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Das Geheimnis des Erfinders

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Das Geheimnis des Erfinders.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

„Man führe den Schiffsjungen mir vor!“ befahl der König von Nordland, der auf seiner Motorjacht „Nixe“ von einem Besuch der Insel Madeira heimkehrte und zur Zeit mit seinem Gefolge auf dem Promenadendeck in bequemen Liegestühlen saß.

Alles war gespannt auf den Jungen, den man vor wenigen Minuten samt einem treibenden Boot aus dem Atlantik aufgefischt hatte.

Der Kapitän der „Nixe“ erschien mit dem etwa fünfzehnjährigen, in einem blauen Matrosenanzug steckenden Knaben vor dem Herrscher des mächtigsten Reiches Europas.

Der Junge verbeugte sich tief vor dem König und blieb dann in ungezwungener, aber ehrerbietiger Haltung abwartend stehen.

Prüfend ruhten die großen, klaren Augen des Monarchen auf dem offenen Gesicht des kleinen Schiffbrüchigen.

„Erzähle mir Deine Abenteuer, mein Sohn“, sagte er dann freundlich.

Der kräftige Knabe warf einen Blick in die Runde auf all die Herren, die sich um den Stuhl des Königs geschart hatten. Dann erwiderte er, sich abermals verneigend:

„Majestät, ich bin kein Schiffbrüchiger. Ich bin ein Abgesandter eines, der mächtiger ist als alle Herrscher der Welt.“ Das klang so einfach, so schlicht, als spräche der Junge etwas für ihn ganz Selbstverständliches aus.

Der König von Nordland lächelte. Und es lächelten auch die Herren seines Gefolges.

„So so, ein Abgesandter“, meinte der König. „Du hast wohl tagelang allein in Deinen Boot ohne Nahrung und Trinkwasser einsam auf dem Atlantik getrieben, nicht wahr, mein Sohn? – Wie heißt Du denn eigentlich, woher stammst Du?“

„Das alles ist eine lange Geschichte, die ich nur Ew. Majestät allein erzählen darf. Damit Ew. Majestät aber nicht denken, daß mein Geist durch Hunger und Durst etwa verwirrt ist, möchte ich mir gestatten, auf folgendes aufmerksam zu machen. – Es ist jetzt zehn Uhr vormittags. Gestern den Tag über tobte hier in dieser Meeresgegend ein schwerer Orkan, der mein Boot unfehlbar verschlungen hätte. Ich bin denn auch tatsächlich erst seit heute früh sieben Uhr in meiner Jolle auf dem Wasser. Vorher war ich … Doch nein, das will ich nur Ew. Majestät anvertrauen. Jedenfalls hat man mich und mein Boot hier ausgesetzt, nachdem feststand, daß Ew. Majestät Jacht ganz in der Nähe dem eingeschlagenen Kurse nach vorbeikommen mußte. Ich sollte eben von der „Nixe“ an Bord genommen werden.“

Aus den Gesichtern all der Herren war das Lächeln verschwunden. – Auch der König war ernst und nachdenklich geworden.

„Du sprichst wie ein Erwachsener, mein Sohn“, sagte er, den Knaben scharf musternd. „Bist Du ein Kind meines Landes?“

„Ja, Ew. Majestät, – einer der treuesten Untertanen, und doch auch ein Untertan eines noch Mächtigeren.“

„Meinst Du Gott damit?“ fragte der Herrscher gespannt.

„Nein, – die Macht dessen, der mich sendet, ist irdischer Natur.“

Der Monarch wandte sich an einen der Herren des Gefolges. Es war der Reichskanzler.

„Verstehen Sie das, lieber Graf?“

„Einer, den die Schrecken des Meeres verwirrt haben“, flüsterte Graf Benheim.

Der Knabe hatte gute Ohren. „Herr Graf“, sagte er, „in meinem Kopfe ist es ebenso klar wie an diesem wolkenlosen Julitage“, meinte er ernst und mit Nachdruck.

Der König nickte dem kecken Burschen aufmunternd zu.

„Gut denn“, sagte er, „Du sollst Deinen Willen haben. – Meine Herren, – lassen Sie uns allein.“

Das Gefolge zog sich zurück.

„Was also hast Du mir denn so geheimnisvolles mitzuteilen?“ fragte der Herrscher.

„Ich will mich kurz fassen, Ew. Majestät, was meine eigene Geschichte anbetrifft. – Ich bin der älteste Sohn des Steuermannes Peter Karb und auf den Vornamen Fritz getauft. Vor einem Jahr wurde ich Schiffsjunge auf dem Frachtdampfer „Anna“, der Reederei Svendsen gehörig. Die „Anna“ ging dann vor sieben Monaten etwa hundert Seemeilen nordwestlich von diesem Punkt, wo die „Nixe“ sich jetzt befindet, unter. Es war ein furchtbarer Orkan. Die Fracht im Laderaum, Eisenerze, war schlecht gestapelt, kam ins Rutschen, die „Anna“ erhielt dadurch schwere Steuerbordschlagseite (d. h. sie legte sich nach Steuerbord über), Wasser drang durch die zerschlagenen Luken in das Schiff, – es sank. Die Besatzung, vierzehn Mann, rettete sich in das Langboot. Aber die Wellen gingen so hoch, daß wir bald einsahen, daß wir verloren wären, wenn nicht ein Wunder geschah. Und – dieses Wunder kam, – kam in Gestalt eines seltsamen Schiffes, dessen stählerner, spindelförmiger Leib durch vier Luftschrauben pfeilschnell durch die Wellen getrieben wurde. Wir kletterten auf Deck, das eine gewölbte Reling hatte und das durch eine Abplattung der riesigen Stahlspindel gebildet wurde. An Bord des seltsamen Fahrzeugs waren nur vier Mann, alles Nordländer, darunter ein ehrwürdiger Greis, der der Kapitän war. Das Schiff brachte uns nach einer Insel mitten in einer ungeheuren, für andere Fahrzeuge unzugänglichen Tangwiese (die größte dieser im Atlantischen Ozean schwimmenden Tangwiesen ist bekanntlich das sog. Sargasso-Meer). Die Insel war felsig und kreisrund, mit jäh aufsteigenden Uferwänden, die nirgends eine Einfahrt in eine Bucht oder dergleichen besaßen. Trotzdem gelangten wir samt dem seltsamen Luftschraubenschiff mitten auf die Insel, die im Innern ein weites, fruchtbares Tal bildet. Hier fanden wir mehrere Gebäude vor, eine ganze Kolonie. Alles Nordländer, im ganzen 26 Mann, bildeten die Bewohner. Seitdem sind wir von der Insel nicht wieder fortgekommen. Der Herr der Insel läßt niemanden wieder fort, den er einmal bei sich aufgenommen hat, und dieser Herr ist der weißhaarige Greis. Er ist auch der mächtigste aller Könige, denn er besitzt etwas, das niemand sonst besitzt: die Fähigkeit, die Anziehungskraft der Erde aufzuheben.“

„Was heißt das?“ fragte der König von Nordland verwundert.

Der Knabe öffnete seine blaue Jacke. Darunter trug er eine eigenartige Weste aus starkem Segeltuch, die fest an die Beinkleider angeknöpft war. An dieser Weste waren flache Blechkästchen angebracht, untereinander wieder durch bespannte Drähte verbunden. In der Mitte des Vorderteils wieder gab es eine Flügelschraube, die der Knabe nun etwas nach rechts herum drehte.

„Wollen Ew. Majestät bitte beachten, daß meine Füße den Boden nicht mehr berühren“, sagte er jetzt.

Der König starrte ungläubig auf die sauber gescheuerten Planken des Promenadendecks. Ein Irrtum war ausgeschlossen: der Knabe schwebte frei in der Luft, etwa zehn Zentimeter über dem Deck …

Die Miene des mächtigen Herrschers veränderte sich.

„Ah“, rief er erstaunt, „das Gesetz der Schwere ist aufgehoben – wahrhaftig! Du bist leichter als die Luft, – Du schwebst tatsächlich!“

Der schlanke Junge verbeugte sich. Er hatte vorher die Flügelschraube wieder zurückgedreht und stand wieder auf den Planken.

Dann sprach er weiter … – – –

Fünf Minuten später rief der König von Nordland sein Gefolge und den Kapitän der „Nixe“ herbei und erteilte allerlei Befehle. Der Reichskanzler wagte, den Monarchen auf die Gefahren dieses Unternehmens hinzuweisen. Aber seine Worte hatten keinen Erfolg. Der König bestieg mit dem Knaben die aus Zinkblech gefertigte Jolle, in der man den Jungen vorher aufgefischt hatte, und die Jacht dampfte weiter, war bald unter dem Horizont verschwunden.

