Sie sind hier

Der blaue Weiher

 

 

Walther Kabel

 

Der blaue Weiher …[1]

 

Kriminal-Roman

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1926 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Das Opfer des Weihers.

Juninacht mit all ihrem milden Zauber …

Ausgestirntes Firmament spiegelt sich blinkend auf dem kleinen, steinumgebenen Weiher …

Ein Marder auf nächtlicher Jagd flitzt lautlos in die Steingrotte am Nordufer des Weihers hinein …

Erhofft dort eine Feldmaus, ein verschlafenes Vöglein, irgendeine Beute …

Flitzt wieder heraus in langen Sätzen, verschwindet in den grünen Büschen, als wäre der Dachshund des Herrn August Warnke hinter ihm her …

Kein Dachshund …

Friedlich, still alles ringsum …

Ein trügerischer Friede trotzdem …

Denn – jetzt schwebt eine Nachteule, durch die Luft dahingleitend wie ein geräuschloser dunkler Drache, in die Grotte, streicht dicht unter der Decke hin, erhascht eine der hier in zackigen Tropfsteingebilden hausenden Fledermäuse …

Ein piepsender Todesschrei …

Die Eule mit ihren scharfen, jedes Dunkel durchdringenden Augen erspäht auf der Steinbank im Hintergrunde zwei menschliche Gestalten …

Entschwebt eilends ins Freie …

Sagt da der eine Mann auf der Steinbank im Flüsterton zum andern:

„Die ganze Geschichte ist Blödsinn … Nun hocken wir hier schon die dritte Nacht …“

Sagt der andere noch leiser:

„Ein Irrtum, mein Alter … Die Geschichte ist nicht Blödsinn … So etwas saugt sich niemand aus den Fingern, und für so etwas Erdichtetes bezahlt selbst ein August Warnke nicht pro Tag hundert Mark … Billig haben wir’s ihm nicht berechnet …“

„Kann von dem Oberraffke Eitelkeit sein … Will sich mal den Spaß leisten, zwei wie uns an der Nase herumzuführen …“

„Hm – bedauerlich!! Wenn deine Phantasie mal phantasiert, so tut sie’s verkehrt … – Geduld – – Geduld!! Das ist bei unserem Beruf die Hauptsache!“

Dann schwiegen sie …

Schauen über den Weiher hin …

Freuen sich der Juninacht …

Der fleißigen Nachtigallen …

Warten …

Worauf?! –

Nun, vor fünf Tagen ist in Berlin ein Brief von Rittergutsbesitzer August Warnke eingetroffen – für Herrn Harald Harst, Gerichtsassessor a. D., Doktor jur., Privatdetektiv …

Lautete der Brief wie folgt:

Rittergut Weiherstein,

Post Seebad Bansin, Usedom.

5. Juni 19…

Geehrter Herr Harst, ich füge einen Scheck von 1000 Mark – eintausend Mark – diesem Briefe bei als Anzahlung auf das Honorar. Ich erwarte Sie beide morgen am 7. Juni mit dem Jagdwagen am Bahnhof Bansin. Der Wagen ist neu und bequem und stammt von der bekannten Wagenbaufirma Sacken u. Co., aus Berlin. Es handelt sich um den blauen Weiher in meinem Gutspark. Sie werden es nicht bedauern, hierhergekommen zu sein. Es ist ein Fall für Feinschmecker.

Ergebenst

August Warnke,
Rittergutsbesitzer.

Über diesen Brief hatte Harst sich zu Schraut folgendermaßen geäußert:

„August Warnke gehört zu der Kategorie der Neureichen, die ihre Inflationslappen rechtzeitig in Grundbesitz angelegt haben oder auch zum Teil im Auslande. Sein Brief ist typisch für diese Sorte von Herrschaften. Trotzdem werden wir ihm die Ehre erweisen, denn mit den Aufträgen sieht es zurzeit recht spärlich aus, ganz abgesehen davon, daß ich einzurosten fürchte. Die letzte Sache vor acht Tagen war ja mehr ein Aprilscherz und kein Gehirntraining.“

Harst machte eine kurze Pause …

„Natürlich werden wir aber Herrn August Warnke nicht in der Weise aufsuchen, wie er es vorschlägt …“

Und er setzte sich an den Schreibtisch und entwarf folgende Depesche:

„Vorläufig unabkömmlich. Können erst nach fünf Tagen eintreffen.   Harst.“

Das Telegramm brachten die Freunde persönlich zur Post.

Am nächsten Tage reisten sie mit dem Morgenzuge vom Stettiner Bahnhof ab und[2] langten gegen fünf Uhr nachmittags in dem kleinen, aber so überaus behaglichen Seebade Bansin an, freilich nicht als Harst und Schraut, sondern als zwei ältere Herren von biederem schlichten Äußern, denen niemand ein so vielseitiges und gefahrvolles Handwerk wie das eines Detektivs zugetraut hätte.

Ein Mietwagen brachte sie nach einstündiger Fahrt durch alte Buchenwälder bis zum Dorfe Weiherstein, das unweit des Gutes in einem kleinen Tale lag.

Hier stiegen sie im Dorfkruge „Zum Stettiner Haff“ ab und stellten sich dem Wirt als leidenschaftliche Angler und pensionierte Gerichtsvollzieher aus Berlin namens Horten und Schrack vor, – zwei Pseudonyme, die sie schon häufiger bei ihren abenteuerlichen Fahrten benutzt hatten, – belegten das eine der beiden Fremdenzimmer im Gartenanbau, aßen jeder eine gehörige Portion Rührei mit Speck und schlenderten dann durch das Dörfchen, ließen sich von den Kindern neugierig anstarren, schenkten den kleinen Rangen etwas Geld zu Süßigkeiten und näherten sich auf Umwegen den Gutsgebäuden, betraten durch eine offene Seitenpforte den uralten Park und hatten dann sehr bald das ebenso altehrwürdige, schloßähnliche Gutsgebäude vor sich …

An demselben Abend war der hagere Herr August Warnke, ehedem Besitzer einer kleinen Spritdestillation, mit seinem Oberinspektor wieder mal einer geringfügigen Sache wegen in Streit geraten, und nur dem Eingreifen seiner Tochter Margot war es zu danken, daß der überaus tüchtige Oberinspektor, der bereits unter den Besitzvorgängern, den Grafen von Blanden, zehn Jahre lang das sehr ausgedehnte Rittergut fast selbständig verwaltet hatte, dem neuen Herrn nicht auf der Stelle kündigte, was unbedingt zu einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt hätte, da August Warnke von der Landwirtschaft nichts verstand und auch nie etwas verstehen würde, da er stets im voraus bereits alles besser wußte als die, von denen er hätte Belehrung annehmen müssen.

Auf den Ärger mit dem Oberinspektor hin hatte er zunächst einen doppeletagigen Kognak getrunken und dann die Schrotflinte umgehängt, um an der Krähenkolonie in der Nordecke des Parkes seine Wut auszulassen. Zum Glück für die Krähen war er jedoch selbst mit der Schrotspritze ein miserabler Jäger … Wenn er dann einige Male Löcher in die Natur geknallt hatte, war seine Wut verraucht und er wurde wieder „vernünftig“, wie sein einziges Kind Margot sich auszudrücken pflegte.

Ein Zufall wollte es, daß er nun auf dem Wege zur Vogelmordstätte den beiden biederen Gerichtsvollziehern a. D. begegnete und somit Gelegenheit fand, diesen Fremden, die sich hier in seinem Park umhertrieben, ordentlich den Standpunkt klarzumachen.

August Warnke war an sich keine üble Erscheinung. Jedenfalls sah man ihm den „Oberraffke“ in keiner Weise an. Er hatte das Glück, eines jener schmalen Gesichter zu besitzen, die niemals unfein wirken. Außerdem trug er sich stets ganz als Gutsherr, vermied in der Kleidung alles Auffällige, abgesehen von der Brillantennadel in der Krawatte und den ebenso kostbaren Ringen an der linken Hand.

Die beiden Gerichtsvollzieher ließen ihn ruhig wettern und toben, standen wie die begossenen Pudel da und machten einen so verschüchterten Eindruck, daß Warnke plötzlich Mitleid verspürte und lachend fragte:

„Jott nee, – weshalb reden Sie denn nicht ’n Ton?!“

„Weil man Menschen am besten kennen lernt, wenn sie in Wut sind, Herr Warnke,“ erklärte nun der größere der beiden mit so offenkundiger Ironie, daß sogar August Warnke stutzig wurde.

Und dieser größere fügte hinzu: „In der Wut platzt das bißchen Kulturlack ab, Herr Warnke, und dann sieht man den Menschen vor sich, wie er wirklich ist – ohne Lackschicht … Im übrigen freut es uns, Ihnen hier zu begegnen, denn nun können Sie uns mitteilen, weshalb Sie uns unter Beifügung eines Schecks von tausend Mark nach Weiherstein berufen haben …“

Warnke riß den Mund auf, zeigte all seine goldenen Zähne und glotzte diese beiden armselig-bescheidenen Männlein mit Augen an, in denen allmählich die Erkenntnis des wahren Sachverhalts aufleuchtete …

„Jott nee – Sie sind Herr Harst und Herr Schraut?!“ quetschte er dann hervor …

„Nein, Herr Warnke … Hier sind wir die zwei pensionierten Gerichtsvollzieher Horten und Schrack, wohnen im „Stettiner Haff“, sind leidenschaftliche Angler und haben uns „zufällig“ hier in den Park verirrt … Und bei diesem unseren Inkognito muß es bleiben, Herr Warnke, sonst richten wir hier nichts aus … Wären wir als Harst und Schraut hier aufgetaucht, hätte das Geheimnis, das wir hier aufklären sollen, alle Aussicht, niemals aufgeklärt zu werden. – So, und nun führen Sie uns bitte in aller Stille an einen Ort, wo Sie uns ungestört alles Nötige mitteilen können …“

Warnke hatte sich erholt …

Den Mund hatte er längst wieder zugeklappt …

„Entschuldigen Sie, meine Herren,“ sagte er herzlich … „Ich bin nun mal ’n bißchen reizbar … Also: Willkommen auf meinem Grund und Boden, den ich seit 1922 mein eigen nenne … 18 000 Morgen, zwei Vorwerke, wunderbarer Wald und …“

„… unsere Aufgabe hier?“ fiel Herr Horten ein.

„Ach so – richtig … – Bitte, kommen Sie … Wir gehen gleich an Ort und Stelle. Weit ist es nicht …“

So lernten die beiden Berliner denn den blauen Weiher kennen, einen kleinen See mitten im Park, – sahen die Grotte am Nordufer zum ersten Male und saßen zum ersten Male auf der Steinbank …

Ein wundervoller Weiher …

Ringsum uralte Buchen, Haselnußbüsche, Birken, Erlengestrüpp …

Das Ufer eingefaßt von mächtigen, bemoosten Feldsteinen …

Am Ufer Schilf, Wasserrosen, – ein grüner, schwimmender Kranz …

Unergründlich tief schien der kleine See … –

Und die Grotte aus denselben Feldsteinen, außen von Efeu überwuchert, innen mit Tropfstein bekleidet … Sehr geräumig … Ein Steintisch in der Mitte … Im Hintergrunde die Steinbank … –

Das Merkwürdige aber an diesem Weiher: das Wasser schimmerte bläulich … ausgesprochen bläulich … – Worauf dies zurückzuführen war, hätte noch niemand ergründet, wie Warnke betonte …

Nun saßen die drei also auf der Steinbank …

„Herr Harst – pardon – Herr Horten,“ begann Warnke bedächtig, „das, was ich Ihnen mitzuteilen habe, weiß bisher niemand … Ich habe alles für mich behalten, obwohl mir das besonders Margot gegenüber sehr schwer fiel, denn meine Einzige ist ein vernünftiges Mädel und mein guter Kamerad … Ich bin nämlich seit drei Jahren Witwer …“

Man merkte, wie er mit einer tiefen Rührung kämpfte …

„Also – – zur Sache,“ fuhr er mit etwas belegter Stimme fort … „Am Fünften schrieb ich an Sie … Und am Vierten kurz vor Mitternacht passierte das Unglaubliche … Hier passierte es, meine Herren … – Sehen Sie, ich leide zuweilen an trüben Stimmungen … Der Tod meiner Frau ist mir sehr nahe gegangen … Wenn ich solche Stimmungen habe, flüchtete ich bisher hier in die stille Grotte … Die Gutsangestellten und selbst Margot meiden diesen Platz, den Weiher und die Grotte. Hier in der Umgegend sind über den Weiher, den mal ein Graf Blanden angelegt haben soll, die unsinnigsten Gerüchte verbreitet, – lächerliche Spukgeschichten, wie ich bis dahin glaubte …“

Er seufzte …

„Ich bin bekehrt worden … gründlich … Hören Sie zu, meine Herren … Ich war also am Vierten abends hierher gegangen, setzte mich hier auf die Steinbank und rauchte in trüber Stimmung meine Zigarre. Der Vollmond stand gerade über dem Weiher. Ich konnte jede Mummel[3], jeden Ast der Weiden erkennen, und das stille Wasser war wie flüssiges Silber … Etwa um drei Viertel zwölf bemerkte ich, daß die Wasseroberfläche unruhig wurde … Mit einem Male tauchte dann mitten im Weiher eine nackte Frauengestalt auf, schwamm hin und her … – Ich betone: sie tauchte aus dem Wasser auf, kam nicht etwa vom Ufer … Ich hätte sie sonst unbedingt vorher am Ufer sehen müssen. Außerdem ist der Kranz von Schilf und Wasserpflanzen am Ufer so dicht, daß sich dort niemand geräuschlos hindurcharbeiten kann … – Der Anblick des umherschwimmenden jungen Weibes, deren dunkles Haar hinter ihr her wogte wie ein Schleier, war so … so übernatürlich, daß ich wie gelähmt dasaß … Schließlich raffte ich mich aber doch auf, verließ leise die Grotte und … rief die Person an … – Was geschah?! Sie tauchte blitzschnell, kam nicht mehr zum Vorschein … – Ich habe scharf aufgepaßt, ob sie etwa am Ufer aus dem Wasser stieg … Keine Rede davon! Sie tauchte eben wie eine … eine Nixe und blieb verschwunden. – Um ganz sicher zu sein, daß die Unbekannte – denn ich habe sie hier in der Gegend noch nie gesehen – wirklich nicht ans Ufer geschwommen sei, holte ich meinen Schäferhund Tyras, der Polizeihunddressur hat, nahm ihn an die Leine und umschritt den Weiher. Hätte die Person das Ufer betreten, würde Tyras unbedingt die Fährte gewittert haben. – So, das ist alles, Herr … Horten … Es ist ein Geheimnis … Und es muß aufgeklärt werden, unbedingt … Verlangen Sie, was Sie wollen: Sie müssen dieses Rätsel lösen! Auf meinem Grund und Boden dulde ich keine Geheimnisse. An Übernatürlichkeit glaube ich nicht …“

Harst, der eine Zigarette rauchte, fragte nun:

„War die Frau jung?!“

„Ja …“

„Sahen Sie denn, daß die Frau völlig nackt war?“

„Hm – gesehen habe ich nur Kopf, Hals, Haar und Arme … Aber der übrige Leib schimmerte durch das Wasser hindurch … Sie war nackt …“

„Dunkles, langes Kopfhaar also?“

„Ja – sehr langes Haar, das zum Teil das Gesicht verdeckte … Und …“

„Nun – – und?!“

„Auf dem Scheitel des Weibes war ein blitzendes Etwas befestigt – ein Krönlein, Herr Horten, – ganz bestimmt … Das Krönlein funkelte im Mondenlicht.“

Harst schwieg …

Schraut … lächelte ungläubig …

Die ganze Geschichte war denn doch zu phantastisch.

August Warnke sagte sehr nachdrücklich:

„Ich habe nicht etwa geträumt, meine Herren … ausgeschlossen! Ich weiß, was ich sah … Alles ist richtig …“

Harst erwiderte:

„Ehrlich, Herr Warnke: Wenn alles richtig ist, was Sie beobachtet haben, so handelt es sich um ein Rätsel, wie es selbst mir noch nicht vorgekommen ist. – Gut, wir werden die Sache prüfen. – Kann man nachts hier in den Park, ohne etwa von Hunden oder einem Wächter gestellt zu werden?!“

„Ja, wenn Sie die westliche Seitenpforte benutzen, wird niemand Sie sehen oder stören. Ich sagte ja schon, daß der Weiher gemieden wird. Die Leute hier behaupten, und das weiß jedes Kind, es solle hier im Weiher ein … Geist hausen … Ein Graf Blanden soll mal vor hundert Jahren aus Eifersucht seine Frau hier ertränkt haben … Den Blandens gehörte Weiherstein viele Jahrhunderte, bis der Letzte des Geschlechts, ein leichtsinniger Mensch, es an mich verkaufte und für sich selbst nur das sogenannte Kavalierhaus am Nordrande des Parkes mit kleinem, abgeteilten Garten behielt, um wenigstens ein Heim zu haben. Ich sehe ihn selten. Es ist ein finsterer, unzugänglicher Mensch, der wie ein Einsiedler haust, – ganz allein …“

„Alt?!“

„Nein, dreißig mag er sein, Herr Horten …“

„Was treibt er?“

„Keine Ahnung … Er betrachtet mich als seinen Feind, weil ich nun Besitzer von Weiherstein bin … Dabei habe ich ihm die wertlos gewordene Summe, die ich 1922 für das Gut bezahlte, schon jetzt in anständigster Weise aufgewertet …“

Hiermit schloß die Unterredung.

