Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 29 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Zwischen Meer und Lagune erhob sich auf schmaler Halbinsel der Urwald mit stämmigen Baumriesen, deren Luftwurzeln dem Gerüst einer Negerhütte glichen.
Halbtrockene Schlammfetzen, Seetang, in der grellen Sonne faulend, und Schlinggewächse, von hellem Lehm umklebt, gaben dem Gestrüpp zwischen den Stämmen ihr besonderes Gepräge.
Unser kleines Motorboot, in dem von Negern und Mischlingen bewohnten Hafennest an der Ostküste Yucatans mühsam für diese Fahrt ins Ungewisse gechartert, keuchte, knatterte und fauchte mit einem ermüdenden Schneckentempo wie ein waidwundes Walroß seinem Ziele zu. Der Besitzer, der sich Sennor Martinez nennen ließ und wahrscheinlich von allen Rassen der Erde je ein paar verseuchte Blutstropfen in den Adern hatte, war zugleich Herr Bürgermeister von Zaporra, so hieß die Banditensiedlung am Ausgang der endlosen, trübseligen, stinkenden Lagune.
Martinez war ein Schwätzer.
Was er dem Pater Menardus und mir über den alten Engländer vorflunkerte, der da im äußersten Nordwinkel der Lagune in völliger Einsamkeit hausen sollte, hätte meinen Appetit auf einen Extrabissen von Sonderling zweifellos stark angeregt, wenn dieser Mischling mit den Pockennarben und den schielenden Augen irgendwie glaubwürdig gewesen wäre.
Gott mochte wissen, wie der hinterhältige Bursche von der mexikanischen Regierung als Bürgermeister bestätigt worden war.
Wenn von diesem Ausflug für den Pater und mich nicht so unendlich viel abhängig gewesen wäre, würden wir uns weder Martinez noch seinem museumsreifen Benzinkahn anvertraut haben.
Martinez steuerte und überwachte den alle Augenblick aussetzenden Motor. Dabei rauchte er ununterbrochen Zigaretten, die er sich mit den schmierigen, gelbbraunen Spinnenfingern selber drehte. Daß das Zigarettenpapier durchgefettet und nicht nur nach ranzigem Öl, sondern auch nach Benzin duftete, machte der wenig verwöhnten Zunge des edlen Herrn nichts aus.
Sobald der Motor streikte, flossen Martinez’ Lippen von saftigen Flüchen über, die immerhin den einen Vorzug hatten, daß sie sich stets wiederholten. Sein Repertoire war nicht groß.
Wie geschmolzenes Blei lag die von Sandbänken und kleinen Inseln unterbrochene, reglose Oberfläche der Lagune unter der dunstigen Himmelsglocke. Die Sonne glich einem fahlen, verwaschenen Fleck, aber die Hitze war nervenermüdend, und der faulige Dunst des Brackwassers legte sich wie Klammern um die nach reiner Luft ringende Brust.
Das Fegefeuer der Hölle konnte kaum schrecklicher sein als diese feuchte Glut, in der wir dahinschlichen, umgeben von dem Gestank des Auspuffs des alten Motors, der sich auf diese Weise dafür rächen wollte, daß wir ihm noch immer trotz seiner Greisenjahre eine Arbeitsleistung zumuteten.
Lagunengestank und Auspuffdunst wanderten unverdrossen mit uns gen Norden zu Mac Intocks entlegenem Heim.
Martinez drehte eine neue Zigarette, schielte in die Ferne und begann abermals:
„… Sobald wir in den Nordarm einbiegen, Sennores, lassen Sie mich bitte zurück – irgendwo am Ufer. Mac Intock pflegt zuweilen Fremde mit Kugeln zu begrüßen und entschuldigte sich nachher damit, er hätte nur auf ein Krokodil gezielt.“
Pater Menardus blickte den verlogenen Schuft still und bewundernd an.
„Ihre Frechheit möchte ich besitzen, Martinez!“, sagte er mit leichtem Kopfschütteln. „Wenn dieser Mac Intock ein solcher Menschenhasser ist, wird er uns seinen Schoner niemals überlassen, sondern uns wegjagen und auslachen. Und das haben Sie vorher gewußt, – Sie wollten nur das Geld für diese Fahrt verdienen.“
Bruder Menardus, Gottesstreiter und Missionar, mochte diese Rüge für genügend erachten. Mir war die Galle etwas mehr ins Blut getreten.
„Falls Mac Intock sich überhaupt nicht sprechen läßt, erhalten Sie keinen Pfifferling“, erklärte ich mit einem ungemütlichen Griff nach dem Gürtel. „Sollte es also zwecklos sein, die Fahrt fortzusetzen, kehren Sie um, Sie …“, – der von mir benutzte Ausdruck eignet sich nicht recht für gedruckte Wiedergabe.
Martinez warf mir einen giftigen Blick zu, grinste dann, zeigte mir die fauligen Zahnstummel.
„Kehren wir um! Als Bezahlung habe ich Ihre Maultiere bereits in meinem Stall, und …“
Das Boot schwenkte bereits herum, rannte prompt auf eine schlammige Untiefe auf, die unser pockengezeichneter Kapitän übersehen hatte, und der greise Motor setzte mit Husten und Spucken wieder einmal aus.
Wir saßen fest.
Martinez beugte sich über Bord, zog die Knollennase kraus, fletschte die Zahnstummel und wiederholte sein spärliches Fluchrepertoire …
„Sennores, einer muß ins Wasser steigen, damit wir flott werden“, fügte er in einem Atem hinzu.
Da ich ihm am nächsten war, beugte ich mich vor, richtete mich halb auf, bekam den Herrn Alkalden beim Kragen seiner knallgelben Leinenjacke und tunkte den Zappelnden in die trübe Flut.
Martinez schrie wie am Spieß.
„Krokodile … lassen Sie mich los, – – ich werde Sie verhaften, ich werde …“
Sein Kopf verschwand samt meiner Hand im Wasser, und als Martinez prustend und spuckend wieder Luft schöpfen konnte, erklang irgendwoher rascher, taktmäßiger Ruderschlag, und hinter einer bewaldeten Zunge der Halbinsel schoß ein von acht Halbniggern besetztes Boot hervor, das bedrohlich schnell unserer Flanke sich näherte.
Ich zog Martinez eilends in den Benzinkahn und riß den Spucker heraus.
Ein Blick nach hinten bewies mir, daß auch der friedfertige Pater die Situation aus besonderen Gründen als absolut eindeutig einschätzte und gleichfalls die Pistole entsicherte.
Vier von den Schmierfinken in dem Boot ruderten, die vier anderen hatten plötzlich alte Militärkarabiner in den groben Fäusten, und unser Gastfreund und Bootsverleiher Martinez feixte derart höhnisch und herausfordernd, daß dieser Überfall jeglichen Anschein eines zufälligen Eingreifens von Strandbanditen verlor, und das abgekartete Spiel klar zu Tage trat.
Mein drohender Zuruf: „Stoppen, – – wir schießen!!“, wurde von drüben und von Sennor Martinez mit einem brüllenden Gelächter beantwortet …
Das Ruderboot war keine zwanzig Meter mehr entfernt …
Ich drückte ab, – – niemals wollte ich mich kampflos hier ausplündern lassen …
Das harmlose „Klick“ des gegen eine leere Patronenhülse schlagenden Bolzens der Pistole, und auch Pater Menardus’ gelassene Bemerkung: „Es hat keinen Zweck, Olaf …“ klärte die Lage noch mehr.
Martinez, der uns in seinem Hause ein Zimmer überlassen hatte, mußte nachts die Patronen aus unseren Waffen heimlich entfernt haben und außerdem unser Gepäck sehr sorgfältig revidiert und den bewußten Beutel gefunden haben, den ich nun unter dem halbseidenen Sporthemd trug. Einen offenen Diebstahl hatte der Herr Alkalde von Zaporra nicht gewagt, ihm war daher der glorreiche Gedanke gekommen, ein paar seiner Intimsten hierher vorauszuschicken und die Sache in der stillen Lagune ohne Zeugen zu befingern. Nachher konnte er einen feinen Bericht einreichen, zwei Fremde seien in der Lagune verunglückt und von den Krokodilen gefressen worden. Kein Hahn hätte dieserhalb auch nur ein einziges Krähen sich abgequält, denn Mexiko ist groß, Yucatan ist groß und die vorgesetzten Behörden sind genau wie anderswo zufrieden, wenn sie keine langwierigen Untersuchungen anzustellen brauchen. – Fremde, die auf Maultieren aus der Wildnis gekommen waren, die leichtfertigerweise erzählt hatten, sie besäßen hier nirgendwo Freunde und Bekannte, – wer kümmert sich um sie?!
Also?!
… Ein paar Kugeln, einen Stein ans Bein, hinab in den Schlamm, – – erledigt.
So mochte Martinez und seine Gilde sich die Geschichte ausgemalt haben.
Das Gemälde trügte.
Das brüllende Gelächter der Halbnigger war noch nicht verstummt, als ich Martinez abermals beim Wickel hatte, ihm die eigene Pistole, nein, es war nur ein betagter Revolver – aus der giftgrünen, malerischen Schärpe riß und dem wie ein leerer Sack Zusammensinkenden die Mündung an den Hinterkopf drückte …
„Stoppt sofort, – – oder …!!“
Die Bootsbesatzung geriet sichtlich in böse Verlegenheit.
Die Ruderer ließen die verrotteten Riemen schleifen, und Pater Menardus – ich hörte es an dem Knacken, mit dem der gefüllte Patronenrahmen in den Kolben glitt – schien nun gleichfalls jegliche friedfertige Gesinnung abgelegt zu haben und schußbereit zu sein.
Die da drüben ruderten langsam rückwärts. Martinez, halb tot von dem Schlagadergriff, mußte einem Sterbenden gleichen, ich konnte sein Gesicht nicht sehen, mir jedoch vorstellen, daß er einigermaßen ernüchternd wirkte.
Pater Menardus fragte hinter mir: „Soll ich Ihnen den Kerl abnehmen, Olaf? – Werfen Sie den Motor an, Sie verstehen mehr davon, vielleicht werden wir wieder flott.“
Im fahlen Licht der halb verhüllten Sonne glänzten die braunen Gesichter der Mischlinge im Ruderboot wie matte, dunkle Bronze[1]. Es waren alles stramme, breitschultrige Kerle mit Riesenstrohhüten auf den wolligen Schädeln, die vier mit den Karabinern glaubte ich wiederzuerkennen, ich hätte schwören mögen, es sei die Ortspolizei von Zaporra, aber diese Nigger- und Indianerabkömmlinge der Küste sehen einander meist so ähnlich wie ein faules Ei dem anderen.
„Nehmen Sie ihn!“, rief ich Menardus zu, und der Ortschef von Zaporra wanderte mit schleifenden Füßen auf die vordere Bank des Benzinstänkers.
Diese Gelegenheit hatte einer des Schützenklubs drüben zu einer Probe seiner Kunstfertigkeit benutzt. Ein Schuß dröhnte in die drückende Stille hinein wie die Detonation eines Geschützes, und Sennor Martinez stieß einen lästerlichen Fluch aus und heulte und jammerte, daß die wenigen Möwen und Kraniche und sonstigen Wasserbewohner rundum rebellisch wurden.
Die Kugel war Martinez durch die linke Schulter gefahren, und nach diesem unerwünschten Erfolg unterließen die Banditen jegliche weitere Knallerei.
Ich mühte mich mit dem Motor ab.
Das uralte Ding wäre vielleicht noch als Theatermaschine zur Erzeugung von Schlachtenlärm brauchbar gewesen.
Die Vogelwelt skandalierte, der Motor knallte, gurgelte, seufzte, und so sehr ich auch an der Kurbel drehte, – – es blieb beim Schlachtenlärm.
Dann hörte ich des Paters sonore Stimme, er erteilte den vier Karabinerhelden den freundlichen Rat, die Schießprügel wegzulegen, andernfalls …
Die Sache wurde entschieden langweilig.
In diesem Stadium unseres Erlebnisses in der Lagune Santa Theresa ereignete sich folgendes:
Ich merkte, daß die acht Kerle drüben plötzlich wie gebannt nach Norden stierten und hastig miteinander flüsterten. Ihre Gesichter, bisher schon gerade nicht sehr heldenmäßig, liefen grau an. Ein wildes Entsetzen schien ihnen jäh in die Knochen gefahren zu sein.
Martinez wimmerte nur noch.
Dann kreischte einer der acht:
„Der Alte …!!“
Martinez Kopf schnellte nach links.
Ein winziges Motorboot schoß herbei, darin ein einzelner, graubärtiger Europäer, – – lautlos sauste das Boot durch die bleierne Flut, lautlos schob es sich zwischen die Halbinsel und den Kahn der acht Mischlinge, drehte bei, stoppte, und der Insasse erhob sich von der Ruderbank. –
Mac Intock war kaum mittelgroß, unglaublich mager, unglaublich verbrannt, unglaublich gemessen in jeder Bewegung. Der kurz gestutzte Spitzbart, der grellbraune Tropenanzug, Kragen und farbige Krawatte bezeugten das Bestreben, sein Äußeres in diesem entlegenen Küstenstrich nicht etwa zu vernachlässigen.
Sein winziges Boot glitt neben das der acht Piraten.
„Gebt die Karabiner her“, sagte der Engländer im schönsten Küstenkauderwelsch mit einer Verachtung, als hätte er unreife Kinder vor sich.
Martinez betete plötzlich.
Tatsache: Er betete!
Seine Angst vor Mac Intock war noch größer als die seiner Spießgesellen.
Vier Karabiner, zwei Revolver und acht Messer verschwanden für immer im Schlammgrund der Lagune.
Martinez betete.
Auch darin war sein Repertoire nicht groß.
Mac Intocks Boot lag nun zwischen uns und den acht Jämmerlingen, die, vollkommen verstört, kein Glied rührten und stumpfsinnig und ergeben das weitere abwarteten.
Martinez betete.
Sein brabbelndes Lallen blieb vorläufig das einzige Geräusch.
Der graubärtige Engländer betrachtete uns eine Weile und schaute dann den Herrn Alkalden aus stahlharten grauen Augen an – wie eine Spinne eine Fliege, die im Netz zappelt.
„Martinez, vor einem Monat warnte ich dich zum letzten Mal …“, sprach Mac Intock gleichmütig. „Jetzt läuft der Brunnen über … Räuberischer Überfall mit Waffen, das gibt mindestens acht Jahre Zwangsarbeit, Martinez … Du hast sie reichlich verdient. Die armen Perlenfischer von Zaporra werden die Stunde segnen, wo man dir und deinen Freunden die Fußfesseln festschmiedet. Deine Schuld, – – du warst gewarnt …“
Er drehte den Kopf zurück.
„He, nehmt Martinez mit …! Und solltet ihr zu fliehen versuchen, – – nun, ihr wißt ja … Martinez’ Stellvertreter soll euch neun überreife Früchtlein sofort im Regierungsboot nach Progreso bringen. – Verschwindet jetzt.“
Aber der bisherige Alkalde von Zaporra betete nicht mehr, sondern winselte um Gnade und erschöpfte dadurch Mac Intocks Geduld.
„Schmeißen Sie den Kerl ins Wasser“, sagte er zu Bruder Menardus. „Mögen die anderen ihn herausfischen.“
Der Mann besaß eine unheimliche Ruhe.
Menardus zauderte, – ich beförderte den kreischenden Wicht über Bord, und Mac Intock drückte sein Boot neben den uralten Benzinkahn.
„Da – ein Beil … Schlagen Sie ein Loch in den Boden … Mit dem Boot hat Martinez mehr Perlenfischer ausgeplündert als Sie ahnen.“
Mit gurgelndem Geräusch versank der alte Motor samt dem Kahn in dem flüssigen Schlamm. Wir beide waren zu Mac Intock hinübergestiegen. Die neun Mischlinge ruderten wie besessen gen Süden und entschwanden um eine Biegung.
Auf diese Art bekam ich einen leichten Vorgeschmack von dem etwas rätselhaften Einfluß und Wesen eines Mannes, der, ein ungeheurer Menschenverächter, sich in der Einsamkeit vergraben hatte, um …
Ja, – – weshalb?!
Und zu welchem Zweck?!
Einen Zweck mußte Mac Intocks Einsiedlerdasein haben, denn ein Mensch, der der Zivilisation entfloh und ihr fast den Krieg ansagte, hält sich keine so prächtige, schnittige Ozeana, wie er sie … doppelt besitzt.
Weshalb also?!
Die eine Ozeana erforderte mindestens zehn Mann Besatzung, und die andere Ozeana fordert von mir mit hastigem Flüstern Aufschluß über tausend Dinge der großen Welt da draußen.
Soeben ist sie davongehuscht …
Die Lampe blakt in der Zugluft, – – die Tür öffnet sich wieder, und Mac Intock tritt ein.
Ich lege die Feder bei Seite.
Mir ist nicht ganz behaglich zumute.
… Ein anderes Bild … Drei Wochen früher.
Über die südlichen, unwegsamen, undurchdringlichen Wälder Südyucatans braust der Gewittersturm. Blitze knattern herab, der Donner hallt in den Walddomen verstärkt und nachrollend wider, finsteres Gewölk öffnet seine Schleusen, Regen prasselt auf das feste Dach der Hütte eines stillen, gütigen Missionars, der den Kindern der Wildnis viele Jahre Berater, Freund, Vater und Gotteskünder nach eigener Weise gewesen.
In Pater Menardus’ geräumigem Gemach brennen drei Öllampen aus Ton mit wollenen Dochten, die die Frauen der Galibi-Kariben aus dem präparierten Haar der Waldhasen gewebt haben.
Diese nächtliche Stunde war das Vorspiel für unseren Ritt zur Küste. Dort in der Stadt der Träume, im Tale der Sträflingskolonie, hatte mir der hochgewachsene Pater nur knappe Andeutungen über die Dinge gemacht, die seine Seele immer wieder beunruhigt hatten.
Unter der Begleitmusik tropischer Kanonaden hörte ich von ihm zum ersten Male die lückenlose Geschichte seiner sorgenden Gedanken.
„… Sie wissen, Olaf, daß ich gebürtiger Deutscher bin … Meiner Eltern Kinderschar stand in keinem rechten Verhältnis zu dem geringen Einkommen meines Vaters. Frühzeitig zerflatterte die Familie, der eine suchte hier sein Brot, der andere dort, – ich selbst, nun, das wissen Sie bereits. Aber mit hinein in die Abgeschlossenheit des Klosters, das mir neue Heimat ward, nahm ich das Bild meines jüngsten, sonnigen Schwesterleins, das, noch ein winziges Mädel, mit allen Fasern ihres jungen Herzens mir innigst verbunden gewesen …“
Ein neuer Blitz – – ein unheimliches Krachen in nächster Nähe, ein Dröhnen der Erde, ein Zittern des Bodens: Einer der morschen, überalterten Urwaldriesen war für immer zu Grabe gegangen. Sein Grab würde das grüne Gespinst des dichten Unterholzes werden, das so überraschend schnell wächst, und in seinem Kadaver würden Würmer, Larven, Käfer, Insekten wühlen, bis das Holz zu Staub zerfällt.
Wie Menschenschicksal: Staub sollst du werden!
„… Renate“, fuhr Menardus sinnend fort, „hat später einen Seemann geheiratet, der es bis zum Kapitän brachte und zuletzt den Bremer Dreimaster „Weserland“ führte. – Zuletzt … Als er Frau und Kind mit an Bord hatte und der stolze Dreimaster irgendwo im Golf von Mexiko sank. Das sind jetzt …“ – Menardus überlegte – „ja – – elf Jahre her … Damals wurde ich in Merida, der Hauptstadt Yucatans, für den Missionsdienst vorbereitet. In einer Zeitung, die der Wind wie einen fremden Vogel über die hohen Mauern der alten Klosterkirche trug, fand ich den Artikel über den Verlust des eisernen Dreimasters und den Tod der gesamten Besatzung, darunter die Kapitänsfrau und ihr[2] Töchterchen.
Meine Lieblingsschwester Renate war nicht mehr am Leben, – ich begriff es kaum. Ich hatte sie geliebt mit jener Überschwenglichkeit, die zuweilen ein älterer Bruder für ein Schwesterlein empfindet. Renate war für mich die einzige Brücke gewesen, die mich noch mit der fernen Heimat und dem Elternhause verband, diese Brücke war zerstört, – – ich lebte, saß im Baumschatten im Klostergarten, hatte die Zeitung auf den Knien, – – wie ich einst die kleine, sonnige Renate auf diesen Knien geschaukelt hatte.
Das bedruckte Papier, das mir ihren Tod so nüchtern verkündete, war, so glaubte ich, das letzte, was ich von Renate gehört haben würde.
Monate vergingen.
Der dumpfe Schmerz in meiner Brust über die zerstörte Brücke – von meinen Eltern und anderen Geschwistern wußte ich nichts – wollte sich nicht in jene stille Wehmut auflösen, die selbst der tiefsten Herzenswunde lindernder Balsam ist. Ich konnte Renate nicht vergessen.
Drei Jahre vor dem Untergang des „Weserland“ war sie bei mir in Merida gewesen. Eine Stunde durften wir uns sprechen, und diese Stunde war nun für mich geheiligt, obwohl Renate damals auf mich nicht den Eindruck gemacht hatte, sie sei restlos glücklich. Aber sie sprach sich hierüber nicht weiter aus, sie blieb dabei, ihr fehlte es an nichts, und seit sie sich Mutter fühlte, hegte sie die feste Hoffnung, daß auch die dunklen Wolken verschwinden würden.
Also waren Wolken vorhanden, die ihr das belebende Sonnenlicht absperrten, – – sie wich meinen behutsamen Fragen immer wieder aus, und eine Stunde verrinnt sehr schnell, wenn man sich ein halbes Menschenleben lang nicht gesehen hat.
Renates Tod weckte auch all diese Gedanken wieder zu bohrenden Zweifeln und Fragen, und in jenen Monaten, Olaf, verspürte ich zum ersten Mal mein Gelübde als eiserne Fessel, die mir die Seele wund scheuerte. Ich hätte in die deutsche Heimat zurückeilen mögen und Nachfrage halten, ob meine Renate in ihrer Ehe wirklich nichts zu klagen gehabt.
Dann – es war kurz vor meinem Aufbruch in die Wildnis – saß ich wieder einmal im Klostergarten unter dem uralten Mahagonibaum und suchte in heißem Seelenringen all das Fremde, das durch diese Todesbotschaft in mein Herz gedrungen, als unziemlich daraus zu verweisen.
Ein Stein flog über die Mauer, und um den Stein war ein Papier gewickelt, ein Brief.
An
den Pater Menardus,
durch gütige Vermittlung.
Renates Schrift!!
Eine Schrift, eine so klare, feste Handschrift, wie sie nicht vielen Frauen eigen.
Ich erkannte sie sofort, und meine Hände zitterten.
– Ich wünschte, ich hätte den Brief nie gelesen, Olaf. Ich verstieß auch gegen ein Verbot, als ich ihn las, denn mein Orden hält streng darauf, daß wir Brüder jeder Verbindung mit der Außenwelt entsagen, es sei denn, daß wir Dispens vom Prior hätten.
Renates Brief ist inzwischen zu unleserlichen Fetzen zermürbt, die ich in dieser kleinen Ledertasche samt dem flachen Goldbilde eines Heiligen auf der Brust trage. Ich durfte ihn behalten, der Prior erlaubte es, und ich nahm ihn mit hinein in die Urwälder, traf auf das Galibi-Dorf und blieb bei meinen braunen Kindern.
Das wissen Sie alles … Das erzählte ich Ihnen bereits.
Mein lieber Freund und Gefährte, aus dem Inhalt bin ich im Grunde nie recht klug geworden, so sonderbar das auch erscheinen mag.“
Bisher hatte ich in Pater Menardus’ Geschichte nichts als Alltägliches gefunden. Daß Segelschiffkapitäne ihre Frauen einmal mit an Bord nehmen, und daß gerade dann ein grausiges Schicksal Schiff und Besatzung hinabschickt in die Tiefen des Ozeans, – wo lag darin etwas Besonderes?! Und auch Menardus’ Lebensweg, was die letzten zehn Jahre betraf, war nichts so Außergewöhnliches, daß die überaus zarten Bande zwischen ihm und seiner Schwester darin einen farbenfrohen Hintergrund für große Daseinsprobleme gegeben hätten.
Jetzt erst begann mich seine Geschichte aus meinen halben Träumereien und aus meinem gelegentlichen schärferen Aufhorchen auf die Stimme des Gewitters draußen wachzurütteln.
Menardus’ stille Augen begegneten den meinen, und zögernd sprach er die dunklen, wortschweren Verse:
„Aus des Herzens Not
Flammt als feurig Rot
Wie der Abendsonne Schein
Mein Gebet durch mein Sein.
Stürme, Wellen tragen Worte,
In der Klippen düstre Orte,
Dem Gewissen jäh entrungen.
Sind verschwunden,
Kaum gefunden.
Aus des Herzens Not
Ragt das hart’ Gebot
Wie die spitzen Riffe,
Wie der Toten harte Griffe,
Die von mir die Sühne heischen
Und an meiner Seele reißen
Ohn’ Erbarmen …
Amen.
Renate.
… Nicht ein einziges Wort der Erklärung hierzu, Olaf …! Nicht eines. Nur dieser Versuch, Tatsachen und Empfindungen vorsichtig durch Andeutungen zu umhüllen. – – Ich habe nie feststellen können, wer der Bote gewesen, der mir den Brief zuwarf. Ich weiß überhaupt nichts mehr als dies: Renate lebte damals, als sie die Verse schrieb – – für mich, und das sind nun über zehn Jahre her. Ob sie noch lebt: Mein Gefühl sagt: Ja! Mein Herz, meine Seele haben mir dieses unverrückbare „Ja!“ volle zehn Jahre ununterbrochen zugeschrien, wie – – einen Befehl, möchte ich es nennen, Renate zu helfen.
Wer helfen will, muß die Hilfsbedürftigen suchen, Olaf.
Ich bitte Sie darum, mein Freund. Suchen Sie Renate, gerade Sie, der nicht nur ein Vagabund des Erdballs, sondern ein Mensch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck ist. Suchen wir beide, Sie mit Ihren vielseitigen Erfahrungen, ich mit der Macht des inbrünstigen Gebetes … Und wir werden finden.“
Draußen schwieg der Lärm des tobenden Gewitters.
In die jähe Stille – auch der Regen hatte aufgehört – drang nur von den Hütten der Kariben das leise Wimmern eines Säuglings und das jaulende Heulen eines mondsüchtigen Hundes …
In die jähe Stille tropfte, nachdem auch diese Laute verstummt waren, ein fernes, schwaches Grollen aus den Bergen wie der langsame, gedämpfte Klang einer dumpfen Kesselpauke.
Die Dochte der Lampe knisterten, und meine Gedanken glichen diesem Knistern, waren wie elektrisch geladen und spürten dem Geheimnis unbeholfener Verse nach, die doch tief in mein Innerstes hineingegriffen hatten, vielleicht deshalb, weil Menardus sie mit der Fülle seiner ausdrucksvollen Stimme gefeilt, vertieft und zu gespenstischer Bedeutung erhoben hatte.
Meine Hand fand den Weg in die des Paters wie unter einem höheren Zwange.
Worte waren überflüssig. –
Zwei Tage darauf ritten wir zur Küste und stießen nach unendlichen Irrwegen auf das Banditennest Zaporra und den pockennarbigen, schielenden, Zahnstummel zeigenden Alkalden Sennor Alvarez Petruzzio.
…
Aus des Herzens Not
Flammt als feurig Rot
Wie der Abendsonne Schein
Mein Gebet durch mein Sein …
… So weit hatte ich die Verse aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, und da war Ozeana Mac Intock nach kurzem, leisen Anpochen bei mir eingetreten und hatte die Tür lautlos zugedrückt und etwas scheu gebeten: „Darf ich bleiben? Ich kann nicht schlafen … Ihre Ankunft hat mich so erregt. Wir haben noch nie Gäste in unserem Hause gehabt, Mr. Abelsen, noch nie …“
Sie saß mir gegenüber in dem gepolsterten Rohrsessel und zog die schillernde Seide ihres Schlafrockes fester um ihren graziösen, kräftigen Körper, der mit einem lichtblauen Schlafanzug mit kokettem schwarzen Besatz bekleidet war. Ihre nackten kleinen Füßchen steckten in allerfeinsten gestickten Pantöffelchen, und die nackte bleiche Haut erschien zum leuchtenden Blau des leichten Schuhwerkes fast zu farblos.
„… Ich dürste nach dem Leben da draußen in der großen Welt“, sagte Ozeana mit ihrer jungen, starken Stimme und griff nach meinem Manuskriptblatt.
„Oh, – Sie schreiben Tagebuch?!“
Diese wilde, tropische Lagunenblüte, belesen und gebildet wie wohl selten ein Mädchen von siebzehn Jahren, stand außerhalb jener Formen, die man „gesellschaftliches Benehmen“ nennt.
Sie war Herrin eines prachtvollen Hauses, Herrin eines zauberhaft schönen Lagunenarmes, Herrin ihres geheimnisvollen Großvaters und der sechs Chinesen-Diener, die Mac Intock offenbar treuer ergeben waren[3] wie Hunde, und die für Ozeana sicherlich jede Sekunde freudig ihr Leben gelassen hätten.
Ozeana war Königin hier, eine junge Fürstin ohne Arg und Falsch, eine Selbstherrscherin …
Weshalb sollte sie fragen, ob es schicklich sei, meine Niederschrift zu lesen?!
Sie las die Verse, und ihre dunklen, leicht gewölbten Brauen zogen sich enger zusammen, und auf der hohen, gebräunten Stirn erschien eine scharfe Falte, die sich bis in das leicht gelockte kastanienbraune Haar vertiefte.
Mit einem Achselzucken legte sie den Bogen wieder hin.
„Das verstehe ich nicht … Sind Sie der Dichter?“
„Nein …“
„Wer ist es …? Die Verse berühren mich seltsam. Sie erinnern irgendwie an ein Gedicht Chamissos.“ Sie hatte das eine Knie hochgezogen und die schmalen, braunen Hände darum geschlungen. Am linken Ringfinger trug sie einen übergroßen, uralten chinesischen Siegelring mit einem flach geschliffenen Opal, in den in Gold chinesische Schriftzeichen in künstlerischer Vollendung eingefügt waren.
Ozeana Mac Intock war berückend in all ihrer Schönheit und Natürlichkeit.
Daß diese Lagunenprinzessin von Yucatan zuweilen einem ungebärdigen Füllen glich, erhöhte vielleicht noch den Reiz ihrer Persönlichkeit. Als Mac Intock uns vormittags nach einer schweigsamen Fahrt von einer halben Stunde und nach so manchen Seltsamkeiten, die uns aufstießen und die wir doch übersehen wollten, die Wunder seiner Lagune schauen ließ, hatte Ozeana auf dem Bootssteg gestanden und, bewaffnet mit einem Fernglas, unser Näherkommen beobachtet.
„Ah, – – die Gäste!!“, rief sie uns fröhlich zu und schwenkte ihren Hut.
Die Gäste?!
Wir waren also erwartet worden.
Der Alte hatte das Boot vertäut, wir stiegen aus, und Mac Intock sagte nur:
„Ozeana, das sind sie … Bitte, zeige dich möglichst zahm, mein Kind. – Dies ist[4] Mr. Abelsen, das da Pater Menardus.“
Dieser Empfang gab noch mehr zu denken.
Noch mehr das bereits angerichtete Frühstück in dem kühlen Speisezimmer, die lautlos servierenden Diener und die eigentümliche Unterhaltung, die, von Mac Intock geleitet, uns keine Gelegenheit bot, irgend etwas zu fragen.
Nur Ozeana fragte.
Sie aß wie eine große Dame, sie sprach über Kunst, Literatur, Erfindungen, Technik und so weiter ohne jede Bildungslücke, nur … sie war ein vollkommener Wildling in allen Fragen jener gesellschaftlichen Zurückhaltung, die nun einmal zum guten Ton gehört.
Als Mac Intock sich einmischte, erklärte sie lachend:
„Endlich einmal Menschen – – endlich, und da soll ich still dabei sitzen?! Niemals!!“
Ich bemerkte den halb bittenden, halb warnenden Blick, den der Alte ihr zuwarf.
Aber sie war wie angestecktes Reisig.
Ich konnte es zunächst nicht glauben, daß sie von frühester Kindheit an hier in der Lagune und sonst nirgendswo anders gehaust hatte.
