Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band: 12
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H. Berlin.
Druck P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO 26
„Sie wissen also Bescheid, bester Mezzan: die Reitkamele hierher, unser Gepäck nach Alexandria, als ob wir abreisen wollten. Und: seien Sie vorsichtig! Sie kennen Warbatty jetzt zur Genüge! Er darf meine Spur nicht finden! Ich wäre meines Lebens jetzt nicht eine Stunde sicher, nachdem ich ihm den Raub wieder abgejagt habe!“
Jussuf Mezzan, Kriminalinspektor aus Kairo nickte eifrig, aber mit einem Gesicht, dessen Ausdruck deutlich erkennen ließ, wie sehr ihn Warbattys Flucht aus dem Polizeigefängnis in Kairo bedrückte. – „Keine Sorge, Herr Harst. Ich werde Ihre Wünsche aufs genaueste befolgen. Ich reite sofort nach Heluan zurück und gebe im Hotel dem Direktor Ihren Zettel als Ausweis für mich ab.“
Noch ein Händedruck, dann verließ er uns.
Wir schauten ihm nach, wie er gewandt die hohen Stufen der Pyramide von Sakkara hinabkletterte, wie er sein Pferd bestieg und bald in der Abenddämmerung nach Osten zu, nach der Gräberstadt von Memphis und dem Nil hin, verschwand.
Harst setzte sich auf einen der Steinblöcke des Pyramidengipfels und rauchte schweigend eine Zigarette.
Dann meinte er: „Ich bin gespannt, was wir in Suez erleben werden und ob Warbatty wirklich dort auftauchen wird. Fraglos ahnt er noch immer nicht, daß ich damals bei seinem Genossen Orkney jene Aufzeichnungen fand, die mir verrieten, daß er insgesamt siebzehn neue Verbrechen vorbereitet hatte, von denen das nächste ja nun der Liste nach in Suez verübt werden müßte.“
Er gähnte. „Lieber Schraut, ich bin hundemüde. Diese Tage in Kairo waren reichlich anstrengend. Nun – wenn wir erst unterwegs sind, können wir getrost einmal eine längere Rast machen und uns ordentlich ausschlafen. Ich möchte nur erst von hier weg, möchte meine Fährte – unsere Fährte im Sande der Arabischen Wüste verwischen. Eigentlich ein Unsinn, die Wüste zwischen Nil und Golf von Suez „Arabische“ zu nennen –“ Er spann diesen Gedanken weiter aus.
Ich hörte nicht recht hin. Ich hatte mich so sehr auf ein paar Erholungstage gefreut. Und statt dessen nahm der Kampf gegen Warbatty nun seinen Fortgang, ein Kampf, bei dem man täglich mit einem Fuße im Grabe stand. Es gehörten wirklich Harsts Nerven dazu, einen solchen Gegner immer aufs neue zu suchen. Ich hätte Cecil Warbatty einfach laufen lassen. – Davon sagte ich Harst jedoch nichts. Er hätte nur gutmütig gelächelt und gemeint: „Aber Schraut! Die Langeweile ohne Warbatty!“
Das Abendrot im Westen verschwand immer mehr. Einzelne Sterne tauchten auf. Ringsum die feierlichste Stille, ringsum nur die kolossalen Zeugen der phantastischen Baukunst der alten Ägypter: Pyramiden, Ruinenstädte! – Und dort in der Ferne der breite, lehmige, geheimnisvolle Nil.
Harst gähnte wieder. „Wir haben noch drei Stunden mindestens Zeit,“ meinte er. „Früher können die Leute mit den Reitkamelen nicht hier sein. Du wirst übrigens Deine Freude an einem Kamelritt haben. Nur wer zur Seekrankheit neigt, sollte ein sogenanntes Schiff der Wüste nie besteigen. Also noch drei Stunden. – Klettern wir hinab und legen mir uns zu einem Nickerchen nieder.“
Jussuf Mezzan hatte die Kamelverleiher nach einem kleinen verfallenen Tempel östlich der Stufenpyramide schicken sollen. Nachdem wir in einem Winkel zwischen den Steintrümmern dieses Tempels den Boden nach Schlangen und Skorpionen abgeleuchtet hatten, legten wir uns unsere zusammengerollten Jacken unter den Kopf und streckten uns behaglich im Sande aus.
Die Nacht war warm und windstill. Die Ruhe ringsum hatte hier jedoch eher etwas Bedrückendes an sich, nichts Feierliches wie oben auf der Pyramide. – Harst schlief im Nu ein. Ich jedoch versuchte umsonst den Schlaf herbeizuzwingen.
So verging eine gute Stunde. Dann glaubte ich allerlei Geräusche zu hören, Stampfen von Hufen, leise Stimmen. Ich hatte mich aufgerichtet. Ich horchte angestrengt. Nichts mehr – nichts! – Sollte ich doch nur geträumt haben?
Ich wollte aufstehen und einmal aus unserem Mauerwinkel hervorlugen. Doch ich war zu abgespannt, auch zu gleichgültig. Was scherte es mich, ob vielleicht Touristen von dem Luftkurort Heluan herübergekommen waren, um den Mondaufgang von der Höhe der Stufenpyramide aus zu beobachten?!
Ich legte mich wieder nieder. Da – Harsts leise Stimme (er hatte ja einen Schlaf wie ein guter Wachhund!): „Hm – man sollte doch mal sehen, wer sich jetzt um zehn Uhr abends hier herumdrückt.“
Er erhob sich, reckte sich. Und ich tat das gleiche.
Harst schritt lautlos um die Trümmer nach links herum. Zwischen dieser Ruine und der nahen Pyramide hatte der Wind wellige Sandhügel aufgehäuft. Mein Freund und Brotherr watete einem dieser Hügel zu. Bald standen wir auf der flachen Kuppe.
Nichts Lebendes ringsum.
„Hm,“ meinte Harst wieder. Und dieses einleitende Hm bedeutete stets: „Die Sache gefällt mir nicht – daher Achtung!“ – „Hm – es waren fraglos Menschen hier und zwar mindestens zwei und hoch zu Kamel.“
Er schaute nochmals in die Runde.
Das Sternenheer des südlichen Firmaments hatte sich nun vollzählig eingefunden. Der helle Wüstensand wirft das Glitzern der nächtlichen Himmelsglocke zurück und verwandelt das Dunkel in eine geheimnisvolle Dämmerung.
„Ah!“ machte Harst. „Eine Frauengestalt! Dort halb rechts sitzt sie neben der Tempelruine auf ein paar Steinblöcken. Natürlich eine Amerikanerin, die hier in der Einsamkeit ihre Schulerinnerungen an Ramses, Pharao, den keuschen Josef und anderes auffrischen will. – Stören wir sie nicht.“
Und doch blieb er stehen, blickte scharf nach der hellen Gestalt hinüber. Plötzlich packte er meinen Arm:
„Du, – ich – ahne Furchtbares! Warbatty!“
„Warbatty?“
„Komm! Aber im Bogen auf die Blöcke zu.“
Bald kroch er auf allen Vieren. Erst nachdem wir uns überzeugt hatten, daß sonst niemand in der Nähe, richtete Harst sich auf und ging mit gespanntem Revolver auf die regungslos Dasitzende zu.
Nun waren wir dicht vor ihr. Nun sah ich, daß sie mit dem Rücken an ein paar Stangen lehnte, – nein – nicht lehnte, – daß sie daran festgebunden war. Ihr Kopf hing wie kraftlos vornüber. Ihr dunkles Haar war in einem vollen Knoten aufgesteckt. Ein Hut war nirgends zu sehen.
Harst trat noch näher, faßte die Sitzende unter das Kinn, hob den Kopf. Und – es war ein leichenfahles Mädchenantlitz mit großen, dunklen, gebrochenen Augen.
Es war eine Tote, die man hier in dieser Stellung angebunden hatte.
„Minette Lavagaux!“ murmelte Harst. „Ich – ahnte es. Für eine Lebende saß diese Frau zu still.“
Minette – die kleine Französin! Sie hatte Harst in Kairo befreit, obwohl sie bis dahin Warbattys Verbündete gewesen. Und Harst hatte ihr Geld gegeben, damit sie sofort von Alexandria aus Ägypten verlassen könnte.
„Abermals ein Beweis, daß Warbatty mächtiger ist, als man denkt – als ich gedacht habe. Und auch ein Beweis dafür, das er hier gewesen, daß er genau wußte, wo wir zu finden waren, wo wir diese Tote bemerken müßten!“ Er sprach langsam und grübelnd. „Ein rätselhafter Mensch! Wozu wohl diese schreckliche Überraschung für uns? – Nur um uns Angst einzujagen? Nein – wohl mehr, um mir zu zeigen, was er alles vermag! Dieses Bild hier entspricht so recht seinem eitlen Charakter. Er liebt die starken Effekte, dieser Massenmörder, will mir durch seine Einfälle imponieren. – Arme Minette! Da – sieh, – ein Dolchstoß im Herzen!“ Er schlug die helle Leinenjacke ihres Kostüms auseinander. Auf der weißen Batistbluse links ein großer dunkler Fleck: Blut!
Harst reckte wieder den Arm hoch, zog der Toten den Haarpfeil aus dem Geflecht. Und an diesen Schildpattpfeil, der mit kleinen Brillantsplittern besetzt war, war ein eng gefalteter Zettel mit einem Seidenfaden angebunden.
Harst las ihn halblaut:
„Harald Harst! Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, daß ich die Intelligenz in jeder Form liebe und sogar verehre. Sie haben mir jetzt bewiesen, daß Sie als Amateurdetektiv wirklich weit über dem Durchschnitt stehen. Ich möchte Sie nicht töten. Ich bitte Sie: kreuzen Sie nicht nochmals meinen Weg! Bleiben Sie meinetwegen aus Liebhaberei ein begabter Verfolger aller Gesetzesverächter. Nur – an mich wagen Sie sich nicht mehr heran, – ich bitte Sie sehr darum! Sie sind bei diesem Kampf zwischen uns schließlich doch der Besiegte. Glauben Sie mir das! – Ich erwarte, daß Sie binnen acht Tagen Ägypten verlassen und daß Sie während dieser Zeit nichts unternehmen, was ich als Beginn eines neuen Feldzuges gegen mich deuten könnte. – Gehorchen Sie! Andernfalls teilen Sie und Ihr Anhängsel Schraut Minettes Schicksal. – Ich grüße Sie mit aller Ihnen tatsächlich gebührenden Wertschätzung. – Cecil Warbatty!“
„Ein merkwürdiger Mensch!“ sagte Harst nun kopfschüttelnd. „Aber – hinter diesen Schmeicheleien lauert die Angst vor mir. Immerhin, – da, bewahre diese Zeilen auf, lieber Schraut. Vielleicht kannst Du sie mal bei den schriftstellerischen Versuchen brauchen. – Arme Minette, – am besten ist, wir begraben Dich gleich hier. – Vorwärts – tragen wir sie dort nach der Ruine. Es wird sich schon irgendein Kellerloch finden, wo sie eine stille Ruhestätte erhalten kann.“
Wir haben das Mädchen beerdigt, haben ein Kreuz aus Steinen auf ihr Grab gelegt, und Harst sprach ein Vaterunser. So ruht jetzt die kleine, zierliche Minette, die internationale Taschendiebin, in der Tempelruine von Sakkara. –
Eine halbe Stunde später nahten von Osten, vom Nil her zwei Kamelreiter, die jeder noch ein lediges gesatteltes Tier mit sich führten.
Es waren halbzivilisierte Beduinen vom Stamme der Genge. Sie radebrechten ein wenig Englisch. Sie zeigten uns eine Visitenkarte Jussuf Mezzans vor. Darauf stand: Letzte Grüße! – Der Inspektor hatte alles mitgeschickt, was aus unseren Koffern herausgenommen werden sollte.
Harst forschte die Leute aus, ob sie nicht unterwegs Kamelreitern begegnet seien. – „Ja – zwei Europäern,“ war die Antwort. – Das war Warbatty und einer von seiner Bande gewesen.
Wir brachen sofort auf. Über den Preis für die Kamele und die Begleitung angeblich bis Chartum hatte Mezzan schon alles mit den beiden Genge verabredet. Harst zahlte die Hälfte jetzt gleich an.
Um Mitternacht brachte uns ein Fährmann, ein alter Fellah, bei dem Orte Atsih über den Strom. Nun waren wir in der Arabischen Wüste und sehr bald in der unendlichen Einsamkeit dieser von kahlen, felsigen Anhöhen überall durchzogenen Einöde. Jetzt erst erklärte Harst den beiden Genge, daß wir nach Suez wollten.
Ich fand an dem Ritt im hohen Kamelsattel bald Gefallen. Meine Stute hatte einen gleichmäßigen Gang und „stieß“ sehr wenig. Ich konnte mich nun selbst davon überzeugen, daß ein trabendes Reitkamel ganz anders vorwärts kommt als ein Pferd.
Hinter dem Orte Atsih ging’s sofort ohne Weg und Steg nach Nordosten zu. Suez liegt ja mit Kairo in einer Höhe. Wir hatten etwa 250 Kilometer zurückzulegen und konnten in drei Tagen spätestens in der berühmten Kanalstadt sein.
Die beiden Genge, mittelgroße, bärtige Männer in hellgrauen Mänteln, ritten stets einige zwanzig Schritt voraus. Sie waren gut bewaffnet, hatten moderne Doppelbüchsen, Revolver und Messer.
Harst und ich einigten uns bald dahin, gegen vier Uhr morgens Rast zu machen und bis gegen Mittag zu schlafen.
Harst war still und insichgekehrt. Der Tod der zierlichen Französin schien ihm sehr nahe zu gehen. Sie hatte sich ja auch sozusagen für ihn geopfert.
Dann, als wir im Schritt ein steiniges Flußbett entlangritten, meinte er unvermittelt:
„Wir werden früher halt machen müssen. Das Kamel des einen Genge lahmt.“
Ja – er hatte recht. Das Tier schonte den rechten Vorderfuß und knickte zuweilen recht stark ein.
Wenige Minuten drauf blieben die beiden Beduinen stehen, ließen ihre Tiere niederknien und stiegen ab.
Harst folgte ihrem Beispiel. Ich hatte etwas Mühe meine lebhafte Stute gleichfalls zum Niederknien zu bewegen, hörte aber, wie der eine Genge sagte: „Drei bis vier Stunden. Das Tier muß nur etwas ausruhen.“
Harst fand etwas weiter nach vorn eine kleine Schlucht, die sich zum Lagerplatz gut eignete. Einer der Genge holte Distelgestrüpp, zerhackte es und zündete ein Feuer an. – Es war dies meine erste Nacht unter freiem Himmel. – „Recht romantisch,“ meinte ich zu Harald.
„Zu romantisch,“ erwiderte er. Die beiden Beduinen besichtigten gerade den Huf des kranken Kamels. „Schraut,“ fügte er ganz leise hinzu. „Dort liegen die Büchsen der beiden neben den Sätteln. Die Schufte denken, ich bin blind. Los – tu’ genau dasselbe wie ich –“
Er sprang auf. Ein langer Satz, und er hatte beide Büchsen in der Hand, reichte mir die eine, entsicherte seine Waffe schnell, legte auf die beiden Genge an, rief:
„Keinen Schritt, keine Bewegung! Hebt die Hände hoch – vorwärts! – Ich habe Euch längst durchschaut!“
Die beiden gehorchten. – Dann mußte ich sie binden, während Harst im Anschlag achtgab, daß sie nicht entschlüpften. Nun saßen sie wehrlos am Feuer und wir ihnen gegenüber.
„Zieh’ ihnen die Kapuzen herunter, Schraut,“ meinte Harst mit leiser Ironie. „Du wirst sehen, daß die Herren die Haut nur bis zum Nacken gefärbt haben. Die Bärte sind auch falsch. Herunter also damit.“
So kamen zwei Gesichter zum Vorschein, die mir unbekannt waren, die Harst aber sogleich mit den Worten begrüßte: „Dacht’ ich mir! Es sind Warbattys Spießgesellen aus Kairo, die dort neben ihm wohnten und gestern angeblich mit dem Dampfer nach Siut fahren wollten. – Schraut, durchsuche sie genau.“
Ich tat’s. Aber sie hatten nichts für uns Wichtiges bei sich.
Bisher waren die beiden Europäer völlig stumm geblieben. Jetzt aber sagte der eine:
„Monsieur Harst (er sprach ein tadelloses Französisch), im Zipfel meiner Kapuze befindet sich ein Brief für Sie.“
Harst entnahm der Kapuze einen dort festgehefteten kleinen Umschlag, der seine Anschrift trug. Darin lag eine etwas zerknüllte Karte, und auf diese war mit Bleistift in englischer Sprache geschrieben:
„Harald Harst! Du willst den Kampf! Ich hatte Dich gewarnt. Ich habe Dich durch meine Leute auf die Probe gestellt. Du hast nun die erste feindselige Handlung gegen mich unternommen. Ich werde Dich nicht schonen! – Cecil Warbatty.“
Harst hatte mir die Karte zu lesen gegeben.
Ich gestehe ruhig ein: Mir wurde unheimlich zumute. Dieser Verbrecher spielte geradezu mit uns wie die Katze mit armseligen Mäusen.
Harst nahm mich beiseite. „Du – jetzt wird’s Ernst! Bitterer Ernst! Nein – dieser Warbatty! – Was fangen wir jetzt nur mit den beiden Leuten an? Sie wissen jetzt, daß wir nach Suez wollen. Das ist am unangenehmsten. Wir haben ihnen zwar erst hinter Atsih die Wahrheit gesagt – daß wir nicht Chartum, sondern Suez besuchen wollen. Aber – sie können sehr leicht heimlich einen Zettel für Warbatty mit einer entsprechenden Nachricht weggeworfen haben. – Eine üble Lage! Mitnehmen können wir die Burschen nicht. Das eine Kamel lahmt ja. Und hier an dieser Stelle bleibe ich keine fünf Minuten mehr. Vielleicht ist Warbatty schon hinter uns her.“
Ich bekam keinen schlechten Schreck.
„Am besten, wir lassen die Kerle in dieser Schlucht und nehmen ihre Tiere und Waffen mit,“ meinte Harst nach kurzem Nachsinnen. „Ja – tun wir’s. – Hurtig, Schraut, – sieh zu, ob Du mit dem Satteln der Kamele fertig wirst.“
Er kehrte zu den beiden Spießgesellen Warbattys zurück, sprach mit ihnen, half mir dann beim Festschnallen der Wasserschläuche und der Satteltaschen.
Ich merkte ihm an, daß auch er jeden Augenblick eine heimtückische Kugel fürchtete. Aber es geschah nichts.
Die Gefangenen baten, sie doch nicht gefesselt zurückzulassen. Harst rief ihnen zu, sie sollten sich nachher Rücken an Rücken setzen und sich so die Handfesseln aufknoten.