 

2. Kapitel.

Zwei Stunden lang schaukelte das Boot mit den beiden Insassen nun bereits auf den Wellen.

„Dein Herr läßt sich Zeit“, meinte der König von Nordland etwas ungeduldig zu Fritz Karb.

Der Knabe erwiderte höflich:

„Er ist schon unterwegs zu uns und in Sicht, Ew. Majestät.“

Der Herrscher stand schnell von der Ruderbank auf und schaute sich um.

„Ich sehe nichts, mein Junge, – nichts, nicht einmal die Rauchfahne eines Dampfers.“

„Und doch kommt der Herr und wird in einer Viertelstunde bei uns sein“, erklärte der Knabe ehrerbietig. „Ew. Majestät bitte ich, dem Himmel mehr Aufmerksamkeit zu schenken.“

Abermals musterte der König den Horizont, indem er sagte: „Ich verstehe! Dein Herr erscheint im Luftschiff.“

Er suchte mit den Augen den ganzen Himmel ab.

„Ich scheine schlechte Augen zu haben“, meinte er dann. „Ich kann nichts als ein weißes Wölkchen bemerken dort vor uns im klaren Blau des Äthers.“

„Das Wölkchen ist’s“, erklärte der Knabe kurz.

„Wie – das – das Wölkchen?!“ Der König zog sein Fernglas aus dem Futteral, stellte es auf das grauweiße Fleckchen ein, rief dann sehr bald:

„Oh, wirklich, – das Wölkchen nähert sich uns mit rasender Geschwindigkeit! Merkwürdig – unerklärlich …!“ – –

Bald darauf senkte sich das durch eine sehr geschickt angebrachte Tarnkappe von weißer Seide völlig verhüllte Luftschiff fast bis zum Wasserspiegel herab. Dann schwebte ein Korb an einem Stahltau hernieder und holte den König und den Knaben an Bord. Auch das Boot wurde durch Stahltrossen hochgewunden.

Auf dem aus dicken, graugestrichenen Stahlplatten bestehenden Deck begrüßte der weißhaarige Alte, eine hohe, imponierende Erscheinung, den Herrscher Nordlands.

„Ew. Majestät, ich freue mich aufrichtig, daß meine Einladung Gehör gefunden hat. Ich heiße Ew. Majestät an Bord des Flaggschiffes meines Geschwaders herzlich willkommen. Wir können jetzt wohl zunächst einen Rundgang durch das Panzerluftschiff „Rächer“ machen, wobei ich alle Einrichtungen erklären werde.“

„Panzerluftschiff?“ fragte der Herrscher von Nordland gespannt.

„Jawohl, Ew. Majestät! Der „Rächer“ ist mit 10 Zentimeter-Nickelstahlplatten gepanzert. Gewisse Teile sogar noch kräftiger, zum Beispiel die Munitions- und Maschinenräume.“

Der Rundgang begann. Der König glaubte zu träumen. Was er hier sah, war das größte Wunder, das die Technik je geschaffen hatte.

Vier große Luftschrauben, zu je zweien außenbords in Höhe des Decks vorn und hinten angebracht, gaben dem „Rächer“ eine geradezu fabelhafte Geschwindigkeit. Die Reling war so hoch, daß sie die Leute an Deck gegen die scharfe Zugluft genügend schützte. An der Spitze befand sich die Kommandozelle mit allerlei Apparaten, Handgriffen, Hebeln, Kurbeln und aeronautischen Instrumenten. Sie hatte als Fußboden eine dicke, wasserklare Glasplatte, so daß man bequem alles unterhalb des Schiffes beobachten konnte. Ähnliche Platten waren als Vorder- und Seitenfenster eingefügt.

Der würdige Alte, der sich Niemand nannte, zeigte dem König die verschiedene Verwendung der Apparate. Ein auf einem kleinen Tisch angebrachter Zeiger mit einem Handgriff ließ sich über einer mit vielen dickeren und dünneren Strichen eingeteilten runden Scheibe drehen.

„Majestät“, bemerkte Herr Niemand, „dieser Zeiger regelt die Steigfähigkeit des „Rächers“, die durch ein in die Bordwände eingefügtes System von Stahlflaschen hervorgerufen wird. Die Stahlflaschen enthalten ein chemisches Gemenge, das in demselben Augenblick, wo ein elektrischer Strom hindurchgeleitet wird, die Eigenschaft annimmt, die Schwerkraft, d. h. also die Anziehungskraft des Erdinnern aufzuheben. Je nachdem ich den Zeiger vorschiebe, wird der Strom durch mehr oder weniger Flaschen geschickt. Ich habe es also völlig in der Gewalt, den Antrieb zu regeln, kann das Luftschiff leicht und schnell steigen oder sinken lassen.“

Staunend lauschte der Herrscher.

„Ew. Majestät haben ja bereits meines kleinen Freundes Tragweite gesehen“, fuhr der Alte fort. „Auch sie gestattet es auf ähnliche Weise dem Träger, sich wie ein Ballon in die Luft zu erheben.“ – –

Der Rundgang war beendet, und der Alte führte den König nun in eine einfach eingerichtete Kajüte, wo beide Platz nahmen.

„Meine Lebensgeschichte ist bald erzählt“, begann Niemand. „Ich bin der Sohn armer Eltern, habe mich durch eisernen Fleiß hochgearbeitet, Chemie studiert und dann vor nunmehr dreißig Jahren die Entdeckung gemacht, der wir es verdanken, daß dieses gepanzerte, stählerne Luftschiff uns jetzt so sicher meiner Insel zuführt, dieses Schiff, von dessen Existenz nur meine Leute bisher etwas wußten. Als ich den Stoff gefunden hatte, besser das chemische Gemenge, das, eingeschlossen in einen festen Behälter, beim Durchgang eines elektrischen Stromes viele tausendmal leichter als das leichteste Gas wird, also eine ungeheure Auftriebskraft entwickelt, sagte ich mir sofort, daß ich nun auch imstande sein würde Panzerluftschiffe zu bauen, die die furchtbarste Kriegswaffe werden mußten, die die Welt bisher kennt. Ein Staat, im Besitz einer Flotte dieser Luftfahrzeuge, müßte bald die ganze Welt sich untertan machen. Aber – in diesem Staate würde sich dann auch infolge dieses Vertrauens zu dem Kampfwert dieser Kriegsmaschinen ein Machtdünkel im ganzen Volk entwickeln, der nur höchst ungünstig auf die Seele der Massen einwirken konnte. Außerdem wären durch den Bau einer Flotte dieser Panzerluftschiffe ganze Industriezweige für alle Zeit lahmgelegt worden. Mehr noch: in den Verkehrseinrichtungen mußte ebenfalls ein völliger Umschwung eintreten, falls man meine Erfindung für Fracht- und Passagierschiffe benutzte. – Ich könnte hier noch Dutzende von Beweisen dafür anführen, daß es meinerseits höchst unklug gewesen wäre, mit meiner Erfindung an die Öffentlichkeit zu treten.“

Der Alte machte eine kurze Pause, die der König von Nordland zu der Zwischenbemerkung benutzte, er könne Herrn Niemand mit diesen Bedenken nur recht geben.

„Aus diesen Gründen“, fuhr der Erfinder fort, „entschloß ich mich, in aller Stille nur ein halbes Dutzend Panzerluftschiffe fertigzustellen, damit mein Vaterland in den Tagen höchster Not seine Feinde niederzwingen könne mit ihrer Hilfe.

Ich baute mir also heimlich, ohne jemand einzuweihen, ein Luftboot und suchte mir mit Hilfe dieses eine entlegene Insel aus, um mir dort eine Werft einrichten zu können. In der Mitte einer Tangwiese fand ich im Atlantik ein Felseneiland, das ganz meinen Wünschen entsprach. Dorthin schaffte ich ebenso heimlich im Laufe von drei Jahren alles das, was ich für meine große Lebensaufgabe brauchte: Maschinen, in einzelne Teile zerlegt, Stahl, Eisen und so weiter. Ich hatte meinem nur zwölf Meter langen Luftboot eine solche Antriebskraft gegeben, daß es gleichzeitig bis zu 300 Zentner Ladung mitnehmen konnte. – Ich war überaus vorsichtig, und es ist mir auch geglückt, niemanden auf mich und mein Treiben aufmerksam werden zu lassen. Die Geldmittel für all meine Ankäufe erhielt ich durch die Bezahlung für zwei Patente, die ich an Großfirmen der Farbenindustrie abtrat.