Es war so. Mac Intock hatte seine Enkelin von aller Welt abgesperrt, hatte sie unterrichtet, hatte ihr alles herbeigeschafft, wonach sie sich sehnte – alles …
Nur nicht … fremde Menschen.
Ozeana kannte lediglich ihren Vater und die sechs Chinesen und … ihre Tiere.
Aber über die Tiere wird noch vieles zu sagen sein.
Nach Tisch führte uns der Hausmeister Chang Pi in unsere Gastzimmer. Pater Menardus war am anderen Ende des unteren Flures des geräumigen Steinhauses untergebracht, meine Fenster gingen auf die Lagune hinaus.
Die weiteren Stunden sind kaum erwähnenswert, – es sei denn, daß ich hervorheben will, mit welch eiserner Beharrlichkeit Mac Intock, Ozeana und die sechs Schlitzaugen all unseren berechtigten, vorsichtigen Fragen auswichen.
Der alte Mac hatte sich durch einen Wall verschlossener Lippen gegen seiner Gäste Neugier abgesperrt.
Und dann kam die Nacht.
Ich schrieb, die elektrische Tischlampe brannte, und … Ozeana erschien.
… „Wer ist es? Wer ist der Dichter?“, fragte sie mit dem ganzen Starrsinn der verwöhnten Lagunenherrscherin. Ihre etwas kurze Oberlippe zog sich noch höher, und die großen, selbstherrlichen und doch so reinen Kinderaugen forderten stürmisch eine ehrliche Antwort.
Die Situation war entschieden peinlich, denn eine Ozeana belügen, dazu gehörte schon die abgefeimte Mentalität eines erstklassigen Hochstaplers. Ich jedenfalls brachte dieses Kunststück nicht fertig. „Eine Dame“, sagte ich ausweichend. „Keine berufsmäßige Dichterin, nehme ich an, sondern …“
Ein Griff, – sie hatte meinen Manuskriptbogen schon wieder in den gebräunten Fingern und las …
Mir wurde schwül zu Mute.
Dann senkte sie das Blatt und starrte mich groß an.
Sie hatte Pater Menardus’ Herzensangst um jene Renate überflogen, sie wußte alles, und in ihrem Gesicht war zunächst nur der Ausdruck ungläubigen Staunens zu finden, dann der weit schärfer ausgeprägte tiefsten Mitleids.
„Also … deshalb sind Sie hierher gekommen an diesen entlegenen Küstenstrich“, sagte sie sinnend, als ob sie bei alledem doch irgend etwas noch nicht völlig verstände. Und dann folgte eine Frage, die mich völlig aus dem seelischen Gleichgewicht warf.
„Mr. Abelsen, gibt es denn so etwas im wirklichen Leben, da draußen – – so dunkle Zusammenhänge, so treue Bruderliebe und … solche Geheimnisse überhaupt?!“
Es war, als ob ein unmündiges Kind in naivem Unwissen Aufschluß über ihm gänzlich Fremdes forderte.
Ozeana Mac Intock sah meine Verblüffung.
Sie lachte bitter.
„Nicht wahr, ich erscheine Ihnen nun wie ein gänzlich unfertiges Wesen! Das bin ich auch. Haben Sie unten Großvaters riesige Bibliothek gesehen? Haben Sie die Titel der zahllosen Bücher geprüft? Haben Sie einen einzigen Roman moderner Autoren gefunden? – Nicht ein Roman ist darunter, der mir das Leben und Treiben der großen Welt so zeigt, wie es ist. Nur Klassiker, nur trockene Gelehrsamkeit, Sport, Waffenkunde, historische Werke, – Mr. Abelsen, ich bin trotz meines vielleicht fabelhaft vielseitigen Wissens doch nur eine Halbgebildete, denn mir fehlt ja gerade das, was die Allgemeinbildung erst zusammenschweißt zu einem für die Persönlichkeit wertvollen Bestandteil: Die Kenntnis von Liebe, Haß, Freundschaft, Leidenschaft, wie sie sich im Leben der modernen Allgemeinheit widerspiegeln müssen, – ich gehe im Grunde blind umher, ich kenne nur den Großvater, unsere Lagune, unseren Schoner – – und unsere sechs Chinesen … Sonst – – nichts!! Die Welt liegt mir so fern, als lebte ich in einem Kerker … Ich bin eine Gefangene, ich – – kann das nicht länger ertragen, – – Sie und der Pater, zu dem ich halb gegen meinen Willen aufschaue wie zu einem Heiligen, obwohl mir nicht so leicht irgend etwas besondere Achtung abnötigt, Sie beide haben hier in meine grünen, lauschigen Gefängnisräume einen Hauch jener mir unbekannten Welt mit hineingetragen und mein Blut weit heißer erregt, als es meinem halb geknebelten Geiste dienlich sein könnte …“
Sie war aufgesprungen, die sehnige, ranke, schlanke Gestalt reckte sich höher, die Hände griffen wie sehnsüchtig und doch mit aller Kraft in die Luft, als wollte sie das große Unbekannte gewaltsam herbeiholen.
„… Ich … halte das nicht länger aus …!!“ Ihre Stimme war wie der helle, durchdringende Klang einer zu stark gespannten Seite. „Ich … muß mit Großvater reden …! Ich werde verlangen, daß er Ihnen den Schoner leiht und daß wir Sie begleiten und Renate suchen. Diese Renate ist mein Märchentraum und mein Ziel, – – bisher hatte ich kein Ziel, ich ließ alles gehen, wie es ging, meine Tiere waren mir Ablenkung und Trost … Jetzt?! – – Ich will, Mr. Abelsen, – – und bei Gott: Ozeana Mac Intock hat denselben Eisenkopf wie ihr Großvater …“
Sie ließ die Hände jäh herabsinken …
Irgendwoher kam ein seltsamer Ton durch die stille Nacht über das lautlose Wasser der Lagune durch die offenen Fenster mit ihren dichten, lichten Vorhängen geschwebt.
Irgendwoher …
Ein Ton, der wie ein tiefes Stöhnen klang und allmählich anschwoll zu höllischem gedämpften Kichern … Und wieder erstarb.
Ozeanas Züge waren beklommen und verwirrt.
Mit seltsamer Hast wünschte sie mir Gute Nacht und schlüpfte davon.
Kaum drei Minuten darauf klopfte es:
Mac Intock!
Kaum drei Minuten …
In drei Minuten vermag der Gedankenflug des Menschen unendliche Strecken zurückzulegen und dabei noch ebenso unendliche Seitenpfade prüfend und abwägend zu durcheilen.
Mochte nun auch die Lagune Santa Theresa und das Steinhaus zwischen den grünen Felsenhügeln und vieles, was mit beidem und mit ihren Bewohnern zusammenhing, bisher meinen Geist übermäßig beschäftigt haben: Dies alles trat zurück vor der nunmehr wohl erwiesenen Tatsache, daß der alte Mac seine Enkelin hier nicht nur absichtlich und – in diesem Punkte – mit brutaler Strenge von aller Welt absperrte, und daß, nicht genug damit, dieser zähe, wortkarge, gebildete Mann das Mädchen geradezu raffiniert in Ungewißheit über die Zustände, über Leben und Treiben und Vorgänge jenseits dieser Lagunengrenzen gehalten hatte.
Die Lagune Santa Theresa ein Kerker für eine Ozeana?! Man konnte es kaum begreifen. Es war so. Alles sprach dafür, Ozeana selbst hatte das gleiche Empfinden zum Ausdruck gebracht: Ich bin eine Gefangene!
Und vorher: „Ich bin eine Halbgebildete, – mir fehlt das Beste: Lebenskenntnis!“
… Gedanken jagen, fragen, hasten, prüfen, tasten …
Und stehen vor einer Mauer, die alles, alles abschließt, prallen zurück, verwirren sich …
Dann tritt er ein.
Mac, der alte Mac, Abgott von sechs älteren Schlitzaugen, Sklave einer Ozeana und doch ihr Kerkermeister.
Mac Intock setzt sich. Seine grauen Augen, die im Sonnenlicht ganz leicht grünlich schillern, überfliegen den Tisch.
„Ozeana war hier. Was wollte sie?“
Er sagte es mit einiger Nervosität, leicht gereizt, – beherrschte sich, fügte hinzu:
„Natürlich … fragen wollte sie … Sie wünscht die „Welt“ kennen zu lernen, sie glaubt, die Welt müßte wie ein Füllhorn einer gütigen Fee sein, das dumme liebe Mädel!“
Zum ersten Male sehe ich um Macs harten Mund Falten und Fältchen bitterer Enttäuschungen und geheimer Sorgen.
Der Mann zeigt mir eine neue Seite seines Charakters. Und sie besticht mich, mein ungewisses Mißtrauen zerflattert, und die Stimme des Herzens drängt zur Ehrlichkeit.
„Sie wollte fragen, nachdem sie sich beklagt hatte, Mr. Mac Intock. Die Fragen unterblieben, jedenfalls verlangt Ihre Enkelin, daß Sie uns den Schoner leihen und uns begleiten.“
Der Engländer preßte die schmalen Lippen zur tiefen Kerbe.
„Ah – – sie verlangt …! – Und Sie haben bereits um den Schoner gebeten, und ich bin die Antwort schuldig geblieben.“ Er redet abgehackt, zerstreut, fahrig. „Diese Stunde eignet sich nicht für diese Dinge … Ich kam nur zu Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, daß … Sie nicht erschrecken sollen … – – Da, hören Sie …“
Hinter den leicht wehenden Vorhängen ein Rasseln, Rollen, und das wenige, was ich bisher von der Mondlandschaft draußen verschwommen wahrnahm, versinkt im Finstern.
Mac Intock sagt schroff: „Eiserne Rolläden! Mein Haus bedarf ihrer. Ich bitte Sie, Ihr Zimmer nicht zu verlassen …“
In mir steigt es siedend hoch, flutet zurück.
„Wie lange?“, frage ich gleichmütig.
„Bis zum Morgen …“
Seine Augen halten meinem Blick ohne Verlegenheit stand.
„Sie … erhielten ein Signal …“, sagte ich ebenso selbstverständlich. „Ich hörte es, Mr. Mac Intock …“
„Signal?!“
Achselzucken …
„Signal?! Es war eine Schiffssirene draußen auf See. – Vielleicht hat Sie Ihr abenteuerliches Leben dazu verleitet, in den gewöhnlichsten Dingen Absonderlichkeiten zu suchen.“
Diese Bemerkung vermag ich doch nicht ohne Gegenhieb hinzunehmen.
„Mein Leben hat mich gelehrt, alle Sinne rechtzeitig anzuspannen und Absonderliches nicht zu übersehen, da auch dahinter irgend eine Gefahr sich verbergen kann …“
Der Alte hat sich erhoben. Meine Worte prallen von ihm ab: Die hohe Mauer, die hier alles sichert!
„Gute Nacht, Mr. Abelsen …“
Seine Hand umspannt die meine, – – er geht, zögert in der offenen Tür, dreht sich nochmals um und schaut mich an. Gedämpfte Worte erreichen mein Ohr: „Seien Sie überzeugt, Abelsen, – was hier auch vorgehen mag: – Göttliches und menschliches Recht steht hinter alledem! Schlafen Sie gut. Morgen werde ich mich entscheiden.“
Er schließt leise die Tür, und ich verharre mitten in dem großen, freundlichen Raum, der den gewählten Komfort eines Hausherrn zeigt, dem das Übertriebene, Weichliche, Überkultivierte verhaßt ist und dessen Wesen in einer Zeit wurzelt, die den Wahnwitz des Völkerhasses und seiner Entartungserscheinungen noch nicht kannte.
Mac Intock gleicht für mich einem jener Einsiedler, die nach der ungeheuren Blamage der Christenheit, Weltkrieg genannt, sich in fernste Erdenwinkel verkrochen, um nicht aus Menschenverächtern Menschenhasser zu werden.
Ich stehe und horche und sinne, und wie vorhin rasen die Gedanken gleich gehetzten Rossen und lassen sich nicht hineintreiben in die eine Hürde, die hier allein das Endziel sein könnte: Klarheit zu gewinnen über die Lagune Santa Theresa.
Aus diesem Sinnen steigen schließlich wie heftige, knallende Blasen, die feurigen Schaum werfen, die geistigen Hauptmerkmale des eigenen Ich empor, und der Abenteurer und Wanderer abseits vom Alltag überlegt und wägt, ob die Gastfreiheit, die ich hier genieße, nicht meinem Trachten zuwiderläuft. Sieger bleibt schließlich der Mann Abelsen … –
Spionieren mag verwerflich sein. Aber die Hände in den Schoß legen und abwarten, was vielleicht für uns Nachteiliges aus dem geheimnisvollen Zauber dieser Lagune hervorwächst, ist nicht meine Art. Vorläufig darf ich von einem geheimnisvollen Zauber sprechen. Vieles ist hier unwirklich, fast unwahrscheinlich, weniges ist vorhanden, das Verdacht erwecken muß. Was weiß ich über Mac Intock?! Nichts. Menschengesichter trügen. Menschentaten trügen noch mehr. Der alte Mac half uns, nahm uns mit, doch – – er kannte uns schon vorher dem Namen nach, er mußte in Martinez’ Piratennest Vertraute haben, er war von Martinez’ niederträchtigen Absichten unterrichtet, und wir wurden erwartet, als hätten wir uns vorher angemeldet. –
Die eisernen Rolläden vor den Fenstern – wen sollte das nicht stören und zu allerlei Vermutungen anregen, sind vom Zimmer aus nicht zu öffnen. Ich habe sie genau untersucht.
Und die Tür in den Flur?! Ich bemerke es erst jetzt: Sie trägt starken Blechbeschlag und ist versperrt. – Dann ist da noch das Badezimmer nebenan mit einem Fenster mit starkem eisernen Ziergitter. Im Dunkeln – ganz dunkel ist es nicht, da der Mond jetzt hereinschaut – prüfe ich dieses Gitter gleichfalls.
Merkwürdige Entdeckung: Es ist nur mit einer Masse, die wie Mörtel aussieht, befestigt, und mit den Fingern kratze ich die kittartige Masse heraus und ziehe das Gitter an mich und stelle es unten neben die Wanne.
Das Hinausklettern auf das Dach der flachen Veranda mit ihrem Rankenwerk von farbenfrohen, blätterreichen Trieben bereitet keine Schwierigkeiten. Die Ranken schützen mich, ich liege am Rande des Daches, und unter mir zieht sich der Vorgarten in flachen Terrassen zur Lagune hinab.
Dieser Nordarm der meilenweiten Lagune ist ein Reich für sich. Alles, was die tropischen Lagunen Yucatans, die da in der Sonnenglut zwischen den Wendekreisen schmoren und faulen, an Häßlichem bergen, fällt hier weg. Ein heller Sandstrand begrenzt Lagune und Urwald, und links nach dem Meere zu tun es die Felsenhügel. Macs Haus hat die Front nach Süden und die Rückseite nach den grünen Hügeln, hinter denen die Brandung ihr ewiges Lied singt. Die Luft ist voller Salzgehalt, kein Fäulnisduft von fiebergebärenden Mangroven verpestet den unbeschreiblichen Reiz dieser Mondnacht.
In breiter, flimmernder Bahn liegt der klare, milde Schein des Nachtgestirns auf dem Wasser. Es ist fast taghell, aber es herrscht jenes Zauberlicht, das die Schattenstellen blauschwarz tönt und überall in dem Gesamtbilde weiche Farbenübergänge hervorruft.
Weiß und stolz liegt der Zweimastschoner inmitten der flimmernden Mondbahn vor seinen Ankern. Seine blanken Messingteile schillern, seine Deckplanken sind wie feinster heller Stabfußboden. Auch diese „Ozeana“ ist schön, schnittig, schlank wie meine junge, lebenshungrige Kameradin.
Nach rechts zu hinter Hecken und umsponnenen Mauern rumoren Ozeanas Lieblinge in ihren Käfigen, die jedem modernen zoologischen Garten Ehre machen würden. Käfige?! Nein, Freiluftkerker sind es, eingebaut in eine Schlucht. Diese Anlage muß Mac Intock viele Tausende gekostet haben. Aber Geld scheint hier keine Rolle zu spielen. Die Einrichtung des Hauses verrät es. Mac muß sehr vermögend sein.
Das Zaubergemälde der stillen Lagune nimmt mich vollständig gefangen. Meine Freude an der Natur und ihren wechselvollen Schönheiten drängt zunächst meine Absichten in den Hintergrund. Die Natur malt allzeit sich selbst, und der Maler bleibt überall stümperhafter Nachahmer, mag er noch so sehr von Kritik und Publikum gelobt werden, wobei „Publikum“ immer nur die töricht nachbetende urteilslose Masse bleibt. Wie käme es sonst, daß Erscheinungen geistigen Zerfalls wie die Klexereien von verworrenen Köpfen, in denen sich Form und Farbe widerlich verzerren, durch die Druckerschwärze besessener „Sachkundiger“ zu Kunstprodukten hinaufgelobt werden könnten?! Oft genug kam mir der Gedanke, dieses gehorsam nachbetende Publikum müsse nicht nur blind sein, sondern auch geistig erschreckend unfertig, um einen solchen Tanz um verlogenen Unfug mitzumachen. Hat nie einer dieser allzuvielen daran gedacht, daß die wahren Geistesheroen unter den Malern nie zu solchen Mätzchen und Tüfteleien gegriffen haben, um „Eigenart“ zu beweisen?!
Lagunenzauber …
Und auch er verblaßte vor der Gegenwart.
Irgendwoher kam Stimmengewirr, gedämpft, anschwellend, abflauend, wieder auflebend, und ich, den Kopf jäh nach links wendend, wo der Ostrand der Lagune fünfzig Meter lang dunkler Fels mit abschüssigem Übergang in die Wasser von Santa Theresa ist, sehe abermals einen Bruchteil der Geheimnisse des alten Mac von selbst sich entblößen.
Was dunkles Gestein schien, fest in sich gefügt als schroffe Wand, öffnet mit lautloser Ruhe seine Pforten, ein Boot gleitet ins Freie und legt an der hellen Landungsbrücke an.
Acht Männer in dem Boot, sämtlich Weiße, sämtlich erregt, – nur der neunte, ganz urplötzlich von den geteerten Planken des Steges sich leichtfüßig erhebend, kennt keine fahrige Geschäftigkeit und gebietet Schweigen.
Leise klingen seine Worte, – nur die kräftige Geste beweist mir, daß Mac diese Ankömmlinge ärgerlich vermahnt.
Er steigt in das Boot, und die Ruderer tauchen die Riemen ein, und das Fahrzeug verschwindet gen Norden hinter der kleinen, hohen Halbinsel, die fast schon den äußeren Winkel von Santa Theresa bildet.
Meine kleine lebenshungrige Freundin Ozeana dürfte kaum ahnen, daß der Großvater nachts hier so rätselvolle Gäste empfängt.
Ich warte.
Eine Stunde.
Meine alte, brave Armbanduhr zeigt halb zwölf.
Aus Ozeanas zoologischem Garten kommt Lärm, Fauchen, Kreischen …
Und erlischt.
Das Boot schießt in die Mondbahn, hinten am Heck ruhen vier große Kisten, der alte Mac steigt an der Brücke aus, winkt den acht Leuten verabschiedend zu, und das Gestein drüben verschluckt das Boot.
Mac steht einsam auf der Brücke, eine Zigarre im Munde, und betrachtet die andere Ozeana, den schnittigen Schoner.
Etwas müde wendet er sich dem Hause zu, und unter mir knarrt die Haustür ganz leise, – ein metallisches Schnappen …
Nichts mehr.
Lagunenzauber …
Andere Lagunen kenne ich in der einst so seligen Südsee, wo die Insulaner dahinlebten ohne die zweifelhaften Segnungen europäischer Zivilisation – – einst, einst.
Wo sie vielleicht einander die Köpfe abschlugen und einander verspeisten.
Als ob in Europa nicht Ärgeres geschehen sei! Scheiterhaufen verbrannten sogenannte Hexen, Folterwerkzeuge rissen den Angeschuldigten zugleich mit den Gliedern den Verstand aus dem Hirn. Wer in der Geschichte des Mittelalters der Kulturnationen blättert, den überläuft es eiskalt. Die Insulaner dagegen?! – – Und heute?! Seuchen, Alkohol, Sklaverei unter allen möglichen Deckmänteln.
Lagunenzauber …
Ein großer Fisch schnellt aus der Flut, sein Leib ist wie reines Silber, – er fällt zurück, kleine Wellenkreise tänzeln zu den Ufern …
Aus den Urwäldern im Osten erklingt der ferne Schrei eines Raubtieres.
Aus Ozeanas Tierpark kommt Antwort, brünstig, verlangend, freiheitsdurstig.
Dann wieder Stille.
Ich warte …
Denke, erwäge, prüfe. – Was treibt Mac hier?!
Ein Schmuggler?!
Nein.
Was verschickt er aber heimlich in die Fremde? Vier große Kisten … acht Europäer, und dort die Felswand, die sich öffnen läßt wie ein Tor.
Die Lagune steht hier mit dem Meere in Verbindung. Deshalb das reine, unverseuchte Wasser und der liebliche Sandstrand.
Habe ich ein Recht, Mac nachzuspionieren?!
Ein klares Gefühl der Scham treibt mich zurück in mein Gastzimmer. Gast bin ich hier. Gast.
Habe das eine Bein bereits in der Fensteröffnung, als ich, mich drehend, gen Süden blicke.
Meine Augen bemerken im lichten Schatten vier Punkte, die über das Wasser kriechen.
Boote …
Schleichend im Uferschatten außerhalb der Grenzen der Mondbeleuchtung.
Ein neuer Gedanke flammt hoch: Wie kamen die Boote durch Macs südliche Balkensperre, Balken mit eisernen Schwerten und Haken und Ketten und Drähten. Als Menardus, Mac und ich die Sperre vormittags passierten, hat Mac nicht ein Wort geäußert.
Ich sah: Er hatte sein Heim gesichert, und er mochte guten Grund dazu haben. – Vier Boote jetzt … schleichend, unehrlich im Dämmerlicht bleibend, also Gefahr!
Etwa der schieläugige Martinez?! Sollte die Angst des edlen Sennor vor dem alten Mac durch die größere Angst vor den Fußeisen und der Zwangsarbeit unterdrückt worden sein?! Hatten die Perlenpiraten der Küste es satt, von Mac Intock sich das Geschäft stören lassen?!
Ich hole mein Fernglas … Das Glas zeigt mir große plumpe Kähne. Das sind mindestens sechzig farbige Halunken, die sich jetzt über den hellen See wagen und hoffen, daß hier alles schliefe.
Ich eile ins Zimmer, will gegen die Tür donnern … Reiße am Drücker, finde sie unversperrt.
Im Flur steht Mac Intock mit einer Laterne.
Und Pater Menardus’ Tür tut sich auf … Auch unten im Hause huschen Lichter, der Hausmeister Chang Pi, dessen Gesicht einem vertrockneten Bratapfel gleicht, schießt an uns vorüber zum flachen Dache empor.
Mac sagt nur:
„Dieser Martinez ist größenwahnsinnig!“
Größenwahnsinnige, so lange sie harmlos bleiben, sind eine Alltagserscheinung. Die Zivilisation bringt sie als Unkraut genau so hervor wie die Urwüchsigkeit der Naturvölker. Auf Sennor Martinez diese Bezeichnung anzuwenden, hieße ihm allzuviel Ehre antun. Der alte Mann korrigierte sich denn auch sofort und fügte hinzu: „Ein habgieriger Gernegroß ist der Mensch und ein Dummkopf.“
Pater Menardus, der vollkommen außerhalb der letzten Begebenheiten stand, ließ seine ruhigen Augen fragend über unsere Gesichter gleiten.
„Bitte, folgen Sie mir“, meinte Mac Intock höflich. „Bücken Sie sich aber, sobald Sie außerhalb der Dachluke sind. Es ist nicht unbedingt nötig, daß die Kerle uns allzu früh bemerken.“
Ich ließ Menardus den Vortritt. Mac Intock war bereits oben. Auf der fünfletzten Sprosse der Bodenleiter drehte der Pater den Kopf.
„Olaf, was wird hier gespielt?“
„Bohnenspiel – blaue Bohnen, fürchte ich.“
„Ach so, der Narr!“ Und auch das galt Martinez.
Der Dachrand war fast meterhoch und hatte Zierschlitze in kurzen Abständen. Schießscharten klingt ehrlicher.
Wir lagen flach in der hellen dicken Sandschicht des Daches, und das Zauberspiel des Mondes war noch prächtiger geworden. Die vier vollbemannten Kähne schlichen wie Katzen näher. Rechts und links von uns lagen je drei Chinesen mit tadellosen Winchesterbüchsen und je einem Pappkasten Patronen neben sich. Die Aussichten des Sennor Martinez waren oberfaul.
Ich hatte noch schnell meine treue Sniders aus dem wasserdichten Schlafrock geschält und streichelte sanft ihren Lauf und ihre Schloßteile. Sie troff von Öl, und mein Taschentuch war nicht mehr salonfähig. Als der Patronenrahmen in die Kammer schnellte, sagte der alte Mac: „Nicht nötig, Mr. Abelsen … Wir sind nur Zuschauer …“
Er lachte lautlos in sich hinein, aber Martinez’ Chancen waren nunmehr lediglich auf eine rasche Höllenfahrt wettfähig.
Chang Pi, der ausgemergelte Hausmeister, hockte rechts neben seinem Herrn und hatte vor sich einen Kasten stehen, der vielleicht ein Grammophon war. Er klappte den Deckel empor, eine Glühbirne leuchtete auf und beschien zwölf weiße Knöpfe, unter denen Zahlen angebracht waren. Ein dickes isoliertes Seil lief von dem Kasten durch die Dachluke in das Haus hinein.
Chang Pi beobachtete die Boote, und ich beobachtete ihn. Chang war zweifellos Südchinese, eine Nase besaß er kaum, nur Nasenlöcher, darunter einen Strich, den Mund, und darunter einen grauen Ziegenbart.
Das vorderste der Boote war noch hundert Meter vom Stege entfernt, die Kerle darin ruderten flotter, der Kerl am Steuer war Martinez.
Pi reckte den mageren Hals noch länger und glich einem Aasgeier. Nur der Schnabel fehlte ihm. Er grinste dünn, als er Knopf 8 berührte, und dann fuhren seine Geierkrallen wie die feinen Hände eines Pianisten über die anderen Knöpfe hinweg.
Dort, wo das vorderste Boot sich befand, schien die Faust eines Ungeheuers, das in den Tiefen der Lagune hauste, nach oben ins Mondlicht zu stoßen. Eine Wasserwoge sprang empor, ward zur Riesenfontäne, auf der das Boot schwebte, ein schwacher Knall folgte, ich spürte einen Luftstoß, und diese erste Fontäne sank zurück, das Boot war ein Wrack. Menschen schwammen im Wasser, kämpften um treibende Bretter, und fünf weitere Gigantenfäuste räumten mit den restlichen Booten ebenso gründlich auf.
Ich hatte den Atem angehalten, als Pi die erste Mine spielen ließ, ich sog die Luft keuchend ein, als ich die armen Teufel dort im Wasser verzweifelt davonschwimmen sah.
Nur ein einziger von ihnen hatte den Mut, die Richtung auf den Bootssteg zu wählen, alle anderen zogen es vor, ans Westufer zurückzukehren.
Die Lagune glich für Minuten einem wildwogendem Landsee, der Schoner „Ozeana“ schaukelte vor seinen Ankern, Brandungswellen fuhren am sandigen Strande hoch, – – dann blieben nur Bootstrümmer, Köpfe von Schwimmenden und der eine Kopf des kecken Burschen als Ausklang übrig – jenes kecken, der dem Stege zustrebte.
Ich konnte gerade noch zur Zeit nach links greifen und Mac’s Hand festhalten.
„Sehen Sie denn nicht, daß es ein Europäer ist“, grobste ich ihn gehörig an. „Weg mit Ihrem Schießprügel, oder …“
Die Büchse entlud sich, die Kugel ging ins blaue, und Mac Intock schob meine Hand zurück, als hätte ich Zwirnsfäden statt Muskeln.
„Hier befehle ich, Abelsen …!!“
„Und hier hätten Sie beinahe einen Europäer ohne zwingende Notwendigkeit erschossen!“, sagte auch der Pater mit ungewohnter Strenge.
Der alte Mac richtete sich auf, schaute mit eigentümlichen Blinzeln über uns hinweg und lehnte sich gegen die Dachbrüstung.
„Europäer hin, Europäer her, – – wer mit Martinez in einem Boot sitzt, ist ein Lump! – – Der Bursche kann übrigens wie ein Fisch tauchen … Hallo – da erscheint er wieder …“
Pi, durch seines Herrn rücksichtsloses Vorgehen in seinem Vorhaben noch bestärkt, hatte mit einer Schnelligkeit, die an die abgehackten Bewegungen eines dressierten Schimpansen erinnerten, die nächste Büchse in Anschlag gebracht, – – auf den Schuß folgte vom Wasser her ein kurzer Schrei, der blonde Kopf versank, und nur die immer weiter eilenden Kreisringe der Wellen, die einem Mittelpunkt entsprungen waren, zeigten die Stelle an, wo der Fremde getroffen und versunken war.
Mac Intock duckte sich, als ob er Pi an die Kehle fahren wollte. Sein Gesicht war vor jäher, maßloser Wut – so schätzte ich seine Gemütsbewegung ein – grau angelaufen, das massige Kinn mit dem grauen Spitzbart schob sich vor, Macs Zähne rieben knirschend aufeinander, und in den aufgerissenen Augen loderte ein unheimliches Feuer. – Wieder hatte er mir, er, der Wortkarge, Gemessene, eine neue Seite seines Ich gezeigt.
Pi bemerkte all das, ließ vor Schreck die Büchse fallen, murmelte einige chinesische Wortbrocken und … sprang wie ein Jüngling mit federnder Leichtigkeit über die Brüstung.
Ich fühlte meinen Herzschlag stocken, – der Hausmeister mußte mit gebrochenen alten Knochen unten auf dem Dach der Veranda landen …
Nichts davon.
Das Haus war umrankt von fingerdicken Reben jener blütenreichsten der tropischen Lianen, – und Pi hatte, hierin wirklich affengewandt, die Schößlinge erfaßt, war an ihnen hinabgeglitten, sprang vom Dache der Veranda, seine weiten, weißen Hosen flatterten über die Terrassen, er rannte auf den Steg, machte ein Ruderboot los und flog der Unfallstelle zu.
Mac Intock sagte mit schwerer Zunge:
„Ich … Narr! – – Er wird ertrinken!“
Irgend etwas, das stärker war als meine Überzeugung, meine Hilfe müsse zu spät kommen, trieb mich denselben Weg zur Lagune hinab, den der greise Chinese in seiner unbegreiflichen Verzweiflung gewählt hatte.
Irgend etwas verlieh mir Flügel, und Pi hatte sich mit dem kleinen Boot noch keine zwanzig Meter entfernt, als ich ihn zurückrief. Er hatte mich bereits bemerkt, ließ die Riemen schleifen und sackte schlaff in sich zusammen. Ich begriff nicht, wodurch seine außerordentliche Energieentfaltung so jäh in scheinbar tiefste Niedergeschlagenheit sich gewandelt haben könnte. Erst seine Handbewegung, die nach unten ins Wasser wies, machte mich auf eine Erscheinung aufmerksam, die mir nur zu vertraut war.
Diese Seite der Lagune, jetzt in Schatten getaucht, war wie eine dunkle, ganz matt glänzende Metallplatte, – oder wie eine farbige und doch durchsichtige Glasscheibe, unter der wandernde, längliche helle Flecken bald eiliger, bald langsamer dahinglitten.
Es waren Haifische, der Größe nach Menschenhaie, und ihre leicht phosphoreszierenden Leiber glichen in der Tiefe der regungslosen Flut erleuchteten Spindeln, die willkürlich hin und her gezogen werden.
Eisige Kälte kroch mir vom Herzen zum Hirn.
Ich verstand nun, weshalb der alte Chinese wie ein Häuflein Unglück auf der Ruderbank hockte, verstand auch die wilde Hast der übrigen Schwimmer und Mac Intocks versteckte Selbstvorwürfe.
Trotzdem, – noch war nicht alles verloren, ich winkte Pi heran, träge schob er das Boot näher, ich sprang hinein und ruderte der Stelle zu, wo der blonde Fremde versunken war.