Dann verließen wir die Schlucht. Die Beduinenmäntel hatten die falschen Genge hergeben müssen. Wir wollten sie als Decken benutzen.
Harst spielte jetzt den Führer, lenkte in eine sandige Ebene ein und gab die beiden überflüssigen Kamele in der Nähe eines Dorfes, das wir im Bogen umritten, frei. Erst nach Tagesanbruch wagten wir, wieder in einem steinigen Flußbett, zu lagern und abwechselnd zu schlafen.
Inzwischen hatte Harst mir erklärt, weshalb er sehr bald Verdacht gegen unsere „Beduinen“ geschöpft hatte. Zunächst ihres Reitens wegen. Dieses war ihm für Leute, die jahrelang den Kamelsattel gewöhnt sind, doch zu unbeholfen erschienen. Dann auch ihr „schlechtes“ Englisch. Sie hatten Redewendungen gebraucht, die nur jemand bereit hat, der im englischen firm ist. Schließlich noch die Augen des einen „Genge“: graublau, ein recht helles Graublau. – „Unter den Arabern ist diese Farbe so selten wie unter Deutschen die sogenannten Albino-Augen, also rote,“ hatte er erklärt. –
Als wir dann nachmittags um vier wieder aufbrachen und nach einer Stunde Trab in Schritt übergingen, sagte Harst, jetzt schon wieder recht angeregt und nicht minder guter Laune: „Warbatty hat mit diesem Trick, mit diesem Einschmuggeln seiner Genossen anstelle der wirklichen Kamelbesitzer fraglos noch etwas anderes beabsichtigt gehabt, als nur eine Probe, ob ich den Kampf gegen ihn fortzuführen gedachte. Ich bin mir über diese versteckte Absicht noch nicht recht klar. Und ich gebe zu: es beunruhigt mich ein wenig, Warbatty nicht ganz zu durchschauen.“
Ich hatte schon längst eine Frage an ihn richten wollen, mich aber gescheut, sie zu stellen, um – mich nicht zu blamieren. Jetzt, wo er mitteilsamer als bisher war, wagte ich’s.
„Die echten Kamelbesitzer sind also von den beiden „Genge“ überfallen worden, als sie nach der Stufenpyramide zu uns unterwegs waren?“ meinte ich.
„Überfallen? – Das glaube ich nicht. Nein – es wird alles in vollem Frieden mit Hilfe von – Geld sich abgespielt haben. Mezzan wird in Heluan im Eingeborenendorfe nach Reitkamelen und zwei Führern gefragt haben. Dabei ist er beobachtet worden. Als die echten Araber dann unterwegs zu uns waren, wird Warbatty sie bestochen haben. Ihm kommt es ja auf Geld nicht an. Wer so viel stiehlt wie er, kann auch mal vier Kamele kaufen und die bisherigen Besitzer durch eine Draufgabe zum Schweigen verpflichten. Ein Raub der Tiere und ein damit verbundener Gewaltakt gegen die Eigentümer hätte zu viel Aufsehen erregt. – Beweis für diese meine Annahme ist die Karte Mezzans mit „Letzte Grüße!“ Der, dem er sie für uns übergab, hätte den Besitz dieser Karte wohl verschwiegen, wenn eben nicht Geld ihn gelockt hätte. – Es ist schon so, lieber Schraut! Warbatty hat es sich etwas kosten lassen, mir seine Kriegserklärung in der Kapuze zukommen zu lassen. – Ja – er ist eben kein gewöhnlicher Verbrecher. Ich möchte fast behaupten, er ist geistig nicht normal. Die entsetzliche Kaltblütigkeit, mit der er mordet, hat etwas an sich, das auf einen geistigen Defekt hinzuweisen scheint. Nun – sei dem, wie ihm wolle, – er muß unschädlich gemacht werden.“
Dann trabte er wieder an. –
Zwei Tage drauf gegen Mittag näherten wir uns Suez von Süden her, indem wir dem sandigen Ufer des Nordzipfels des Golfes von Suez folgten. Als wir an einer armseligen Hütte eines Gärtners vorüberkamen, der hier allerlei Gemüse für den Verkauf in der noch zwei Kilometer entfernten Kanalstadt baute, schenkte Harst dem braunen Männchen – es war ein kleiner, fast weißbärtiger Alter – unsere Tiere und verpflichtete den Überglücklichen nur zum Stillschweigen über diese Spende. Wir blieben bis zum Abend in Mehemed ben Garzas Hütte, und Harst benutzte diese Stunden, sowohl den gutmütigen Mehemed als auch dessen zahnlose und abschreckend häßliche Frau gehörig auszufragen.
Der Gärtner kannte jeden Menschen, jedes Haus in Suez, wußte in der Eingeborenenstadt genau so gut Bescheid wie im Europäerviertel. Harst forschte mit aller Vorsicht nach einem Manne, der klein, dürr und nur noch im Besitz von neun Fingern sei, also nach Warbatty. Die Möglichkeit lag ja immerhin vor, daß Mehemed auch Cecil Warbatty in Suez begegnet war, denn dieser mußte dort notwendig einmal längere Zeit geweilt haben, um den „großen Schlag“ vorzubereiten oder doch wenigstens hierzu das Terrain zu sondieren, – diesen großen Schlag, über den wir noch nicht das geringste ahnten und den wir doch vereiteln wollten.
Nein – Mehemed kannte keinen Neunfingerigen. Nur einen Einarmigen. Aber der nutzte uns nichts.
Nach Dunkelwerden schritten wir mit unseren Bündeln auf dem Rücken (die Gewehre hatten wir bei Mehemed untergestellt) der Stadt zu – jetzt als Seeleute, – Heizer von irgend einem Dampfer, in schmierigen Leinenanzügen und kleinen Schlappmützen, mit leicht geschwärzten Gesichtern und Stummelpfeifen im Mundwinkel. Harald stellte einen Irländer mit knallroten Haaren vor, ich einen pechschwarzen Matrosen aus Südfrankreich. Die Kostüme hatte uns Mehemed besorgt, und er hatte so sonderbar gelächelt, als Harst ihm lachend erklärte, wir wollten nur mal das Leben und Treiben in den Hafenkneipen genau kennen lernen. – Ich war überzeugt: er glaubte uns nicht, daß wir lediglich englische Touristen, behaftet mit einem leichten Spleen, seien. Auch Harst sagte jetzt zu mir, als wir in die erste Straße des Europäerviertels einbogen und uns so ganz plötzlich mitten in modernste Kulturerrungenschaften versetzt sahen:
„Mehemed ben Garza ist ein ganz heller Kopf. Sein Lächeln war recht bezeichnend. Er hält uns ganz sicher für das, was wir sind: für Leute, die Verbrechern nachstellen. All diese Einheimischen hier haben durch den Kanal, durch den ständigen Verkehr mit Europäern, ihren Gesichtskreis erweitert. – Donnerwetter – ist das hier nicht beinahe eine Leipziger Straße im kleinen.“
Er hatte mit dieser Bemerkung nur meine eigenen Gedanken ausgesprochen. Eine Überfülle elektrischen Lichtes verwandelte die Dunkelheit in strahlende Helle. Als wir dann gar in die Hauptverkehrstraße einbogen, als auf den breiten Bürgersteigen Scharen von weißen und braunen Menschen uns entgegenfluteten, als wir eilig dahingleitende Autos, leichte Wägelchen und so zahlreiche schick gekleidete Europäerinnen sahen, da meinte Harst kopfschüttelnd:
„Für eine Stadt von 18 000 Einwohnern doch alles Mögliche! – Sogar eine Zigeunerkapelle spielt dort in dem Cafee. – Schau’ an – und da –: ein Kino! – Wie wär’s, Chartrieux, – wollen wir für ’ne halbe Stunde uns etwas vorflimmern lassen? – Es gibt ja einen englischen Detektivfilm. Also was für uns! Unsere Arbeit können wir doch erst gegen Mitternacht beginnen.“
„Unsere Arbeit?“ – Ich war überrascht stehen geblieben.
Aber Harst zog mich schon in den Eingang des Hauses hinein und bezahlte zwei Plätze im Parkett.
Wir kamen mitten in den zweiten Akt hinein, gerade als der Meisterdetektiv auf eine Fabrikesse kletterte, um dort oben nach einem gestohlenen Geheimvertrag zu suchen.
Dann war der Akt zu Ende. Das Licht flammte auf. Wir gingen an den kleinen Schenktisch und ließen uns Whisky Soda geben, setzten uns in zwei Korbsessel in eine Ecke und beobachteten das zumeist aus Strohhalmen Eislimonade saugende Publikum. Es war eine recht bunt gemischte Gesellschaft. So ziemlich alle Menschenrassen waren vertreten.
Plötzlich öffnete sich eine Gasse in der das Büfett umdrängenden Menge. Ein Araber mit tiefschwarzem Bart in blendend weißem, aus feinstem Wollstoff bestehendem Burnus, der noch ein Stück auf der Erde schleppte, schritt hinkend und auf einen Stock mit goldener Krücke sich stützend dem Schanktisch zu.
Er mußte eine stadtbekannte, sehr angesehene Persönlichkeit sein. Sonst hätten ihm die Kanalangestellten und die Eingeborenen nicht so eilig und mit einer gewissen freundlichen Unterwürfigkeit Platz gemacht.
Hinter ihm ging ein riesiger Neger her, der einen weißen Leinenanzug in Livreeschnitt trug. Dieser Schwarze hatte einen Brustumfang und eine Muskulatur, die auf ungeheure Kräfte hindeuteten. Jede seiner Bewegungen war kraftverratend und gewandt.
Am Buffet rückte der Neger für seinen Herrn einen hochsitzigen Bambusschemel heran. Der Araber setzte sich, sprach leise mit dem tief dienernden Schankkellner, einem Holländer dem Äußeren nach.
Im Zuschauerraum ertönte das Klingelzeichen für den nächsten Akt. Der Araber hatte gleichfalls Limonade geschlürft, winkte nun dem Neger zu, der dann auch sofort verschwand. Offenbar wollte sein Herr ihm den Genuß der Fortsetzung der Detektivkomödie nicht rauben und sich jetzt hier ohne ihn behelfen.
Der Schankraum leerte sich schnell. Nur der Araber und wir beide blieben sitzen.
Harst spielte plötzlich den leicht angezechten, großmäuligen Seehelden, gröhlte dem Kellner zu, uns eine Flasche Vin de Champagne zu bringen – Preis gleichgültig.
Für den Araber waren wir Luft. Er hockte auf seinem hohen Schemel und studierte eine englische Zeitung. Er schien nur einen Arm zu haben, nur den rechten.
Harst trat mir leicht auf den Fuß, braschte dann auf Englisch los:
„Eine Sauhitze hier. Schlimmer als im Heizraum unserer Liverpool –“
Der Sekt kam. Wir tranken wie echte Wasserratten, ließen uns Zigaretten und winzige belegte Brötchen geben, taten wie die Millionäre, – wie’s eben Jan Maat gewohnt ist, wenn er Geld in der Tasche hat.
Der Araber schrieb jetzt anscheinend etwas aus der Zeitung ab. Der Schankkellner spülte Gläser.
Wieder trat Harst mir auf den Fuß.
„Du, Chartrieux, – sauf’ langsamer oder schmeiß’ noch ’ne Bouteille –“
Ich schmiß eine. Es ging ja alles aus Harsts Portemonnaie.
„Morris, Du säufst noch schneller!“ grunzte ich.
Der Araber hatte sich erhoben, hing die Zeitung an den Ständer und hinkte hinaus. Der Vorhang nach dem Zuschauerraum fiel hinter ihm zu.
Harst beugte sich vor. „Gib acht – es wird interessant,“ flüsterte er.
Was meinte er nur? – Ich fand bisher hier nur den Meisterdetektiv interessant, der auf den Schornstein gekrochen war.
Der schwere Vorhang bewegte sich. Ein Matrose trat ein; jung, stämmig, intelligent aussehend, nur mit sehr unruhigen Augen.
Er setzte sich ans Büfett, bestellte einen Eiskaffee. Dann suchte er offenbar gelangweilt unter den Zeitungen am Ständer herum, nahm eine und blätterte darin.
Und wieder tat mein Heizerkollege Morris meinen Zehen weh. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. Und da sah ich in seinem Gesicht die mir nur zu gut bekannten Anzeichen höchster Spannung: die halb zugekniffenen Augen, die über den Backenknochen straff gespannte Haut, die beiden vom Munde zum Kinn hinab verlaufenden dicken Falten.
Der Matrose hing die Zeitung wieder weg, gähnte zwanglos, warf Geld auf den Tisch und nahm von dem Eiskaffee nur einen Schluck, verschwand dann wiegenden Ganges.
Minuten nichts. Harst starrte vor sich hin, qualmte in schnellen Zügen seine Zigarette auf, erhob sich plötzlich und meinte heiser wie aus einer Reibeisenkehle:
„Wenn Du zu faul bist, – ich seh’ mir doch noch ’n paar Meter Film an.“
Er ging. – Ich hatte ihn verstanden: ich sollte bleiben.
Und jetzt hatte ich die beste Zeit, mir zu überlegen, was er hier wohl so beachtenswert gefunden haben mochte, daß er meine Zehen so wenig schonte.
Was wohl? – Es konnte nur der Araber gewesen sein! – Und – dann war dieser auch fraglos unser Feind Cecil Warbatty!
Warbatty?! – Hm – der hatte ja eine reine Knabengestalt, war sehr klein für einen Mann und sehr hager, während dieser Schwarzbärtige gut Mittelgröße hatte und auch dementsprechend breit in den Schultern war.
Nein – hier befand ich mich fraglos auf dem falschen Pfade, ganz fraglos. – Und weiter fiel mir nun ein: Harst hatte ja schon draußen auf der Straße von unserer „Arbeit erst um Mitternacht“ geredet.
Arbeit – das hieß natürlich: spionieren, beobachten, auskundschaften, – das hieß leider stets auch: seine Haut zu Markte tragen! Und – gerade dies letztere war so gar nicht nach meinem Geschmack. Ich hätte gern eine Bouteille Vin de Champagne aus meinem eigenen Portemonnaie bezahlt, wenn Warbatty uns den Gefallen getan hätte, sich von irgend einem Gerichtshof aufhängen zu lassen.
Aber – dazu hatte Warbatty offenbar wenig Lust. Weit eher dazu, uns nun endlich zu beweisen, daß wir, Harst und ich, zu viel auf dieser schönen Erde seien!
Kurz – bei meinem Grübeln kam nichts heraus.
Dafür kam etwas anderes: ein sehr stutzerhaft gekleideter Europäer, lang, dünn, blond, blaß und derart parfümiert, daß ich’s bis in unsere Ecke roch.
Er und der Schankkellner tauschten einen Händedruck. Sie unterhielten sich in leidlichem Englisch. Ich hörte heraus, daß der blonde junge Mensch vor einiger Zeit hier einen Salon für Schönheitspflege alias Barbierstube eröffnet hätte.
Der lange Friseur schlenderte nachher ebenfalls nach dem Zeitungsständer, holte sich mehrere Blätter und zeigte dem Mixter[1] Anzeigen, die er eingerückt hatte –: Reklame für das durchreisende Publikum.
Harst erschien erst, als der dritte Akt vorüber, berichtete spottend und alkoholheiser von dem blödsinnigen Inhalt des Films.
Wieder hatte sich der Schankraum gefüllt. Wieder musterte mein rothaariger Heizerkollege die Leute. Dann rief er einen armseligen, mageren Menschen an, dem man den Bureauschreiber auf hundert Schritt anmerkte, einen Mann mit einer Brille und Pockennarben und von jener übergroßen Nervosität, die die Folge der steten Angst vor der hier so gefährlichen Tropendysenterie ist.
Monsieur Vinklair war Franzose und Buchhalter am Zollamt, verheiratet, Vater von sechs lebenden Kindern und die wandelnde Sehnsucht nach der schönen Heimatstadt Paris. – All das erzählte er uns bei einer frischen Flasche Champagner, nachdem Morris-Harst ihn gefragt hatte, ob man hier nicht irgend wohin lohnende Ausflüge weiter ins Innere machen könnte.
Viktor Vinklair lebte seit acht Jahren in Suez. Er verfluchte den Tag, an dem er hier Buchhalter geworden. Seine Frau war krank, seine Kinder nur noch Gerippe. Er fluchte über die hohen Preise, über das miserable Trinkwasser – über alles.
Harst brachte ihn auf Umwegen auf ein anderes Thema, immer den halb Bezechten spielend, der den braven Vinklair so etwas aufziehen wollte.
„Schlagt ’n Reichen tot und kehrt nach Paris zurück,“ meinte er nun. „’s wird doch auch hier so ’n paar verdammte Kapitalisten geben, bei denen sich’s lohnt so ’n kleinen Mord auf die schwarze Seele zu laden.“
Vinklair verschlang geradezu die belegten Brötchen, die Harst bestellt hatte und steckte sich heimlich Zigaretten ein, erwiderte kauend:
„Ihr seid ein Spaßvogel, Master. Freilich – Kapitalisten gibt’s hier. Zum Beispiel der einarmige Diamantenhändler Ali Azzim wäre ein sehr lohnendes Objekt. Doch – an den ist nicht heranzukommen.“ Er lachte und stopfte wieder ein Brötchen in den Mund. „Der Azzim ist vorsichtig. Habt Ihr vorhin den Araber mit dem teuren Burnus und den Neger in der weißen Livree gesehen? – Das war er – er und sein Leibgardist Abraham Paradies, – so nennt sich nämlich der Nigger, Abraham Paradies, man denke!“ – Der gute Vinklair hatte schon etwas im Krönchen. An Sekt war er nicht gewöhnt.
Harst füllte ihm immer wieder das Glas. Und der pockennarbige Buchhalter kramte alles aus, was er von den reichsten Leuten der Kanalstadt wußte.
Inzwischen hatte der vierte Akt längst zu rollen begonnen. Vinklair verzichtete auf den Genuß.
Harst schlug eine Bierreise vor. Wir nahmen einen Wagen und fuhren nach einer Straße in der Nähe des Bahnhofs, wo es eine Kneipe gab, die stark an die Blumensäle in Berlin erinnerte: Wein, Weib, Gesang – und so weiter.
In dem von einer Estrade umgebenen Saale tanzten Seeleute und weiße Kanalarbeiter mit dick geschminkten Araberinnen, die in den europäischen Kleidern wie auf einem Maskenfest wirkten. Wir fanden einen leeren Tisch und auch bald Gesellschaft von zwei ganz netten braunen Huldinnen, denen gegenüber Vinklair eine Galanterie bewies, als wäre er Junggeselle.