Die beiden Detektive kehrten in ihr Wirtshaus zurück und hatten dann die beiden nächsten Nächte von halb zwölf bis gegen zwei Uhr morgens in der Grotte gewacht – ohne Erfolg, wie wir bereits wissen …

Und jetzt finden wir sie die dritte Nacht auf dem Posten …

Sitzen auf der Steinbank …

Warten …

Jetzt wissen wir, worauf sie warten …

Auf die Nixe des blauen Weihers …

Die Nixe mit dem dunklen langen Haar und dem Krönlein …

„Geduld!“ hat Harst gesagt …

Und Max Schraut nimmt eine Zigarre, beißt ihr die Spitze ab und reibt sein Feuerzeug hinter der vorgehaltenen Hand an …

Tut die ersten Züge …

Denkt im stillen: „Blödsinn bleibt’s trotzdem …!“

Wieder vergehen zehn Minuten …

Der Mond ist über die Parkwipfel hinausgeklettert.

Der stille Weiher wird zur silbernen Scheibe …

Die weißen Birken leuchten …

Schraut denkt im Halbschlaf an die Depesche, die Herr August Warnke heute zum Schein aus Berlin erhalten hat …

Die Depesche Nummer zwei, daß Harst leider unabkömmlich sei und den Auftrag ablehnen müsse.

Diese Depesche ist hier für die Öffentlichkeit bestimmt, denn auf Harsts Rat hin hat Warnke sein Abenteuer nun Margot und Gutsangestellten erzählt und auch seinen Brief an die berühmten Detektive erwähnt.

Nun weiß jeder, daß Warnke die tote Gräfin Blanden gesehen hat, daß Harst und Schraut jedoch nicht nach Weiherstein kommen können.

Alle wissen’s … Auch im Dorfe. Es hat sich schnell herumgesprochen …

Und niemand vermutet, daß die beiden Gerichtsvollzieher a. D., die den Tag über am Haffufer sitzen und angeln, nachts durchs Fenster klettern und zum Gutsparke schleichen …

Niemand beargwöhnt sie …

Sie verstehen ihr Handwerk … Sie sind Angelnarren – weiter nichts … Und die Dörfler haben längst jedes Interesse an ihnen verloren … –

Schraut überlegt das alles …

Döst vor sich hin … Nur die Zigarre hält ihn wach …

Döst und schrickt zusammen …

Harst hat seinen Arm gepreßt …

„Achtung!“

Im Nu ist Schraut munter …

Im Nu hat er gesehen, was es draußen zu sehen gibt …

Draußen auf dem silbernen Weiher …

Wellen wirft das stille Wasser …

Wird immer unruhiger …

Ein Arm schießt aus der Flut hervor …

Ein nackter Arm …

Ein Kopf mit blinkendem Krönlein …

Ein Weiberkopf …

Dunkles Haar …

Die beiden Detektive starren wie gebannt …

Die Frau schwimmt langsam zwei Kreise …

Und … versinkt …

Taucht nicht wieder auf …

Schraut ist die Zigarre aus dem Munde geglitten.

Funken sprühen am Boden …

Harst steht jetzt am Grotteneingang … Seine Augen wandern …

Jeden Uferfleck mustern sie …

Finden nichts …

Schraut hat die Zigarre aufgehoben, tritt neben ihn.

Sie schweigen …

Beobachten …

Der Weiher hat sich wieder geglättet … Die silberne Scheibe schillert …

Nichts mehr …

Nur der Zauber der Juninacht …

Flatternde Fledermäuse …

Quakende Frösche … Unkenrufe … Rauschen der alten Bäume …

Die beiden bleiben stumm – unbeweglich – im Schatten der Grotte …

Geduld … Geduld …

Fünf Minuten verstreichen …

Dann – wieder kräuselt sich die silberne Flut … Wieder wirft der Weiher kleine Wellen …

Ein Arm schießt empor …

Ein Kopf …

Diesmal … August Warnke …

Ein Hilferuf gellt halb erstickt durch die Nacht …

Harst ist schon mit einem Satz im Wasser …

Harst taucht … Im letzten Moment erhascht er noch den Arm des Ertrinkenden, der offenbar nicht schwimmen kann …

Bringt trotzdem nur einen Toten ans Ufer …

Herzschlag – vielleicht vor Schreck, vor Entsetzen.

 

2. Kapitel.

Graf Egon Blanden.

Morgens um sieben erscheint Warnke nicht wie sonst auf der Terrasse zum Frühstück.

Margot wartet eine Weile, schickt dann den Diener, damit er feststelle, ob der Gutsherr noch in seinem Schlafzimmer …

Der Diener meldet, daß der gnädige Herr offenbar gar nicht zu Bett gegangen sei. Das Bett ist unberührt.

Man beginnt Warnke zu suchen …

Margot, die des Vaters Vorliebe für den Weiher kennt, eilt mit dem Oberinspektor dorthin …

So findet man im Grotteneingang den Toten …

Seine Kleider sind noch feucht … Seine Mütze fehlt … –

Margot Warnke, aschblond, schlank und kräftig, vermag den Schmerz zu meistern, vermag mit dem treuen Oberinspektor zu beraten. Der meint sehr ernst, daß man die Leiche nicht anrühren dürfe, daß das Gericht in Swinemünde benachrichtigt werden müsse …

„Herr Warnke war Nichtschwimmer … Er ist im Weiher gewesen … Weshalb?!“

Margot, blaß und mit Tränen kämpfend, verstand die Andeutungen sehr wohl …

Scheu blickte sie den stämmigen, graubärtigen Hünen an … Das war so ein echter Pommer mit pommerschen Knochen … mit blauen, adlerscharfen Augen und einem strengen, verschlossenen Gesicht: treu wie Gold, fleißig wie eine Biene und stark wie die uralten Eichen im Parke.

„Mord?“ flüsterte das junge Mädchen zitternd …

„Vielleicht …“ Er verbeugte sich steif vor der jetzigen Gutsherrin … „Darf ich das Nötige veranlassen, gnädiges Fräulein?“

„Ja …“ Und wieder schaute sie in das Antlitz des Toten, das noch den grauenvoll-entsetzten Ausdruck nur zu deutlich bewahrt hatte … –

Anderthalb Stunden später waren die Herren vom Gericht im Auto eingetroffen: der Amtsrichter, ein Protokollführer, der Kreisarzt und der Kriminalkommissar Dalber …

Die Kommission wurde von dem Oberinspektor zur Grotte geführt …

Friedlich lag der Weiher im Sonnenlicht da … Libellen schwebten über das bläulich schimmernde Wasser … Langgeschwänzte Bachstelzen liefen über die bemoosten Ufersteine hin …

Der Kreisarzt stellte Herzschlag fest. Betonte aber, daß der Tote vorher fraglos im Weiher gewesen und reichlich Wasser geschluckt habe.

Kommissar Dalber schnüffelte überall umher … In der Grotte fand er vor der Steinbank Reste von Zigarrenasche, die man offenbar mit einem Tuche auseinandergestäubt hatte. Auch Zigarettenasche entdeckte er …

Erklärte darauf den anderen Herren:

„Warnke ist zweifellos hier in der Grotte mit jemandem zusammengewesen. Er selbst raucht nur Zigarren, wie der Oberinspektor mir zu sagen wußte. Also hat der andere Zigaretten geraucht. Wer war dieser andere? Wer raucht hier Zigaretten?“

Der Oberinspektor fühlte den fragenden Blick …

Er zögerte mit der Antwort … Diese Antwort mußte ja einen ganz bestimmten Verdacht einleiten …

„Wer raucht hier Zigaretten?“ fragte der Kommissar nochmals. Und dieser Dalber war kein Dummkopf. Der kannte das Land rings um Swinemünde genau und auch alle Eigentümlichkeiten der Bewohner …

Der Oberinspektor erwiderte nun:

„Als leidenschaftlichen Zigarettenraucher könnte ich nur den Grafen Egon Blanden nennen …“

Die Herren horchten auf …

Dalber meinte kühl:

„Das Verhältnis zwischen dem Vorbesitzer von Weiherstein und Herrn Warnke war nicht das beste …“

„Oh – das ist wohl … zu kräftig ausgedrückt,“ erklärte der alte Oberinspektor mit Nachdruck. „Der Graf ist ein Sonderling …Er liebt niemand, wird auch von niemandem geliebt … Nur seine Hunde sind sein alles …“

Dalber lächelte unmerklich …

„Haß blüht auch im Verborgenen … Warnke kaufte das Gut zur Inflationszeit … Viel bekam der Graf überhaupt nicht mehr ausbezahlt …“

„Bitte, Herr Warnke hat in anständigster Weise aufgewertet …,“ sagte der Oberinspektor feierlich. „Und – freiwillig, meine Herren … Zwanzigtausend Mark – ich denke, das ist heute ein Vermögen …!“

„Trotzdem …“ – und Dalber wandte sich an den Amtsrichter, „trotzdem müßte man den Grafen vernehmen … Es waren zwei hier in der Grotte … Das bleibt bestehen …“

So mußte denn der Oberinspektor dem Amtsrichter, dem Protokollführer und dem Kommissar den Weg nach dem ehemaligen Kavalierhause zeigen.

Der Kreisarzt blieb bei dem Toten zurück.

Der Weg war ein schmaler Pfad durch den ausgedehnten Park und endete vor der Bretterpforte einer sehr hohen, dichten Buchenhecke, die das ganze Kavalierhaus samt Garten umgab …

Ein verrosteter Glockengriff hing neben der Pforte am morschen Holzpfeiler.

Erst nach wiederholtem Läuten schlugen drinnen Hunde an. Dann eine harte, metallische Stimme:

„Zum Teufel, wer ist denn dort?!“

„Oberinspektor Matz mit ein paar Herren vom Gericht …“

Die Hunde tobten jetzt …

Der Graf brüllte:

„Einen Augenblick … Muß meine Bestien erst einsperren …“

Er pfiff den Hunden …

Alles wurde still …

Kommissar Dalber machte ein unzufriedenes Gesicht.

„Nun kann er weiß Gott was beiseite schaffen, Herr Amtsrichter …“

Matz zuckte ärgerlich die Achseln … „Dieser Verdacht ist lächerlich!“ entfuhr es ihm …

Dalber schaute ihn scharf an. „Sie waren schon unter dem Grafen auf dem Gute tätig, Herr Oberinspektor …“

„Allerdings, Herr Kommissar … Und gerade deshalb kann ich meinen früheren Herrn wohl besser beurteilen als Sie dazu imstande sind …“

Dalber blieb ruhig, meinte nur:

„Das Einsperren der Hunde dauert recht lange …“

„Vier Minuten bisher,“ sagte der Amtsrichter …

Aber – es wurden noch vier Minuten …

Da erst wurde der Riegel der Holzpforte zurückgeschoben …

In der Pforte stand ein hagerer Herr mit bartlosem, gebräuntem Gesicht in einem grauen Sportanzug … Im rechten Auge ein randloses Monokel …

Ein Gesicht mit tiefen, bitteren Kerben um den Mund, mit Falten auf der hohen Stirn, über der ein blonder straffer Scheitel nach hinten lief …

Und Augen in diesem Gesicht, die etwa denen des Oberinspektors glichen … Nur noch hochmütig-ablehnend …

Der Graf nannte seinen Namen, ohne auch nur den Kopf zu neigen …

„Graf Blanden … – Die Herren wünschen?“

Der Amtsrichter erwiderte sehr dienstlich:

„Ich habe einige Fragen an Sie zu richten … – Amtsrichter Göbel … Hier Herr Kriminalkommissar Dalber und Herr Aktuar Siebel …“

Blanden nickte … „Fragen Sie, Herr Amtsrichter … Worum handelt es sich?“

„Um Herrn August Warnkes unaufgeklärten Tod.“

Der Graf zuckte mit keiner Miene …

„So – Herr Warnke ist tot?“ Und dabei schaute er den Oberinspektor an …

„Heute früh tot aufge…“

Da fuhr Dalber grob dazwischen …

„Herr Oberinspektor, wir danken Ihnen … Sie sollten uns nur den Weg zeigen … Sie sind hier nicht mehr nötig …“

Matz grüßte mit einem geradezu grimmen Lächeln, machte dem Grafen noch eine besondere Verbeugung und ging davon.

Egon Blanden wandte sich aufs neue an den Amtsrichter … Der hochmütige Zug in seinem Gesicht hatte sich noch verstärkt …

„Bitte, was haben Sie zu fragen?“

Göbel wurde rot vor Ärger …

„Man fertigt eine Gerichtskommission nicht an der Zaunpforte ab, Herr Graf …!!“

„Ich wüßte nicht, was mich Herrn Warnkes Tod angeht … Aber – wie Sie befehlen … Treten Sie ein …“

Der Garten war eine Wildnis. Von dem Hause sah man erst etwas, wenn man dicht davor stand … Und dieses Haus war wie ein kleines verwunschenes Schlößchen …

Mit Türmen und Erkern, mit einer Terrasse, mit dicken Efeustauden an den Mauern, mit bunten Fenstern, mit einer mit Messingnägeln reich verzierten eichenen Empfangstür …

Der Graf führte die drei Beamten in sein Arbeitszimmer …

Alte Möbel hier … Ahnenbilder … Waffen … kostbare Teppiche … gedämpftes Licht …

Man nahm Platz … Die drei Herren auf antiken Lederstühlen, der Graf im reichgeschnitzten Lehnsessel.

Er war jetzt durchaus Weltmann … Höflich, abwartend, – alles mit einer feinen Nuance von hochmütiger Überlegenheit …

Göbel gab dem Kommissar einen Wink …

Und Dalber begann …

„Wo waren Sie in der verflossenen Nacht, Herr Graf …?“

„Teils im Bett, teils draußen im Garten …“

„Sie waren also nicht in der Grotte am blauen Weiher?“

„Nein …“

„Sie rauchen Zigaretten?“

„Ja …“

„Welche Marke?“

„Selbstgestopfte …“

Dalber erhob sich und holte vom Schreibtisch einen Aschbecher, sah sich die Zigarettenasche an …

Sie war entschieden dunkler und anders gekörnt als die in der Grotte …

Dalber fühlte sich plötzlich unsicher. Er hatte sich zuviel von der Zigarettenasche versprochen …

Meinte wieder:

„Haben Sie gestern spät abends Herrn Warnke im Parke getroffen, Herr Graf?“

„Ich betrete den Park nie. Mein Besitz hier hat noch einen zweiten Ausgang nach Norden, Herr Kriminalkommissar … Im übrigen kann ich den Herren nur versichern, daß ich von Herrn Warnkes Tod keine Ahnung hatte …“

Dalber blieb hartnäckig …

„Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet, Herr Graf … Ich wollte wissen, ob Sie gestern abend oder gestern nacht Warnke begegnet sind …“

Egon Blandens Gesicht wurde noch finsterer …

„Ich sagte schon, daß ich den Park nicht betrete … Also kann ich Warnke auch nicht begegnet sein …“

„Hm – vielleicht dann außerhalb des Parkes, Herr Graf?“

Blanden schaute den Kommissar mit unverhohlenem Spott an …

„Nein – auch nicht außerhalb des Parkes, auch nicht etwa hier in meinem Garten … – Genügt Ihnen das nun endlich?“

Dalber fühlte instinktiv daß der Graf log – log oder Ausflüchte machte.

Und meinte:

„Sie haben gestern nacht Ihr Grundstück nicht verlassen?“

Blanden nickte kühl …

„Das habe ich …“

„Und wann?“

„Um Mitternacht …“

„Und wohin gingen Sie?“

Pause …

Dann: „Darauf verweigere ich die Antwort, weil dies meine rein persönliche Angelegenheit ist … Ich hätte ja lügen können, Herr Kriminalkommissar … Aber ein Blanden lügt eben nicht.“

Dalber fand diese letzten Äußerungen sehr überflüssig … Er triumphierte … Er hatte den Grafen jetzt da, wo er ihn haben wollte …

Er sagte fast streng: „Persönliche Angelegenheiten sprechen bei einer gerichtlichen Untersuchung nicht mit, Herr Graf … Sie sind zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet. – Wohin gingen Sie also?“

Egon Blanden hatte offenbar für eine derartige Auffassung kein Verständnis …

„Ich wiederhole: das ist meine Sache! Und dabei bleibe ich, Herr Kriminalkommissar. Ich bin an dem Tode Warnkes genau so schuldlos wie Sie … Damit erledigen sich wohl weitere Fragen …“ Und das letzte unterstrich er durch eine sehr energische Handbewegung, stand auf und wandte sich an den Amtsrichter …

„Hätten Sie noch etwas zu … erörtern, Herr Amtsrichter?“

Göbel war ein Mann, der genau wie Dalber nur eine Richtlinie kannte: die Pflicht!

Und daß ihm hier durch das fast anmaßende Benehmen des Grafen diese Pflicht so sehr erschwert wurde, reizte ihn zu einer unhöflichen Antwort …

„Von … Erörtern kann hier keine Rede sein! Nur von unserem Recht, Sie zu befragen, und von Ihrer Pflicht, zu antworten … – Wo waren Sie also um Mitternacht?“

Ein Zucken lief um Blandens Mund …

Er hatte die Arme auf die geschnitzte Rückenlehne des Sessels gestützt … Seine ganze Haltung war nachlässig und gerade deshalb von einer offensichtlichen Geringschätzung gegenüber den drei Beamten …

Er schwieg … Seine Augen hingen an einem der Ahnenbilder an der Wand …

Dieses Ölgemälde war das der Gräfin Sybille Blanden, die den Tod im Weiher gefunden …

Die Gräfin trug auf dem Bilde ein kostbares Brokatkleid und auf dem dunkelbraunen Haar eine kleine Krone.