Meine Energie, so schien es, teilte sich auch dem alten Chinesen mit, er wurde lebhaft, – –: „Hier war es, Mr. Abelsen …!“
Ja, hier war es …
Hier, halbwegs zwischen Stegkopf und Spitze der kleinen Halbinsel im Norden.
Wir beugten uns über Bord …
Und da kam es empor, wie ein abgefeuertes Torpedo – eine leuchtende Linie, schnellte dicht vor dem Boot aus dem Wasser heraus und überschüttete uns mit breiten, heftigen Spritzern.
Der Hai, über dessen hellen Leib eine handbreite Linie klaffte, aus dem Blut und ekles Gedärm hervorquoll, fiel im Todeskampf wieder zurück, schlug mit der Schwanzflosse dem armen Pi den sauber gewickelten Zopf zur endlosen Schlange vom Schädel und beförderte den Herrn Hausmeister bewußtlos unter die Ruderbank.
Der Hai verschwand, das Wasser wogte auf, helle Spindeln glitten näher, und der totwunde Riesenfisch ward umschwärmt von den anderen Meereshyänen wie ein mundreifer Brocken. Dann vereinten sich die hellen Spindeln an einer Stelle, abermals schwoll die Flut zu kurzen Wellen, und der Kampf in der Tiefe zog sich mehr nach der Mitte der Lagune zu.
Mein Blick fiel zufällig dorthin, wo die letzten Bäume des Vorgartens schräg geneigt schwarze Schatten auf den Sandstrand warfen. Ich sah etwas … Etwas wie eine Statue … Vielleicht ein nackter Mensch, vielleicht nur ein Strauch mit weißen Blüten. Das Etwas bewegte sich, – ein paar kräftige Ruderschläge, und ich hörte einen Zweig knackend brechen, eine leise Stimme kam herüber:
„Verraten Sie mich nicht, – ich habe ein nächtliches Bad genommen …“
Ozeana Mac Intock stand dort im Dunkel, den dicht belaubten Zweig als Bademantel benutzend, winkte mir zu, entschwand und ließ mich in argen Zweifeln zurück.
Ich glaubte ihr, – warum auch nicht?! Und doch war bei alledem irgend ein Nebenumstand, den das Mädchen mir vorenthielt. Wer hatte den Hai getötet? Etwa der verwundete Europäer?
Niemals?!
Wer sonst?!
Sollte etwa die junge Herrin der Lagune Santa Theresa – und ich traute diesem trainierten, straffen Körper so allerlei zu – die Kunst des Schwimmens und Tauchens bis zu jener erschreckenden Fertigkeit beherrschen, die so vielen Naturkindern, die an haifischreichen Küsten wohnen, zum spielerischen Zeitvertreib wird?!
Unendlich oft ist diese Kunst der „Haischlitzer“ zu großartiger Sensation aufgebauscht worden, unendlich oft sind die Gefahren, die diese Fertigkeit begleiten, maßlos übertrieben worden.
Bedenkt man, daß der Hai infolge der besonderen Kürze seines Unterkiefers gezwungen ist, sich auf den Rücken zu drehen, um zuschnappen zu können, wird jeder sich unschwer selbst sagen, daß eine solche Bestie gezwungen ist, ihren pfeilschnellen Angriff dicht vor der Beute abzustoppen, so daß bei einigem kalten Blut ein sicherer Schwimmer mit langem Messer dieser Attacke wirkungsvoll begegnen kann.
Auch über die „Technik“ der Haischlitzer ist viel zusammengefaselt worden. In den westindischen Gewässern pflegen Neger und Mischlinge diesen Gegenangriff regelmäßig in der Weise auszuführen, daß sie, sobald der Hai sich vor ihnen herumwirft, bei dieser seitlichen Drehung das meist leicht gekrümmte Messer in die Bauchdecke stoßen und es durch einen kräftigen Schwimmstoß durch die Bauchdecke ziehen. Also, – – Angriff von vorn, – der nur den einen Nachteil hat, daß das Tier beim ersten Schmerz unwillkürlich mit der Schwanzflosse kräftig ausschlägt, um der Gefahr zu entrinnen.
Südseeinsulaner bevorzugen den Kampf von unten, indem sie sich vor der Bestie wegsacken lassen und wieder emporschießen und dann den tödlichen Schnitt anbringen, zweifellos die weniger empfehlenswerte Art dieser immerhin tollkühnen Jagd, zu der außer eisernen Nerven vorzügliche Augen und ebensogutes Schätzungsvermögen von Entfernungen gehören.
Wer seiner Nerven, Augen und Muskeln sicher ist, wird entschieden die Technik der Neger und Mulatten der westindischen Inseln bevorzugen, da sie den nicht zu verachtenden Vorteil bietet, daß in den meisten Fällen der gestochene Hai im Vorprellen das Messer sich selbst durch die ganze Bauchdecke reißt. –
Und hier nun, – wer erledigte den Riesenhai?! Ozeana?! Ich konnte es nicht glauben. Anderseits: Es war niemand in der Nähe, der den tödlichen Schnitt ausgeführt haben könnte, und das Mädchen mit dem braunen Gelock hatte gebadet, war im Wasser gewesen – ohne jedes Kleidungsstück.
„Hallo – – Abelsen!!“
Mac Intock rief es von der Brücke her.
Wollte ich Ozeana nicht verraten, mußte ich irgendwie meinen Abstecher hier zum Nordrand des Vorgartens bemänteln.
Ich trieb das Boot also vollends an Land, nahm Pi in die Arme und schritt der Brücke zu.
Mac und der Pater kamen mir entgegen. Nach eiligem Hin und Her von Fragen und Antworten, bei denen des alten Mac Gesicht noch steinerner und starrer wurde, trugen wir den Chinesen ins Haus, wo er sehr bald wieder erwachte.
Abermals benahm sich Mac Intock recht sonderbar. Er bat uns, schlafen zu gehen.
Ich fühlte, er wollte mit seinen sechs Getreuen allein sein. Der Pater und ich stiegen die Treppe empor und wechselten nur noch vor meiner Tür ein paar belanglose Worte.
Ich hatte es eilig, ich wollte schleunigst das Fenstergitter des Badezimmers wieder einkitten und dann beobachten, ob Mac etwa doch noch nach dem Fremden suchen würde.
Als ich meine Tür von innen verschlossen und den Lichtschalter gefunden hatte, blieb meine Hand auf dem Hebel des Schalters untätig liegen.
Ein neuer Gedanke war mir gekommen, eine Frage von größter Wichtigkeit. Sie hing mit der elektrischen Beleuchtung des Hauses aufs engste zusammen.
Mac hatte uns bisher den Schoner „Ozeana“ nicht gezeigt. Wir hatten nur gesehen, daß ein dickes Kabel von dem Schiff durch den Vorgarten ins Haus lief, und Mac war immerhin so gnädig gewesen, zu erklären, er bezöge den elektrischen Strom für das Haus und dessen Anbauten von dem Schoner, wo sich die nötigen Maschinen befänden.
Und die Frage, die ich mir jetzt vorlegte, lautete: „Wer bedient diese Maschinen?“
Mac behauptete, er hause hier mit Ozeana und den sechs Chinesen ganz allein, – die sechs seien sein gesamtes Personal.
Das konnte niemals stimmen.
Ich war nun überzeugt, daß sich auf dem Schoner zumindest noch zwei Mann befanden.
– Ich ließ das Licht aufflammen und begab mich nach dem Nebenraum, den ich dunkel ließ, hob das Gitter empor, fügte es wieder ein und wollte den sorgfältig gesammelten Kitt in die Löcher schmieren.
Ein Geräusch lockte mich ins Zimmer zurück.
Ein Stuhl war umgefallen, – – und mitten im Zimmer stand Ozeana Mac Intock, in einen weiten, dunklen Mantel gehüllt, das Haar noch naß, und sagte mit einer Gleichgültigkeit, die vielleicht nur diese wilde Seerose der Lagune Santa Theresa aufbringen konnte:
„Wie ungeschickt von mir!!“
Ich war zunächst sprachlos.
„Was … tun Sie hier, kleine Freundin?“, fragte ich, durch ihr harmloses Lächeln rasch wieder für dieses Kätzchen ein ebenbürtiger Gegner.
„Nichts … Ich hatte mich nur in der Tür geirrt, und bei Ihrem Eintritt flüchtete ich dort hinter den Schrank“, erwiderte sie ein wenig nervös, jedoch nicht verlegen. „Lassen Sie mich jetzt hinaus, und, nicht wahr, Sie schweigen über das Bad …“
Sie schritt zur Tür. Sie trug leichte Lackschuhe, die rote Flecken zeigten. Es war Blut, und mein Erschrecken konnte ihr nicht entgehen.
„Sind Sie verletzt, Ozeana?“
„Ja …“ Es klang zaudernd. „Ich log soeben, ich habe mir Ihre Reiseapotheke geholt, Mr. Abelsen … – Nur leicht verletzt, zum Glück … Gute Nacht …“
Sie wollte hinaushuschen.
„Halt, kleine Freundin …“
Große Kinderaugen flehten um Nachsicht.
„Ist die Verletzung wirklich leicht?“, forschte ich eindringlich.
„Bestimmt …!“
„Und erhielten Sie sie etwa … durch den Hai?“
Sie errötete …
„Ja“, – sie wandte den Kopf dabei zur Seite, glitt in den Flur, und ich war allein.
Drei Tage in Mac Intocks Haus sind wie eine Stunde oder wie drei Monate. Das kommt auf den Menschen an, der diese Zeitspanne hier verbringt. Mir erscheinen die drei Tage gleich einem Traum einer einzigen Stunde.
Nun ist es wieder Abend geworden, und wieder brennt die Bronzelampe mit dem gelbseidenen Schirm auf dem kleinen Schreibtisch meines Gastzimmers, und Ozeana kauert in der Sofaecke wie ein verschüchtertes Mägdlein von zehn Jahren, das mit schlechter Zensur die Ferien begann und den strengen Vater zu ernsten Mahnungen veranlaßte.
Aber dieser Adoptivvater und -Onkel ist gar nicht so streng und streicht sinnend über die grauen Schläfen, die den Schnee des Winters, des Alters ankünden.
„Und – wie soll das enden, Ozeana?!“, meine ich gutmütig-vorwurfsvoll. Sie blickt mich lange an und kämpft mit sich selbst, ihre Augenwimpern glänzen, ein paar Tränen rollen herab, und dann flüstert sie verzweifelt:
„Abelsen, – – ich bin aus einem Traum erwacht, und – – die Wirklichkeit ist niederschmetternd, ich fühle mich wie entwurzelt, ich glaubte, dies hier sei meine Heimat, – – alles Lüge, Lüge, – – eine unbegreifliche Reihe von Lügen!“
Ihre Gemütsverfassung seit heute früh, wo ich ihr seltsames Geheimnis entdeckte, ängstigt mich.
Schon beim Frühstück merkte Mac Intock ihre Veränderung. Sie, die bis dahin das belebende Element der kleinen Tafelrunde gewesen und den Großvater so liebevoll-neckisch tyrannisierte, blieb stumm und verschlossen.
„Kopfweh!“, entschuldigte sie sich.
Mac lachte etwas gezwungen …
„Du und Kopfweh?! Eher stürzt das Haus ein!“ Aber seine Worte waren merklich unsicher und tastend.
„Mag es einstürzen!“, fuhr Ozeana auf und warf ihm einen Blick zu, unter dem er den Kopf senkte.
Pater Menardus suchte zu vermitteln.
Der Erfolg?!
Ozeana rannte hinaus und blieb bis zum Abend unsichtbar.
Mac schlich wie ein ertappter Verbrecher umher, der Pater und ich fühlten uns überflüssig, zumal der alte Mac uns geradezu bösartig anknurrte, als wir wieder einmal auf die andere Ozeana zu sprechen kamen.
„Warten Sie ab!! Augenblicklich habe ich andere Sorgen. – Haben Sie dem Mädel da etwa irgendwie den Kopf heiß gemacht, Menardus?!“
Der stattliche Pater konnte eine Ungezogenheit genau so gut in seiner Art rügen, wie etwa einen persönlichen Angreifer notfalls kurzer Hand niederschlagen.
„Meine Pflicht ist es, Mac Intock, heiße Köpfe abzukühlen … Nehmen Sie ein Bad, rate ich Ihnen.“
Der alte Mac entschuldigte sich und ließ uns allein.
Und nun saß unser Sorgenkind hier bei mir in der Sofaecke und redete wirres Zeug, das mir wohl zu Herzen ging, mir jedoch leider genau so unverständlich blieb.
„Entwurzelt?!“, wiederholte ich ihren Ausdruck fragend und forschend. „Sprechen Sie deutlicher, kleine Freundin … Bitte …!“
Die bekannte Falte erschien auf ihrer Stirn, verlängerte sich bis zum Haaransatz, und heftig und unbeherrscht kam vom Sofa her die Antwort:
„Nein! Ich spreche nicht! Ich bin kein Kind. Ich werde die Wahrheit ergründen – so oder so, – ich allein! Und wenn Sie mir nicht weiter helfen wollen, Abelsen, finde ich auch selbst meinen Weg. Dann … hilft mir jemand anderes, der tut es bestimmt, der fragt nicht viel, der …“
Sie schwieg, wurde sehr rot, und nach kurzer Pause tat sie das, was nur eine Ozeana so kindlich-naiv, so bezaubernd-harmlos, fertig brachte: Sie flüchtete auf meinen Schoß, kuschelte ihr Köpfchen an meine Brust und … bat weinend um Nachsicht und Verzeihung.
Irgendwo im Hause schlug eine Uhr die elfte Nachtstunde.
Draußen plätscherte ein feiner Regen, abends war der Wind umgesprungen, eine steife Brise wehte vom Meere herüber, an der Außenküste stand eine brüllende Brandung, deren Toben nur in geringer Abschwächung über die Lagune sich fortpflanzte und in den fernen Wäldern verklang.
Ozeana betupfte die Augen und schaute scheu zu mir empor.
„Abelsen, er … wartet …“
Auf dem Tische vor mir stand das Körbchen mit Eßwaren.
Ich versuchte ein letztes Mal, die kleine Freundin zu meiner Auffassung der Dinge zu bekehren. Ich sprach, fürchte ich, wie ein Volksredner vor leerem Saal – ohne Feuer.
„Ozeana, prüfen wir die Sachlage nochmals in aller Ruhe …“
„Olaf, – Sie haben allzuviel Ruhe! Ich habe Temperament und … Sorgen …!“
„Temperament schadet nichts, und Sorgen?! Die werden wir leicht bannen, kleine Freundin …“
„Sagen Sie „liebe Freundin“, – ich bin nicht klein, ich messe ein Meter einundsiebzig, und ich bin kein Kind mehr, das sich … belügen läßt …!“
„Von mir?!“
„Nein … nein! – Jetzt rede ich gar nichts mehr … nichts!“
„Gott sei Dank, dann komme ich wenigstens zu Worte …“ Mein Kätzchen hier hatte Krallen.
„Also – die Dinge liegen so: Sie haben den Fremden, der nach dem Streifschuß versank …“
„… Dafür werde ich Pi noch den Zopf abschneiden!!“
„… versank, aus dem Wasser geholt, den Hai getötet und den Fremden …“
„Larry Webster heißt er, – sind Sie schwer von Begriff!“
„Gut, – und haben Larry Webster in einem leeren Zwinger der Raubtierschlucht versteckt und verbunden und gefüttert, weil sie glaubten, Ihr Großvater könnte Ihnen womöglich …“
„Großvater … – sagen Sie „Mac Intock“, Abelsen … Großvater ist ein … Wüterich, und …“
„… und Sie sind ein großer Kinderkopf, kleine Ozeana! Ihr Großvater …“
„Genug von ihm!! Er würde Larry wegjagen, und ich will Larry behalten, er ist mein Freund geworden, er ist …“
„… ein hübscher Bursche, und ohne die Bartstoppeln von vier Tagen wird er noch hübscher sein.“
„Ganz sicher, – – sicher!“, bestätigte sie übereifrig.
„Na also … – Am besten wäre es, Mac Intock einzuweihen. Er kann genau so leicht wie ich heute früh Larry entdecken, und dann …“
„Er kann das nicht!“, beharrte die kleine Katze störrisch. „Sie beobachten viel schärfer als er, und …“
„Hm – wenn Sie sich nur nicht irren, Ozeana. Mac ist nicht der Mann, der blind durchs Leben läuft, und die sechs Chinesen sind ebenfalls äußerst gerissen … – – Halt, – – Was war das?! Das klang wie ein Schuß …“
Das Mädchen verfärbte sich. „Ich habe Larry für alle Fälle meine Pistole gegeben …“, flüsterte sie stockend. „Da – – wieder, – – es war ein Schuß … Kommen Sie schnell, Abelsen, nehmen wir den Weg durch das kleine Fenster nebenan. Ich weiß, daß das Gitter lose ist, ich selbst habe es eingekittet, – dieses Haus ist ja ab zehn Uhr abends hermetisch verschlossen – – ein Gefängnis oder eine Festung, – kommen Sie!“
Sie stülpte ihre Glanzlederkappe über und lief in das Badezimmer. Ich konnte nur noch Mantel und Mütze vom Haken reißen und einiges zu mir stecken, auch mir lag die Unruhe und eine düstere Vorahnung in allen Nerven, – Ozeana war bereits am Verandadach, als ich mich durch die Fensteröffnung zwängte.
Regenschauer peitschten mir ins Gesicht, trotzdem war es nicht ganz dunkel, obwohl der Himmel völlig mit ziehendem Gewölk bedeckt war, und der Mond nur selten als blasser Lichtkreis durch die Wolken schimmerte.
Wir eilten durch den Vorgarten nach Norden, an dem steinernen Wirtschaftsgebäude vorüber bis zu der Gittertür, die den vermauerten Eingang zur Schlucht mit besten Schlössern gegen Fremde schützte.
Ozeana faßte meine Hand und zog mich nun hinter sich her. Dies hier war ihr ureigenstes Reich, dies hier war das ihrer Lieblinge, und selten wohl hat ein Mädel ihres Alters so merkwürdige Neigung für Wildkatzen aller Arten und Größen, für Giftschlangen und anderes Getier der Urwälder gezeigt.
Ozeana war selbst eine Wildkatze.
Die Schlucht war sehr geschickt zu beiden Seiten zu Käfigen mit großem Auslauf ausgebaut. Es gab hier fünf ausgewachsene Jaguare, sechs Pumas, allerlei kleinere Räuber, zwei Glashäuser mit Giftschlangen, ein drittes für eine riesige Anakonda, ferner Affenzwinger, sogar ein Vogelhaus.
Die Schlucht war finster wie ein Keller. Ich tappte blindlings hinter dem Mädchen drein, das hier jeden Schritt kannte.
Plötzlich blieb sie stehen.
Vor uns glühten zwei gelbgrüne Punkte auf. Sie lagen dicht über dem Boden wie zwei runde, große Leuchtkäfer, blieben ohne sichtbare Bewegung und verengerten sich nur zuweilen.
Ozeana drängte sich näher an mich heran.
„Jemand hat den Jaguarkäfig geöffnet“, hauchte sie. „Rühren Sie sich nicht … Es muß Nelson, das größte der Männchen sein …“ Ihre Stimme vibrierte nur leicht, und ihre Kaltblütigkeit verließ sie selbst in diesem Augenblick nicht.
Dann rief sie halblaut in die Dunkelheit hinein: „Nelson – – hierher!!“
Die grüngelben Lichter bewegten sich etwas.
Ich schob die Sicherung der Pistole zurück, – ein halbzahmer Jaguar kann nachts ein böser Geselle ohne alle Manieren werden.
Das Raubtier kroch näher. Ozeana schob mich zurück. „Gehen Sie, Abelsen … Er kennt Ihre Witterung nicht … Ich will …“
Ich hatte scharf aufgepaßt. Die zusammengeduckte Haltung der Bestie gefiel mir nicht, und als das Tier jetzt urplötzlich emporschnellte, riß ich Ozeana zur Seite, und der Schatten des Jaguars flog dicht an uns vorüber.
Im Nu waren wir vorwärtsgestürmt, das Mädchen riß linker Hand eine Gittertür auf, schlug sie hinter uns zu und keuchte verbissen:
„Es war nicht Nelson, es war überhaupt keines meiner Tiere … Die kenne ich …“
Ihre Hand in der meinen wurde kalt, und verzweifelt fügte sie hinzu: „Wenn … Larry nur noch lebt …! Was bedeutet das alles?!“
Wir standen im Finstern in einem Quergang zwischen den Käfigen. Ein leises Miauen, nur weniger harmlos klingend, kam von rechts, und die rötlichen Augen eines Pumas wurden hinter den Stäben sichtbar.
„Still, Said, – – still …!!“ Ich hörte einen leisen Schlag, und die Lichter verschwanden.
Der Jaguar draußen war nach dem Fehlsprung nicht wieder sichtbar geworden.
„Wir müssen ihn nachher irgendwo einsperren“, erklärte Ozeana. „Kommen Sie … Wir können von hier aus ebenfalls zum letzten Zwinger gelangen …“
Sie schaltete ihre Taschenlampe ein, und wir schritten nach rechts durch eine niedere natürliche Grotte bis zur letzten Eisentür in der Mauer aus Steinklötzen. Dieser Zwinger wurde seit langem nicht benutzt, da Termiten sich in dem bröckligen Gestein eingenistet hatten. Mac und Ozeana waren bemüht gewesen, die großen Ameisen zu vertreiben, doch ohne Erfolg. Immer wieder erhielten sie irgendwoher Zuzug, und die Hartnäckigkeit dieser unangenehmen Nager, ihre Wohnungen stets aufs neue am selben Fleck einzurichten, ist bekannt. Weder Petroleum noch Feuer helfen da etwas, und nachdem die Termiten erst einmal zwei Pumajunge eines Nachts halb verzehrt hatten, gab Mac diesen Kampf auf – genau so, wie in den Tropen so manches Wohnhaus zur Ruine wird, weil die Menschen gegen diese trotzigen, zahllosen Insekten nicht aufkommen.
Man hatte daher diesen hintersten Winkel des Grottenganges als Abstellraum für Kisten und allerlei Geräte benutzt und die Eisentür halb verdeckt. Als Ozeana damals den jungen Larry aus der Lagune an Land und hierher brachte, hielt sie dieses Versteck für durchaus zuverlässig. Daß ich ihr Geheimnis entdeckte, danke ich sowohl schärferem Nachdenken als auch einigen seltsamen Beobachtungen. Ozeanas damalige Erklärung für das Eindringen in mein Zimmer erwies sich als unrichtig. Das Mädchen war unverletzt geblieben, als sie den Hai abtat, sie gab es zu, als ich ihr es ohne Beschönigung vorhielt, – für wen also hatte sie meine Reiseapotheke, aus der sämtliche Mullbinden und die Hälfte Jodoformgaze verschwunden waren, geholt?! Der Jodoformgeruch hatte mich dann schließlich in Larrys Versteck geführt.
Nun öffnete Ozeana die Eisentür …
Sie tat es zögernd, ihr war die Herzensangst anzumerken, Larry könnte etwas zugestoßen sein.
Der Lichtkreis glitt durch den Innenkäfig, glitt über gezackte Wände, über den Termitenhügel in der linken Ecke und über eine Hängematte, in der ein stoppelbärtiger, jüngerer Mann friedlich schlummerte.
„Gott sei Dank“, seufzte Ozeana erleichtert.
Der Lichtschein weckte den Schläfer. Larry Webster setzte sich aufrecht. Er trug nur noch ein Pflaster auf der Stirn.
„Oh, – – meine holde Fee …, und Sie, Mr. Abelsen … Es ging vorhin hier etwas lebhaft zu … Man schoß … zweimal … irgendwo in der Nähe … Ich habe einen sehr gesunden Schlaf, obwohl mir doch etwas bänglich zu Mute war … Ich schlief sofort wieder ein.“
Er saß im Reitsitz auf seinem pendelnden Bett und schaute etwas zerstreut in den Lichtkegel.
„… Wie gesagt, ich war noch im Halbschlaf“, fügte er nochmals als Erklärung für seine ungenaue Wiedergabe des Gehörten hinzu. „Was ist eigentlich geschehen?“
Er gähnte diskret, hielt sich die Hand vor den Mund und wich beharrlich meinen Blicken aus. Auch Ozeana empfand wohl irgendwie das Gekünstelte in seinem Benehmen und machte daraus auch weiter kein Hehl.
„Larry, Sie sind so anders“, faßte sie ihre Zweifel an seiner Aufrichtigkeit in vorsichtige Worte. „Larry, mir will es nicht in den Kopf, daß ein Mann wie Sie wieder einschlafen sollte, wenn in seiner Nähe Pistolen losgehen.“ Sie näherte sich ihm und stellte den Korb mit den Eßwaren auf die zermürbten Dielen.
„Ach, Pistolen!“, meinte Larry Webster voller Verachtung. „Wenn es noch Schiffsgeschütze wären! Aber solche Knallerbsen – – und mein gesunder Schlaf! Pistolenschüsse gehören ja zu meinem Handwerk, und keinen Schuhmacher stört das Pochen der Schusterhämmer, die die Speilen wie weiße Zähne in die Sohlen treiben.“
„Er wird poetisch“, – und meine kleine Freundin drehte sich nach mir um. „Kennen Sie einen berufsmäßigen Alkoholschmuggler, Abelsen, der Schusterspeilen mit Zähnen vergleichen würde?! Vielleicht gibt es so seltsame Leute, aber unser Larry ist doch gar nicht so seltsam, hat einen Riesenappetit, raucht vierzig Zigaretten und sagt „Holde Fee“ zu mir, als ob ich nachts im „Erlkönig“ als Sumpfgeist beschäftigt wäre. Ich heiße Ozeana, Larry, und Ozeana fragt: Schliefen Sie wirklich so unwahrscheinlich fest?! Schurken haben da einen fremden Jaguar in die Schlucht gebracht. Wenn Abelsen nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre, würde von mir nicht mehr viel übrig sein.“
Ich hatte mich bisher zurückgehalten. Wäre mir Larry Webster von vornherein unsympathisch gewesen oder hätte ich an seiner Erklärung, wie er so ganz von ungefähr in die zweifelhafte Gesellschaft des Sennor Martinez geraten war, einiges auszusetzen gehabt, so hätte mich nichts davon abbringen können, auch hier mit allen Unklarheiten gründlich reinen Tisch zu machen. Aber Larry gefiel mir. Er hatte etwas Frisches, Draufgängerisches und jene nie verletzende spöttische Überlegenheit an sich, die stets eine heitere, harmlose Note trägt.
Er war vielleicht dasselbe wie ich: Weltentramp, Abenteurer aus Naturfreude und aus Widerwillen vor dem unehrlichen, aufgezäumten Getriebe der großen Zivilisationszentren.
Vielleicht …
Ozeanas Bemerkung über den Jaguar schlug bei ihm ein wie eine Bombe, deren Luftdruck einen vom Schicksal begünstigten nur in andere Regionen wirft.
Er fuhr hoch, stand auf den Füßen, und sein Mund verzog sich drohend.
„Ein Jaguar?! Tatsache?! Das wäre eine Heimtücke, die …“
Ein Hüsteln beendete den Satz. Er beherrschte sich. „Na, Sie leben ja, holde Fee, und der Tod, der nur millimeterweit an uns vorübergeht, ist eine Warnung …“
Er hatte trotzdem Ozeanas Hand ergriffen und blickte dem Mädchen ängstlich in das gebräunte, eigenwillige Gesichtchen.
„Sie leben, Ozeana …“ Er atmete hastig. „Machen wir dem Unfug ein Ende … Abelsen, Sie sind doch meiner Meinung: Mac Intock muß mich sehen, und diese verwünschte und doch so märchenhafte Kerkerhaft inmitten von Termiten und reizenden Erlkönigstöchtern …“ – er lächelte, und dann war er verführerisch – „muß ein Ende haben. Fressen kann der Alte mich nicht … Ich bin auch ein schlechter Festbraten. Ohne Fett, nur Muskeln und Sehnen und … Goldzähne – leider. Die Kugel, die mir sechs Backzähne nahm, verwünsche ich noch heute, nur der Zahnarzt hat sich gefreut und mich getröstet, daß ein Stück Unterkiefer schwerer zu ersetzen gewesen wäre. Was ich zugebe. Also – – Aufbruch, Ozeana. Machen wir Mac Intock eine Nachtvisite und vordem dem Jaguar lange Beine …“
Ozeana sagte zu mit einem schwachen, übermütigen Lächeln: „Es wird eine schwere Stunde für den alten Mac werden …!“
Klang das nicht wie eine Drohung?!
Aber sie hatte sich bereits der Tür zugewandt und nahm draußen im inneren Gang zwischen Rückseite der Käfige und der Grottenwand zwei forkenähnliche Zangen und fünf Hacken vom Boden auf. Die Spitzen der Forken waren nur kurz und trugen runde Holzstücke, damit die Tiere, denen man damit zu Leibe rückte, nicht allzu schwer verletzt werden könnten.
„Abelsen, – dort liegt ein Spritzenschlauch. Gehen wir …“
Larry Webster betrachtete sich hier im Gang alles ganz genau. Als Ozeana mir die Tülle des Wasserleitungsrohres zeigte, schraubte ich das Schlauchende fest und öffnete den Hahn. Zischend fuhr das Wasser, das droben vom Schluchtrand aus einer Zisterne kam, in den Schlauch, so daß er sich füllte und sich wie eine lebende Schlange wand.
Ozeana stieß die Tür auf, wir traten ins Freie, und nach dem etwas stickigen Dunst des Raubtierhauses empfand ich die laue Regenluft als angenehme Erquickung.
Von rechts schimmerte ein Lichtschein durch die Finsternis, bewegte sich, die Eisenpforte zur Schlucht klirrte, und des Paters tiefe Stimme klang ruhevoll zu uns herüber:
„Ich suchte Sie, Abelsen … Der Hausmeister Pi hat mir da soeben eine Botschaft überbracht, die …“
„Vorsicht!“, rief Ozeana …
In dem Lichtschein schien plötzlich eine riesige Motte zu schweben, – – dann ein dumpfer Krach, und Pater Menardus meldete etwas außer Atem:
„Es ist nicht der erste, dem ich auf die empfindliche Nase schlug …“ Ein stilles Lachen, und das Winseln des Jaguars erinnerte mich genau wie dieses Lachen an die Wälder der Galibi-Kariben, wo der streitbare Missionar vor meinen Augen einen anspringenden Jaguar mit dem Pistolenkolben für Minuten kampfunfähig gemacht hatte.
Die halb bewußtlose Bestie ließ sich ohne Mühe in den leeren Zwinger scheuchen, und Menardus erklärte dann mit einer gewissen tastenden Bedachtsamkeit:
„Pi meldete, daß Mac Intock für längere Zeit verreist sei und daß wir Haus und Schoner als unser Eigentum betrachten dürften.“
„Feigling!!“, platzte Ozeana heraus. „Geflohen ist er! Er hatte Angst vor mir …“ Ihre Empörung steigerte sich mit jedem Wort. „Damit Sie es wissen, Bruder Menardus, und auch Sie, Abelsen: Larry ist Macs Neffe, Mac war nie verheiratet, also kann er auch keine Enkelin haben, – – es ist doch so, Larry?“
„Hm, – – es ist so, – – scheinbar … Ich wußte nichts von einer Enkelin, aber Mac kann eine heimliche Ehe eingegangen sein, Ozeana, – das fiel mir später ein, als ich Sie bereits aufgeklärt hatte.“
Wenn irgend etwas meine letzten Zweifel beseitigen konnte: Diese Ausflüchte Larrys taten es. Ich wußte nun, Mac hatte mit Larry gesprochen. Nur Mac rauchte diese pechschwarze Sumatra, von denen ein Stummel in Larrys Kerker gelegen hatte.
Menardus, weniger im Bilde als ich, sagte nur nachdenklich: „Neffe?! Das ist sehr sonderbar … alles!“
Ozeanas Zunge überschüttete abermals den alten Mac mit wenig schmeichelhaften Ausdrücken.
Der Pater unterbrach sie mahnend. „Mein Kind, es war Ihr Wohltäter, Ihr Erzieher und …“
„… mein Kerkermeister! – Ich werde mir Pi gründlich vornehmen, gründlich!! Gehen wir!“
Meine Gedanken verweilten bei dem ungezähmten Jaguar, der in einer Ecke seine blutende Nase leckte. Wer hatte das fremde Raubtier hier eingeschmuggelt? Zu welchem Zweck?!