Harst fragte die eine, die sich Suleimah nannte und die von der westlichen Kultur schon ganz kräftig angekränkelt war, ob wir nicht im Eingeborenenviertel ein billiges Quartier für 8 Tage bekommen könnten. Er drückte ihr Geld in die Hand und sie nickte sofort verständnisvoll, flüsterte: „Ihr wollt heimlich weglaufen von Eure Schiff. – Gut – ich habe Versteck für Euch – sehr gutes.“
Um halb zwölf brachen wir auf, packten den jetzt völlig wracken Vinklair in einen Wagen. Harst steckte ihm noch eine Zehn-Pfund-Note in die Tasche und ließ ihn dann heimfahren.
Suleimah und wir beide benutzten stolz ein Auto. Sie wohnte in der arabischen Vorstadt nordwestlich von dem neuen Suez in einer Lehmziegelbaracke, zu der man erst nach Durchqueren von drei Höfen gelangte. Das Häuschen gehörte ihren Eltern. Der Vater betrieb im Parterre Flickschusterei.
Das braune, schlaue Mädchen führte uns in eine Stube hinter der väterlichen Werkstatt. Die Tür zu diesem winzigen Raum lag im Innern eines großen Schrankes, der Lederabfälle, Werkzeuge und manches andere enthielt.
Harst bezahlte für eine Woche voraus, nachdem wir uns überzeugt hatten, daß die Bettwäsche sauber und kein Ungeziefer vorhanden war.
Dann wünschte uns Suleimah angenehme Ruhe und kehrte – das Auto hatte in einer Nebengasse warten müssen – in die Blumensäle von Suez zurück.
Kaum war Suleimah zehn Minuten weg, als Harst auch schon das Haus in aller Stille mit Hilfe seiner Taschenlampe und auf Strümpfen besichtigte. Nachher berichtete er mir, daß das Flickschusterehepaar wirklich oben in dem einzigen Obergeschoß schlafe und daß der Bewohner des zweiten „möblierten Zimmers“ (Suleimah hatte diesen Mieter Monsieur Palverlan genannt) hier im Erdgeschoß noch nicht daheim sei.
Dann öffnete Harst, nachdem er die Petroleumlampe ausgelöscht hatte, das einzige, niedrige Fenster, schraubte den Verschluß der vorgelegten Holzladen los und drückte sie vorsichtig zurück. Wir sahen nun, daß diese Lehmbude hart am felsigen Abhang eines langgestreckten Hügels lag. Jenseits dieser Schlucht begann die Wüste, standen ein paar Palmen; in der Ferne sah ich eine Mauer.
„Es ist der mohammedanische Friedhof,“ meinte Harst. „Wir haben Glück gehabt. Dort nach rechts zu in einem Dattelpalmenhain liegt die Villa Ali Azzim, oder, wie der Dysenterie-Franzose sich ausdrückte, – die Festung des Diamantenhändlers.“
Plötzlich ging mir ein Licht auf. Ich flüsterte:
„Ah – Du glaubst, daß Warbatty es auf –“
„Ich glaube gar nichts, – gar nichts! Ich – weiß bestimmt, daß unser intimer Freund Cecil diesem Azzim gern so einiges von den in der Festung vorhandenen Juwelen rauben möchte.“
Wer will mir verargen, daß ich jetzt ein wenig geistreiches Gesicht machte. – Harst „wußte bestimmt“! Ja – woher denn in aller Welt?! – Wollte er mich etwa auch „aufziehen“, wie er’s mit Viktor Vinklair getan hatte?!
Indessen hatte Harst bereits unsere Stubentür von innen verriegelt, hatte die Mütze über den roten Haarwald gezogen und meinte: „Vorwärts – vielleicht erleben wir heute so einiges.“
Wir stiegen zum Fenster hinaus, drückten die Laden zu und kletterten eine sehr primitive, in den Abhang eingehauene Treppe hinab. Der Boden der Schlucht schien der Müllplatz der umliegenden Häuser zu sein. Es stank hier so entsetzlich, daß wir im Laufschritt die nächste Sanddüne hinaufeilten.
Harst schlug dann die Richtung nach der Friedhofmauer ein. In weiter Ferne heulte eine Hyäne. Wenigstens glaubte ich, es sei eine solche ekle Bestie. Harst belehrte mich, daß diese Hyänen geschäftstüchtige Araber seien, die Touristen zu einer Hyänenjagd verlocken wollten. „Ich bin jetzt zum dritten Mal in Suez,“ fügte er hinzu. „Meine beiden ersten Besuche hier liegen vier Jahre zurück.“
Ich wußte, er war in Indien gewesen, selbst in China und Japan. Für einen mehrfachen Millionär schließlich nichts Besonderes.
Nachdem wir den Friedhof hinter uns hatten, ging’s nach Nordwest zu. Links tauchte dann ein zweiter Friedhof auf. – „Der römisch katholische ist’s,“ erklärte Harst. „Dahinter liegt der griechisch-katholische. Juden und Evangelische müssen sich hier beim Sterben für eine der über einen Kirchhof verfügenden Religionen entscheiden, sonst sieht’s mit dem ehrlichen Begräbnis faul aus!“ – Er war in guter Laune, und ich wagte deshalb eine Anzapfung.
„Woher hast Du Dich so im Handumdrehen darüber unterrichtet, daß –“
„Aber Schraut – aber Max Schraut!“ Ich kannte den Ton. Nun würde ich wieder Gelegenheit haben, mich zu blamieren.
„Hast Du denn wirklich im Kino nichts bemerkt?“ fuhr er fort. „Das Benehmen der drei Leute war doch so durchsichtig!“
„Allerdings!“ erklärte ich harmlos. „Sehr durchsichtig. Besonders der lahme Ali Azzim –“
„Ja – ganz recht, – er glaubte die Geschichte riesig schlau angefangen zu haben! – Du weißt doch, was?“
Da war ich denn glücklich hineingefallen! Ich hatte ja keine Ahnung.
Harst lachte gutmütig. „Alter Heuchler, Du! – Na – die Zeitung war’s! Der Azzim schrieb scheinbar etwas daraus ab. Hättest Du genau hingesehen, so würdest Du bemerkt haben, daß er auf der ersten Innenseite etwas unterstrich und nach diesem Unterstrichenen suchte nachher der Matrose mit den scheuen Augen, der vorher unsere gleichfalls im Kino noch anwesende Suleimah begrüßt hatte. Daß Suleimah nachher in dem einzigen Lokal dieser Art zu finden sein würde, damit rechnete ich bestimmt. Wäre sie nicht von selbst an unseren Tisch gekommen, hätte ich sie geholt. Ich wollte wissen, wer dieser Matrose war. Nun – es ist unser Nachbar Monsieur Palverlan. – Siehst Du – so hängt alles zusammen und so muß man beobachten können, lieber Kerl. – Nach Palverlan nahm der blonde Friseur dieselbe Zeitung vor. Ich stand im Zuschauerraum und spähte durch den Vorhang. Und dem Friseur folgte ich, als Du Dir gerade von Viktor Vinklair Witze erzählen ließest. Ich fand die unterstrichenen Worte. In deutscher Übersetzung lauteten sie:
„Morgen ein Uhr. Alles bereit.“
Sie waren aus einer Romanfortsetzung herausgesucht. – Und diese Worte sprachen Bände, – das gibst Du doch zu?“
„Hm!“ Ich hatte doch so einiges von Harst gelernt. „Hm,“ meinte ich, „vorhin sagtest Du, Warbatty habe es auf Ali Azzims Juwelen abgesehen. Und – hm – wenn nun Ali Azzim diese Worte durch Unterstreichen für Palverlan und den langen Blonden kenntlich gemacht hat, dann geht daraus doch noch lange nicht hervor, daß Warbatty hier etwas derartiges plant.“
Harst erwiderte nichts, deutete jetzt geradeaus. Und in dem halben Zwielicht der sternenklaren Nacht erblickte ich auf einem Hügel vor uns ein Palmenwäldchen, über dessen Kronen ein viereckiger weißer Turm hinwegragte.
„Ali Azzims Festung,“ sagte Harst leicht erregt. „Mich reizt es, sie näher zu besichtigen.“
Ich bekam einen bösen Schreck.
„Aber – die Hunde, von denen Vinklair sprach! Und die Mauer mit den elektrisch geladenen Drähten oben! Und die beiden ständigen Wächter!“ stotterte ich hastig. „Bedenke das alles! Die Geschichte kann niemals gut enden! Du bist zu waghalsig.“
„Meinst Du?! – Ich will ja gar nicht über die Mauer, will nur auf eine Palme hinauf, die außerhalb der Mauer steht. Wenn man einen Strick hat, wenn man daraus eine Schlinge macht, – doch Du wirst ja sehen, daß ich auch an einem schlanken, glatten Palmenstamm hochkomme.“
Und – natürlich kam er hoch! – Weniger natürlich war, daß mir mit seiner Hilfe dasselbe gelang, freilich unter Strömen von Schweiß. Wir hatten diese Kletterpartie in aller Stille erledigen müssen. Aber – die Schweißperlen hatten wenigstens gelohnt. Wir sahen nun über die vier Meter hohe Mauer hinweg in zwei Hochparterrefenster hinein, die erleuchtet waren, sahen in dem kleinen Hofraum auch drei Bulldoggen, die dort lautlos umherstrichen und zuweilen den Mond anheulten.
Die Fenster waren vergittert. Und Leitungsdrähte zeigten, daß diese Eisengitter nachts tatsächlich ebenfalls elektrisch geladen waren, wie schon der Dysenterie-Franzose behauptet hatte.
Die Vorhänge waren nicht zugezogen. In dem einen ganz europäisch eingerichteten Zimmer saß an einem Diplomatenschreibtisch ein Araber in einem seidenen Hausgewand und schrieb. Ein Tischtelephon, eine elektrische Stehlampe mit grüner Glocke, ein großes Schreibzeug aus Onyx und anderes hätten ebenso gut im Arbeitszimmer eines Berliner Herrn stehen können. Im Hintergrunde bemerkte ich einen großen Bücherschrank, rechts an der Wand eine Weltkarte von gut drei Meter im Quadrat.
Der Araber hob jetzt den Kopf. Es war Ali Azzim, der Juwelenhändler, der hier in Suez, wie Vinklair zu berichten gewußt hatte, vor einem halben Jahr sich niedergelassen, diese Villa gekauft und sich schnell durch seine Wohltätigkeit überall beliebt gemacht hatte. Sein Beruf zwang ihn zu häufigen Reisen nach Europa, Persien, Indien und Java. Dann bewachte Abraham Paradies das Haus, das früher dem ersten Ingenieur der Kanalschleusen gehört hatte.
Unsere Palme schwankte im Nachtwind recht unangenehm, wenn auch gleichmäßig, hin und her.
Ich mahnte Harst zur Rückkehr auf den festeren Erdboden. Er antwortete nicht.
Ali Azzim ging jetzt langsam auf und ab, den Kopf tief gesenkt. Dann trat er vor die Wandkarte hin, schaltete eine darüber hängende Birne ein und starrte lange auf die Mitte der Karte. Da die Meere sich sehr hell auf der Karte abhoben, konnte ich feststellen, daß er offenbar der Gegend um Suez herum seine Aufmerksamkeit widmete.
Plötzlich schnellte sein Kopf höher. Er eilte zum Schreibtisch, nahm den Hörer vom Telephon, bewegte die Lippen, legte den Hörer auf die Stützen und griff nach einem offenen, gläsernen Zigarettenbehälter, trat an das rechte Fenster, öffnete es, brannte ein Streichholz an, zündete die Zigarette an, warf das Streichholz brennend in den Hof hinab und pfiff nach den Hunden, die sofort herbeistürmten und winselnd sich hochreckten. Einer der Wächter kam. Azzim rief ihm etwas zu, schloß das Fenster wieder und begann seine Wanderung durch das Zimmer von neuem.
Abermals mahnte ich Harst an die Rückkehr auf ebenen Boden.
„Leider – es ist zu spät!“ sagte er leise. „Schau hinab, dann –“
Da – eine laute Stimme – englische Worte:
„He – Ihr Halunken dort – herunter mit Euch!“
Und – unter uns an der Palme standen die beiden Wächter der Festung mit Gewehren in der Hand! Gerade jetzt lief noch ein dritter Mann hinzu: Der riesige Neger!
Unwillkürlich glitt mein Blick nach den Fenstern zurück: Ali Azzim stand am rechten offenen Fenster mit einem Fernglas an den Augen! Und das Glas war auf die Krone unserer Palme gerichtet.
Harst begann schon den Abstieg, rief gleichzeitig hinunter:
„Well, well – wir sind gleich unten! Schießt nur nicht!“
Gleich darauf hörte ich ganz leise:
„Ich springe dem Nigger auf den Schädel! Und Du mußt einen der Wächter erledigen. Stell’ Dich dabei etwas geschickt an, denn – hier geht’s ums Leben!“
Doch – kaum ausgesprochen, änderte er den Plan schon wieder ab.
„Die Bulldoggen sind unten. Ich werde versuchen, die Mauerkrone im Sprung zu erreichen,“ flüsterte er. „Spring’ hinterdrein. Ich fange Dich schon auf.“
„Um Himmels willen – die elektrischen Drähte!“ keuchte ich!
„Verdammt!“
Und da – abermals einer der Wächter:
„Schurken – beeilt Euch! Sonst helfen wir nach! Wollt Ihr eine Ladung Schrot ins Gesäß haben, he?!“
„Nein – aber wir haben vor den Hunden Angst. Wenn Ihr sie nicht einsperrt, pfeifen wir nach unseren Freunden. Wir sind zu sechsen auf der Jagd gewesen. Und der Hafenpolizist Burton ist auch dabei. Der wird Euch dann schon zeigen, daß Ihr englische Seeleute nicht wie die Diebe behandeln dürft, nur weil sie mal aus Neugier über die Mauer geschaut haben.“
Harst steckte auch wirklich zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Trillerpfiff aus, lachte dann höhnisch und brüllte: „Seht Ihr, braunes Gesindel, nun werdet Ihr bald englische Messer zu kosten bekommen.“ Und wieder pfiff er, daß die Hunde laut aufjaulten vor zitternder Wut.
Ali Azzim meldete sich jetzt.
„Der Ungläubige lügt! Laßt Euch nicht narren!“ schrie er. Aber die Mauer war zu hoch. Selbst wir vernahmen die Worte nur undeutlich. Die Wächter und der Neger konnten sie unmöglich verstanden haben.
„Aha!“ gröhlte Harst, wie immer auch jetzt den kleinsten Vorteil ausnutzend. „Euer Herr will, daß Ihr ins Haus zurückkehrt. Er hat vor Old England Angst! Schert Euch zum Teufel, braune Brut!“ Und wieder pfiff er, rutschte wieder ein Meter tiefer.
Ach – mir fiel ein Zentner vom Herzen! Der Feind verzog sich. Kaum waren Mensch und Hund um die Mauerecke verschwunden, als wir auch wie ein paar Blitze herabschossen, schwer aufplumpsten, aufsprangen und – rannten – rannten – Harst voran.
Er hielt auf den nächsten Friedhof zu. Nur zu bald jedoch hinter uns das kurze, dumpfe Bellen der Bulldoggen. Harst blieb zurück.
„Ich decke uns den Rücken! Lauf nur zu!“ rief er, und sein Atem ging noch ganz ruhig.
Er hatte den Revolver in der Rechten, in der Linken das lange Klappjagdmesser, dessen Klinge im Mondlicht bläulich funkelte.
Auch ich blieb stehen, griff in die Tasche, zog den Revolver, spannte ihn.
Harst nickte mir zu. Er hatte gewußt, daß ich ihn nicht allein lassen würde.
Die drei Hunde keuchten heran, in einer Linie. Und – hinter ihnen bemerkte ich nun zwei Reiter, brüllte entsetzt:
„Harst – Achtung! Dort –“
Ein Knall – noch einer.
Den dritten Schuß feuerte ich ab. Doch die stämmigen Bestien mit den scheußlichen Teufelfratzen schienen kugelfest. Nur einen Moment gestutzt hatten sie.
Harst zielte, – alle Patronen verschoß er nun. Und ich tat das gleiche.
Wir warteten den Erfolg nicht ab. Wir jagten weiter. Hinter uns Stille. Dann vor uns die Ziegelmauer des Kirchhofs. Harst war im Nu oben, reichte mir die Hände, zog mich hoch. Zwei Kugeln klatschten gegen die Steine. Splitter spritzten. Es lief mir warm über das Gesicht. Aber – es war nur ein Riß auf der linken Wange.
Harst lag oben auf der Mauer auf dem Bauche. Ich stand auf einem Grabhügel. Ich hörte ihn rufen:
„Zurück – oder ich schieße!“
Er mußte im Laufen wieder geladen haben. Er schoß wirklich.
Dann ließ er sich herabgleiten. Wir rannten der kleinen Kapelle zu, einen hellen Weg entlang. Neben der Kapelle stand das Häuschen des Friedhofswärters. Harst donnerte gegen die Tür. Es dauerte ihm wohl zu lange, bis geöffnet wurde. Er schlug ein Fenster ein, griff durch das Loch hindurch, schob die Riegel auf, und wir kletterten hinein. Harsts Taschenlampe beleuchtete eine kleine Küche. Dann ging die Tür auf. Ein langer, blondbärtiger Mann erschien, nur im Hemd; vor Schreck ließ er den Leuchter fallen.
Harst beruhigte ihn, berichtete mit wenigen Worten, daß wir harmlose, neugierige Matrosen seien – und so weiter.
Der Aufseher war kein Feigling. Er lachte drohend, als jetzt an die Haustür geklopft wurde. – Harst hatte seine Taschenlampe schnell ausgeschaltet.
Der Aufseher, ein Franzose namens Jean Milperell, trat in den Flur, rief:
„Schert Euch nach Hause – schleunigst! Dies hier ist französischer Grund und Boden. Ich lasse niemand ein. Die beiden Leute sind Heizer vom Dampfer Liverpool.“
Da – eine herrische Stimme von draußen:
„Hier steht Ali Azzim. – Es sind Diebe. Ich habe bereits nach der Polizei geschickt. Und wehe Dir, wenn Du sie nicht festhältst!“
Milperell wurde ängstlich. Wir hörten es seiner Entgegnung an.
„Gut – gut, mag die Polizei nur kommen. Ich werde abwarten –“
Dann zu uns: „Es ist am besten, daß die Polizei die Sache aufklärt. Kommen Sie bitte mit in meine Stube.“
Wir saßen dann auf einem weichen Sofa und unterhielten uns mit Milperell, der uns mit einer Flasche Rotwein bewirtete.
Draußen stand Ali Azzim mit seinen drei Wächtern.
Nach etwa zwanzig Minuten erschienen zwei Beamte. Einer davon war ein Engländer, der andere ein Araber. – Harst schickte Milperell unter einem Vorwand hinaus, zog den linken Schuh vom Fuß und holte unter der Einlegesohle seinen Ausweis mit der aufgeklebten Photographie heraus.