Blanden schien in den Anblick des Gemäldes so vertieft, daß er weder Göbels nochmalige Frage noch den ärgerlichen Ausruf Dalbers vernahm … Wenigstens verharrte er in derselben Stellung und blickte erst dann den Amtsrichter an, als dieser jetzt überlaut rief:

„Von einer Verhaftung will ich vorläufig absehen, wenn Sie mir Ihr Wort geben, Ihr Grundstück hier nicht zu verlassen …“

Blanden nickte …

„Ich verlasse meinen Garten ohnedies sehr selten, Herr Amtsrichter … Die Welt da draußen ist für mich abgetan … – Darf ich die Herren also zur Pforte begleiten?“

Das war nichts anderes als ein besserer … Hinauswurf …

Der Amtsrichter nahm diese Grobheit humoristisch, denn ihm fiel ein, daß Blanden nun mal als Sonderling galt …

An der Pforte neigte Blanden zum Abschied kaum den Kopf …

Dann schlug er die Tür knallend zu …

„Flegel!!“ murmelte der Kommissar …

Der Amtsrichter meinte: „Wohl kaum, Dalber … Nur ein mit sich und der ganzen Welt Zerfallener! Das ist’s! Und deshalb muß man ihm vieles nachsehen … Außerdem – Sie wissen wohl! – Kopfschuß im Kriege … Daß er am Leben blieb, soll geradezu ein Wunder sein … Und nach dem Kriege sein unsinniges Geldvergeuden … Monte Carlo – – wie ein Verrückter soll er gespielt haben …! Ob er voll zurechnungsfähig – viele hier in der Gegend zweifeln daran …“

„Ich nicht!“ erklärte Dalber sehr bestimmt. „Ich habe ihn heute genau beobachtet … Der Mann mag eher ein geheimes Leid mit sich herumschleppen … Ein Leid, das jeden tiefer Veranlagten halb um den Verstand bringt … So schätze ich ihn ein. Immerhin – sein Benehmen war flegelhaft – arrogant, und – – von dem Tode August Warnkes weiß er mehr als wir vielleicht argwöhnen …“

Der Amtsrichter schwieg …

So kamen die drei Beamten denn zur Grotte zurück, wo der Kreisarzt in Gesellschaft des Oberinspektors den Toten bewacht hatte.

Man beriet …

Das Ergebnis war, daß die Leiche vorläufig im Gutshause verbleiben sollte …

„Bis morgen hoffe ich die Sache schon weiter gefördert zu haben,“ erklärte Dalber. „Ich halte an meiner Ansicht fest, daß Warnke hier in der Grotte mit jemandem zusammen gewesen ist und daß dieser Jemand ihn dann in den Weiher geworfen hat, den Toten wieder herauszog, die Zigarren- und Zigarettenasche in der Grotte zu verwischen suchte und auch sonst alles beseitigte, was ihn verraten konnte …“

So sprach Dalber …

Und – zur Hälfte trafen seine Vermutungen ja auch zu …

Es waren wirklich zwei Personen in der Grotte gewesen: Harst und Schraut!

Und es hatte einer von beiden den Toten an Land gebracht: Harst!

Im übrigen aber befand sich der Kommissar arg auf dem Holzwege …

Wenn er geahnt hätte, daß im Dorfkruge von Weiherstein zwei Männer wohnten, deren Namen in der ganzen Welt einen besonderen Klang hatten, dann würde er ohne Zweifel schleunigst die Hilfe dieser beiden in Anspruch genommen haben …

Er ahnte nichts …

Und so versuchte er denn auf eigene Faust, das Rätsel dieses Todesfalles zu entschleiern … Glaubte, daß er diese Schleier mit geschickten Händen zerreißen könnte … Glaubte an seine Gewandtheit und Energie, ohne dabei sich selbst zu überschätzen … War ein Mensch von Pflichtgefühl und Willensstärke … Konnte nicht voraussehen, daß mit diesen Eigenschaften allein diesem Geheimnis nicht beizukommen war, an dem selbst die überragende Intelligenz eines Harald Harst fast zu scheitern drohte.

Dalber blieb auf dem Gute und wurde von Oberinspektor Matz im sogenannten Inspektorhause untergebracht, das gleichfalls mindestens seine hundertfünfzig Jahre auf dem Buckel hatte.

 

3. Kapitel.

Margot verrät sich …

Margot Warnke befand sich im Arbeitszimmer ihres Vaters, als die Herren der Gerichtskommission sich von ihr verabschiedeten.

Die aschblonde junge Gutsherrin, jetzt alleinige Besitzerin von Weiherstein, hörte aus einigen Bemerkungen des Amtsrichters sehr wohl heraus, daß man gegen den Grafen Egon einen unbestimmten Verdacht geschöpft habe.

Was in ihr vorging, als nachher der treue Oberinspektor ihr mit tiefer Empörung Einzelheiten über diesen Argwohn berichtete, konnte niemand ahnen.

Margot hatte sich vortrefflich in der Gewalt …

Sie war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt und hatte mit eisernem Fleiß die Lücken ihrer Bildung ausgefüllt, nachdem ihr Vater zu Reichtum gelangt war und dann diesen alten Grundbesitz erworben hatte. Sie war eine jener seltenen Naturen, die sich spielend leicht veränderten Verhältnissen anzupassen vermögen und die durch nichts die Schlichtheit ihres Wesens verlieren. Der Reichtum hatte lediglich in ihr das Bewußtsein hervorgerufen, nunmehr diesem Wandel der Dinge Rechnung tragen zu müssen und all das abzustreifen, was ihr von früher her an Unzulänglichkeiten anhaftete.

Während der Vater damals über den Ankauf des überschuldeten Rittergutes verhandelt hatte und auch später nach der Übersiedlung hier nach Weiherstein hatte Margot nur zweimal Gelegenheit gehabt, mit Egon Blanden ein paar Worte zu wechseln. Seine ablehnende Kälte, sein deutlich zur Schau getragener Hochmut hatten bei ihr jedoch keinerlei Abneigung gegen diesen äußerlich schon so aristokratisch wirkenden Mann hervorgerufen, nein, weit mehr ein Gefühl der Teilnahme. Sie begriff vollkommen, was es für ihn bedeuten mußte, das Erbe seiner Väter preiszugeben und sie ahnte auch dunkel, daß seine Verschwendungssucht, sein Spielerdasein und seine sonstigen Eigentümlichkeiten fraglos tiefere Ursachen haben müßten …

In den letzten beiden Jahren hatte sie den Grafen stets nur von ferne zu Gesicht bekommen und auch dies nur sehr selten. Er wieder hatte es zumeist vermieden, sie zu grüßen, ohne jedoch direkt unhöflich zu sein.

Es war weiter kein Wunder, daß das junge Mädchen für den weltscheuen Sonderling, der dort am Nordende des Parkes hauste, ein Interesse empfand, das, ihr selbst unbewußt, allmählich weit über die Grenzen von Teilnahme und Neugier hinausging. Hatte doch Oberinspektor Matz, übrigens der einzige, mit dem Blanden noch verkehrte, oft genug seinen früheren Herrn über alle Maßen gelobt und erklärt, daß dessen wildes, ungezügeltes Treiben nach dem Kriege ihm geradezu unbegreiflich sei. –

Auch jetzt, wo Matz die Herren der Gerichtskommission und besonders den Kommissar mit wenig schmeichelhaften Ausdrücken belegte und meinte, es sei ein Wahnwitz, den Grafen zu diesem jähen Ende August Warnkes irgendwie in Beziehung zu bringen, sagte sie mit der ihr eigenen Offenheit, Matz möge dem Grafen mitteilen, daß auch sie diesen Verdacht für vollkommen verfehlt hielte.

Matz freute sich hierüber …

„Gnädiges Fräulein, das wird meinem früheren Herrn eine große Genugtuung sein, denn … auf Sie hält er große Stücke …“

Margot errötete leicht …

„Wie sollte er das?! Er kennt mich ja kaum …!“

„Oh – er kennt Sie sehr gut – durch mich, gnädiges Fräulein … Sie hätten es doch wahrlich nicht nötig gehabt, sich um die Molkerei und um die Geflügelzucht zu kümmern … Sie haben sich unter meiner Anleitung viel schneller in den Gutsbetrieb hineingefunden als Ihr Herr Vater … Ich mußte Sie loben … Und …“

Margot war rasch ans Fenster getreten und drehte Matz den Rücken zu …

Unterbrach ihn:

„Herr Dalber wird mit Ihnen die Mahlzeiten einnehmen … Ich bin nicht in der Stimmung, mit einem Fremden zusammen zu speisen …“

Und nach kurzer Pause:

„Mein Vater erhielt in den letzten Tagen zwei Depeschen, über deren Inhalt er nicht einmal mit mir gesprochen hat … Vorhin fand ich die Depeschen dort in seinem Schreibtisch, und aus den Telegrammen geht hervor, daß er sich aus irgendeinem Grunde an den Berliner Detektiv Harst gewandt hat …“

Sie drehte sich um und blickte Matz fragend an …

„Wissen Sie etwas hierüber …?“

„Nichts, gnädiges Fräulein …“

„Sie sind genau so erstaunt wie ich … – Mein Vater muß hier also zweifellos etwas erlebt haben, das ihn veranlaßte, an Harst zu schreiben … Man müßte sich vielleicht an Harst wenden und einmal anfragen, weshalb mein Vater dessen Hilfe in Anspruch nehmen wollte … Die letzte Depesche besagte, daß der Detektiv den Auftrag ablehne, da er zu stark beschäftigt sei. Versuchen Sie doch einmal, vielleicht Harst telephonisch zu erreichen. Im übrigen bleibt dies jedoch ganz unter uns, Herr Oberinspektor …“

„Gewiß, gnädiges Fräulein …“

Matz war sichtlich zerstreut …

Denn ihm waren die beiden Berliner Angler eingefallen, die im Dorfwirtshause wohnten …

Er … traute dem Frieden nicht recht … Ob die beiden wirklich pensionierte Beamte waren?! Denn: Harst arbeitete ja nie allein. Das konnte man so und so oft in den Zeitungen lesen … Stets hatte er seinen Freund Schraut bei sich … stets!! Und – hier waren nun ausgerechnet jetzt zwei Angler aufgetaucht?! Merkwürdig – sehr merkwürdig! –

Nachdem der Oberinspektor seine Herrin verlassen hatte, schritt er daher ziemlich eilig dem nahen Dorfe zu …

Als er den Dorfkrug betrat, saß dort Kommissar Dalber im Gespräch mit dem Wirte …

Matz stutzte …

Ob Dalber etwa ebenfalls der Angler wegen hierher gegangen war?!

Er begrüßte ihn kühl, setzte sich zu ihm und hörte scheinbar ohne Interesse zu, wie der Wirt dem Kommissar weiter Auskunft über die Herren Horten und Schrack gab …

Dalber meinte zwischenein:

„Ich erfuhr von dem Gutsrendanten[4], daß hier zwei Berliner wohnen, Herr Oberinspektor … Man muß eben seine Fühler nach allen Seiten ausstrecken …“

„Die Berliner sind vollständig harmlos,“ betonte der Wirt nochmals. „Den Tag über angeln sie, gehen früh ins Bett und kümmern sich um nichts anderes …“

Dalber lächelte …

„Trotzdem dürfte es sich empfehlen, ihnen so etwas näher auf die Finger zu schauen … Man kann nie wissen … Herr Warnke kann Feinde gehabt haben … von früher her …“

Der Wirt zuckte die Achseln …

„Entschuldigen Sie schon, Herr Kriminalkommissar … Aber unsereiner ist doch auch so ein wenig Menschenkenner … Die Berliner würden keiner Fliege was zuleide tun … Außerdem sind sie auch gestern abend wie immer um zehn ins Bett gegangen …“

„Und … können durch das Fenster wieder hinausgestiegen sein,“ trumpfte Dalber auf. „Sie sagten ja, daß sie im Seitenflügel wohnten! Könnte ich mir nicht einmal das Zimmer ansehen?“

„Bitte …“

Matz schloß sich den beiden an …

Das Zimmer war unverschlossen. Dalber fand nichts Verdächtiges, auch keine Spuren unter den Fenstern …

Der Oberinspektor aber wußte nun Bescheid … Schon die Namen Horten und Schrack hatten ihm genug gesagt: Horten – Harst, Schrack – Schraut! Kein Zweifel, – es waren die Detektive!

Nachdem Dalber mit der Besichtigung des Zimmers fertig war, wandten er und Matz sich wieder den Gutsgebäuden zu. Unterwegs kam der Kommissar auf den Grafen zu sprechen …

Der Oberinspektor wäre vielleicht unter anderen Umständen ungemütlich geworden. So aber glaubte er nun, sehr bald zwei Verbündete gewinnen zu können, die des Grafen Schuldlosigkeit schon beweisen würden.

So stand er denn dem neugierigen Kommissar ohne jede Erregung Rede und Antwort …

Dalber konnte mit diesen Auskünften jedoch kaum etwas anfangen … Matz sang seinem früheren Herrn nur wieder ein kräftiges Loblied und meinte, der Herr Kommissar solle doch ja nicht über dieser unbedingt falschen Spur vielleicht die richtige vernachlässigen …

Nach dem Mittagessen bestieg Matz ein Reitpferd und trabte in die Felder hinaus, änderte jedoch sehr bald die Richtung und näherte sich dem Haff … Er wollte die Angler aufsuchen, fand sie auch …

Auf einem schräg über das Wasser hinwegragenden Weidenstamm saßen sie mit ihren Angeln im prallen Sonnenschein und verzehrten gerade die mitgebrachten belegten Schnitten …

Matz band seinen kräftigen Fuchs an eine Kiefer und näherte sich dem Ufer …

Er machte keine langen Redensarten, sondern rief den Anglern zu:

„Herr Harst, dürfte ich Sie ein paar Minuten sprechen … Ich bin der Oberinspektor von Weiherstein …“

Die beiden Berliner schauten ihn an … Und Harst erwiderte gemütlich:

„Von uns zwei beiden heißt keiner Harst, Herr Oberinspektor …“

„Vielleicht hier nicht, Herr Harst … Das gnädige Fräulein, die jetzige Gutsherrin, denn Herr Warnke ist tot, hat die beiden Depeschen aus Berlin gefunden und da habe ich mir dann leicht zusammengereimt, daß vielleicht Horten und Schrack doch hier eingetroffen sind … nämlich Harst und Schraut … Und jetzt, wo ich Sie beide sehe, wird mir dies zur Gewißheit, denn Harst ist einen Kopf größer als sein Freund, der zumeist eine Brille oder einen Kneifer trägt … – Mir können die Herren schon vertrauen …“

Und – siehe da! – Die beiden flüsterten kurz miteinander, packten dann ihre Angelgeräte zusammen und kamen ans Ufer …

„Diskretion Ehrensache, Herr Oberinspektor …,“ sagte Harst ernst. „Setzen wir uns dort in den Schatten der Buche …“

Matz saß zwischen ihnen …

Meinte nun: „Ist Ihnen schon bekannt gewesen, meine Herren, daß Warnke tot ist?“

„Ja – seit der vergangenen Nacht …,“ erwiderte Harst. „Ich habe Warnke selbst aus dem Weiher gezogen …“

Matz war starr …

Harst fuhr fort: „Wir haben uns bereits über das Gutspersonal genau erkundigt, Herr Oberinspektor … Nur deshalb lassen wir Ihnen gegenüber die Maske fallen … – Hören Sie zu … Sie werden uns dann vielleicht manches erklären können. Sie sind ja lange genug auf Weiherstein tätig …“

Und er begann – mit dem Briefe Warnkes, schilderte die Begegnung mit Warnke im Park und wiederholte Warnkes Angaben über die badende Nixe …

„Er hat geträumt!“ rief Matz da. „Natürlich hat er geträumt!“

„Sie irren, Herr Oberinspektor … Hören Sie weiter …“

Nun erfuhr Matz auch die geheimnisvollen Vorgänge der verflossenen Nacht, das Auftauchen der Schwimmerin im blauen Weiher und dann das Erscheinen des ertrinkenden Warnke auf der Oberfläche des stillen Gewässers …

„Wir haben die Leiche dann liegen lassen,“ schloß Harst seine Mitteilungen. „Wir hätten uns sonst zu erkennen geben müssen, und das wollten wir nicht … Denn Warnkes Tod kann Mord sein – kann … Und dieser Tod ist so sehr von unerklärlichen Begleitumständen umrahmt, daß Schraut und ich hier ein Problem vor uns haben, dessen Eigenart uns zu vorsichtigster und doch intensivster Arbeit zwingt …“

Matz war noch immer wie benommen von alledem.

Schüttelte nur immer von neuem den Kopf und meinte leise:

„Unbegreiflich – – unbegreiflich!!“

„Also auch für Sie unbegreiflich?“ fragte Harst enttäuscht …

„Ja, Herr Harst …“

„Bitte: Horten!! – Und wir hofften, Sie würden uns das Rätsel lösen helfen … Zum Beispiel: Wissen Sie genaueres über den Weiher?“

„Wenig, wenig … Der Weiher ist von einem der Grafen Blanden vor etwa hundertachtzig Jahren künstlich angelegt worden …“

„Ist das alles? Hat der Weiher nicht seine Geheimnisse?“

„Davon ist mir nichts bekannt … Nur soll eine Gräfin Sybille Blanden von ihrem Gatten wegen Untreue im blauen Weiher …“

„Danke … Das erzählte Warnke uns schon … – Etwas anderes, Herr Matz … Ob Graf Egon Blanden vielleicht in seiner Einsiedelei eine … Geliebte verbirgt?“

Matz winkte energisch ab. „Ausgeschlossen, Herr Horten … vollständig ausgeschlossen! Der Graf ist Weiberfeind … Er hat nach dem Kriege … – doch nein, hierüber möchte ich nicht sprechen …“

„Tun Sie es bitte … Ich würde es ja doch von anderer Seite erfahren …“

„Ja – – ja, – außerdem, Herr Horten: man hat den Grafen im Verdacht …“ – und er schilderte kurz die Ereignisse des Vormittags, erwähnte Dalbers Zigarren- und Zigarettenaschenfund und die Folgerungen, die der Kommissar daran geknüpft hatte … „Sie haben also ganz recht, Herr Horten, ich darf nicht schweigen … Graf Egon hatte sich im Kriege mit einer entfernten Verwandten heimlich verlobt. Dann erhielt er den Kopfschuß und lag fast ein Jahr im Lazarett. Als er entlassen wurde, war der Krieg zu Ende und … seine Braut die Gattin eines anderen … Das gab ihm einen harten Stoß … Er wurde fast trübsinnig … Manchmal glaubte ich, daß er … nicht so ganz zurechnungsfähig sei … Dann reiste er nach Italien, blieb zwei Jahre dort, spielte, vergeudete das Geld, das ich immer wieder auf das Gut aufnehmen mußte … Er kehrte erst zurück, als Weiherstein nicht mehr zu halten war … – – Nein Herr Horten, das badende Weib mit dem Krönlein auf dem Haar kann unmöglich etwa im Kavalierhause leben – als Geliebte des Grafen – – unmöglich!“

Harst-Horten rauchte nachdenklich seine Zigarette.

„Ein böser Fall!“ meinte er … „Sie wissen also genau, daß der Graf sich geweigert hat anzugeben, wo er sich um Mitternacht aufhielt?“

„Dalber sagte es mir … Und der Graf darf sein Grundstück auf Ehrenwort auch nicht verlassen, sonst wäre er verhaftet worden …“

Schraut mischte sich ein …

„Herr Matz, es muß doch unbedingt zu dem Weiher von unten her einen Zugang geben … Wie sollte sonst die Frau in dieser Art aufgetaucht und wieder verschwunden sein, wie sollte sonst Warnke aus der Tiefe emporgekommen sein?!“

Matz hob die kräftigen Schultern …

„Zugang?! Wie stellen Sie sich das vor, Herr Schrack?! Im übrigen kann derartiges nicht vorhanden sein, denn Graf Egon hat ja den gemauerten Grund des Weihers wiederholt säubern lassen … Mit eisernen Harken wurden Pflanzenreste und Blätter emporgeholt … Damit – unter uns gesagt – dem Weiher die eigentümliche Farbe erhalten blieb … Der Grund ist nämlich mit hellblauen glasierten Ziegeln ausgemauert.“

„Und wie tief ist der Weiher?“, fragte Harst jetzt eifrig …

„Etwas[5] über zwei Meter, vielleicht zwei und ein Viertel Meter …“

„Das dachte ich mir,“ murmelte Harst … „Und gespeist wird er wohl durch eine Quelle?“ fragte er dann wieder lauter …

„Ja … Die Quelle liegt am Südufer … Außerdem führt eine versteckt angelegte Röhrenleitung vom Westufer nach dem Wassergraben an der Westmauer, so daß der Wasserstand stets der gleiche bleibt …“

Harst sagte nichts mehr …

Grübelte vor sich hin …

Schaute über die weite Fläche des Stettiner Haffs hinweg … Der Ostwind warf das im Sonnenlicht glitzernde Wasser zu kleinen Wellen auf … Ein weißer Dampfer zog in raschem Lauf seine Bahn … Ein Schleppzug quälte sich mühsam vorwärts … Möwen schwebten hin und her, stießen in die Flut hinab und schossen wieder empor, ein Fischlein im Schnabel …

Ein köstlicher Sommerfrieden lag über dem abwechslungsreichen Landschaftsbilde …

Harsts rege Gedanken umspielten die Ereignisse der Nacht, tasteten gleichsam jede Einzelheit ab und suchten nach einem Punkte, der ihm, dem Vielerfahrenen, als Ausgang für weitere Nachforschungen dienen könnte.

Und diese Gedanken kehrten immerfort zu der Frage zurück, die sein Freund Schraut vorhin angeschnitten hatte – zu der Frage, ob der blaue Weiher vielleicht einen unterirdischen Zugang haben könnte.

Gewiß, der Oberinspektor hatte diese Möglichkeit glatt verworfen, weil sie ihm auch technisch völlig unerörterbar erschien …

Harst dachte anders darüber.

Wenn jener Ahne des Grafen Egon Blanden den Grund des künstlichen Weihers mit hellblauen Kacheln hatte auslegen lassen, um dem Wasser eine besondere Färbung zu geben, so war diesem Schöpfer des anmutigen Gewässers wohl auch zuzutrauen, daß er seinen Sinn für romantische Schönheiten auch noch in anderer Weise betätigt hatte … –

So verstrich dann eine geraume Weile, bis der berühmte Detektiv sich wieder an den hünenhaften Oberinspektor wandte und fragte:

„Haben Sie je gehört, daß vielleicht zwischen dem sogenannten Kavalierhause und dem Gutshause ein geheimer Weg bestand? – Beide Gebäude sind gleich alt! Und als sie erbaut wurden, waren’s für Deutschland recht unruhige Zeiten, in denen die Adligen, die Großgrundbesitzer es liebten, ihre Schlösser und Gutshäuser mit versteckten Ausgängen zu versehen …“

Matz verneinte …

„Von einem solchen Verbindungsweg, der doch nur unterirdisch angelegt sein könnte, habe ich nie etwas gehört … Als Warnke auf Weiherstein seinen Einzig hielt, wurden die ganzen Räume des Gutshauses gründlich renoviert. Die Handwerker aus Swinemünde hätten ohne Zweifel Geheimtüren oder dergleichen gefunden.“

Und nach kurzer Pause:

„Sie werden also mit Ihrem Freunde die Angelegenheit aufklären, Herr Horten … Darf ich Fräulein Margot ins Vertrauen ziehen?“

„Wenn sie zu schweigen weiß – ja! – Überlassen Sie im übrigen alles Weitere uns, Herr Oberinspektor. Schraut und ich haben unsere besonderen Methoden, die zumeist zum Ziele führen … Auf keinen Fall aber darf Graf Blanden oder der Kommissar Dalber erfahren, wer wir in Wirklichkeit sind … Das beachten Sie unbedingt …“

„Soll geschehen, Herr Horten …– Ich will dann nicht weiter stören … Mir ist jetzt leichter ums Herz … Hoffentlich gelingt es Ihnen recht bald, Licht in diese dunkle …“

Er schwieg plötzlich …

Das Geräusch eines brechenden trockenen Astes hatte ihn veranlaßt, rasch den Kopf zu wenden …

Links von der Buche, unter der die drei saßen, war Margot Warnke auf ihrer braunen Stute „Astarte“ aufgetaucht, näherte sich jetzt und zügelte ihr tänzelndes Pferd dicht vor die Herren, die sich bereits erhoben hatten …

Margots große klare Augen überflogen prüfend die Gesichter der beiden Angler. Dann nickte sie dem Oberinspektor zu und sprang leichtfüßig aus dem Herrensattel …

Das schwarze Reitkleid mit dem geteilten Rock, der nur die Kniehosen und die Lackstiefel bis unter die Wade bedeckte, ließ sie noch schlanker erscheinen, hob aber das Ebenmaß ihrer Gestalt auch auf das vorteilhafteste hervor …

Matz stellte ihr die beiden Berliner vor … Sie reichte den berühmten Detektiven die Hand und meinte in ihrer ganz unbewußt vornehmen Art:

„Die Angler aus Berlin, und die Depeschen, die ich im Schreibtisch fand, waren unschwer zueinander in Beziehung zu bringen … Deshalb kam ich hierher … Ich habe mich also nicht getäuscht …“

Harst und Schraut sprachen der neuen Gutsherrin nun zunächst ihr Beileid aus. Der Oberinspektor verabschiedete sich, da er noch auf den Feldern zu tun hatte, und die Detektive und Margot ließen sich nun zu kurzer Unterredung wieder unter der Buche nieder.

Margot vernahm jetzt gleichfalls von den Vorgängen der verflossenen Nacht und von dem Briefe ihres Vaters …

Im Gegensatz zu dem Oberinspektor zeigte sie sich jedoch keineswegs überrascht, was die dunkelhaarige Schwimmerin im blauen Weiher betraf …

„In dieser Hinsicht höre ich hier nichts Neues,“ meinte sie ein wenig verlegen … „Ich habe diese Unbekannte ebenfalls gesehen, dreimal sogar … Die letzten warmen Nächte des Monats Mai hatten mich des öfteren zu später Stunde nach dem Weiher gelockt … Ich habe dort ein Lieblingsplätzchen zwischen den Weiden am Ufer, und ich habe hiervon nie jemandem etwas erzählt, tat vielmehr so, als ob mich der Weiher abstieße. Und dort sah ich die unbekannte Schwimmerin dreimal, – genau so, wie Sie sie beschrieben haben, Herr Harst … Und jedesmal glaubte ich nachher mit aller Bestimmtheit, ich müßte für kurze Zeit eingenickt sein und ein flüchtiger Traum habe mich genarrt … Nur deshalb sprach ich nie mit meinem Vater über diese nächtlichen Erlebnisse … Ich fürchtete, er würde mich auslachen … Wenn ich auch nur im entferntesten geahnt hätte, daß auch mein Vater die Unbekannte gesehen hatte, so würde ich vielleicht dafür gesorgt haben, daß … das Unheil vermieden wurde, – dann würde mein Vater jetzt noch leben …“

Harst horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit auf diese Sätze …

Ihm entging keine noch so geringe Veränderung in der Stimme Margot Warnkes …

Höchst auffällig war es ihm, daß sie dort am blauen Weiher ein Lieblingsplätzchen hatte … daß sie dies stets verschwiegen, also stets heimlich den Weiher besucht hatte …

Er witterte hier geradezu ein Geheimnis, ahnte aber auch, daß dieses junge Weib seine Seele ihm nicht so leicht erschließen würde.

Er war vorsichtig …

Und sprach nun von dem Verdacht gegen den Grafen Egon, von dessen Weigerung, anzugeben, wo er sich um Mitternacht aufgehalten habe …

Ihm, dem vortrefflichen Menschenkenner, konnte ein harmlos-kluges Mädchen wie Margot kaum durch ihre ausweichende Antworten auf diese und jene geschickte Frage Sand in die Augen streuen …

Immer mehr befestigte sich in ihm die Überzeugung, daß ein besonderer Grund Margot zum Weiher gelockt hatte …

Immer klarer wurde es ihm, daß hier ein Herzensgeheimnis mitsprach und daß Egon Blanden derjenige sein mußte, der Margot Warnkes Liebe galt …

Stets neue Fragen stellte er …

Fragen, die unverfänglich schienen und doch Fallstricke waren …

Ein Harst konnte solche Fallen unsichtbar durch Wort und Blick errichten …

Und als die junge Gutsherrin dann nach einer halben Stunde wieder davonritt, sagte er zu Max Schraut:

„Nun, mein Alter, wie denkst du über dieses Lieblingsplätzchen zwischen den Weiden?!“

Schraut-Schrack hatte eine Zigarre in den Fingern, zündete sie an, denn die Mücken begannen zu schwärmen, und erwiderte, Harst listig zuzwinkernd:

„Liebe …!!“

„Stimmt … Der Weiher liegt dem Kavalierhause am nächsten, und vielleicht pflegte Blanden nachts ebenso heimlich den Weiher zu besuchen … Dann mag Margot den Sonderling beobachtet haben … Junge Mädchen kommen auf merkwürdige Einfälle, wenn das Herz mitspricht …“

Schraut qualmte ein paar Züge …

„Liebe und Eifersucht – – nachher Eifersucht, als sie die Schwimmerin gesehen … Mir schien’s, als ob sie die Unbekannte gleichfalls als im Kavalierhause heimisch einschätzte …“

„Mir auch … Und – mag der Oberinspektor noch so sehr den Grafen als Weiberfeind hinstellen: ich traue dem Frieden nicht recht! Ich glaube vielmehr, Egon Blanden lebt dort in seiner Einsiedelei nicht allein … Es wird nur sehr schwer halten, einmal dort einzudringen … Die Hunde sollen sehr scharf sein, wie der Krugwirt betonte … Und Blanden läßt nur am Vormittag für drei Stunden seine Aufwärterin in das Haus hinein … Man könnte diese Aufwärterin vielleicht aushorchen … Sie wohnt ja im Dorfe, ist die Frau des Stellmachers …“

„Womit wenig gewonnen wäre,“ sagte Schraut achselzuckend. „Ich bleibe dabei, Harald: der blaue Weiher hat einen geheimen Zugang, und vielleicht führt ein Weg unterirdisch bis zum Kavalierhaus …“

„Ja – vielleicht … Deshalb fragte ich ja auch Matz vorsichtig aus … – Nun, die kommende Nacht wird uns wohl klüger machen, mein Alter …“

Er erhob sich …

Sie nahmen ihre Plätze auf dem dicken Weidenstamm wieder ein …

Noch war’s zu früh nach dem Dorfe zurückzukehren.

 

4. Kapitel.

Die Angler.

Kommissar Dalber hatte sich gegen vier Uhr nachmittags nach dem blauen Weiher begeben, und hier die Grotte nochmals ganz gründlich untersucht, hatte zwischen den Steinen des Bodens einen in eine Spalte hineingerutschten Zigarettenstummel entdeckt und sich diesen sehr genau angesehen …

Es war eine Zigarette mit Korkmundstück, und von dem Firmenaufdruck hatte er nach vieler Mühe noch einiges entziffern können.

Im übrigen hatte er durch den Geruch festgestellt, daß der Stummel hier noch nicht lange gelegen haben konnte …

Mit diesem sorgfältig in seiner Brieftasche verwahrten Stummel begab er sich nun nach dem Kavalierhause, läutete an der Holzpforte und … läutete umsonst …

Zehn Minuten lang riß er in kurzen Zwischenräumen an dem Glockenzug …

Nicht einmal die Hunde meldeten sich …

Hatte etwa Blanden sein Grundstück trotz des geleisteten Versprechens verlassen? War der Graf womöglich geflüchtet?!

Dalber überlegte …

Läutete nochmals …

Dann nahm er seine Dienstpistole aus der Schlüsseltasche der Beinkleider und steckte sie in die Jackentasche.

Kletterte über die Pforte und stand nun in dieser Wildnis von Garten …

Ganz wohl war ihm nicht zumute. Die Hunde konnten ihm übel mitspielen …

Aber Dalber war alles andere nur kein Feigling …

War ein Mann, der schon häufig bewiesen, daß mit ihm nicht zu spaßen.

Es war sein gutes Recht, hier einzudringen, und wenn der Graf etwa wirklich entflohen sein sollte, würde es jetzt noch nicht zu spät sein, ihn wieder zu erwischen. –

Dalber schritt langsam den Weg entlang, – kaum noch Weg zu nennen …

Plötzlich horchte er auf …

Er vernahm Hundegebell …

Aber es klang, als käme es aus den Tiefen der Erde …

Dann war wieder alles still …

Der Kommissar schaute sich um …

Ob sich etwa die Keller des Kavalierhauses bis hierher hinzogen? Ob der Graf mit den Hunden in den Kellerräumen war?! Und – ob hier im Gestrüpp vielleicht ein Luftschacht endete, durch den das Bellen der Rüden sich bis hier an die Oberwelt fortgepflanzt hatte?

Er schaute sich um … Drang links in das Gestrüpp ein …

Wahrhaftig: ein Schacht, halb mit welkem Laub bedeckt … Oben darauf ein verrostetes Gitter – uralt, dicke Stäbe …

Er bückte sich …

Horchte …

Stutzte …

Des Grafen Stimme … Blanden rief nach den Hunden …

Da machte Dalber schleunigst kehrt …

Der Graf war nicht entflohen … Mithin war’s überflüssig, in dieser Weise hier einzudringen …

Kletterte wieder über die Pforte und läutete von neuem …

Noch ein paar Minuten … Dann kamen die Rüden herbeigerast … Dann auch des Grafen Stimme:

„Wer dort?“

„Kriminalkommissar Dalber in dienstlicher Angelegenheit …!“

„Sehr erfreut … Ich sperre nur die Hunde ein …“

Beißende Ironie …

Dalber ballte die Fäuste … Dieser Graf war ihm so unsympathisch … Dieser Mensch glaubte, mit einem Vertreter der Polizei nach seinem Belieben umspringen zu können …! – Oh – das sollte ihm vergehen!

Dann wurde die Pforte geöffnet …

Dalber grüßte kühl …

„Sie waren wohl im Keller, Herr Graf …? Ich läute hier seit einer Viertelstunde …“

Blandens Augen wurden kleiner … Mißtrauen glitzerte in dem forschenden Blick …

„Keller?! Wie kommen Sie darauf?!“ meinte er von oben herab … „Ich habe geschlafen und die Glocke abgeriegelt …“

Dalber trat ein, sagte nichts mehr, dachte sich sein Teil …

Blanden schloß die Pforte und führte den Kommissar wieder in sein Herrenzimmer …

„Bitte – nehmen Sie Platz … Womit kann ich der Behörde dienen?“

„Nur eine Frage, – rauchen Sie auch Säkulum-Zigaretten von der Firma Manoli-Berlin?“

„Säkulum? Kenne ich gar nicht …“

„Dann gestatten Sie wohl, daß ich Ihr Rauchschränkchen dort mir ansehe …“

„Aber bitte – alles steht Ihnen zur Verfügung …“

Die beiden Männer fühlten die gegenseitige Abneigung immer deutlicher.

Dalber durchsuchte das Schränkchen … Er fand keine Säkulum-Zigaretten …

Der Graf stand am Schreibtisch und kramte in einem Stoß Druckschriften, meinte nun, indem er Dalber eine Offerte der Manoli-Fabrik reichte:

„Hier ist überhaupt keine Zigarette namens Säkulum angegeben, Herr Kriminalkommissar … Aber dort unten steht gedruckt:

Unsere Fabrik liefert unter anderem auch für den berühmten Privatdetektiv Harald Harst eine Spezialmarke namens Mirakulum.

Vielleicht verwechseln Sie Säkulum und Mirakulum, Herr Kriminalkommissar … Säkulum heißt Jahrhundert, Mirakulum heißt Wunder … Und – ich wundere mich, wie Sie auf Säkulum kommen …“

Dalber zog seine Brieftasche hervor … Nahm den Stummel heraus, trat ans Fenster …

Der Firmenaufdruck war halb verkohlt, und vom Namen der Zigarette nur noch „… kulum …“ zu lesen. Das hatte den Kommissar auf Säkulum gebracht.

Und – das war ein Irrtum gewesen!!

Blanden stand dicht neben Dalber …

„Wo haben Sie den Stummel her?“ fragte er kurz … „Etwa in der Grotte gefunden? – Das interessiert mich nur Harsts wegen … Vielleicht ist diese Berühmtheit in der Nähe … Denn Mirakulum sind im Handel wohl kaum erhältlich, Herr Kriminalkommissar …“

„Allerdings nicht …,“ sagte Dalber ganz geistesabwesend … „Allerdings nicht …“ – Seine Gedanken waren im Dorfkruge … bei den beiden Anglern …

„Sie sind ja mit einem Male so zerstreut, Herr Kriminalkommissar …,“ meinte Blanden mit derselben unmerklichen Ironie … „Ist Ihnen die Mirakulum so sehr unangenehm – – oder deren Vertilger?! Wo also fanden Sie den Zigarettenrest?“

Dalber nahm sich zusammen … Blickte den Grafen scharf an …

„Herr Graf, haben Sie etwa Harald Harst hierher berufen?“

Egon Blanden lachte jetzt harmlos auf … Der bitter-finstere Zug aus seinem Gesicht verschwand …

Mit einer Bewegung, die weder etwas herablassend Vertrauliches noch etwas Nichtachtendes an sich hatte, legte er Dalber die schmale Rechte leicht auf die Schulter …

„Sie haben sich verraten … Sie vermuten Harst hier in der Nähe … – Ich selbst …“ – und er wurde wieder ernst – „habe mit dem berühmten Detektiv keinerlei Verbindung – – tatsächlich nicht, genau so wenig, wie ich an dem Tode Herrn Warnkes schuldig bin, um auch dies nochmals zu wiederholen … – Wenn Harst hier sein sollte – und meine Aufwärterin erzählte mir von zwei Berlinern, die im Dorfkruge wohnen! –, wenn also Harst und Schraut diese Berliner sein könnten, dann … dann entsteht die Frage: Weshalb sind die beiden hierher gekommen, – weshalb maskiert als Gerichtsvollzieher a. D. und Angelnarren?! – Vielleicht klären Sie dies einmal auf, Herr Dalber, und vielleicht könnte Ihnen dann Harst einiges Wichtige mitteilen …“

Er ließ seine Hand wieder von der Schulter des Kommissars herabgleiten und setzte sich in seinen Schreibsessel …

Dalber empfand unklar, daß er dem Grafen eigentlich zu Dank verpflichtet war. Der Irrtum Säkulum-Mirakulum war durch Blanden aufgeklärt worden … Blanden hatte ihm jetzt die Gewißheit verschafft, daß die beiden Angler die Berliner Detektive sein mußten – – mußten!!

Und Dalber tat, was er als anständiger Charakter zu tun verpflichtet war …

Seine Abneigung gegen Blanden war wie weggewischt … Das zwanglose Lachen vorhin hatte ihm den Grafen von einer anderen Seite gezeigt …

Er streckte ihm die Hand hin …

Behielt des Grafen Hand in der seinen …

„Mein Verdacht gegen Sie hatte sich hauptsächlich darauf aufgebaut, daß meiner Überzeugung nach Warnke mit jemandem in der Grotte zusammen gewesen war … Zwei Leute hatten dort auf der Steinbank geraucht … Nun weiß ich, daß es Harst und Schraut gewesen sind … – Ich danke Ihnen, Herr Graf, daß Sie mich auf Harsts Mirakulum aufmerksam gemacht haben … Ich beargwöhne Sie jetzt nicht weiter und werde dem die Untersuchung führenden Amtsrichter nahelegen, daß er Sie von Ihrem Versprechen, Ihr Grundstück nicht zu verlassen, entbindet …“

Die beiden Männer drückten sich die Hand …

Und Blanden meinte dann höflich und mit stark betonter Liebenswürdigkeit:

„Herr Dalber, das wäre ja sehr zuvorkommend von Ihnen – sehr …! Nur vergessen Sie eins nicht: Ich weigere mich nach wie vor anzugeben, wo ich in der verflossenen Nacht gegen zwölf Uhr war …! Übereilen Sie also Ihren Bericht an den Amtsrichter nicht! Vielleicht … habe ich wirklich etwas zu verheimlichen!“

Dalber schaute ihn unsicher an … Er begriff, worauf diese Sätze Blandens hinaus wollten … Blanden hatte – eine seltene Ehrlichkeit! – andeuten wollen, daß er, wenn auch schuldlos an Warnkes Tode, doch über dessen Ende manches wußte …

Dalber schüttelte nun wie mißbilligend den Kopf …

„Herr Graf, wenn Sie nur offen sein wollten …!“ sagte er leise. „Weshalb halten Sie mit der Wahrheit zurück – – weshalb?!“

Blandens Gesicht nahm plötzlich wieder den gewohnt verbitterten, hochmütig-verschlossenen Ausdruck an …

„Ich habe meine Gründe dafür … Wünschen Sie noch etwas, Herr Kriminalkommissar?“

Dalber seufzte und verabschiedete sich … An der Holzpforte sagte er:

„Ich gebe Ihnen Nachricht, sobald ich über die Angler Gewißheit erlangt habe … Das bin ich Ihnen schuldig … Sie haben mir einen wichtigen Dienst geleistet …“

Blanden verneigte sich nur sehr steif … Er war wieder der alte geworden: unzugänglich, verbittert, Menschenfeind …!

Die Pforte schlug zu, und Dalber wanderte eilends auf Umwegen dem Haff zu, wo er die beiden Berliner anzutreffen hoffte. Er wollte sie erst eine Weile beobachten und dann ihnen auf den Kopf zusagen, wer sie seien. Er besaß ja ein sicheres Beweisstück: den Zigarettenstummel!! –

Der arme Dalber hatte Pech …

Wäre er nur fünf Minuten früher ans Haffufer gelangt, so hätte er Margot Warnke und die Berliner noch unter der Buche überraschen können …

So aber erspähte er die beiden lediglich auf dem Weidenstamm und konnte nur feststellen, daß sie tatsächlich von der Angelei etwas verstehen mußten, denn mehr als ein Fischlein holten sie aus dem Haff heraus und zeigten bei diesem Sport einen Eifer, der durchaus ungekünstelt wirkte.

Dalber stand hinter einer Kiefer des nahen Waldstreifens …

Stand dort noch keine drei Minuten, als Harst auch schon seinem Freunde zuflüsterte:

„Nicht hinsehen mein Alter … Besuch Nummer drei ist da … Offenbar Herr Kriminalkommissar Dalber … – Wenn wir ihm Gelegenheit geben, uns anzusprechen, müssen wir ihm als Beamten gegenüber unser Inkognito fallen lassen … Also – erschweren wir ihm das Geschäft!!“

Und sie packten ihre Geräte zusammen, benahmen sich dabei ganz so, als ob sie von hier heimlich verschwinden wollten …

Dalber hatte sich in ein dichtes Erlengestrüpp zurückgezogen und beobachtete weiter …

Er schmunzelte, als er nun Zeuge wurde, wie die beiden ihre Angelgeräte am Ufer unter dem Wurzelwerk einer unterspülten Kiefer verbargen … Folgte ihnen, als sie eine Richtung einschlugen, die sie weder nach dem Dorfe noch dem Gute führte …

Leider – leider hatte er dann abermals Pech …

Im Hochwalde entschwanden sie ihm …

Daß sie lediglich hinter einer Wegbiegung rasch in eine Gruppe von hohen Farnkräutern hineingeschlüpft waren, ihn vorübergelassen hatten und dann umgekehrt waren, ahnte er nicht …

Schleunigst strebten die beiden nun dem Dorfe zu, beglichen ihre Rechnung, packten ihre Handkoffer und erklärten dem Wirt, sie wollten sich näher dem Haff zu bei einem Fischer einmieten, wanderten dann auch in südlicher Richtung davon … –

Dalber kam abermals zu spät. Als er eingesehen hatte, daß die beiden ihn regelrecht genasführt hatten, als er gegen sechs Uhr nachmittags das Gasthaus erreichte, waren die Berliner bereits vor einer halben Stunde auf und davon. Und Dalbers Versuche, sie wieder aufzustöbern, blieben gänzlich erfolglos. Die Berliner waren spurlos … verduftet …

Vielleicht hätte Dalber sie entdeckt, wenn er auf einem Flugzeug von oben her die Gegend hätte absuchen können …

Denn in der Mulde eines Kornfeldes, gar nicht weit von der Parkmauer vom Rittergut Weiherstein entfernt, saßen Harst und Schraut und hatten mit sich selbst übergenug zu tun … Galt es doch, die Gerichtsvollzieher gegen zwei waschechte Landstreicher auszutauschen. – –

Der Abend nahte …

Die Sonne sank … Rote Glut lagerte im Westen … Die rosige Röte des Sonnenuntergangs überstrahlte den Himmel, die ganze Landschaft …

Die Dämmerung kam …

Und als die Schatten der Nacht sich unter den uralten Bäumen des Parkes ausbreiteten, schlüpften zwei abgerissene Stromer, jeder ein schäbiges Bündel auf dem Rücken, durch den stillen Park zum blauen Weiher – in die Grotte hinein …

Kurz nach zehn Uhr war’s jetzt …

Die Stromer setzten sich auf die Steinbank …

Verschnauften erst …

Flüsterten miteinander …

Schraut meinte, man solle hier mit der Grotte anfangen … Man könne nicht wissen …!!

„Fangen wir an,“ nickte Harst …

Und sie teilten sich die Arbeit … Schraut lehnte am Grotteneingang und paßte auf, daß man nicht überrascht würde …

Harst hielt die eingeschaltete Taschenlampe in der Linken und ließ nur einen winzigen Strahl auf die mit Tropfstein verkleideten Wände der Grotte fallen …

Hinter der Bank begann er mit dem Abtasten dieser Wände und des mit Ziegeln ausgelegten Bodens …

Kniete und schob jetzt seines Messers lange Klinge in die Spalten der Ziegel …

Kniete und bückte sich ganz tief …

War erfahren im Finden von schlau hergerichteten Geheimtüren … Kannte die Merkmale, wo man derartiges vermuten konnte …

Sah hier am Boden manches, das ihm auffällig erschien …

Kratzte mit dem Finger Sand und Überreste verfaulter Blätter aus den Spalten, die hier breiter waren und die genau ein Quadrat bildeten …

Ein Quadrat aus zwölf Ziegeln …

Kratzte mit der Messerklinge …

Hörte das Knirschen der Spitze auf Metall …

Leuchtete hinein …

Unten in der Spalte ein Streifen verrosteten Eisens, das sich gleichfalls um die zwölf Ziegel herumzog …

Lächelte befriedigt …

Suchte nun in der Mitte des Quadrats …

Säuberte den Mittelpunkt … – dort, wo vier Ziegel zusammenstießen … Dort waren Stücke der Ziegel abgeplatzt, dort war eine Vertiefung … Und – unter der Schmutzschicht kam nun ein eiserner Ring zum Vorschein, dick mit Rost bedeckt, offenbar seit langen Jahren von Menschenhand nicht mehr berührt …

Ein Ring …

Ein Griff …

Und gerade als Harst nun mit aller Kraft an dem Ringe zog und diese Falltür langsam hochklappte, glitt Schraut herbei …

„Dalber kommt!!“

Harst hatte schon durch das Loch in die Tiefe geleuchtet …

Eine schmale, schräge, rostige Eisenleiter …

Er kletterte eilends hinab …

Schraut ihm nach …

Schraut klappte die schwere Falltür langsam zu …

 

5. Kapitel.

Drei Schüsse auf die Nixe.

Dalber näherte sich der Grotte …

Er befand sich freilich auf dem Wege nach einem anderen Ziel, hatte aber doch wenigstens einen Blick in die Grotte werfen wollen … Vielleicht faßte er die beiden Berliner hier ab …

Vorhin beim Abendessen hatte er den Oberinspektor ausgehorcht … Ob der vielleicht wüßte, ob Herr Warnke etwa Harst und Schraut herbeigerufen habe.

Matz hatte verneint … „Herr Warnke war ziemlich zugeknöpft …“

Dann hatte Dalber nachher Margot aufgesucht … hatte dieselben Fragen an sie gerichtet – wieder ohne Ergebnis. Nur hatte es ihm geschienen, als ob die junge Gutsherrin ein wenig verlegen und unsicher war … Deshalb auch traute er ihr nicht … Er fühlte: man belog ihn hier! Unbegreiflich war ihm das! Hatten denn nicht Margot und Matz genau dasselbe Interesse wie er, daß Warnkes Tod restlos aufgeklärt würde?!

Inzwischen hatte er ja auch von verschiedenen Leuten hier mancherlei über die Sage erfahren, die mit dem blauen Weiher zusammenhing: daß die Gräfin Sybille zuweilen im Weiher auftauchen solle! – Auch hierüber hatte er den Oberinspektor und Margot nochmals befragt … Und auch dieses Thema war beiden offensichtlich unangenehm gewesen!

Dalber war daher mit einigem Recht in schwer gereizter Stimmung …

Jetzt ließ er seine Taschenlampe aufleuchten …

Die Grotte war leer …

Er schritt weiter – dem wahren Ziele zu … Er hatte den Luftschacht mit dem verrosteten Eisengitter dort im Gestrüpp unweit der Pforte nicht vergessen – noch weniger aber des Grafen Lüge, er habe geschlafen und die Glocke abgeriegelt gehabt …

Schwindel!! Denn Dalber hatte durch den Luftschacht die Hunde bellen gehört, auch des Grafen Stimme vernommen …

So schlich er denn nun der Holzpforte des Kavalierhauses zu …

Mit aller Vorsicht …

Erst mußte er sich überzeugen, ob die Hunde in der Nähe …

Er stand vor der Pforte …

Horchte … minutenlang …

Dann wollte er hinüber …

Wollte …

Zögerte wieder …

Ein dumpfes Knurren warnte ihn …

Lautlos eilte er den Pfad zurück …

Es war noch zu früh …

Die Hunde würden vielleicht später nicht gerade in der Nähe der Pforte sein …

So begab er sich denn zur Grotte zurück …

Vermied jedes Geräusch, hielt sich im Schatten …

Schlüpfte tief geduckt in die Grotte …

Leer wie vorhin …

Setzte sich auf die Steinbank …

Dachte an die Sage von der Gräfin Sybille …

Lächerlich, solch ein Aberglaube …!!

Lächerlich …!!

Er hatte sein Fernglas mitgebracht … Die Sommernacht war hell und windstill … Mehr zum Zeitvertreib stellte er das Glas ein …

Musterte den blauen Weiher … die Ufer, die bemoosten Steine …

Und – – fuhr leicht zusammen …

Ah – – das war Margot Warnke – – ohne Zweifel …

Zögernd näherte sie sich dort den Weidenbüschen …

Setzte sich, schlang die Arme um die hochgezogenen Knie und starrte auf den Weiher – – reglos …

Ganz genau sah er sie …

Ganz genau …

Das Glas brachte sie ihm auf wenige Meter nahe.

Dann – ein Neues …

Margot reckte den Kopf vor … Ließ die Arme sinken …

Dalber fand schnell heraus, weshalb sie jetzt mit allen Zeichen gespanntester Aufmerksamkeit die Mitte des Weihers beobachtete …

Wellen kräuselten dort das Wasser …

Immer unruhiger wurde die bisher stille Flut …

Dann … schoß ein Kopf hervor – zwei Arme …

Ein Frauenkopf mit langem dunklen Haar, auf dem Scheitel ein blinkendes Krönlein …

Ein nacktes Weib …

Die Haare wie einen Schleier über dem Gesicht …

Langsam schwamm das Weib einen Kreis …

Näherte sich nun der Uferstelle, wo Margot zwischen den Weiden saß …

Margot war aufgesprungen …

Bis an den Kranz grüner Wasserpflanzen schwamm die Frau mit dem Krönlein …

Margot Warnke rief leise:

„Wer … sind Sie?!“

Sie fühlte den Eisesschauer des Übernatürlichen ihr über den Leib rinnen …

Die Schwimmerin machte kehrt, näherte sich der Mitte des Weihers …

Dalber hatte schon kriechend die Grotte verlassen …

Dalber hatte die Dienstpistole in der Hand …

Brüllte jetzt befehlend:

„Hierher ans Ufer – – oder ich schieße!! Hier Polizei!! Sofort ans Ufer!“

Die Schwimmerin schien gehorchen zu wollen …

Aber – urplötzlich versank sie …

Dalber feuerte …

Er hätte es wahrscheinlich nicht getan, wenn er nicht so außerordentlich erregt gewesen wäre …

Blitzschnell hatte er gegen diese Unbekannte Verdacht geschöpft … Dieses Weib war von Fleisch und Blut … An Gespenster, Nixen – all diesen Kram, der in der Vorstellungswelt der hiesigen Bevölkerung als kindlicher Aberglaube noch weiterlebte, – all dies gab’s für den Kommissar nicht … Diese Frau konnte recht gut von Warnkes Tod mehr wissen, als man vermuten konnte …

Und deshalb hatte er auf die Stelle gezielt, wo das Weib untergetaucht war … Deshalb feuerte er blindlings dreimal … bis Margot Warnkes gellender Schrei ihn zur Besinnung brachte …

Sie war herbeigehetzt, stand dicht neben ihm …

„Sind Sie wahnsinnig!!“ rief sie in maßloser Empörung. „Wie konnten Sie es wagen, Ihre Waffe gegen … gegen ein Wesen zu richten, das …“

Dalber blickte sie scharf an …

Gerade diese Empörung des jungen Mädchens war ihm unverständlich …

Und – sein Blick wirkte auch …

Sie verstummte, preßte die Hände gegen die wogende Brust und fügte leiser und besonnener hinzu:

„Oh – wie konnten Sie nur?! Wie war es Ihnen möglich, diese Stätte durch Ihr brutales Vorgehen zu … zu … entweihen?!“

Dalber erwiderte hart:

„Entweihen?! Glauben Sie etwa an den … Spuk, an diese Gräfin Sybille?! Ich kann …“

Er brach ab …

Er merkte, daß Margot Warnke starr nach der Mitte des stillen Gewässers blickte, daß ein Ausdruck verzehrender Angst ihr Gesicht immer mehr veränderte.

Schaute hin …

Dorthin, wo die Oberfläche des Weihers wiederum Wellen schlug, wo in der Tiefe offenbar sich etwas krampfhaft bewegte …

Es schien, als wollte die Schwimmerin jeden Moment von neuem auftauchen …

Die Wellenkreise pflanzten sich bis zum Ufer fort … Das Konzert der Frösche und Unken verstummte …

Und Margot rief jetzt verzweifelt:

„Sie … Sie haben … gemordet …!!“

Und zwischen den beiden letzten Worten dieses klagenden Ausrufs, zwischen „haben“ und „gemordet“, glaubte Dalber noch ein Wörtlein vernommen zu haben …

Hatte er sich getäuscht, verhört?! Hatte Margot dieses Zwischenwort „ihn“ wirklich über die Lippen gebracht – aber nur halb geflüstert, halb verschluckt?

Ihn – – ihn gemordet?!

Nein – er mußte sich verhört haben … Mußte …! Was hätte der Satz sonst auch für einen Sinn gehabt?!

Ihn – – ihn?! – Es handelte sich doch um ein Weib!!

Und trotzdem: sollte er sich wirklich so verhört haben?! So sehr?! Er mit seinen Luchsohren?!

Gerade diese Zweifel waren es, die ihm seine volle Ruhe zurückgaben …

Er schaute das junge Mädchen mit gut gespielter Empfindlichkeit an … Auch in dem Ton seiner Stimme kam diese Empfindlichkeit zum Ausdruck …

„Wen soll ich denn ermordet haben – – wen?!“ meinte er. „Sie nannten da einen Namen, den ich nicht recht verstand …“

„Einen Namen?!“ Margot konnte ein tiefes Erschrecken nicht gut verheimlichen … „Einen Namen – welchen denn?! Das … das muß ein Irrtum Ihrerseits sein, Herr Kommissar … Unbedingt ein Irrtum …“

Aber Dalber war hellhörig … Er merkte, daß sie fürchtete, ihr könnte wirklich der Name der Schwimmerin entschlüpft sein … Mithin kannte Margot dieses Weib … Und – – Margot hatte die Frau ja auch angerufen …!!

Dalber kombinierte weiter … Wenn Margot die Schwimmerin kannte, dann war’s nicht ausgeschlossen, daß ihr ganzes widerspruchsvolles Verhalten darauf zurückzuführen war, daß sie diese Unbekannte um jeden Preis schützen wollte. Er hatte ja nicht verstanden, was sie dem Weibe leise zugerufen hatte, – dazu war die Entfernung zu groß gewesen. Jedenfalls hatte die Schwimmerin aber die Richtung auf Margots Platz eingeschlagen gehabt und mochte dann nur deshalb umgekehrt sein, weil sie ihn vielleicht bemerkt hatte …

Er wollte jetzt hier all die noch ungeklärten Fragen nicht weiter anschneiden, wollte die junge Gutsherrin lieber in Sicherheit wiegen, um dann auf Umwegen der Wahrheit nahe zu kommen.

So sagte er denn mit einem gleichgültigen Achselzucken:

„Ja – ich werde mich wohl geirrt haben, Fräulein Warnke … – – Ah – dort kommen der Oberinspektor und der Gutseleve herbeigelaufen … Die Schüsse haben die Herren aufgeschreckt …“

Matz und der Eleve waren sehr bald neben den beiden …

Dalber berichtete kurz, was geschehen …

Der Oberinspektor warf dem Kommissar einen grimmen Blick zu und polterte heraus:

„Wie konnten Sie nur so übereilt losknallen … Man schießt doch nicht auf einen fremden harmlose Menschen, der …“

Dalber fiel ihm ins Wort …

„Ich bedaure ja selbst, daß ich mich derart hinreißen ließ … Getroffen habe ich sicherlich nicht … – Die Frau soll ja stets spurlos in der Tiefe des Weihers verschwunden sein … Wäre sie verletzt worden, so würde sie wohl wieder aufgetaucht sein … Die Sache muß übrigens morgen bei Tageslicht gründlich untersucht[6] werden, ganz gründlich … Wenn nicht anders, bestelle ich von Swinemünde den Hafentaucher her … Der Weiher hat sein Geheimnis, und dieses Geheimnis muß aufgedeckt werden … Die Schwimmerin – und stets ist hier ja dasselbe Weib mit dem Krönlein beobachtet worden – wird irgendwie unterirdisch anderswo wieder an die Oberfläche gelangen … – Jetzt entschuldigen Sie mich, Fräulein Warnke … Ich habe noch anderes zu erledigen – in Ihrem Interesse, eben Ihres Vaters wegen …“

Er grüßte und verlor sich im Dunkel der Parkwege.

Margot, Matz und der junge Eleve wandten sich langsam dem Gutshause zu …

Margot war sehr still und bedrückt …

Der Oberinspektor konnte sich noch immer nicht darüber beruhigen, daß Dalber von seiner Waffe so vorschnell Gebrauch gemacht hatte …

Der bescheidene Eleve schwieg vollends …

Dann sagte man sich gute Nacht, und Margot stieg tief in Gedanken die Treppe zur Terrasse des Gutshauses empor … Lehnte sich hier an das Steingeländer und schaute versonnen in den dunklen Park hinein – gen Norden, dorthin, wo das Kavalierhaus mit seinem einsamen Bewohner in der Wildnis des Gartens lag …

Mit einem Male drückte sie die Hände vor das blasse Gesicht, und wie ein Aufstöhnen kam’s über ihre zuckenden Lippen …

„Vater, Vater, – du wirst es mir verzeihen …!! Ich … kann’s ja nicht, Vater …! Ich kann’s nicht! Es wäre mein Ende …!!“

Sie weinte … weinte in sich hinein … Ein innerliches Ringen, ein Kampf zwischen Liebe und Liebe – zwischen Kindesliebe und jener anderen Liebe, die neben dem Hunger die größte Macht auf Erden darstellt …

Kampf in der Seele eines jungen Weibes …

Kampf, der ihre Gefühle aufrührte bis in die tiefsten Tiefen …

Kampf, der unter wehen Tränen und noch weherem Schluchzen ausgefochten wurde …

Und wieder flüsterte sie:

„Vater – ich kann’s nicht! Ich kann’s nicht! Du wirst mir nicht nachtragen, Vater!“

Nun war sie einig mit sich …

Nun nahm sie all ihren Mut zusammen, glitt die Treppe wieder hinab und kehrte zum Weiher zurück …

Nachtigallen schlugen in den Büschen … Mit leisem Pfeifen schossen große Fledermäuse in lautlosem Fluge um die Baumwipfel …

Mückenschwärme tanzten wie Wölkchen im Lichte des soeben aufgegangenen Mondes …

Der Weiher war zur Silberplatte geworden …

Keine Welle kräuselte seine Oberfläche …

Still und blinkend lag er da, der blaue Weiher mit seinen unergründlichen Geheimnissen …

Margot näherte sich zögernd der Grotte …

Lehnte sich an die kühlen Steine des Eingangs und … wartete … hoffte …

In ihrem Herzen war die verzehrende Angst wieder erwacht …

In ihrem Herzen war eine schwere bedeutungsvolle Erkenntnis in dieser Nacht aufgegangen … Erkenntnis, die ein Weib beseligen müßte …

Beseligen – zumal jetzt in des Junimonats milden Nächten, die nur Liebe und Sehnsucht atmeten …

Margot Warnke empfand nichts von dieser Seligkeit … Nein – ihre Liebe war aussichtslos, war – – ein Verbrechen …!

Sie erschauerte …

Unbegreifliches hatte sie heute erlebt …

Und jetzt – – wartete sie, – – vielleicht erschien die Frau mit dem Krönlein nochmals …

Vielleicht … vielleicht …!

Dann – – wie ein schmerzlicher Ruck ging’s durch den jungen Leib …

Ihr Kopf flog herum …

Ein Geräusch aus den Tiefen der Grotte …

Ein Knirschen, Knarren …

Dann – – hinter der Steinbank ein dünner Lichtstrahl …

Ein weißer Strahl …

Ein Männerkopf über dem Rande einer Falltür …

Der Kopf eines Strolches mit verwildertem Bart, mit schäbigem Filz, verwegen auf das ebenso verwilderte Haupthaar gedrückt …

Margot wich zurück …

Schlüpfte hinter die nächsten Büsche …

Der Strolch trat ins Freie …

Ein kleiner, korpulenter Kerl …

Trotzdem von katzenhafter Gewandtheit …

Eilte in den Park hinein …

Verschwand …

Margot ließ fünf Minuten verstreichen, wagte sich dann erst in die Grotte …

Als Leuchte hatte sie nur ein Taschenfeuerzeug bei sich …

Ein winziges Flämmchen zeigte ihr, als sie sich nun hinter der Bank niederbeugte, undeutlich die Umrisse der wieder geschlossenen Falltür …

Zeigte ihr in der Mitte den verrosteten Eisenring …

Und – all ihren Mut, all ihre Kraft nahm sie da zusammen …

Packte den Ring …

Hob die Falltür …

Klappte sie hoch …

Und – – im selben Moment hinter ihr eine leise Stimme …

„Gnädiges Fräulein, – – erschrecken Sie nicht … Hier Max Schraut – nur im neuen Kostüm …“

Sie war emporgefahren …

Vor ihr stand der Stromer, in jeder Hand jetzt einen Koffer …

„Max Schraut, gnädiges Fräulein … Tatsache! Wenn Sie mich auch sonst nicht erkennen sollten: mein angenehmes Schmalzorgan wird Ihnen noch vom Haff her gegenwärtig sein …“

Margot hatte sich gefaßt …

Ja – jetzt erkannte sie den Detektiv, fragte atemlos:

„Wohin führt diese Falltür?“

„Oh – in einen unterirdischen Raum, den Harst und ich uns jetzt als Unterschlupf ausgewählt haben … Nur in einen harmlosen langen Keller …“

„Ich … möchte ihn sehen …,“ bat Margot hastig. „Zeigen Sie ihn mir … Herr Schraut, Sie müssen mich mitnehmen … Ich …“

„Unmöglich, gnädiges Fräulein, wirklich ganz unmöglich … Harst … Harst hat … sich schon … ausgezogen und ist zu … zu Bett gegangen … Morgen, gnädiges Fräulein, morgen vormittag gegen elf wollen wir uns hier in der Grotte treffen … Dann … sollen Sie alles sehen … – Und schweigen Sie über diese Falltür … Besonders gegenüber Dalber … – Gute Nacht …“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, turnte er die Eisentreppe hinab, erschien nochmals ohne Koffer und schloß die Falltür, flüsterte dabei:

„Gute Nacht, gnädiges Fräulein …“

Und Margot war wieder allein …

Setzte sich im Dunkeln auf die Steinbank …

Was bedeutete dies nun wieder?!

Die Detektive hier unter der Grotte in einem Kellerraum?!

Woher wußten diese beiden von dieser Falltür?!

Und – – weshalb hatte Schraut … gelogen?!

Lüge war’s doch gewesen, daß Harst angeblich für Damen nicht mehr empfangsbereit …!

Ausflüchte waren das … Nichts weiter …

Sollte sie sich damit zufrieden geben?! War sie nicht hier Herrin des Grund und Bodens? Hatte sie nicht ein Recht zu erfahren – sofort zu erfahren, was hier unter der Grotte an neuen Geheimnissen lauerte?!

Margot Warnke erhob sich …

Im Mondenlicht eilte sie nach dem Gutshause … in ihres Vaters Arbeitszimmer, holte eine Karbidlaterne und eine der modernen kleinen Repetierpistolen aus dem Waffenschranke … Kehrte zum blauen Weiher zurück …

 

6. Kapitel.

Unter dem Weiher.

Kriminalkommissar Dalber hatte sich auf Umwegen der Pforte des Kavalierhauses wieder zugewandt …

Vielleicht waren die verdammten Köter jetzt nicht in der Nähe … Dann wollte er mal den Luftschacht gründlich untersuchen …

Und – er hatte Glück …

Unverschämtes Glück …

Kein Hund knurrte …

Nun saß Dalber bereits oben auf der Pforte …

Turnte in den Garten hinab …

Lauschte …

Nichts … –

Hinein in das Gestrüpp …

Der Leuchtstab blitzt auf …

Dort der Schacht …

Dalber bückt sich …

Stutzt …

Bückt sich tiefer …

Hört etwas …

Stimmen …

Sieht etwas …

Undeutlich nur …

Zwei Kerle, die einen menschlichen Körper tragen …

Auf einer Decke – mit einer Decke verhüllt …

Gerade unter dem Luftschacht schreiten sie vorüber.

Sind nach rechts hin verschwunden …

Der eine hat eine Taschenlampe vor der Brust befestigt gehabt …

Der größere …

Zwei Kerle … Strolche, Stromer …

Und der dritte?!

Dalber hat von dem dritten nur das lange dunkle Haar, die Stirn und die nackten Füße gesehen …

Und doch packt ihn jäh die Angst …

Die Schwimmerin … – ohne Zweifel die Schwimmerin …

Vielleicht tot – – durch eine seiner Kugeln!! –

Die Hunde hat er vergessen …

Alles …

Denkt nur daran, daß er vielleicht wirklich zum Mörder geworden …

Vielleicht …

Reißt sich zusammen … Was hilft hier alles Grübeln?! Gewißheit will er haben – – Gewißheit – – unbedingt!!

Das verrostete Gitter läßt sich leicht herausheben.

Ebenso leicht ist’s, den mitgebrachten Strick zu befestigen …

Und Dalber klettert hinab …

Der Strick reicht nicht …

Dalber springt …

Steht auf Ziegelboden in einem unterirdischen Gange.

Schaut sich um – – leuchtet …

Nach rechts sind die beiden Stromer verschwunden.

Also – – nach rechts …

Vielleicht dreißig Meter, dann gebietet ihm eine eiserne Tür halt …

Sie ist von der anderen Seite verriegelt … Und keine Möglichkeit, sie zu öffnen …

Kehrt also …

Dieser Gang wird, das ahnt Dalber schon, zum blauen Weiher führen …

Kehrt …

Und der Gang, fest gemauert, trocken und luftig, läuft in langen Windungen weiter – immer weiter …

Bis seine Breite zunimmt und zur Halle wird – zu einem Gewölbe – fast kreisrund …

Links sieht Dalber eine eiserne Leiter von der Decke herabreichen … Und in der Decke oben ein quadratisches Loch – eine Falltür …

Leiter und Falltür will er später besichtigen … Dort vorn erkennt er anderes, was ihn mehr interessiert.

Dort ist ein dicker Pfeiler sichtbar, der die Gewölbedecke zu stützen scheint …

Dahinter ein zweiter, runder Pfeiler …

Beide aus Eichenholz …

Im Laufe der Jahre schwarz geworden …

Merkwürdige Pfeiler …!!

Dalber beleuchtete gerade den runden, beleuchtet eine in diesen eingefügte Tür, als sein Blick – – ein Zufall! – den Gang entlanggleitet …

Im Moment hat er seinen Leuchtstab ausgeschaltet.

Im Moment hat er sich noch enger an den runden Pfeiler gedrückt, der gut anderthalb Meter Durchmesser hat …

Den Gang hinab kommt einer der Strolche mit eingeschalteter Taschenlampe …

Geht auf die Leiter zu …

Klettert empor, der korpulente Strolch …

Verschwindet … Hat die Falltür wieder herabgelassen …

Dalber wagt es, seinen Leuchtstab wieder zu benutzen …

Die beiden Säulen hier interessieren ihn über alle Maßen …

Er sieht, daß sie oben durch einen dicken runden Balken verbunden sind …

Sieht, daß da neben der Tür des runden mächtigen Pfeilers zwei eiserne Griffe und ein Hebel sich befinden.

Sieht, daß um den Fuß des viereckigen vorderen Pfeilers, der übrigens ebenfalls eine kleine Tür besitzt, der Ziegelboden feucht ist … In den Fugen der Steine glänzt Wasser …

Und – jetzt merkt Dalber auch, daß von oben beständig Wasser herabtropft … langsam … langsam.

Ihm geht ein Licht auf …

Dies Gewölbe befindet sich unter einem Teile des blauen Weihers … Und die beiden Pfeiler stützen nicht nur die Decke, auf der oben der ungeheure Wasserdruck ruht, sondern erklären auch gleichzeitig das Geheimnis der … Nixe …, dieses Rätsel, daß die Frau aus der Tiefe emporkam und in die Tiefe zurückkehrte, ohne das Ufer zu betreten.

Vorsichtig und stets nach der eisernen Leiter lugend schaut er die Pfeiler genauer an …

Er ahnt, daß hier sehr primitive technische Einrichtungen vorhanden sein müssen, wagt aber nicht, an den Griffen und Hebeln zu ziehen, oder die schmalen niederen Türen der Pfeiler zu öffnen, deren Drücker eine eigentümliche Form haben, genau wie diese Eichenholzpfeiler fraglos schon zugleich mit dem Weiher errichtet worden sind.

Kommissar Dalber denkt noch weiter …

Ihm ist sehr wohl bekannt, daß schon vor rund zweihundert Jahren Wasserkünste aller Art in Mode waren … Zum Beispiel Fontänen, die von unten beleuchtet wurden, ganze Zierteiche, die durch Glasplatten unten auf dem Grunde gleichfalls künstliches Licht erhielten … War es doch die berüchtigte Madame de Pompadour[7] gewesen, die in den Gärten von Versailles derartige Spielereien unter ungeheuren Kosten anlegen ließ – – als erste wieder, nachdem schon Römer und Griechen im Altertum in diesen Dingen mit Erfolg versucht hatten …

Dalber überlegt das alles … Ohne Zweifel hat auch jener Graf Blanden, der den blauen Weiher schuf, diese Pfeiler ursprünglich für Beleuchtungszwecke des poetischen Gewässers bestimmt gehabt … Die Beleuchtung mochte damals nicht nach Wunsch funktioniert haben, und jener Graf Blanden kümmerte sich um die fraglos kostspielige unterirdische Anlage nicht weiter, bis dann jemand auf den Gedanken kam, diese technischen Einrichtungen zu anderen Zwecken zu benutzen: die Nixe mit dem Krönlein tauchte auf! –

Dalber hatte hier nun genug gesehen …

Er wollte einmal feststellen, wo die Falltür über der Eisenleiter mündete …

Kaum stand er am Fuße der Leiter, als ein Geräusch ihn zwang, wieder hinter die Pfeiler zurück zu flüchten.

Ein Geräusch …

Die Falltür war geöffnet worden …

Schwacher Lichtschein fiel auf die Eisenleiter …

Dann Stimmen …

Dalber unterschied eine Frauen- und eine Männerstimme …

Um wen es sich handelte, konnte er doch nicht heraushören …

Dann kam der kleine Stromer mit zwei Koffern die Eisenleiter hinab …

Setzte die Koffer auf den Boden, klomm wieder empor … sprach nochmals mit der Frau …

Dalber sagte sich, daß es nur Margot Warnke sein könne …

Da kam der Strolch schon abermals die Leiter herabgeklettert, ließ die Tür zufallen, nahm die Koffer und entfernte sich nach dem Kavalierhause hin …

Dalber folgte ihm …

Ein wahres Glück, dachte er, daß der Strick in dem Luftschacht so kurz ist, sonst würde dieser kleine zerlumpte dicke Kerl ihn fraglos bemerkt haben …

Dieser Kerl mit den beiden Koffern gab Dalber ohnehin genug zu raten auf – übergenug …

Gewiß, einmal kam ihm wohl der Gedanke, es könnte Schraut sein, Harsts Freund … Diese Annahme erschien ihm anderseits nur allzu unbegründet … Harst und Schraut hatten sich doch bisher um den Gutspark und das Kavalierhaus wenig oder gar nicht gekümmert … Graf Egon Blanden stand den beiden fern … Und – der Stromer da begab sich doch zweifellos ins Kavalierhaus, – dieser unterirdische Gang führte bestimmt dorthin …!!

Wer also war der Strolch?!

Dann aber fiel dem Kommissar ein, daß er ja zwei dieser fragwürdigen Gestalten vorhin durch den Luftschacht beobachtet hatte … Und von diesen beiden, die die Nixe getragen hatten, war der eine sehr schlank und hager im Gesicht gewesen, dazu noch mit einer kühnen Hakennase – – also: Harst und Schraut, – doch Harst und Schraut …!! –

Der Stromer mit den Koffern schloß jetzt die eiserne Tür auf, die dem Kommissar vorhin den Weg nach den Kellern des Kavalierhauses hin versperrt hatte …

Dalber überlegte …

Sollte er Schraut anrufen? Sollte er als Beamter ihn zwingen, ihm Aufschluß über jene Schwimmerin und manches andere zu geben?!

Dalber zauderte …

Der Gedanke, daß er die Frau erschossen haben könnte, machte ihn unschlüssig, lähmte ihn förmlich …

Dann war’s schon zu spät …

Schraut hatte die Tür passiert … Ein Riegel wurde von drüben vorgeschoben.

Dalber wandte sich dem Luftschachte zu … Er war sehr unzufrieden mit sich … Er hatte zum ersten Male in seinem pflichttreuen Dasein das peinliche Gefühl durchzukosten, an sich selbst scharfe Kritik üben zu müssen … Die drei Schüsse ins Wasser waren eine kaum wieder auszugleichende Übereilung gewesen …

Nun stand er unter dem Luftschacht … Und erkannte, daß das Ende des Strickes viel zu hoch hing, als daß er es hätte erreichen können …

Also mußte er doch den Ausgang über die Eisenleiter wählen …

Langsam schritt er wieder dem Gewölbe und den Pfeilern zu …

Die Linse des Leuchtstabes hatte er mit der Hand bedeckt, ließ nur zwischen den Fingern einen dünnen Strahl auf den Boden fallen …

Leise schritt er dahin …

Seine Gedanken waren noch immer bei der Schwimmerin …

Eine Geliebte des Grafen Egon …

Schon möglich …

Es wäre ja auch unnatürlich gewesen, wenn der dreißigjährige Graf sich so vollkommen von aller Weiblichkeit abgeschlossen hätte … –

Nun hatte der Kommissar die Eisenleiter erreicht …

Nun wollte er emporsteigen …

Wollte …

Hörte plötzlich das Rauschen von Wasser …

Immer stärker …

Dort von dem Pfeiler her …

Hörte einen gellenden Schrei …

„Hilfe … Hilfe …!!“

Rannte auf die Pfeiler zu …

Hatte Margot Warnkes Stimme erkannt …

Sah, daß die Tür des viereckigen Pfeilers offenstand, daß ein breiter Wasserstrom aus dieser Tür hervorquoll …

Hörte nur noch das Rauschen des Wassers …

Blieb ratlos stehen …

Stand im Wasser …

Sein erregtes Hirn ließ ihn den Zusammenhang ahnen …

Margot mochte ihn bemerkt haben, war vor ihm in diesen Pfeiler geflüchtet, – wußte nicht, daß sie mit dem Öffnen dieser Tür auch den Grund des Weihers erschloß … des blauen Weihers, der nun seine Fluten hier in die Tiefe ergoß …

Furchtbares Entsetzen packte ihn …

Margot würde ertrinken …

Margot steckte vielleicht oben in dem viereckigen Pfeiler …

Ihr Hilferuf besagte genug …

Dalber war alles andere nur kein Feigling …

Dalber versuchte nun, sich gegen die Flut der herausströmenden Wassermassen durch die Tür zu drängen …

Es gelang ihm …

Er fühlte Leitersprossen …

Sah nichts …

Mit aller Kraft kletterte er höher …

Hielt den Atem an …

Tastete umher …

Fühlte den Rand eines Vierecks, einer Öffnung …

Atemnot stellte sich ein …

Mit ungeheurer Anstrengung zwängte er sich noch höher, stieß sich mit den Beinen ab …

Schoß empor …

Sein Kopf tauchte auf …

Luft … Luft …

Augen auf …

Er … befand sich mitten im blauen Weiher …

Mitten auf dem stillen Gewässer …

Aber – auch mitten in einem Strudel, der trichterförmig nach unten sich zog …

Ein Strudel an derselben Stelle, wo nun die Wassermassen in den unterirdischen Gang hinabstürzten …

Er schwamm der Grotte zu …

Nirgends eine Spur von Margot Warnke …

Er stieg an Land …

Völlig benommen – halb taumelnd …

Sah nicht, daß eine zerlumpte hagere Gestalt mit einem Mädchen in den Armen triefend im Dunkel der Parkwege verschwand …

 

7. Kapitel.

Hochzeitsnacht …

Dalber lehnte matt am Eingang der Grotte …

Dalber starrte auf den Weiher …

Der Trichter in der Mitte blieb …

Das Wasser fiel … fiel immer mehr …

Wo war die unglückliche Margot? Ertrunken?!

Der Kommissar raffte sich auf … Unmöglich konnte er tatenlos abwarten … Es mußte etwas geschehen – – sofort!

Er zögerte …

Wohin sich wenden?! Den Oberinspektor wecken, die anderen Angestellten?!

Nein – hier konnte nur einer helfen, der unbedingt mit dem Mechanismus der beiden Pfeiler vertraut war: Egon Blanden!

Also zum Kavalierhause …!

Dalber begann zu laufen …

Rannte der Pforte zu …

Stolperte auf dem schmalen Pfade über eine Wurzel.

Stürzte lang hin …

Schlug sich die Stirn blutig …

Auf …

Weiter …

Dort die Pforte – – der Klingelgriff …

Er riß daran …

Riß wie ein Unsinniger …

Die Hunde bellten …

Kamen herbeigerast …

Sprangen wütend an der Pforte hoch …

Dalber läutete … läutete …

Niemand erschien …

Verzweiflung packte ihn …

Er kletterte auf die Pforte …

Im Mondenlicht sah er die beiden starken Rüden …

Zog die Pistole …

Ihm war jetzt alles gleichgültig … Die Hunde mußten unschädlich gemacht werden …

Er zielte …

Wollte schon abdrücken …

Eine Stimme da …:

„Halt – – ich komme!“

Das war der kleinere der Stromer – das war Schraut …

Einen dicken Knüttel in der Rechten …

Brüllte die Rüden an – drohte …

Die wilden Bestien gehorchten …

Schraut trat näher …

„Was wollen Sie?!“ rief er zu Dalber empor …

Und Dalber – – hastig, flehend:

„Herr Schraut, jetzt nur keine langen Erörterungen – – nur nicht! Fräulein Warnke ist vielleicht ertrunken … Das Wasser des Weihers stürzt in den unterirdischen Gang … Wir müssen das junge Mädchen suchen …“

Schraut in seinem Strolchkostüm erwiderte sehr gedehnt:

„So – – in den unterirdischen Gang? Waren Sie denn dort unten, Herr Dalber?“

„Ja – – ja!!“

Und der Kommissar sprang von der Pforte herab, sprang Schraut vor die Füße …

Die Hunde wollten auf ihn losfahren … Schrauts Stimme scheuchte sie zurück …

„Um Gott, Herr Schraut …,“ flehte Dalber wieder, „lassen Sie uns das Mädchen suchen …!! Ich war dort unten … Ich sah Sie mit den Koffern … Fräulein Margot muß vor mir geflüchtet sein …! In den einen Pfeiler … – So kommen Sie doch …! Hier im Gestrüpp ist ein Luftschacht … Wir können an dem Strick hinab … Zögern Sie nicht!“

Max Schraut meinte sehr ruhig:

„Herr Dalber, ich glaube niemals, daß Margot ertrunken ist … Gehen wir nach dem Weiher …“

Dalber verlor die Geduld …

„Herr, – dann befehle ich Ihnen als Beamter, daß Sie mich in den unterirdischen Gang begleiten … Womöglich steckt Fräulein Warnke in dem runden Pfeiler …!“

„Gut – wenn Sie befehlen …! Los denn!“

Dalber kletterte als erster an dem Strick herab …

Schraut folgte …

Schraut schaltete seine Taschenlampe ein …

Sie eilten nach links den Gang entlang …

Tappten durch Wasserlachen …

Erreichten das Gewölbe …

Einen kleinen See …

Fußhoch stand hier das Wasser …

Sie wateten bis zu den Pfeilern …

Und fanden die Tür geschlossen … Die Tür des viereckigen Pfeilers …

Schraut war durchaus nicht überrascht …

„Harst hat die Geschichte hier in Ordnung gebracht,“ meinte er …

Dalber starrte ihn an …

„Dann wissen Sie auch, wo Fräulein Margot ist …!“ rief er wütend. „Sie spielen mit mir ganz ungehörigerweise Versteck!! Sie werden jetzt mit der Sprache herausrücken, Herr Schraut!! Ich verlange es!“

„Fräulein Warnke ist vielleicht längst im Bett, Herr Dalber,“ erklärte der dicke Detektiv seelenruhig. „Sie regen sich ganz unnötig auf … Mir scheint, das junge Mädchen ist oben an Land geschwommen … Ich würde an Ihrer Stelle mal im Gutshause nachfragen …“

Dalber konnte sich kaum mehr beherrschen …

„Herr Schraut, das sind Ausflüchte!! Ich befehle, daß Sie …“

„Herr Dalber, so leid es mir tut,“ unterbrach Schraut ihn, „ich kann Ihnen wirklich nichts anderes sagen – gar nichts!“

„So – – und die Schwimmerin, die Sie und Harst auf einer Decke davontrugen?!“

Der Detektiv hob die Schultern …

„Herr Dalber, was diese Schwimmerin betrifft, so holen Sie sich am besten morgen früh von Harst Bescheid … Wir wohnen jetzt im Kavalierhause, und ich als Harsts Gehilfe darf meine Befugnisse nicht überschreiten – – unmöglich! Ich muß alles Weitere Harst überlassen …“

Dalber merkte jetzt, daß Margot Warnke zweifellos außer Lebensgefahr …

Das beruhigte ihn etwas …

„Dann beantworten Sie mir jetzt bitte nur noch eine Frage, Herr Schraut,“ sagte er in gänzlich veränderten Tone. „Habe ich die Schwimmerin durch meine Schüsse verletzt, – und wer ist diese Frau …“

„Getroffen haben Sie – leider, aber nicht so, daß Lebensgefahr besteht … Freilich, wenn Harst und ich nicht hier unten gewesen wären und wenn Harst nicht den Mechanismus der beiden Pfeiler so bald richtig erkannt und die Schwimmerin geborgen hätte, dann würden Sie jetzt ein Menschenleben auf dem Gewissen haben … – Sie haben eben Glück gehabt … Benutzen Sie jetzt dort die eiserne Leiter und gehen Sie getrost zu Bett. Kommen Sie dann um zehn Uhr vormittags ins Kavalierhaus, und Harst wird Ihnen vieles zu sagen haben.“ Schraut streckte ihm die Hand hin … „Gute Nacht also, Herr Dalber … Seien Sie froh, daß alles so gekommen ist … Auch für Sie hat diese Nacht, abgesehen von Ihrer berechtigten Aufregung und von Ihrem Bade im Weiher, nur Gutes gebracht … Für andere auch …“

Er lächelte ein wenig …

Dalber in seinen nassen Kleidern begann hier in dem empfindlich kühlen Gewölbe zu frieren … Er sah ein, daß er ins Bett müsse, wenn er sich nicht einen gehörigen Schnupfen oder gar Schlimmeres holen wollte, drückte Schrauts Hand mit ehrlicher Kraft und stieg die Eisenleiter hinan …

Gelangte in die Grotte und schritt hastig dem Inspektorhause zu.

Sein Zimmer lag links zu ebener Erde … Er warf die nassen Kleider ab, schlüpfte in seinen schwarzseidenen Schlafanzug und … stand nun zögernd vor dem eisernen Feldbett …

Überlegte wieder …

Ob er sich nicht doch noch davon überzeugte, daß Margot Warnke wirklich im Gutshause sich befand?

In seinem Schlafanzug und in den Morgenschuhen konnte er sich schon ins Freie wagen …

Er tat’s …

Langsam schlenderte er durch das trennende Parkstück der Terrasse zu …

Er wußte, wo Margots Zimmer lagen …

Die Fenster waren dunkel, und die Vorhänge nicht zugezogen …

Also konnte Margot gar nicht in ihren Räumen weilen … Also war sie noch drüben im Kavalierhause – wo sonst wohl?! Nur dort …!!

Dalber beschlich ein unbehagliches Gefühl … Wie alle Kriminalbeamten war er überaus mißtrauisch …

Wenn Schraut ihn belogen hätte?! Wenn Harst und Schraut vielleicht die Todesursache Warnkes und alle Begleitumstände bereits kannten und vielleicht in ihrer Eigenschaft als Privatdetektive Egon Blanden schützen wollten?!

Egon Blanden …!! Denn der hatte das Geheimnis des Weihers von jeher gekannt … Dessen Geliebte hatte dort die Nixe gespielt … Und Blanden selbst konnte mithin, wie Dalber ja von vornherein angenommen hatte, sehr wohl mit August Warnke am Weiher zusammengeraten sein …! Mochte er auch nicht direkt Warnkes Mörder sein, so konnte ihn doch immerhin eine gewisse Schuld an dem Tode des Gutsbesitzers treffen.

Dalber blickte abermals zu Margots Fenstern empor …

Da – – wurde dort hinter den Fenstern das Licht eingeschaltet …

Dalber trat schnell hinter eine Edeltanne …

Lugte nach oben …

Die Vorhänge wurden zugezogen …

Aber – auf diesen Vorhängen zeichnete sich jetzt deutlich die Gestalt eines Mannes ab – ein scharfes Profil …

Harst – – ohne Zweifel Harst!!

Dalber rührte sich nicht …

Die Gestalt verschwand …

Der Schatten erschien abermals, ging hin und her.

Dann erlosch das Licht …

Und wenige Minuten später knarrte die Haustür leise …

Ein Mann kam die Terrassentreppe hinab …

Harst …

Nicht mehr im Stromerkostüm … In seinem Anzug als Anglerfex Horten, aber ohne Bart und Perücke …

Der Kommissar drückte sich noch dichter in die Edeltanne hinein …

Harst, ein großes Bündel unterm Arm, schritt an ihm vorüber …

Dalber schlich vorsichtig hinterdrein …

Bis zur Pforte des Kavalierhauses, in der die schlanke Gestalt mit dem Bündel unsichtbar wurde.

Dalber wußte genug: Harst hatte für Margot trockene Wäsche und ein Kleid geholt!

Nun war er wieder beruhigt …

Schraut hatte nicht gelogen: vormittags zehn Uhr würde sich alles klären!

Und der Kommissar ging zu Bett, schlief sofort ein … – –

Schlief nicht lange …

Gegen vier Uhr morgens hatte sich im Süden ein Gewitter zusammengezogen – eine pechschwarze Wolkenbank, über die andauernd ein fahles Leuchten hinweglief …

Fernes Grollen drang über das Haff, über Wald und Feld …

Wie immer wich das Gewitter der breiten Wasserfläche des Haffs aus und drängte sich dann über den Mündungsarm der Oder, über die Swine hinweg …

Im Nu war es dann in der Nähe des Gutes Weiherstein angelangt …

Die erste Morgendämmerung wurde wieder zu pechschwarzer Finsternis …

Das grelle, kurze Aufleuchten der Blitze und das Grollen des Donners hatte rasch die Bewohner von Weiherstein munter gemacht.

Alter Brauch war es hier, schon beim Anzuge eines solchen Unwetters alles Nötige bereitzuhalten. Oberinspektor Matz hatte die Gutsspritze aus dem Schuppen ins Freie bringen lassen. Die Schlauchleitung wurde an die Pumpe angeschraubt …

Als ein Blitz in eine Kieferngruppe unweit des Gutsgebäudes einschlug, war auch Dalber bereits auf dem Hofe … Sein Anzug war erst halb trocken …

Matz schickte einen der Knechte ins Gutshaus …

„Unser Fräulein muß geweckt werden,“ meinte er zu dem Kommissar.

Dalber wußte, daß Margot anderswo weilte, schwieg aber …

Der Knecht kehrte mit einem der Stubenmädchen zurück …

Das Fräulein sei nicht in ihren Zimmern, erklärte das Mädchen aufgeregt und ängstlich, auch das Bett sei unberührt, die Türen unverschlossen …

Matz wandte sich an Dalber …

„Wissen Sie vielleicht, wo Fräulein Warnke sein kann?“

Dalber mochte nicht lügen …

„Ja … Im Kavalierhause,“ antwortete er …

Ein neuer Blitz fuhr knatternd herab … Eine der Ulmen im Park, die schon halb abgestorben war, ging in Flammen auf …

Noch hatte es keinen Tropfen geregnet …

Jetzt kam ein wahrer Wolkenbruch hernieder …

Matz, Dalber, der zweite Inspektor und der Gutseleve flüchteten in den Spritzenschuppen.

Matz zog den Kommissar beiseite …

„Was tut das Fräulein dort im Kavalierhause?“ fragte er zögernd. „Ist denn noch etwas passiert in dieser Nacht …?! Das Fräulein wollte doch schon um Mitternacht schlafen gehen, und …“

Dalber unterbrach ihn …

„Sie fragen zu viel … Ja – passiert ist noch manches, aber verstehen tue ich’s nicht … Jedenfalls sind Harst und Schraut gleichfalls im Kavalierhause, und Sie, Herr Matz, haben mich schön an der Nase herumgeführt, was die beiden Berliner betrifft … Sie haben gewußt, daß …“

Ein neuer Blitz kam als feurige Zickzacklinie herab.

Der nachfolgende Donner war so heftig, daß die Erde zu erzittern schien …

Dann erschien einer der Knechte im Eingang des Schuppens …

Brüllte:

„Herr Oberinspektor, beim Grafen hat’s eingeschlagen!“

Matz rannte in den Regen hinaus …

Es stimmte … Dort nach Norden zu Feuerschein …

Der Regen hatte wieder jäh aufgehört …

Im Nu war die Spritze im Parke … Zahllose Hände schoben sie …

Zahllose Hände schleppten den Schlauch hinterdrein.

Man kam zur Pforte des Kavalierhauses, dessen westlicher Flügel in Flammen stand … Das alte Fachwerkhaus bot dem Feuer nur allzuviel Nahrung …

Matz riß an der Glocke …

Da ging die Pforte auch schon auf …

Die Laternen und Fackeln der Gutsleute beleuchtete einen stillen Zug …

Auf einer mit Betten und Decken zur Tragbahre hergerichteten Leiter lag Egon Blanden …

Harst und Schraut trugen diese Bahre …

Nebenher schritt Margot Warnke, führte die beiden Hunde des Grafen an der Leine …

Still bewegten sich die drei mit dem auf die Leiter gebetteten Grafen vorwärts …

Das Bild war so überraschend, so eigenartig, daß keiner der Gutsbeamten etwas fragte …

Auch Dalber nicht …

Als der Zug vorüber, wurde die Spritze in den Garten gebracht …

Matz kommandierte wie ein gelernter Feuerwehrmeister …

In einer halben Stunde war der Brand gelöscht …

Diese halbe Stunde aber hatte der Kriminalkommissar, einem Winke Harsts folgend, im Gutshause durchlebt …

Durchlebt …

Denn diese halbe Stunde war für ihn ein Erlebnis.

Harst und Schraut mit der Bahre, Margot mit den Hunden und Dalber als Nachzügler hatten sich in den großen Salon des Gutshauses begeben, wo man den Grafen auf einen Diwan legte …

Dalber sah, daß Graf Egon den linken Arm und die linke Schulter verbunden hatte …

Und mit einem Schlage ging ihm nun die Erkenntnis auf, daß er doch richtig gehört hatte, daß Margot wirklich empört und verängstigt gerufen hatte: „Sie haben ihn gemordet!!“

Der Graf war die Schwimmerin gewesen …

Der gräfliche Sonderling hatte sich den Scherz erlaubt, die Nixe zu spielen!! –

Margot saß jetzt am Kopfende des Diwans und hielt des Grafen Hand …

Harst und Schraut lehnten am Kamin … Dalber an einem Zierschränkchen …

Alle Flammen der elektrischen Krone waren eingeschaltet worden …

Taghell war’s im Zimmer …

Margot schob dem Verwundeten noch zwei Kissen in den Rücken …

Egon Blanden saß nun halb aufrecht und nickte dem jungen Mädchen dankbar zu.

Dem Kommissar ging ein neues Licht auf: Liebe – – Liebe spielte hier mit! Margot und Blanden mußten sich in dieser Nacht gefunden haben!

Dann sagte Harst:

„Wird es Sie nicht zu sehr anstrengen, lieber Graf, wenn Sie Herrn Dalber die nötigen Erklärungen abgeben?“

Blanden lächelte …

Ein geradezu sonniges Lächeln …

„Die beiden Salonschüsse können mir doch nicht imponieren!“ meinte er … „Besonders jetzt nicht … – Herr Kommissar, treten Sie bitte näher … Allzusehr möchte ich meine Kehle doch nicht anstrengen …“

Margot hatte wieder seine Hand genommen …

Dalber rückte einen der Brokatsessel neben das Kopfende des Diwans und setzte sich …

Blanden begann:

„Ich wollte der Gerichtskommission nicht mitteilen, wo ich gestern um Mitternacht gewesen … Ich mußte schweigen, denn ich wollte mein Geheimnis hüten, weil ich mich dieser … halben Kinderei schämte, außerdem auch nicht eingestehen mochte, daß ich Margots wegen die Rolle der Nixe gespielt hatte …“

Dalber nickte … „Daß Sie die Schwimmerin gewesen, hatte ich mir schon vorhin zusammengereimt, Herr Graf …“

„Glaube ich, Herr Kommissar … War ja auch nicht schwer … Sie schießen vorzüglich …“

„Verzeihen Sie mir,“ bat Dalber mit ehrlicher Reue. „Ich schäme mich jetzt, daß ich so übereilt …“

„Oh – – schämen Sie sich nicht! Die beiden Kugeln haben mir ja das geschenkt, wonach ich mich sehnte: Margot! – Doch zur Sache, Herr Kommissar … Mit Perücke und Krönlein tauchte ich mit Hilfe des Mechanismus aus der Tiefe des blauen Weihers empor … Ich wußte, daß Margot, die mir schon beim ersten Sehen außerordentlich gefallen hatte, dort am Ufer zwischen den Weiden ihr Lieblingsplätzchen hatte … Ich wollte sie sehen, wollte ihr nahe sein … Deshalb dieses ganze nächtlich-romantische Spiel … – Und dieses Spiel wurde bitterster Ernst … Herr Warnke spionierte der Schwimmerin nach … Herr Warnke drang wie Sie durch den Luftschacht in den unterirdischen Gang ein, kam bis zu den beiden Säulen, bediente den Mechanismus falsch und … tauchte doch schließlich oben auf – genau wie Margot in dieser Nacht … Ich kam erst in das Gewölbe, als er bereits vom Schicksal ereilt war … als bereits Harst einen Toten geborgen hatte.“

Er schaute zu dem berühmten Detektiv hinüber …

Harst sagte schlicht:

„Den Grafen trifft keinerlei Schuld, Herr Dalber … Ich sprang von der Grotte aus ins Wasser … Ein Herzschlag traf Warnke …“

Dalber meinte bescheiden:

„Ich zweifle nicht im geringsten an des Herrn Grafen Schuldlosigkeit …“

Da rief Margot, und sie hatte jetzt die Hände vor das Gesicht gedrückt:

„Aber ich – ich habe gezweifelt … Ich habe Egon erkannt, als er sich heute nacht dem Ufer näherte … Und da war mein erster Gedanke: Er kann meinem Vater ein Leid angetan haben – – kann!!“

Blanden nahm ihre Hände …

„Margot, weshalb nochmals all dies aufrühren! Hast du nachher nicht bewiesen, als Harst dich aus dem Weiher gerettet hatte, daß du mich längst heimlich über alles liebtest?! Hast du nicht um mein Leben gezittert, haben wir uns nicht gefunden, als du dann im Kavalierhause an mein Lager tratest?! – – Herr Dalber, hätten Sie noch etwas zu fragen?“

Dalber überlegte …

„Nein – zu fragen wohl nichts … Ich kann mir unschwer alles zusammenreimen … Nur eins möchte ich gern noch in dieser Stunde erledigt sehen: daß Herr Harst zu Protokoll gibt, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hat … Dann kann ich Weiherstein verlassen, dann ist der Fall Warnke erledigt … Man braucht mich in Swinemünde … Die Badesaison hat begonnen, und wie immer sind schon jetzt recht zweifelhafte Existenzen mit unter den Badegästen, die meiner Obhut bedürfen …“

Das Protokoll wurde denn auch von Dalber sofort entworfen …

Harst, Schraut und der Graf unterschrieben es …

Kaum war man hiermit fertig, als Oberinspektor Matz erschien und meldete, daß der Brand gelöscht sei …

Blanden winkte den treuen Mann näher heran …

„Mein lieber Matz, ich habe nun den Weg in das Haus meiner Väter zurückgefunden – – für immer! Matz, gratulieren Sie Margot und mir … Margot wird in kurzem Gräfin Blanden heißen … Wir haben uns verlobt …“

Dem hünenhaften Oberinspektor traten Tränen in die Augen …

Er schluckte … stammelte:

„Meinen … meinen herzlichsten Glückwunsch … Im stillen hatte ich ja darauf gehofft, daß alles einmal so kommen würde … Nur … nur Herr Warnke hätte dies noch mit erleben müssen … Ich weiß, es war sein geheimer Herzenswunsch, daß Weiherstein einmal durch diese Heirat wieder an die gräfliche Linie zurückfiele …“

Margot schluchzte auf …

Blanden zog sie an sich …

Sie weinte an seiner Brust – – wurde wieder ruhiger … –

Und draußen ging die Sonne auf …

Draußen hatte sich das Gewitter verzogen …

Man ließ den Grafen nun allein … Margot küßte ihn …

„Gute Nacht – – auf Wiedersehen!“

Harst und Schraut wurden im Nebenzimmer untergebracht und übernahmen die Krankenwache …

Dalber hatte sich verabschiedet …

Ein Wagen des Gutes führte ihn nach Swinemünde zurück … –

Und gegen elf Uhr vormittags finden wir die beiden Berliner Detektive unten im Gewölbe unter dem blauen Weiher …

„Also nun unser Morgenbad, mein Alter,“ sagte Harst vergnügt. „Du möchtest den Mechanismus dieser beiden Säulen persönlich kennen lernen … Gut, kleide dich aus, zieh’ die Schwimmhosen an … wie ich …! Vorwärts!“

Er hatte seine Taschenlampe auf den Boden gestellt.

Die Freunde legten ihre Kleider auf die eiserne Leiter …

„Die Sache ist so,“ erklärte Harst … „Wenn man hier auf den Hebel der einen Säule drückt, klappt oben die im Steinboden des Weihers angebrachte Falltür herab … Die viereckige Säule füllt sich mit Wasser, die andere, mit der ersten durch das dicke Holzrohr verbunden, bleibt leer, weil vor diesem Rohr eine Klappe liegt … Das Holzrohr gestattet nun dem, der in die leere Säule eingetreten und die wasserdichte Tür hinter sich geschlossen hat, ein Hindurchkriechen bis zu dieser Klappe. Man öffnet den Klappenverschluß, und kann so von dem Rohr aus direkt durch die Falltür nach oben in den Weiher … Natürlich füllt sich dann auch die zweite Säule mit Wasser, und die Klappe schließt sich wieder von selbst, das Wasser aus der runden Säule fließt ab – unterirdisch – und die Säule wird leer, so daß der nach oben Aufgetauchte, wenn er wieder den Rückweg antreten will, durch die offene Falltür und die Klappe in die runde Säule durch das Rohr mit Hilfe des nachstürzenden Wassers hinabgelangt. Dieser Wasserzufluß hört jedoch sofort wieder auf, wenn der Betreffende das Rohr passiert hat und die Klappe sich abermals schließt. Man steht dann also in der kaum zur Hälfte gefüllten runden Säule, wartet, bis das Wasser daraus verschwunden, und kann die Tür öffnen und in das Gewölbe eintreten. Ein Zug an dem einen Griff des eckigen Holzkastens läßt die Falltür wieder einschnappen, und auch aus dieser Säule fließt das Wasser ab … – – Verstanden?!“

„Hm – – eine riskante umständliche Geschichte!“ brummte Schraut … „Mach’s mir mal vor, Harald.“

„Gern …“

Und Harst tat, was nötig …

Betrat die runde Säule, schloß die Tür …

Hatte sie kaum geschlossen, als Max Schraut eilends die eiserne Leiter emporklomm, in die Grotte gelangte und in den blauen Weiher sprang …

Kaum war er ein paar Meter geschwommen, als Harst aus der Tiefe erschien …

„Feigling!!“ rief Harst lachend …

Schraut blieb hundeschnäuzig …

„Der einfachste Weg ist immer der beste!“ meinte er.

Trotzdem spielte auch er nachher Nixe …

Und siehe da, die Sache ging tadellos … –

Zur selben Zeit saß Margot an ihres Verlobten Krankenlager, hielt seine Hände und meinte mit seligem Lächeln:

„Egon, unsere beiden Ritter nehmen ein Bad im Weiher … Wenn Harst mich gestern nacht nicht in das Kavalierhaus getragen hätte, wenn er nicht so listig dich als totkrank hingestellt hätte, dann wäre ich wohl nie so schnell dein Bräutlein geworden …“

„Ja, ja, mein Schatz,“ lachte Blanden, „der Harst ist ein ganz geriebener Bursche … Der wußte, wie’s in deinem Herzen ausschaute … Der wollte uns das Verloben erleichtern …“ – –

Im Oktober gab’s auf Rittergut Weiherstein eine stille Hochzeit …

Harst und Schraut, Kommissar Dalber und die Gutsbeamten waren die einzigen Gäste …

Und abends nach der Hochzeitstafel schritt das junge Paar eng umschlungen zum blauen Weiher …

Hatten kaum die Grotte erreicht, als der Weiher in der Tiefe zu leuchten begann …

Rot, grün, gelb – in allen Farben erstrahlte das stille Wasser …

Ein köstlicher Anblick …

Eine Überraschung, die Harst und Schraut vorbereitet hatten …

Egon Blanden hielt sein Weib fest an sich gedrückt …

Und der Weiher glänzte und leuchtete, und die Weiden am Ufer schimmerten in wechselnden Farben …

So begann für die Liebenden die selige Hochzeitsnacht ……

 

 

Anmerkungen:

  1. Auf dem Titelbild heißt die Erzählung nur „Der blaue Weiher“ ohne die drei Auslassungspunkte.
  2. Doppeltes Wort „und“ entfernt.
  3. Seerose.
  4. Rechnungsführer.
  5. In der Vorlage steht: „Etwa“.
  6. Hier ist eine Zeile in der Vorlage um zwei Zeilen nach unten verrutscht.
  7. Jeanne-Antoinette Poisson, dame Le Normant d’Étiolles, marquise (Markgräfin) de Pompadour, duchesse (Herzogin) de Menars (1721–1764), kurz Madame de …