Wie gesagt, nach drei Jahren hatte ich auf meiner Insel genügend Maschinen und Baumaterial aufgestapelt, um mit dem Bau des ersten Panzerluftschiffes beginnen zu können. – Aber – ich brauchte nun kräftige Männer, die mir dabei halfen. Bald wußte ich auch, woher ich sie nehmen sollte. Ich rettete mit meinem Luftboot Schiffbrüchige, die den Tod bereits vor Augen hatten und die ich nach der Insel brachte, wo sie mir in einem furchtbaren Eide geloben mußten, die Insel nicht mehr zu verlassen. Natürlich suchte ich mir nur Landsleute heraus. In 27 jährigem Mühen ist es mir dann gelungen, sechs Panzerluftschiffe fertigzustellen.

Nun zu der Frage, weshalb ich mir erlaubt habe, Ew. Majestät nach meiner Insel zu führen unter der Bedingung unverbrüchlichen Schweigens gegen jedermann. Ich habe zufällig unlängst Kenntnis davon erhalten, daß gegen Nordland sich ein ganzer Bund von Staaten zusammengetan hat, um Nordlands aufblühenden Welthandel zu vernichten. Die Seele dieses Bundes neidischer Nachbarn ist England. Weiter weiß ich auch, daß diese Staaten Nordland noch in diesem Herbst mit Krieg zu überziehen beabsichtigen. Ich wollte Ew. Majestät also einmal warnen, dann aber auch darauf hinweisen, daß ich meine Panzerluftschiffsflotte Ew. Majestät zur Verfügung stellen werde, wenn es Nordland nicht gelingen sollte, seiner Widersacher Herr zu werden.“ –

Inzwischen war der „Rächer“ über der einsamen Insel angelangt, senkte sich jetzt schnell abwärts und landete glatt vor dem für ihn bestimmten, riesigen Wellblechschuppen.

Der König und der Erfinder verließen das Schiff und begannen nun auch die Einrichtungen auf dem Eiland in Augenschein zu nehmen.

In der Mitte des weiten Tales erhoben sich nebeneinander die sechs Wellblechschuppen, in denen die Panzerluftschiffe untergebracht waren. Daneben in einem hübschen Wäldchen standen die Wohnbaracken für die Arbeiter. Die Leute kamen jetzt eilig herbeigeströmt und begrüßten den Monarchen mit lauten Hurras. Manch’ Weißbart war darunter, der bereits zwanzig Jahre und mehr hier auf der Insel hauste.

Der König glaubte noch immer zu träumen. All das, was er in den letzten Stunden erlebt hatte, erschien ihm so unwirklich, so wildphantastisch, daß er jeden Augenblick irre[1] zu werden fürchtete, nur sein schlafbefangenes Hirn habe ihm dies Erlebnis vorgegaukelt.

Aber es war Wirklichkeit … Dort standen die Hallen der sechs Schiffe, dort abseits auch die Werkstätten, die Schmelzöfen, die Leitungsmasten der elektrischen Kraftanlage; dort wieder lagerten Steinkohlen, Eisenerze, dort Stapel von allerlei Hölzern.

Und Herr Niemand führte den Monarchen überall umher – überall. Als der König dann äußerte, ob nicht mal diesen oder jenen der hier festgehaltenen Schiffbrüchigen die Sehnsucht nach der Heimat überkomme, erklärte der Alte, dies sei allerdings der Fall; er habe jedoch Vorsorge getroffen, daß jeder Fluchtversuch unmöglich sei; außerdem wüßten die meisten Leute, daß für sie der Gedanke, Mitarbeiter an einem so außerordentlichen Werke zu sein, mehr bedeuten müsse als persönliche Interessen. –

Nach einer weiteren Stunde machte sich der „Rächer“ abfahrtbereit, um den König von Nordland wieder dort abzusetzen, wo er ihn und den Knaben aufgenommen hatte.

Die Königliche Jacht „Nixe“ hatte inzwischen den Kurs geändert und war, dem Befehle des Monarchen gemäß, zurückgedampft. Als sie sich dem Punkte näherte, wo der König und der kaum dem Kindesalter entwachsene Junge in dem Boot auf dem einsamen Atlantik zurückgeblieben waren, war das Boot mit den beiden Insassen bereits wieder da.

Der Herrscher begab sich an Bord seiner Jacht, nachdem er sich von Fritz Karb mit festem Händedruck verabschiedet hatte.

Die „Nixe“ setzte sich wieder in Bewegung. Und der König stand auf der Kommandobrücke und schaute dem Boote nach, in dem der Knabe sich von den Wellen schaukeln ließ, und spähte auch nach einem weißen Wölkchen hin, das über der Jacht hoch am Himmel schwebte … Kein Mensch erfuhr, was er während dieser Stunden, die jetzt der Vergangenheit angehörten, erlebt hatte.

 

3. Kapitel.

Drei Jahre später …

Auf der einsamen Insel mitten in der Tangwiese hat sich kaum etwas in dieser Zeitspanne geändert. Nur einige Leute hat der unerbittliche Tod hinweggerafft. Neue sind nicht mehr hinzugekommen. Im ganzen sind’s noch 23 Mann, die hier jetzt ein eintöniges Dasein führen, nachdem die sechs Panzerluftschiffe fertiggestellt waren.

Fritz Karb ist zum kräftigen Jüngling herangewachsen, ist der Vertraute des Herrn des Eilands geworden und der einzige Mitwisser all der Geheimnisse, die der Erfinder außer der Auftriebskraft seiner Schiffe noch sonst in seiner Brust verschlossen hält. –

Herrn Niemands Voraussage ist nicht ganz so eingetroffen, wie er sie dem Könige von Nordland mitgeteilt hatte. Der Vernichtungskrieg gegen den mächtigen Staat hat erst im März dieses Jahres begonnen. Der Bund der neidischen Nachbarn hatte noch gewaltige, heimliche Vorbereitungen getroffen, um Nordland in kurzem völlig erobern und zu einem demütigenden Frieden zwingen zu können.

Vier Monate dauert dieser Krieg nun bereits. Nordlands Heere haben trotz der mehr als zwanzigfachen Überlegenheit der Gegner den Feind tapfer von den Grenzen abgewehrt. Aber: viele Hunde sind nicht nur des Hasen, sondern auch des stolzen, mutigen Keilers Tod! –

Soeben kommt Fritz Karb von dem hohen Felshügel die Steintreppe herab, auf dem sich die Funkstation der Insel befindet.

Das sonngebräunte Gesicht des Jünglings ist ernst und nachdenklich. Hastig eilt er weiter auf das kleine Wohnhaus seines verehrten Herrn zu.

Der Erfinder sitzt in einem Lehnstuhl am Fenster seines Laboratoriums. Bei des jungen Mannes Eintritt hebt er matt den Kopf, dessen Züge bereits der nahende Tod geadelt hat.

„Nun?“ fragt der große Erfinder mit müder Stimme. „Was bringst Du für Nachrichten, mein Sohn.“

Fritz Karb erwidert fliegenden Atems:

„Ich habe mich durch Funkspruch mit Majestät in Verbindung gesetzt. Auch Amerika hat sich den Feinden unseres Vaterlandes jetzt angeschlossen, dessen beste Söhne in verzweifeltem Ringen die Grenzen zu verteidigen suchen. Nordland kämpft wie ein Sperber, den ein Krähenschwarm angefallen hat. Die Millionenheere der Feinde, zum Teil aus farbigen Völkerschaften bestehend, werden die Unsrigen erdrücken. Amerika rüstet eine Flotte aus, die zusammen mit der englischen einen Landungsversuch unternehmen wird.“

Gespannt blickt Fritz Karb auf den Greis, wartet auf dessen Entscheidung.

Der Erfinder hat sich aufgerichtet in seinem Stuhl. Seine Augen leuchten, seine Rechte streckt sich gen Himmel. Und mit kräftiger Stimme ruft er:

„Dir, meinem Nachfolger, meinem Vertrauten, befehle ich jetzt: Mache unsere Schiffe angriffsbereit! – Und dann – vorwärts gegen die feindliche Meute! Es lebe unser König, unser Vaterland.“

Dann sinkt er wieder matt in sich zusammen. Seine Augen erlöschen.

Im Kreise derer, die seine Mitarbeiter waren, haucht er eine halbe Stunde später seine Seele aus. – –

Auf der Insel herrscht bis zum Einbruch der Dunkelheit fieberhafte Tätigkeit. Dann sind die Schiffe fertig zur Abfahrt.

Inzwischen hat Fritz Karb eifrig mit dem Großen Hauptquartier Funksprüche ausgetauscht, hat all die Anweisungen gegeben, die nötig sind, um einen vollen Erfolg des Eingreifens des Panzerluftschiffsgeschwaders zu verbürgen. Diese Anweisungen sind so gehalten, daß nur der König sie versteht. Nur er weiß, weshalb telegraphisch 180 Offiziere der verschiedensten Waffengattungen nach einem kleinen Heidedorf plötzlich kommandiert werden. Nur Offiziere sollen die Besatzung des Geschwaders bilden. – So wird in Nordland in aller Heimlichkeit das vorbereitet, was eine Woche später die englische Siegeszuversicht in dumpfe Verzweiflung verwandelt. – –

Das Geschwader besteht aus dem Flaggschiff „Rächer“ und den fünf P.-L.-S. „Vernichter“, „Zerstörer“, „Warner“, „Bezwinger“ und „Vampyr“. Für jedes Schiff stehen nur vier Mann als Besatzung vorläufig zur Verfügung. Aber dies genügt zur Not, da die maschinellen Einrichtungen so einfach sind, das ein paar geübte Hände für die kurze Fahrt nach Nordland genügen, – kurz für Luftfahrzeuge von der ungeheuren Geschwindigkeit der sechs Panzerschiffe, die mit ihrer Sturzvorrichtung imstande sind, wie Flugmaschinen mit abgestellten Motoren im Gleitflug riesige Strecken zurückzulegen. –

Die Führer der Schiffe haben dem jugendlichen Geschwaderchef einzeln „Fertig zur Abfahrt“ gemeldet. Tiefe Dunkelheit liegt jetzt über der einsamen Insel. Nur hier und da blinkt noch in einer der Wellblechhallen eine elektrische Laterne auf, und hinter einigen Fenstern der Wohnbaracken zeigt sich ein schwacher Lichtschimmer.

Fritz Karb versammelt seine Getreuen jetzt in der Lesehalle, weiht sie eingehend in die Sachlage ein.

„Unser Vaterland ist verloren, wenn wir nicht helfen“, sagt er eindringlich. „Unser König hat nur noch eine Hoffnung: uns! Jetzt endlich kommt für uns die Zeit der Ernte! Lange Jahre haben wir hier in der Stille, Sehnsucht nach der Heimat im Herzen, geschafft, den Acker vorbereitet, die Saat sprießen sehen! Nun wird unser ganzes Volk auf uns als seine Retter schauen, nun werden wir in dem Dank des Vaterlandes den schönsten Lohn für die Zeit halber Gefangenschaft finden! – Ihr wißt, Kameraden, was Eure Aufgabe ist! Nur Ihr seid mit den Einrichtungen der Schiffe vertraut. Ihr müßt jetzt die Lehrer spielen für die Offiziere, die wir an Bord nehmen werden. Wie Ihr sie belehren sollt, damit sie sich schnellstens bekanntmachen mit unseren Panzerluftschiffen, das will ich Euch jetzt kurz auseinandersetzen. Nur zwei Tage werden Euch hierzu zur Verfügung stehen! Aber Ihr habt es auch mit Schülern zu tun, die sämtlich technisch gut vorgebildet, die zum Teil Flieger, Pioniere, Seeleute usw. sind …“

Stunden gingen hin, bevor dieser allgemeine Unterricht vorüber war. Zum Schluß verteilte der achtzehnjährige Geschwaderchef die bereits von dem Erfinder ausgearbeiteten und in vielen Exemplaren gedruckten Anweisungen über die Einteilung des Dienstes an Bord, über die Bedienung der Maschinen, der Torpedorohre und der Bombenabwurfrohre. – Nichts war hier übersehen worden. In militärischer Klarheit und Kürze enthielten die Heftchen alles, was jeder Mann der Besatzung wissen mußte.

„Gute Nacht, Kameraden!“ waren Fritz Karbs letzte Worte in dieser wichtigen Stunde. „Geht jetzt zur Ruhe! Morgen abend verläßt das Geschwader die Insel. Bis dahin sammelt Kraft für die schweren Tage, die dann kommen werden!“ – – –

Der Eisenbahnzug hält auf der kleinen Station Heidelager. Der Name trifft zu, denn ringsum dehnt sich die endlose Heide aus, ein wenig bebautes Gebiet von vielen, vielen Quadratmeilen, das so ziemlich im Herzen des Königreichs Nordland liegt. – Der greise Bahnhofsvorsteher wundert sich, daß auch dieser Zug wieder so zahlreiche Offiziere aller Waffengattungen mitgebracht hat, die nun, jeder mit einem Koffer in der Hand, dem Ausgang zustreben.

Keiner von ihnen weiß, weshalb er so Hals über Kopf hierher kommandiert ist, weshalb in dem auf Ehrenwort geheim zu haltenden Befehl steht: „Sammelpunkt Ziegelei Blendenheim bei Heidelager 11 Uhr abends.“ –

Die Gebäude der Ziegelei stehen leer. Eine halbe Stunde Wegs ist’s von Heidelager bis zu der von Kiefernwald umgebenen großen Talsenke, in die sich Blendenheim einschmiegt. Die Offiziere haben sich vor dem sacht herabrieselnden Regen unter einen der offenen Ziegeltrockenschuppen geflüchtet. Leise flüstern sie miteinander. Nur wenige kennen sich von früher her. Immer wieder wird die Frage erörtert: „Was soll dieses Kommando? Weshalb mußten wir gleich die notwendigsten Sachen mitnehmen?“

Dann erscheint plötzlich ein Major vom Großen Generalstab in Begleitung eines hochgewachsenen jungen Mannes, der eine Art Marineuniform trägt.

Die Offiziere müssen einen Kreis bilden. Der Major wendet sich an seinen Begleiter: „Bitte, Herr Karb!“

Nun erfährt man endlich, zu welchem Zweck hier in aller Stille und Heimlichkeit 180 Offiziere versammelt worden sind.

Fritz Karb stellt sich als Chef des Geschwaders vor, verteilt die Offiziere auf die sechs Panzerluftschiffe nach der Liste, die er von dem Major erhalten hat.

Dann geht er mit dem Major voran auf den nahen Waldrand zu, immer weiter in die Dunkelheit hinein, bis ein langgestrecktes, dunkles Etwas, das regungslos auf dem Heideboden ruht, sichtbar wird. Es ist das Flaggschiff, der „Rächer“. – Die für den „Rächer“ bestimmten Herren gehen an Bord. Die anderen finden hinter dem Flaggschiff in einer Linie auch ihre Fahrzeuge.

Der Major verabschiedet sich von Fritz Karb mit einem festen Händedruck. An der Bahnstation wartet sein Auto, bringt ihn zurück ins Große Hauptquartier, wo er dem Könige melden kann, daß die Besatzungen richtig an Bord sind. –

Vom Waldrande des Tales von Blendenheim steigen gegen zwei Uhr morgens lautlos die sechs Panzerluftschiffe auf, steigen höher und höher, nehmen dann Kurs auf England zu, überfliegen die britischen Inseln und senken sich schließlich auf das einsame Eiland inmitten der Tangwiese herab.

Hier wird zwei Tage manövriert, hier werden Übungsbomben geworfen, werden alle Exerzitien geübt, die für den Angriff nötig sind. Sechs als Führer von Marineluftschiffen ausgebildete Kapitänleutnants übernehmen das Kommando der Panzerluftschiffe. Mit Feuereifer bemüht sich jeder der Offiziere, schnellstens mit den Besonderheiten der Panzervögel vertraut zu werden; jeder ist stolz darauf, daß gerade er dieser Auszeichnung teilhaftig wurde, zum neuen Panzerluftschiffgeschwader kommandiert worden zu sein.

Fritz Karb, dem der König von Nordland den Rang eines Majors verliehen hat, überwacht die Ausbildung aufs strengste. Jetzt zeigt sich, wie richtig der greise Erfinder bereits den Knaben eingeschätzt hatte, als er ihn zu seinem Erben und Nachfolger erzog. Der Geschwaderchef kümmert sich um alles. Für ihn gibt es keine Ruhe. Dauernd steht er auch mit dem Großen Hauptquartier in Funkspruchverkehr. Am dritten Tage morgens erreicht ihn die Meldung, daß das amerikanische Hilfsgeschwader sich westlich der Fär-Öer-Inseln mit Kurs auf die Orkney-Inseln befinden müsse. In einer weiten, sicheren Bucht der Orkney, dem Wrath-Sund, liegt seit Kriegsbeginn die englische Flotte. – – –

Die Amerikaner fahren in Kiellinie. Zerstörer und kleine Kreuzer sichern den Marsch der vierzehn Großkampfschiffe. Das Wetter ist diesig. Nebelschwaden treiben über die See hin. Bisweilen kommt auch eine Regenbö nieder, die dann jede Aussicht unmöglich macht. – Gegen 2 Uhr nachmittags taucht das Spitzenschiff, der Panzer „Idaho“, in eine dichte Nebelbank ein. Trotzdem wird die Geschwindigkeit nicht verringert.

Unheimlich düster lagern die grauen, feuchten Schleier um den „Idaho“. Auf der Kommandobrücke stehen fröstelnd ein paar Offiziere. Einer von diesen hat soeben wieder behauptet, das Geräusch von Propellern gehört zu haben. Er wird ausgelacht. – „Sie leiden wohl an Luftschiffangst! Die nordländischen Flieger sind froh, wenn sie bis London kommen!“ spottet einer.

Über dem Panzer schwebt, von unten nicht zu erspähen, der „Rächer“, der sich durch eine Stahltrosse lautlos mit der Spitze des vorderen Gefechtsmastes des „Idaho“ verbunden hat und sich schleppen läßt. Der Nebel ist so dicht, daß von der Brücke aus kaum die Hälfte der Gittermasten zu sehen ist.

Die vier Bodenluken des P. L. S.-Flaggschiffes sind geöffnet. Neben jeder Luke ragen die Bombenwurfrohre hoch. Zwei Bomben, ein Meter hohe Zylinder von 50 Zentimeter Durchmesser, gefüllt mit einem Sprengstoff, der des greisen Erfinders verderblichstes Geisteskind ist, werden jetzt auf Zeitzündung eingestellt. Zwei Minuten nach dem Aufprallen sollen sie erst explodieren. – Dann wird durch die größte der Luken ein korbähnliches Gestell, in dem ein Offizier hockt, herabgelassen und so dirigiert, daß es schließlich genau über dem vorderen Schornstein des „Idaho“ schwebt. Nun wird eine der Bomben an dünner Stahltrosse befestigt, gleitet zu dem Korbe hinab, senkt sich tiefer und tiefer, bis sie ganz dicht über der Schornsteinöffnung hängt. – Der Offizier in dem Korbe sieht auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Noch drei Minuten … Gleichzeitig sollen ja die sechs Bomben in den Rauchfängen der sechs vordersten Amerikaner verschwinden …

Noch eine halbe Minute … Undeutlich sieht der Offizier unter sich den runden Mund des riesigen Schornsteins. Nochmals visiert er genau. Die Bombe hängt richtig. Leicht pendelt sie hin und her. – Jetzt ist der Augenblick gekommen. – Er öffnet den Sperrhaken. Oben in der Luke des „Rächers“ spüren sie, daß die Bombe abgeworfen ist. Der „Rächer“ schießt mit einem Ruck in die Höhe, da der elektrische Strom durch sämtliche Stahlflaschen geschickt wird. Der Auftrieb ist so stark, daß das Flaggschiff wie ein Geschoß hochschnellt.

Dann in der Tiefe eine furchtbare Explosion – noch eine – noch eine, sechs im ganzen …

Und sechs amerikanische Großkampfschiffe treiben mit aufgerissenen Decks als Wracks auf dem Atlantik, beginnen zu brennen, müssen preisgegeben werden.

Die übrigen Panzer des Geschwaders umkreisen ratlos, vorsichtig die Unglücksstätte. Das Bild der brennenden Schiffe in diesen Nebelschwaden ist grausig.

Droben aber schweben lautlos die Panzerluftschiffe, suchen neue Opfer. Noch sind sie nicht entdeckt. In diesem Nebel sind Scheinwerfer machtlos.

Zwei Stunden später nimmt der Rest des amerikanischen Geschwaders den Marsch wieder auf. Die Nebelbank hat noch immer kein Ende … Und wieder eine halbe Stunde vergeht, bis – – der zweite Angriff erfolgt. Abermals gehen sechs Großkampfschiffe auf rätselhafte Weise zugrunde. Man hört kein Propellergeräusch – nichts – nichts, man sieht nur mit entsetzensstarren Augen ringsum die grauen, feuchten, undurchdringlichen Schleier.

Noch sind der „Ohio“ und die „Nevada“ unversehrt. Nicht lange mehr. Je zwei Bomben schmettern plötzlich auf die Decks herab. Feuersäulen flammen hoch. Krateröffnungen gähnen in den Panzerdecks. Erstickende Gase dringen in die Schiffsräume … – – –

Auf dem „Rächer“ sind die sechs Kommandanten der Panzerluftschiffe versammelt. Der Geschwaderchef gibt weitere Befehle. In der Nacht soll die englische Flotte in dem Wrath-Sund angegriffen wenden. – Fritz Karb dankt den sechs Herren für die glänzende Durchführung dieser ersten Vernichtungstat. „Alles kommt darauf an, daß der Feind möglichst lange über uns im unklaren bleibt“, erklärt er ernst. „Der Erfolg wird uns erleichtert, wenn niemand ahnt, daß Nordland jetzt über Luftschiffe verfügt, die, schwerer als die Luft, keines Höhensteuers und keines Propellers bedürfen, um zu steigen.“

Die sechs Panzerluftschiffe haben ihre Tarnkappen unter sich ausgebreitet, die dünnen Stahlgerippe, mit Seide überzogen; sie liegen nebeneinander verankert und erscheinen von unten gesehen wie ein helles Wölkchen, das aber merkwürdigerweise gegen den Wind langsam nach Südosten, auf die Orkney-Inseln, zutreibt.

Vor Sonnenuntergang schwebt diese Wolke über dem Wrath-Sund. Fernrohre spähen durch die Tarnkappen nach den englischen Kriegsschiffen aus, deren Ankerplätze und Formation genau aufgezeichnet werden.

Hier über den Orkney ist das Wetter klar. Aber das Barometer verspricht einen Sturm oder Regen. Und die Sonne geht auch in Dunstmassen gehüllt unter.

 

4. Kapitel.

Mitternacht. – Es gießt in Strömen. Geräuschlos senkt sich der „Rächer“ bis zum Wasserspiegel herab, mitten hinein in die beiden Reihen der ankernden Linienschiffe, die rechts und links nur als verschwommene Schatten zu erkennen sind.

Die Engländer fühlen sich hier in dem Wrath-Sund völlig sicher. Wer sollte sie hier auch so hoch im Norden belästigen? – Allerdings nachmittags sind von der amerikanischen Flotte recht merkwürdige, unerklärliche Funksprüche eingegangen. Die Flotte soll von Luftschiffen angegriffen, die vierzehn Panzer vernichtet sein. – Von Luftschiffen?! Das ist doch einfach unmöglich! U-Boote müssen’s gewesen sein! Die Amerikaner werden sich getäuscht haben! Werden Munitionsexplosionen im Schiffsinnern, durch Torpedoschüsse hervorgerufen, für Wurfbomben gehalten haben!

Die Wachen an Bord der Engländer verwünschen den Regen. Die Offiziere nicht minder, die der Dienst an Deck hält. – Leutnant Weller auf dem „Belfast“ zeigt soeben seinem Kameraden Tompson einen dunklen Schiffskörper, der dort drüben regungslos still liegt. „Weiß nicht, was für’n Fahrzeug es sein kann,“ meint er. „Hat keine einzige Laterne, – nichts – nichts! Und dort, der dunkle Fleck, – ein zweites von diesen Dingern. Ob’s etwa U-Boote sind, die dort vor Anker gingen? Hm – viel zu groß für …“

Er bringt den Satz nicht zu Ende. Kurz hintereinander erfolgen drei dumpfe Knalle. Und dann – dann geht auch durch den „Belfast“ eine schwere Erschütterung. Mitten auf Steuerbordseite schießt eine riesige Wassersäule hoch.

„Ein Torpedo!“ brüllt Weller. „Alarm – alle Mann an Deck …!“

Abermals eine dieser Erschütterungen, abermals eine Wassersäule …! – Und der „Belfast“ legt sich langsam nach Steuerbord über … – –

Als der Regen fünf Minuten später aufhört und der kommandierende Admiral erkannt zu haben glaubt, daß feindliche U-Boote sich in den Sund trotz aller Minen- und Drahtsperren eingeschlichen haben müssen, läßt er die am meisten gefährdeten Großkampfschiffe Anker lichten und dauernd die Stellungen wechseln, um sichere Torpedoschüsse unmöglich zu machen. Das Wasser der weiten Bucht ist jetzt taghell erleuchtet. Sämtliche Scheinwerfer suchen nach verräterischen Sehrohren des Feindes.

Dann läuft als erster der Panzer „Inflexible“ auf eine treibende Mine, die die Panzerluftschiffe ausgestreut haben. Gleich darauf ein Zerstörer, dann wieder ein Panzer. – Die Bucht ist verseucht durch Minen. Die Engländer verlieren den Kopf. Diese Nacht kostete ihre Flotte fast die Hälfte ihrer Gefechtskraft, – dann gegen Morgen während einer abermaligen Regenbö fallen noch vier Linienschiffe neuesten Typs Wurfbomben von bisher unbekannter Sprengwirkung zum Opfer.

Als der Tag endlich anbricht, wird der englische Admiral erst die ganze Größe der Verderbnis gewahr. Dann trifft zu allem Unheil noch ein Funkspruch aus Margate ein: der Befehl, sofort auszulaufen, da die Flotte Nordlands vor der Themse-Mündung erschienen sei und das 2. Kreuzer-Geschwader nach kurzem Gefecht vernichtet habe.

Der Admiral verläßt mit dem Rest seiner Schiffe den Sund, passiert die Minensperren und … gerät in ein vom Feinde offenbar erst in der vergangenen Nacht gelegtes Minenfeld, verliert vier Panzer und drei Kreuzer, funkt nach Margate, was geschehen, und sucht wieder Schutz in der Bucht. – – –

Der Tagesbericht des nordländischen Großen Hauptquartiers erwähnte nichts von der Vernichtung des amerikanischen Geschwaders, nichts von den Angriffen auf die englische Flotte im Wrath-Sund. Nur das eine wurde bekannt begeben: daß zwei Geschwader Nordlands Vorstöße gegen die englische Küste gemacht, daß in kurzen Gefechten acht englische Kreuzer und zwölf Zerstörer versenkt und die Hafenanlagen von Margate, Yarmouth und Harwich wirksam beschossen worden seien.

Zwei Tage vergingen. Dann gelangten über das neutrale Ausland gar seltsame Gerüchte nach Nordland, Gerüchte über das furchtbare Unheil, von dem England und Amerika betroffen seien, von zahlreichen Schiffsverlusten, über die die nordländische Regierung sich unbegreiflicher Weise ausschweige.

Die Zeitungen Nordlands druckten all dies ab. Aber das Große Hauptquartier bewahrte weiter tiefstes Stillschweigen über die glänzenden ersten Erfolge des Panzerluftschiff-Geschwaders. Inzwischen war die Erregung in England ins Ungemessene gestiegen. Die Wahrheit über die furchtbaren Verluste jener Nacht im Wrath-Sund sickerte immer mehr durch.

Die Flotte – das war Englands Lebensnerv! Wurde sie lahmgelegt, ausgeschaltet, so war das Inselreich verloren. Es konnte nicht verborgen bleiben, mit welcher an Tollkühnheit grenzenden Verwegenheit die Geschwader Nordlands jetzt täglich die englischen Küsten bedrohten, wie keck sie sich bis hinauf nach Schottland wagten, wie sie sich frei überall bewegten, als existiere keine feindliche Flotte für sie! – Gewiß – die englische Admiralität suchte nach Kräften die öffentliche Meinung zu beruhigen, log und phantasierte alles mögliche zusammen! Doch die Tatsache konnte sie nicht ableugnen, daß den Geschwadern des Feindes kein englisches Schiff sich mehr entgegenstellte, daß die eigene Flotte im Wrath-Sund untätig blieb. Über das Warum hüllte man sich in Schweigen.

Währenddessen lag das Panzergeschwader auf der einsamen Insel in den Tangwiesen und rüstete sich zu neuen Taten.

In der dritten Nacht nach den Angriffen auf die Wrath-Sund-Flotte verließ es das Eiland und steuerte nach Nordland, wo dann an einer genau vereinbarten Stelle hinter der Front jedes Panzerluftschiff heimlich 500 ausgesuchte Mannschaften aufnahm, die sich aus verschiedenen Truppengattungen zusammensetzten und von besonders befähigten Offizieren befehligt wurden. Außerdem wurde noch in die Panzerluftschiffe allerhand Material und reichlich Proviant verladen. Die Soldaten mußten zum Teil aus Raummangel stehen und durften nur abwechselnd schlafen. Trotzdem war die Stimmung an Bord vorzüglich. Die Leute wußten ja jetzt, wozu sie bestimmt waren.

Die Felsenfeste Gibraltar, das westliche Sperrfort des Mittelmeeres, ist der englische Dorn im spanischen Fleisch, – ein Dorn aus Stein und Stahl! Denn kaum eine andere Festung hat das Inselreich so mit Panzertürmen und Riesengeschützen gespickt wie das äußerste Ende der Halbinsel, das den Namen Gibraltar trägt.

Gibraltar sichert England die Herrschaft über das Mittelländische Meer, sichert den Weg nach dem Suez- Kanal, nach Indien.

Dieses Felsennest hatte jetzt während des Krieges mit Nordland eine Besatzung von etwa dreitausend Mann, zumeist Artilleristen, – denn nur von der Seeseite mit Hilfe von Kriegsschiffen war es angreifbar.

Der Wachtdienst in der Festung war im Laufe des Krieges recht nachlässig geworden. Wie sollte wohl auch der Feind hierher gelangen, wo die Straße von Gibraltar durch Minenfelder und Wachtschiffe gesperrt und nachts durch Riesenscheinwerfer taghell erleuchtet war?! – Man fühlte sich in dem Felsennest so sicher wie im tiefsten Frieden. Gewohnheit stumpft ab. Das lernte auch die Besatzung kennen. Die Posten schliefen halb. Wozu aufpassen?! Es passierte ja doch nichts! –

Auch heute waren die Tore der Festung wie immer um acht Uhr abends geschlossen worden. Um neun Uhr zogen die Nachtposten auf. Der Himmel war bedeckt. Es drohte mit Regen. Im übrigen wehte nur eine ganz schwache Brise.

Gegen elf, als gerade der Offizier der Ronde seinen Rundgang machte, begann es zu tröpfeln.

Der Doppelposten an der auf der Spitze des Felsens erbauten Funkenstation hatte dem Rondeoffizier die übliche Meldung erstattet. – Es regnete stärker. Die beiden Leute dieser Wache standen jetzt beieinander und unterhielten sich. Daß hinter ihnen, kaum dreißig Meter entfernt, ein seltsames Etwas lautlos herabgeschwebt kam und daß vier feindliche Soldaten gleich darauf ebenso lautlos auf sie zuschlichen, ahnten sie nicht. Das Rauschen des Regens verschlang jedes Geräusch.

Gleich darauf war der Doppelposten überwältigt. Der Feind drang dann sofort in die Räume der Funkenstation ein, wo er die dort befindlichen Engländer schnell und ohne jeden Lärm unschädlich machte.

Eine halbe Stunde später kam der Offizier der Ronde, begleitet von dem Unteroffizier, der die Schlüssel zu den verschiedenen Eisentoren trug, zurück, um sich wieder nach der Hauptwache zu begeben.

Scheinbar standen noch dieselben beiden Leute vor der Funkenstation Posten, scheinbar hatte sich hier nichts geändert.

Der eine der Posten rief den Offizier an, nötigte ihn stehen zu bleiben. Da tauchten hinter der Ronde dunkle Gestalten auf, derbe Fäuste legten sich um die Kehlen der völlig Überrumpelten …

So gelangten die Schlüssel der Innentore in die Gewalt des Feindes. Und nun glitten an Tauen von Bord des „Rächers“ immer mehr Soldaten Nordlands herab auf den Platz vor der Funkenstation. Ein englisch sprechender Offizier legte die Uniform des Rondeoffiziers an, ein zweiter die des Unteroffiziers. Beide stiegen dann die nach Osten zu hinabführende Steintreppe zu der nächsten Felsterrasse hinab, zu Batterie 1, öffneten das Eisentor geräuschvoll und taten, als sei es die Ronde, die nochmals zurückkehre. Die beiden Posten in Batterie 1 waren gleich darauf gefesselt und geknebelt. Der Feind besetzte die Terrasse und die Eingänge zu den in den Fels eingesprengten Wohnkasematten. So ging es weiter von Batterie zu Batterie. – Inzwischen hatten auch die übrigen Schiffe des Panzerluftgeschwaders ihre menschliche Ladung abgesetzt. Dann aber ereignete sich in Batterie 12 ein störender Zwischenfall. Hier hatte ein Feldwebel vom Kasemattenfenster aus beobachtet, wie der eine Posten niedergeschlagen wurde, hatte sofort durch das Fenster mehrere Alarmschüsse abgegeben. Doch – für eine wirksame Gegenwehr war es bereits zu spät. Offiziere und Mannschaften des nordländischen Expeditionskorps wußten genau, wie sie sich in einem solchen Falle zu verhalten hatten. Gasbomben flogen in die bereits besetzten Kasematten, machten jeden Widerstand der Eingeschlossenen unmöglich. Ebenso landete der über dem Kommandanturgebäude bereitliegende „Bezwinger“ sofort eine Kompagnie mit Maschinengewehren, und die in diesen Gebäuden wohnenden Engländer, darunter auch der Kommandant selbst, wurden nach kurzem Kampf überwältigt. – Bevor die Engländer dann recht zur Besinnung kamen, war die ganze Festung unter verhältnismäßig geringen Verlusten für den Angreifer in den Händen der Nordländer.

Dieser bis ins einzelne genau vorbereitete Überfall war aber nur das Vorspiel für das, was nun folgte. Die Riesenscheinwerfer richteten sich jetzt auf den Hafen von Gibraltar, wo Teile des englischen Mittelmeergeschwaders und auch einige französische Kreuzer vor Anker lagen.

Gewiß: man hatte dort sehr wohl bemerkt, daß in der Festung sich ungewöhnliche Dinge abspielten. Die Wahrheit ahnte niemand, denn bereits zehn Minuten nach den Alarmschüssen, die der Feldwebel in Batterie 12 abgegeben hatte, standen nordländische Artilleristen an den Geschützen und eröffneten ein geradezu verheerendes Feuer auf die Kriegsschiffe, von denen es nur einem Zerstörer zu entfliehen gelang.

Der heraufdämmernde Morgen sah das britische Felsennest in der unbestrittenen Gewalt Nordlands, das dann sofort den neutralen Staaten durch Funksprüche anzeigte, die Straße von Gibraltar sei fortan für jeden Schiffsverkehr gesperrt.

Welchen Eindruck diese Kunde überall hervorrief, ist kaum zu beschreiben. Zunächst wurde die Nachricht für grober Schwindel erklärt. Als dann aber noch an demselben Tage der Tagesbericht des nordländischen Großen Hauptquartiers nicht nur Einzelheiten über die Eroberung der Festung brachte, sondern der Welt auch von der neuen Panzerluftflotte und deren ersten Taten ausführlich Mitteilung machte, zweifelte niemand mehr an der Wahrheit dieser Veröffentlichung, in der ja nur das sich wiederfand, was als dunkle Gerüchte bereits seit einer halben Woche überall besprochen wurde.

Inzwischen hatte das Panzerluft-Geschwader auf dem Rückwege nach seinem Stützpunkt noch Paris einen verderblichen Besuch abgestattet, hatte den als Funkenstation benutzten Eiffelturm durch Bomben umgelegt und die Hauptbahnhöfe in Schutthaufen verwandelt. Dann war es verschwunden, tauchte aber eine Stunde später über den Hafenanlagen von Calais auf und richtete hier die furchtbarsten Verwüstungen an, obwohl das Abwehrfeuer aller verfügbaren Geschütze sich auf die grauen Ungetüme in der Luft konzentrierte, denen freilich Schrapnellkugeln und Granatsplitter nichts anhaben konnten.

 

5. Kapitel.

Am Abend dieses Tages traf zu alledem in London noch die Nachricht ein, daß dasselbe Panzerluft-Geschwader im Atlantik nicht weniger als achtzehn große Frachtdampfer sowie fünfzehn Wachtschiffe versenkt hätte.

Die Londoner, die bereits auf einen Friedensschluß innerhalb zwei Wochen gewettet hatten, durch den Nordland für ewige Zeiten als Handelskonkurrent ausgeschaltet wurde, überkam das hellste Entsetzen bei all diesen Unglücksbotschaften. Die Wut des Pöbels, den die Regierung bisher über die Vernichtung der amerikanischen und der eigenen Flotte so wacker belogen hatte, richtete sich hauptsächlich gegen die bisher so hochgeschätzte Admiralität, der man die Hauptschuld an diesem nationalen Unheil zuschrieb. Auch die Zeitungen fielen über den Ersten Seelord Gawnerstreek in bösen Artikeln her. Kurz: die Stimmung in der Hauptstadt war urplötzlich gänzlich umgeschlagen. Anstatt des Siegesjubels jetzt nichts als Angst und Sorge um die Zukunft!

Und das Panzerluft-Geschwader sorgte auch wirklich dafür, daß die Londoner vor Angst auch noch die andere Hälfte des Verstandes verloren.

Die Nacht, die auf die Einnahme Gibraltars folgte, war äußerst stürmisch. Daß bei einem solchen Wetter kein Luftbesuch zu erwarten sei, nahm die Bevölkerung der englischen Hauptstadt als selbstverständlich an. – Es kam anders. Genau um Mitternacht fiel die erste Bombe in einen der riesigen Petroleumbehälter der Standard Kompagnie, so daß das brennende Öl aus dem geborstenen Eisenzylinder teils in einen Nebenarm der Themse, teils nach einem Holzlager zu sich ausbreitete. Die sechs anderen Behälter flogen wenige Sekunden später in die Luft. Dann fiel ein wahrer Regen von Brandbomben auf die Docks. Der Sturm fachte bald eine Feuersbrunst an, wie niemand sie je erlebt hatte. Und das Schlimmste war, daß die Luftschiffe verschwanden, noch bevor man sie hatte unter Feuer nehmen können.

Dieser Brand der Themse-Werften dauerte eine volle Woche. Da der Wind am zweiten Tage umsprang, und das Feuer auf den Stadtteil Eastend zutrieb, entstand eine Panik, die ganz den Eindruck machte, als befände sich bereits ein feindliches Heer vor der Stadt und drohe mit einem Bombardement. –

Nachdem das Geschwader den Londonern innerhalb so kurzer Zeit diesen schrecklichen Beweis seiner Anwesenheit gegeben hatte, trennten sich die sechs Schiffe und gingen, jedes mit einer halben Kompagnie Infanterie schon vorher an Bord, auf Einzelunternehmungen aus. –

Unweit der Stadt Derby in Mittelengland war das alte Schloß Doberworth als Offiziergefangenenlager eingerichtet worden.

In derselben Nacht gegen drei Uhr morgens wurde am Tor stark geläutet. Der herbeieilende Posten sah sich zwei anscheinend englischen Offizieren gegenüber, hinter denen noch ein Dutzend Infanteristen standen, erhielt den Befehl sofort zu öffnen – und war in der nächsten Minute geknebelt.

Die im Hauptgebäude liegende Wache wurde gleichfalls ohne Gegenwehr überrumpelt. Damit waren die 281 gefangenen Offiziere frei und wurden an Bord des „Rächers“ genommen, der hierauf noch zwei in der Vorstadt Derbys liegende Munitionsfabriken zerstörte und verschwand, um ein zweites Gefangenenlager bei Warwick mit demselben guten Erfolg heimzusuchen. In dieser Nacht wurden auf diese Weise nicht weniger als 2730 nordländische Offiziere befreit. Und das waren alle, die England bisher in den Frontkämpfen hatte gefangennehmen können.

Der nächste Tagesbericht Nordlands erwähnte diesen Erfolg mit ebenso knappen Worten wie den immer weiter umsichgreifenden Brand Londons. –

Nach diesen Taten gönnte der Chef des Panzerluft-Geschwaders den Seinen einen vollen Tag Ruhe. Dann wurden auf der einsamen Insel neue Bomben und Torpedos an Bord genommen, um den tiefen Barometerstand, der Nebel und Regen erhoffen ließ, zu einem abermaligen Angriff auf den Wrath-Sund zu benutzen. Die Engländer hatten inzwischen jedoch so zahlreiche Abwehrvorkehrungen getroffen, daß der Angriff – vorläufig – unterbleiben mußte. – Am nächsten Vormittag gegen elf Uhr näherte sich mit dem Winde von Westen her der Bucht eine Wolke, die unterhalb des Regengewölks dahinsegelte, aber niemandem von den zahlreichen Wachen der Flotte auffiel. Dicht vor dem Wrath-Sund löste sie sich in sechs kleinere Wölkchen auf, die jetzt recht niedrig dahinzogen. Auch dies wurde nicht beachtet.

Dann aber geschah das Unerklärliche: plötzlich explodierte auf dem Vorderdeck des Schlachtkreuzers „King Edward“ eine Bombe, die sämtliche Aufbauten förmlich wegfegte und ein Leck auf Backbord riß, gegen das auch die wasserdichten Schotten nichts halfen.

Gleich darauf erging es drei Linienschiffen ebenso, und zwei weitere Bomben machten das modernste Großkampfschiff der englischen Flotte, den „Lord Nelson“, zu einem wertlosen Stahlgehäuse.

Die grauen Wölkchen aber zogen weiter ihres Wegs, vereinten sich, verschwanden in dem dichten Gewölk des bedeckten Himmels – unbelästigt, unerkannt.

Eine Stunde darauf erschienen über einer Transportflotte von zwölf Erzdampfern, die durch fünf Zerstörer gegen U-Boote gesichert war, drei graue, schlanke Luftschiffe, erledigten trotz des feindlichen Feuers zunächst durch Bomben die Zerstörer und zwangen die Erzdampfer den Kurs zu ändern und den nächsten Hafen Nordlands anzulaufen.

Am Nachmittag wieder tauchte dieselbe harmlose Wolke über dem Hafen von Dover auf. Die erste, tadellos gezielte Bombe fiel in einen gerade abfahrtbereiten Munitionsdampfer. Die Folgen der Explosion dieses 6000 Tonnen-Schiffes waren mehr als furchtbar. Es hätte gar nicht des weiteren Bombardements bedurft, um den Engländern abermals zu zeigen, daß es mit den Siegesaussichten jetzt sehr schlecht bestellt war.

Freilich, bei diesem Anblick wurde der wahre Charakter der hellen Wölkchen erkannt, was zur Folge hatte, daß man von stundan viel Artilleriemunition gegen harmlose Wolken, hinter denen man die siebenmal verd… Panzerluftschiffe vermutete, unnötig verschwendete.

Der Abend dieses Tages vermittelte dem Hafen von Liverpool die Bekanntschaft mit dem verderbenbringenden Geschwader. Auch hier fielen die ersten Bomben in die Petroleumbehälter, zwanzig weitere auf die Dockanlagen, die in Flammen aufgingen. – – –

Nach diesen bösen Lehren machte der König von Nordland dem Feinde ein Friedensangebot. Frankreich wäre wohl bereit gewesen, darauf einzugehen. Aber England duldete es nicht. Der britische Leu war noch nicht zahm genug. Die Zurückweisung erfolgte dann in so überhebender, verletzender Art, daß der friedliebende Monarch ohne weiteres den Vorschlag des Panzerluft-Geschwaders annahm, den Engländern eine noch bösere Lektion zu erteilen. – – –

Für den folgenden Tag war auf dem großen Exerzierplatz von Meudon bei Paris eine Truppenschau vor dem König von England und dem französischen Präsidenten befohlen worden, wovon man in Nordland genau unterrichtet war.

Bei prächtigstem Wetter rückte eine englische Division, die neu formiert worden war, unter klingendem Spiel nach Meudon aus, nahm auf dem Exerzierplatz die befohlenen Stellungen ein und begann mit dem Vorbeimarsch an den beiden Staatsoberhäuptern und deren glänzendem Gefolge.

Doch – man hatte noch nicht gelernt, mit der Allgegenwart des gefürchteten Geschwaders zu rechnen.

Urplötzlich tauchten aus dem Himmelsblau die sechs Luftschiffe auf und stürzten sich im Gleitflug mit beängstigender Geschwindigkeit wie Habichte auf ihre Beute, landeten, sich rund um den Platz verteilend, auf dem Boden und eröffneten sofort mit zahlreichen Maschinengewehren, die auf den Decks aufgestellt waren, das Feuer auf die eingekreisten Truppen.

Nur der „Rächer“ hatte noch eine besondere Aufgabe: die Gefangennahme der beiden Staatsoberhäupter und ihres Gefolges.

Dieser klug ersonnene Plan gelang vollkommen. Auch der englische Kronprinz mußte, ebenso wie zehn Generäle und viele andere Offiziere die Reise nach Nordland mitmachen.

In ähnlicher Weise überfiel das Geschwader am Nachmittag noch sechs in Ruhestellung hinter der Front liegende Brigaden, wobei der Feind geradezu schreckenerregende Verluste erlitt. Nachts wieder wurden verschiedene Munitionslager mit Bomben gesprengt, außerdem auch ganze Batterien unbrauchbar gemacht.

Dann ließ man England als dem Haupträdelsführer einen Tag Zeit, sich zu überlegen, ob nicht ein Einlenken gegenüber diesen Heimsuchungen das einzig Richtige wäre. Doch – auch jetzt schien die Londoner Regierung noch nicht begriffen zu haben, daß für sie das Spiel verloren war.

Unter diesen Umständen konnte nur eine Entscheidung an der Front helfen. Und daher transportierte das Panzerluft-Geschwader an einer für diese Zwecke besonders günstigen Stelle in einer der nächsten Nächte durch zahlreiche Fahrten hin und zurück zwei Divisionen in ein entlegenes Tal zwei Meilen hinter der französischen Front. Morgens setzte dann der Angriff ein. Die Franzosen, von vorn und rückwärts bedrängt, mußten nach den Seiten hin ausweichen, und durch die so entstandene Lücke flutete ein bereitgehaltenes Armeekorps hinein, rollte die Front nach Norden zu auf und machte gleich am ersten Tage 120 000 Gefangene und erbeutete zahlreiche Geschütze.

Durch diesen Durchbruch wurde der Krieg entschieden.

Die ohnedies bereits kriegsmüden französischen Regimenter ergaben sich, das Nutzlose weiteren Widerstandes einsehend, in hellen Scharen. Es kam zu einer allgemeinen Panik im feindlichen Heere, und in kluger Ausnutzung dieses Wirrwarrs wurde eine Armee direkt auf Paris in Marsch gesetzt, die, nirgends mehr aufgehalten, bis Meaux an der Marne vorrückte.

Da aber bat Frankreich endlich, ohne sich weiter um England zu kümmern, um einen Waffenstillstand.

Und was tat England nun? – Um zu retten, was noch zu retten war, ließ es schleunigst durch Unterhändler dem König von Nordland den Vorschlag unterbreiten, einen sofortigen Frieden zu schließen, bei dessen Verhandlung England dafür stimmen würde, daß Nordland alle besetzten Gebiete Frankreichs behalten dürfe, – also schmählichster Verrat am eigenen Bundesgenossen.

Dieser Vorschlag wurde jedoch der französischen Regierung mitgeteilt, die daraufhin mit den Herren Nordlands die englische Nordarmee einkreisen half, so daß nachher den heimtückischen Briten ein Friede diktiert werden konnte, der die Welt für immer von englischer Anmaßung und Ländergier befreite. – – –

Fritz Karb wurde für Nordland zum Nationalheros. Selten hat ein Mensch in so jungen Jahren so viel Ehren genossen wie er. Aber er blieb bescheiden, blieb auch dem treu, was er dem großen Erfinder einst gelobt hatte mit heiligem Eid: das Panzerluftschiff-Geschwader kehrte nach Friedensschluß, nur gesteuert von den Leuten, die einst die Ausfahrt zum Kampf mitgemacht hatten, nach der einsamen Insel zurück. Und dort blieben die sechs Luftschiffe auch, ohne daß das Geheimnis des toten Chemikers, die Zusammensetzung des Gemenges der Stahlflaschen, bekannt wurde, dort blieb auch Fritz Karb selbst als Wächter des Vermächtnisses eines genialen Toten, dessen Wunsch und Wille es gewesen war, daß durch seine Erfindung weder eine völlige Umwälzung auf dem Gebiete der Technik stattfinde, noch daß das Volk der Nordländer, stetig pochend auf die Unüberwindlichkeit des berühmten Geschwaders, in Hochmut und Überhebung verfalle und dadurch eine ungünstige Beeinflussung des Volkscharakters eintrete.

Außer Fritz Karb hatten sich noch einige der einstigen Mitarbeiter des Chemikers entschlossen, den Rest ihrer Tage auf dem Eiland inmitten der Tangmassen zuzubringen. Die Welt hörte wenig von der kleinen Kolonie. Und doch wurde dort in aller Stille manche großzügige, wertvolle Arbeit vollendet, die der unerbittliche Tod den Erfinder nicht hatte fertigstellen lassen. Und all dies, was für die friedliche Technik Nordlands von Wert war, gelangte auch regelmäßig zur Kenntnis der nordländischen Regierung.

So ging Fritz Karb einen seltsamen, vielen unbegreiflichen, stillen Lebensweg. Und doch war dieses Leben überreich an wunderbaren Ereignissen und unvergänglichen Erfolgen.

Für die Schar neidischer Feinde aber bildete das einsame Eiland eine stete Warnung, die Weiterentwicklung Nordlands nicht abermals durch heimtückischen Überfall zu stören. Gerüchte besagten, daß dort mitten im Atlantik jetzt eine noch weit größere Panzerluftschiff-Flotte bereitliege, um sofort zum Heile Nordlands einzugreifen, wenn dies nötig wäre. Niemand wagte es daher den blühenden Staat irgendwie zu belästigen.

Die Felseninsel, um die so viele Geheimnisse schwebten, war für die ganze Welt der beste Friedenshort.

 

Ende.

 

Der nächste Band enthält:

Die Schlucht in der Wüste.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkung:

  1. In der Vorlage steht: „inne“.