„Bitte – verhaften Sie uns zum Schein,“ sagte er hastig. „Aber lassen Sie uns nicht von Ali Azzim und seinen Leuten sehen. – Sie haben wohl schon in der Zeitung gelesen, daß ich in Kairo dem Inspektor Mezzan –“
„Gewiß – gewiß. – Wird alles besorgt werden, Herr Harst.“ –
Ali Azzim mußte mit den Seinen abziehen. Nur von weitem konnten sie noch unseren Abtransport beobachten.
Als wir ihnen dann aus den Augen gekommen waren, sagte Harst zu dem Polizisten:
„Bringen Sie uns ins Polizeigefängnis in eine Zelle. Niemand außer Ihnen beiden und Ihrem höchsten Vorgesetzten hier darf erfahren, wer wir sind. Morgens gehen Sie zu Ali Azzim und bitten um eingehende Auskunft, was gegen uns vorläge. Erklären Sie dann, wir würden dem Richter zugeführt werden. – Benehmen Sie sich klug! Sie werden etwas verdienen dabei.“
So kam es, daß wir auch das ungezieferverseuchte Polizeigefängnis der ägyptischen Stadt Suez, in der doch nur England zu befehlen hat, kennen lernten.
Sehr bald klingelte Harst nach dem Aufseher und verlangte einen Raum ohne Mitbewohner kriechender und hüpfender Art. – Der Mann, der noch vorhin so liebenswürdig zu uns gewesen, war jetzt kühl und kurz.
„Der Polizeidirektor Bagrieux hat mir soeben telephonisch befohlen, Euch wie richtige Verhaftete zu behandeln,“ sagte er. Und erst als Harst eine Zehnpfundnote vorzeigte und um fünf Schachteln Insektenpulver bat, wurde der Aufseher wieder freundlicher.
Wir schliefen dann stark eingemottet recht gut. Am Morgen meinte Harst, als der Aufseher uns – diesmal für fünf Pfund, ein sehr reichliches Frühstück gebracht hatte:
„Ich fürchte, wie ich schon in der Nacht sagte, daß der Herr Polizeidirektor infolge der Beeinflussung durch Ali Azzim eine kolossale Dummheit machen wird. Und dem Juwelenhändler wieder haben wir durch das Erschießen der Hunde einen großen Gefallen getan.“
Ich verstand Harst nicht ganz. Ich bat um nähere Erklärung; er winkte aber ab.
Bis Mittag ließ sich niemand bei uns sehen. Dann erschienen vier Polizisten und nahmen uns die Revolver und Messer, Geld und auch Harsts Ausweis ab. Sie waren frech und grob, bis Harst dem einen einen Hieb gegen den Schädel mit der bloßen Faust versetzte, der den Kerl zu Boden warf. Diese Kraftprobe imponierte den braunen Herren offenbar.
Erst um vier Uhr nachmittags wurden wir unter Bedeckung von sechs Mann zum Verhör geführt. Der Polizeidirektor erklärte, wir seien ganz offenbar nicht Harst und Schraut, vielmehr internationale Gauner, die dem richtigen Harst in Kairo den Ausweis abgenommen hätten. – Da der Monsieur Bagrieux recht unhöflich sich zeigte, verzichtete Harst auf jede weitere Aussprache mit ihm und sagte nur, indem er Bart und Perücke entfernte: „Bitte – sehe ich jetzt dem Bilde auf dem Ausweis vielleicht ähnlich?“
Der Polizeidirektor wurde nun doch verlegen, wollte aber wohl nicht zum Rückzug blasen und ließ uns schnell wieder wegführen. An der Tür drehte Harst sich noch um:
„Bitte telephonieren Sie nach Kairo und lassen Sie Inspektor Mezzan sofort herkommen. Ich fürchte, Ihr Benehmen gegen uns wird Sie Ihre Stellung kosten.“
Wir saßen nun wieder in unserer Zelle. Der Aufseher brachte jetzt erst das von uns bestellte Mittagessen, das wir mit zehn Pfund bezahlt hatten.
Harst wies es zurück. „Ich warne Sie, davon zu essen,“ sagte Harst dem Beamten. „Es ist wahrscheinlich vergiftet. Geben Sie von dem Huhn da und der Suppe einer Katze etwas zu kosten.“
Als der Aufseher gegangen, packte ich Harst bei der Schulter, rief:
„Himmel – ist dieser einarmige Ali Azzim etwa unser Warbatty?“
„Du merkst es recht spät,“ meinte er ernst.
„Aber – die Größe! Und der fehlende Arm!“
„Oh – den Arm trägt er am Körper festgeschnallt. Die weiten Gewänder verdecken den Betrug. Als er sich im Schankraum des Kinos auf den hohen Schemel setzte, sah ich, daß er Schuhe trug, die wie Stelzen gearbeitet waren. Um den schwerfälligen Gang auf diesen zu maskieren, hinkte er. Im übrigen war ich schon fest überzeugt, daß Ali Azzim unser Mann sei, als der alte Gärtner Mehemed von dem einarmigen Reichen erzählte, dem ja gerade der linke Arm fehlte. Und links fehlte Warbatty der Zeigefinger. Weiter erwähnte Mehemed auch, daß dieser Ali Azzim sehr selten in Suez weile und erst seit 7 Monaten sich hier angekauft habe. Ich glaube, die Villa hier wird Warbattys eigentliches festes Heim sein. – Um auch noch den Rest zu erledigen, lieber Schraut: Als wir vor dem Kino gestern abend standen, fuhr ein Wagen dort vor, dem ein Mann in Begleitung eines Negers in Livree entstieg. Dieser Araber gebrauchte nur den rechten Arm, zeigte seine scheinbare Einarmigkeit etwas zu stark. Wir folgten ihm. Und dann kam die Geschichte mit der Zeitung im Schankraum. Warbatty ist hier eben außerordentlich vorsichtig. Er wollte sich mit seinen Leuten, dem Matrosen und dem Friseur – letzterer hat auch erst vor 3 Monaten sein Geschäft eröffnet! – auf überschlaue Weise ins Einvernehmen setzen. Daß wir wieder hinter ihm drein sind, merkte er erst, als ihm jemand telephonisch mitteilte, daß wir auf der Palme saßen. Dieser Jemand wird der Matrose Palverlan gewesen sein, der argwöhnisch geworden sein mag, als wir mit Suleimah den Tanzsaal verließen. Er muß dort gewesen und uns gefolgt sein. Fraglos ist’s ein gefährlicher, kluger Bursche. Er hat auch sicherlich gesehen, wie Du schwitzend den Palmenstamm als Kletterstange benutztest, wird dann von der nächsten Kneipe an Ali Azzim telephoniert haben. Denn erst nach dem Telephongespräch öffnete unser Mann das Fenster und rief die Hunde und den Wächter herbei. Da der Polizeidirektor ihm als einer so angesehenen Persönlichkeit natürlich mitgeteilt haben wird, wir hätten uns als Harst und Schraut ausgegeben, werden bei ihm die letzten Zweifel geschwunden sein, so daß er es für ratsam gehalten haben wird, unser Essen durch eine seiner Kreaturen heimlich vergiften zu lassen, selbst aber zu fliehen. Ich würde mich sehr wundern, wenn der Katze das Essen bekäme.“
Ich war jetzt, ehrlich gestanden, ganz konfus.
„Wenn Warbatty geflohen ist, dann haben wir doch fraglos seine hiesigen Pläne wieder vereitelt,“ meinte ich. „Und seine Absichten können hier doch nie die gewesen sein, bei sich selbst einzubrechen.“
„Hm!“
In diesem Moment kam der Aufseher – ganz verstört: „Die Katze ist sofort umgefallen, ist tot!“ stotterte er.
„Gut. Sprechen Sie zu niemandem davon außer zu ihrem Chef und sagen Sie diesem, er solle sofort hier sich einfinden,“ erklärte Harst.
Es war gegen sechs Uhr, als er Polizeidirektor erschien. Harst war sehr förmlich.
„Es liegt in Ihrem Interesse, meine Vorschläge zu befolgen. Lassen Sie sofort in der Stadt verbreiten, wir seien plötzlich verstorben – anscheinend Cholera. – Ali Azzim ist abgereist, nicht wahr?“
„Ja. Er wollte nach Kairo mit der Bahn.“ Der Polizeichef war durch die tote Katze doch etwas mißtrauisch gegen Azzim geworden.
„Gut,“ nickte Harst wieder. „Dann sorgen Sie um so mehr dafür, daß unser Tod schnell bekannt wird. Nach Dunkelwerden geben Sie uns frei. Ich hoffe Ihnen dann beweisen zu können, daß ich etwas scharfsinniger als Sie bin.“
Da wurde Herr Polizeidirektor böse, redete etwas von „Speisen selbst vergiftet haben“ und wollte hinaus. Harst hielt ihn am Ärmel fest.
„Herr!“ fuhr er ihn an. „Wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen anempfahl, so sind Sie hier die längste Zeit in ägyptischen Diensten gewesen.“
Der Direktor riß sich los, ging davon.
Es wurde Abend. Wir hungerten. Es wurde Mitternacht, und wir hatten jetzt den Rest Insektenpulver verbraucht. – Dann ging die Zellentür auf und der Herr Polizeichef stürzte herein. Hinter ihm aber zeigte sich Inspektor Mezzans wohlbekanntes Gesicht.
Was war geschehen? – So allerlei! – Der englische Polizist hatte auf eigene Faust nachmittags nach Kairo telephoniert und Mezzan geschildert, was hier vorgefallen. Er hatte uns geglaubt, daß wir Harst und Schraut seien. Mezzan aber hatte mit einer Lokomotive Kairo sofort verlassen. Er traf hier gerade ein, als ein Feuerschein von der Villa Ali Azzims her die Feuerwehr dorthin rief. So fand man den gefesselten Neger und die beiden erschossenen Wächter im Hofe. Abraham Paradies hatte in wilder Aufregung erzählt, zwei Einbrecher hätten erst die Wächter erschossen und dann auch ihn überwältigt. Er hatte in der Tat am Hinterkopf eine mächtige Beule und eine Revolverkugel im Arm. Weiter berichtete er, daß die Einbrecher den Stahlschrank seines Herrn, in dem Juwelen aufbewahrt wurden, mit Dynamit gesprengt, ausgeplündert, ihm – dem armen Abraham – noch hohnlachend ihre Beute gezeigt hätten und auf bereitstehenden Reitkamelen nach Kairo zu verschwunden wären. –
Dies alles teilte uns nun der Herr Polizeichef mit, entschuldigte sich bei uns und fügte hinzu, Inspektor Mezzan habe ihm bereits erklärt, daß wir nur nach Suez gekommen seien, um den auch ihm dem Namen nach bekannten Warbatty zu fangen.
Harst blieb ihm gegenüber eisig, sagte jetzt: „Wenn Sie Warbatty nicht so blindlings Glauben geschenkt hätten, dann wäre all dies nicht geschehen.“
„Warbatty?!“ Der Polizeidirektor war ganz fassungslos.
„Ja – Warbatty! Denn Ali Azzim war dieser größte aller Verbrecher, den die Welt je gekannt hat. Und Sie waren es, der ihn entschlüpfen ließ – Sie in Ihrer bornierten Kurzsichtigkeit!“ Harst war wirklich wütend. „Sie haben in der Stadt verbreitet, daß wir tot seien, nicht wahr?“ fügte er hinzu.
Der Polizeichef nickte völlig niedergeschmettert.
„Wo befindet sich der Neger?“ fragte Harst weiter.
„Bei einem Bekannten von ihm, dem Inhaber des Friseurladens am Kai,“ erwiderte der Franzose.
„Ah – welche Frechheit!“ entfuhr es Harst. „Vorwärts – hin zu dem Friseur! Lassen Sie das Haus in aller Stille umzingeln.“
Der Inhaber des Salons für Schönheitspflege, ein Mann namens Oldenwoog, erbleichte bis in die Lippen, als Harst ihm sofort erklärte:
„Wissen Sie, wer ich bin? – Ich heiße Harald Harst. Ich denke, Sie legen am besten ein Geständnis ab und retten so Ihr Leben.“
Der blonde, lange Mensch faßte sich schnell, schnaubte:
„Herr, Sie scheinen im Kopf nicht ganz richtig zu sein!“
Harst zuckte die Achseln. „Wie Sie wollen! – Ich gab Ihnen Gelegenheit, dem Strick zu entgehen. Nun – vielleicht ist der Neger schlauer.“
Er wandte sich an Abraham, der in demselben Zimmer im Bett lag.
„Hör’ mal, Abraham Paradies, – Du bist doch fraglos ein intelligenter Bursche, sonst hätte Warbatty Dich nicht zu seinem Vertrauten gemacht. – Ihr vier, der gefärbte Ali Azzim alias Warbatty, hier der Oldenwoog, der angebliche Matrose Palverlan und Du wolltet da einen feinen Streich ausführen. Halb ist er Euch geglückt. Oldenwoog und Palverlan spielten die Einbrecher heute abend, nachdem Ihr glaubtet, vor dem vergifteten Harst sicher zu sein. Der Schlag auf Deinen harten Schäden und die Kugel in den Arm sollten diesen Raub noch glaubhafter machen. – Wo habt Ihr die Juwelen gelassen?“
Der Neger grinste. „Master, Sie sind ein Spaßvogel. Ich soll meinen eigenen Herrn beraubt haben? Und Ali Azzim soll gar mit im Bunde sein?!“ – Das sollte harmlos und ehrlich klingen. Aber des Schwarzen Gesicht verriet eine schlecht verhehlte Angst, und seine Augen wanderten unruhig im Zimmer hin und her, das durch eine Deckenbeleuchtung mit drei Birnen bis in den fernsten Winkel strahlend erhellt war.
Harst beugte sich über den Neger, flüsterte ihm etwas zu. Und diese Worte, die wir anderen nicht verstanden, brachten eine merkwürdige Wirkung hervor.
Abraham sank matt in die Kissen zurück. Und unter dem Bett kroch ein Mann hervor – Palverlan, der angebliche Matrose. Kroch hervor und – warf einen Lederbeutel auf den Tisch, sagte zu Harst:
„Ich wußte, daß wir verspielen würden, als ich von Ihrer Anwesenheit hier hörte, Master Harst. Aber Warbatty war so fest überzeugt, Sie beide seien dem Gift erlegen, daß er darauf bestand, die Sache durchzuführen. Ich möchte gleich bemerken: Abraham hat die Wächter erschossen und die Villa in Brand gesteckt. Ich habe ihm nur die Kugel in den Arm gejagt, und Oldenwoog ihm den Klaps auf den Schädel. – Nun sind wir die Hineingefallenen, während Warbatty sich in Sicherheit gebracht hat. Er hatte uns die Juwelen als Beuteanteil überlassen. Er selbst wollte mit der –“
„Ganz recht,“ fiel Harst ihm ins Wort. „– mit der Versicherungssumme sich begnügen.“ – Dann wandte er sich an den Polizeichef von Suez: „Es handelt sich hier nämlich um einen Versicherungsbetrug. Ich kam dahinter, als mir der Buchhalter Vinklair im Kino erzählte, der Juwelenhändler Ali Azzim habe durch seine Vermittlung die Juwelen im Tresor der Villa mit 600 000 Mark bei einer Gesellschaft in Kairo gegen Feuer und Einbruch versichert. Diese Tatsache im Verein mit den übertriebenen Vorsichtsmaßregeln zum Schutze der Villa, die ja die reine Festung war, brachten mich sehr bald auf den Gedanken, hier solle die Versicherungsgesellschaft hineingelegt werden. Ich könnte Ihnen die Entstehung dieses Verdachtes noch eingehender erläutern. Das Gesagte mag jedoch gegenüber der nunmehr vollendeten Tatsache genügen. Hätte ich im Polizeigefängnis von den vergifteten Speisen genossen, so wäre kein Mensch auf den Gedanken gekommen, dieser Juwelenraub sei nur eine von Warbatty selbst bestellte Arbeit, und die Versicherungssumme hätte ihm anstandslos ausgezahlt werden müssen.“
Harst nahm nun den Lederbeutel vom Tisch und schüttete die darin enthaltenen Steine – es waren gegen fünfzig Diamanten – auf die Tischplatte.
„Welche Pracht, welches Feuer!“ meinte er ganz begeistert. „Palverlan, was wolltet Ihr mit den Steinen tun?“
„Sie unter uns teilen und dann nach drei Monaten in Europa veräußern. Wir hatten Warbatty fest versprechen müssen, ein Vierteljahr mindestens mit dem Verkauf zu warten, bis über den Diebstahl tüchtig Gras gewachsen sei. Wir hätten auch gewartet, schon zu unserer Sicherheit!“
„Oh – das wäre ganz überflüssig gewesen,“ meinte Harst lächelnd und ließ die Steine durch die Finger gleiten. „Diese prachtvollen Similibrillanten hätten Sie ruhig veräußern können.“
Palverlan fuhr hoch.
„Simili?! Unmöglich!“
„Bitte – ich verstehe sehr viel von Edelsteinen. Es sind Similisteine. Tatsächlich.“
„Ah – der – der Schuft!“ zischte Palverlan. Und auch der lange Oldenwoog brüllte: „Dieser Halunke!“
Harst machte eine kurze Handbewegung.
„Seien Sie froh, daß Warbatty Sie nur um den Beuteanteil, nicht aber auch um – das Leben betrogen hat! Seine Methode ist sonst bedeutend blutiger: Seine Helfershelfer macht er gewöhnlich stumm.“
Dann sagte er zu Inspektor Mezzan: „Kommen Sie. Wir sind hier fertig.“ Ohne den Polizeichef weiter zu beachten ging er hinaus.
Es war jetzt ein Uhr morgens. Wir drei schritten die Straße entlang und traten dann in ein Cafee ein, wo wir noch eine Stunde zusammenblieben.
Mezzan meinte, dem Polizeidirektor würde diese Geschichte nun wohl das Genick brechen; sehr beliebt sei er überhaupt nicht. – Worauf Harst erwiderte: „Es schadet ihm nichts. Er ist nicht nur borniert, sondern auch empfindlich wie ein schönes Weib und rechthaberisch wie ein alter Universitätsprofessor.“
Mezzan fragte nachher beim Abschied, was Harst jetzt tun würde.
„Die Jagd fortsetzen,“ sagte mein Freund und Brotherr lakonisch. „Ich hoffe Warbatty in der Felsenfeste Aden am Ostausgang des Roten Meeres wiederzusehen. Vielleicht habe ich dort mehr Glück. Vielleicht –“
Wir waren nach Aden unterwegs. Harst hatte diesmal für meinen Geschmack die Vorsicht denn doch zu weit getrieben und auf einem deutschen Frachtdampfer statt auf einem der schwimmenden Luxushotels des Norddeutschen Lloyd für uns von Alexandria aus Plätze belegt. Meines Erachtens hätte es vollkommen genügt, nicht von Suez, wo wir uns zuletzt befunden hatten, sondern eben von dem für uns rückwärts gelegenen Hafen von Alexandria zu reisen.
Unser Frachtdampfer war neu und hatte im Mittelaufbau zwanzig Passagierkabinen. Die Verpflegung konnte nicht besser sein. Der Kapitän Störmer war der Typ des modernen Seefahrers, – stets tadellos angezogen, sehr taktvolles Benehmen, vielseitig gebildet.
Bis Suez waren nur elf Kabinen besetzt. Hier kam eine deutsche Touristengesellschaft an Bord, im ganzen vierzehn Personen, Männlein und Weiblein, alles solider, knapp begüterter Mittelstand. Die Leutchen hatten sämtlich lange für diese Reise nach Ceylon und Indien gespart und richteten sich alles so billig wie möglich ein.
Sie brachten Leben mit. Da so ziemlich alle Berufe unter ihnen vertreten waren, konnte man geradezu Studien machen. Der Anführer der Schar war ein Oberlehrer Doktor Schlicht, den die anderen stets nur Exzellenz titulierten, wie es einem Marschall gebührt, auch einen Reisemarschall. Das einzige Ehepaar, das die Junggesellen und Jungfrauen zu überwachen hatte, nannte sich „Rentiers Krögel“. Was „er“ früher gewesen, konnte man nur vermuten. Er aß nämlich keine Wurst; auch seine dicke bessere Hälfte verschmähte gefüllte Därme in jeder Form. Also hatte er selbst wohl mal allerlei geheimnisvolle Dinge in die Wurstmaschine gestopft, das heißt, er war sicherlich Fleischermeister gewesen.
Harst hatte sich sehr bald an eine junge Lehrerin herangemacht, die für diesen jede Jugendlichkeit schnell ertötenden Beruf viel zu schade war. Hilde Held war für meinen Geschmack nur zu ernst. Ihre Gespräche mit Harst drehten sich stets um hochgelehrte Dinge.
Ich selbst hatte als begeisterte Skatratte insofern Glück, als ich in Benjamin Krögel und einem Zahnarzt namens Müller zwei Gesinnungsgenossen fand, mit denen ich die langweiligen Stunden während der Fahrt durch das Rote Meer durch einen nur durch die Mahlzeiten unterbrochenen Dauerskat verkürzte.
Krögel war ein Witzbold, und Karl Müller ein Spötter. Alles zog er durch die Zähne. An nichts ließ er ein gutes Haar. Ich hatte noch nie einen so dicken Menschen von so galligem Gemüt kennengelernt. Er hatte in Kairo, wo die Touristengesellschaft fünf Tage gewesen, das Pech gehabt, sich bei der Besteigung einer Tempelruine den Arm zu brechen, als er Hilde Held hinauf helfen wollte. Er trug noch den Gipsverband, und außerdem trug er auch eine geradezu lächerliche Wut gegen die junge Lehrerin im Herzen, als ob diese dafür verantwortlich zu machen wäre, daß er damals ausgeglitten und abgestürzt war.
Zahnärzte müssen ja eine große Fingerfertigkeit besitzen. Die des dicken Müller, der jetzt doch nur mit der Rechten die Karten ordnen, hochnehmen und ausspielen konnte, war staunenerregend. Genau so bewundernswert war sein Glück. Er gewann immer. Er beherrschte alle Feinheiten des Skates mit einer Gründlichkeit, daß er hätte Dozent für Skatkunst werden können.
Am zweiten Abend nach der Abreise von Suez hatte unser Dampfer „Westerland“ Maschinenhavarie. Wir mußten mit Hilfe der Notsegel in eine Bucht der Westküste einlaufen, wo es ein kleines Negerdorf gab.
Die deutschen Touristen begrüßten diese Abwechselung mit Jubel. Nur Müller schimpfte, weil selbst Benjamin Krögel an Land ging und mit den anderen eine Fußwanderung ins Innere unternahm.
Dies geschah gleich nach dem ersten Frühstück. Auf der Westerland waren also außer der Besatzung nur noch Karl Müller, Harst, ich und eine englische Familie zurückgeblieben, ein Ingenieur James[2] Hasting nebst Erzieherin seiner zwei Kinder, die nach Aden unterwegs waren, wo der Ingenieur eine gute Anstellung bei einem neuen Minenunternehmen gefunden hatte.
Hasting war Engländer vom Scheitel bis zur Zehe. Er hielt sich ganz für sich. Bei Tisch an der gemeinsamen Tafel sprach er nur mit seiner Frau. Er war klein und mager, aber sehnig, und in seinem Gesicht lag stets ein Ausdruck von hochmütigem Selbstbewußtsein.
Ich wunderte mich, daß Harst sich nicht unseren Landsleuten angeschlossen hatte. Als wir beide jetzt in Liegestühlen unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck verdauten und Zigaretten rauchten, meinte ich ein wenig ironisch:
„Ein Wunder! Du bist nicht, wo Hilde Held ist! Oh – sie wird Dich für treulos halten, Harald!“
Er blickte mich merkwürdig ernst an.
„Ich bin hier nötiger, lieber Kerl. Wirklich! Ich muß achtgeben, daß Dir nichts passiert und auch beobachten, was passiert!“
„Blech!“ meinte ich gutgelaunt. „Willst Du mir durch solche Unkenrufe die Freude an diesen köstlichen Erholungstagen verderben?! – Ich bin ja so froh, daß ich hier nicht jeden Moment zu fürchten brauche, Du könntest mich wieder zu einer Deiner berühmten, stets lebensgefährlichen Berufsunternehmungen als Begleitmann kommandieren. Hier ist die Luft rein. Hier treibt kein Cecil Warbatty sein Unwesen.“
„So?!“
Ach – wie gedehnt, wie vielseitig war dieses eine Wörtchen!
Ich ruckte zusammen, flüsterte: „Himmel – ist etwa gar unser Feind an Bord?“
Harst schaute auf einen Albatroß, der soeben pfeilschnell aus dem Wasser einen handlangen Fisch herausgeholt hatte.
In diesem Augenblick ging James Hasting gemessenen Schrittes der Kommandobrücke zu, wo sich auch das Funkerhäuschen befand.
Harst blickte ihm nach. „Der große Seevogel hat soeben den Fisch verschluckt,“ sagte er mit einer Betonung, die mich veranlaßte, nochmals zu fragen:
„Ist Warbatty wirklich auf unserer Westerland? – Ich bitte Dich – so rede doch! Zuweilen kannst Du selbst mein dickes Geduldtau zum Reißen bringen!“
„Dann schaff’ Dir nur ein noch dickeres neues an, lieber Schraut. Du hast ja selbst gewünscht, daß ich Deinen Lehrer spiele. Du willst die Feinheiten meiner Kunst Dir aneignen. Bisher steckst Du noch immer in den Anfangsgründen. – Hier bereitet sich etwas vor an Bord. Mehr sage ich nicht. Nun sperr’ selbst Augen und Ohren auf!“
Er erhob sich, schlenderte der Brücke zu und stieg die Treppe empor, entschwand so meinen Blicken.
Ich war allein und grübelte über seine Worte nach. Ich ließ sämtliche Passagiere an meinem geistigen Auge langsam vorüberziehen und suchte in dieser Weise nach Cecil Warbatty.
Da – ich hatte gefunden – gefunden: nur James Hasting konnte Warbatty sein. Nur er! Er trug ja stets Handschuhe, selbst bei Tisch! Und – unser Feind wollte natürlich durch diese Handschuhe den fehlenden linken Zeigefinger verdecken!
Also Hasting, dieser eingebildete Mensch, war unser Cecil! Daß er plötzlich hier mit einer Erzieherin und Kindern auftauchte, war bei ihm nicht weiter wunderbar. Er verfügte ja über alle Hilfsmittel, die es nur irgend geben konnte, seine wahre Persönlichkeit zu verschleiern.
Harst erschien jetzt wieder auf der Treppe. Ich eilte ihm entgegen.
„Du – ich weiß Bescheid!“ raunte ich ihm triumphierend zu. „Hasting ist unser Mann!“
Er nickte zerstreut, sagte: „Er hat soeben eine Funkendepesche nach Aden gesandt. Ganz sicher nach Aden. Ich muß doch mal versuchen, ob ich den Telegraphisten nicht so etwas aushorchen kann.“
Da kam der gallige Müller auf uns zu.
„Wer will mit ins Negerdorf drüben? Vielleicht kann man da Reiseandenken kaufen. – Na – halten Sie mit, Schreiner?“
Ich muß nachholen, daß Harst und ich als Kaufleute Heinrich Helmer und Martin Schreiner reisten und daß wir uns wieder nach Möglichkeit unkenntlich gemacht hatten. Wir spielten Zufallsbekannte, die nach Ceylon wollten, um dort größere Abschlüsse in Kaffee und Tee zu machen.
Ich erklärte, ich würde Müller gern begleiten. Harst lehnte ab. „Was soll ich in den stinkenden Hütten?“ meinte er achselzuckend. „Man holt sich dort höchstens Ungeziefer.“
Müller und ich ruderten in dem kleinsten Rettungsboot des Dampfers allein an Land, zogen das Boot ein Stück auf das Ufer und wanderten dem in einem Tale gelegenen Negerdorfe zu. Dieses bestand aus etwa fünfzig Bienenkorbhütten aus Schlammziegeln und Flechtwerk. – Harst hatte sich geirrt: es war hier im ganzen recht reinlich. Die Neger gehörten zu einer Mischrasse, waren schon ein wenig von der Kultur gestreift, da die italienische Kolonie Eritrea und deren Haupthafen nicht weit ab lagen, nicht allzuweit von hier entfernt waren.
Müller stöberte bald einen Araber auf, der etwas englisch sprach und im Dorfe als Händler weilte. Dieser lange Araber hatte ein Paar so stechende Augen, daß ich dem Kerl alles Schlechte zutraute.
Während ich mit einem greisen Schwarzen um ein schön gewebtes Stück Stoff feilschte, wobei wir uns durch italienische Brocken zu verständigen suchten, entfernte sich der dicke Zahnarzt mit dem Araber und erschien erst nach einer Stunde mit einem prachtvollen Dolch wieder, den er dem langen Muslim für ein geringes abgehandelt hatte. –
Erst abends um acht Uhr kehrten unsere Landsleute von ihrem Ausfluge zurück. Nur Hilde Held und Oberlehrer Schlicht, der Reisemarschall, waren noch im Negerdorfe zurückgeblieben, da dort gerade die Hochzeit eines schwarzen Jünglings mit einer schwarzen Jungfrau gefeiert wurde, wollten aber nach einer Viertelstunde an der Anlegestelle sein.
Wir, Harst, Müller, die Hastings und ich, hatten bereits die Abendmahlzeit hinter uns. Die anderen tafelten noch. Harst stand jetzt neben Kapitän Störmer auf der Brücke. Auch ich gesellte mich zu ihnen.
Störmer schaute sich vorsichtig um und sagte zu mir:
„Herr Harst hat sich mir soeben zu erkennen gegeben. Er ist etwas in Sorge um Fräulein Held: Doktor Schlicht ist ein schlechter Schutz für eine junge Dame inmitten einer Bande halb trunkener Neger. Wir sollen daher auch sofort nach dem Dorfe hinüber, aber auf Umwegen. Ihr Freund hält dies aus irgend einem Grunde für ratsam. Den Grund selbst verschweigt er leider.“
„Alles zu seiner Zeit,“ meinte Harst ernst. „Vorwärts also. Wir rudern zum Schein tiefer in die Bucht hinein und nahmen ein kleines Schleppnetz mit. Den anderen sagen wir, wir wollten versuchen, ein paar der farbenprächtigen Paradiesfische zu fangen.“
So geschah’s auch. Wir drei bestiegen ein größeres Boot. Harst und Störmer ruderten. Die Ufer bestanden stellenweise aus kahlen Felsen, die sich dann stets als kleine Landzungen in die Bucht hineinreckten.
Hinter einer dieser Felspartien, die uns dem Dampfer verbarg, landeten wir. Harst drängte zur Eile. Wir liefen dann im Bogen, stets uns in Tälern haltend, dem Negerdorfe zu.
Als wir uns so etwa von Süden her ihm näherten – inzwischen war es recht dunkel geworden –, jagten in der Ferne vier Kamelreiter an uns vorüber.
Harst hatte ein Fernglas mit, nahm es an die Augen und murmelte dann nach scharfem Hinspähen nach den schnell verschwindenden Reitern:
„Vielleicht kommen wir zu spät. – Trab, – es gilt Hilde Helds Sicherheit!“
Wir, Störmer und ich, wußten noch immer nicht, was Harst eigentlich befürchtete. Wir liefen jetzt, daß uns der Schweiß aus allen Poren drang. Endlich die ersten Hütten. Harst rannte dem Beratungsplatz in der Mitte des kreisförmig angelegten Dorfes zu. Dort jedoch nur noch verglimmende Feuer. Kein Mensch mehr zu sehen. Das Hochzeitsfest schien vorüber zu sein.
Ich wußte, wo die Hütte des Dorfältesten stand. Wir trommelten den alten Mann heraus, der ganz den Eindruck des wandelnden schlechten Gewissens machte.
Der Neger radebrechte etwas Italienisch.
„Wo ist die weiße Dame?“ herrschte mein Freund den Schwarzen an und spielte mit seinem Revolver. „Heraus mit der Sprache! Keine Ausflüchte! – Wo ist die Signora und der lange Signore mit der Brille?“
Der Neger beteuerte, die beiden seien schon vor einer halben Stunde nach der Bucht gegangen. Und davon ließ er sich auch nicht abbringen.
Harst wurde jetzt ganz ruhig. Ich kannte dieses Symptom an ihm. Wenn er so gelassen und gleichgültig schien, obwohl der Sachlage nach das Gegenteil zu erwarten war, dann bedeutete das stets den Auftakt zu bösen Ereignissen.
Harst nickte dem Neger ganz freundlich zu.
„Gut, – die beiden werden also längst an Bord sein. Da, mein Alter, – dies für die Störung Deines Schlafes!“ Er warf ihm eine Silbermünze zu.
Dann gingen wir davon.
Kaum hatten wir die Hütte des Dorfältesten außer Sicht, als Harst stehen blieb:
„Kapitän,“ sagte er, und seine Backenknochen traten vor, so mühsam beherrschte er sich, „hier ist eine furchtbare Schurkerei begangen worden. Schlicht ist vielleicht ermordet worden, und Fräulein Held wurde von Arabern entführt!“
Störmer machte dazu ein sehr zweifelhaftes Gesicht.
„Ich bitte Sie, Herr Harst,“ meinte er, „wir leben doch nicht vor einigen fünfzig Jahren! Da mag etwas derartiges möglich gewesen sein. Jetzt aber –“
Harst ging weiter. „Schnell zurück an Bord,“ unterbrach er den Kapitän. „Ich werde Ihnen beweisen, daß ich recht habe.“
Um halb zehn stiegen wir das Fallreep der Westerland wieder empor.
Aus dem Speisesaal, der gleichzeitig Spiel- und Gesellschaftsraum war, erklangen die Töne des Pianinos. Jemand spielte den Fledermauswalzer.
Wir fragten einen Matrosen, ob Fräulein Held und der Doktor an Bord seien.
Die verneinende Antwort war Harsts erster Beweis für die volle Berechtigung seiner Sorgen.
Wir eilten die Treppe zum Speisesaal hinab. Es ging hier sehr vergnügt her. Benjamin Krögel hatte Sekt auffahren lassen. Morgen feierte seine dicke Gattin Geburtstag. Da sollte schon der Vorabend recht heiter sein.
In diese ahnungslose Gesellschaft platzten wir drei mit unseren todernsten Gesichtern hinein.
„Na nu – brennt’s wo? Sie machen ja –“
Harst war schnell auf den dicken Zahnarzt zugetreten, der in einem Klubsessel lehnte und sich den arabischen Dolch wie eine Busennadel durch die Krawatte geschoben hatte.
Harst blieb dicht vor ihm stehen. Ein Griff, und er hatte den Dolch in der Hand. Ein zweiter Griff, und Müller flog lang auf den Teppich, mit dem Gesicht nach unten.
Da begriff ich, sprang trotz des allgemeinen empörten Geschreis mit zu und half Harald dem Zahnarzt die Arme auf den Rücken fesseln.
Um uns herum der reine Hexensabbath. Selbst Störmer brüllte uns grob an.
„Zum Teufel, – sind Sie denn verrückt geworden! So lassen Sie doch den kleinen Doktor in Ruhe!“
Harst nahm „Müller“ beim Kragen und zwang ihn in den Sessel zurück.
Wieder ein Griff, – und er hielt eine tadellos gearbeitete Scheitelperücke in der Hand. Noch ein Griff, – und des Zahnarztes buschiger Schnurrbart zierte nicht mehr das Gesicht eines – großen Verbrechers.
„Kapitän,“ sagte Harst nun sehr laut zu Störmer, „ich übergebe Ihnen hier den vielfachen Mörder Cecil Warbatty, den ich jetzt noch beschuldige, bei der Beseitigung des Oberlehrers und der Entführung Fräulein Helds mitgewirkt zu haben.“
Totenstille folgte diesen Worten. Dann – und es war dies etwas, das niemand vermutet hätte! – dann hob Warbatty den bisher tief gesenkten Kopf und verbeugte sich mit einem zynischen Grinsen vor Harst:
„Mein Kompliment! Ich hätte nicht gedacht, daß Sie mich erkennen würden. – Nun – ich habe eben Pech gehabt! Damit, Ihnen hier auf der Westerland zu begegnen, hatte ich nicht gerechnet!“ Und zu Störmer gewandt: „Kapitän, ich bin Cecil Warbatty! Ich verlange aber als englischer Untertan den englischen Behörden in Aden ausgeliefert zu werden. Lassen Sie mich in Eisen legen. Es ist Ihr gutes Recht.“
Ich war sprachlos. Ich hatte diesen geradezu unheimlichen Menschen doch schon von den verschiedensten Seiten kennen gelernt. Aber – diese ungeheure, kaltblütige Frechheit überstieg denn doch alles, was ich diesem Manne zugetraut hatte.
Harst beobachtete Warbatty scharf. Als dieser nun schwieg, fragte er hastig:
„Wo ist Fräulein Held geblieben? Wo Doktor Schlicht?“
Warbatty hob die Schultern. „Keine Ahnung!“ – Er beherrschte auch das Deutsche tadellos, sprach es ganz wie ein geborener Berliner.
„Sie lügen!“ sagte Harst mit eisiger Ruhe. „Sie waren es, der mit dem arabischen Händler drüben im Negerdorfe sich zusammengetan hat, um die junge Dame zu rauben, die Sie zu irgend welchen schändlichen Zwecken ausnutzen wollen!“
„Hirngespinste!“ erklärte Warbatty unbekümmert. „Ihre rege Detektivphantasie spielt Ihnen einen Streich. Was geht mich ein blondes Mädel wie die Held an?! Meine Ziele sind andere.“
Harst nahm den Dolch vom Tisch auf.
„Warbatty, diese Waffe hat eine besondere Bedeutung,“ meinte er. „Ich habe jetzt nicht die Zeit, mich mit Ihnen noch weiter zu befassen. Ich werde Hilde Held finden – tot oder lebendig!“
Dann sagte er zu Störmer: „Kapitän, ich rate Ihnen dringend, diesen Mann so zu bewachen, daß jeder Fluchtversuch von vornherein unmöglich ist. Und dann: geben Sie auf Ihren Dampfer acht! Ich vermute, Warbatty wird die Neger überredet haben, Ihr Schiff zu überfallen, auszuplündern und zu versenken, alle Weißen aber nach dem Sudan hin als Sklaven zu verkaufen. – Lächeln Sie nicht so ungläubig! Bedenken Sie: die Westerland liegt hier in einer ganz entlegenen Bucht. Kein Mensch weiß, daß Sie diese Bucht haben ansteuern müssen! Und kein Mensch wird je erfahren, wo der Dampfer geblieben, wenn er hier erst zehn Meter unter Wasser liegt!“
Störmer wurde nachdenklich, meinte dann:
„Sie haben recht, Herr Harst! Vorsicht kann nicht schaden.“
Zehn Minuten später brachte ein Boot uns beide in aller Stille an einer Stelle mehr nach der offenen See zu an Land.
Und wieder eine halbe Stunde drauf hatte Harst dem Dorfältesten für eine hohe Summe, die den Schwarzen ganz gefügig machte, zwei Reitkamele nebst Sattelzeug abgekauft.
Wir hatten nur kleine Bündel mit dem Allernotwendigsten von der Westerland mitgenommen. Inzwischen war der Mond aufgegangen. Harst fand auch bald die Fährte der vier Kamelreiter. Wir folgten ihr, so schnell es ging. Dann etwa gegen zwei Uhr morgens bogen die Spuren aus der sandigen Wüste in ein steiniges Tal ein. Gleichzeitig sahen wir links vor uns ein paar helle Lichter.
Die Fährte war auf dem harten Boden nicht mehr zu erkennen. Wir hielten also auf die Lichter zu. Und nach zehn Minuten trafen wir auf ein paar moderne Häuser, trafen zwei Neger, die uns sagten, der Ort vor uns sei die kleine Hafenstadt Imadri.
Wir jagten den Hafenanlagen zu, wo bei elektrischem Licht gerade ein großer Dampfer seine Ladung löschte.
Eine Stunde brauchte Harst, bis wir herausgebracht hatten, daß ein Schoner, der dem arabischen Händler Selim Mustafa gehörte, soeben erst den Hafen verlassen hatte, nachdem dessen Besitzer von einer Handelstour die Küste entlang zurückgekehrt war.
Mehr war nicht zu erfahren. Harst mietete sofort ein gedecktes, großes Motorboot, welches Eigentum eines holländischen Kaufmanns war, auf unbestimmte Zeit, hinterlegte als Sicherheit eine größere Summe und erreichte, daß wir gegen vier Uhr morgens mit dem Benzinkutter die Verfolgung des Schoners aufnehmen konnten.
Der Holländer Reikmer hatte uns zwei seiner Leute, die mit der Bedienung des Bootes vertraut waren, mitgegeben. Die beiden waren Mulatten und machten einen recht intelligenten Eindruck. Harst versprach ihnen eine hohe Belohnung, wenn wir den Schoner einholen würden.
Wir begegneten ein paar Küstenseglern, die wir anriefen. Der Schoner war fraglos nach Süden zu unterwegs. Das hatten wir in kurzem mit aller Sicherheit festgestellt.
Es wurde heller und heller. Harst stand auf dem Kajütaufbau mit seinem Fernglas und suchte den Horizont ab. Bei dem schwachen Winde konnte der Schoner keinen zu großen Vorsprung haben. – Bisher hatten wir nicht die Zeit gehabt, uns in Ruhe aussprechen zu können. Mir brannten hundert Fragen auf der Zunge. Wenn ich je Harald Harsts geradezu an das Übernatürliche grenzendes Kombinationstalent bewundert hatte, dann war es bei den Vorgängen auf der Westerland gewesen. So einfach diese Geschehnisse auch schienen: überlegte man sie sich genauer, so stieß man überall auf die Beweise für meines Freundes scharfe Beobachtungsgabe und Fähigkeit, Dinge miteinander in logische Verbindung zu bringen, die dem gewöhnlichen Sterblichen nie beachtenswert erschienen wären. Ganz unerklärlich war mir zum Beispiel, wie er Warbatty in der Verkleidung des Zahnarztes Müller so schnell hatte durchschauen können und wie er sogleich auch über das Schicksal Hilde Helds das richtige vermutet hatte. – Nun – ich wußte: wenn er die Zeit für gekommen hielt, würde er schon sprechen.
Jetzt setzte er das Glas ab und sagte fast verzweifelt:
„Nichts von dem Schoner – keine Spur! Und wir hätten ihn längst überholt haben müssen! Das arme Mädchen! Sie hat mir anvertraut, daß sie heimlich verlobt ist. Der Bräutigam gehört einer schwerreichen Hamburger Patrizierfamilie an, die natürlich mit allen Mitteln sich gegen diese Heirat wehrt. Hilde ist ja ganz einfacher Leute Kind. Und Hamburger Patrizier sind hochmütiger als ein frischgeadelter Herr „von“ Meir, dessen Ahnen noch im Judenviertel von Warschau hausten. – Eine verdrehte Welt, mein lieber Schraut! Überall lächerliche Vorurteile und kurzsichtige Überhebung! – Was tun wir nur, um das Mädchen diesen arabischen Halunken zu entreißen! Hier sehe ich meine Ohnmacht ein. Das Wasser der Meere verwischt jede Spur. Der Schoner kann den Kurs geändert und schnell in eine der zahlreichen Buchten der Küste hineingeschlüpft sein! – Was tue ich nur!?“
Müde und hoffnungslos hob er das Fernglas wieder an die Augen. Dann – sein Körper straffte sich.
„Schraut, halbrechts ein Schoner! Er muß es sein! Die Takelung verrät ihn, auch der knallgelbe Anstrich!“
Er rief dem Mulatten am Steuer zu, direkt südwärts zu steuern.
Zehn Minuten drauf jagte unser Motorkutter im Bogen um den Schoner herum, an dessen Deck acht Leute sich befanden, drei Araber und fünf Neger.
Harst brüllte hinüber: „Wir wollen an Bord! Dreht sofort bei!“
Ich hatte nimmermehr geglaubt, daß die farbige Bande gehorchen würde. Aber – der Schoner ließ wirklich die Großsegel fallen und lief in den Wind, schaukelte bald träge auf den schwachen Wellen.
„Willst Du etwa hinüber und das Schiff durchsuchen?“ meinte ich warnend. „Bedenke – es sind ihrer acht und sicherlich Leute, denen es auf einen Mord nicht ankommt.“
Er hörte gar nicht hin, fragte vielmehr:
„Schraut, erkennst Du dort drüben den Händler, der in dem Negerdorfe war?“
„Nein. Der Mann befindet sich nicht unter den acht. Er war auffallend groß und trug den schwarzen Bart spitz geschnitten.“
„So. Dann wag’ ich’s!“ meinte er. „Begleite mich. Tritt ganz sicher auf. Ich hoffe die Schufte zu überlisten.“
Der Kutter legte an dem kleinen Fallreep an. Harst kletterte an Deck. Ich folgte ihm auf dem Fuße. Einer der Araber kam uns entgegen, ein kleiner Kerl mit furchtbaren O-Beinen. Der Mensch sah aus, als hätte er soeben eine Tracht Prügel bekommen.
„Schlechtes Gewissen!“ murmelte Harst.
Der Säbelbeinige bücklingte sehr europäisch und kauderwelschte auf Englisch-Französisch:
„Master, was steht zu Diensten?“
„Dieser Schoner ist doch Selim Mustafas Eigentum? – Er sagte mir, das Schiff sei gelb gestrichen.“
„Sehr richtig, Master. Er gehört Selim Mustafa.“
„Ah – das freut mich. – Ich habe mit Deinem Herrn – Du bist doch wohl der Kapitän? – ein kleines Geschäft abgeschlossen. – Du weißt, was dieser Dolch bedeutet?“
Er hatte in die Brusttasche gefaßt und die kostbare Waffe, deren Griff in einen Petschaftknopf auslief, hervorgezogen.
Der Araber nickte eifrig.
„Master, ich sehe, daß Selim Euch großes Vertrauen schenkt.“
Harst lächelte freundlich. „Das tut er. Er hat mir nahegelegt, Dir den Dolch wieder auszuhändigen, sobald Du mir die junge Weiße übergeben hast. Ich habe sie ihm abgekauft. – Die Verfolger sind hinter Euch her, läßt Selim Euch sagen. Ihr sollt daher sofort einen Schlupfwinkel aufsuchen und dort mindestens acht Tage bleiben. – Bringe das Mädchen mit verhülltem Kopf auf Deck. Es darf uns beide nicht sehen, meinen Handelsfreund und mich. – Vorwärts nun. Wir müssen eilen. Eine englische Privatjacht, die 24 Knoten läuft, ist auf unserer Spur.“
Der Säbelbeinige bücklingte wieder, ging zu seinen Genossen, beriet mit diesen und kam dann zu uns zurück, meinte:
„Master, wenn Ihr ein Vertrauter Selims seid, so werdet Ihr auch wissen, wohin wir das Mädchen bringen sollten. Gewiß: der Dolch ist der beste Ausweis für Euch. Aber – wir müssen vorsichtig sein!“
Harst klopfte ihm auf die Schulter. – Ich aber dachte: Nun kommt der Reinfall! Harst hat ja keine Ahnung über das Fahrtziel des Schoners!
Doch – Harald erklärte sehr ruhig: „Nach Steamerpoint in Aden.“ (Der Handelshafen Adens liegt auf der Westseite der gleichnamigen Halbinsel in der Tuwaji-Bai.)
Der Säbelbeinige war befriedigt. „Gut, Master, – wir bringen das Mädchen!“
Und sie brachten Hilde Held mit dicht verhülltem Kopf an Deck, wo wir sie absichtlich recht grob scheinbar mit fort in den Kutter und dessen kleine Kajüte zerrten.
Harst nahm Hilde Held schnell die Decke vom Kopf.
„Keine Angst weiter, liebes Kind,“ sagte er zu der Bedauernswerten, die halbtot vor Angst war. „Sie sind gerettet.“
Der Kutter raste bereits davon. Und hinter uns her hagelte die Schmähflut der Flüche der Araber, denen Harst den Dolch nicht übergeben hatte und die jetzt merkten, daß sie die Hineingelegten waren. Denn Harst war sofort wieder an Deck geeilt und hatte ihnen ironisch zugerufen:
„Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Schufte aufgehängt werdet! So wahr ich kein Mädchenhändler bin!“
Hilde erholte sich schnell. Bald konnte sie ein wenig lächeln. Und sie meinte, sie hätte gewußt, daß Harst sie befreien würde. „Ein Mann wie Sie bringt alles fertig,“ fügte sie in ehrlicher Bewunderung hinzu.
Sechs Stunden drauf lief unser Kutter in dieselbe Bucht ein, in der die Westerland noch immer vor Anker lag. Unsere Ankunft rief einen wahren Freudentaumel hervor, zumal sich auch Oberlehrer Schlicht wieder eingefunden hatte, den die Neger wohl aus Angst vor einer Strafexpedition freigegeben hatten.
Inzwischen hatten wir uns von Hilde Held bereits erzählen lassen, was sich am vergangenen Abend in dem Negerdorfe abgespielt hatte. – Als die Ausflügler es auf dem Rückwege nach dem Dampfer erreichten, waren alle noch auf dem Beratungsplatz stehen geblieben und hatten dem Treiben der schwarzen Hochzeitsgesellschaft zugeschaut. Hilde Held und Schlicht waren dann von dem Dorfältesten (sie standen etwas abseits von den übrigen) aufgefordert worden, das neue Heim des heute vermählten Paares in Augenschein zu nehmen. Der Alte hatte dabei so getan, als ob dies eine hohe Auszeichnung für die beiden Touristen wäre, da die geschmückte Hütte eigentlich von niemandem betreten werden dürfe; das bringe Unglück.
Der alte Nigger winkte dann einen jüngeren Schwarzen herbei, und dieser führte Hilde und Schlicht nach der Westseite des Dorfes, schlug hier den Mattenvorhang einer großen Bienenkorbbehausung zur Seite und – stieß die beiden Ahnungslosen mit brutaler Kraft dann in die Hütte hinein, wo beide sogleich im Dunkeln Decken über den Kopf bekamen und gebunden wurden. – Der Dorfälteste aber hatte den anderen Touristen, die sich nach Hilde und Schlicht bald umgesehen hatten, erklärt, sie seien nach der Hochzeitsstätte gegangen und wollten wohl noch länger dem Feste zuschauen. – Hilde wurde eine Stunde später von einem Kamelreiter in den Sattel genommen und weggebracht. Den Oberlehrer hatte man nach dem Begräbnisplatz des Dorfes getragen und dort an eine Palme angebunden. Nachher ließen die Schwarzen ihn frei, als sie mit Sack und Pack, Kind und Kegel in aller Stille flüchteten und ihren bisherigen Wohnsitz aus Furcht vor den Folgen ihrer Mithilfe bei dem Mädchenraub aufgaben. –
Dies berichtete uns Hilde. Und ihre Schilderung wurde nun noch durch Doktor Schlichts Angaben ergänzt. Erwähnen muß ich noch, daß Hilde einige Brocken arabisch verstand und während des nächtlichen Rittes gehört hatte, daß ihre Entführer, von denen sie im ganzen respektvoll, wenn auch streng behandelt worden war, mehrfach von dem Schamschan, Einsiedler sprachen, an den sie verkauft werden sollte. –
Die Westerland verließ abends die Bucht. Der Maschinenschaden war ausgebessert. Kapitän Störmer hatte Warbatty im Vorschiff in eine Kammer eingeschlossen, nachdem er dessen Stricke gegen stählerne Hand- und Fußfesseln ausgetauscht hatte. Harst überzeugte sich persönlich, daß Warbatty nicht entweichen könne. Es schien dies tatsächlich unmöglich.
Nach dem Abendessen hatte Störmer uns in seine behagliche Kajüte zu einem Glase Sekt eingeladen, – Harst, Hilde Held, Schlicht und mich.
Hier nun war es der Oberlehrer, der auf meines Freundes außerordentliche Begabung zu sprechen kam.
„Ich habe in den Zeitungen Ihren Namen so häufig in Verbindung mit der Aufdeckung rätselhafter Verbrechen gefunden,“ meinte er. „Es wäre mir interessant, zu erfahren, wie Sie zum Beispiel herausgemerkt haben, daß Müller kein anderer als Warbatty war und daß –“
Harst hatte sich schon liebenswürdig verbeugt.
„Also ein kleines Privatkolleg,“ lächelte er. „Sehr gern! – Nur – ich werde mich ganz knapp fassen. – Warbatty ist klein; ihm fehlt der linke Zeigefinger. – Ich beargwöhne daher jeden, der seine linke Hand so oder so zu verbergen sucht. Hier an Bord taten’s zwei –: Müller und der handschuhtragende Hasting. Ob beide absichtlich die Linke nicht sehen ließen, mußte sofort nachgeprüft werden. Bei James Hasting war dies sehr leicht. Ich beobachtete bei Tisch, daß er auch im Handschuh den linken Zeigefinger ganz normal bewegte. Wäre dieser Finger nur ausgestopft gewesen, hätte er ihn nicht so natürlich bewegen können. Hasting war mithin harmlos. Dann der Zahnarzt. Ich horchte Sie, Fräulein Held, ganz unauffällig aus. So erfuhr ich, daß Müller sich Ihrer Touristengesellschaft erst vor wenigen Tagen in Kairo angeschlossen hatte, daß er, als er sich dann angeblich den Unterarm gebrochen, sich jede Hilfeleistung verbeten hatte und allein nach Kairo schleunigst zurückgekehrt war, um dort von einem Arzt sich einen Verband anlegen zu lassen. Kein Arzt wird nun heutzutage einen Gipsverband so ungeschickt herstellen, daß auch die ganze Hand mit von den Gazebinden verdeckt wird. Der Verband sah eben zu sehr nach – Schwindel aus, zu sehr lediglich nach einer Schutzhülle für eine vierfingerige Hand. Da nun der Tag, an dem Warbatty sich in Kairo als Landsmann Müller an Ihren Kreis herangemacht hatte, mit der Zeit seines Entweichens aus Suez übereinstimmte, wo ich ihm abermals einen Riesenbetrug vereitelt hatte, war es wirklich nicht schwer auf den Gedanken zu kommen, dieser geriebene Verbrecher habe den Armbruch nur vorgetäuscht, um vorläufig seine Hand verbergen zu können. Als Sie, Fräulein Held, mir dann noch zu sagen wußten, der Zahnarzt Müller habe hellgelbe, viel zu weite Zwirnhandschuhe getragen, als Sie ihn kennenlernten, und diese auch nie in Ihrer Gegenwart abgelegt, da war ich meiner Sache ganz sicher. – Warbatty ist mein Todfeind; ich bin sein rücksichtslosester und gefährlichster Gegner jetzt; ich schone ihn nicht mehr. Er hat so viele Menschenleben auf dem Gewissen, daß man alle Bedenken zurückdrängen und ihn kaltblütig niederschießen muß, falls er nur Miene macht, sich zur Wehr zu setzen. Das hätte ich jetzt ganz fraglos getan. – Dies über mein Verhältnis zu ihm. – Als ich ihn hier erkannt hatte, war ich natürlich dauernd auf meiner Hut vor einem Anschlag, denn daß Warbatty auch mich und Schraut unter unserer jetzigen Maske durchschaut hatte, bewiesen mir Kleinigkeiten, die ich hier nicht aufzählen will. Daß er sich zum Beispiel als tadelloser Skatspieler gerade einen solchen Skatstümper wie den guten Schraut aussuchte, war schon vielsagend genug für mich.“
Harst schwieg und rauchte schnell ein paar Züge seiner Zigarette. Da rief Hilde leise: „Mein Gott – welch ein Leben führen Sie, Herr Harst! Es muß doch geradezu nervenzerstörend wirken, dauernd von Gefahren umlauert zu sein!“
„Oh,“ meinte Harald scherzend, „ich bin eine viel größere Gefahr für gewisse Leute als diese für mich! Und: ich könnte ohne diesen ständigen Nervenkitzel gar nicht mehr existieren. Schraut auch nicht. Nicht wahr, lieber Kerl?“
„Na – für meinen Geschmack könnte der Nervenkitzel etwas schwächer sein,“ erklärte ich ehrlich.
Harst prostete mir zu, sagte: „Er tut nur so, als ob er unseren Beruf nicht genau so liebt wie ich. Er ist nur entsprechend seiner Korpulenz etwas bequemer.“
Die anderen lachten. Die Stimmung war recht vergnügt. – Harst fuhr dann fort: „Nun zu den Ereignissen in der Bucht. – Müller und Schraut besuchen das Negerdorf. Schraut erzählt mir nachher, daß Müller sich mit einem arabischen Händler abgesondert und von diesem einen Dolch gekauft habe. Er beschreibt mir den Dolch. Und – sofort taucht in mir die Erinnerung an eine Orientreise auf, die mich bis an den Fuß des Himalaya-Gebirges und auch nach Aden führte, wo ich mich vier Tage als Gast eines englischen Majors der dortigen Festungsbesatzung aufhielt.
Major Robertson kannte Arabien und Nordafrika besser als London. Er war nebenbei Gelehrter, und er wußte von Geheimnissen, die nie an die Öffentlichkeit dringen. Wir waren Freunde von Berlin her, wo er ein Jahr bei der Englischen Botschaft gewesen. Eines Abends zeigte er mir einen Dolch, dessen Griff mit Türkisen in Form einer Schlange verziert und oben mit einem Petschaft versehen war, dessen Gravierung aus scheinbar planlos eingekerbten Punkten, Strichen und kleinen Kreisen bestand. – Er erzählte mir eine sehr abenteuerliche Geschichte, wie er in den Besitz der prachtvollen Waffe gelangt war, erzählte mir von einem arabischen Geheimbund, dessen Führer gegenüber den anderen Mitgliedern diesen Dolch als Erkennungszeichen benutzen. Er drückte auf einen der Rubinen. Die Petschaftplatte sprang auf, und unter dieser lag ein kleines, zusammengefaltetes Stückchen Pergament, auf dem ganz ähnliche Zeichen wie auf dem Petschaft zu sehen waren. – „Dieses Pergament ist noch wichtiger als der Dolch. Der Geheimbund, eine weitverzweigte Bande von Dieben, Betrügern, Sklavenhändlern und nebenbei auch politischen Unruhestiftern, hat drei oberste Führer und zweiundzwanzig Unteranführer. Nur die drei besitzen Dolche mit der beweglichen Petschaftplatte. – Wenn diese Bande wüßte, daß einer dieser Dolche in meinem Besitz ist, könnte ich getrost mein Testament machen.“ – So sprach Robertson damals.
Als Schraut mir den Dolch beschrieb, wußte ich sofort Bescheid. Niemals würde der arabische Händler diese Waffe verkauft haben. Nein – hier konnte es sich nur darum handeln, daß der Händler und Warbatty-Müller sich über einen gemeinsamen gewinnbringenden Streich geeinigt hatten und daß der Araber Warbatty den Dolch leihweise als Ausweis gegenüber einem anderen Mitglied des Bundes überlassen hatte. Dann waren Fräulein Held und Doktor Schlicht im Negerdorfe angeblich freiwillig zurückgeblieben. – Bester Herr Oberlehrer, Sie dürfen jetzt nicht gekränkt sein, wenn ich sage, daß Sie ein viel zu – vorsichtiger Herr sind, um allein für eine Dame unter einigen zweihundert Schwarzen den Beschützer zu spielen. Niemals hätten Sie diese Verantwortung übernommen, Fräulein Held vor der teilweise berauschten schwarzen Bande zu beschirmen. – Als ich mir dies klar gemacht hatte, brachte ich Ihr beider Verbleiben im Dorfe sofort mit Warbatty, dem Araber und dem Dolch in Verbindung, was ja gewiß recht nahe lag, wenn man Verständnis für weibliche Schönheit besitzt, die hier sehr leicht den Händler und Warbatty zu einer Entführung hätte reizen können. – Sie sehen, meine Herrschaften, all diese Kombinationen entbehren jedes Anscheins von –“
Er schwieg plötzlich.
Ich muß hier folgendes einschalten: Harst saß so, daß eines der beiden runden Fenster der Kajüte, das offen und unverhängt war, ihm gegenüber lag. Ich hatte neben Harst einen Korbsessel inne. Vor uns stand der Tisch. Dahinter saßen auf einem Korbsofa Hilde Held und Schlicht, während Kapitän Störmer wieder an der linken Schmalseite seinen Platz hatte.
Auf dem Tisch standen Gläser, Aschbecher, zwei Likörflaschen und ein hoher, silberner Sektkühler in Gestalt eines Wurzelstockes einer Eiche. –
Harst hatte also soeben mitten im Satz mit Sprechen aufgehört, bückte sich nun und rief:
„Kapitän, entschuldigen Sie, ich habe, fürchte ich, mit meiner Zigarette in Ihren schönen Perser ein Loch gebrannt. – Donnerwetter – wo ist denn nur die Zigarette!“ Er verschwand ganz unter dem Tisch, der mit einer langen Decke, einem golddurchwirkten Kaschmirgewebe, belegt war.
„Aha – endlich habe ich sie!“ hörten wir nun seine Stimme.
Und dann – wir alle schnellten entsetzt hoch – dann zwei Schüsse kurz hintereinander.
Dann draußen vor dem offenen, runden Kajütfenster ein gellender Schrei.
Harst tauchte wieder auf. In der Rechten hielt er den Revolver.
„Entschuldigen Sie,“ sagte er sehr ernst, „– hier ging’s soeben um mein Leben. Während ich die letzten Sätze vorhin sprach, bemerkte ich dort vor dem Fenster einen hellen Fleck – ein Gesicht, dann ein mattes Blinken – einen Revolver. Da ließ ich meine Zigarette schnell fallen, suchte sie zum Schein, hob die Tischdecke vorsichtig an und – zielte auf den Kopf draußen. Doch Warbatty hatte mich durchschaut, feuerte zuerst, schoß vorbei –“
Er faßte sich in die Schläfenhaare, nahm dort einen kleinen Haarbüschel weg, hob ihn hoch:
„Sie sehen: ein Zentimeter weiter nach links, und die Kugel hätte mich erledigt für alle Zeit. – Leider habe auch ich vorbeigeschossen. Hätte ich getroffen, würde Warbatty nicht mehr diesen Schrei haben ausstoßen können. Er suchte mich und Sie durch den Schrei zu täuschen, wollte den Eindruck hervorrufen, daß er schwer verletzt ins Meer gefallen sei, denn die Fenster liegen ja außenbords.“ –
Gleich darauf stellten wir fest, daß Warbattys Zelle leer war. Störmer ließ den Dampfer von oben bis unten durchsuchen. Alle Herren unter den Passagieren beteiligten sich hierbei. Harst und ich selbstverständlich auch. Warbatty blieb verschwunden.
Harst meinte dann, man solle doch mal die vorhandenen Korkwesten und Rettungsringe durchzählen.
Es fehlte eine Korkweste und ein Ring.
„Dann schwimmt Warbatty jetzt im Roten Meere,“ sagte Harst.
Störmer wollte die Westerland wenden und zurückdampfen, um den Verbrecher zu suchen. Harst jedoch machte auf das Aussichtslose dieses Unternehmens aufmerksam; – jetzt bei Nacht würden selbst Scheinwerfer wenig nützen, fügte er hinzu.
Der Kapitän sah das ein. So setzte die Westerland denn ihre Fahrt unaufhaltsam fort. –
Gegen Mitternacht standen wir beide neben Störmer auf der Kommandobrücke. Ein zauberhaft schöner Sternenhimmel spannte sich über dem durch seine Siedeglut so verrufenen Roten Meere aus. Die Sterne schienen ganz tief zu hängen wie elektrische Birnen an unsichtbaren Schnüren. Das Kreuz des Südens strahlte in unvergleichlicher Pracht.
Harst war still und nachdenklich, sagte dann unvermittelt:
„Dieser Warbatty wird uns in Aden wieder begegnen, davon bin ich überzeugt. Wenn der arabische Händler Selim Mustafa ihm den Dolch geliehen hat, den ich jetzt besitze, dann wird er ihm auch einen Namen genannt haben, den in Aden jedes Kind kennt, den des Einsiedlers vom Dschebel Schamschan, eines Derwisches, der als Wundertäter berühmt und der, wie Major Robertson behauptete, das oberste Haupt jenes Geheimbundes nebenbei noch ist. Selim Mustafa hat ja während des Kamelrittes, wie Hilde Held hörte, den Einsiedler vom Schamschan wiederholt erwähnt.“
Störmer schüttelte ärgerlich den Kopf.
„Zum Teufel, bester Herr Harst, ich würde diesen Halunken nicht weiter verfolgen,“ meinte er halb ärgerlich. „Fräulein Held hat ganz recht: Ihr Beruf würde selbst mir zu nervenbeunruhigend sein!“
„Geschmackssache!“ erwiderte Harst achselzuckend. „Ich habe hier an Bord noch jemand, der mich interessiert und dem ich in Aden etwas – auf die Finger sehen will. Bei einer solchen lockenden Fülle von Geheimnissen ist es schwer, auf Warbatty zu verzichten.“
„Noch jemand?“ fragte Störmer verwundert. „Ja – habe ich denn auf der Westerland diesmal nur fragwürdiges Gesindel?!“
Harst erwiderte nichts, begann nach einer Weile über Mädchenhändler und ihre verschiedenen Methoden zu sprechen, ihre lebende Ware heimlich und heimtückisch nach dem Orient zu verschachern. – Als ich ihn nachher bat, mir zu sagen, wer denn derjenige sei, den er hier noch beargwöhne, bekam ich wieder das bekannte ironisch-vorwurfsvolle: „Aber Max Schraut!“ zu hören.
„Weißt Du denn wirklich nicht, wen ich für wert halte, daß ein Harst ihm auf die Finger sieht?!“ fügte er hinzu.
„James Hasting,“ meinte ich unsicher.
„Vielleicht!“
Am übernächsten Morgen warf die Westerland im Handelshafen von Aden Anker. Wir jedoch waren bereits vier Stunden früher in aller Heimlichkeit noch während der Dunkelheit auf einen plumpen Fischkutter übergestiegen, der uns dann gegen gute Bezahlung nach der Conquest-Bai südwestlich des Dschebel Schamschan brachte, wo wir erst mittags landeten.
Aden ist das Gibraltar des Ostens. Diese kleine, felsige Halbinsel, 6 Kilometer breit, etwa 5 Kilometer lang, aufsteigend am Südrande zu dem Berggebiet des erloschenen Vulkanes Schamschan hat England am Ostausgang des Roten Meeres zu einer uneinnehmbaren Feste ausgebaut. Die Stadt Aden liegt auf der Ostseite einige vierzig Meter über dem Meere. Rund 150 000 Menschen bevölkern diese hochwichtige Kolonie Britanniens, darunter etwa 2500 Europäer.
Aden ist ein Backofen zu jeder Jahreszeit. Wenn irgendwo, dann würde man hier jegliche Kleidung entbehren können. Die Felsmassen saugen die Sonnenhitze tagsüber auf, strahlen sie nachts wieder aus. Ließen sich all die Schweißtropfen, die hier fließen, in Trinkwasser verwandeln, wäre es besser mit der Wasserversorgung dieser Steinwildnis bestellt. Trinkwasser wird hier zumeist durch Destillation des Meereswassers gewonnen. Eine recht kostspielige Sache.
Das mag über Aden genügen. Daß der Handelshafen auf der Nordwestseite der Halbinsel liegt, habe ich ja bereits erwähnt. –
Als der Fischkutter uns abgesetzt hatte, wanderten wir auf dem am Meeresstrande entlanglaufenden Fahrweg der Stadt zu. Sobald ein Gefährt oder ein Fußgänger auftauchte, verbargen wir uns. – Harst wußte hier gut Bescheid. In der Stadt besaß ein Deutscher namens Sachsenhauer einen Laden: Bedarfsartikel für die ärmere Bevölkerung. Es war ein Kaufhaus im kleinen.
Oskar Sachsenhauer erkannte Harst, der jetzt keine Verkleidung trug, sofort wieder, führte uns in seine Wohnung über dem Geschäft und machte uns mit seiner Familie – Frau und zwei erwachsenen Töchtern – bekannt.
Harst fragte nach Major Robertson.
„Ach – der hat ein schreckliches Ende vor etwa einem Jahr gefunden,“ erklärte unser Landsmann ehrlich betrübt. „Er ist im Dschebel Schamschan abgestürzt und wurde zerschmettert in einer Schlucht erst nach Wochen zufällig entdeckt. Ich hatte ihn immer schon gewarnt, die Bergfexerei nicht zu übertreiben. Er kroch ja sozusagen jede freie Minute in den Bergen herum, immer allein. Manche Leute behaupten hier, er hätte einen Schatz gesucht, von dem er irgendwie Kenntnis erhalten. Ich glaube das nicht.“
Er räusperte sich. „Hm ja – Sie sind ja nun ein berühmter Detektiv geworden, lieber Herr Harst. Ich habe immer in den Berliner Zeitungen mit wahrer Gier nach neuen Erfolgen bei Ihrer Millionenwette gesucht. Mit Ihnen möchte ich – gerade mit Ihnen! – gern über Robertsons Tod genauer sprechen. Der Major hat mir viel genützt, hat mich stets halb als Freund behandelt. Und – es ist uns, mir und den Meinen, sehr nahe gegangen, als seine Schwester, die er vor zwei Jahren, als seine Eltern in England verstarben, hierher nachkommen ließ, so spurlos verschwand. Es war ein sehr hübsches Mädchen, die Elsi Robertson, so frisch und natürlich. Der Major liebte sie über alles. Und wie sie dann von einem Spaziergang nicht heimkehrte, wie dann alles Suchen umsonst blieb, da wurde Robertson ein völlig anderer, da begann seine Leidenschaft für das Bergkraxeln. – Hm, ehrlich gestanden, Herr Harst, – ich glaube, der Major hat im Dschebel Schamschan keinem Schatz, sondern vielmehr seiner Schwester nachgespürt.“
„Das glaube ich auch,“ meinte Harst. „Als ich damals vor vier Jahren hier war, herrschte in der Stadt große Aufregung wegen des Verschwindens zweier Schwestern, zweier Schwedinnen, die zu einer Damenkapelle gehörten. – Sie besinnen sich noch.“
„Natürlich!“ Abermals hüstelte unser Landsmann, flüsterte dann ganz leise: „Ich nehme an, Major Robertson hat eine Entführung seiner Schwester durch arabische Mädchenhändler geargwöhnt.“
„Denselben Verdacht habe auch ich,“ nickte Harst.
„Wirklich?!“
„Wenn Sie und Ihre Damen mir fest versprechen, über das zu schweigen, was ich Ihnen jetzt anvertrauen will, dann – könnten wir vielleicht auch den Verbleib von Elsi Robertson feststellen, Herr Sachsenhauer. – Nun gut, – ich habe also Ihr Versprechen.“ – Er begann unser Abenteuer auf der Westerland zu erzählen, flocht dabei den auch mich interessierenden Satz ein: „Wenn ich dem Kapitän des Schoners also mit so großer Bestimmtheit sagte, Hilde Held solle nach Aden gebracht werden, so war das von mir durchaus kein Schuß ins Blaue hinein, sondern eine sehr kühl überlegte Antwort. – Robertson hatte den Dolch hier in Aden halb und halb geraubt; der Händler Selim besaß genau denselben Dolch, nur ohne bewegliche Petschaftplatte; der Schoner steuerte südwärts; in Aden waren schon öfters Mädchen verschwunden. Also hiernach vermutete ich hier eine geheime Mädchenhändlerzentrale. Und das Verhalten des Schonerkapitäns – die Herausgabe Fräulein Helds – bestätigte dann ja auch, daß ich richtig geraten hatte: die junge Lehrerin sollte hier verschachert werden!“ –
Ich will unser Gespräch mit dem Landsmann hier nicht näher anführen. Jedenfalls teilte er Harsts Verdacht, konnte uns jedoch keinerlei Fingerzeige geben, wo man den Schlupfwinkel dieser Menschenfleischkrämer zu suchen hätte. – Er besorgte uns zwei Anzüge arabischer Hafenarbeiter, half uns beim Färben der Gesichter und Arme und zeigte uns eine Pforte in seiner Gartenmauer, durch die wir, da sie in eine Lagerspeichergasse mündete, unbemerkt aus- und eingehen konnten.
Um sechs Uhr nachmittags verließen wir sein gastliches Haus, wohlversehen mit Proviant und zwei Feldflaschen kaltem Tee.
Ich hatte keine Ahnung, was Harst beabsichtigte. Nur eins ahnte ich: die kommende Nacht würde wieder etwas aufregend werden.
Wir wanderten zunächst nach dem Handelshafen wieder am Meere entlang. Die Westerland lag am Kai und löschte ihre Ladung. Wir gingen an Bord und fragten nach Arbeit. Störmer stand auf dem Vorschiff mit einem Araber im Gespräch. Dieser Araber mußte seiner Kleidung nach ein sehr reicher Mann sein. Er hatte einen langen, breiten, bereits leicht ergrauten Bart, eine messerscharfe Hakennase und ein Paar große, lebhafte Augen.
Der erste Offizier der Westerland hatte uns erklärt, wir sollten morgen früh uns wiedereinfinden. Es gebe dann Kohlen zu bunkern. Als wir uns noch auf Deck herumdrückten, schnauzte er uns an und jagte uns weg. Mit Recht, denn die Araber stehlen wie die Raben.
Wir stellten uns hinter einen Stapel von Kisten, bis der reiche Eingeborene sich von Störmer verabschiedete. Dann liefen wir über die Planke auf das Vorschiff, bekamen den Kapitän so allein zu sprechen und freuten uns, daß er uns erst erkannte, als Harst plötzlich das Deutsche an Stelle des Hafenkauderwelsches benutzte.
„Vorsicht!“ flüsterte Harst. „Tun Sie weiter so, als wären wir „echt“. – Wer war der Graubart, der Sie soeben verließ?“
„Der reichste Mann Adens, Ali ben Barka. Er hat Datteln nach Europa zu verfrachten.“
Auch Sachsenhauer hatte diesen Barka erwähnt, der hier ein prachtvolles Schloß mit großem Park besaß.
„Sprach er mit Ihnen nur über geschäftliche Dinge?“ fragte Harst jetzt.