Ich schritt als letzter aus der Schlucht in das windgepeitschte Rauschen der Bäume …
Der Mond trat zwischen Gewölk hervor. Die Lagune glänzte auf, und der weiße Schoner Ozeana schaukelte graziös an leise klirrenden Ankerketten.
Das Haus des alten Mac lag dunkel, finster und unfreundlich wie ein lauerndes Ungetüm mit seinen im Mondlicht für kurze Zeit aufleuchtenden Verandentüren – gleich Glotzaugen eines Tiefseekraken – auf der oberen Terrasse unter tropfenden Bäumen und im Sturm böse raschelnden Ranken und Reben der blühenden Lianen da …
Etwas mir bis dahin Unbekanntes ging in dieser Nacht von diesem Gebäude aus. Bisher war es mir im Sonnenlicht stets als traute, wenn auch geheimnisvolle Zufluchtsstätte eines weltscheuen Sonderlings erschienen. Das kecke, trotzige Mädel, das hier Lagunenfürstin gespielt hatte und nun plötzlich eine Feindseligkeit gegen Mac bekundete, die zweifellos übertrieben war, hatte vielleicht den wahren Sonnenschein dieser entlegenen, köstlichen Wildnisszenerie dargestellt. Dieser Sonnenschein war erloschen, Ozeana, die von dem Namen Mac Intocks nichts mehr wissen wollte, pochte mit grimmer Energie an die vergitterte Tür, und als Pi, der Bratapfel, geräuschvoll öffnete, fuhr sie ihn sofort wie ein bissiges Kätzlein an:
„Wo steckt Mac Intock? Rede, du alter Schleicher!!“
Pi verneigte sich ein wenig.
In seinem von Falten durchkerbten Gesicht lag jenes eingefrorene Lächeln, hinter dem sich jetzt die stille Abwehr gegen diese Beleidigung verbarg.
Pi war kein Schleicher. Keiner der sechs Chinesen des alten Mac hatte je auf mich den Eindruck der Hinterhältigkeit gemacht.
„Miß, ich gehorche meinem Herrn“, erklärte der betagte Chinese sehr gemessen. „Bitte, wollen Sie in das Arbeitszimmer des Herrn eintreten.“
Sein ruhiger Blick brachte die gereizte Ozeana etwas zur Besinnung.
Möglich auch, daß sie sich schämte, vor Larry Webster ihr Temperament so wenig gezügelt zu haben.
„Kommen Sie …“, – sie winkte uns.
In Macs sogenanntem Arbeitszimmer brannten alle Lampen. Pi, der heute in einem schwarzseidenen Gewande und in einem ebensolchen Käppchen paradierte, trat als letzter ein, drückte die Tür zu, verneigte sich genau so knapp wie vorhin und begann:
„Mein Herr ist durch wichtige Umstände für längere Zeit abberufen worden, wie ich bereits Mr. Menardus mitgeteilt habe. Er überläßt alle weiteren Entschließungen Mr. Abelsen, dem ich fortan zu gehorchen habe. Auch der Schoner steht Mister Abelsen zur Verfügung. – Weiter habe ich nichts zu erklären.“
Ozeana wollte abermals aufbrausen.
Der Pater mischte sich ein. Vor ihm empfand das heißblütige Mädchen doch eine gewisse Scheu.
„Meine Tochter, was Sie zu fragen haben, – tun Sie es so, daß auch meine Ohren es mit anhören können. Pi ist kein Schleicher, wer seinem Herrn so unwandelbar treu ein halbes Menschenleben gedient hat wie er, darf eine gerechte Behandlung verlangen.“
Ozeana hatte sich in einen der Korbsessel gesetzt und spielte nervös mit den Knöpfen ihres Mantels, drehte tief in Gedanken einen nach dem anderen ab und warf sie in den Papierkorb.
„Pi, wer bin ich?“, fragte sie scharfen, aber nicht unfreundlichen Tones.
Der alte Chinese, der die Hände in die weiten Ärmel seines Gewandes geschoben hatte, entgegnete sofort:
„Ich weiß es nicht, Miß!“
Ozeana flog halb empor. Aber Pater Menardus hüstelte streng, und sie sank mit einem bitteren Auflachen in den Sessel zurück.
„Ich werde hier alle Papiere durchsuchen“, rief sie mit bleichem Gesicht. „Ich will wissen, weshalb …“
Der Hausmeister Chang Pi bekam traurige Augen. Nie sah ich bisher in diesem verschrumpelten Gesicht einen so klaren Ausdruck tiefen Schmerzes.
Ozeana stockte mitten im Satz.
Pi sagte leise, kaum vernehmbar: „Es existiert hier auch nicht ein Fetzen Papier, Miß, der Ihre Herkunft betrifft. Vielleicht … in meines Herrn Tresor, der in den Schoner eingebaut ist, aber … der Tresor, von dem Sie bisher nichts ahnen, ließe sich nur mit Dynamit öffnen, auch so vielleicht nicht, – ich weiß es nicht. Ich kann Sie nur bitten, Miß, noch einige Zeit zu warten, mein Herr, der Sie über alles liebt, wird Ihnen alle nötigen Erklärungen geben, die sich … nicht erzwingen lassen …“
Das alles klang wieder derart geheimnisvoll, daß sogar der Pater Menardus den alten Pi erstaunt musterte.
Ozeana hatte den Kopf leicht gesenkt.
Minuten verstrichen.
Und in diesen Minuten ward ich mir bewußt, daß Mac Intock mir eine Verantwortung aufgeladen hatte, die mich vor folgenschwere Entschlüsse stellte.
Dann, bevor ich noch etwas äußern konnte, hatte meine kleine Freundin den verwirrenden Eindruck der letzten Sätze Pi’s überwunden und erhob sich.
Sie trat dicht vor den Chinesen hin.
„Pi, noch eine Frage … Wie kam der fremde Jaguar in die Schlucht?! Es war ein fremder, ein starkes Männchen … Wollte Mac Intock eine unbequeme … Enkelin auf die Art los werden?!“ Die letzten Worte klangen wie schrille Anklagen. Ozeana war sehr bleich, zitterte, und daß sie sich dennoch in der Gewalt behielt, erschien wie ein Wunder.
Pi’s Augen hatten sich einen Moment schreckhaft geweitet.
Auch sein quittengelbes Gesicht lief grau an. Ebenso jäh schoß ihm die Röte zu Kopfe, seine bescheidene Haltung änderte sich, seine Hände reckten sich wie beschwörend hoch, und aus seinen Augen flammte ein Blinken, das Ozeana verlegen machte.
„Mein Herr“, sagte der alte Mann feierlich, „steht hoch über derartigen Verdächtigungen. Sie aber, Miß, die Sie hier Ihre unbesonnene Undankbarkeit enthüllt haben, mögen nun erfahren, daß mein Herr in der vorigen Woche ein Jaguarweibchen in der Kastenfalle gefangen hatte. Der Jaguar wird der Gefährtin gefolgt sein. Ein Tier ist treu, Miß, wir haben es wiederholt festgestellt.“
Und nach kurzer Pause:
„Mein Herr hat wilde Tiere, Schlangen und seltsame Insekten durch seine Leute einfangen lassen. Er … handelte mit Tieren, exportierte sie, und wenn Sie, Miß, die Grotte genauer untersuchen, werden Sie den Eingang zu den geheimen Käfigen in der zweiten Höhle finden, oder ich kann Ihnen diesen Eingang auch zeigen. Mein Herr hielt diesen seinen Handel vor Ihnen geheim, weil Sie sonst verlangt hätten, die Jagdexpeditionen mitzumachen, und das hätte er nie dulden dürfen.“
Wieder eine Verneigung, – Pi verließ das Zimmer, und zurück blieben wir drei Männer mit sehr betretenen Gesichtern und eine jetzt fassungslos schluchzende Ozeana, die wohl einsah, wie häßlich ihre lächerlichen Verdächtigungen gegen Mac Intock gewesen.
Wortlos erhob sie sich dann, wünschte uns flüchtig Gute Nacht und flüsterte, sie möchte vorerst ungestört bleiben.
Die Tür fiel zu …
Wir drei atmeten auf. Pater Menardus setzte sich, griff nach einer Zigarre und meinte:
„Besprechen wir alles Nötige …“
… Es kam nicht viel heraus bei dieser Aussprache. Als ich Larry Webster vorhielt, daß er mit Mac in dem leeren Zwinger zusammengetroffen sei, erklärte er sehr ernst:
„Ich bedauere, Ihnen hierüber nichts mitteilen zu dürfen. Ersparen Sie mir, unhöflich zu erscheinen. Mich bindet ein Versprechen.“
Menardus schaute den jungen Mann aus seinen tiefliegenden, tiefgründigen Augen lange an.
„Und … Sie sind Macs Neffe?“
„Ich bin’s. Ich suche ihn seit Jahren. Natürlich bin ich nicht … Schmuggler oder dergleichen. Mein Vermögen gestattete mir, die Suche nach dem Bruder meines Vaters als Sport zu betreiben. Ich heiße Larry Mac Intock, meine Mutter war eine geborene Webster. Ich bin außer Onkel Gulliver – denn sein voller Name lautet Gulliver Mac Intock, und wir sind eine der ältesten Familien Schottlands und hätten auf den Herzogstitel Anspruch – der letzte der Mac Intocks von Shefferdam-Castle, in meinen Adern fließt unverfälschtes Erobererblut, ein Mac Intock wollte Island für die Königin Elisabeth erobern, der Name Mac Intock ist auf zahllosen Denksteinen eingegraben, wo je für Englands Machtausdehnung gekämpft wurde, – – und Onkel Gulliver, viel weiß ich von ihm nicht, hat schon als Junge die Heimat verlassen und war in allen Weltteilen, war alles und nichts, anscheinend muß er doch lange Zeit in China gelebt haben, Pi wird natürlich auch darüber schweigen …“ – Mit einem Achselzucken schloß Larry seine spärlichen Angaben.
Menardus legte die Zigarre weg und lauschte dem Grollen des Sturmes und dem Knattern des heftiger niederströmenden Regens. – Ich betrachtete Larrys hageres Sportgesicht mit sinnendem Blick. Ich wußte: Er hätte uns noch weit mehr mitteilen können. Er … durfte nicht.
Schweigen kann lähmend wirken, wenn man spürt, daß allzu viel Unausgesprochenes in der Luft schwebt. Wie hier …
Der Pater gähnte verstohlen.
Nebenan in Macs Bibliothek schlug die Uhr zwei Schläge – zwei Uhr morgens.
Dann erhob Larry sich, reckte sich und meinte: „Ich werde Onkels Schlafzimmer bewohnen. Ich denke, wir sind müde. Morgen ist auch noch ein Tag …“
Gleich darauf war ich allein.
Und doch nicht allein. Meine Gedanken waren unliebenswürdige Gefährten und ließen mir keine Ruhe. Ich grübelte, grübelte … Vorhin, als Menardus mir die Hand zum Gutenachtgruß reichte, hatte er vorsichtig an Renate und an unser ursprüngliches Vorhaben erinnert. Mir war es, als ob jene Renate, die den Kapitän des Dreimasters „Weserland“ geheiratet hatte, allmählich samt ihrem geheimnisvollen Schicksal immer mehr wie ein fleckiges Bild unter der Einwirkung häßlicher Schimmelpilze verblaßte und sogar die Erinnerung an Pater Menardus’ Erzählung etwas Unwirkliches annähme, die Ereignisse seit dem kurzen Geplänkel mit dem Alkalden Martinez und dem Auftauchen Mac Intocks hatten sich zu sehr gehäuft und erdrückten die jüngste Vergangenheit gleichsam zu leeren Fruchthülsen.
Und doch traten jäh mit bezwingender Gewalt, nicht viel anders wie ein Zauberstrauch, wieder jene unbeholfenen und doch packenden Verse vor meine Seele und verlangten geradezu, aufs neue beachtet zu werden.
Aus des Herzens Not
Flammt als feurig Rot
Wie der Abendsonne Schein
Mein Gebet durch mein Sein …
Angefeuert durch diese Worte einer mir Fremden, deren Gewissen unter ständiger Folter im Gebet Zuflucht gefunden, raffte ich mich zu einem Entschluß auf.
Ich verließ leise das Zimmer und schritt den Räumen zu, die ich bisher noch nie betreten, so auch Pi’s Stube neben der Küche.
Ich klopfte. Die Tür wurde geöffnet, Pi verneigte sich … „Bitte …“
Er wies auf einen Rohrsessel, aber ich vergaß seine höfliche Einladung zum Platz nehmen und schaute mich verwundert in dem seltsamen Gemache um.
Chang Pi hatte aus seinem Zimmer ein Museum hergestellt und es geradezu vollgepfropft mit Andenken aus seiner fernen Heimat und seinem krausen Lebenspfade.
Neben altchinesischen Rüstungen, Helmen, Waffen, zerfetzten Fahnen und Wimpeln hingen da an der Decke und den Wänden mindestens dreißig zierlich gearbeitete Schiffsmodelle: Dampfer, Segelschiffe, Dschunken, sogar ein Kriegsschiff.
Eine andere Wand des Raumes war völlig mit gerahmten Zeitungsausschnitten bedeckt.
In der Luft schwebte hier der unmerkliche Körperdunst, den all diese Asiaten niemals verlieren …
Pi wartete geduldig.
Ich trat auf die gerahmten Zeitungsausschnitte zu und las …
Es waren alles Berichte über Schiffsplünderungen durch chinesische Piraten. Die Zeitungen waren englische, holländische, chinesische, die meisten englische.
Ich war zunächst durch diese seltsame Entdeckung wie vor den Kopf geschlagen. Als ich mich umdrehte, stand Pi kerzengerade da, und sein verwittertes Gesicht zeigte wieder denselben Ausdruck wie vorhin, als er seinen Herrn so warm gegenüber Ozeanas Verdächtigungen verteidigt hatte.
Ein gewisser stolzer Trotz lag in seinen Zügen, und unter meinem fragenden Blick zog er die dünne Oberlippe hoch und lächelte fast hochmütig.
„Pi, Sie waren einst Seeräuber?“
„Ich nahm denen, die im Überfluß lebten, und gab denen, die Mangel litten … Ich blieb arm.“
Das war seine kühle Antwort.
Verwirrt setzte ich mich.
Pi trug noch das festliche Gewand und rückte einen Sessel näher und ließ sich umständlich nieder.
„Ich habe Sie erwartet, Mr. Abelsen.“
Er nahm einen wundervoll geschnitzten Elfenbeinkasten und bot mir eine Zigarette an. In einer Ecke stand auf einem Tisch mit Marmorplatte ein blanker russischer Samowar, in dessen unterem Behälter Holzkohlen glühten.
„Wünschen Sie eine Tasse Tee, Mr. Abelsen?“
Chang Pi war nicht mehr der bescheidene Hausmeister. Sein wahrer Wesenskern enthüllte sich, und mit dem Gehabe des mir Gleichgestellten, ohne dabei anmaßend zu werden, spielte er den Gastgeber.
Der Tee duftete zart aus hauchdünnen Täßchen, und die leicht mit Opium getränkte Zigarette schien meinen Geist sacht einzulullen und empfänglich zu machen für Eröffnungen, die das Unwahrscheinliche streiften.
„Pi, – war Mac Intock ebenfalls Pirat?“, fragte ich offen heraus.
„Er war unser Kapitän … Ich sein erster Steuermann … Wir rühmen uns, nie einen Menschen getötet zu haben. Mußten wir zu den Waffen greifen, genügten harmlose Fleischschüsse. Mein Herr hat nachher Buße getan und sich hier in diese Einsamkeit vergraben und das Kind großgezogen und die Vergangenheit ausgetilgt. Er liebte Ozeana, und der schwerste Schlag seines Lebens war für ihn des Mädchens Undank. Vielleicht haben Sie dafür Verständnis, Mr. Abelsen. All die Jahre widmete er sich nur dem Kinde, und sein Lohn …?! Sie hörten es vorhin: Ozeana traute ihm Mordabsichten zu! Sie ist unberechenbar, sie ist …“
„… zu viel allein gewesen, Pi … Mac Intock hätte sie nicht wie eine Gefangene halten sollen.“
„Er mußte es“, sagte der Chinese hart.
In seinen Augen glitzerte die fanatische Treue für Mac.
„Er mußte es, … und sein Herz blutete dabei. Genügt Ihnen das als Entschuldigung?!“
Ich nickte schwach.
Mein Blick glitt über die Schiffsmodelle.
Ich ahnte etwas …
– Pi, der betagte Pi, saß stumm und reglos da.
Sekunden, Minuten tropften hinüber in den Becher der Vergangenheit.
Mein Denken war träge und beengt durch die seltsame Umgebung und durch die neuen Dinge, die ich hier erfahren.
Wieder raffte ich mich auf.
Meine gedämpften Worte schienen ohne Klang sich zu verlieren.
Der alte Mann da vor mir schaute mich unverwandt an.
Er antwortete mit einer Gegenfrage.
„Mr. Abelsen, Sie sind hier jetzt Herr des Hauses, der Lagune und des Schoners. Was werden Sie tun?“
Er konnte die Frage nur auf jene Renate gemünzt haben.
„Suchen werde ich!!“
Er senkte die Lider und flüsterte:
„Und was hoffen Sie zu finden?“
„Eine Unglückliche!“
Wieder blickte er mich voll an. „Sie sind sehr klug, Sie überlegen scharf. Aber der Golf von Mexiko ist unendlich groß.“
Er seufzte verstohlen.
„Suchen Sie nicht!“, fügte er leise, aber nachdrücklich hinzu.
Ich fühlte, daß er mich warnen wollte.
„Drücken Sie sich deutlicher aus, Chang Pi“, forderte ich mit noch größerem Nachdruck.
Er strich die Falten seines Gewandes glatt.
„Ich … darf nicht. Mein Herr sagte zum Abschied zu mir: „Mag das Schicksal seinen Lauf nehmen, Freund Pi! Ich will der Vorsehung nicht in den Arm fallen.“ – Trotzdem: Suchen Sie nicht, Mr. Abelsen …! Hören Sie auf mich, der mehr von der Welt und den Menschen kennt als Sie. Sehnsucht des Paters nach der Schwester kann sich in tiefste Trauer wandeln. Und schonen Sie … jemand anders!“
„Wen?“
Er … schwieg.
Sekunden, Minuten tropften in den Becher der Vergangenheit, der sich nie mehr öffnen, nie mehr entleeren läßt.
Es hätte keinen Zweck gehabt, den alten Mann mit weiteren Fragen zu behelligen, die diese Dinge betrafen.
„Sagen Sie, Freund Pi, – wie viel Leute hausen auf dem Schoner?“
„Jetzt niemand mehr … Vier wohnten dort, ebenfalls Chinesen. Mein Herr nahm auch sie mit, – ich bin allein zurückgeblieben.“
Was wir noch weiter besprachen, betraf den vorhandenen Proviant, die Vorräte an Benzin und Öl für den Motor der „Ozeana“ und zuletzt Mac’s Tierexport.
Als ich mich von Pi verabschiedete, behielt ich seine Hand in der meinen. „Pi, – – wohin hat sich Mac begeben?“
„Ich darf gar nichts sagen …“
Ich ging in mein Zimmer und versuchte einzuschlafen. Der Morgen graute bereits, und durch die schmalen Luftritzen der eisernen Rolläden vor den Fenstern fiel ein greller Strich auf mein Bett und nahm in den Falten des Zudecks die Form eines großen Fragezeichens an.
Wie ein Symbol der nächsten Zukunft. – –
… Nun habe ich hier auf meinem Bogen Papier alles nachgeholt, was es zu berichten gibt.
Und weiter?…
… Ein großes Fragezeichen …
Ozeana ist auf dem Ozean und auf unserer weißen, flinken „Ozeana“ eine andere geworden.
Larry leidet unter ihrem Übermut und ihrer spielerischen Art, die ihn bitter enttäuscht.
– Wir sind fünf Menschen auf dem Schoner, wir haben es schwer, der Kapitän hält strengste Disziplin: Ich!
Vier Männer, ein Mädchen segeln durch die klare Flut des ungeheuren Golfes von Mexiko ins Blaue hinein, als ob wir einen neuen Erdteil entdecken wollten – – wie einst Kolumbus. Und wir suchen doch nur Renate Redersen, eine Kapitänsfrau, die ihr Geschick in vieldeutige Verse formte und dem geliebten Bruder geheimnisvolle Kunde zukommen ließ, daß sie noch lebe.
Wir sind seit vorgestern unterwegs, sind weit ab von Land unter der sonnenklaren oder ausgestirnten Himmelsglocke, und um uns her ist die große, erhabene Einsamkeit des Meeres und das ewige Lied der Wogen und das vertraute Knarren der Taue in den Rollen und das Knallen der weißen Leinwand und das sanfte Fauchen des Windes, der diese Leinwand kraftvoll bauscht und seine unverbrauchte Kraft über die Wellen gleiten läßt und ihre Schaumkämme zerpflückt und den Gischt in die Luft schleudert wie große Schneeflocken.
Das Meer hat uns freundlich aufgenommen, und alles könnte hier an Bord so wundervoll harmonisch sein, wenn nicht …
Da stockt die eilende Feder.
Durch das offene Fenster der Heckkajüte, die ein wenig erhöht liegt und deren Dach Ozeanas Lieblingsplatz ist, sehe ich den Pater Menardus, eine große Schürze umgetan, aus der kleinen Kombüse steigen und einen Eimer Spülwasser über die Reling entleeren. Menardus ist Koch, Steward und Proviantmeister. Er findet sich mit jeder Tätigkeit ab, er ist das allzeit ausgleichende, beruhigende Element an Bord. Im Grunde ist er der Kapitän, obwohl er von diesem Handwerk nichts versteht, – Kapitän der Seelen. Wo sein kraftvolles braunes Gesicht mit den unergründlichen Augen auftaucht, schweigt selbst der Wildspuk Ozeana.
Und dann Pi, der Steuermann.
Pi ist um zwanzig, dreißig Jahre jünger geworden, dieser alte Pirat ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie vollkommen das endlose Meer alle die, die einst auf seinen grünen Glasbergen ritten und es als Heimat betrachteten, freudig wieder aufblühen läßt.
Pi pfeift den ganzen Tag seltsame Lieder mit recht wilden Melodien und gibt das Steuer nur sehr ungern an unsere Matrosen Larry und Ozeana ab. Ich glaube, noch zwei Tage, und der Bratapfel Pi, der gar nicht mehr verschrumpelt aussieht, wird mir den Vorschlag machen, einen Frachter zu kapern und die rote Piratenflagge zu hissen. Ich traue ihm alles zu.
Mit Larry Mac Intock ist leider eine Wandlung zum Schlechteren vor sich gegangen. Larry ist verliebt. Und Ozeana spielt mit ihm wie die Katze mit der Maus. Sie hat die Herrin der Lagune, das heißt all ihre burschikose Anmaßung, ihren Trotz, ihre Keckheit und ihre Ansprüche auf allseitige Beachtung, auch hier nicht abgestreift[5] und fällt uns durch ihre Launen auf die Nerven.
Larry und Ozeana sind Sorgenkinder.
Ich selbst?!
Ich wünschte, daß diese Fahrt bald ein Ende hätte … Mir wühlt die Sehnsucht nach Erleben, nach irgend etwas Anfeuerndem im Blute. Unser Schoner ist nicht dazu geeignet, die Unruhe des Blutes zu meistern. Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten füllen die Stunden, die Nächte sind entsetzlich heiß, die Sonnentage noch heißer, – – kein Wunder, denke ich, daß der warme Golfstrom hier aus dem Meeresteil zwischen Mexiko, den Südstaaten Amerikas und den westindischen Inseln seinen Ursprung nimmt und den Atlantik dann bis nach Norwegen mit Wärme versieht und so starke Witterungseinflüsse zeitigt.
Wenn der Wind nicht wäre, glaube ich, würde der Schoner in dieser Glut wie trockenes Reisig in Flammen aufgehen.
Tödliche Faulheit kriecht uns in die Adern, die Gereiztheit wächst, nur Pi pfeift unverdrossen.
Trotzdem wäre selbst dies zu ertragen, wenn …
Ja – wenn wir ein festes Ziel hätten.
Wir haben kein Ziel.
Wir segeln dorthin, wo der Dreimaster „Weserland“ als Wrack zuletzt von einem Dampfer gesichtet wurde in tollem Südoststurm. Wir haben berechnet, daß, da derselbe Sturm den Zeitungsmeldungen von damals nach noch einen vollen Tag anhielt, das Wrack nach Nordwest getrieben sein müßte – mitten in den Golf von Mexiko hinein.
Es ist im Grunde ein vermessenes Suchen, ist ein Aberwitz, ist … die bekannte Stecknadel im Heuhaufen. Aber gegen des Paters felsenfeste Zuversicht und gegen Ozeanas und Larrys Hoffnungsfreudigkeit vermögen meine berechtigten Zweifel nichts auszurichten. Pi verhält sich in diesem Punkte neutral, und setzt seine unergründlichste Asiatenmiene auf und … schweigt.
So fahren wir denn mit dem schmucken Schoner, der beinahe einer Privatjacht gleicht, einem Ziele entgegen, das unsere Phantasie uns je nach unserer Wesensart so oder so ausmalt.
… Und der Abend kommt, der Sonnenball taucht blutrot in das Meer, blutrot schimmert der Himmel im Westen, verblaßt, – – und die Nacht ist da.
Blutrot …
Verse brennen mir im Hirn …
Aus des Herzens Not
Flammt als feurig Rot
Wie der Abendsonne Schein
Mein Gebet durch mein Sein.
Stürme, Wellen tragen Worte,
In der Klippen düstre Orte,
Dem Gewissen jäh entrungen.
Sind verschwunden,
Kaum gefunden.
Aus des Herzens Not
Ragt das hart’ Gebot
Wie die spitzen Riffe,
Wie der Toten harte Griffe,
Die von mir die Sühne heischen
Und an meiner Seele reißen
Ohn’ Erbarmen …
Amen.
Renate.
Ein verborgener Sinn, vielleicht eine ganze Tragödie mögen in diesen Strophen sich scheu verbergen. Wie oft schon habe ich diesem „Sinn“ nachgespürt und Wort um Wort geprüft auf eine versteckte Deutung. Eins ist gewiß: Lebt jene Renate noch, dann lebt sie auf einer der Inseln in der Nähe der Grenzgebiete Mexikos und der Vereinigten Staaten, denn mitten im Golfe von Mexiko verzeichnet keine Seekarte weder Untiefe noch Riff noch Eiland.
– Ich lege die Feder weg … Im Lichtschein der elektrischen Stehlampe auf der Ecke der Schreibunterlage kriecht eine dicke, bunte Motte, die vorhin mit hartem Stoß gegen die Glocke prallte, unentwegt im Kreise wie ein Pferd in der Manege – unentwegt, – die zitternden Flügel schleifen und lassen auf dem Löschblatt eine silberige Bahn von Flügelstaub zurück, einen Doppelkreis. Das halb betäubte Tier erinnert mich an mich selbst. Ich fühle, daß der freie Schwung der Gedanken und das leichte Spiel der Muskeln zwecklos sich selbst aufreibt bei diesem Überprüfen fremden, unbekannten Schicksals. Ich fühle, daß ich mich nach etwas sehne, wie ein Verschmachtender nach Wasser: Nach dem feurigen Wein des Erlebens!
… Das Schiff schläft …
Am Steuer, mir unsichtbar, lehnt jetzt wieder der einstige Seeräuber Chang Pi, und er pfeift ganz leise.
Wir sind die einzigen, die noch wach sind, außer Ozeanas drei Lieblingen.
„Menagerie!“, sagte Larry gestern, als Ozeana wieder einmal die Oberlippe schürzte und schmollte und gierig ihren Roman weiter verschlang. Hier auf dem Schoner fand sie Romane hinter einer verschiebbaren Wandverkleidung. Jetzt … lernt sie „das Leben“ kennen aus den Schriften des Engländers Wilde, aus den Dramen Shaws und dem Gesellschaftsroman der Lady Grancell …
Nebenan schläft das Mädchen mit ihrem sprechenden Papagei „Mr. Brown“, mit dem zahmen braungrünen kleinen Affen „Miß Fips“ und dem Raben „Mr. Black“, der leider auch einige Brocken schwatzen kann und im Traum häufig klar und schrill „Robinson!“ schreit.
… Das Schiff schläft …
Der Wind hat aufgefrischt, aber da kein Wölkchen am Firmament, brauchen wir keine Deckwache für plötzliche Segelmanöver.
Pi pfeift … Piratenlieder … Wahrscheinlich uralt. Von Geschlecht auf Geschlecht vererbt – gleich Kindermärchen.
Es ist elf Uhr … Die Uhr tickt laut und stark über mir an der Wand, ein moderner Schiffschronometer, den kein Orkan irgendwie verwirrt.
Immer noch kriecht die Motte ihren Kreis.
Immer noch … warte ich.
Ich weiß, daß ich warte, – ich weiß auch worauf, – auf den feurigen Trunk des Erlebens. Aber dieser Trunk wird mir verwehrt.
Wenn diese Fahrt bisher irgend etwas Aufregendes bescherte, so war es lediglich zu Beginn, als ich bestimmte, Pi sollte uns begleiten. Und als wir des alten Mac’s Haus verschlossen und Pi aus den Wäldern zehn Maya-Indianer holte – als Wächter für die Lagune, zehn straffe Kerle, die schon oft für Mac Fallen aufgestellt und beim Tierfang geholfen hatten. – Und als Pi dann das Felsentor öffnete und wir die Masten des Schoners niederklappten und das Schiff vorsichtig durch die Wassergrotte in den Ozean bugsierten …
Das waren vielleicht Stunden, in denen das Blut rascher floß.
Jetzt warte ich …
Mr. Black nebenan kreischt dreimal „Robinson“, – doch Ozeanas verweisende Stimme bleibt aus, und „Mr. Brown“ erlaubt sich daher, Mr. Black eine Serie von Schimpfworten zuzuschleudern …
Und Ozeana läßt auch dies ungerügt zu.
Seltsam.
Ich lausche jetzt dem Schimpfduett, und allmählich kommt mir der Verdacht, daß meine kleine launenhafte Freundin überhaupt nicht in der Nebenkammer weilen dürfte. – Wo steckt sie?!
Mr. Black und Mr. Brown werden müde und stoppen ihr grelles Geschrei allmählich ab.
„Idiot!!“, gurgelt der Papagei noch.
Der Rabe schweigt.
Es wird still, und Pi’s gedämpfte Piratenlieder und das Klatschen und Schäumen und Brodeln der Wogen und das Knarren des Tauwerks bleiben einzige Nachtmusik, in die sich, kaum vernehmbar, ein leises Surren mengt …
Ich horche angespannt, und da die Ventilatoren abgestellt sind, fühle ich, wie dieser fremde, gleichmäßige schnarrende Ton mich immer mehr erregt und meine Ohren schärft – wie ein Schleifrad …
Ich werde zu Pi gehen … Sollte etwa ein Flieger diese Wasserwüste überqueren?
– – Leise bin ich an Deck gegangen, Pi verstummt, wir wechseln einige Worte, – – hier ist nichts mehr von diesem Surren zu vernehmen.
Ich bin wieder in meiner Kajüte. Das sanfte ferne Schnarren ertönt deutlicher, wenn ich mich bücke. Ich lege mich lang auf den Bastteppich, und …
Mit einem Ruck bin ich auf den Füßen.
Sollte Ozeana …?!
Zuzutrauen ist ihr alles …
Ich schleiche nach vorn, betrete die Kombüse, steige in den Laderaum hinab, taste mich vorwärts, gelange zum versteckten Verschlag, hinter dem, scheinbar eine Segelkammer, Mac Intocks sauber eingebauter Tresor steht.
Ich habe mir eine Aufpulverung gewünscht, – ich habe sie gefunden …
Lichtschein vor mir …
Zwei Gestalten …
Larry handhabt eine elektrische Bohrmaschine, und Ozeana ölt den Bohrer und trocknet Larry den Schweiß von der Stirn. Hier unten ist Hölle … Larry Mac Intock ist nackt bis zum Gürtel, und Ozeana trägt nur einen hauchdünnen Schlafanzug und Lackschuhe an den nackten Füßen.
Es riecht nach heißem Öl und heißem Metall, und die Verschwörer dort, die den Tresor von der Rückwand anbohren, machen Gesichter wie Schulbuben, die zum ersten Male Äpfel stehlen.
Larry setzt den Bohrer ab und schaltet den Strom aus.
„Pause!“, flüstert er …
Und wirft sich auf einen Ballen Segel, nimmt Ozeana auf den Schoß und küßt sie derart ab, daß ich neidisch werde.
Jedoch …
Was rief doch Mr. Brown zuletzt?
„Idiot!!“
Stimmt, Mr. Brown: Idiot! – Sollte man es für möglich halten, daß diese beiden verliebten, gerissenen Menschenkinder den Pater, den geriebenen Pi und auch mich derart durch ihr Getue täuschen konnten?!
Ich muß schmunzeln …
Sind das nur gewitzte Liebesleutchen, die beiden! Führen uns da am Tage allerlei Szenen auf, als ob Ozeana den sandblonden Larry nur als Spielzeug betrachtete, und sind sich in Wirklichkeit längst einig und … lachen uns heimlich aus!
Beneidenswerter Larry!
Ozeana hat es nicht nötig, aus Romanen zu lernen, wie man Küsse erwidert und Küsse spendet und wie man blanke, verträumte Augen bekommt!
Ich bin diskret, schleiche davon, und als ich droben am Heck neben Pi stehe, sage ich nur:
„Alter Pi, hier sind Einbrecher an Bord.“
Chang Pi schiebt die Zigarre in den anderen Mundwinkel. Ein Blick trifft mich, der mir alle Überheblichkeit gründlich benimmt.
„Ja, sie bohren den Tresor an“, nickt der frische Bratapfel. „Ozeana hofft dort Papiere zu finden. Ich schätze, Mr. Abelsen, die beiden werden drei Wochen brauchen, bis die Rückwand ein Loch hat, denn ein altes chinesisches Sprichwort lautet: „Wenn Liebesleute stehlen gehen, schlafen sie im fremden Reisspeicher ein“. – Glauben Sie nicht auch?!“
Mein Lachen findet bei ihm keinen Widerhall.
Er hat sich umgeschaut …
„Sehen Sie, – dort …!“
In seiner krächzenden Stimme schwingt ein Ton, der mich rasch nach dem Fernglas greifen läßt.
In unserem Fahrwasser in weiter Ferne kriecht ein dunkler Fleck über das nächtliche Wasser.
Pi sagt: „Ohne Positionslaternen, Mr. Abelsen!! Ich denke, es wird dieser Schwachkopf von Martinez mit dem ausrangierten Torpedoboot sein, das die Regierung als Küstenwachtschiff benutzte.“
Mit jedem Wort schwillt seine Stimme zu grimmer Freude. Seine Züge leuchten, der alte Seeräuber riecht Kampf.
Ich auch.
– Ich habe gewartet …
Worauf ich wartete: Es ist hinter uns, auf unserer Spur: Sennor Martinez mit seinen Halsabschneidern aus dem Hafennest Zaporra.
Drei Tage mögen seitdem verflossen sein, vielleicht auch vier oder fünf. Ich weiß es nicht, wie lange ich zwischen den Trümmern des Hecks des schönen Schoners und zwischen Geröll und verstreuten Konservenbüchsen bewußtlos gelegen habe, – bewußtlos, zerschunden, mit geschwollenem Knie, blutigen Handflächen, das Gesicht zerfressen von Sonnenglut und der Salzkruste des unberechenbaren Ozeans.
Was mir seit langem nicht mehr widerfahren, was mir im Grunde nur ein einziges Mal unter anderen Begleitumständen zugestoßen: Ich bin zu einem Robinsondasein auf einer Fläche Felsgestein verurteilt, die nicht größer ist als ein mäßiges Zimmer!
Es gibt also doch mitten im Golf von Mexiko „Land“, eine Insel, eine selbst beim höchsten Stande der Flut hoch emporragende Klippe: Eine Robinsonklippe.
Als ich gestern erwachte, es war frühmorgens, habe ich mich mühsam ein paar Meter weitergeschleppt und den brennenden Durst durch einen langen Trunk aus der wassergefüllten schmalen Felsspalte gelöscht. Dann schlief ich wieder ein, erwachte nach Stunden, die Sonne stand schräg über mir, und mein Kopf war klar und wurde noch klarer durch die nagenden Schmerzen in allen Gliedern. Eine Weile saß ich da und starrte gespannt auf das zertrümmerte Heck der „Ozeana“ und auf – seltsam genug – auf Mac Intocks Tresor, der mit unheimlicher Wucht zwischen die Felsen geschleudert sein muß, denn er ist zusammengedrückt wie eine Pappschachtel, und die Tür steht offen.
Dort liegt er, der Tresor …
Offen …
Und verrät nichts. Ist leer.
Für mich.
Sein Inhalt mag Wert haben für die, denen Geld und Gold und Steine alle Bedürfnisse eines verwöhnten Daseins befriedigen – in den Städten, in den zivilisierten Staaten, – – nicht hier.
Papiere über meine kleine Freundin?! Nicht ein Fetzen war vorhanden, – wie enttäuscht wäre die arme Ozeana, die jetzt gleich den anderen Gefährten irgendwo dort unten in der Tiefe des Meeres ihr Grab gefunden hat.
Und diese Gedanken an meine Kameraden haben mich lange Zeit wie betäubt an meinen Platz gebannt. Schatten spendete mir das geborstene Heck vor der mörderischen Sonne, – in meinem Herzen war noch tieferer Schatten, der nagende Schmerz lähmte mich, Trauer bedrückte mich, bis ich mich auf mich selbst besann und ächzend und stöhnend die höchste Spitze der Klippe erkletterte, um Ausschau zu halten.
Ausschau?! – Kein gelobtes Land … Nur Wasser, Himmel, Sonne und die Klippe mit ihrem Kranz von Riffen, mit ihren mageren, spärlichen Büschen in den Ritzen, mit den bescheidenen Kakteen und dem wüsten Bilde der Reste des schönen, schnittigen Schoners.
Noch etwas sah ich.
Rot von Rost schimmerte zwischen den Riffen der Boden eines eisernen, gekenterten Wracks wie ein ungeheurer Wal, den man rot überpinselt hat. Uralt muß das Wrack sein, das sich da festgekeilt hat, das an den Teilen, die vom Wasser bespült werden, sich lange Bärte von fahlgrünen Wasserpflanzen und dicke Krusten von Muscheln zugelegt hat.
Uralt … Und doch nicht so alt, daß Sonne und Wellen und fressender Rost den gewölbten Schiffsboden irgendwo zu offenen Löchern zernagt hätten.
Es muß ein Segler gewesen sein, der hier seine letzte Ruhestätte fand, eine Brigg vielleicht. Ich sehe am Heck keine Schrauben, es ist ein Segler …
Der Name?!
Bisher fand ich nichts, was mir hierüber Aufschluß gegeben hätte. Das Wrack interessiert mich auch nicht weiter. Ich habe genug erblickt von der hohen Warte der Klippe: Robinson – – meine Robinsonklippe!
Immerhin: Das Schicksal war mir gnädig, ich bin mit dem Leben davongekommen, und ich werde weiterleben und den Kampf mit der Einsamkeit aufnehmen. Ich hatte das Abenteuer herbeigewünscht, und es ward mir beschert:
Robinson!
Jener „literarische“ Robinson, der der Held meiner Knabenträume gewesen, landete auf einer blühenden Insel und hatte allerlei Getier zur Verfügung. Ich lebe hier auf etwa vierzig Quadratmetern Gestein, und auch ich besitze Tiere …
Arme Ozeana: Drei deiner Lieblinge kamen mit dem Leben davon, du aber?! Bist du wirklich tot?! Sollte dein junges Dasein so brutal ausgelöscht worden sein, sollte dein liebendes Herz wirklich aufgehört haben zu schlagen?!
… Schwer auszudenken … Ich mag es nicht glauben. Eine leise Hoffnung bleibt mir. Ihr hattet ja das Rettungsboot, – ihr vier, und vielleicht … –
Ich verscheuche auch die Gedanken. Diese Stunde fordert anderes.
So kletterte ich denn hinab zum „Südstrand“ der Klippe. Es ist eine Terrasse, winzig genug, und ihre Fläche ist bedeckt mit den Überbleibseln des Schoners.
– Abends ist meine Hütte fertig. Bretter, Balken, Nägel, – – übergenug davon. – Auch der Proviant ist geborgen, und die drei Käfige der Tiere, genau so zerdrückt wie der Tresor, habe ich gerade gebogen, die Insassen gefüttert und mich ein wenig gewundert, daß Mr. Brown, Mr. Black und Miß Fips die Hungerkur und die Hitze so gut überstanden haben.
Die Arbeit tat mir wohl, ich vergaß Schmerzen, Trauer, Hoffnungen, ich habe meine Hütte sauber und praktisch hergerichtet und alles überflüssige Holz als Brennmaterial aufgeschichtet.
… Nun ist der Abend da.
Meine Zinkkassette mit Papier, Bleistiften und meiner Schreiberei lag unter den Trümmern des Tisches und neben einem Brett, auf dem noch der Chronometer festgeschraubt ist. Es war ein Schiffschronometer. Jetzt? Er ist für alle Zeit erledigt, aber seine Schutzkappe aus Messing kann ich als Pfanne benutzen, immerhin etwas.
Mr. Brown, der redselige Schwätzer, watschelt langsam mit einwärts gestellten Füßen über das Geröll, Mr. Black, der Rabe, sucht unten am Wasser Muscheln, und Miß Fips schaut aus braunen melancholischen Affenaugen über die in zartes Rosa getauchte See. Der Wind ist frischer geworden, und meine steifen Finger werden geschmeidiger. Es ist Zeit, das nachzuholen, was damals in jener Nacht geschah, als Chang Pi sagte: „Wenn Liebesleute stehlen gehen, schlafen sie im fremden Reisspeicher ein“.
… Chang Pi übergab mir das Steuer.
„Mr. Abelsen, der alte Torpedospucker da hinter uns läuft immer noch vierzehn Knoten, und die holen wir selbst nicht mit unserem Hilfsmotor aus der „Ozeana“ heraus … Außerdem …“ – sein feuriger Redefluß versickerte wieder infolge der Sorgen der Stunde – „außerdem, – was sagen Sie dazu?!“ Und er wies gen Süden, wo über das ausgestirnte Firmament sich dünne Wolkenfetzen zum Zenit emporzogen wie schwache Strahlen eines dort leuchtenden Scheinwerfers. „Kennen Sie das, Mister? Es sind die Seile, an denen der Sturmgott Karipu, zu dem die malaiischen Piraten ihre Flüche und Gebete erheben, den Orkan herbeizerrt.“
Pi’s Züge wurden welk im Schein der Kompaßlampe.
„Mister, mit einem Gegner werden wir fertig. Aber zwei?! Es ist schlecht zielen, wenn der Schoner wie ein alter Gaul über die Wogenkämme rumpelt … Nun, versuchen wir es …“
Er schlurfte davon, weckte den Pater-Koch, holte das Liebespaar aus dem Zwischendeck, und Larry und das Mädel, die beiden geriebenen Heuchler, kamen herbeigeschlichen wie begossene Pudel.
Pater Menardus schien den Ernst der Lage nicht recht würdigen zu können. Unser Verfolger lag noch immer zehn Seemeilen zurück, und das feine Gespinst am südlichen Himmel war ihm nichts als eine überraschende Wolkenbildung.
Larry und Ozeana, sehr froh, daß ihre Einbrecherarbeit nicht weiter erörtert wurde, bewiesen bessere Sachkenntnis.
„Das wird ein erstklassiger Orkan“, meinte der semmelblonde Brite mit gewohnter Frische. „Vorwärts, – beschlagen wir die Segel, Ozeana, und dann werde ich den Motor in Schwung bringen.“
Der Pater half Pi beim Emporhissen eines Kastens, der bisher, oben mit Handwerkszeug gefüllt, im Vorschiff verstaut gewesen. Aus wollenen Decken kam da ein zwar veraltetes, aber noch brauchbares Revolvergeschütz sowie reichlich Munition, 7 cm-Granaten zum Vorschein.
Der Schoner hätte jetzt getrost die rote Piratenflagge hissen können. Pi rannte eilfertig hin und her, Ozeana lud die vorhandenen Gewehre, Larry schleppte Sandsäcke aus dem Kielraum zum Heck, und ohne viel Worte verstanden wir einander, arbeiteten uns in die Hände, beobachteten den Schatten hinter uns im Süden und die schwarze Wolkenwand, die unheimlich rasch sich ausdehnte.
Der Verfolger kam näher.
Pi grinste teuflisch, als er die erste Granate ins Rohr schob und den lichtlosen Fleck aufs Korn nahm.
Unten schnarrte hustend der Motor, oben war jede Spur von Luftbewegung eingeschlafen, an den Masten tanzten gelbe Lichter, die drückende Luft machte das Atmen zur Qual, man sog höllisches Feuer in die Lungen ein, unsere Gesichter troffen von Schweiß, und als in der Ferne der erste Blitz über die finsteren Wolkengebirge dahinfuhr, sauste auch Pi’s Probeschuß aus der Mündung und verschwand mit hellem Heulen in der rasch wachsenden Finsternis.
„Zu kurz!“, meldete der Pater und behielt das Glas an den Augen.
Pi fluchte diskret.
Der zweite Schuß dröhnte, – – gleichzeitig kam es von drüben hergefunkt wie ein Hagel von gefüllten Eisentöpfen. Das ausrangierte Torpedoboot, von der Regierung einst vielleicht zum Abwracken erworben, besaß doch noch überstarke Bestückung, und als die heulende Meute schlecht gezielter Granaten und Schrapnells ihre wenig leckere Füllung ausspie, sagte der neben mir stehende Larry mit ungekünstelter Wurstigkeit:
„Arme Fische!! Als ob die Blei und Stahl fräßen!“
Pi stieß einen tollen Schrei aus, und mit Affenbehendigkeit funkte er die Antwort …
Ozeana klatschte in die Hände.
„Getroffen!!“
Der Pater bestätigte dies. „Die saß, Chang Pi! Nur weiter so!“ Der streitbare Mann lachte grollend, und über die finstere Wolkenwand glitten drei gezackte feurige Schlangen, und in den Lüften erhob sich ein Säuseln, als ob alle bösen Geister dort geheime Zwiesprache hielten.
Das Säuseln schwoll an, ward zu einem Orchester von verstimmten Posaunen und Trompeten, und ein jäher Luftstoß kam über die See gefegt, riß das glatte Wasser wie durch kraftvolle Sauger hoch und schleuderte es als zerflatternde Fontänen ins Nichts. Auf diese Vorboten folgte die erste Furche, die der Pflug des Ozeans in die See kerbte: eine haushohe Woge, auf der unser Schoner taumelnd davonritt und dann hinabsank in das Wellental. Mit einem Schlage war es pechfinster geworden. Im Tauwerk, um die Masten pfiff der Sturm, wir duckten uns zusammen, nur Pi stand, hager und schmächtig und doch sehnig und trutzig, mit gesenktem schiefen Kopf am Steuer und starrte auf die weißen Kämme der Wogen, die zu uns emporleckten und ihre Schaumperlen verschwenderisch auf die Deckplanken streuten.
Es kam schlimmer.
Der Orkan wuchs, der Orkan schlug mit nassen Riesenfäusten gegen das weiße Schifflein, – – drei Stunden, und der eine Mast ging über Bord, der zweite folgte, Pi und ich hatten uns angeseilt, die anderen hockten in der Kajüte, das Deck ward Wellenbad, die geknickten Masten hämmerten nachschleifend an den Bordwänden, der Himmel spendete für Sekunden grelle Blitze, die uns nur eins zeigten: das nahende Verderben!
Und dann der erste furchtbare Stoß gegen ein unsichtbares Hindernis …
Der Motor setzte aus, die Decklichter erloschen, – – noch ein Stoß, der Schoner schwebte in einem Winkel von fast vierzig Grad wie auf einem spitzen Zaune, auf den ein Gigant ihn aufgespießt hatte …
Ringsum tollste Brandung, – – ein allerletzter Versuch, das einzige Rettungsboot flott zu machen, schien zu glücken …
Aber die Atempause, die der tückische Sturmgeselle uns gegönnt hatte, war verflossen.
Ich wollte als letzter ins Boot, – – der Schoner hob sich, pendelte in die richtige Lage zurück, ward hochgerissen …
Und dann folgte für mich die große Ruhe der nachtumfangenen Sinne …
Alles war still.
Ich lag inmitten der Trümmer des Hecks auf dem Vorstrand der Klippe …
Erwachte …
Nach Tagen, nach Stunden?!
Es müssen Tage gewesen sein … Denn Miß Fips, der Affe, eigentlich ein Affenfräulein, war mager geworden wie nach langer Hungerkur und hatte nachher gefressen wie ein Hungerkünstler nach endlosem Fasten.
So wurde ich Robinson der Robinsonklippe, und Mr. Brown ruft zuweilen schnatternd: „Robinson … Robinson …“
Er klettert jetzt an meinem Bein empor und setzt sich auf meine Schulter und schnattert weiter: „Robinson … Robinson …“ und das Rot des Sonnenunterganges erlischt, die Nacht kommt …
Tröstende Sterne blinken auf, immer mehr Lämpchen funkeln am Firmament zwischen den spitzen Klippen, die wirklich wie ein Zaun das winzige Felseneiland umgeben.
Robinson versorgt seine Tiere, facht das Herdfeuer an, setzt den Konservennapf über die Glut und …
„Sind Sie allein?“, fragt Pi’s brüchige Stimme von der Tür her.
In der Tür lehnt ein Jammerbild von Fleisch und Knochen und Stoffetzen.
Ich stiere den alten Mann wie einen Geist an.
Er … grinst, torkelt näher, fällt auf mein Lager und keucht:
„Durst …! Wasser … Hunger …“ …
Verdreht die Augen und liegt still.
Mein Gefährte, der alte Expirat, ist zäh wie ein Kater und hat sich wunderbar schnell erholt. Daß er da draußen vier Tage in einer Spalte einer der Klippen in einem Dämmerzustand zwischen Leben und Sterben zugebracht hatte, würde ihm heute am sechsten Tage niemand mehr ansehen.
Pi sagt, es waren vier Tage. Also wird es auch stimmen. Er sagt weiter, daß nur die Todesangst vor dem Schwinden der allerletzten Kräfte und vor dem gräßlichen Ende des Verschmachtens ihm die nötige Energie verliehen habe, bis zur Klippe zu schwimmen. Er habe um Hilfe rufen wollen, – seine Kehle verweigerte den Dienst.
Pi liegt vor der Hütte in der Sonne und spielt mit Miß Fips.
Robinson hat also seinen Freitag gefunden, auch ohne Menschenfresserjagd. – Ich bin es zufrieden. Pi und ich werden uns schon vertragen, und Langeweile haben wir nicht, es gibt so unendlich viel zu tun, obwohl unsere Insel samt den Klippen bequem in einen Konzertsaal hineingeht.
Vorhin bin ich bei Ebbe zu der Felsnadel gewatet und geschwommen, deren Spalte der Expirat sein Leben verdankt. Dieses spitze Riff liegt unweit des Wrackes, des roten Walfisches, und so habe ich denn auch das Wrack umkreist und es mir aus nächster Nähe angesehen. Es sitzt mehrfach aufgespießt auf den Riffzähnen wie in dem Unterkiefer eines Meergiganten, der lauernd in den Tiefen ruht und selbst den Kopf verbirgt. Als dieses gekenterte eiserne Segelschiff einst hier strandete, muß ein Orkan gewütet haben, der etwa dem gleichkam, dessen Urgewalt den Schoner zerschmetterte. Mit welch wütender Kraft das Wrack auf die Riffe geworfen wurde, bewiesen schon allein die abgebrochenen Zacken, die neben und vor dem verrosteten Eisengehäuse aus dem Wasser ragen.
Ich hatte gehofft, daß eine der Seitenluken des Wracks sich würde öffnen lassen oder vielleicht durch den Aufprall von selbst aufgesprungen wäre. Aber der eiserne schwimmende Segler hatte selbst durch den Rammstoß gegen die Klippen an der Außenhaut keinerlei Schaden genommen. Er war ein noch immer festes Gehäuse, und es gab keine Möglichkeit, in das Innere einzudringen, es sei denn, wir hätten Dynamit besessen.
Pi nickte beifällig, als ich von Dynamit sprach und stellte sein Spiel mit Miß Fips sofort ein.
„Wir haben noch acht Granaten, Mr. Abelsen … Samt den Messinghülsen und der Pulverladung. Vielleicht …“ – er schaute seitwärts, wo der große Rostfleck die blaugrüne See bedeckte – „vielleicht gelingt es, Sie verstehen ja etwas von der Kunst des Sprengens, und …“
„Wir werden!“, sagte ich sehr bestimmt. „Das Wrack wird uns das nötige Holz liefern, ein Boot zu bauen, falls wir hier nicht von einem vorüberfahrenden Dampfer aufgenommen werden. Womit ich nicht rechne, Freund Pi, denn zweifellos sitzen wir hier in einem Teile des Golfes fest, den noch nie ein Schiff besuchte. Die Klippe wäre sonst auf irgend einer Seekarte verzeichnet.“
Unten am Strande spazierte Mr. Black umher und füllte sich den Magen mit köstlichen kleinen Krebsen und anderem Getier. Mr. Brown hatte über uns einen der wenigen Büsche als Sitz erkoren und wippte auf dem fingerdicken Ast lustig auf und ab und schrie seinem Feinde Mr. Black arge Schimpfworte zu. Die Äffin hatte sich zusammengekauert und untersuchte den linken Schinken mit den schwarzen Fingerchen auf hüpfende Quälgeister.
Idyll im Golf von Mexiko …
Und mir fiel da einer der besten Abenteuerromane ein, ein Buch, das längst in die Weltliteratur eingereiht ist: Die Schatzinsel! – Auch diese Insel lag irgendwo im Golf von Mexiko, war bewaldet, hatte ein altes geheimnisvolles Gebäude aufzuweisen, aus dem Totenköpfe den Neugierigen vor die Füße rollten und Schüsse knallten. Diese Totenköpfe habe ich immer für eine Geschmacklosigkeit des Verfassers angesehen, für einen billigen Trick, Gruseln zu erzeugen.
Unser Miniaturinselchen ist kein Seeräuberschlupfwinkel, aber … Schätze sind auch hier zu holen. Sennor Martinez hatte es auf meinen Leibgurt abgesehen, auf die Smaragde, – Sennor Martinez dürfte jetzt endgültig erledigt sein.
Pi stopfte seine Pfeife, die er sich nachmittags mühsam geschnitzt hatte, und bittet mich höflich um Feuer. Drei Kisten Zigarren und zwei Blechbüchsen Rauchtabak haben den Schiffbruch gleichfalls überstanden.
Idyll im Golf von Mexiko …
Pi raucht mit philosophischer Ruhe und spricht von den Lieben, die wir hier vermissen. Sein altes Herz hing an Ozeana fast mit derselben rührenden Treue wie an Gulliver Mac Intock.
Ich ergreife die günstige Gelegenheit beim Schopfe und frage ihn: „Pi, wer ist Ozeana? Sie müssen es doch wissen.“
Der Bratapfel, wieder ganz verschrumpelt, erwidert bedächtig: „Sobald ich bestimmt weiß, daß wir beide verurteilt sind, den Rest unserer Tage hier zuzubringen, würde ich es mit meinem Gewissen vereinbaren können, meines Herrn Geheimnisse preiszugeben. Eins nur möchte ich jetzt schon betonen, Mr. Abelsen: Auch ich kenne Ozeanas Vatersnamen nicht. Mein Herr hat mich nur bis zu einem gewissen Grade eingeweiht, und“ – er machte eine lange Pause – „und vielleicht ist das, was er mir mitteilte, auch nicht einmal wahr gewesen. Jedenfalls brachte er das Kind von einer längeren Fahrt mit dem Schoner zur Theresa-Lagune, wo wir bereits anderthalb Jahre wohnten. Auch das glaube ich zu wissen: Selbst meine Landsleute, die doch meinen Herrn bei jener Fahrt begleiteten, müssen von ihm zu feierlichstem Schweigen verpflichtet worden sein – – wie ich. Aber – – sie waren dabei, und so brüderlich wir auch alle zusammen standen, nie ist mir gegenüber ein Wort über ihre Lippen geschlüpft, das dieses Dunkel irgendwie gelichtet hätte.“
Die günstige Gelegenheit hatte sich also abermals als ein Schemen entpuppt, und Ozeanas Herkunft blieb ungeklärt, – genau wie das Schicksal der Schwester des Bruders Menardus.
Sinnend spürte ich den ersten Anfängen dieses meines Abseitspfades nach, der nun mitten im endlosen Golf von Mexiko vorläufig ein Ende gefunden. Ich rief mir all die bunten Bilder wieder ins Gedächtnis zurück, die wie Gedenktafeln diesen Pfad zierten, und ich gelangte zu dem Ergebnis, daß Stevensons „Schatzinsel“ mit ihrem Vorspiel der Segelfahrt durch Sturm und Finsternis im Grunde etwas mager wäre – als Vorspiel. Und kam zu dem anderen Ergebnis, daß Gulliver Mac Intocks eigentümliche Erziehungsmethoden gegenüber Ozeana unmöglich seinem eigenen Hirn entsprungen sein könnten, denn der alte Mac war bei aller Verschlossenheit und trotz seiner wilden Vergangenheit eine Seele von Mensch.
Wer zwang ihn, dieses Mädchen derart von aller Welt abzusperren und dennoch ihre Launen geduldig zu ertragen und … zu schweigen?! –
Pi mußte mich beobachtet haben. Er sagte leise: „Sie dachten an Ozeanas Gefangenschaft, Mister?“ Er lächelte innerlich, und in diesem Lächeln lagen Schmerz und geringer Humor. „Dreimal hat Ozeana zu fliehen versucht“, spann er den Gedankengang weiter aus … „Sie sehnte sich nach der großen Welt da draußen. Glaubte sie. Es war etwas ganz anderes: Sie sehnte sich nach anderer Liebe, und sie fand sie in der Lagune, als sie Larry aus dem Wasser zog, – – das Schicksal ist hart!“, schloß er mit einem Seufzer, den Mr. Brown gehört haben mußte, denn er kreischte mehrmals: „Idiot … Idiot … Idiot …!!“
Der alte Pirat blickte zu ihm auf.
„Mag sein – – Idiot! Vielleicht leben sie … Denn das Rettungsboot hatte Luftkästen und konnte nicht untergehen, und Larry hielt Ozeana mit eisernen Armen fest, als die Woge mich hinausschleuderte. Man sollte nie jemand als tot betrauern, der nur verschollen ist.“
Pi kniff die Schlitzaugen noch kleiner und behielt Mr. Brown fest im Auge.
„Er hat etwas in der Pfote, der Vogel …“, meinte er so nebenbei. „Es flattert, – es ist ein Stoffetzen … Trug einer von uns grüne Seide, Mister?“
In dieser Frage drückte sich so viel Erstaunen aus, daß ich aufsprang und Mr. Brown vorsichtig auf den Leib rückte. Der Papagei jedoch, mit Recht um seinen grünen Wimpel besorgt, flatterte mit seinen gestutzten Flügeln schwerfällig auf einen anderen Strauch an der steilsten Stelle der Klippe und stieß ein höhnisches Gemecker aus, das so überzeugend „nach Ziege“ klang, wie ich es bis dahin von keinem Papagei gehört hatte.
Mochte er meckern! Ich hatte gesehen: Es war grüne Seide, ein grünes, zerschlissenes, aber nicht etwa durch Sonne und Regen verfärbtes Seidenband.
Pi’s Staunen hatte somit guten Grund, und die Frage, wie dieses Seidenband hier auf diese weltentlegene Klippe geraten, war wichtig genug, recht gründlich untersucht zu werden. Zunächst bog ich den Strauch bei Seite, auf dem Mr. Brown bisher gesessen hatte. Dicht daneben standen ein paar Gurkenkakteen in dem verwitterten Gestein, und als ich mich nun bückte und näher hinschaute, blinkten mir aus dem Dunkel einer Felsspalte zwei blanke Äuglein so warnend entgegen, daß ich etwas zurückfuhr. Ich hatte an eine Schlange gedacht. Der Gedanke war jedoch unsinnig. Auf der Robinsonklippe gab es nicht einmal Käfer oder Seevögel. Mein nächster Gedanke kam der Wahrheit nahe: Eine Ratte! Vielleicht ein Sprößling einer Rattenfamilie, die den Untergang des Wracks oder besser dessen Verankerung auf den Riffen überlebt hatte.
Es war eine Ratte, sogar mit Nachwuchs, Nest und Rattenpapa. Ein Stock beförderte aus der Spalte eine ganze Sippe und das weiche Nest zu Tage, quiekend entschlüpfte die langschwänzige Brut, und ich spießte das Nest, einen Ballen von Fasern, Fäden, Papierstückchen und Zeugfetzen auf den Stock und kehrte zu Pi zurück, der mein Tun mit regster Teilnahme beobachtet hatte.
„Die jungen Ratten, drei waren es, haben mit dem Seidenband gespielt, und Mr. Brown hat es dann geschnappt“, erklärte ich und nahm neben dem Gefährten umständlich Platz.
Eine gewisse Erregung zwang mich, meine Neugier zu meistern und meine Erwartungen, die ich auf diesen Fund setzte, nicht allzu hoch zu spannen. Ich zögerte, das Nest auseinanderzureißen, – genau wie ich mir Zeit gelassen, mich niederzusetzen. Der Körper sollte die Unruhe des Geistes zügeln, und das skeptische Lächeln mußte mithelfen, meine Hoffnungen zu vorgetäuschter Gleichgültigkeit herabzudrücken.
Aus dem Gewirr von Fasern, Wolle, Fäden und Papier ragte ein längerer Papierschnitzel heraus, und bereits beim Abstieg von der Klippe unserer winzigen Terrasse hatte ich festgestellt, daß er ein Teil eines Briefes sein mußte.
Pi, den die stoische Ruhe des Asiaten nur verließ, wenn er an sein früheres Handwerk dachte, fragte nach einer Weile:
„Worauf warten Sie, Mr. Abelsen?!“
Ein Blick in sein Mumiengesicht verriet mir, daß er mich durchschaut hatte. Er war Menschenkenner, und in seiner Art ein Weiser. Er zog den Papierschnitzel vorsichtig heraus und strich ihn glatt und hielt ihn mir hin.
„Eine Sprache und Schrift, die ich nicht kenne“, meinte er aufmunternd.
Ich sah: Es war deutsche Schrift, es war kein Briefpapier, sondern starkes Schreibpapier mit rötlichen Linien, die Tinte war verblaßt, das Papier selbst sehr zerknittert und brüchig, und doch konnte ich mühelos folgendes entziffern:
… dich angefleht, von diesem fluchwürdigen Verbrechen, das deine Seele in die ärgsten Nöte treiben, Abstand zu nehmen.
Liebe wird er …
und Gott wird
strafen
Kinde
… Immer wieder las ich.
Seltsam war es, daß ich von diesen verstümmelten Sätzen nicht loskam, und daß beim Lesen wie ein fremdes Lied andere Worte mir im Ohr rauschten:
Aus des Herzens Not
Flammt als feurig Rot
Wie der Abendsonne Schein
Mein Gebet durch mein Sein.
Irgendwie, glaubte ich, müsse hier ein Zusammenhang bestehen zwischen diesem Inhalt eines vergilbten Papierfetzens und jenem Gedicht, das dem Pater Menardus einst vor die Füße rollte im Abteigarten von Merida.
Pi hüstelte.
„Nun?!“
Und Mr. Brown schrie von seinem Ast unerhörte Kraftausdrücke, die ihm nur einer der Diener des alten Mac beigebracht haben konnte.
Ich übersetzte Pi die deutschen Worte ins Englische und sah ihn dann erwartungsvoll an. Er hob die Schultern und … zerwühlte das Nest vollends, besichtigte jeden Fetzen Papier und legte Gedrucktes und Geschriebenes bei Seite.
„Mr. Abelsen, nun wollen wir prüfen … Da, ein Stück einer englischen Zeitung, – da, ein Zettel mit Zahlen, – da, eine …“
Wir hätten besser auf das bisher spiegelglatte Meer achtgeben sollen. Unversehens war eine Brise aufgekommen, wehte von Westen mit erstem kräftigem Hauch um die Ecke unseres Vorstrandes und nahm die ganze Herrlichkeit wie kleine, aufflatternde Vöglein mit sich ins Meer …
Langsam, höhnisch langsam senkten sich die Papierfetzen auf das Wasser hinab, und bevor ich noch das, was mir an wichtigsten, durch eiligen Sprung ins Wasser retten konnte, war auch jener beschriebene Papierschnitzel feucht und schwer in der Tiefe versunken.
Triefend und verärgert stieg ich an Land, wo Mr. Black mit schiefem Kopf mich anblinzelte und dann „Ozeana … Ozeana“ schrie.
Chang Pi, Expirat, stopfte seine Pfeife.
„Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort, Mr. Abelsen: „Wer einen Hahn gefangen hat, schlachtet ihn, wer einen Hahn und eine Henne gefangen hat, sperrt sie ein und legt eine Hühnerzucht an.“ Wir haben alles davonfliegen lassen, und wir …“
Er saß plötzlich kerzengerade.
Seine Augen waren aufgerissen …
„Ein Schiff..!! Ein Schiff..!!“, sagte er düster. „Dieser Dummkopf Martinez hat mehr Glück gehabt als wir. Es ist das alte Torpedoboot … Ich sah es oft genug.“
Von Osten war über der verschwommenen Horizontlinie rasch ein Schiffsrumpf aufgetaucht. Zwei dicke, kurze Schlote und die schmale Bauart deuteten auf Martinez’ Seeräuberfahrzeug hin, und die Schnelligkeit, mit der das Schiff sich näherte, zerstreute die letzten Zweifel.
Pi legte die Pfeife weg.
„Wieviel Patronen haben Sie für Ihre beiden Pistolen, Mr. Abelsen?“
„Fünf Rahmen, – also vierzig …“
„Gut … Wir werden Martinez so empfangen, wie er es verdient … Noch kann man uns von Bord aus nicht bemerkt haben. Kriechen wir in die Hütte … Pfeifen Sie Mr. Brown und Mister Black. Die Klippe muß unbewohnt erscheinen.“
Chang Pi, aus einem alten Seeräubergeschlecht, fühlte sich jung und froh. Ich hegte Bedenken, denn Pi’s einfacher Plan, Martinez und die Bootsbesatzung niederzuknallen, sobald sie den Vorstrand betraten, konnte nicht glücken. Dieser farbige, schielende Alkalde würde niemals so leichtsinnig handeln und ein Boot aussetzen und sich einer Klippe nähern, auf deren kleiner Terrasse eine Bretterhütte stand und ein Stapel Schiffstrümmer lag. –
… Ich sollte Recht behalten. Unsere Robinsonklippe war auf die Art nicht zu verteidigen.
… Das häßliche Brummen einer Kugel, die durch das Holz fuhr und hinten in eine Konservenbüchse neben dem Herd einschlug, verleidet mir fast das Schreiben.
Chang Pi ist draußen am Strande, und offenbar hat man ihn trotz der spärlichen Nachtbeleuchtung durch die Millionen von Sternen rechtzeitig erspäht und einige der Sauschützen von drüben verschwenden staatliche, gestohlene Munition und tun der Klippe doch nicht weh. Das Geknalle hält eine Weile an, noch eine Kugel verirrt sich in die Hütte, und dann wird es wieder still.
Draußen keucht Pi herbei, und nach dem schleifenden Geräusch zu urteilen hat er abermals einen großen, flachen Stein erwischt, den er nun, wie ich vorhin deren ein Dutzend, gegen die Hütte lehnt. –
Wir haben den Dummkopf Martinez doch sehr unrichtig beurteilt, und viel hätte nicht gefehlt, und wir beide wären hier ziemlich ruhmlos zusammengeschossen worden, wenn ich nicht noch in letzter Minute an den zusammengedrückten Tresor gedacht hätte, den wir als Kugelfang, bevor die Banditen in Sicht, mühsam aufrichteten und an die Ostecke der Hütte lehnten und mit Brettern verdeckten.
Sennor Martinez hatte erst einmal mit seinem großartigen Kriegsschiff mehrmals die Klippe und die Riffe in behutsamer Entfernung umkreist und dann seinen „Diaz“ im Süden in Büchsenschußnähe herangebracht.
Pi, kaltschnäuzig gegen jede Gefahr, war trotz meiner Warnung vor einer der Türritzen stehen geblieben.
Die Kugelsaat vom „Diaz“ kam dann ganz überraschend, und ohne den Tresor wären weder wir beide noch die Tiere verschont geblieben.
Etwa zweihundert Kugeln fuhren durch die Bretter und richteten in den Konserven bösen Schaden an. Bleispritzer flogen wie bissige Mücken umher, und Mr. Browns wütende Schimpfkanonaden waren genau so zwecklos wie meine Versuche, die Konservenbüchsen mit einem Stock in die geschützte Ecke zu rollen. Am besten hatten es noch unsere drei Lieblinge, die im Innern des Panzerschrankes untergebracht werden mußten, da die Bleispritzer sie sonst getötet hätten. Ein Brett in der Ecke mußte herausgebrochen werden, um an den Innenraum des Tresors heranzukommen, und Miß Fips war natürlich sehr erbost, als Mr. Brown die Nähe des Affenkäfigs dazu benutzte, der jungen Dame in den behaarten Schwanz zu beißen, – das blieb auch der einzige komische Zwischenfall, alles Übrige schaute bitterernst aus.
Genau um sechs Uhr ließ Martinez das Feuer einstellen, und ein Boot mit sechs braunen Halunken und einer weißen Parlamentärflagge erschien innerhalb des Riffgürtels neben dem roten Wrack und paddelte Meter für Meter näher heran.
Die weiße Flagge war der beste Witz bei alledem. Erst schoß Herr Martinez allzu zahlreiche Luftlöcher in unser Heim, und dann nahte er als Friedensengel: Verkehrte Welt!
Pi, der neben der Tresorecke kniete, schob seine Pistole durch eine Spalte und wartete.
Meine Mahnung, er möge nur auf die Beine zielen, hatte wenig Erfolg.
Als das Boot fluchtartig davonsauste, lagen drei Tote und ein heulender Verwundeter darin, und daß die beiden noch ruderfähigen Kerle einige Zeit ihre Waden sorgsam pflegen würden, dafür hatte ich gesorgt.
Es kam die zweite Beschießung.
Offenbar schien es mit den Munitionsvorräten an Bord nicht weit her zu sein, denn drei Salven aus den Bordgeschützen (nicht eine Granate traf) blieben diesmal das etwas lärmende Schauspiel. Die Gewehrschüsse rechneten wir nicht. Leider ging dabei eine Büchse kondensierte Milch verloren, floß aus und überschwemmte den Boden mit klebrigem Brei.
Gefechtspause …
Pi beschäftigte sich mit seiner Pfeife und meinte, er hätte schon Schlimmeres erlebt, und er erzählte eine Geschichte, wo er den Strick schon gesehen hatte, an dem er aufgeknüpft werden sollte. „Dann erschien Käpten Mac mit unseren Boys, und die Uniformierten kniffen aus … Vielleicht erscheint er auch hier zur rechten Zeit.“
Wieder ergriff ich die günstige Gelegenheit beim Schopfe.
„Wo ist Mac Intock?“
Pi rauchte wie ein brennendes Teerfaß und überhörte die Frage.
Wir warteten.
Der „Diaz“ hatte vor den südlichen Riffen Anker geworfen, und die Herrschaften an Deck beeilten sich bei ihren Vorrichtungen so auffällig, daß wir den Eindruck gewannen, sie glaubten uns im Besitz von Gewehren.
Dann sank die Sonne …
Das Meer wurde farbenfroh wie eine junge Bauernmagd zur Kirmes, Pi hockte am Boden und trank den Rest Milch aus der Büchse, und ich kaute an einem Hartzwieback. Unser Viehzeug schlief.
Die Dunkelheit nahte, und mit ihr die größere Gefahr: Wenn Martinez schlau war und von Norden und Süden die Klippe angriff, gab es kein Entrinnen.
So schlau war er nicht.
Die erste bittere blutige Abfuhr hatte wohl auch die Bravour seiner Halsabschneider gründlich gedämpft.
Hin und wieder fiel ein Schuß …
Selten …
Und dann kroch ich ins Freie, um die Barrikade zu beginnen, – ein mühseliges Geschäft, das mich wiederholt ins Wasser trieb, um nach großen flachen Steinen zu tauchen.
Pi hat mich abgelöst, und hinter der gut verhängten Lampe, der einzigen, einem qualmenden Ölblaker, liege ich und notiere als gewissenhafter Chronist die letzten Ereignisse.
Wie lange noch?!
… Wieder höre ich Pi herankeuchen, und diesmal raunt er durch die Türspalte:
„Sie bemannen das Boot wieder, Mr. Abelsen …“
Er braucht nichts weiter zu erklären. Ich weiß, das Ende ist nahe. Martinez ist doch auf den richtigen Dreh gekommen, – – nach einer halben Stunde werden wir gar keine Sorgen mehr haben – nie mehr!
Ich klappe den Zinkblechkasten zu …
Abschied vom Tagebuch …
Ich habe keine Hoffnung mehr …
Oder doch nur eine ganz winzige. Martinez möchte einen Leibgurt erobern, und …
… Wollen sehen … – –
* * *
Pi kauert neben mir hinter dem Tresor, das Lämpchen qualmt und stinkt, und Pi’s tiefe Atemzüge werden friedvoll begleitet durch die sanfte Musik einer mäßigen Brandung, die von den westlichen Riffen schäumt.
Des alten Chinesen Kopf ist zur Seite gesunken und stützt sich gegen eine scharfe Bretterkante. Pi merkt es nicht. Die Jahre, die auf seinen Schultern lasten, fordern doch jetzt ihren Tribut. Die beiden letzten Stunden dieser Nacht haben auch an meine Nerven arge Anforderungen gestellt, und nur der starke Kaffee, dessen Duft noch die Hütte durchzieht, hält mich munter.
Die Robinsonklippe besitzt doch ihre Geheimnisse, ohne daß wie auf Stevensons Schatzinsel Totenköpfe rollen und verrostete Kisten mit Goldmünzen zu gequälter Sensation werden.
Als ich meine Tagebuchblätter mit etwas wehmütigem Gesicht weggeschlossen hatte, als Pi in die Hütte gekrochen kam und mit eiserner Gleichgültigkeit unsere Verteidigungschancen erörterte, wobei wir beide das jetzt in mildes Mondlicht getauchte Bild da draußen dauernd im Auge behielten, meinte er zum Schluß mit einer kühlen Handbewegung:
„Also – dann werden wir sterben. Aber nicht allein … Wir haben jeder noch zehn Schuß Munition, und zwanzig Kugeln sind zehn Feinde. Ihr Vorschlag ist gut, Mr. Abelsen.“
Wir mußten uns beeilen, bevor der Mond noch höher stieg. Wir legten alles an Kleidungsstücken ab, was überflüssig, viel hatten wir ohnedies nicht auf dem Leibe.
Ich schob mich als erster ins Freie. Da der Mond hinter der Klippe stand, lagen die Terrasse und der tiefere Strand im Schatten. Wir erreichten das Wasser, begannen zu schwimmen und näherten uns im Bogen nach Osten zu den südlichen Riffen. Das Boot des „Diaz“ war immer noch nicht voll bemannt, es schien da offenbar einige Meinungsverschiedenheiten zu geben, wer mitfahren sollte. Die Helden des Sennor Martinez verspürten sichtlich wenig Neigung, sich unseren Kugeln auszusetzen.
Verständlich.
So erreichten wir die große spitze Riffzacke, in deren Spalte Pi tagelang zwischen Leben und Tod geschwebt hatte. Wenn die Halsabschneider vom „Diaz“ nicht so übereifrig mit dem Ausknobeln der Bootsbesatzung, die ihre Haut zum Allgemeinwohl zu Markte tragen sollte, beschäftigt gewesen wären, hätten sie uns sehen müssen. Auf dem Riff, das uns schmale Sitzgelegenheit und Deckung bot, machten wir halt. Pi war kein Dauerschwimmer, und zwischen dem runden Zaun der Riffe und der Klippe gab es unangenehme Strömungen, die an die Muskeln stärkste Anforderungen stellten.
Wir hatten nun folgendes Bild schräg vor uns: Links die Klippe, über deren flache kleine Kuppe gerade die Mondscheibe hinweglugte, genau geradeaus den Wassergürtel zwischen Klippe und Riffen und das in dieses Becken hineinragende Heck des festgekeilten roten Wracks, nach rechts hin den übrigen Teil des roten Riesenwracks aus Eisen und hundert Meter weiter gen Süden den vor Anker liegenden „Diaz“.
Unser Plan ging dahin, an Bord des Torpedobootes zu schleichen, sobald das Boot abgestoßen war, und den tollkühnen Versuch zu wagen, die Besatzung zusammenzuschießen. Die Chancen dieses Unternehmens standen eins zu zehn, aber uns in der Hütte einfach abknallen zu lassen, entsprach weder Pi’s verwegenem Piratenblut noch meiner eigenen alten Taktik, besser alles zu riskieren, als die Hände in den Schoß zu legen.
Das Boot stieß ab, wandte sich nach Osten, hielt sich in einiger Entfernung von dem Riffkranz und führte ein Revolvergeschütz mit Schutzschild und einige Sandsäcke als Deckung für die Ruderer mit sich. Im ganzen waren acht Mann in dem Boot.
Genau im Osten lag nun noch ein Außengürtel niederer Riffe, denen wir bisher nicht viel Beachtung geschenkt hatten, obwohl uns aufgefallen war, daß die grauschwarzen Felsen in Wasserhöhe mit weißem Meeresschaum geradezu beklebt waren.
Die Ruderer handhabten die Riemen tief geduckt, die anderen vier Leute kauerten am Heck, einer steuerte und hob nur zuweilen den Kopf. Als das Boot dem kurzen Außengürtel sich näherte, konnten wir deutlich wahrnehmen, daß das Boot plötzlich zu kreisen begann und die Ruderer sich verzweifelt abmühten, ihr Fahrzeug aus einer überstarken Strömung wieder herauszubringen.
Es gelang ihnen nicht.
Pi hatte soeben ein kurzes Lachen ausgestoßen, – ich hielt den Atem an, – das Boot schoß, sich immer noch drehend, wie ein Pfeil vorwärts, wirbelte immer rascher herum, angstvolle Schreie ertönten, und die Endkatastrophe kam schneller, als wir es ahnten. Die unheimliche Vorwärtsbewegung des Schiffes war in den letzten zehn Metern vor dem ersten Riffelsen zu einem rasenden Dahinjagen geworden, dann prallte das Boot gegen das Riff, brach mitten durch, und in Sekunden war nichts mehr zu sehen. Boot und Besatzung waren von der Strömung, die dort offenbar in die Tiefe glitt, mit hinabgerissen worden. Auch nicht ein einziges Brett, nicht ein einziger Menschenkopf kam wieder zum Vorschein. Nur die heulenden letzten Schreie der acht Opfer gellten uns noch in den Ohren, und drüben auf dem „Diaz“ vernahmen wir Schreckensrufe, die sofort verstummten, als Pi, der dieser Verlockung nicht widerstehen konnte, auf die an der Reling zusammengeballte Masse von Leuten etwas leichtfertig seinen ganzen Patronenrahmen verfeuerte.
Er hatte die Tragweite und den Geschoßwinkel der Pistole recht gut berechnet, ich sah zwei der Burschen torkeln, – im Nu war das Deck leer, und wir beeilten uns, unsere Behausung wieder zu erreichen, bevor Martinez’ restliche Bande wieder etwas zu Verstand käme.
Als wir hinter dem schützenden Tresor saßen und unsere Hemden uns überstreiften (Pi’s Garderobe hätte freilich kein Stromer aufgelesen), besprachen wir das Vorgefallene, das mir, der ich doch so manchen Meereswinkel kannte, zunächst ein Rätsel blieb. Etwas derartiges von scharfer Strömung hatte ich noch nirgends gefunden.
Chang Pi sorgte für Kaffee. Das Herdfeuer loderte, der Qualm stieg über die Klippe empor, aber die Herrschaften vom „Diaz“ meldeten sich nicht.
Pi grinste selbstgefällig.
„Schätze, es sind höchstens noch sechs oder sieben Unblessierte an Bord, und die werden wohl vorläufig von uns genug haben, Mister …“
Nachher, als wir aus leeren Konservenbüchsen unseren Mokka schlürfen, bequemte sich Pi zu einem überraschenden Geständnis.
„Mr. Abelsen, wenn ich auch nur ein Halbgebildeter bin und diese lückenhaften Kenntnisse allein meinem Herrn verdanke, so habe ich doch allzeit für alles Interesse gehabt und daher auch sehr häufig mit Mac Intock über eine Naturerscheinung gesprochen, die im Grunde bisher nur theoretisch erklärt werden konnte. Diese Naturerscheinung war meines Herrn Steckenpferd, und die meisten seiner Fahrten mit der „Ozeana“ galten der Erforschung der Entstehung des … Golfstromes.“
Pi stellte den Kaffeenapf weg und machte sich über seine Pfeife her.
„Selbst Ihnen, Mister, wird über den Golfstrom nur das bekannt sein, was jeder Gebildete weiß. Dieses Wissen ist, so behauptet mein Herr, in dem wesentlichsten Punkte grundfalsch. Darf ich Ihnen näheres hierüber erläutern? Ich würde es nicht tun, wenn ich jetzt nicht annehmen würde, daß wir der Quelle des Golfstromes hier ziemlich nahe sind, – denken Sie an die ungeheure Kraft der Strömung an den östlichen Außenriffen!“
„Allerdings …“, nickte ich. „Nur los, Freund Pi … Was behauptet der alte Mac?“
„Ich muß dazu etwas weiter ausholen, Mister“, meinte Pi und qualmte noch ärger als unser Schornstein. „Wie gesagt, es war Mac Intocks Steckenpferd, und nur deshalb bin auch ich genau unterrichtet. Die erste Kunde von dieser gewaltigsten aller Meeresströmungen gelangte durch den Spanier Pauce de Leon nach Europa, der ihn 1513 in der Meerenge zwischen Florida und den Bahamainseln spürte. Sein eigentlicher Entdecker ist jedoch der Spanier Alaminos, einer der Unterführer des großen Banditen Ferdinand Cortez, denn Alaminos wurde 1519, von dem Golfstrom mit seinem Schiffe getragen, in der für damalige Verhältnisse unerhört kurzen Zeit von zwei Monaten von Veracruz nach Spanien befördert. Alaminos war auch der erste, der die Farbe des Golfstromes als Indigoblau richtig bemerkte und Temperaturmessungen anstellte. Daß der erwärmende Einfluß dieser mächtigen Strömung bis Norwegen und Spitzbergen reicht, werden Sie wissen, Mr. Abelsen, daß jedoch – es klingt fast unwahrscheinlich – Admiral Milne auf der Fahrt von Halifax nach den Bermudas einmal am Bug seines Schiffes 21 Grad Wärme maß, während am Heck nur 4,5 Grad gemessen wurden, weil es außerhalb des Golfstromes lag, ist sicherlich überzeugender als alles andere für die Geschlossenheit dieser Strömung, die durchschnittlich 50 Kilometer breit ist und durch ihre Farbe scharf vom grünen Meereswasser absticht.
Aber diese Einzelheiten blieben Mac Intock gleichgültig, ihn interessierte lediglich der Ursprung des Golfstromes, der übrigens Floridastrom hieß und erst durch den großen Entdecker Franklin 1775 umgetauft wurde.
Der Golf von Mexiko gilt nun mit Recht als das große Staubecken dieser Strömung, vom Golf von Mexiko läuft er in unendliche Fernen, und die Gelehrten halten bisher daran fest, daß er hauptsächlich durch die an der Nordwestküste von Südamerika entlangfließende Guayana-Strömung entstünde.
Mein Herr, Mister Abelsen, ist anderer Ansicht.
Es sei ausgeschlossen, sagte er mir wiederholt, daß eine Strömung ihre Wärme auf tausende von Meilen beibehalte, wenn sie diese Wärme lediglich hier im Golf von Mexiko durch Sonnenbestrahlung erhielte.
Selbst mein schlichtes Hirn mußte dies einsehen.
Mac Intock hat nun, von dem Gedanken ausgehend, daß im Golf von Mexiko irgendwo eine ungeheure heiße Quelle dem Meeresboden unter ebenso ungeheurem Druck entströme, nach dieser Quelle dauernd gesucht, hat Thermometer in die Tiefe hinabgelassen, hat allerfeinste Instrumente angeschafft und … über die Ergebnisse geschwiegen.
Nur ein einziges Mal entschlüpfte ihm eine Bemerkung, die er nach einem Besuche in Merida, wo er sehr angesehen ist, mir gegenüber getan hat. Das mag etwa elf Jahre her sein, Mr. Abelsen, – ja, es stimmt, elf Jahre … Er sagte etwa: „Pi, ich habe zweierlei Fehler begangen. Ich hätte den Brief nicht abliefern sollen, und was die Golfstrom-Quelle betrifft, – auch das bedarf einer Korrektur. Die Annahme einer heißen Quelle würde allen physikalischen Gesetzen widersprechen, der Golf ist dort, wo ich den Ursprung des Golfstromes vermute, etwa 3000 Meter tief, und die ungeheure Wassermenge, die mithin auf den Ausfluß der unterseeischen Quelle lasten würde, müßte durch ihren Druck jede Quelle zum Versiegen bringen, mehr noch: Das Wasser des Ozeans würde in den Ausfluß eindringen. Nein, meine Theorie geht jetzt dahin, daß an jener Stelle der Meeresboden in weitem Umfang durch vulkanische Einflüsse sehr stark erhitzt ist und daß er diese Wärme an das Wasser abgibt.“ – So sprach Mac Intock damals, Mr. Abelsen, und am wichtigsten war vielleicht sein mehr gemurmelter und wohl nur für ihn selbst bestimmter Nachsatz: „Das Wasser unweit der Klippe hat in einer Tiefe von achthundert Meter dreißig Grad, – – und dann noch die Strömung an den Riffen …!“ – Mehr verstand ich nicht, und meinen Herrn mit Fragen zu belästigen, habe ich nie gewagt … Er war damals sehr erregt und sehr in Gedanken, und ich besinne mich, daß, als Ozeana plötzlich eintrat, er sichtlich zusammenschrak und sie ganz scheu anblickte, obwohl sie zu jener Zeit noch ein sehr artiges, vernünftiges Kind war …“
Pi’s Mitteilungen wirkten bei mir viel nachhaltiger, als er es ahnen konnte.
Während ich nun hier einsame Nachtwache hatte, fügten sich die bisher verstreuten bunten Steine eines abenteuerlichen Erlebnisses zu den Anfängen eines klaren Mosaikbildes zusammen.
Ich glaube mit Recht annehmen zu können, daß Mac Intock mit Renate Redersen irgendwie in geheimer Verbindung steht, und daß er es war, der dem Pater Menardus das Gedicht über die Abteimauer zuwarf.
Weitere Schlüsse möchte ich aus dem Gehörten nicht ziehen. Sie würden sich ins Uferlose verlieren.
Etwa dahin, daß Ozeana Renates Kind sei?!
Würde sich eine Mutter von ihrem Kinde trennen, die so viel Herz und Gemüt besitzt wie Renate?!
Niemals! – Wenn Renate noch lebt, hätte sie ihr Kind groß gezogen und es nicht Mac Intock überlassen.
Ich gebe das Grübeln besser auf.
Sehen wir, wie es draußen steht.
„Hallo..!! Hallo..!!“
Die Stimme kenne ich …
Papier, Bleistift fliegen zur Seite, und ich spähe durch die Bretterritzen.
„Hallo, – – Olaf!!“
Das ist der Pater …
Nur er hat diesen Bariton, der mit der Überfülle seiner Kraft sogar den wütendsten Brandungslärm übertönen würde.
Was ich sehe, drückt die jähe Freude zu vorsichtigem Prüfen dieser neuen Situation herab.
Da draußen vor der Klippe schwimmt im silbernen Wasser ein kleines Boot, und hinter der breiten, stattlichen Gestalt des Paters duckt sich eine schieläugige Fratze zusammen: Der Herr Alkalde von Zaporra.
„Hallo …!! Olaf!! Wir kommen als Unterhändler!“
Ich bleibe mißtrauisch.
„Bitte näher heran, Pater Menardus! Ganz nahe! Falls keine Teufelei im Spiel, darf sogar Ihr galgenreifer Begleiter hier in die Hütte hinein!“
„Keine Rede von Hinterlist, Olaf“, beruhigt mich der treue Gefährte froher Wochen in der Wildnis. „Es gilt nur, rasch mit Ihnen einig zu werden … Ozeana und Larry befinden sich auf dem „Diaz“, und auch Ihnen wird etwas daran liegen, das Mädchen geborgen zu wissen. Wir landen also …“
„Bitte …!!“ Aber meine Stimme ist belegt, und mein Herz tut ein paar schnellere Schläge.
Ozeana unter diesem Gesindel da!!
Mir kriecht es kalt über den Rücken … –
Das Boot läuft auf den schmalen, weißen Strand, und Menardus, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt sind, erhebt sich und kommt, gefolgt von dem dürren Martinez, zur Terrasse empor. Ich wecke Pi, verständige ihn schnell, überlasse ihm meine Waffe und behalte nur das Messer im Gürtel. So trete ich hinaus in den Mondschein, für Sennor Martinez kein angenehmer Gegner, denn daß das Schicksal sich den bösen Witz erlaubte, und meine drei Freunde durch diese farbigen Banditen retten ließ, trage ich deren Anführer persönlich nach, der für einen Gauner seiner Sorte denn doch zu viel Glück gehabt hat – – bisher. Daß er dem Minenfelde vor Macs Hause in der Theresa-Bucht entging und daß selbst die Haifische ihn verschonten, die doch den wackeren Larry beinahe erwischt hätten, war des Guten bereits genug. Aber ich habe so und so oft bereits die Erfahrung gemacht, daß die hinterlistigsten Schufte als besondere Günstlinge der Vorsehung durch das Dasein frech und heiter dahinstapften, und daß anständige Kerle nie von einer bösen Pechsträhne loskamen. In solchen Fällen ist es vielleicht gestattet, Madame Fortuna ein wenig zur Besinnung zu bringen und die Wagschalen des sogenannten Erdenglücks eigenhändig mehr ins Gleichgewicht zu bringen, selbst durch einen Klumpen Blei und etwas Pulver oder durch ein Tranchiermesser, das den faulen Kern dieser Günstlinge der Ungerechtigkeit mitleidlos bloßlegt.
Menardus begrüßte mich mit stiller Freude. Ohne den Schieläugigen zu befragen, schnitt ich seine Fesseln durch und bat ihn auf dem Stein der Barrikade Platz zu nehmen.
Martinez bekam wilde Augen.
„Ich verbiete …“
„Schweigen Sie! Stellen Sie sich dorthin. So … – Und jetzt, da ein heimtückischer Schuß von Ihrem Räuberschiff zuerst Sie treffen würde, wollen wir die Dinge in der Art erörtern, wie es mir paßt. – Zunächst, Freund Menardus, – wie kamen Sie und Ozeana und Larry auf das Torpedoboot?“
Der Pater berichtete, daß das Rettungsboot des Schoners voll Wasser lief, jedoch nicht sank, und daß Martinez’ Leute die drei Halbertrunkenen mühsam herausfischten.
„Und wie hat man Sie behandelt, mein Bruder?“, forschte ich weiter.
Der Sennor Alkalde wollte abermals dazwischenfahren.
Diesmal wurde er durch Mr. Brown vermahnt, der inzwischen erwacht war und sein ganzes Repertoire saftigster Injurien überlaut vortrug.
Der Kerl mit den vier Zahnstummeln konnte unmöglich heraushören, daß die Stimme von einem Papagei stammte, denn da Mr. Brown in seinem Käfig im Tresor hockte, klang sein kreischendes Geschimpfe dumpf und fern wie das eines Mannes mit kräftigem Baß.
Martinez war sehr beunruhigt und verwirrt.
„Wer ist das?“, fragte er ziemlich kleinlaut. „Ich dachte, Sie wären hier nur zu zweit, Mister.“
„Nein, fünf sind wir, und da Sie nur noch über etwa ebensoviel Schurken verfügen, steht die Partie gleich. – Pater Menardus, wie war es mit der Behandlung?“
Der stramme Missionar zuckte die Achseln.
„Ozeana ist nichts geschehen, freilich nur deshalb, weil ich Martinez von vornherein erklärte, Sie würden die Edelsteine niemals aushändigen, wenn das Mädchen belästigt worden sein sollte. Was Larry und mich betrifft, – wir vertragen so manches, und Martinez’ Freunde können einen anständigen Menschen überhaupt nicht beleidigen, selbst durch Roheiten[6] nicht.“
Ich fuhr hoch. Martinez wollte zurückspringen – sicherlich ist er in seinem Leben noch nie und nie wieder derart durchgeschüttelt worden wie hier.
„Lump, – – danke es dem Umstande, daß das Mädchen noch bei euch an Bord ist, sonst …“
Er wagte keinen Widerstand, er keuchte nur vor maßloser Wut, die er still hinabwürgen mußte. Aber in den schielenden Augen las ich die gemeinste Tücke, und das brachte mich zur Besinnung. Ich gab ihn frei.
„Du willst die Edelsteine haben“, sagte ich kurz und schroff. „Du sollst sie erhalten, jedoch nur die Hälfte sofort. Die andere Hälfte kannst du dir, ohne daß man dich festhalten wird, aus Mac Intocks Haus abholen, sobald wir das Festland wieder erreicht haben. Dabei bleibt es! – Du verstehst mich also: Die Hälfte der Steine, sobald du mit Ozeana und Larry hier erscheinst, die andere, nachdem du uns ein Schiff herbeordert hast, das uns nach der Theresa-Lagune zurückbringt. – Ich halte meine Zusage unbedingt. Verschwinde!“
Martinez zauderte.
Sein Gesicht verriet, wie hastig seine Gedanken arbeiteten, er hatte seine Züge sehr schlecht in der Gewalt und das wechselnde Mienenspiel warnte mich.
„Ich möchte erst einmal sehen, ob die Steine überhaupt noch vorhanden sind …“, erklärte er mit größter Unverschämtheit im Ton.
„Gern, – einen Augenblick … Ich habe meinen kostbaren Leibgürtel vorhin versteckt, als dein Boot in die Strömung geriet und deine acht Kerle dort hinab verschwanden, wo wahrscheinlich genügend heißes Wasser vorhanden, einen Menschen zum gesottenen Krebs zu machen: Dorthin, wo der Golfstrom seinen Ursprung hat! Also … warte!“
Mein Gurt lag droben in dem Rattenloch, und als ich ihn aus seinem Bett von Geröll hervorholte, kam mir ein Gedanke, der Ozeana und Larry noch besser schützen würde. Ich suchte aus dem Geröll dunkle Kiesel heraus, die etwa meinen ungeschliffenen Smaragden glichen, und nachdem ich so mein Vermögen an Steinen leicht vermehrt hatte, stieg ich wieder hinab, setzte mich zu Pater Menardus in den Schatten und öffnete den prall gefüllten schlauchartigen Gurt und schüttelte die Steine in meinen Schoß.
„Bitte, da sind sie … Du siehst es … Es ist ein ungeheures Vermögen, aber, falls du ehrlich bist, erhältst du alles … – Einverstanden mit meinen Bedingungen?“
Martinez bejahte eifrig, übereifrig.
Er konnte gar nicht schnell genug zu dem kleinen Boote hinab und ruderte flink gen Süden, vorüber an dem roten Wrack, vorüber an den Riffnadeln und legte am „Diaz“ an.
Der Pater lachte herzlich, als ich ihm die Kiesel zeigte.
„Freilich, Olaf, das wird seine Habgier noch mehr anstacheln … – Wie geht es Chang Pi?“
„Dem Geruch nach vorzüglich, – er raucht“, – und Chang Pi bestätigte dies mit blumenreichen Begrüßungsworten für Menardus, dem die langen Bartstoppeln ein etwas wildes Aussehen verliehen.
Pi schloß seine wohlgesetzte Rede mit einigen gegen mich gerichteten Vorwürfe.
„Mr. Abelsen, – wie konnten Sie sich auf den Handel mit dem Schurken einlassen?! Wir hätten die beiden auch so befreit, glauben Sie mir …“
„Und – – wie?!“, fragte ich nach der Hütte hin.
Chang Pi hüstelte drinnen, Mr. Brown wollte ebenfalls seinen Senf dazugeben und schrie sein geliebtes „Idiot“ in allen Tonarten.
„Und wie?!“, wiederholte ich energischer. „Bitte, Sie müssen doch einen Plan entworfen haben, der einen sicheren Erfolg verspricht.“
Die Antwort?!
Das Orakel von Delphi konnte sich nicht vieldeutiger ausdrücken als unser Expirat.
„Den Plan, Mr. Abelsen, wird jemand anderes ausklügeln, der bereits in schlimmeren Lagen stets das richtige traf.“
„Hm – – und wer ist das?“
Pi’s Stimme wurde überaus höflich.
„Das kann ich leider vorläufig noch nicht sagen, Mister …“
Eine weitere Debatte war nicht möglich, da vom „Diaz“ das kleine Boot schnellstens herübergeschossen kam.
Es saßen jedoch nur zwei Männer darin.
Der Pater meinte mit seltsam schwerer Zunge: „Es muß dort an Bord etwas vorgefallen sein … Martinez rudert, als ob ihm der Gottseibeiuns auf den Fersen wäre!“
Zwei Mann saßen darin, und beide ruderten, – ruderten wie beim Endspurt, setzten das Boot so hart auf den Strand, daß der eine von seinem Sitz hintenüberflog und uns vor die Füße rollte. Es war Martinez, und doch nicht Martinez, denn dieses schweißtriefende, verzerrte, graue, entfärbte Gesicht mit den glasigen, stieren Augen und dem aufgerissenen Munde war mehr das eines Sterbenden oder eines Verrückten.
Die andere Gestalt schnellte leichtfüßig herum und war mit einem Satz zwischen uns.
Larry Mac Intock sah nicht viel anders aus als der armselige Farbige, der da vor uns auf dem Gestein lag und wie ein Irrsinniger geifernd und keuchend wirres Zeug murmelte.
Larry packte meine Schultern … Es war ein Griff, der mir Schmerzen bereitete, so eisern krampfte der junge Engländer die Finger in meine Achseln, – ein Griff, der ihm selbst vielleicht Halt und Entspannung geben sollte.
„… Ozeana ist verschwunden!“, schrie er mir dann ins Gesicht, als ob ein überhitzter Kessel explodierte.
Der Name Ozeana weckte bei Martinez einen schrillen Widerhall.
„… verschwunden, – – ich kann nichts dafür, – – bei der heiligen Jungfrau – ich bin schuldlos, – – meine Leute auch … Der Teufel war bei mir an Bord …!“
Er winselte wie ein gequälter Hund, erhob sich taumelnd und stolperte taumelnd gegen den Pater, der ihn halten mußte.
Martinez’ Glieder flogen wie im Fieberfrost. Sein Unterkiefer schlotterte, seine Augen flehten um Erbarmen.
„Mr. Larry kann es bezeugen …“, japste er abermals … „Die Miß war in der Nebenkabine untergebracht … Niemand von uns hat sie angerührt …“
Larry nickte. „Abelsen, – – da ist irgend etwas vorgefallen, das ich …“ – er suchte nach Worten – „… das ich nicht begreife. Etwas Fürchterliches … Ich … ich hatte noch soeben mit Ozeana durch die Wand mich unterhalten … Ich hatte ein Loch gebohrt … Ich sah Ozeana … Wir wußten, daß wir frei sein würden … bald, sehr bald … Plötzlich warnte sie mich durch einen Zuruf … Ihre Tür, die von außen verriegelt war, muß geöffnet worden sein … Sie starrte dorthin. Was sie sah, entging mir, aber sie taumelte zurück und schrie irgend etwas … Dann erlosch das Licht in ihrer Kabine, und ich vernahm ein Geräusch, als ob Ozeana mit jemand kämpfte … Sie schrie zweimal:
„Teufel … laß mich los!“ – – und dann hörte ich Martinez’ Stimme im Kabinengang … er fluchte, drohte, er glaubte, einen seiner Leute hier bei Ozeana zu finden … Ich verstand seine Worte: „Hund, – ich knalle dich nieder!! Ich werde …“, – – und mit einem Male heulte er ganz schrill irgend etwas – – was brüllten Sie, Martinez? Raus mit der Sprache!“
Das kittgraue Gesicht des Alkalden wandte sich dem Monde zu … Er stierte gen Himmel, und seine Lippen und seine Zunge arbeiteten, – – nur ein röchelndes Pfeifen ward es, bis ein brutaler, entschuldbarer Fausthieb Larrys den verstörten Jammerkerl endlich zur Vernunft brachte.
„Ich … ich … schrie … dasselbe wie die Miß: Teufel – – Teufel …!! Nichts anderes – – nur … Teufel, Teufel!!“
„Und – – wer war der Mensch, der Ozeana dann wegschleppte?“, fragte ich mit möglichster Ruhe, um diese beiden verwirrten Köpfe ein wenig abzulenken.
Martinez’ Glotzaugen hingen an meinem Gesicht … Aus diesen Augen sprach eine wahnsinnige Angst …
„Es … war … der … Teufel, Mr. Abelsen! Ein … Fremder, – – aber sein Aussehen …, ich … fürchte mich … ich will nicht mehr an Bord, ich …“
Er sackte zusammen, aus seiner Kehle kam ein verzweifeltes Schluchzen … er lag wieder im Geröll, krallte die Hände in das Gestein, heulte, winselte und kreischte in abgehackten Lauten:
„Er … er … wollte … mir … das Genick brechen, falls ich …, – – und dann kamen meine Leute …, – – und ließen ihn vorüber, er hatte Miß Ozeana in den Armen … es ist so, – – es ist so, wir sind schuldlos, wir …“
Der Pater unterbrach dieses Gestammel.
„Dort, – – das dritte Boot des „Diaz“ … Sie rudern hierher … Vorsicht!“
Wir erblickten das nahende Boot, – – auch die Kerle darin ruderten wie besessen, – Verwundete kauerten am Boden, im ganzen waren es neun Mann.
Des Paters Warnung war überflüssig, – von den Burschen da hatten wir nichts zu fürchten, denen saß die Todesangst selbst im Nacken, sie landeten, hockten auf den Bänken, stierten hinter sich, stierten uns an, und ein dicker fetter Mulatte, der in Zaporra bisher die Polizeigewalt geleitet hatte, kreischte schließlich schrill wie eine Stahlsaite:
„Erlauben Sie uns, daß wir hier bei Ihnen bleiben … Wir wollen nicht an Bord zurück, wir haben keine Waffen mit … Da – sehen Sie, nicht einmal ein Messer, – – nur nicht an Bord zurück!“
Dieser Panik, die diese Banditen so jäh zu verängstigten Lämmern gemacht hatte, standen wir wie einem unbegreiflichen Rätsel gegenüber. Den flüchtig in mir aufgetauchten Gedanken, es könnte hier eine schlau verabredete Komödie vorliegen, ließ ich sofort wieder fallen. Diese Verstörtheit war echt, diese Kerle mußten wirklich etwas Gräßliches gesehen haben. Was jedoch?! Selbst wenn man die Neigung zum Aberglauben bei all diesen Mischlingen und Auch-Christen in Betracht zog, – schon allein Martinez’ seelischer Zusammenbruch bewies, daß das Wesen, von dem Ozeana jetzt verschleppt worden war, Schlimmeres für diese Burschen bedeutete, als irgend ein sogenannter Geist in Satansgestalt.
Larry war inzwischen wieder Herr seiner selbst geworden und berichtete nun nochmals das Vorgefallene. Er bestätigte, daß auf Martinez’ Schreckensschreie die Leute der Besatzung herbeigestürmt waren und ergänzte Martinez’ wirre Angaben noch dahin, daß der „Fremde“ den Kerlen irgend etwas zugerufen habe.
Der fette Mulatte im Boot versicherte nochmals, der „Teufel“ hätte grauenerregend ausgeschaut, und mehr war von keinem dieser jämmerlichen Banditen zu erfahren, so scharf ich sie auch ins Gebet nahm.
Larry wurde ungeduldig.
„Abelsen, kommen Sie mit an Bord … Ich muß Ozeana finden … ich muß! Kommen Sie doch, diese Angsthasen können ihnen gar nichts sagen, das sehen Sie doch!“
Plötzlich stand Chang Pi neben uns, der zerlumpte, alte Chang Pi, bei dessen Anblick die Kerle im Boot und Martinez sich noch scheuer zusammenduckten.
Er hatte den Oberkörper und den Kopf etwas vorgeneigt und die Hände nach alter Gewohnheit in die Jackenärmel geschoben. Sein faltiges Gesicht zeigte keinen besonderen Ausdruck, seine Schlitzaugen glitten hin und her, musterten Martinez, die Kerle im Boot und schweiften gen Süden zum ankernden „Diaz“, neben dem der gewölbte Rumpf des gekenterten aufgespießten Wracks im Mondlicht seltsam violett schimmerte, ein eigentümliches Farbenspiel, das ich bisher nicht beobachtet hatte.
Chang Pi wirkte mit seiner stoischen Ruhe und Gelassenheit wie ein Wesen aus fremden Regionen. Sogar der verzweifelte Larry wagte nicht, nochmals den Mund aufzutun, und auch der Pater schaute den alten Chinesen sonderbar erstaunt und erwartungsvoll an.
Pi wandte langsam den Kopf.
Martinez kroch unter dem eisigen Blick der Schlitzaugen hastig in den Schatten und murmelte ein Stoßgebet.
Pi verzog die dünnen Lippen zu einem harten Grinsen.
„Du warst gewarnt, Martinez“, sagte er gleichgültig. „Dein Maß lief längst über. Du bist ein Dummkopf, und dein Gesicht wird vielleicht sehr bald deinen eigenen Rücken sehen … Du verstehst, Martinez. Und ihr da – – ihr auch!“
Das galt den Burschen im Boot.
Pi grinste nicht mehr. Seine Stimme klang plötzlich wie das Pfeifen von geschliffenem Stahl.
„Ihr … versteht, denke ich … Ihr habt noch eine letzte Chance: Gehorsam, blinden Gehorsam! – – Es ist gut – – dann!!“
Und er wandte sich um, stieg zur Terrasse empor und begann gelassen die Steine der Barrikade vor der Hütte in die See zu rollen. Sie kollerten polternd in die Tiefe, und diese dröhnenden Geräusche und das platschende Aufschlagen im Wasser übte auf uns eine seltsam beruhigende Wirkung aus. Die alltäglichen Vorgänge, diese Arbeit des alten Pi, rief uns mahnend in die Wirklichkeit zurück und nahm auch von mir den schwer zu bezeichnenden Bann, den die letzten Szenen mir aufgezwungen hatten.
„Los denn, Larry, rudern wir hinüber …“, meinte ich mit alter Energie. „Pater Menardus, Sie sehen hier wohl derweil nach dem Rechten, hier haben Sie meine Pistole, – gegen Meister Beelzebub würde sie ja doch nichts ausrichten …“
Larry schob das kleinere Boot vollends ins Wasser, griff zu den Rudern, und zischend und schäumend fuhr die Nußschale gen Süden auf den verlassenen „Diaz“ zu.
Larry fragte, als wir durch den Zaun der Riffe glitten, mit etwas befangener Stimme:
„Was redete der alte Pi eigentlich?! Verstanden Sie, was er meinte?“
Meine Antwort war nicht ganz ehrlich. Aber Larry merkte nichts, und rief in grimmen Tatendrang: „Die Narren glauben an einen Teufel, – diesen Teufel werde ich finden, und dann wollen wir … – na, Gnade Gott ihm, falls Ozeana auch nur ein häßliches Wort zu hören bekam.“
Wir waren angelangt, kletterten an Deck und bemerkten als erstes neben der Kommandobrücke zwei Tote, die man bereits in Säcke halb hineingezwängt hatte.
Larry lief nach achtern und führte mich in die Kabinen.
„Hier wohnte Ozeana“, stieß er atemlos hervor. „Hier ich selbst …“ Dann deutete er auf eine Eisentreppe.
„Durchsuchen wir die unteren Räume, Abelsen … Zunächst aber, – – hier hauste Martinez, – dort hängen Waffen, versehen Sie sich damit …“
Er stieg bereits die schmale, leiterähnliche Treppe hinab, bevor ich noch eine Auswahl unter den Pistolen getroffen hatte. Ich zögerte auch absichtlich, denn das, was ich im Kabinengang gefunden, hatte nur meine Vermutung bestätigt: Auf dem Fußboden waren Wassertropfen und kleine Wasserlachen zu sehen!
Umständlich lud ich zwei Pistolen und wollte erst einmal Klarheit in meine eigenen Gedanken bringen. Wenn meine Vermutung zutraf, hatten Martinez und seine Strolche gelogen. Sie kannten den „Teufel“ sehr wohl, der unsere Ozeana entführt hatte, aber sie waren gezwungen worden, den Namen zu verschweigen und die Vorkommnisse mit einem geheimnisvollen Dunkel zu umhüllen.
Der Name konnte nur lauten: Gulliver Mac Intock!
Und daß es den Banditen sehr leicht geworden, ohne irgend welche Mätzchen oder Übertreibungen auch dem zweiten Befehl zu gehorchen, und das Auftreten des „Teufels“ vollkommen zu umnebeln, stand genau so außer Frage, wenn man wie ich schon einmal miterlebt hatte, welchen Einfluß der alte Mac auf dieses Gaunergesindel besaß. Daß dieser Einfluß das eine Mal später versagt hatte, als Martinez den Angriff auf das Haus am Nordarm der Lagune gewagt hatte, wollte nicht viel bedeuten, da die Kerle so kläglich hatten flüchten müssen und zweifellos mehrere Leute dabei eingebüßt hatten.
Über die Beziehungen Macs zur mexikanischen Regierung, die ihm doch offenbar besondere Rechte eingeräumt hatte, wußte ich freilich nichts. Anderseits schien es mir gewiß, daß Macs Auftauchen hier nur durch die Anwesenheit eines U-Bootes in der Nähe der Klippe erklärt werden könnte. Es war dies die einfachste Lösung einer Reihe schwer zu beantwortender Fragen, und nur deshalb bezeigte ich so wenig Eifer, hier auf dem „Diaz“ nach Ozeana zu suchen, die ja doch längst in dem U-Boot in Sicherheit war.
Trotzdem folgte ich Larry, der schon wiederholt nach mir gerufen hatte, und mein Entschluß, meine Vermutungen zunächst besser zu verschweigen, ward noch durch einen Zwischenfall gekräftigt, den ich beim Hinabsteigen der Leiter erlebte.
Ich war kaum einige Sprossen abwärts geklettert, als eine leise hastige und tiefe Stimme über mir erklang und mir eindringlich befahl:
„Schweigen Sie!! Schicken Sie die Banditen heim!“
Das war des alten Macs Stimme gewesen, – gesehen hatte ich ihn nicht, denn bevor ich den Kopf heben konnte, erlosch im Kabinengang das Licht, und ich vernahm lediglich schnelle, vorsichtige Schritte, die sich rasch entfernten.
Also doch: Gulliver Mac Intock!!
Nun wußte ich es …!
Schweigen sollte ich und Martinez mit seinen Kerlen nach Hause schicken.
Ob mir letzteres gelingen würde, bezweifelte ich. Die Leute waren allzu verängstigt und würden freiwillig niemals hier auf das Torpedoboot zurückkehren.
Larry rief schon wieder … Als ich mit ihm zusammentraf, durchstöberte er gerade die Proviantkammer. Er tat mir in seiner Sorge um Ozeana aufrichtig leid, und ich mußte irgend ein Mittel erfinden, diese seine Sorgen zu zerstreuen, ohne die mir bekannten Tatsachen preiszugeben.
„Ihre geringe Anteilnahme ist eigentlich empörend!“, empfing er mich schwer gereizt.
Ich fühlte genau, daß sich hinter dieser Gereiztheit noch ein gewisses Mißtrauen verbarg. Seine grauen Augen zerpflückten förmlich meine Züge, und plötzlich griff er nach meiner Hand.
„Abelsen, Sie wissen etwas …!“
„Sie doch auch, lieber Larry“, wich ich geschickt aus. „Sie hatten doch mit Ihrem Onkel Gulliver in Ihrem Zwinger-Versteck eine Unterredung, und wenn Sie mir mitteilen, was der Inhalt dieser Aussprache war, will auch ich, obwohl ich gegen meinen Befehl handele, Ihnen den Frieden des Herzens zurückgeben. Also … bitte!“
Sein scharfes Gesicht entspannte sich.
„Oh – – also das!“, meinte er tief aufatmend. „Nun gut, – Sie haben mir alle Sorgen benommen, Ihre Andeutung genügt mir. Freilich, daß ich hier der Lösung von Onkel Macs seltsamem Versprechen so nahe wäre, hätte ich nie gedacht. Uns beiden sind die Zungen gebunden, warten wir ab, bis der sie uns wieder freigibt, der einer bedauernswerten Mutter und Gattin nun bereits vierzehn Jahre ein treuer, verschwiegener Freund gewesen.“
Er drückte meine Hand, lächelte freimütig und fügte lebhafter hinzu: „Vieles bei alledem ist mir natürlich noch vollkommen unverständlich. Ihnen wohl auch. Ich wünschte nur, dieser Martinez und seine Strolche wären bereits abgedampft. Abelsen, die Sehnsucht eines Verliebten ist eine schlechte Begleitmusik für derartige Abenteuer, – – aber – ist das Mädel nicht wirklich bezaubernd?! Niemals hätte ich mir eines dieser Modepüppchen als Gattin auserwählt, schon immer war mein Geschmack in dieser Hinsicht etwas eigenartig, und meine Ozeana ist ein Typ für sich, – – stimmt es?!“
„Allerdings, allerdings … Ein Kätzchen mit Krallen …“
„Die ich ihr beschneiden werde, Abelsen, – oho, ich bin ich!“
„Na na, Larry, – Ozeana wird kaum stillhalten bei dieser Prozedur, – seien Sie vorsichtig!“
Er lachte übermütig – so ein richtiges glückliches Lachen.
„Beim ersten Kuß hat sie sich gesträubt, den zweiten und dritten gab sie mir, und jetzt ist sie unersättlich, – – eben ein gesundes, unverdorbenes Mädel, eine kleine wilde Lagunenfee! Gesegnet sei der Tag, der mich nach Merida brachte, wo man den Onkel letztens sogar zum Präsidenten der wissenschaftlichen Gesellschaft gewählt hat, wie ich erfuhr! Was Onkel Gulliver, der alte Vagabund, allerdings von Tiefseeforschung verstehen soll, ist mir schleierhaft. Ein Doktor Garzia in Merida deutete an, Onkel Mac würde mal weltberühmt werden. Wodurch?! Hat er eine Patentmedizin erfunden?!“
„Nein, er hat etwas gefunden“, sagte ich voller Ernst. „Die Quelle des Golfstromes, glaube ich. Pi erzählte mir davon, und ich erzähle es Ihnen nur, weil Sie der Neffe sind. Macs Theorie über den Ursprung des Golfstromes hat mich begeistert, denn auch ich, obwohl Laie, habe mir nie recht denken können, daß diese ungeheure Strömung warmen Wassers einzig und allein der starken Sonnenbestrahlung über dem Golf von Mexiko ihre starke Wärme zu verdanken hätte.“
Larry schaute mich zweifelnd an.
„Scherzen Sie? Onkel Gulliver ein Forscher?! Gerade er, der doch in China Dinge getrieben haben soll, die …“
„… man Freibeuterei nennt, ganz recht! Aber diese wilden Jahre hat der alte Mac nun wettgemacht durch seine treue Fürsorge und Freundschaft, durch viele Jahre stillen Strebens, durch ehrliche Arbeit und Herzensgüte. Es gibt nichts, lieber Larry, das ein verirrtes Gemüt nicht austilgen könnte, nichts! Und das, was Ihr Onkel in China getrieben hat, war wohl mehr Lust am Abenteuer als Habgier. Pi sprach zu mir von jenen Zeiten, und ich glaube Pi aufs Wort: Nicht ein einziges Menschenleben ging durch den Piratenkapitän Mac verloren, – hier nun, so scheint mir, hat er [Martinez und sein Gaunergesindel auf die ehr]liche[7] Bahn geleitet, und das zählt dreifach auf der Plusseite des Lebensbuches. – Genug davon … Kehren wir zur Klippe zurück. Wir beide wissen nun auch, was Pi’s sonderbare Ansprache an die Banditen zu bedeuten hatte. Pi weiß vielleicht mehr als wir!“
… All diese letzten Abschnitte des großen Lebensromans, den ich unter dem Titel „Robinsonklippe“ zusammenfasse, habe ich auf dieser Klippe geschrieben – und schreibe noch.
Gestern früh sind die Freunde davongefahren, – die Rauchsäulen des „Diaz“, die aus den kurzen dicken Schloten emporquollen zum klaren Sonnenhimmel, waren das letzte, was ich von denen wie fernstes Grüßen sah, die mir für Monate, Wochen Weggefährten gewesen.
Es war mein Wunsch, vorläufig hier auf der Klippe zurückzubleiben und die Arbeiten zu übernehmen, die bis dahin ein anderer geleitet hatte.
Mein Wunsch war es, Robinson zu spielen.
Spielen?! – Es ist keine Spielerei dabei, es ist eine ernste, geregelte Tageseinteilung und viel Mühe und viel Freude auch.
Ozeana bat ich, mir wenigstens einen ihrer Lieblinge zu schenken.
Mr. Black.
Dessen Ernährung bereitet die wenigsten Schwierigkeiten, und die Klugheit dieses kohlschwarzen flinken Burschen ist geradezu erstaunlich.
Mein Reich ist klein.
Aber ich bin Herrscher und Untertan in eins, Staatsminister ist Mr. Black, und das Parlament sind die Wellen und die Brandung, die unaufhörlich schwatzen … lärmen … oder schlafen – bei Windstille.
Mein Reich ist vorläufig meine Welt, und über meiner Klippe weht meine Flagge – zu Ehren Gulliver Mac Intocks, des einstigen Piraten, knallrot und mit zwei Buchstaben, mit Teer darauf gemalt:
M.I.
– – Und nun, da der Abend gekommen und das Nachtmahl vorüber und die Dunkelheit über das Meer schleicht, nun zünde ich die Lampe an, das Gas pufft, zischt, und der kalte weiße Schein der Karbidflamme fällt auf diese Blätter, die ich geruhsam überprüfe und ergänze.
Die Zigarre treibt in der Aschenschale einen feinen Qualmfaden hoch, Mr. Black sitzt wie immer schlafend auf der linken Tischecke und hatte den Kopf unter die Flügel geschoben und sich wie ein schwarzer Ball aufgeplustert.
Ich schreibe …
– Wir kehrten zur Klippe zurück, Larry und ich, und Larry steuerte und ließ das Boot dicht an dem toten roten Riesenwal vorübergleiten.
Dann blickte er mich an …
Und lächelt …
Sehr fein lächelt er, spitzt die Lippen und flüstert: „Ozeana!“
Natürlich: Ozeana!
Für ihn gibt es jetzt nur ein Sinnen und Trachten: Meine kleine Freundin!
Glücklicher Larry. Sie ist reizend … Ich weiß es.
Das Boot schrammt über den Sand, und das Bild, das wir hier vorfinden, ist unverändert.
Martinez hockt im Geröll, seine Leute sitzen neben ihm, der Pater müht sich um die Verwundeten, und Chang Pi steht droben vor der arg zerschossenen Hütte und hat die Pfeife im Mundwinkel und starrt uns mit unergründlichem Gesicht entgegen.
Ich wende mich an Martinez.
„Wir haben nichts gefunden, aber auch keine Beweise gegen Sie und Ihre Leute. Der „Diaz“ ist leer … Fahren Sie mit den Ihrigen heim, und je schneller Sie verschwinden, desto besser.“
Der Sennor Alkalde scheint sich mittlerweile sehr gründlich von der Panik erholt zu haben.
Ein lauernder Blick trifft mich.
„Sie halten uns also für schuldlos“, sagt er allzu bedächtig.
Ich ahne schon, was kommen wird.
„Und da wir schuldlos sind, wäre es nur recht und billig, daß Sie den Vertrag auch einhalten, Mr. Abelsen, – – der Steine wegen … Zumindest gebührt uns die Hälfte davon … Sie werden das einsehen, – – Larry und der Pater sind frei.“
Larry Mac Intock faucht den Schieläugigen wütend an.
„Bitte, – Mr. Larry zumindest, du braune Mißgeburt!!“
Ich winke ab. „Aus dem Munde, Larry, fließt nur Schmutz … Also – – keine Förmlichkeiten! – Was die Steine betrifft, Martinez, – im Grunde haben Sie recht … Sie sollen erhalten, was Sie verdienen.“
Ich schnalle den Gurt ab, setze mich, schütte wie vorhin die Steine und Kiesel in den Schoß und lasse mir von Martinez dessen Taschentuch geben.
Der Mond ist bereits verschwommene Scheibe, die Morgendämmerung naht, und mit Bedacht wähle ich zwanzig Steine aus.
Steine, … Kiesel.
Er beansprucht Steine, – er soll sie haben. Seine Unverschämtheit verdient eine bittere Rache.
Dann knote ich das Tuch zusammen …
„Bitte …“
Er zaudert.
Der fette Mulatte, der Herr Polizeichef, grunzt irgend etwas, und Sennor Martinez schwillt an vor Habgier.
„Das ist ein unredlicher Handel, Mr. Abelsen … Unser Vertrag …“
Larry Mac Intock, Schotte aus kriegerischem Geschlecht, verliert die Geduld, packt das Tuch mit den Steinen und haut es Martinez an den Kopf.
„Ins Boot mit euch – – etwas flink!!“
Die Kerle knurren …
Pi kommt herbei, und Pi hat die Hände wieder in den Ärmeln und die Pfeife hinter dem Ohr und sagt ganz sanft:
„He, ihr da, – – soll ich pfeifen?!“
Martinez rennt zum großen Boot, im Nu sind auch die Verwundeten verfrachtet, und das Boot paddelt davon.
Pi steht und schaut und grinst. Seine gelben Zähne leuchten im Morgengrauen, und dann pfeift er ein Lied … einen Walzer, den berühmten mexikanischen Walzer „Sobra las Olas“, „Über den Wellen“.
In die Rotte im Boot kommt Leben, sie paddeln nicht mehr, sie rudern wie toll, und am Heck sitzt Martinez und hält den Taschentuchbeutel mit den Kieseln krampfhaft gegen sein falsches Herz gedrückt.
„Glückliche Reise!!“, ruft Larry.
Pi mißfällt das.
„Mr. Mac Intock, es wird noch Scherereien geben … Lassen Sie mich rufen!“
Und er brüllt dem Boote nach:
„Vergeßt den Teufel nicht!!“
Dann lacht er leise …
Das Boot legt am „Diaz“ an, und sehr bald wird es emporgehißt, die Ankerwinden arbeiten, – derweil geht die Sonne auf.
In dem verbeulten Tresor regt es sich spaßig, die Tiere sind erwacht, Mr. Brown scheint wieder den buschigen Schwanz der Miß Fips erwischt zu haben, und in deren Kreischen mengen sich die Stimmen Mr. Blacks und des Papageis und fordern gebieterisch, ins Freie gebracht zu werden, wie sie es bisher gewohnt gewesen.
Der „Diaz“ faucht schwarzen Qualm aus den Schloten, und auf der Kommandobrücke erkennt man mit bloßem Auge den farbigen Martinez und den fetten Mulatten, die dort protzig Schiffsoffiziere spielen und sich goldbetreßte Mützen auf die Schädel geklemmt haben und mit unter dem Arm gedrückten Ferngläsern die wild durcheinanderrennende kleine Mannschaft ihrer Getreuen beobachten.
Am Heck des ausrangierten Torpedobootes quillt es empor mit blasigem Schaum, als ob ein Meeresuntier sich das Maul spülte. Ein Ruck geht durch das schlanke Schiff, vorsichtig läuft es rückwärts, wendet dann und stellt den Bug gen Westen.
Der Pater und ich sitzen ganz allein droben auf der Klippe, unsere Füße hängen in die bedürfnislosen Kakteen hinab, und ein Zweig eines Strauches pendelt im Winde hin und her und streichelt meine Hand mit frischem Grün seiner Blätter.
Chang Pi läßt kein Auge von dem langsam davonschleichenden „Diaz“, und als dessen Bug abermals sich dreht, und im Halbkreis seine scharfe Spitze uns zeigt, sagt Pi verachtungsvoll:
„Der Dummkopf!!“
Mr. Brown fällt mit mehrfachem „Idiot – Idiot!“ ein, und der Pater und ich können nicht schnell genug unseren exponierten Ausguck aufgeben und uns den beiden Gefährten zugesellen, die bereits in der Hütte hinter dem rasch ein wenig gedrehten Kugelfang des Panzerschrankes Deckung genommen und die verdächtigen Manöver des „Diaz“ durch die Bretterritzen belauern.
Wir sehen, daß die da drüben an den Geschützen hantieren, und Pi wiederholt sein verächtliches „Dummkopf!“ und fügt rätselvoll hinzu: „Nur etwas hat dieser Martinez richtig durchschaut … Er liebt das rote Wrack nicht, und er hat den hohen Felsenzaun der Riffe zwischen sich und das Wrack gebracht und wird nun Gift und Galle speien, bis wir hier mürbe geworden – – oder tot.“
„Verdammt!!“, murmelte Larry.
„Glückliche Reise!“, höhnt der alte Pirat anzüglich. „Glückliche Reise für uns, – – da kommt schon die Galle …“
Die erste Granate heult über uns hinweg ins Leere.
Ihr jaulendes Gedudel hat Mr. Brown wohl an die großen vierbeinigen Katzen im Zoologischen Garten des alten Mac Intock erinnert, und der Papagei kreischt und schlägt mit den Flügeln und verrät Angst und Unwillen und wundert sich über den ruhigeren, philosophischeren Mr. Black, der an einer großen Muschel kaut.
Unsere Hütte, von der Seite eine schmale Zielscheibe, entgeht auch dem zweiten Schuß, der lediglich droben ein Stück Felsen wegreißt. Die Sprengstücke der Granate fahren in das Becken der kleinen Ringinsel wie Hagelgeschosse, und ein armer, spitzköpfiger Delphin, der dort auf Fischjagd allzu flach schwamm, springt totwund aus der Flut und treibt nun mit weißem Bauch gen Osten – dorthin, wo die unheimliche Strömung die Außenriffe umspült und gestern das Boot mit Mann und Maus verschluckte.
Wir vier kauern hinter der stählernen Deckung, eng zusammengedrückt, und Larry Mac Intock, durch die Nähe des Asiatenduftes des greisen Pi etwas gereizt, fragt mit allem Nachdruck:
„Was meinten Sie soeben, als Sie von dem Wrack sprachen, Chang Pi? Raus damit! Keine Geheimniskrämerei!! Bitte!!“
Der Chinese sagt:
„Die dritte …“
Sausend, heulend kommt es näher, – dann ein Krach, ein Knall, ein Regen von Bretterstücken, – – und über uns lacht der blaue Himmel.
Das Dach ist weggefegt, der Pater wischt sich das Blut vom Handgelenk, auch Pi hat eine Schramme abbekommen, und flitzt dennoch wie ein Wiesel durch die Tür und befiehlt uns durch Zuruf, ihm zu folgen. Pi hat Mr. Browns Käfig im Arm, Larry nimmt Miß Fips, ich den schwarzen Raben, und an der Ostseite der Klippe kleben wir nun hinter dem Felsenwall der Kuppe und ringen nach Atem.
„Das war die Galle, – nun spritzt er Gift“, meldet Pi mit stoischer Gelassenheit, – – ein Schrapnell zerpufft über uns und wirft seine bleierne Saat diesmal noch allzuweit nach Osten.
Bisher habe ich an mich halten können. – jetzt fahre ich Pi in die Parade, denn die Situation wird bedrohlich:
„Es war natürlich Unsinn, daß ich zuerst annahm, der alte Mac habe Ozeana auf ein U-Boot gebracht! Mac steckt in dem Wrack, – darauf spielten Sie vorhin an, Freund Pi!“
„Es ist so“, erwiderte der Bratapfel unnötig grinsend. „Angespielt … ausgespielt …! Da ist er!!“
Sein Arm zeigt nach dem roten Riesenwal …
Die große seitliche Ladeluke des Wracks, die Backbordluke am Heck, groß wie ein Tor mit zwei Flügeln und unten von den Wogen umspült, ist aufgeflogen.
Aus dem Rumpf des toten Schiffes gleitet ein äußerst lebendiges Schifflein hervor, schwarz wie der Teufel, – ein gedeckter Motorkutter, schmal, sehr lang, und saust wie ein abgeschossener Pfeil gen Westen, – – wendet …
Drei Personen an Deck, – – unwirklich schnell erfüllt sich das Schicksal derer, die dem alten Mac zu trotzen wagten.
Pi winkt.
„Sie werden nicht mehr schießen … Kommen Sie nur mit, – sehen wir, wie mein Herr Strafgericht hält …“
Kein Schuß mehr.
Auf dem „Diaz“ stehen Martinez und seine Getreuen – Ungetreuen wie die Bildsäulen.
Wir, neben der Hütte als Zuschauer in unerwünschter Untätigkeit, haben den Kutter und den „Diaz“ auf zweihundert Meter vor uns, nichts entgeht uns, die Sonne als Riesenscheinwerfer beleuchtet das Bild, ohne uns zu blenden, da sie noch tief im Osten steht.
Die kleine, sehnige Gestalt Gulliver Mac Intocks hebt sich im dunkelgelben Tropenanzug scharf von der schwarzen Farbe des Kutters und seiner niederen, gewölbten Aufbauten ab. Die beiden anderen Leute sind zwei von Macs Chinesen. Der ehemalige Piratenkapitän, allen deutlich sichtbar, steht hinter dem Bugaufbau und scheint die Hände lässig auf das gewölbte, dunkle, aber matt metallisch schimmernde Dach gestützt zu haben. In seiner Haltung drückt sich eine gewisse selbstbewußte Nachlässigkeit aus, trotzdem gleicht er mit dem etwas vorgereckten kantigen Schädel einem sprungbereiten Raubtier. Nicht eine noch so geringe Bewegung seines Körpers zerstört den Eindruck einer ehernen Statue, seine Augen scheinen starr und erbarmungslos die Banditen auf dem „Diaz“ zu beobachten, die, als hätte der Blitz sie gelähmt und geblendet, genau so reglos wie er dem Kutter entgegenschauen.
Uns ergeht es nicht anders.
Das grell beleuchtete Bild der beiden Schiffe zieht magnetisch all unsere Gedanken an und zerrt und reißt an den Nerven.
… Der Kutter ist dem „Diaz“ bis auf fünfzig Meter nahegekommen.
Stoppt …
Eine schrille Stimme brüllte irgend etwas von der Brücke des „Diaz“ dem alten Mac zu, und Martinez fuchtelt plötzlich mit den Händen in der Luft umher und heult nochmals seine unverständliche Bitte um Gnade.
Nur das kann es sein: Er ruft des Alten Mitleid an, die Todesangst entpreßt ihm die schrillen Laute.
Mac Intock wirft ruckartig den Kopf nach hinten …
Pi lacht kichernd …
Ich weiß, das irgend etwas Furchtbares geschehen[8] wird …
Gulliver Mac Intock bewegte die Hände, und das mattschillernde gewölbte Dach des Aufbaus klappt auseinander, aus dem Innern des Rumpfes schwebt etwas empor, steht still …
Ein dickes Rohr mit blinkenden Metallteilen, mit Griffen und Hebeln, – – und aus dem dicken Rohr schaut vorn die stumpfe Nase einer Metallzigarre heraus.
Ein Torpedo …
Wieder heult drüben der Alkalde von Zaporra sein Wehgeschrei, und seine Leute stimmen mit ein, haben die Lähmung abgeschüttelt und fallen in die Knie, brüllen, zetern, bitten, flehen.
Pi meckert vor Wohlbehagen, und Mister Brown kreischt zur Abwechslung: „Mörder – – Mörder – – Mörder!“
… Ich fühle, daß mir das Blut aus den Wangen weicht, und in meinem Herzen regt es sich für die da drüben, die in den nächsten Minuten der Ozean verschlingen wird.
Gulliver Mac Intock hebt die rechte Hand, legt sie auf einen Hebel, – – und gleichzeitig beginnt der Kutter langsam rückwärts zu laufen, um aus dem Bereich der Gefahrzone zu kommen.
Martinez liegt drüben auf der Brücke auf den Knien und rauft sich das Haar, brüllt abermals, – der fette Mulatte neben ihm sackt nach vorn und scheint ohnmächtig geworden zu sein.
Meine Nerven prickeln wie Nervenstiche …
Wenn der Alte nur ein Ende machen wollte! Diese Spannung ist unerträglich.
„Verdammt!!“, keucht Larry, und der Schweiß läuft ihm über das fahle Gesicht. „Verdammt, – das ist des Guten etwas zuviel!“
Pater Menardus’ hohe Gestalt schiebt sich vor, und mit einer Stimme, die unbedingt den Alten erreichen muß, brüllt er gen Westen:
„Mac Intock, im Namen dessen, der alle Sünden vergeben kann: Lassen Sie die Leute am Leben!“
Der Alte dreht nicht einmal den Kopf.
Der Kutter stoppt …
Hundert Meter Zwischenraum zwischen den beiden Fahrzeugen …
Ich halte den Atem an …
Mir flimmert es vor den Augen …
Wieder ruft der Pater fast drohend seine Mahnung zwecklos hinüber, – – Martinez sinkt neben den Mulatten, schlägt mit den Beinen um sich wie ein Irrsinniger, und die Leute an der Reling rennen wie gehetzt hinüber zur Brücke, kämpfen um den Zugang zu der engen Treppe, – – dort oben glauben sie sich sicherer, dort oben hängen auch die Rettungsgürtel …
Und dann erscheint hinter dem Alten – ich erblicke die Gestalt zunächst ganz undeutlich – eine hagere Frau in dunkler Kutte mit schneeweißer Haarkrone über einem blassen, früh gealterten Leidensgesicht.
Die Frau fällt Mac in den Arm.
Ihre Hand weist wie beschwörend gen Himmel, jede Linie ihrer schlichten Gestalt ist seltsam ausdrucksvoll, – – eine Göttin des Mitleids könnte nicht erhabener, ergreifender ausschauen als diese Frau mit der silbernen Haarkrone, die wie ein Heiligenschein ein Märtyrerhaupt umgibt.
Der Alte wendet den Kopf …
Spricht …
Die Frau antwortet, – – und ihre Handbewegung gen Himmel wird noch gebieterischer,– sie kämpft um das Leben derer, die töten wollten, und sie läßt nicht nach in ihren von heiligem Eifer entflammten Bemühungen, Martinez und die Seinen zu retten.
Ich begreife die Frau nicht.
Jetzt, wo ich dies dem Papier anvertraue, begreife ich freilich alles. Diese Ärmste da hatte Unendliches gelitten, hatte verzeihen gelernt, hatte das Herz und die Seele einer Heiligen und setzte sich mit all ihrer schlichten Kraft für die Todgeweihten ein.
Der alte Mac zögert noch.
Aber in seiner Haltung ist etwas Unsicheres, Mattes und Nachgiebiges zu spüren, seine Gegenrede scheint ohne Feuer, – nur die Frau glüht im heiligen Eifer ihrer edlen Mission.
Und siegt …
Der Alte reicht ihr die Hand, nickt mehrmals, und die Frau kehrt still in die Heckkajüte zurück.
Ein Befehl, – – der Kutter schießt vorwärts …
Dann:
„Springt ins Wasser, wir fischen euch heraus!!“
Macs Stimme ist Posaunenklang, der den Tod verscheucht und Leben verheißt.
Die drüben zaudern …
„Springt!!“
Und sie bekommen Beine, poltern die Treppe hinab, schwingen sich auf die Reling, – – springen.
An Deck des Kutters erscheinen noch zwei Chinesen …
Rettungsgürtel fliegen ins Wasser, – als letzter wird Martinez an Bord gehißt und steht triefend vor dem Herrn der Theresa-Lagune.
Mac, die Hände in die Hüften gestemmt, blickt den Jammerlappen grausam lange in das schieläugige Gesicht, – – inzwischen nähert der Kutter sich den Riffen, schlüpft durch die steinernen Zaunpfähle und ist in Steinwurfnähe …
Fährt ganz langsam …
Der „Diaz“ mit gestoppten Maschinen treibt schlingernd gen Norden.
Mac Intock hat sich jetzt das Galgenvogelgesicht genügend betrachtet und sagt laut und hart:
„Du Esel, – was dachtest du dir eigentlich?! Habe ich dich nicht oft genug gewarnt?! Schlau wart ihr Halunken ja, – mein Teufel kam immer zu spät, wenn ihr maskierten Strolche die Perlenfischer geplündert hattet! Glaubst du, die Regierung hat mir den Teufel zum Spaß überlassen?! Wenn ich wollte, könnte ich euch sofort aufknüpfen, meine Vollmachten sind …“
Martinez lebt auf, reißt schnell den Taschentuchbeutel aus der Jacke und winselt flehend:
„Da – – ich gebe alles zurück … Ich werde auch die geraubten Perlen …“
„Halte das Maul …! – Was hast du in dem Drecklappen?!“
„Edelsteine, – – einen Teil der Smaragde Mr. Abelsens …!“
Pi, der höchst unzufrieden dreinschaut, brüllt hinüber:
„Mag er das Tuch öffnen, Herr, – – mag er es tun!!“
Martinez löst die Knoten, und im Sonnenlicht sieht er eine Kollektion von Kieselsteinen …
Sein Gesichtsausdruck läßt schnell den Alten in ein schallendes Gelächter ausbrechen.
Wir alle lachen … Larry schreit vergnügt:
„Onkel, – – damit habe ich dem Kerl eins über den Kopf gehauen, – – an die Edelsteine wird er noch eine Weile denken. Schmeiße das Zeug ins Wasser … – Wo ist Ozeana?“
Natürlich …: Ozeana!
Glücklicher Larry, unglücklicher Martinez, – mit einem Griff hat der Alte das Tuch wieder zum Beutel geformt, und der eine Hieb befreit den Alkalden von Zaporra von allen Sorgen, die er sich seiner Zahnstummel und der baldigen Zahnschmerzen wegen wohl mit einigem Recht machen mußte.
Das war Martinez’ Strafe, – – und er nahm sie hin mit Wimmern und Spucken und Husten …
Dann wurde auch er gefesselt und unter Deck geschafft.
Wenn wir vier hier auf der Klippe jedoch geglaubt hatten, der Kutter würde nunmehr hier unten am Strande anlegen und der alte Mac würde uns nun auch das noch restlos aufklären, was immer noch als größtes Rätsel uns verborgen: Die Bedeutung des doch offenbar bewohnten, gekenterten Wracks und den Zweck und Sinn dieser hartnäckigen Geheimniskrämerei um zweifellos höchst dunkle Dinge, – wir kannten Gulliver Mac Intock schlecht!
Kaum war der winselnde Martinez von der Bildfläche verschwunden, als der Alte die Liebenswürdigkeit hatte, uns zunächst mit grimmen Blicken eine Weile zu mustern und dann seinen Neffen kräftig anzublasen.
„Du hast es ja fein verstanden, mein Junge, die Schwierigkeiten noch zu vergrößern und meinen Schädel in ein Bienenhaus zu verwandeln! Muß der Mensch ausgerechnet meinem Mädel den Kopf verdrehen!! Was soll nun werden, du junger Springinsfeld?! Verloben, heiraten …?! Nicht die Rede davon!! Zwischen dir und Ozeana türmen sich Hindernisse auf, gegen die du umsonst anrennen wirst!“
Larry war sprachlos.
Wir auch.
Aber der Alte hatte sein unangenehmes Garn noch lange nicht fertig gesponnen.
Jetzt kam ich an die Reihe.
„Na, und Sie, Abelsen, – – Sie denken wohl auch, Wunder wie schlau alles geregelt zu haben! Grober Irrtum, sage ich Ihnen!! Ich wünschte, Sie hätten meine Sorgen!! Die Geschichte hier verlangt einen erstklassigen Diplomaten, und ich wüßte nicht, wo wir den hernehmen sollten! Niemand will seine unsaubere Wäsche Fremden zeigen, und hier … – – ach so, – der Pater Menardus.“
„Mac Intock“, sagte der Pater, „ich wünsche meine Schwester Renate sofort zu sprechen. Sie werden mich nicht daran hindern, von ihr endlich die Wahrheit zu erfahren, und mag diese Wahrheit noch so demütigend und so grauenvoll sein!“
Er stemmte das Ruder in den Sand und stieß das Boot ab, ruderte stehend und war mit wenigen Schlägen neben dem Kutter. Als er an Bord sprang, stieß er das Boot zurück, und der flinke Pi zog es mit einem Haken wieder aufs Trockene.
Der Alte starrte dem Pater wenig freundlich entgegen, zuckte dann die Achseln und meinte genau so hart und bissig wie bisher:
„Wenn Sie die Verantwortung übernehmen wollen, – mir soll es recht sein! Aber das sage ich Ihnen: Sie unterschätzen die Schwierigkeiten, und …“
Die Tür der kleinen Heckkajüte hatte sich geöffnet. Die Frau mit der weißen Leidenskrone trat ins Freie und schaute Pater Menardus flehend an.
„Mein Bruder …“ – ihre Stimme war schwer von mühsam zurückgedrängten Tränen – „… mein Bruder, du wirst dich mit Abscheu von mir wenden, sobald du …“
Menardus stand vor ihr. Seine kräftigen Arme umfingen die dürftige Gestalt, und sein Mund berührte die zerfurchte Stirn mit einer Liebe und Zartheit, die diesem stattlichen Streiter Gottes aus tiefstem Herzen kommen mußte.
Was er der Weinenden zuflüsterte, blieb beider Geheimnis, – dann führte er sie ebenso sanft in die Kajüte, die Tür schloß sich, und der alte Mac Intock schnäuzte sich sehr verdächtig und hatte immer wieder an seiner sonnverbrannten Nase herumzuputzen.
Der Kutter glitt davon, passierte die Riffe und wandte sich gen Norden, um den „Diaz“, der bereits weit abgetrieben war, wieder einzufangen.
Larry war wütend.
„Abelsen, ist das eine Art, uns drei hier kalt zu stellen, als wären wir hergelaufene Landstreicher?!“
Ich konnte nur erwidern: „Was mich betrifft, – – ich bin Landstreicher, und die haben allemal viel Zeit. Es wird sich schon alles klären.“
Larry suchte sich Pi nun als Opfer aus, da mit mir nichts anzufangen war. „Und Sie, alter Freund?! Fühlen Sie sich nicht zurückgesetzt?! Sie sind doch Onkels Vertrauter, und …“
„Nicht in allen Dingen“, sagte Pi sehr gemessen. „Ich bin ein treuer Diener meines Herrn, dessen gutes Herz ich zu schätzen weiß. Glauben Sie, daß er den „Diaz“ torpediert hätte?!“ Er zwinkerte belustigt mit den Schlitzaugen. „Unter uns, das Torpedo in dem unmodernen Rohr ist so harmlos wie eine Zigarrenspitze … Von Sprengladung keine Spur!“
Larry war noch sprachloser als vorhin.
Pi grinste. „Das Torpedo ist ein Schrecken aller Gauner der einsamen Küstenstriche dort an der Theresa-Lagune, und der Kutter – Diavolo heißt er, Teufel – und mein Herr haben bereits gründlich unter den farbigen Banditen aufgeräumt, nur den Martinez konnten wir nie recht erwischen. – Mr. Abelsen traf das richtige: Wir haben Zeit!“
„Aber ich nicht!“, fuhr Larry auf und sprang zum Strande hinab. „Ich will Ozeana wiedersehen, und …“
Chang Pi hatte plötzlich seine Pistole in der Hand.
„Mr. Larry“, erklärte er mit bedrohlicher Entschlossenheit, „ich bin verpflichtet meines Herrn Willen überall Geltung zu verschaffen. Ich befehle Ihnen, hier zu warten, und …“
Larry wurde vor Wut fahl im Gesicht.
„Wie, – – Sie … Sie … wollen auf mich schießen, Sie … alter …“
Pi sagte sehr milden Tones:
„Nein, das würde ich nicht tun. Aber ich würde mich töten, Mr. Larry, denn ich will meinen Herrn lebend nicht wiedersehen, wenn ich …“
„Sie sind … ein Narr!“, – aber Larry hatte Verständnis für Pi’s Eigenart und fügte weicher hinzu: „Ein treuer Narr natürlich, mein lieber Pi! Gut denn, warten wir.“
Die Sonne war höher gestiegen, das Meer ringsum gleißte und schillerte, und die Robinsonklippe schwamm in einer Überfülle von Licht. Pi ging und holte die Käfige der Tiere ins Freie, ließ Mr. Black davon hüpfen und begann Brown und Miß Fips mit Krebsen zu füttern. Für Pi schien es keine großen Rätsel zu geben, deren Lösung er entgegenlechzte wie Larry und ich.
Larry meinte erstaunt: „Die Wurstigkeit möchte ich besitzen, Abelsen!!“
Der Kutter kam wieder in Sicht, hatte den „Diaz“ im Schlepptau und verankerte ihn dann im Westen der Riffe. Wir sahen, wie Martinez und seine Leute auf den „Diaz“ gebracht wurden, wir sahen, daß drei Chinesen dort an Bord blieben, und dann näherte der Kutter sich eilends, und Larrys heißester Wunsch war erfüllt: Der alte Mac nahm uns drei an Bord, begrüßte uns brummig, und Larry bekam noch einige saftige Redensarten aufgetischt.
„… Wir hatten doch einen Diplomaten unter uns“, knurrte der borstige Alte zum Schluß. „Pater Menardus hat’s erreicht, daß Frau Renate auch euch ins Vertrauen ziehen will … Wenn du aber, Larry, mit Ozeana, die ohnehin schon allzu selbstherrlich geworden, allzu viel Umstände machst und als ihr Verlobter sie noch mehr verwöhnst, als ich alter Narr es tat, dann … dann … – na, du sollst mich dann kennen lernen!“
Der Kutter schoß auf das rote Wrack zu, die Pforten der großen Ladeluke sprangen auf, und in der Luke erschien eine gebückte weißbärtige Greisengestalt, die mit hilflosem Lächeln uns Fremde scheu betrachtete.
Es war Jakob Redersen, einst Kapitän des eisernen Dreimasters „Weserland“, der nun ein gekentertes, verrostetes Wrack geworden, – ein Wrack wie der Kapitän selbst, der doch erst fünfzig Jahre alt und … ein gebrochener Mann, ein Greis geworden.
Frau Renate Redersen hat mir ihre Aufzeichnungen für Stunden überlassen, und ich bin aus den wohnlich eingerichteten Kabinen des Wracks, in denen freilich jetzt der Fußboden, die Decke und so manches andere etwas eigenartig geworden ist, da das Wrack gekentert auf den Riffen liegt, zur Klippe hinübergerudert und will hier allein und in geistiger Sammlung das lesen, was mir in großen Zügen bereits bekannt ist.
Auszugsweise will ich nun nach dem Gedächtnis Frau Renates Tragödie hier wiedergeben.
– –
An Bord des „Weserland“ den 1. Juli 1908.
… Ich muß meiner Gedanken irgendwie Herr werden, ich muß mich irgendwie ablenken, sonst werde ich über all dem Entsetzlichen den Verstand verlieren. Hätte ich mein Kind nicht bei mir, wäre ich längst in die See gesprungen, die ich jetzt hasse – genau wie dieses Schiff, das Millionen an Werten in seinen Laderäumen birgt und doppelt und dreifach und höher versichert ist, als je ein Frachter von einem betrügerischen Reeder versichert wurde.
… Die Fahrt begann bereits unter unglückseligen Begleitumständen. Beim Verladen einer der kostbaren Maschinen wurden drei Stauer zu Tode gedrückt, und die Nordsee empfing uns mit so rauhen Stürmen, wie der Monat Mai sie sonst nicht kennt.
… Erst hier im Golf von Mexiko begann ich zu ahnen, weshalb mein Mann scheu und bedrückt umherschlich und weshalb er immer häufiger der Flasche zusprach.
Im Trunk ist er roh und brutal, selbst zu unserer kleinen Renate, die er bis dahin über alles liebte – wie mich.
Trunken sinkt er abends auf sein Bett, und seine wirren Träume erregen ihn so sehr, daß er im Schlaf alles verraten hat …
Als ich zitternd und bebend zum ersten Male aus seinem Lallen und Stammeln entnahm, daß er mit dem Reeder Kartstock, einem jener gewissenlosen Schurken, die die ganze Seefahrt schänden, den ungeheuerlichen Plan vereinbart hatte, den Dreimaster zu versenken und ein Schiffsunglück vorzutäuschen und die Versicherungsgelder einzustreichen und zu teilen, war ich nur zu sehr geneigt, diese seine unbeabsichtigte Beichte, die ihm das unruhige Gewissen abpreßte, für Traumgespenste ohne wirklichen Anlaß zu Sorgen und Ängsten hinzunehmen.
Trotzdem haben mich in jener Schreckensnacht die Gedanken an das veränderte Wesen meines Mannes nicht wieder einschlafen lassen, und je mehr ich über die Möglichkeit dieses grauenvollen Vorhabens nachgrübelte, desto greifbarer und näher rückte mir diese Möglichkeit … –
– 3. Juli 1908.
… Mein Mann hat mich geschlagen … Mein Kind ist vor Angst schreiend unter den Tisch geflüchtet. Ich hatte ihn beschworen, seinen wahnwitzigen, schurkischen Plan aufzugeben, ich hatte gefleht, gebettelt, – – und er war betrunken …
Es war mir aufgefallen, daß er gestern und vorgestern Nacht freiwillig die Ruderwache übernahm und auch persönlich den Schiffsstandort feststellte. Ich habe seine Eintragungen in das Schiffsjournal heimlich nachgeprüft, – sie sind falsch, wir halten nicht Kurs auf New Orleans, sondern befinden uns weit westlich der Schiffsroute im Golf von Mexiko.
Gott sei uns allen gnädig: Mein Mann wartet nur auf einen Sturm, um den Dreimaster auf eine ihm bekannte Klippe auflaufen zu lassen, – ich bete, daß kein Sturm sich erhebe, – – ich bin feige, denn ich müßte der Mannschaft mitteilen, welche Gefahr ihnen droht …
Ich kann nicht, – – ich bin innerlich zerbrochen …
Er hat … mich geschlagen – – mit der Faust ins Gesicht … und gedroht: „Ich werde dich und den Balg da umbringen, wenn …“
– 17. Juli 1908.
… Mein Gebet hat nichts geholfen. Wir sind … gescheitert … sind eingesperrt in dem gekenterten Wrack … – Ich lebe, mein Kind lebt, – – und er lebt, – – als die einzigen, die diesen Orkan und dieses Verbrechen überdauerten.
Er lebt … Und ist doch tot. Gott hat gestraft: Ein niedersausendes Stück des Großmastes traf ihn, und obwohl ich ihn gesund gepflegt habe: Sein Geist ist umnachtet, er ist zum harmlosen Geisteskranken geworden, spielt mit der kleinen Renate läppische Spiele und … gleicht einem Tiere, das nur dem Triebe gehorcht, nur ißt, schläft, spielt, plappert, – – so oft denke ich, daß auch mein Kind, das den Zustand des Vaters nicht erkennt, unter seinem Einfluß geistig verdorren muß, denn es liebt ihn …, – mehr wie mich …
Eingesperrt leben wir, nur die große Ladeluke läßt sich öffnen, und am dritten Tage nach dem Orkan und unserer Rettung, für die ich Gott nicht zu danken vermag, sah ich draußen in der schwachen Brandung unsere Toten in langer Prozession gen Osten schwimmen, die ganze Besatzung, die mein … Mann … gemordet hat.
– 2. September.
… Ein Helfer, ein Freund ist mir erschienen, ein Wunder ist geschehen: Gulliver Mac Intock fand uns hier, versorgte uns mit Trinkwasser, will weiter für uns sorgen und … hat mein Kind mit sich genommen, damit es in einer Umgebung aufwachse, die frei ist von Sünde, Schuld und harmlosem Wahnsinn.
Mac Intock hat auch für meine Weigerung, dieses Wrack zu verlassen, volles Verständnis gezeigt.
Ich habe unendlich viel zu sühnen: Meine eigene erbärmliche Feigheit und meines Mannes grausige Tat! Ich will diese Sühne hier in diesen Räumen leisten und will für die Welt tot, verschollen sein, – wie es der Dreimaster ist. Mac Intock wird schweigen, der Name Redersen wird nicht voller Abscheu genannt werden, – – wie soll ich dem allgütigen Schöpfer danken, daß er mir Mac Intock sandte, einen Menschen mit rauher Schale und goldenem Herzen, der meinen Dank abwehrte und bitter erklärte, er selbst hätte ebenfalls übergenug zu sühnen, – – Pirat sei er gewesen, ein Abenteurer schlimmster Art, – – ich habe es ihm nicht geglaubt, er hat mir nur das Verbrechen meines Mannes in ein milderes Licht rücken wollen.
– Jahre sind verflossen … Meine Reue und Buße ist erhört worden: Der Geisteszustand meines Gatten hat sich gebessert, nur – – die Vergangenheit ist tot für ihn, er erinnert sich an nichts, nicht an seine Untat, – er denkt, wir lebten hier in dem Wrack, weil wir die Ladung bewachen müßten, und Mac Intock hat ihn darin noch bestärkt und uns zur Zerstreuung Arbeit zugeteilt, – wir suchen für ihn die Quelle des Golfstromes.
… Mac hat letztens einen Brief an meinen Bruder mit nach Merida genommen, – nur ein Gedicht … Vielleicht nicht einmal das, – aber mit meinem Herzblut für den Lieblingsbruder geschrieben.
– Wieder sind Jahre dahin. – Meine kleine Renate ist ein großes, hübsches Mädchen geworden: Ozeana Mac Intock! – Mac hat mir Bilder von ihr geschenkt, viele Bilder, auch von seinem Haus und von der Lagune und von Ozeanas Tieren.
Sie wird nie erfahren, wer ihre Eltern gewesen.
Meine Reue und Buße ist voller Gnade aufgenommen worden: Mein Kind ist gesund, mein Kind hat seine Eltern vergessen, und einen besseren Großvater als Mac Intock könnte ich ihr nicht wünschen, vielleicht einen etwas strengeren, denn der alte Mac scheint meine Renate allzusehr zu verwöhnen …“
– – Ich habe aus den Aufzeichnungen Frau Renates vieles weggelassen, was ihre Seelenqualen allzu ergreifend schilderte, – – das alles sind Renates tiefinnerste Geheimnisse, und an so zarte Dinge soll man nicht rühren.
Ich begreife ihren Entschluß jedenfalls vollkommen, der sie hier an das Wrack festhielt, um …
… Aus des Herzens Not
Ragt das hart’ Gebot
Wie die spitzen Riffe,
Wie der Toten harte Griffe,
Die von mir die Sühne heischen
Und an meiner Seele reißen
Ohn’ Erbarmen …
Amen.
Die Tragödie eines Frauenherzens verklingt in milden Akkorden …
Mac Intock wird die drei Redersens mitnehmen in sein einsames Heim an der Lagune Santa Theresa, – eine Mutter wird mit ihrem Kinde vereinigt sein und doch noch einen Schimmer von Erdenglück erhaschen – in dem Glück zweier Liebenden, denen auch meine Wünsche das Geleit geben. Und der Mann, der sündigte und gestraft wurde, wird dort, wo der stille Zauber der Lagune blüht, vielleicht ebenfalls letzte Jahre eines stillen, friedvollen Dahindämmerns in einer Traumwelt finden, die ihm sein umnachteter Geist geschaffen …
… Und ich?!
: Robinson, und mein zweibeiniger Gefährte heißt Mr. Black und wird jeden Tag zutraulicher und zahmer und klüger.
Der Volksmund hat die Redensart geprägt: Sie stehlen wie die Raben!
Mein Rabe ist kein Dieb, nur ein fanatischer Sammler, milde ausgedrückt. Es liegt wohl in seiner Natur, daß er die unmöglichsten Gegenstände zusammenschleppt, so weit er sie im Schnabel oder in den recht kräftigen Krallen davontragen kann. Nichts ist vor seiner Sammelwut sicher, alles Blanke verehrt er abgöttisch, meine Teelöffel muß ich immer wieder nachts aus seinem „Museum“ holen, das er sich in einer Spalte des Oberrandes der Klippe eingerichtet hat.
Wir sind keine Faulenzer[9], wir arbeiten, wir fahren mit dem Kutter hinaus in den Golf, beobachten den indigoblauen Strich, der im Osten aus den Tiefen des Ozeans unvermittelt emporsteigt, wir senken das Tiefseelot in die Schlünde des Meeres, lesen Temperaturzahlen von dem Tiefenthermometer ab und helfen so, das Geheimnis des Ursprungs der riesigen Strömung zu ergründen.
Wann die Bergungsdampfer hier erscheinen werden, die die Ladung des „zufällig“ vom alten Mac aufgefundenen Dreimasters nach New Orleans bringen sollen, ist vorläufig unbestimmt. Es werden wohl Wochen vergehen, bevor der Frieden meiner winzigen Insel durch den Lärm des Alltags gestört wird. Dann werde ich mit Mr. Black in die Ferne ziehen, irgendwohin, denn dieses Leben hier, das wie ein Uhrwerk streng geregelt abläuft, ist auf die Dauer nichts für meine Sehnsucht nach frisch pulsierendem Geschehen.
Wenn ich abends bei Sonnenuntergang droben auf der Klippe sitze und den sinkenden Sonnenball beobachte, der vor und nach dem Eintauchen in den Ozean seine feurigen Abschiedsgrüße in lohendem Farbenspiel mir zusendet, befällt mich zuweilen eine Schwermut, der ich schwer Ausdruck zu verleihen vermag. Es ist nicht die Einsamkeit, die mich drückt. Oder – es ist doch der heimliche Wunsch nach menschlicher Gesellschaft, nach einem Kameraden von der Art und Eigenart, wie mir das Geschick so viele als Wegbegleiter schenkte und wieder nahm?
Vielleicht … – –
… Seit vorgestern tobt ein Orkan, der mir selbst nachts keine Ruhe läßt. Meine jetzt sehr komfortabel eingerichtete Hütte ist erfüllt von dem Dröhnen und Brausen der Brandung und dem Heulen und Jaulen der Sturmstöße. Meine Hütte ächzt und knarrt, und sogar die Klippe scheint unter dem Anprall der Wellenberge, die wie hüpfende Rosse über die Riffe springen, zu zittern und zu wanken. Von Südost kommt der Orkan – – mit ungebrochener Kraft, – Gewitter toben, von dem roten Wrack ist nichts zu erkennen, alles dort nur weiße Wogenkämme, Gischt, kämpfende Wassermassen.
Ich bin trotzdem gegen Morgen eingeschlafen.
Erwache … Und die Stille ringsum wirkt fast beängstigend. Mr. Black hackt wütend mit dem Schnabel gegen die Tür und will ins Freie. Als ich hinaustrete auf die Terrasse, gilt mein erster Blick dem Wrack.
Die Stelle ist leer …
Ich reibe mir die Augen …
Die Stelle bleibt leer. Das Meer hat sich geholt, was ihm zugedacht gewesen, der Dreimaster ist losgerissen worden von seinen steinernen Stützen und versunken. Jakob Redersens Verbrechen scheint jetzt erst gesühnt.
Die Sonne leuchtet, Mr. Black findet freudig krächzend unten am Strande eine Unmenge leckerer Bissen, und ich erklimme die Plattform der Klippe, spähe rundum – – leer der Horizont, – ein wolkenloser Himmel, eine sanfte Brise …
Bis meine Augen sich festsaugen an dem höchsten der Nordriffe … Ein Etwas hängt dort, mit Stricken umschnürt, ein Mensch, ein Schiffbrüchiger – wie an einem Maststumpf.
Mein Kutter ging mit dem Wrack in die Tiefe, aber das kleine Boot besitze ich noch, und ich werde …
Mr. Black flattert heran, schwerfällig, in den Krallen etwas Blankes, Längliches, das für ihn offenbar ein zu großes Gewicht hat. Klappernd fällt es mir vor die Füße – ein Zinkzylinder – oder Aluminium …
Mr. Black krächzt enttäuscht … Sein Museum wird diese Rarität nicht erwerben.
Es ist nur die Aluminiumhülse einer Rasierseife in Stangenform: „Kaloderma“ lese ich …
Aber der Inhalt der wasserdicht durch Fett verschlossenen Hülse ist nicht Seife, sondern eine Papierrolle …
Ich habe die Wahl, diese seltsame Botschaft zuerst zu lesen und dann den Unglücklichen zu retten.
Eine schwere Wahl … Das Menschenleben ist wichtiger … Mein kleines Boot schießt durch die Flut und dieser kurze Weg zum Nordriff kann doch der Anfang eines endlosen Pfades werden, der in unbekannte Fernen sich verliert …
Ein neuer Pfad abseits vom Alltag …
Vielleicht …
Nächster Band:
Das Bergwerk der Abgeschiedenen.
Anmerkungen: