf dem stets wieder in den Grotten untergebrachten Floß in die Kanäle, nachdem sie sorgfältig nach französischen Booten und vielleicht gelandeten Patrouillen Ausschau gehalten hatten. Dasselbe taten sie, wenn es geräuschvollere Arbeiten zu erledigen gab.

Und dies war ja häufiger der Fall gewesen, wo sie nicht nur eine Schiffsschraube zu schmieden hatten, sondern auch manche anderen Maschinenteile hergestellt werden mußten. So war es denn nicht gerade ein ruhiges Dasein, das sie führten, sondern eines voller steter kleiner Aufregungen und Sorgen.

Aber der Lohn für ihre Arbeitsfreudigkeit blieb auch nicht aus. Am 3. Juli war das merkwürdige Fahrzeug, halb U-Boot, halb Motorkutter mit schnell anzubringender Segeleinrichtung, fertig zum Stapellauf. Es lag jetzt dicht vor der weitesten unterseeischen Öffnung und der durch diese in der größten Grotte gebildeten Wasseransammlung und stellte einen spindelförmigen, glatten Schiffskörper dar, der nur oben stark abgeplattet war und hier zwei Deckluken besaß, von denen die des Vorderteils völlig flach, während die Mittelluke bei einer Breite von eineinviertel Meter im Durchmesser vielleicht vierzig Zentimeter hoch war. Die doppelte Schiffswandung, verstärkt durch zahlreiche eingefügte Holzspanten, mußte einem beträchtlichen Wasserdruck Widerstand leisten können. In der Mittelluke, dem Turm, waren vier kleine, runde Fenster angebracht, die man aus den in dem Doppeldecker vorgefundenen Instrumenten gewonnen hatte. Ja sogar ein ausschiebbares Sehrohr war von Leutnant Meinke konstruiert worden und sollte den Führer des Bootes instand setzen, auch in untergetauchtem Zustande die Umgebung beobachten zu können. –

Nun galt es, das Fahrzeug durch die unterseeische Öffnung in die Bucht zu schaffen. Dies geschah in der Weise, daß man es zunächst vom Lande in die in der Grotte befindliche Wasseransammlung gleiten ließ. Es lag nun etwa bis zur Hälfte seiner Länge in seinem eigentlichen Element, und daher konnten zwei der Wasserballasttanks gefüllt werden, worauf das Vorschiff unter die Oberfläche untertauchte und durch das Loch in der Felswand ein Stück hindurchgeschoben werden konnte. Jetzt, wo das Boot schon vollständig im Wasser sich befand, wurden auch die hinteren Ballasttanks vollgeflutet. Vorher war Leutnant Meinke allein in das Fahrzeug hinabgestiegen, hatte die beiden Luken geschlossen und wollte so die erste kurze Unterwasserfahrt seiner eigenen Schöpfung mitmachen. Dies stellte kein geringes Wagnis dar, da das Boot ja bisher in keiner Weise hatte ausprobiert werden können. Anderseits war es aber auch nötig, daß ein mit der Handhabung der Maschinerie Vertrauter in dem Fahrzeug anwesend war, während es in die Bucht hinausbugsiert wurde.

Meinke hatte den drei Gefährten die allergenauesten Anweisungen gegeben, was sie nun weiter tun sollten. Der obere Rand der unterseeischen Öffnung lag nämlich selbst bei Ebbe so tief, daß der Wasserballast der vier Tanks nicht genügt hätte, das Boot so weit unter Wasser zu ziehen, um es unter dem Hindernis hinwegbringen zu können. Es war daher nötig, das Deck so stark mit bereitgehaltenen Steinen zu belasten, daß das Fahrzeug zweckentsprechend herabgedrückt wurde.

Diese Arbeit sollte Heinrich Leitner beaufsichtigen, zu dessen geistigen Fähigkeiten Meinke das meiste Vertrauen hatte. Hing doch vielleicht des jungen Offiziers Leben von einer sorgfältigen Belastung des Deckes ab. War diese zu erheblich, so konnte es geschehen, daß das Boot zu tief sank, der Steinballast nicht wieder entfernt werden konnte und Meinke jämmerlich unter Wasser erstickte.

Nun – Heinrich rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen vollständig. Alles lief glücklich ab. Nachdem das Boot unbeschädigt durch das Loch in der Felswand hinaus in die Bucht gebracht war, schwammen Heinrich und Fritz hinterdrein und stießen mit Stangen von dem glatten, etwa ein Meter unter der Oberfläche liegenden Deck die Steine in die Tiefe, so daß das Fahrzeug sich allmählich hob und zwar – dies entgegen den von Meinke angestellten Berechnungen. – bis zur Höhe des Turmes, dessen Deckel noch gerade von den Wassern überspült wurde.

Im Innern des Bootes hatte der Leutnant inzwischen eine recht bange Viertelstunde durchlebt. Zu seiner Erleichterung merkte er aber dann, daß das durch die Turmfenster einfallende Licht heller und heller wurde. Daran und an dem Geräusch der in die Tiefe gleitenden Ballaststeine erkannte er, daß auch dieser schwierigste Teil des Stapellaufes ohne ernste Zwischenfälle abgegangen war, setzte nun die Handpumpen der Ballasttanks nacheinander in Bewegung und erlebte die Freude, daß nach Entleerung der Tanks das Fahrzeug über ein halbes Meter aus dem Wasser hervorragte. Immerhin hatte aber schon dieser erste Tauchversuch gezeigt, daß es nötig war, noch einen fünften Ballasttank einzubauen, damit man die geplante Tiefe erreichte.

Der Stapellauf hatte am Spätnachmittag stattgefunden. Nun versammelten sich die vier Gefährten auf Deck des dicht an der unterseeischen Öffnung vertäuten Fahrzeuges. Meinke hielt eine kurze Ansprache, in der er betonte, welche Hoffnungen man auf das Boot setze; dem er hiermit den Namen „Emden“ gebe in Gedanken an die kühne Namensschwester, den Kreuzer „Emden“, von deren Taten selbst französische Zeitungen des Lobes voll gewesen wären.

Drei laute Hurras beschlossen diesen denkwürdigen Taufakt. –

* * *

Dann wurde in den folgenden Tagen, während oben auf dem Steilufer der Bucht an günstiger Stelle stets einer der beiden Knaben oder Jannek Krapatkul Wache hielt, um sich vor Überraschungen zu schützen, der neue Tank gebaut, eine jetzt doppelt mühselige Arbeit, da die „Emden“ ja nun bereits in ihrem Elemente lag. Dieser fünfte Ballasttank mußte aus diesem Grunde auch im Vorderteil des Bootes eingerichtet werden und zwar so, daß er erst nach Vollflutung der übrigen, wenn das Boot bereits ziemlich tief lag, gefüllt werden konnte.

Zu den nun beginnenden Probefahrten stand den Gefährten leider nur ein Teil des Benzins zur Verfügung, das sie in den Benzinbehältern des Doppeldeckers noch vorgefunden und mit geborgen hatten.

Leutnant Meinke beschränkte die Probefahrten daher auch nur auf das Allernotwendigste. Als er sah, daß die „Emden“ dem Steuer gut gehorchte und durch die Kraft der zweiflügeligen Schraube ihre acht bis neun Knoten lief, opferte er, zumal ein paar Tauchversuche ebenfalls zur Zufriedenheit ausfielen, weiter keinen einzigen Tropfen Benzin unnötig. Erwähnt sei noch, daß der Motor, sobald die „Emden“ mit geschlossenen Luken unter Wasser verschwand, natürlich abgestellt werden mußte, da man es in dem ohne Zufuhr frischer Luft schnell von Benzindünsten erfüllten Schiffskörper keine fünf Minuten ausgehalten hätte, während man mit dem stilliegenden Boot, wie ausprobiert wurde, gut eine Stunde unter Wasser bleiben konnte.

Das ganze Streben der Deutschen war jetzt auf die Beschaffung des kostbaren Brennstoffes gerichtet. Zum Glück fiel es Krapatkul gerade zur rechten Zeit ein, daß er von den Wällen der Feste Vannes aus verschiedentlich beobachtet hatte, wie zwei Motorfischerkutter die kleine Bucht verließen, an der das Dörfchen Vannes lag. Dort war also vielleicht Benzin zu … beschlagnahmen, wie Krapatkul sich vorsichtig ausdrückte, um nicht direkt „stehlen“ zu sagen. – Not kennt kein Gebot, – besonders nicht im Kriege und in einer solchen Lage, in der unsere vier Flüchtlinge sich befanden. Deshalb sollte auch des braven Ostpreußen Vorschlag so bald als möglich ausgeführt und eine Fahrt nach dem Dorfe Vannes unternommen werden.

Dem Verlassen der Gruppe stand nun aber ein Hindernis im Wege, das zu erwähnen sich bisher keine Gelegenheit bot. Und dieses Hindernis waren Minensperren, die die Franzosen vor den Mündungen der drei Kanäle der Briennes-Inseln gelegt hatten, – also auch vor der des Nordostkanales, den die Freunde allein benutzen konnten. Die Minensperren hatten den Zweck, deutsche U-Boote daran zu hindern, die unbewohnten, selten besuchten Eilande als Stützpunkt zu gebrauchen.

Aber auch hier wußte Leutnant Meinke Rat. Ähnlich wie es früher schon einmal die Knaben getan hatten, bevor die beiden Feldgrauen bei ihnen Zuflucht fanden, wurde die Lage der einzelnen Minen durch Bojen aus Korkstücken gekennzeichnet, so daß man bei der nötigen Vorsicht die „Emden“ bequem durch die Sperre hindurchsteuern konnte.

Dies geschah an einem ziemlich windstillen Abend des 8. Juli gegen neun Uhr, als es noch ausreichend hell war. Dann wartete man im Schutze einiger Klippen bis zum völligen Eintritt der Dunkelheit, brachte nun die leicht wieder abzunehmende Segeleinrichtung an und steuerte erst nach Osten, dann nach Süden zu.

Auch als Segler bewährte sich die „Emden“ vortrefflich. In großem Bogen wurde die Insel Vannes umgangen. Das Fischerdörfchen lag an der Südostseite, ziemlich weitab von der alten Festung. – Bisher war man noch keinem anderen Fahrzeuge begegnet. Meinke, der sich ganz als Kommandant eines Kriegschiffes fühlte und immer wieder das in dem Doppeldecker erbeutete vorzügliche Fernglas benutzte, um die See abzusuchen, befahl jetzt dem das Steuer bedienenden Heinrich Leitner, auf den Eingang der Bucht zuzuhalten. Das Steuerrad war unterhalb des Turmes angebracht, so daß der Steuerer, durch die geöffnete Turmluke hinausspähend, es bequem handhaben konnte.

Nachdem man dem Dörfchen auf etwa 800 Meter nahegekommen war, wurde die Segeleinrichtung weggestaut und die „Emden“ vorsichtig mit Hilfe von zwei langen Rudern, die man sonst für das Floß benutzte, neben das erste der hier draußen verankerten Fischerboote gebracht. Man hatte Glück. Es war einer der Segelkutter, die gleichzeitig mit einem Motor versehen waren.

Zwei Kannen Benzin bildeten hier die Beute. Der andere Motorkutter lieferte sogar drei Kannen. Aber Krapatkul war damit noch nicht zufrieden. Er meinte, die Besitzer der Kutter hätten sich ohne Frage für den Sommer reichlicher mit Brennstoff für die Motoren versorgt. Er wolle daher einmal an Land gehen und nachsehen, ob die Fischer nicht vielleicht in ihren kleinen Hütten zum Aufbewahren der Netze noch größere Vorräte an Benzin liegen hätten.

Meinke war einverstanden, mahnte den waghalsigen Draufgänger aber zur Vorsicht und gab ihm als Begleiter Heinrich Leitner mit.

Nun – dieser kurze Ausflug zu Lande hatte wirklich guten Erfolg. Zwei Siebzig-Liter-Kannen kamen an Bord der dicht an eine kleine Anlegebrücke gebrachten „Emden“.

Das war ein Gesamtergebnis, auf das man kaum zu hoffen gewagt hatte. Und Leutnant Meinke, hierdurch zu weiteren Taten ermutigt, beschloß daher gleich jetzt, einen Plan auszuführen, der ihm seit Fertigstellung des Bootes schon ständig vorgeschwebt hatte und der auf nichts anderes hinauslief als noch ein paar von den in der Feste Vannes internierten Offizieren zu befreien.

* * *

Die „Emden“ fuhr jetzt unter Benutzung ihres Motors zur Bucht hinaus und lief dann an der Küste der Insel nach Westen zu entlang bis in die Nähe der teilweise direkt aus dem Wasser aufsteigenden Wälle, wo dann Heinrich mit Hilfe des Bogens drei an Pfeile befestigte Zettel oben auf die Wallrampe befördern mußte. Die Zettel hatte Meinke mit einer Geheimschrift beschrieben, die die auf Vannes untergebrachten deutschen Offiziere stets dazu benutzt hatten, um ihren in die Heimat geschickten Briefen Mitteilungen einzufügen, die der Briefkontrolle der französischen Behörden verborgen bleiben sollten. Aus leicht begreiflichen Gründen soll hier auf die Besonderheiten dieser Geheimschrift nicht näher eingegangen werden.

Meinke rechnete damit, daß seine Kameraden, denen die Wallrampe als Promenade überlassen war, die Pfeile und die Zettel oder doch wenigstens eines dieser wichtigen Geschosse finden und genau nach den Anweisungen des Zettels handeln würden. Darin stand, daß an drei bestimmten Tagen der nächsten Woche die „Emden“ nachts unterhalb des Südostwalles zur Aufnahme von Flüchtlingen bereitliegen würde. – Freilich mußte man auch damit rechnen, daß einer der französischen Soldaten der Besatzung die Pfeile entdecken könnte und daß dann natürlich eine große Untersuchung eingeleitet würde, bei der freilich nichts herauskommen konnte. Immerhin war die Möglichkeit, die Zettel könnten in falsche Hände geraten, insofern nicht allzu groß, als gerade die Wallrampen am Tage nur von einem einzigen Posten in längeren Zwischenräumen abgeschritten wurden, der wohl nur durch einen Zufall auf die Pfeile aufmerksam werden dürfte, wie Meinke hoffte. Jedenfalls waren die Aussichten auf Gelingen oder Mißlingen ziemlich gleich.

Gerade als die „Emden“ sich wieder entfernen wollte, tauchte oben auf dem Wall die gegen den hellen Nachthimmel deutlich sich abzeichnende Gestalt eines Soldaten auf, der gemächlich, das Gewehr im Arm, daherkam.

Das Boot lag jedoch im Schatten des Walles, und es hätte schon sehr scharfer Augen bedurft, um es zu erkennen. Außerdem war der Posten auch vollständig ahnungslos und schritt ruhig vorüber.

Nun wurde die „Emden“ geräuschlos mit Hilfe der Ruder wieder von der Insel abgebracht und nahm Kurs auf die Briennes-Gruppe.

Bisher war diese abenteuerliche Fahrt ohne jeden störenden Zwischenfall verlaufen, so daß an Bord des merkwürdigen Schiffleins eine recht gehobene Stimmung herrschte.

Leutnant Meinke ließ jetzt wieder Segel setzen, um Benzin zu sparen. Er hatte seit einigen Minuten nicht so genau auf die Umgebung acht gegeben wie bisher, vielmehr mit Heinrich Leitner, der nächst ihm am meisten von der Seeschiffahrt verstand, erwogen, welchen Weg man später einschlagen solle, um einen deutschen Hafen zu erreichen.

Die Erörterung dieser Frage geschah in so lebhafter Weise, daß auch Fritz Burke und der Ostpreuße gespannt zuhörten.

So kam es, daß man erst in letzter Minute zwei Fischerboote gewahr wurde, die offenbar von der bretonischen Küste aus ihren Fanggründen zustrebten und denen man sich von hinten bis auf hundert Meter genähert hatte und zwar in der Weise, daß die „Emden“ sich in der Mitte der beiden schwerfälligen Fahrzeuge befand, die bei dem schwachen Winde jeden Fetzen Zeug (Segel) gesetzt hatten.

Hier hieß es blitzschnell überlegen, was zu tun war. Meinke sagte sich sehr richtig, daß er um keinen Preis bei den Fischern den Verdacht aufkommen lassen dürfe, daß die „Emden“ deren merkwürdige Gestalt mit dem flachen Deck, dem runden Turm und der spärlichen Takelage bei der hellen Julinacht weithin zu erkennen sein mußte, ein feindliches, ein deutsches Boot wäre, da dann sicherlich sofort von den Militärbehörden, insbesondere dem Kommandanten der Festung Vannes, Maßnahmen zur strengeren Bewachung der Küste, der Inseln und auch der Kriegsgefangenen getroffen werden würden.

Blitzschnell überlegte er sich das und im Augenblick stand sein Entschluß auch schon fest.

Eiligst zog er unter Deck Heinrichs Lederjacke über und setzte dessen selbstgefertigte Kopfbedeckung auf. Seine Uniform hätte ihm sonst das ganze Spiel verdorben.

Dann mußten auch Krapatkul und Fritz unter Deck verschwinden, so daß er allein oben blieb.

Der eine der Segelkutter hatte seinen Kurs geändert und näherte sich jetzt der „Emden“ in ziemlich bedrohlicher Weise. An Bord befanden sich drei Leute, von denen einer jetzt, die Hände vor dem Munde zum Sprachtrichter formend, hinüberrief:

„He – Ihr da, was seid Ihr für ein Boot?“

Es waren Worte des schwer verständlichen bretonischen Dialektes, der so wenig Ähnlichkeit mit dem flüssigen Französisch der Pariser Boulevards hat.

„Englisches Tauchboot“, brüllte Meinke auf Englisch zurück. „Fallt mehr nach Backbord ab, sonst rammen wir Euch.“

Eine Weile blieb’s still.

Dann wieder vom Fischerkutter:

„Tauchboot, he?! Tauchboot mit Segeln?! Haben wir auch noch nicht zu Gesicht bekommen!“

„Takelage nur als Maske!“ erwiderte der Leutnant, ließ das Großsegel flattern und raunte gleichzeitig dem jetzt in Fritz Burkes Jacke steckenden älteren Knaben, der soeben in der offenen Turmluke aufgetaucht war, hastig zu, daß Krapatkul den Motor anwerfen solle.

Gleich darauf zeigten sich hinter der „Emden“ die Schaumsprudel der sich drehenden Schraube, und dieser Beweis schien den Fischern wohl zu genügen, da sie jetzt ihre Mützen schwenkten und Old England hochleben ließen.

Die „Emden“ verlor dann die Boote schnell aus dem Gesicht. Die Gefahr war glücklich abgewendet.

„Das hätte unangenehme Folgen haben können“, sagte Leutnant Meinke lachend zu dem wieder auf Deck erschienen Krapatkul. „Nun – dieses Erlebnis wird mir eine Warnung sein. Ich werde meine Pflichten als Kapitän nie wieder vernachlässigen. Ebenso gut hätten wir auch einem französischen Wachtschiff in die Arme laufen können. Und dessen Besatzung wäre wohl nicht so leicht zu täuschen gewesen.“ –

Eine Stunde später lag die „Emden“ wieder in der schmalen Bucht zwischen den hohen steilen Felsen vor der unterseeischen Öffnung vertäut.

* * *

Die Begegnung mit den Fischerbooten hatte Meinke von der Notwendigkeit belehrt, für sich und den waghalsigen Ostpreußen Kleidungsstücke zu beschaffen, die weniger gefährlich als die feldgrauen Uniformen waren.

Unter den in den Grotten vorgefundenen Gegenständen gab es nun auch mehrere große französische Flaggen aus starkem Segeltuch. Aus diesen wurden die blauen und weißen Streifen herausgetrennt und zu doppelreihigen Seemannsjacken und Beinkleidern verarbeitet. Die Jacken wurden sogar mit den Knöpfen der Uniformen besetzt und sahen auf weite Entfernung beinahe nach Schneiderarbeit aus. Ein Berufsschneider freilich hätte sich vor diesen Machwerken schaudernd abgewandt.

Diese Zuschneide- und Nähtätigkeit sowie einige Arbeiten an der „Emden“ füllten die Tage bis zu der ersten der drei Nächte aus, in der man zusehen wollte, ob die auf den Wall geschossenen Zettel die in sie gesetzte Hoffnung erfüllen würden.

Am 15. Juli abends elf Uhr näherte sich die „Emden“ bei ziemlich bewegter See unter ausschließlicher Benutzung des Motors der Festung. Der Himmel war bedeckt, und der Wind kam von Nordost, so daß man südlich der Insel Vannes wieder ruhigeres Wasser fand.

Die „Emden“ hatte sich selbst bei diesem Seegang ganz wacker gehalten. Freilich war es nötig gewesen, die Turmluke, die ja für Meinke als Kapitän, der Heinrich die nötigen Steueranweisungen heute hinunterrief, offen gelassen werden mußte, mit einem Stück Ölleinwand zu verschnüren. Diese hatte der Leutnant sich gleichfalls fest um den Leib gebunden, damit die überkommenden Brecher nicht ins Innere des Bootes eindrangen. Die Verständigung mit dem jungen Steuermann geschah daher durch einen Spalt in dem Öltuch, hatte also ihre großen Unbequemlichkeiten.

Meinke wurde, obwohl er wieder Heinrichs Lederjacke trug, bis auf die Haut naß. Dennoch hätte er die Eindrücke dieser nächtlichen Fahrt nicht missen mögen. Ja, – er konnte mit Recht stolz auf die „Emden“ sein, die ihre Entstehung seinem schöpferischen Geiste verdankte. Das sah er heute erst mit froher Genugtuung ein. Wie ein Seehund, der von Jugend an den Kampf mit den Wogen als lustiges Spiel betreibt, wiegte das Boot sich auf den Wellen, unaufhaltsam vorwärtseilend und scheinbar der Wasserberge spottend, die es unter sich begraben wollten und doch nur mit ihren Schaumkronen hinauflangten zu dem einsamen Manne, der dort in der zugeschnürten Turmluke stand und scharf nach allen Seiten ausspähte. –

Jetzt näherte sich die „Emden“ den Wällen der Feste. Der Motor wurde abbestellt, und die Ruder traten in Tätigkeit, die in den für die Takelage am Rande des Decks angebrachten Haken befestigt werden konnten.

Meinke, das Glas vor den Augen, stand jetzt neben dem Turm, von dem die Ölleinwand entfernt worden war.

Die Spannung der kleinen Besatzung wuchs mit jeder Minute. Nun sollte sich ja zeigen, ob es gelingen würde, noch ein paar Landsleute zu befreien.

Je dichter man an die Wälle heranrückte, desto stiller wurde das Wasser. Hier unter Wind glich die draußen so arg wütende See einem harmlosen Teiche.

Es war dunkel – fast zu dunkel für das ganze Unternehmen. Jetzt erst fiel Meinke ein, daß er vergessen hatte, auf den Zetteln ein besonderes Erkennungszeichen zu vereinbaren. Wie sollten also die Kameraden, die dort oben vielleicht verborgen im Grase auf dem Walle lagen und bei dieser Finsternis vergeblich nach dem Boote ausschauten, das sie abholen wollte, dieses bemerken, da das Wasser dort unten nur eine einzige schwarze Masse bildete, in der sich nichts unterscheiden ließ …?!

Als der Leutnant diese eben in ihm aufgestiegenen Bedenken Heinrich jetzt leise mitteilte, erklärte der Knabe nach einer Weile angestrengten Nachdenkens, auch er finde hier keinen Ausweg. Es sei jedenfalls sehr schade, daß man z. B. nicht den dreimaligen Schrei einer Möwe verabredet habe. Ein solches Zeichen wäre keinem Posten aufgefallen.

Meinke nickte nur verstimmt, nahm das Fernglas wieder hoch und musterte den Wall, auf dem sich heute bei dieser Beleuchtung jedoch nichts erkennen ließ.

Inzwischen hatten Fritz und der Ostpreuße die „Emden“ mit Hilfe der Ruder ganz dicht an dieselbe Stelle des Walles herangebracht, wo damals die Pfeile abgeschossen worden waren. Hier wurde nun der selbstgeschmiedete Anker herabgelassen, dessen Tau sich bald straffte. Eine schwache Strömung zog an dem Walle entlang nach Osten, und die „Emden“ lag bald vor dem am Heck befestigten Anker parallel zu der aus Granitblöcken bestehenden Mauer völlig still, pendelte nur mit dem Bug langsam in der Strömung hin und her.

Der Leutnant war unter Deck gegangen, um beim Lichte einer der Petroleumlampen nach der Uhr zu sehen.

Es war genau Mitternacht. Jetzt mußten da droben schon die Kameraden sehnsüchtig auf ihre Befreier harren, – falls es eben diesem oder jenem gelungen war, sich zu dieser Stunde aus den Gefangenenschlafräumen ins Freie zu schleichen.

Meinke stieg wieder an Deck. – Drei Möwenschreie – eigentlich ein sehr guter Gedanke von dem Jungen! Wenn man’s damit mal versuchte, vielleicht in Zwischenräumen mehrmals hintereinander …? Ob dadurch die Kameraden nicht aufmerksam gemacht würden …?!

Der Offizier besprach sich leise mit Heinrich Leitner. Der aufgeweckte Junge erklärte, es käme eben auf einen Versuch an.

Gleich darauf betätigte er sich als Tierstimmennachahmer und zwar in durchaus anerkennenswerter Weise.

Dreimal waren die drei heiseren Möwenschreie nun schon erklungen.

Dann – die Köpfe der vier „Emden“-Leute fuhren mit einem Ruck hoch! – von oben, von der Wallkrone her, ein leiser Pfiff – die ersten Töne von „Deutschland über alles“…

Und vom Boote her antwortete Meinke mit demselben Liede – pochenden Herzens, und doch schon des Erfolges gewiß.

Dann platschte etwas neben der „Emden“ ins Wasser – das Ende eines Seiles, an dem sofort ein dunkler Körper abwärts glitt – noch einer – noch einer, – bis vier Offiziere glücklich auf Deck standen.

„Vorwärts – machen wir, daß wir aus der Nähe der Festung wegkommen“, raunte Hauptmann von Berchem Meinke zu. „Unsere Flucht kann jeden Augenblick entdeckt werden. Wir haben den Posten auf dem Hofe geknebelt und sind die einzigen, die auf Euren Plan eingehen konnten. – Vorwärts!“

Der Anker wurde eingeholt, und dem Druck der Ruder gehorchend, setzte das Boot sich in Bewegung.

Da zerriß auch schon der Knall eines Gewehrschusses die Luft, dem Trommelwirbel folgten.

„Alarm!“ sagte der Hauptmann zwischen den Zähnen hindurch. „Gleich werden sie die Geschütze abfeuern, um die Wachtfahrzeuge an der Küste aufmerksam zu machen, – wie damals, Meinke, als Sie entflohen waren. Man wird uns also wieder erwischen … Pech haben wir – wahrhaftig.“

Einer von den vier Offizieren, ein Marineflieger, hatte inzwischen die „Emden“ aufmerksam betrachtet.

„Merkwürdiges Ding von Boot, das Sie da haben, Meinke“, sagte er flüsternd. „Sieht fast wie ein U-Boot aus. Sollte ich mit dieser meiner Vermutung recht haben?“

Meinke nickte nur.

„Keine Sorge, Herr Hauptmann“, wandte er sich an Berchem. „Sie kriegen uns nicht, die Herren Franzosen. Darauf gehe ich jede Wette …“

Der Knall eines Kanonenschusses verschlang das letzte Wort des Satzes. –

Zehn Minuten später befand die „Emden“ sich bereits weit ab von der Insel im Kampfe mit der ungestümen See. Neben Meinke stand jetzt noch in der Turmluke der Oberleutnant Hartner von der Kaiserlichen Marine.

„Braves Schifflein!“ lobte er wiederholt, wenn die „Emden“ den Angriff eines Wasserberges abermals spielend leicht abgewiesen hatte.

Scheinwerfer blitzten jetzt hier und da auf See auf. Die Alarmschüsse hatten die Wachtfahrzeuge munter gemacht.

Hartner und Meinke berieten. Der Marineoffizier schlug vor, im Südwesten der Briennes-Gruppe, wo bei diesem Winde völlig stilles Wasser sein mußte, ein verstecktes Plätzchen aufzusuchen, da jetzt der Weg nach der Mündung des Nordostkanales zu weit und zu gefährlich war.

Die „Emden“ änderte ihren Kurs und strebte dem neuen Ziele zu.

Wieder ein paar weiße Lichtbüschel – gerade voraus in der Fahrtrichtung.

„Ruhig Kurs halten“, meinte Hartner. „Die See ist hier schon friedlicher. Rücken uns die Herrschaften da zu nahe auf den Leib, so tauchen wir und lassen sie erst vorüber.“

Die „Emden“ jagte weiter. Vor ihr glitten die Scheinwerfer suchend mit ihren weißen Strahlenkegeln hin und her. Aber man sah, daß die Schiffe, zu denen sie gehörten, sich nach Osten zu entfernten.

Wieder vergingen fünf Minuten. Jetzt hielten die Südinseln der Briennes-Gruppe bereits die steife Brise völlig ab. Die Brecher, die das Deck überschwemmten, wurden seltener.

Oberleutnant Hartner benutzte jetzt das Fernglas. Seine Augen waren geübter, auch bei Dunkelheit zu sehen. Freilich – weit reichte auch das Fernglas bei dieser Dunkelheit nicht.

Hartner stieß plötzlich einen leisen Pfiff aus.

„Halbrechts ein Dampfer mit hohen Aufbauten“, meldete er. „Ein Zerstörer – ganz sicher! Ah – da haben wir die Bescherung …!!“

Blendende Helle lag mit einemmal auf dem Deck der „Emden“ … Der Scheinwerferkegel rückte etwas zur Seite, kehrte wieder, als wolle er das Boot foppen. Dunkelheit und bleiches Leuchten wechselten rund um die „Emden“ ab.

„Wir sind entdeckt …! – Hinunter mit uns!“ rief Hartner. – Der Deckel des Turmes klappte zu. Der Motor arbeitete nicht mehr.

Die Offiziere hörten das Wasser in die geöffneten Ballasttanks hineinrauschen. Das Boot begann zu sinken. Mit wild klopfenden Herzen standen die acht Deutschen in der heißen, jetzt schon stickigen Luft des engen Bootskörpers.

Die nächsten Minuten mußten über das Schicksal aller entscheiden. Verlor der Zerstörer die „Emden“ nicht so schnell aus dem Gesicht, daß es ihm unmöglich war, sie zu rammen, so war Aussicht auf Rettung vorhanden.

Meinke lehnte in der offenen Tür der vorderen Kajüte. Gerade über ihm hing eine der trübe brennenden Lampen. Er war bleich, sehr bleich. Dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.

Den anderen ging’s nicht besser. Dieses untätige Abwarten zerrte und riß an allen Nervensträngen mehr als die ringsum pfeifende, feindliche Kugelsaat, als platzende Granaten und die gellen Schreie Getroffener.

Die Emden rollte träge hin und her. Man hörte wie aus weiter Ferne das Glucksen und Gurgeln der Wellen oben an der Oberfläche …

Noch immer nichts …

Hartner sah auf seine Armbanduhr, die ihm die Franzosen ausnahmsweise nicht „beschlagnahmt“ hatten, wahrscheinlich, weil es nur Nickel war. Er war der ruhigste. Ähnliche Momente tödlicher, lähmender Spannung waren ihm als Flieger nichts Neues. Trotzdem – hier so unter Wasser, und in diesem Boot mit seiner primitiven Taucheinrichtung …!! Das war beinahe schlimmer als Motorpanne über den feindlichen Linien …!!

Jetzt tat er den Mund auf.

„Sechs Minuten … Die Gefahr des Gerammtwerdens ist vorüber …“ –

Ja – die eine Gefahr! Aber dafür wurde die Luft in dem Boot erschreckend schnell schlechter und schlechter.

Schon hatte man die Lampen bis auf eine verlöscht. Auch diese eine glühte nur noch schwach. Acht Menschen verbrauchten mit ihren Lungen zu viel Sauerstoff, atmeten zu viel Stickstoff aus.

„Wir müssen auftauchen“, entschied Hartner. „Es geht nicht anders. Sonst haben wir nicht mehr die Kraft, die Tanks leerzupumpen, und ersticken hier elend.“

Die „Emden“ hob sich langsam.

Meinke stand am Spiegel des ausgeschobenen Sehrohres. Draußen graute der Morgen, und die See … war leer …

„Gerettet!“ jubelte er. „Gerettet …!“ –

Der Turm kroch aus dem Wasser hervor, das Deck, die Bordwand.

Der Turmdeckel flog auf. Frische Luft strömte nach unten. – Hartner schaute nach dem Feinde aus. Vier Dampfer waren mit bloßem Auge zu erkennen. Aber sie lagen weit ab …

* * *

Erst am Abend, als die See sich wieder beruhigt und die Wachschiffe verschwunden waren, verließ die „Emden“ ihr Versteck zwischen den Riffen im Südwesten der Gruppe und kehrte in die Bucht neben den Grotten zurück.

Acht Tage blieb man noch in den unterirdischen Räumen, traf alle Vorbereitungen für die weite, gefährliche Reise nach der Heimat, verproviantierte die „Emden“, so gut es ging, nahm eine Anzahl der Gewehre der geheimen Waffenniederlage an Bord, brachte die Ziegen in das grüne, stille Tal, baute ihnen einen kleinen Stall, in dem sie Schutz vor den Unbilden der Witterung finden konnten, und stach am 22. Juli dann nach Osten zu in See.

Die beiden Wolfshunde wurden auf Bitten der Knaben mitgenommen, obwohl gewichtige Bedenken dagegen sprachen.

Oberleutnant Hartner hatte jetzt die Führung der „Emden“ übernommen. Er beabsichtigte, an der französischen Küste entlang den Kanal zu durchfahren. Der Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens waren sich alle voll bewußt, da gerade im Kanal nicht nur feindliche Schiffe in Mengen lauerten, sondern auch Minenfelder und Netzsperren gegen U-Boote mit Verderben drohten. Aber einen anderen Weg nach einem deutschen Hafen gab es für die Flüchtlinge nicht. Die Reise um England herum wäre zu weit und zeitraubend gewesen.

Die Fahrt brachte denn auch aufregende Momente in Menge. Aber dank der Umsicht des Führers, der Eigenschaften ihres Bootes und der Entschlossenheit und Unerschrockenheit jedes einzelnen der kleinen Schar erreichten die acht Deutschen nach acht Wochen einen Hafen der besetzten belgischen Küste.

Nach acht Wochen …!!

Sollte einer unserer lieben Leser gern Aufschluß darüber haben wollen, was die „Emden“ und ihre Besatzung in dieser Zeit noch erlebt hat, so mag er das nächste Heft beachten: „Die neue „Emden““.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkung:

  1. In der Vorlage steht: „letzenmal“.