„Oh nein. Wir sind alte Bekannte. Er erkundigte sich, ob wir gut Wetter bei der Herreise gehabt hätten. Ich habe ihm erzählt, daß wir in der Bucht im Roten Meer recht aufregende Stunden durchgemacht haben.“
„Hm! Hoffentlich haben Sie nicht zu viel von mir gesprochen. Sagten Sie diesem braunen Krösus, daß wir, Schraut und ich, die Westerland heimlich verlassen hätten?“
„Bewahre! – Er fragte nach Ihrem Verbleib. Ich erwiderte, Sie beide seien sofort mit der Lady Macbeth nach Bombay weitergefahren.“
„Sehr gut so!“
„Hören Sie, Verehrtester, – Sie scheinen Ali ben Barka für einen von denen zu halten, die nicht ganz „hosenrein“ sind!“
„Vielleicht, lieber Störmer! – Wo ist Hilde Held zur Zeit?“
„Mit den übrigen Landsleuten drüben in der Stadt.“
„So –“ Harst wollte noch etwas hinzufügen, schaute jedoch scharf nach dem Kai hinüber, flüsterte dem Kapitän dann zu:
„Schnell – geben Sie uns irgend eine Arbeit sofort – nur zum Schein –“
Und er griff schon nach einer Kiste, wälzte sie näher der Reling zu.
Störmer war so verblüfft, daß er erst nach Sekunden begriff daß Harst fürchtete, irgend jemand könnte uns in unserer Verkleidung erkennen, wenn wir weiter so gemütlich miteinander plauderten. Er rief mir also nun zu, eine andere Kiste aus dem Wege zu räumen.
Nach einigen Minuten winkte Harst mir und wir verließen den Dampfer, indem wir Störmer nicht weiter beachteten.
Wir schritten dem Postgebäude zu. Vor uns ging ein Soldat mit Korkhelm und Nackenschleier. – Harst raunte mir zu:
„Bleib’ zehn Meter zurück. Tu, als gehörten wir nicht zusammen.“
Es dunkelte bereits. Plötzlich flammten dann die Bogenlampen auf.
Der Soldat hatte jetzt einen hochgewachsenen Araber eingeholt, sprach ihn an. Ich sah, daß es Ali ben Barka war.
Sie gingen gemeinsam weiter. Vor einem der auch hier vorhandenen Hotels hielt ein Auto. Barka und der Soldat stiegen ein und fuhren nach Süden davon. Dort hart am Abhang eines Berges lag unweit der Straße das Schloß des reichen arabischen Handelsherrn. Harst hatte es mir gezeigt, als wir auf dem Herwege daran vorüberkamen.
Wir folgten dem Auto nun, hatten bald die letzten Häuser hinter uns. Hier wartete Harst auf mich, sagte dann mit mühsam unterdrückter Erregung:
„Warbatty ist hier! Ich bemerkte ihn, als wir uns vorhin mit Störmer unterhielten. Er lugte nach der Westerland hinüber. Deshalb auch meine plötzliche Arbeitswut.“
„Ah – Warbatty! Er lebt also wirklich noch!“
„Sogar sehr! Er sieht recht gut in Uniform aus.“
„Etwa der Soldat, der mit Ali ben Barka –“
„Wer sonst?!“ unterbrach er mich. „Die Sache hier wird recht interessant! – Wir wollen jetzt mal fromm werden und dem Einsiedler von Schamschan einen Besuch abstatten, der bekanntlich nur nach Dunkelwerden die zahlreichen Pilger empfängt, die zu ihm wallfahrten, und auch nur wöchentlich zwei Mal – Dienstags und Donnerstags. Und heute haben wir Donnerstag.“
Wir schritten schneller aus. Zwei Wagen kamen uns entgegen, rasten vorüber. – Harst war stehen geblieben, schaute ihnen nach.
„Du – das waren unsere Touristen von der Westerland. Die hatten’s ja mächtig eilig! Mir scheint –“ Er starrte vor sich hin, sagte dann hastig: „Zurück nach der Westerland! Hilde Held fehlte. Ich ahne Böses.“
Eine Viertelstunde drauf wußten wir, daß die junge Lehrerin in der Basarstraße in Aden spurlos verschwunden war – vor etwa drei Stunden, daß die Polizei bereits nach ihr suchte und daß Hildes Verlobter, von Bombay kommend, mit ihr heute abend ein Zusammentreffen auf der Westerland verabredet gehabt hatte.
Dieses Stelldichein hier im Orient hatte sie Harst damals verschwiegen, als sie ihm anvertraute, daß sie heimlich verlobt sei.
Der wundertätige Derwisch von Schamschan bewohnte eine natürliche Grotte nördlich der Conquest-Bai in einem öden, tiefen Tale. Der Höhleneingang lag in einer bogenförmigen Felswand, die den Hintergrund eines terrassenartigen Felsvorsprungs bildete. Der Weg dorthin war leicht zu finden. Wanderte doch jetzt eine förmliche Schlange von Pilgern durch die Wildnis über schmale Pfade. Wir schlossen uns dem Zuge an und hielten uns nachher auf der Terrasse ganz hinten, um ja nicht etwa als Ungläubige erkannt zu werden. Die fanatischen Muslims hätten uns totgeschlagen. Trotzdem bekamen wir genug zu sehen und zwar an allerlei Kranken, die von dem weißhaarigen Greise Heilung erhofften. Der Derwisch trug nichts als einen Mantel aus Affenfellen, hockte hinter einem stark qualmenden Feuerbecken und rief den Ratsuchenden in heiseren Tönen seine Weisungen zu. Langsam bewegte sich eine Kette brauner Menschen so an ihm vorüber. Allerlei Gaben häuften sich neben dem Feuerbecken auf. – Es war ein so seltsames, nächtliches Bild, daß ich tatsächlich öfters dachte, ich träumte das alles nur.
Jetzt reihten wir uns als letzte der Schlange an. Weiterer Zuzug war nicht mehr zu erwarten. Mitternacht war längst vorüber.
Harst warf sich wie alle vor dem Becken lang zu Boden, faßte dann in seine schmierige Leinenjacke und – reichte dem Derwisch wortlos den Dolch.
Der Alte, der hinter dem dicken Qualm nur hin und wieder sichtbar wurde, musterte den Dolch sehr genau, stand dann auf, trat aus der Höhle hinaus, schaute nach, ob noch mehr Pilger außer uns da seien, und winkte uns dann, nachdem Harst durch eine Handbewegung angedeutet hatte, daß wir beide zusammengehörten.
Der Derwisch warf Holzstücke in das große Becken. Die Flammen schlugen hoch, beleuchteten uns grell. Er blickte uns scharf prüfend an, winkte dann nochmals, ging in die Grotte hinein, die sofort eine kurze Biegung nach rechts machte. Hier brannte eine Petroleumlaterne. Sie stand auf einem Holztischchen. Sonst war nichts von Einrichtungsgegenständen zu bemerken.
Der Alte lehnte sich an die Felswand, sprach ein paar Worte. Ich kann und konnte auch damals nur einige dreißig arabische Wörter. Immerhin verstand ich, daß er wissen wollte, woher wir kämen.
Harst nickte und tat, als suche er in seinem Kittel nach irgend etwas. Dann – und hiermit hatte ich niemals gerechnet! – hatte er den Alten plötzlich bei der Kehle, riß ihn zu Boden und schlug ihm den Revolverkolben gegen die Schläfe.
„Los – hilf mir ihn binden und knebeln.“
Im Nu war’s geschehen. Dann trugen wir den Derwisch auf die Terrasse und fesselten ihn hier in einer Felsspalte so an einen Stein, daß er ohne fremde Hilfe sich nicht befreien konnte.
„Es ist Ali ben Barka – kein anderer!“ sagte Harst jetzt und leuchtete dem Alten mit seiner Taschenlampe ins Gesicht. „Schau’ nur, wie fein der Kerl sich geschminkt und den Bart gepudert hat. – Ich gebe zu: diese Lösung hatte ich nicht erwartet! – Komm’, ich werde Dich nach Barkas Schloß einen besonderen Weg führen – unterirdisch. Ich wette, die Höhle zieht sich bis nach dem Schlosse hin, das von hier keine 800 Meter entfernt jenseits der Talhöhen liegen muß.“
Harst nahm die große Petroleumlampe mit und ging voran. – Die unterirdische Grottenwelt mit ihrer kühlen Luft erschien uns nach dem oberirdischen Backofen Aden wie ein Paradies. Hier den richtigen Weg trotz zahlreicher Seitenhöhlen zu finden, war nicht schwer, da Ali ben Barka bei seinem häufigen Hin und Zurück bereits etwas wie einen Pfad glatt getreten hatte. Dieser Pfad endete nach zehn Minuten vor einer primitiven Holztreppe, die durch eine breite Öffnung in der Höhlendecke nach oben zu sich fortsetzte. Wir erklommen die zahlreichen Stufen und standen nun in einem kastenähnlichen Bretterverschlag, in dessen der Treppenmündung gegenüberliegender Wand eine sehr niedrige Tür sich abzeichnete. Sie war unverschlossen. Dahinter lag Mauerwerk, und in dieses kunstvoll eingefügt eine Geheimtür, die in ein großes, europäisch eingerichtetes Gemach hineinführte.
Wir standen jetzt still und lauschten angestrengt. Von rechts durch eine durch Vorhänge verhüllte Türöffnung drang undeutlich ein metallisches Klirren bis zu uns herüber. Es war hier ganz dunkel. Harst schlich nach der verhängten Tür hin. Ich blieb dicht hinter ihm. Er schlug die schweren Stoffe auseinander. Ein Blick in den Nebenraum genügte. Dort hatten soeben zwei Männer mit Zeugfetzen als Masken vor den Gesichtern einen veralteten eisernen Geldschrank aufgebrochen und ihre Beute in eine Tischdecke eingebunden.
Der eine flüsterte jetzt, indem er nach einer der beiden brennenden Laternen griff:
„Schnell, – der Alte kann jeden Augenblick wieder hier sein. Allzu viele Pilger waren es heute nicht.“
Dieser Mann war klein und trug die Kleidung der ärmeren arabischen Stadtbevölkerung.
Der andere schulterte schon das Bündel. „Von mir aus können wir uns aus dem Staube machen,“ meinte er, nahm die zweite Laterne und wandte sich der Tür zu, hinter deren Vorhängen wir standen.
Da – erfolgte das Entsetzliche, – geschah etwas, das ganz zu Warbattys Methode paßte, sich seiner Genossen stets zu entledigen.
Blitzschnell hatte der Kleinere eine eiserne kurze Brechstange ergriffen und seinen Helfershelfer durch einen Hieb auf den Hinterkopf niedergestreckt. Den lautlos Umsinkenden fing er geschickt auf und ließ ihn auf den Teppich gleiten, faßte dann in die Tasche, holte ein Fläschchen hervor, beugte sich über den Ohnmächtigen und wollte diesem den Inhalt des Fläschchens zwischen die Lippen gießen.
Harst jedoch war schon hinter ihn getreten. Dann ein Griff, ein Hieb mit dem Revolverkolben und der kleine Eingeborene fiel kraftlos über den anderen hinweg. Harst riß ihm den Zeugfetzen ab, deutete auf die linke Hand, an der der Zeigefinger fehlte: es war Cecil Warbatty.
„Auch den zweiten kennst Du,“ meinte Harst. „Ingenieur James Hasting, in Wahrheit ein – Mädchenhändler, der die Erzieherin seiner Kinder hier in Aden verschachert hat.“ –
Nachdem wir die beiden sehr sorgfältig gefesselt und nach unten in eine Nebengrotte geschafft hatten, kehrten wir in Ali ben Barkas Arbeitszimmer zurück, wo auf dem Schreibtisch neben dem erbrochenen Panzerspind ein Telephon stand. – Harst ließ sich mit dem Polizeiamt in Aden verbinden. Dort gab es offenbar große Aufregung, als er seinen berühmten Namen nannte und den Polizeiinspektor vom Nachtdienst bat, Barkas Schloß sofort in aller Stille umzingeln zu lassen, selbst aber mit zehn Beamten vor die Höhle des Wunderderwisches zu kommen, wo wir ihn erwarten würden.
Der Inspektor Springfield entpuppte sich dann als ein sehr energischer Mann. Ohne jede Rücksicht auf die Unverletzlichkeit eines Harems wurde das ganze Schloß des reichen Arabers von oben bis unten durchsucht. In einem verborgenen Gemach des Harems fand man denn auch wirklich unter dem Schutz zweier Eunuchen sowohl Hilde Held als auch Miß Jane Harpers, die Erzieherin. Nur Elsi Robertson und die beiden Schwedinnen konnten nirgends entdeckt werden. Sie waren offenbar anderswohin verkauft worden.
Als Hilde Held hinter den eindringenden Polizisten Harst gewahrte, der ihr aufmunternd zulächelte und den sie wohl nur an diesem gütigen Lächeln erkannte, flog sie ihm aufschluchzend an die Brust. Nicht etwa, daß sie ihn liebte! Nein – sie sah in ihm nur den Mann, der sie nun zum zweiten Male vor einem furchtbaren Schicksal bewahrt hatte.
Die ganze Dienerschaft des Schlosses wurde verhaftet. Ali ben Barka, Warbatty und Hasting kamen jeder in eine besonders gesicherte Zelle des Polizeigefängnisses.
Als wir gegen fünf Uhr morgens Hilde Held nach der Westerland geleiteten, erzählte sie uns, wie es möglich gewesen, daß man sie in der Basarstraße so spurlos hatte verschwinden lassen. – Sie war etwas zurückgeblieben und bewunderte vor dem Gewölbe eines Spitzenhändlers die Auslagen, als der Kaufmann, ein dicker Türke, ihr gewinkt und zugeflüstert hatte, er könne ihr eine sehr schöne, etwas beschädigte Decke ganz billig abgeben.
Kaum war sie ein paar Schritt von der Tür des Gewölbes entfernt im Innern des Ladens, als ihr der Boden plötzlich unter den Füßen schwand. Sie stürzte in einen großen Sack von dickem Stoff, verlor vor Schreck das Bewußtsein und kam erst in dem Haremsgemach wieder zu sich. –
Ich will hier gleich einfügen, daß Harst dann dafür sorgte, daß auch der Türke sofort dingfest gemacht wurde. –
Als wir auf der Westerland eintrafen, sahen wir Kapitän Störmer mit einem jüngeren schlanken Herrn auf der Kommandobrücke stehen. Es war dies kein anderer als Hilde Helds Verlobter. Wir wurden so Zeugen eines Wiedersehens zwischen den Brautleuten, das Harst zu der Bemerkung veranlaßte:
„Lieber Kapitän, meinen Sie nicht auch, daß es ein ganz hübscher Lohn für die kleinen Aufregungen meines Berufes ist, wenn man ein solches Bild vor sich hat wie unser Brautpaar dort und wenn man sich sagen darf: Ohne Dich wär’s vielleicht ganz anders gekommen!“
Störmer drückte Harst fest die Hand. „Sie haben recht – wie immer! – Nun müssen Sie mir aber noch eins erklären: woher wußten Sie, daß Hasting Mädchenhändler und Warbattys Genosse war? Und wie hängt eigentlich die Ausplünderung des Geldschrankes des „frommen“ Derwisches Ali ben Barka mit alledem zusammen?“
„Also wieder ein Privatkolleg! – Nun gut. Sie sehen ja, Kapitän, auch Schraut spitzt die Ohren. Er befindet sich nämlich noch im Lehrlingsstadium. Aber ich bin ein maulfauler Lehrer. Daher nur das Nötigste. – Hasting sendet eine chiffrierte Funkendepesche nach Aden. Kaum erledigt, spricht er „Zahnarzt Müller“ an, klagt über Zahnschmerzen, verschwindet in Müllers Kabine, der doch – kein Zahnarzt war. Und – Hasting trägt dauernd Handschuhe! Auch sehr faul. Er muß also irgend ein Merkmal an den Händen haben, das er verdecken will. Nun wissen wir ja: einen riesigen Leberfleck auf dem rechten Handrücken. Und einen solchen Mann sucht die Londoner Polizei, wie man bei der hiesigen wußte, als gefährlichen Mädchenhändler. Dies vorweggenommen. – Ich habe mir dann heimlich aus dem Telegrammbuch der Westerland die Chiffredepesche abgeschrieben. Empfänger war der sehr ehrenwerte Ali ben Barka, den Major Robertson schon vor jenen vier Jahren als einen recht fragwürdigen Herrn hingestellt hatte. – Wenn ich Ihnen nun noch sage, Kapitän, daß mir bekannt war, Warbatty plane hier einen neuen Streich, wenn ich daran erinnere, daß Landsmann Sachsenhauer über das Verschwinden Elsi Robertsons sprach, daß der arme Major doch nur Bergfex wurde, um den von ihm beargwöhnten Derwisch beobachten zu können, der ihn dann natürlich hat beiseite schaffen lassen, so glaube ich, es Ihrem eigenen Scharfsinn anheimgeben zu können, sich die verbindenden Brücken zwischen diesen Einzelheiten zu konstruieren. Nur etwas will ich noch betonen: Hasting hat Jane Harpers, die Erzieherin, auf Warbattys Veranlassung hierher gebracht, damit die beiden Verbrecher als Gäste Ali ben Barkas Gelegenheit fänden, den Geldschrank in aller Ruhe zu erbrechen. – Sie werden sehen, Kapitän: Die Untersuchung gegen Warbatty und das andere Gelichter wird alles bestätigen, was bisher nur logisch aufgebaute Mutmaßungen sind. – Jetzt – gute Nacht! Ich gehe in meine Kabine und schlafe mich gehörig aus.“ –
Wir blieben drei Tage in Aden. Am zweiten Tage wurde uns bei unserer Vernehmung als Zeugen Cecil Warbatty, mit Ketten gefesselt, gegenübergestellt. Auch jetzt in dieser verzweifelten Lage verließ den Verbrecher seine liebenswürdige Frechheit nicht.
„Sie haben die Partie jetzt, so scheint’s, endgültig gewonnen, Master Harst,“ meinte er. „Ich spreche Ihnen abermals meine Hochachtung aus. Nur – in einem Punkte versagten Sie: ich hatte nämlich nur die Korkweste und den Rettungsring über Bord geworfen, während ich selbst in Hastings Kabine in dessen Reisekoffer saß. – Nun unfehlbar ist kein Mensch.“
Er gab alles zu, was ihm zur Last gelegt wurde. Da Aden zur Präsidentschaft Bombay gehört, sollte er dort vor dem Geschworenengericht abgeurteilt werden.
Wir benutzten dann die Westerland bis Bombay, da Harst mir noch Indien zeigen wollte. Kurz vor Bombay fing der Funkenapparat der Westerland eine Depesche auf, in der von Aden aus allen Polizeiämtern der Küstenplätze – das Entweichen des vielfachen Raubmörders Cecil Warbatty angezeigt wurde.
Harst sagte daraufhin zu Störmer und mir:
„Ich habe die Partie also doch noch nicht gewonnen. Und ich betrachte mich auch erst als Gewinner, wenn Warbatty tot ist.“ –
Die Zukunft lehrte, daß Harst auch hierin recht hatte. Der Kampf dauerte noch viele Wochen. Sein nächster Teil spielte sich dann in Bombay ab.
Anmerkungen: