Sie sind hier

Der goldene Geiser

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Mein Familienheim erscheint wöchentlich.
Bestellungen nehmen alle Buch- und Zeitschriftenhandlungen an. Befindet sich eine solche nicht am Orte, so bestelle man beim
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26, Elisabethufer 44.

 

Der goldene Geiser.

 

von W. Belka.

 

1. Kapitel.

Die geheimnisvolle Jacht.

Auf der Fischermole des Hafens von Reykjavik, der Hauptstadt der zu Dänemark gehörenden Insel Island, standen ein paar deutsche Matrosen, die soeben von einem in der Nähe vor Anker liegenden Heringsdampfer an Land gekommen waren.

„Kein Zweifel – es ist die Jacht!“ meinte der eine, ein alter verwitterter Seebär mit einem aus tausend Fältchen bestehenden Gesicht, dessen Farbe zu einem Vollblutindianer besser gepaßt hätte als zu einem Sohne der friesischen Küste.

„Hast recht, Pieter – sie ist’s!“ brummte ein anderer. „Weiß der Teufel, wozu sie sich hier an den Küsten herumtreibt. Vor 14 Tagen tauchte sie plötzlich aus dem Nebel auf, als wir gerade das Heringsnetz schleppten, und dann sahen wir sie vier Tage darauf wieder so ziemlich an derselben Stelle, und so blieb’s denn bis vorgestern: alle vier Tage fuhr sie an uns vorüber mit ihrer weißen, leuchtenden Segellast. Immer stand derselbe Mann am Steuer, – ein Greis mit langem weißen Bart, und niemals war eine andere lebende Seele auf Deck zu erblicken … Das Gruseln konnte einen ankommen – – wahrhaftig!! – Und jetzt – jetzt läuft sie da soeben in den Hafen ein, jedoch mit gerefftem Zeug (Segel). Mithin besitzt sie auch einen Motor …“

Der, der so sprach, war nicht viel jünger als Pieter Johannsen, aber größer und breitschulteriger. Er hieß Karl Winkel und war Maschinist auf dem deutschen Heringsdampfer.

Der dritte der Gruppe, Peter Peterson, hatte bei dem Worte „Gruseln“ hell aufgelacht.

„Denkst wohl an den „Fliegenden Holländer“, Karl, – wie …?!“ meinte er schmunzelnd. „Ihr Wasserratten seid doch durch die Bank abergläubisch wie die alten Weiber!“

Sowohl Karl Winkel als auch Pieter Johannsen machten zu Petersons Bemerkung sehr ernste Gesichter.

Bevor der Maschinist dann noch etwas erwidern und abermals den „Fliegenden Holländer“ als etwas seiner Ansicht nach tatsächlich Existierendes verteidigen konnte, fragte die helle Knabenstimme Fritz Töndras, eines Neffen des Kapitäns des Heringsdampfers:

„Ob man nicht mal an Bord der geheimnisvollen Jacht gelangen könnte? – Dann wüßte man doch gleich, was es mit diesem Fahrzeug auf sich hat.“

Peter Peterson, der Schiffskoch, ein mittelgroßer, sehr magerer Mensch mit einem Gesicht wie ein Raubvogel, nickte dem Knaben freundlich zu.

„Da hast du soeben denselben Gedanken gehabt wie ich,“ meinte er. „Seht – die Jacht geht dort draußen vor Anker … Und wenn es etwas dunkler geworden, dann rudere ich mal mit unserer Jolle hinüber und schau’ mir den eleganten Kahn an. Ich gebe ja zu: irgend etwas Besonderes hat die Jacht vor! Und – ich bin mein Leben lang stets darauf versessen gewesen, allen Dingen auf den Grund zu gehen, sei’s, was es sei! Wenn ich nicht so abenteuerlustig wäre, könnte ich ja längst daheim in Kiel in meinem Häuschen als Rentier sitzen – längst! Wer wie ich seit 22 Jahren auf allen Meeren sich herumgetrieben hat und wer so sparsam wie ich war, der hat ’n ganz netten Batzen ehrlich zusammengekratzt.“

Fritz Töndras helle Augen hingen mit einem Ausdruck größter Bewunderung auf Peter Petersons bartlosem Gesicht, in dem eine schmale Hakennase und ein Paar schwarze, kleine Augen tatsächlich an einen Habicht erinnerten. Für den vierzehnjährigen Jungen, den sein Onkel auf seine inständigen Bitten hin einmal mit nach den isländischen Heringsfanggründen genommen hatte, zumal Fritz ja jetzt gerade der großen Ferien wegen in der Schule nichts versäumte, – für diesen lebhaften, kräftigen Knaben war der Schiffskoch der Inbegriff alles Abenteuerlichen und Eigenartigen.

Freilich: Peterson besaß ja auch wirklich recht viele Eigentümlichkeiten, die ihn vor anderen Seeleuten auszeichneten. Er hatte durch Selbststudium seine Allgemeinbildung so sehr erweitert, daß es eigentlich nichts gab, wovon er nicht eine Ahnung hatte. Hinzu kam noch sein zehnjähriger Aufenthalt in den Tropen und verschiedenen Stellungen als Koch bei größeren Forschungsexpeditionen, schließlich noch ein klarer, kritisch geschulter Verstand und eine seltene Menschenkenntnis. –

Die beiden älteren Seebären zuckten zu Petersons Plan nur die Achseln. Sie waren daran gewöhnt, daß er stets „ganz verrückte Gedanken ausheckte.“ – –

Die 15-Meter-Jacht, über die auf der Fischermole soeben so allerlei verhandelt worden war, hatte derweilen ihre Anker fallen lassen und sich unweit des Hafenausgangs für kurze Zeit festgelegt. Sie führte zu beiden Seiten des Bugs den Namen „Avanti“! (Vorwärts!), besaß zwei niedrige Deckaufbauten und sah von der Mastspitze bis zum kleinsten Messingnagel wie geleckt aus.

In der hinteren Kajüte saßen zwei Männer, während ein dritter, der durch seinen langen weißen Bart auffiel, vorn auf dem kieloben auf dem Deck liegenden kleinen Beiboot hockte und trübsinnig vor sich hinstarrte.

Dieser Greis, dessen Gesichtshaut von Wind und Wetter gegerbt war, hatte edle Züge und in den großen, dunklen Augen trotz aller Schwermut einen Ausdruck von Stolz und Willenskraft.

Jetzt hob er den halb gesenkten Kopf und schaute prüfend über den Innenhafen von Reykjavik hin, musterte die ankernden Dampfer und Segler mit einem gewissen Mißtrauen und ging dann mit schweren, wiegenden Schritten zu seinen beiden jüngeren Gefährten in die Wohnkajüte hinab. Er setzte sich auf das Wandsofa und sagte nun mit einer Stimme, deren ungebrochene Kraft deutlich für die Rüstigkeit des 70 Jahre alten Grafen von Santa Rocca sprach:

„Ich bin zu einem Entschluß gelangt. Wir werden trotz der Gefahr, die wir dadurch vielleicht heraufbeschwören, einen Arzt an Bord holen und Emilio von ihm untersuchen lassen. Mag dieser euch auch höchst verdächtig vorkommen: ich will nicht insofern zum Mörder werden, als ich einem Schwerkranken nur deshalb ärztliche Hilfe vorenthalte, weil ihr fürchtet, er könnte uns verraten. – Ich wünsche also, daß einer von euch sofort im Beiboot nach der Stadt rudert und einen Doktor holt.“

Er hatte deutsch gesprochen, obwohl er ein Spanier war. Er lebte jedoch seit vielen Jahren in Deutschland und betrachtete es als seine zweite Heimat.

Der jüngerer der beiden Männer hatte sich sofort erhoben.

„Ich werde also nach Reykjavik hinein, Herr Graf,“ sagte er respektvoll. „Ich mache jedoch nochmals darauf aufmerksam, daß ich den angeblichen italienischen Koch Emilio Parbutti für einen Betrüger halte, der nur Kranksein simuliert, um irgend etwas gegen uns in die Wege leiten zu können. Unsere wiederholte Weigerung, ihn in unsere Absichten einzuweihen, hat entweder seine Habgier oder seinen Ärger in dem Maße erregt, daß er durch heimtückische Schliche hinter unser Geheimnis kommen will.“

Der Greis machte eine kurze Handbewegung, in der gleichzeitig etwas Begütigendes als auch Befehlendes lag.

„Es bleibt bei meinem Entschluß, lieber Doktor,“ meinte er voller Würde.

Gleich darauf stieß das Beiboot vom „Avanti“ ab.

Graf Santa Rocca und Kapitän Johann Jensen schauten ihm schweigend nach. – Jensen, ein Freund des Chemikers Doktor Reinhold Taller, mißbilligte diese Entscheidung des Grafen vielleicht noch mehr als der Doktor. Aber er mochte Santa Rocca gegenüber nicht nochmals all die Dinge aufzählen, die mit Bestimmtheit dafür sprachen, daß der Koch der Jacht ein falscher Lump sei, zumal er ja von dem Greise für diese abenteuerliche Reise nach Island als Führer des „Avanti“ angeworben war und mithin in dessen Diensten stand. Anders verhielt es sich mit Doktor Taller. Der war ein guter Bekannter des Grafen, so daß er sich eher ein freieres Wort gestatten konnte.

Die beiden Männer stiegen dann wieder in die Kajüte hinab. Da der Koch krank war oder doch wenigstens krank zu sein vorgab, mußte Jan Jensen sich um die Zubereitung des Abendessens kümmern.

Inzwischen war es fast zehn Uhr abends geworden.

Reykjavik kennt jedoch ebensowenig wie ganz Island in den Monaten Mai bis September richtige Nächte. Die große Insel liegt eben schon so weit nördlich, daß die Sonne in den genannten Monaten kaum für einige Stunden unter dem Horizont verschwindet. Der längste Tag auf Island währt 21, der kürzeste (im Januar, wo die Sonne den Isländern sich nur kurze Zeit zeigt) dagegen nur vier Stunden.

Da man sich jetzt im Juli befand, blieb es selbst um die zehnte Abendstunde völlig hell. Trotzdem war es nun im Hafen still und einsam geworden. Alle Arbeit ruhte längst. Nur in den Kneipen ging es recht lebhaft zu.

 

2. Kapitel.

Alte Bekannte.

Peter Peterson und Fritz Töndra hatten mit der Jolle in aller Heimlichkeit den Fischdampfer „Cuxhaven III“ verlassen und hielten nun auf die Jacht zu.

Peterson ruderte, während Fritz das Steuer bediente. – „Erst einmal rings um die Jacht herum,“ meinte der Schiffskoch nun. „Viel Zweck hat ja diese Fahrt überhaupt nicht, da vorhin das Beiboot an Land ging, mit dessen baldiger Rückkehr wir also rechnen müssen. Ich hatte gehofft, die Leute der Jacht würden frühzeitig zur Ruhe gehen. Dann hätten wir vielleicht ganz dicht heran können. – Nun – warten wir ab …“

Fritz steuerte einen Kreis um das blitzsaubere, schlanke Fahrzeug. Peterson äugte scharf hinüber.

„Aha – „Avanti“ heißt sie!“ meinte er. „Und der ganzen Bauart nach stammt sie von der Werft von Keller & Johst in Hamburg. – Etwas dichter ran, Junge! – Auf Deck ist ja niemand zu sehen!“

Er ruderte nun mit aller Vorsicht, damit die Dollen nicht quietschten.

Fritz steuerte jetzt die Jacht von vorn an. Die beiden kamen ihr schließlich so nahe, daß Peterson plötzlich die Riemen einzog und sich an der niedrigen Reling des „Avanti“ festhielt. Als er sich dann im Boot vollends aufrichtete, hatte er den Eingang zu der ersten Kajüte gerade vor sich.

Auch Fritz stand auf. Da – in demselben Moment tauchte auf der Treppe, deren Dach der Aufbau bildete, ein Mann auf, prallte aber sofort zurück, als er Peterson und den Knaben bemerkte, stieß einen leisen, ärgerlichen Ruf aus und verschwand wieder nach unten.

Der Schiffskoch starrte wie versteinert dorthin, wo eben noch der angebliche Italiener Emilio Parbutti gestanden hatte. Dann murmelte er: „Das war doch der Szamorski …! Gift möchte ich drauf nehmen!“

Er wandte sich an Fritz. „Junge, hast du vielleicht verstanden, was der Mensch dort halblaut ausrief, bevor er eiligst verduftete?“

„Ja – ich glaube. Mir klang’s wie „Verfluchtes Pech!““

„Hm – daß der Szamorski sich über ein Wiedersehen mit mir nicht gerade freuen würde, war nach der Art unserer Bekanntschaft zu vermuten. Daß er aber bei meinem Anblick gleich an „verfluchtes Pech!“ dachte, läßt tief blicken.“

Er hatte diese Sätze sehr leise geflüstert.

Dann schaute er abermals nach der kleinen, überdachten Treppe hin.

Zu seinem Glück …! – Plötzlich duckte er sich blitzschnell hinter die Reling der Jacht, und fast gleichzeitig ertönte ein heller Schuß … Die Kugel pfiff über Peter Petersons Kopf jedoch unschädlich hinweg.

Nun brüllte der, der geschossen hatte, mit lauter Stimme:

„Herr Graf – Herr Graf – – Diebe – – hierher!“

Peterson zwinkerte seinem kleinen Freunde Fritz trotzdem vergnügt zu.

„Warte – dir werde ich die Suppe versalzen, feiger Bursche!“ meinte er und schüttelte die Faust nach dem Vorderaufbau hin. „Der Kerl wollte mich fraglos stumm machen …!“ Er kicherte in sich hinein. „Mich, Peter Peterson, stumm machen …!! Oh – jetzt werde ich gerade reden …!!“

Da erschienen der Graf und Kapitän Jensen auf Deck. Nach kurzem Hin und Her mußten Peter und Fritz mit in die Wohnkajüte. Hier klärte Peterson den Herren nochmals alles auf, – weshalb er und Fritz nach dem „Avanti“ gerudert wären und was sich dann soeben zugetragen hatte.

„Dieser Mensch, der hinterrücks auf mich feuerte, ist kein Italiener, sondern wahrscheinlich ein Russe,“ fügte er hinzu. „In Kalkutta wurde er vor vier Jahren wegen Mordes zum Tode verurteilt. Ich verlebte dort gerade ein paar lustige Wochen als Koch eines Engländers. Daher kenne ich jenen Prozeß ganz genau, ebenso wie ich Iwan Szamorski bereits früher verschiedentlich begegnet war. Er entsprang damals kurz vor seiner Hinrichtung. Ein halbes Jahr später sollte er in Sidney wegen Straßenraubes gehängt werden. Auch da entwischte er. – Ich kann den Herren nur raten, dem Burschen mit dem größten Mißtrauen zu begegnen.“

Graf Santa Rocca, der vorhin unten in der Kammer des Jachtkochs gewesen, bevor er Peterson und Fritz mit in die Kajüte genommen, sagte nun mit erregter Stimme:

„Parbutti behauptet, er hätte in dem Vorratsraum neben seiner Kammer ein Geräusch gehört, sei aus dem Bett gesprungen und habe einen Mann die Treppe hinaufflüchten sehen. In der Überzeugung, daß ein Dieb sich eingeschlichen hätte, wäre er diesem nachgeeilt und hätte einen Alarmschuß abgegeben. – Wem soll ich nun glauben? Ihnen beiden, die aus Neugier hierher gekommen sein wollen, oder meinem Koch, der Sie als Spitzbuben bezeichnet?“

Kapitän Jensen hatte bisher geschwiegen. Jetzt mischte er sich ein, denn dieses übertriebene Gerechtigkeitsgefühl des Grafen erschien ihm geradezu lächerlich.

„Herr Graf,“ meinte er hastig, „Parbutti hat noch vor einer Stunde mir gegenüber so getan, als könnte er vor Schmerzen kein Glied rühren. Und nun will er ganz plötzlich den Diebesfänger gespielt haben?!“

Peter Peterson nickte dem Kapitän zu. „Der Bursche lügt wie gedruckt, meine Herren. – Übrigens – wenn ich oder mein junger Freund hier tatsächlich in der Proviantkammer gewesen sein sollten, müßten wir diese doch erbrochen haben. Oder – wird sie unverschlossen gehalten?“

Der Graf schüttelte den Kopf. „Nein, ich selbst habe den Schlüssel und gebe stets selbst heraus, was nötig ist.“

Jan Jensen hatte schon die Kajüte verlassen. Als er nach wenigen Minuten wieder erschien, rief er:

„Die Jolle ist weg …! Der Schurke ist geflohen, Herr Graf!“

Peterson zuckte die Achseln. „Kein Wunder, daß er sich hier nicht mehr wohlfühlte! Er sah sich eben durchschaut!“

Der Greis seufzte tief auf. „Immer wieder enttäuschen mich die Menschen, immer mehr sehe ich ein, daß ich allen Grund habe, mißtrauischer zu werden …! Mein bester Freund betrog mich um den Lohn jahrelanger Forschungen, und dieser Parbutti, dem ich vor kurzem das Leben gerettet, als er bei einem Sturm über Bord gewaschen wurde, zeigt sich uns nun als Lügner und noch weit Schlimmeres …!“

Während Peterson nun nochmals eingehender erzählte, daß lediglich das häufige Auftauchen der Jacht in der Nähe des Fischdampfers seine Neugier geweckt hätte, erschien Doktor Taller und berichtete, er sei dicht am Hafenbollwerk Parbutti in der Jolle begegnet, und dieser habe ihm zugerufen, er würde sofort zur Polizei eilen und dafür sorgen, daß der „Avanti“ genau durchsucht würde.

Der Graf sprang auf. „Gefährten,“ rief er, „keine Sekunde dürfen wir zögern! Anker auf, und hinaus ins freie Meer …!! Ihr wißt, weshalb …“

Dann wandte er sich an Peterson und Fritz:

„Es tut mir leid, aber – Sie beide müssen zunächst an Bord bleiben! Wir könnten Sie nur mit dem Beiboot an Land schicken. Dieses jedoch brauchen wir. Uns treibt eine dringende Notwendigkeit eiligst von hier fort. Es geht nicht anders: Sie müssen ein paar Tage meine Gastfreundschaft annehmen, bis sich Gelegenheit bietet, Sie irgendwo auszubooten.“

Peterson verneigte sich höflich. „Herr Graf, unser Dampfer liegt mit schwerem Maschinenschaden hier im Hafen. Es kann zwei Wochen dauern, bis er repariert ist. Wir haben also nichts zu versäumen. Ich bin bereit, an Parbuttis Stelle Ihr Koch zu werden, und mein Freund Fritz wird auch gern zugreifen, wo er nur kann. Was Sie auch vorhaben mögen: etwas Schlechtes ist es sicherlich nicht! Wir werden Ihnen treue Gefährten sein!“

Doktor Taller beriet leise mit dem Grafen. Dann reichte dieser Peterson und Fritz die Hand. „Gut – ich verpflichte Sie beide zu Verschwiegenheit und Gehorsam, begrüße Sie gleichzeitig als Mitglieder der Besatzung des „Avanti“ …!“

 

3. Kapitel.

Das Geheimnis des Grafen Santa Rocca.

Drei Tage später segelte die Jacht bei frischem Nordost in den meilenweit in das Land einschneidenden Arnar-Fjord hinein. Dieser liegt im nordwestlichen rauhesten Teile der Insel Island, deren Boden- und Klimaverhältnisse für eine Besiedelung derartig ungünstig sind, daß auf den Quadratkilometer des bewohnbaren Teiles noch nicht zwei Menschen kommen.

Das Innere der Insel ist bekanntlich zumeist von Gletschern oder unfruchtbaren Hochebenen ausgefüllt. Nur die Küstenstriche gestatten etwas Ackerbau und Viehzucht. Diese weiten Gletscher- und Hochebenen sind bisher sehr wenig erforscht. Niemand hat ein Interesse, sich in diese Eis- und Felsenwildnis hineinzuwagen. Nur die zahlreichen noch tätigen Vulkane der Insel und die überall vorhandenen, häufig recht hohen heißen Springquellen haben bei den Naturforschern größere Beachtung gefunden. Der bekannteste der isländischen Vulkane ist der 1500 Meter hohe Hekla. Im ganzen enthält die Insel 29 feuerspeiende Berge, von denen 7 wieder ganz regelmäßig in stets gleichbleibenden Zwischenräumen Asche, Lava und brennende Gasmassen von sich geben.

Peter Peterson war gerade mit der Zubereitung des Mittagessens fertig, als die Jacht in einer engen Seitenbucht des Fjordes Anker warf.

Bis zu 100 Meter Höhe stiegen hier die Felsen steil aus dem Wasser auf und türmten sich weiterhin zu einem mächtigen Gebirgsstock empor, dessen hochgelegenere Teile im Sonnenlicht weiß aufleuchteten.

Die Besatzung des „Avanti“ nahm heute gemeinsam auf Deck in zwangloser Weise die Mahlzeit ein.

Der Graf war schweigsam wie immer. Als Peterson dann den Kaffee brachte, als die Männer sich dazu eine Zigarre leisteten, begann der Greis ganz unvermittelt:

„Wir drei, der Doktor, Jensen und ich, haben beschlossen, euch beide, die ihr euch als treue Gefährten bewährt habt, in unsere Absichten einzuweihen. – Hört mich also an. –

Ich bin aus meiner Heimat Spanien vor dreißig Jahren geflohen, weil man mich politischer Umtriebe verdächtigt hatte und mich, vielleicht für Lebenszeit, einkerkern wollte. In Deutschland widmete ich mich hauptsächlich geschichtlichen Studien. Ich habe unter anderem ein Werk über die Geschichte Islands geschrieben. Die Vorarbeiten zu diesem Buche machten es nötig, daß ich die Bibliotheken in Kopenhagen, Christiania[1] und Reykjavik aufsuchte und uralte Chroniken einsah. Hierbei fand ich nun in einer von einem Mönche verfaßten Schrift ein Blatt Pergament, das ein seltsames Tier darstellte, dessen innere Organe ebenso merkwürdig geformt waren. Auf der anderen Seite des Pergamentblattes stand wieder in einer Schrift, die mir bisher völlig unbekannt war, ein achtzehn Zeilen umfassendes Gedicht. Ich nahm wenigstens der Niederschrift nach an, es handele sich um ein Gedicht. Zehn volle Jahre habe ich fast täglich zwei bis drei Stunden über diesem Blatte gebrütet und versucht, die Schrift zu entziffern und herauszufinden, was das seltsame Tier wohl bedeuten sollte. Dann hatte ich endlich Erfolg. – Ich erkannte, daß das merkwürdige Geschöpf absichtlich als Tier gezeichnet war, in Wirklichkeit aber die Insel Island vorstellte mit ihren zahlreichen Gebirgen, Gletschern und Hochebenen. Dies waren die inneren Organe eben.

Und die mir unbekannte Sprache der Schrift? – Sie war nichts anders als eine Geheimschrift, die jener Mönch ausgeklügelt hatte, um so der Nachwelt ein Geheimnis besonderer Art zu hinterlassen. – Der Mönch Baldianus hatte bei einer seiner Reisen ins Innere der Insel zufällig eine heiße Springquelle entdeckt, deren 1 Meter dicke, alle Tage einmal etwa bis zu 30 Meter Höhe hochschießende Wassersäule regelmäßig eine Menge reiner Goldkiesel mit hochriß, so daß die Umgebung des Geisers – so nennt man bekanntlich diese in bestimmten Zwischenräumen hochsprudelnden Quellen – von gediegenem Golde buchstäblich gepflastert war.

Baldianus, der als Mönch sehr wohl wußte, wie verderblich die Goldgier dem Charakter der Menschen werden kann, verschwieg seine Entdeckung absichtlich, fertigte eine Karte von Island in Gestalt eines Tieres an und zeichnete in diese den Goldgeiser auf so vorsichtige Weise ein, daß niemand den Weg dorthin finden konnte, wenn er nicht auch die Geheimschrift entziffert hatte. – Aber auch dann ist es sehr schwierig, diesen Weg auf der Karte zu enträtseln. Hierauf komme ich sofort noch zu sprechen. –

Bei meinen Versuchen, das geheimnisvolle Dokument zu enträtseln, half mir nun gelegentlich mein bester Freund, gleich mir ein geborener Spanier, ein vielgereister, sehr gebildeter Mann namens Alvaro de Korbaro. Er, der jedoch an keine Sache mit der nötigen Geduld heranging, vermochte auch für das Pergamentblatt ein nur immer für kurze Zeit aufflackerndes Interesse zu bezeigen. Jedenfalls war ich’s ganz allein, der es schließlich entzifferte.

Ich zögerte dann keinen Augenblick, Korbaro die Mönchshandschrift in der Übersetzungen vorzulegen und ihm auch die Karte der Insel zu erläutern. Drei Tage darauf war er aus Hamburg, meinem ständigen Wohnsitz, verschwunden – samt dem Dokument und allen Aufzeichnungen, die ich mir darüber gemacht hatte.

Ich ahnte sofort die ganze Treulosigkeit und Heimtücke dieses Mannes. Er hatte sich fraglos nur deshalb gelegentlich nach dem Dokument erkundigt, um, falls es ein wertvolles Geheimnis enthielt, rechtzeitig davon zu erfahren und mich um den Lohn vieler Jahre Arbeit zu betrügen.

Korbaros Flucht und Diebstahl liegt nun fünf Jahre zurück. Ich war durch diese Enttäuschung, meinen scheinbar besten Freund als gemeinen Spitzbuben entlarvt zu sehen, so vollständig seelisch gebrochen, daß ich mich völlig von den Menschen zurückzog und nun ganz zum Einsiedler wurde. Ich bin nicht reich, und das Gold des Geisers hätte es mir ermöglicht, manche meiner weitschauenden Pläne, den Ärmsten der Armen zu helfen, zur Ausführung zu bringen. All das mußte ich nun wieder aufgeben. Denn dem Diebe nachzueilen, der ja sicher nach Island gegangen war, um sich das Gold anzueignen, dazu war ich zu stolz. Ich allein hätte hierbei auch kaum etwas ausgerichtet. Und noch anderen Leuten oder gar den Behörden Mitteilung von jenem goldenen Geiser zu machen, davon hielt mich die Überzeugung ab, durch mein Geheimnis noch anderen Menschen die verderbliche Goldgier, die schon so viel Unheil gestiftet, ins Herz zu pflanzen.

Dann aber lernte ich zufällig hier meinen jungen Freund, den Chemiker Doktor Taller kennen. Er, der von seinem Vater selbst Millionen geerbt hat, erschien mir bald als der geeignete Mann, ihm uneingeschränktes Vertrauen zu schenken.

Kaum hatte er alles, was mit dem Pergamentblatt, dem Goldgeiser und dem falschen Korbaro zusammenhing, von mir erfahren, als er mir an der Hand alter dänischer Zeitungen bewies, daß Korbaro in Reykjavik tatsächlich damals zusammen mit drei portugiesischen Matrosen ins Innere aufgebrochen, aber nie wieder irgendwo aufgetaucht wäre.

Weiter las er mir dann einen Zeitungsartikel vor, in dem ausgeführt war, daß die Regierung Islands, das seit dem Jahre 1903 eine eigene Verwaltung unter einem einheimischen Minister hat, vor zwei Jahren ein strenges Verbot erlassen hatte, durch welches die Suche nach jenem sagenhaften Goldgeiser bei hoher Freiheitsstrafe verboten wurde. Zu diesem Verbot hatte die Regierung sich entschließen müssen, da seit Jahrzehnten immer wieder ein paar Wagehälse sich fanden, die in die Eis- und Steinwüsten Innerislands eingedrungen waren, ohne daß je ein einziger zurückgekehrt wäre.

Aus diesem Artikel ging also hervor, daß das Geheimnis des Mönches Baldianus doch in Form einer halben Sage sich auf der einsamen Insel unter den Bewohnern weitervererbt hatte.

Doktor Taller, der eine eigene Segeljacht besaß, wußte mich nun weiter dazu zu bestimmen, den Versuch zu machen, lediglich nach den Ortsangaben über die Lage jenes Geisers, die in meinem Gedächtnis haften geblieben waren, den Goldsprudel zu finden. Er überließ mir seinen „Avanti“ für die Fahrt nach Island, half mir bei den Zurüstungen der Expedition und begleitete mich dann auch bei diesem abenteuerlichen Unternehmen, dessen Erfolg mehr als zweifelhaft war.

Nun werden Sie, Peter Peterson, begreifen, weshalb Ihr Fischdampfer uns so oft an jener Stelle der westlichen Küstengewässer Islands begegnete, weshalb die Jacht stets wie ein Geisterfahrzeug ohne Gruß an Ihnen vorüberglitt. Wir suchten damals eben jenen Fjord, in den man zunächst hineinsteuern mußte, um den von dem Mönche vorgezeichneten Landweg zu finden; nun werden Sie auch verstehen, warum wir so eilig aus Reykjavik flüchteten, als der Schurke Parbutti gedroht hatte, die Hafenpolizei zu benachrichtigen und den „Avanti“ durchsuchen zu lassen. Die Jacht enthält ja alles, was nötig ist, um bis in die entlegensten Bergregionen Islands vorzudringen –: Dauerproviant, Pelze, Waffen, einen besonders konstruierten Motorwagen, der jetzt noch in mehrere Teile zerlegt ist, und anderes mehr. – Wäre also die Polizei an Bord gekommen, dann hätte sie sofort gemerkt, was wir vorhatten, dann wären wir vielleicht bestraft oder es wäre doch jedenfalls unser Unternehmen für alle Zeit unmöglich geworden.

So, Peter Peterson und Fritz Töndra, nun wißt Ihr alles. Ihr seht, welches Vertrauen ich euch schenke. Seid dessen würdig, enttäuscht mich nicht, haltet treu zu mir! Es soll euer Schade nicht sein!“

Petersons schlaues Raubvogelgesicht strahlte förmlich vor Freude und Genugtuung. Wie zum Schwur hob er die Hand, sagte feierlich: „Herr Graf, ich bin treu und bleibe treu! Sie haben in mir einen Gefährten gewonnen, der sich den Wind sämtlicher fünf Erdteile gehörig hat um seine Hakennase wehen lassen – gehörig! Ich stehe in allem meinen Mann!“

Und Fritz erklärte nicht minder feierlich: „Petersons Worte sind meine Worte! Nur mit den fünf Erdteilen, Herr Graf, – das stimmt nicht ganz …!!“

Graf Santa Rocca lächelte ein wenig, reichte beiden dann die Hand mit festem Druck.

 

4. Kapitel.

Unterwegs zum goldenen Geiser.

Und abermals begann der rüstige Greis zu sprechen:

„Es war eine schwierige Sache, lediglich dem Gedächtnis nach diesen Fjord zu finden, und besonders diese enge Seitenbucht. Jetzt aber weiß ich auch mit aller Bestimmtheit, daß wir auf dem richtigen Wege sind! Und noch heute werden wir mit den Vorbereitungen zur Fortsetzung unserer Expedition auf dem Lande anfangen. – Nach dem alten Dokument des Baldianus muß es hier in dieser Felsenbucht mit ihren himmelhohen Wänden den Zugang zu einem unterirdischen Kanal geben, der den nach Osten zu uns den Weg versperrenden Höhenzug in seiner ganzen Ausdehnung durchschneidet. Zu allererst müssen wir also nach diesem Zugang suchen, der höchstwahrscheinlich so verborgen liegt, daß es unseres größten Scharfsinns benötigen dürfte, ihn zu entdecken. – Ich wünsche also, daß zwei von uns im Beiboot nach diesem Kanal sich umschauen. Wir anderen werden inzwischen hier an Bord mit den Zurüstungen für die Landreise beginnen.“

Peterson meldete sich sofort und bot an, zusammen mit Fritz die Bucht bis in den fernsten Winkel entlangzurudern. – „Wenn es hier einen solchen Kanal gibt, Herr Graf, dann finde ich ihn auch,“ meinte er, und seine dunklen Augen blitzten dabei unternehmungslustig.

Der Greis war einverstanden. Bevor die beiden dann aber von der Jacht abstießen, überreichte er jedem noch einen geladenen Revolver und eine Handvoll Patronen, sagte dazu: „Man kann nie wissen, was sich ereignet. Wir müssen fortan auf alles gefaßt sein! Ich traue es dem Schurken Parbutti sehr wohl zu, daß er uns nur mit der Polizei zum Schein gedroht, in Wahrheit aber andere Absichten hat. Wenn ich ihn in mein Geheimnis auch nicht eingeweiht habe, so dürfte er den Doktor, Kapitän Jensen und mich doch einmal belauscht und so mehr gehört haben, als uns lieb sein kann.“ – –

Peter ruderte und sein kleiner Freund steuerte. Eine volle Stunde hatten sie nun bereits die Felsenbucht, die zahlreiche, noch engere Abzweigungen hatte, genau durchsucht. Peter war trotzdem guten Mutes, meinte jetzt zu Fritz: „Der Graf scheint recht zu haben. Ohne Scharfsinn ist der Kanal nicht zu finden. Also – gehen wir mal mit dem Verstande vor, nachdem unsere Augen bisher blind geblieben sind. – Rudere ganz langsam, mein Junge. Die Bucht verläuft nach Norden zu. Mithin brauchen wir nur das Ostufer und die östlichen Seitenbuchten zu prüfen.“

Nach weiteren zehn Minuten kamen sie jetzt zum zweitenmal in eine Abzweigung, die fast so breit wie die Hauptbucht war und rechtwinklig von dieser abbog. Sie war etwa dreihundert Meter lang und behielt trotz vielfacher Windungen doch stets die Hauptrichtung nach Osten bei.

Nun hatte sie ein Ende, nun wollte Fritz aufs neue enttäuscht zurückrudern. Da rief Peter ihm ein lautes „Halt!“ zu, deutete auf die Steilwand im tiefsten Winkel dieser Nebenbucht und sagte: „Mit dem Verstande wollen wir suchen! Blicke dorthin, Junge! Was siehst du? –: einen glatten, senkrecht ansteigenden Teil des Ufers, der oben eine Menge Krüppelkiefern trägt, die sich in den Spalten des Gesteins angesiedelt haben. Und von diesen Kiefern zieht sich wie ein grüner dicker Vorhang ein Netz von Schlinggewächsen bis zum Wasserspiegel herab, und zwischen diesen Ranken wieder hat sich das dichte isländische Moos überall eingenistet, so daß das Ganze wie ein einziger Teppich wirkt. – Vorwärts! Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß ein Teil dieses immergrünen Vorhangs ein Loch in der Steilwand verdeckt – eben den Zugang zu dem Kanal!“

Fritz steuerte das Beiboot bis an die dicht bewachsenen Felsen heran. Dann nahm Peter eines der Ruder und stocherte in dem Pflanzengewirr herum. Plötzlich merkte er, daß dieses nicht auf den Felsen auflag, sondern ohne Zweifel frei herabhing. Noch zwei Stöße mit dem Ruder, und er war seiner Sache sicher.

Ein leises „Endlich!“ entrang sich seinen Lippen. –

Gleich darauf schoß das Beiboot in schnellster Fahrt dem Ankerplatz der Jacht wieder zu. Noch hatte es die Seitenbucht nicht verlassen, als Fritz dem Schiffskoch zuraunte:

„Peter, – Peter, ich glaube, ich habe da oben in jenem Einschnitt der Uferwände die Gestalt eines Mannes gesehen …! Sie verschwand sofort, als ich hinschaute …“

Peterson hörte sofort zu rudern auf. Da sich dort drüben jedoch nichts mehr zeigte, griff er alsbald wieder zu den Riemen und meinte, Fritz würde sich wohl getäuscht haben.

Als der Graf das Beiboot bemerkte, fragte er bereits, bevor die beiden Insassen noch an dem „Avanti“ angelegt hatten:

„Nun – habt ihr Glück gehabt?“

„Gefunden, Herr Graf, – gefunden!!“ erklärte Peter vergnügt. „Und der Kanal ist so breit und so hoch, daß wir in ihn mit der Jacht entlang fahren können, wenn wir den Mast herausnehmen!“

Als Graf Santa Rocca dann aber auch von der Gestalt hörte, die Fritz erblickt zu haben glaubte, wurde er sehr ernst.

„Wenn es nur nicht Parbutti gewesen ist,“ murmelte er. „Wir werden mit größter Vorsicht zu Werke gehen müssen! Schade, daß die Nächte hier jetzt so hell sind. Sonst würde ich erst bei völliger Dunkelheit in den Kanal einfahren und zwar so, daß der Pflanzenvorhang möglichst unbeschädigt bleibt.“

Er war daher auch sehr zufrieden, als sich gegen acht Uhr abends ein schweres Gewitter über diesem Teile der Insel entlud und ein wolkenbruchartiger Regen herniederkam, in dem man kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

Trotz der wie aus Eimern herabstürzenden Wassermassen wurde auf der Jacht nun mit Anspannung aller Kräfte gearbeitet, um den Mast zu entfernen. Als dieser dann lang auf dem Deck lag, wurde das Beiboot vor die Jacht gespannt und schleppte sie (man wollte das Geräusch des Motors vermeiden!) nach jener Seitenbucht bis dicht vor den verborgenen Kanaleingang hin. Peterson und Jensen lief trotz des kalten Regens der Schweiß über die erhitzten Gesichter, denn sie beide saßen ja im Beiboot und schleppten den „Avanti“.

Nun wurde in aller Stille der Pflanzenteppich in der Mitte des weiten Felsenloches der Länge nach aufgeschnitten, so daß man mit der Jacht leidlich bequem hindurchkam und hinter dieser die geteilten Vorhänge sich wieder schlossen. All das war bei tiefster Dunkelheit erledigt worden, und erst, als der „Avanti“ dann die erste Krümmung des Kanals hinter sich hatte, wurden auf dem Mittelaufbau zwei Acetylen-Scheinwerferlaternen angezündet, deren weiße Lichtkegel diesen natürlichen Tunnel weithin beleuchteten.

Jensen warf nun auch den Motor an, und in langsamer Fahrt glitt die Jacht durch diesen unterirdischen, wassergefüllten Felsengang dahin, in dem das Rattern des Motors sich zu einem donnernden Dröhnen infolge der Schallwirkung der Deckenwölbung verstärkte.

Jetzt erst konnten die Insassen des schlanken Fahrzeugs auch daran denken, trockene Sachen anzulegen. Nach einem gemeinsamen Abendbrot auf Deck gingen alle bis auf Jensen und Fritz, die bis zwei Uhr morgens die Jacht steuern und auf den Motor achtgeben sollten, zur Ruhe.

Der Kanal hatte eine sehr verschiedene Breite und Höhe. Es kamen Stellen vor, wo der „Avanti“ gerade noch mit knapper Not hindurchschlüpfen konnte. Dann wieder durchfuhr man förmliche Seen, deren Felsdecke so hoch war, daß der Lichtschein der Laternen nicht hinaufreichte. Die Luft hier war fast eisig kalt, so daß Jensen und Fritz sehr bald aus den Vorratsräumen vorn sich Pelzmäntel holten.

Um 2 Uhr morgens löste der Graf und Doktor Taller sie ab. Und um 9 Uhr vormittags, als die ganze Jachtbesatzung gerade auf Deck frühstückte, gewahrte man in der Ferne einen hellen Schimmer von Tageslicht. Der Kanal mündete hier in einen großen See, dessen westliches Ufer von schroffen Bergen umgeben war, während die anderen Uferpartien ganz flach in eine weite Hochebene übergingen.

Einen vollen Tag brauchte man dann, bis aus der am Ostufer des Sees verankerten Jacht alles an Land geschafft war, was man mitnehmen mußte, um alle Schwierigkeiten dieser Reise ins Ungewisse hinein überwinden zu können.

Peter und Fritz sahen nun mit Staunen, wie praktisch der Motorwagen konstruiert war, der die Reisenden und das Gepäck über die Hochebene hinwegführen sollte, die nach den Angaben des Geheimdokuments zu überwinden waren, bevor man die vergletscherten Berge erreichte, in denen der Goldgeiser lag.

Der Motorwagen hatte als Antrieb hinten einen in einem Drahtschutzgitter laufenden Propeller ähnlich dem einer Flugmaschine. Dies bot den Vorteil, daß die Räder, die mit starkem Gleitschutzbeschlag versehene Pneumatiks besaßen, sehr hoch sein und auf nach oben gewölbten Achsen laufen konnten, wodurch man bequem über kleinere Steine und Felsen hinwegfahren durfte, ohne fürchten zu müssen, daß die Achsen oder die Maschinerie beschädigt würde. Ferner konnten an die Achsen an Stelle der Räder vier breite Schlittenkufen angeschraubt werden. Mithin ließ sich der Wagen auch in einen Motorschlitten umwandeln. –

Am nächsten Mittag, nach der Durchquerung des Kanals, gab der Graf den Befehl zum Aufbruch. Doktor Taller spielte den Schofför. Die anderen saßen hinten in dem Wagen zwischen den Kisten, Säcken und Tonnen der Ladung. Der Propeller begann sausend sich zu drehen. Dann ruckte das schwere Gefährt an, rollte die sanfte Ufersteigung im Bogen hinauf und war nun auf einer jener sogenannten Heidar, d. h. Hochebenen mit sanften Wellenhügeln und dünner Grasdecke, die in Innerisland mit den horizontalen Lavafeldern, Hraun genannt, abwechseln.

Noch einen letzten Blick warfen unsere Abenteurer nach dem dunklen Schlund zurück, der den Ausgang des Kanals am Westufer des Sees darstellte. Dort drinnen lag nun der „Avanti“ vertäut, während man das Beiboot am Oststrande zurückgelassen hatte.

Würde man die Jacht jemals wiedersehen?! – Dieser Gedanke bewegte wohl alle Insassen des nun immer eiliger davonrollenden Motorwagens. Doch keiner von ihnen ließ ein Wort über diese ernsten Gedanken fallen. Hier in der kühlen, frischen, sonnenscheingetränkten Luft der endlos weiten Hochebene erschienen allen die Gefahren und Hindernisse, die noch vor ihnen lagen, so unbedeutend, daß sie sehr bald lediglich noch an das ferne, lockende Ziel mit seinen Goldschätzen wie an etwas dachten, das sie ganz bestimmt erreichen würden.

Nach dreistündiger, ununterbrochener Fahrt, bei der sich der Motorwagen vortrefflich bewährte, mußte man notgedrungen rasten, da die Hochebene hier einen anderen Charakter annahm, den der sogenannten Halfar, d. h. Hügelreihen, die von Schuttflächen und Sumpfstellen durchzogen sind. Jetzt war es nötig, daß stets einer der Gefährten dem Wagen vorauseilte und einen für diesen passierbaren Weg suchte. Wieder erboten sich Peter und Fritz freiwillig dazu, diese Pfadfinder zu spielen. Der Schiffskoch nahm dann eine der modernen Doppelbüchsen mit, da man verschiedentlich unterwegs in der Ferne Renntierherden bemerkt hatte, und da er hoffte, eines der scheuen Geschöpfe erlegen zu können.

Das Renntier ist erst im Jahre 1770 auf Island eingeführt worden, hat sich in der Freiheit schnell vermehrt und lebt im Innern in großer Menge in völliger Freiheit.

Fritz war glücklich, daß er neben seinem geliebten Peter zu Fuß dahinwandern konnte. Die Fahrt im Motorwagen war ihm bereits nach einer halben Stunde herzlich langweilig geworden. Stillsitzen war überhaupt nicht seine Sache. – Nun bat er Peter so lange, bis dieser ihm die Büchse überließ. Der Koch wußte ja, daß der Junge mit Schußwaffen sehr gut umzugehen verstand.

Sie schritten in flottem Tempo immer in den Tälern zwischen den Hügeln dahin. Sobald es ihnen fraglich erschien, ob der Weg sich für den Wagen eigne, winkten sie und prüften erst genau die Befahrbarkeit des Geländes, bevor sie den Gefährten das Zeichen zum Nachfolgen gaben.

Fritz war jetzt einige fünfzig Meter vorausgeeilt, da er eine Herde Renntiere erblickt hatte, die am Rande eines Sumpfes weidete. Gedeckt durch die hier nur strauchartig vorkommende Birke (die geringen Waldflächen Islands sind infolge schlechter Forstwirtschaft ganz verschwunden, und auf den Hochebenen gibt es lediglich hier und da kleine Ansammlungen von Birken und dürftigen Krüppelkiefern), schlich er auf die etwa dreißig Stück zählende Herde zu. Als er ihr dann bis auf hundert Meter nahegekommen war, hob das Leittier argwöhnisch den Kopf und windete nach Osten hin, woher ein frischer Lufthauch wehte.

Gleichzeitig vernahm der Junge aber auch undeutlich Hundegebell. Der Graf hatte nun die Abendstunden auf der Jacht häufig dazu benutzt, seine Gefährten mit Hilfe eines eingehenden Werkes über Island mit dessen Natur und Eigentümlichkeiten vertraut zu machen, so daß Fritz sofort an jene verwilderten Hunde dachte, die die Hochflächen hier rudelweise durchziehen und die ebenso gefährlich wie Wölfe sind.

Die Isländer sind große Hundefreunde. Auf jeder der weit zerstreuten Besitzungen werden stets mehrere gehalten. Da konnte es nicht ausbleiben, daß bei der geringen Besiedelung des Landes zahlreiche Hunde sich gänzlich von ihren menschlichen Herren lossagten und bald verwilderten, sich zu Rudeln zusammenfanden und nun als die eigentlichen Herren der öden Hochebenen herumvagabundierten. Der isländische Hund gleicht dem Polarhund, ist nur hochbeiniger, aber ebenso abgehärtet und weit kräftiger. Um diese so gefährlich gewordenen Bestien kümmert sich niemand. Wenn nicht jährlich soundso viele während des harten Winters durch Schneestürme umkommen würden, würden sie längst zur Landplage geworden sein.

Das Gebell kam näher. Dann setzten sich die Renntiere plötzlich in Galopp und rasten dicht an Fritz in wilder Flucht vorüber. Eine bessere Gelegenheit zu einem Schuß bot sich kaum. Er feuerte auf ein Jungtier, und es brach auch alsbald zusammen.

Gerade als Fritz nach seiner ersten größeren Jagdbeute hinlief, rief ihm Peter warnend zu:

„Junge – zurück zum Auto …!! Die Hunde …!!“

Fritz schaute sich um. Und wirklich …! Da löste sich aus einem Birkengebüsch erst ein einzelner Hund heraus, ihm folgten gut zwanzig weitere, die nun auf den Knaben losstürmten.

Dieser erkannte die Gefahr, begann zu fliehen. Zum Glück war der Motorwagen kaum noch 150 Meter entfernt. Trotzdem hätten die Hunde den Jungen erwischt und zerrissen, wenn nicht die Insassen des Wagens schnell zu den Büchsen gegriffen hätten. Die Schüsse und der Tod von fünf ihrer Kameraden ließ die Bestien zunächst eiligst das Weite suchen. Aber sie kehrten bald zurück, erhielten sogar noch Verstärkung und blieben nun in der Nähe des Wagens, der jetzt, wo eine Fortsetzung der Fahrt ohne Wegweiser unmöglich war, eine regelrechte Belagerung durchzumachen hatte. Als alles nichts half, um die Bestien zu verscheuchen, mußten die Insassen des Wagens schließlich zum Angriff übergehen. Mit Schrotschüssen räumte man dann derart unter den Hunden auf, daß die anderen plötzlich wie von einem panikartigen Schrecken erfaßte davonrasten.

Gegen neun Uhr abends hatte man die Halfar überwunden und gelangte auf eine sanft ansteigende Ebene, wo es nur noch stellenweise spärliches Gras gab. Hier wurde gerastet, denn die Gletscher des Gebirges im Osten waren nun bereits so nahe gerückt, daß man sie in zwei Stunden etwa zu erreichen hoffte.

Gemeinsam lagerte man neben dem Wagen auf Decken auf der Erde und schaute Peter zu, der über einem offenen Feuer Teewasser und eine warme Mahlzeit kochte. Heute erblickte man auch zum erstenmal am nördlichen Horizont die wunderbare Erscheinung eines Nordlichts, jener auf elektrische Ursachen zurückzuführenden Lichtstrahlen, die eins der prächtigsten Schauspiele darbieten, die man sich nur denken kann.

 

5. Kapitel.

Der Überfall auf dem Gletscher.

Nach der Mahlzeit machte sich Graf Santa Rocca, begleitet von Doktor Taller, auf den Weg, um nach einem besonders geformten Steinhügel zu suchen, den der Mönch als Wegmarke in seiner Geheimschrift erwähnt hatte. Nach zwei Stunden fanden sie diesen Hügel auch, der von Westen betrachtet etwa einem sitzenden Hunde glich.

Nun war der Graf wieder beruhigt. Er hatte schon gefürchtet, man könnte die Richtung verfehlt haben.

Gegen Mitternacht fuhr der Motorwagen, da es ja bei klarem Himmel stets fast taghell blieb, zunächst auf einen hochragenden, schneegekrönten Berg mit zwei sich am Horizont deutlich abhebenden Spitzen zu.

Der Graf hatte richtig vorausgesagt: kurz nach halb drei Uhr morgens gelangte man an ein endloses Feld von Steintrümmern, das den Ausgang eines riesigen Gletschers bildete.

Mit der Wagenfahrt war es nun vorbei. Ein vierstündiger Marsch der wieder als Pfadfinder vorausgeschickten beiden Freunde Peter und Fritz ergab die Unmöglichkeit, das Auto weiter zu benutzen. Es mußte hier zurückgelassen werden.

Jetzt galt es, die drei kleinen Zugschlitten zu beladen, mit denen man den Hauptteil des Gepäckes über die Eis- und Schneewüste hinüberschaffen wollte. Diese Arbeit wurde jedoch erst nach siebenstündiger Ruhepause begonnen. Und abermals gegen Mittag setzte sich dann die Expedition nunmehr zu Fuß in Marsch. Der Motorwagen war mit einer großen Plane bedeckt worden, deren auf der Erde aufliegende Teile man mit Steinen beschwert hatte. Die drei Schlitten wurden, nachdem sie auf das Gletschereis getragen worden waren, von Taller, Jensen und Peter durch breite Gurte, die über die eine Schulter gingen, gezogen. Den Vortrab bildeten der Graf und Fritz. Jeder der Gefährten trug an den Stiefeln Eissporen, und in der Hand einen Bergstock aus Bambus mit starker Eisenspitze.

Der Gletscher stieg nur allmählich an. Trotzdem war das Ziehen der schwer beladenen Schlitten eine Anstrengung, die die drei Gefährten nur immer kurze Zeit aushielten.

Hier in dieser Eiswüste, wo es empfindlich kalt war und jeder sich in Pelzkleidung gehüllt hatte, wußte der Graf über die nunmehr einzuschlagende Richtung nichts weiter, als daß man den Berg mit den beiden Spitzen zur Linken liegen lassen und nach Überwindung des Gletschers in ein kahles Felsental hinabsteigen müßte, das von Nord nach Süd verlief und dem man dann nach Norden zu folgen sollte.

Bereits nach fünf Stunden waren die drei Schlittenleute außerstande, heute noch weiter zu marschieren. Es wurde also das Lager aufgeschlagen und zwar auf einer Geröllhalde mitten auf dem Gletscher in Gestalt eines doppelwandigen Zeltes, das durch einen großen Petroleumkocher leidlich mit erwärmt wurde.

Kurz nach elf Uhr abends, als die anderen bereits in ihre wasserdichten Schlafsäcke gekrochen waren, und nur noch Peter alles für das Frühstück am Morgen vorbereitete, verließ der Graf das Zelt, um das abermals sichtbare Nordlicht sich nochmals anzusehen.

Peter Peterson öffnete gerade die Teebüchse, als er in der Nähe einen Schuß hörte, dem sofort ein zweiter folgte.

Bevor er jedoch den wieder zugeknöpften Zelteingang aufreißen und von einer bangen Ahnung gepackt hinausstürmen konnte, wurde die dicke Leinwand an zwei Stellen ein Stück aufgeschnitten und durch die Öffnungen schoben sich zwei Gewehrläufe hindurch. Gleichzeitig rief eine Stimme, die nur die des schuftigen Parbutti sein konnte, den vier im Zelte Befindlichen ein drohendes „Keine Bewegung, oder wir knallen euch nieder!“ zu.

Und wie zur Warnung feuerte dann auch einer der unsichtbaren Feinde eine Kugel so dicht über Peters Kopf hinweg, daß dieser jeden Gedanken an Widerstand aufgab.

Der Doktor, Jensen und Fritz, die ja bereits in ihren Schlafsäcken steckten, waren ohnedies völlig wehrlos. So kam es, daß Parbutti und drei Kerle, die er in Reykjavik schnell als Genossen für seine heimtückischen Pläne gefunden und mit denen er dann der Jacht in einem gestohlenen Kutter gefolgt war, sehr bald die vier so schlau Überrumpelten gefesselt vor sich liegen sahen und sie nun mit höhnischen Schmähungen überschütten konnten.

Dann brachten zwei der Schurken den nur noch schwach atmenden Grafen, den Parbutti durch einen Revolverschuß in die Brust niedergestreckt hatte, herbei und legten ihn gleichfalls in das geräumige Zelt, an dessen einer Stange eine große Petroleumlaterne brannte.

Graf Santa Rocca röchelte schwer. Kurz vor seinem bald darauf eintretenden Todeskampf kam er jedoch nochmals zum Bewußtsein.

Sein bereits umflorter Blick glitt über die Gestalten der vier Banditen hin, die neben dem Kochherd saßen und sich an den Speisen gütlich taten, glitt weiter zu den gefesselten Gefährten hinüber. Dann flüsterte er mit letzter Kraft:

„Taller – Ihr sollt mein Erbe sein, auch der des Geheimnisses des Baldianus! – Ich danke euch und den anderen für eure Treue. Glaubt den Worten eines Sterbenden, dessen Blicke bereits seltsame Visionen schauen: ihr werdet diesen Schurken da nicht zum Opfer fallen! Ihr vier werdet frei werden … Ich sehe vor mir die Riesenfontäne des Goldgeisers, sehe im Sonnenschein die Goldkiesel blinken, sehe aber auch ringsum einen Kranz von Leichen – – die Opfer der verruchten Goldgier … und auch Parbutti und seine drei Spießgesellen sind darunter …“

Da lachte Parbutti gellend auf:

„Alter Narr, hör auf mit deinem Gewinsel, mit dem du vielleicht alte Weiber, aber nicht uns graulich machen kannst! Das Gold wird unser werden! Den Weg bis zum Geiser kenne ich ja! Er führt an dem Berge vorüber durch das Tal! Oft genug habe ich euch drei belauscht, wenn ihr auf dem „Avanti“ über eure Expedition nach dem Goldsprudel spracht …“

Graf Santa Rocca lag eine Weile mit geschlossenen Augen da. Dann schlug er die todesschweren Lider zum letztenmal auf, flüsterte, kaum noch verständlich:

„Parbutti – ich warne euch! Ich war stets ein Menschenfreund, einer, der an das Gute in jeder Menschenseele glaubte. Ich warne euch! Ihr werdet das Gold des Geisers nie besitzen. Vor mir schwebt wie eine Fata Morgana der Geiser mit seiner Umgebung. Ich erblicke euch, wie ihr gierig auf die leuchtenden Goldsteinchen losstürmt, bleich vor Habsucht, mit flackernden Augen … Und – ich sehe euch stolpern, fallen, nach Luft ringen, sterben … jämmerlich sterben – als meine Mörder …!! – Ich warne euch! Der Mönch Baldianus sagt am Schluß seiner Niederschrift: „Du, der du dich dem goldschimmernden Riesenquell näherst, tu’s nur mit dem Wi…““

Parbuttis heiseres Hohnlachen schnitt dem mit dem Tode Ringenden das Wort ab.

„Du willst mich wohl kopfscheu machen, Herr Graf, – wie?! – Laß die Albernheiten! Bei mir …“

Er verstummte. Graf Santa Rocca hatte sich zu sitzender Stellung aufgerichtet, rief mit einer Kraft, die niemand ihm mehr zugetraut hätte:

„Freund Taller – also nur mit dem …“

Da war’s aus mit dieser übermenschlichen Anstrengung. Er sank zurück, war tot … – –

Parbutti ließ die Leiche sofort in eine Gletscherspalte werfen. Die ganze Roheit dieses vertierten Heuchlers kam jetzt zum Durchbruch. Vor den drei von englischen Fischdampfern desertierten Matrosen, seinen jetzigen Freunden, brauchte er sich keinen Zwang mehr anzulegen.

Am Morgen wußte er Taller und die drei anderen Vertrauten des von ihm ermordeten Grafen mit dem Revolver zu zwingen, seine willenlosen Sklaven zu spielen. Sie mußten die Schlitten ziehen, mußten die Schurken bedienen, mußten noch dankbar sein, daß sie Speise und Trank erhielten.

Neben Parbutti tat sich als fast noch größerer Rohling besonders ein gelbgesichtiger Mischling hervor, ein wahrer Unhold, dem es das größte Vergnügen bereitete, die ermüdeten Schlittenzieher durch Stockschläge vorwärts zu treiben. Dieser Folterknecht, der sich Caspido nannte, war ein Riese mit Bärenkräften, dabei noch ein schlimmer Trunkenbold.

Unter unsäglichen Leiden vergingen den vier Gefangenen die nächsten Tage. Als dann das Tal erreicht war, dessen glatter, mit hartem Schnee bedeckter Boden die Mühe des Schlittenziehens wesentlich erleichterte, ging es Parbutti noch immer zu langsam voran. Auch er gebrauchte jetzt häufig seinen Bergstock als Prügel, und gerade der arme Peter hatte am meisten durch ihn auszustehen. – Nachts wurden die Gefangenen von den Schurken immer sorgfältig gefesselt, am Tage aber dauernd mit Revolvern überwacht. Ihre Lage war trostlos. Und doch verloren sie den Mut nicht. Besonders Peter Peterson sann andauernd darüber nach, wie er den Elenden entfliehen und dann den Gefährten helfen könnte.

Nach fünf Tagen geradezu unerhörter Qualen für die Gefangenen erreichte der Trupp das Nordende des Tales. Hier nun gab es als dessen Fortsetzung ein von drei erloschenen Vulkanen im Dreieck eingeschlossenes Lavafeld von vielleicht ein Kilometer Durchmesser.

Kaum hatte man auf diesem nur wenig hügeligen Gelände einige hundert Meter zurückgelegt, als Parbutti plötzlich stehen blieb und wie ein Besessener brüllte:

„Der Geiser – – der Geiser …!! Dort – – seht, seht …! Gerade schießt seine dampfende Wassersäule hoch … – Der Geiser – – gefunden, – – auch das Gold – das Gold!!“

Er tanzte wie ein Verrückter umher. Und nicht minder unsinnig benahmen sich seine Kumpane.

 

6. Kapitel.

Das verderbliche Gold …

Der Name Geiser ist eine Verdeutschung des isländischen Wortes Geysir gleich Sprudel und wird jetzt allgemein für jene heißen Springquellen gebraucht, deren Eigentümlichkeit darin besteht, daß sie ihre Wassermassen nicht andauernd, sondern nur in kürzeren oder längeren Pausen auswerfen.

Die berühmtesten Geiser der Welt sind der Große und der Kleine Geiser auf Island, die alle 24 Stunden eine 2 Meter bezw. 1½ Meter dicke Wassersäule bis zu 30 Meter Höhe für kurze Zeit emporsenden, dann der Mammutgeiser im Yellowstonepark in Nordamerika mit 45 Meter Höhe und der Tetaratasprudel auf Neuseeland. Das Wasser all dieser Springquellen ist kochend. Über deren Entstehung sind die Gelehrten sich uneinig. Sicher ist das eine, daß sie auf Dampfexplosionen in tieferen Erdschichten, bis zu denen der Geiserschacht hinabreicht, zurückzuführen sind. – –

Kaum hatte Parbutti sich etwas beruhigt, als er seinen Genossen Befehl gab, die Gefangenen zu fesseln und samt dem Gepäck und den Schlitten hier zunächst zurückzulassen.

So geschah’s denn auch.

In kurzem lagen die vier Gefährten eng umschnürt und zur Sicherheit noch an die Schlittengestelle gebunden da.

Kaum hatten die Unholde sich jedoch in wildem Lauf entfernt, als Peter Peterson seinen Freunden halblaut zurief:

„So – nun haben wir gesiegt – wir!! Ich werde sofort frei sein! Der Dummkopf von Parbutti, der mir gar nicht schnell genug die Hände fesseln konnte, hat in seiner habgierigen Hast nicht gemerkt, daß ich mir vorher eines der Tischmesser in dem Ärmel geschoben hatte. – Fritz, sieh zu, daß du mit dem Mund an meine Hände herankommst, nimm den Messergriff zwischen die Zähne und feile meine Stricke durch. Es muß gehen – muß …!!“

Und – es gelang! Im Nu waren auch die anderen befreit, im Nu die von den vier Banditen zurückgelassen Büchsen geladen und aus dem Gepäck auch Patronen hervorgesucht.

Doktor Taller drückte Peterson stumm die Hand. Auch Jensen tat’s. Das war mehr als viele Dankesworte. Nur Fritz machte seinem Jubel wortreich Luft, rief:

„So ist des Grafen Voraussage doch eingetroffen! Wir sind frei …! Und all das haben wir meinem Peter zu verdanken …!“

Inzwischen waren Parbutti und seine Spießgesellen längst hinter einer Anhöhe verschwunden, die die Aussicht nach dem Geiser halb versperrte.

„Vorwärts!“ meinte Jensen. „Folgen wir ihnen! Sie haben nur die Revolver bei sich! Und was will das gegen unsere weittragenden Büchsen besagen!“

Da deutete Doktor Taller mit ernstem Gesicht nach dem Geiser hin, dessen Wassersäule bereits wieder in die Tiefen der Erde hinabgesunken war.

„Freunde,“ erklärte er fast feierlich, „jene Goldgierigen da vor uns ahnen nicht, daß sie blindlings in ihr Verderben rennen! Ihr habt gehört, daß der Graf den elenden Parbutti noch warnen wollte, nicht anders als nur mit dem Winde sich dem Geiser zu nähern. Santa Rocca konnte dieses Wort „Wind“ nicht mehr ganz aussprechen. Aber er hat nur „Wind“ gemeint. – Was dies bedeutet, werdet ihr sofort selbst sehen. – Eilen wir, wenigstens noch von fern Zeugen einer Katastrophe zu werden, die unseres sterbenden Gefährten visionärer Blick vorausgeschaut hat.“

Sie liefen im Trab jenem Hügel zu. Nun hasteten sie nach oben; nun warf Peter Peterson als der Vorderste sich lang zu Boden und winkte den anderen zu, dasselbe zu tun.

Verborgen hinter Steingeröll konnten sie beobachten, wie die vier Banditen etwa 200 Meter vor ihnen beisammen standen und geradeaus nach dem Geiserbassin hinblickten, dessen Umgebung in den Strahlen der Sonne gleißend flimmerte.

Das, was selbst die Habsucht dieser Rohlinge für eine Weile zum Schweigen gebracht hatte, war eine Unzahl Skelette und dunkler Körper, die einen weiten Kreis um den Goldring des Geisers zu bilden schienen.

Peter zählte etwa vierzig Tote dort drüben, die stellenweise dicht beieinander, andere auch wieder einzeln lagen.

Da sagte der Doktor ganz unvermittelt:

„Die Naturgewalten haben um das Goldfeld da drüben einen unsichtbaren Wall gezogen, den kein Lebewesen zu durchdringen vermag, wenigstens dann nicht, wenn er die Besonderheiten dieses nicht kennt. Es sind giftige Gase, die aus Spalten der Lavamasse empor dringen, Gase in solcher Menge, daß sie auch über dem Golde und dem Geiserbassin lagern. Will man an das Gold heran, darf man’s nur mit dem Winde wagen, der dann die Gase nach der anderen Seite drückt, so daß man in vollem Lauf mit angehaltenem Atem bis zu dem gleißenden Kreise vorzudringen, ein paar Goldkiesel aufzuraffen und wieder zurückzueilen vermag. Nähert man sich gegen den Wind dem Geiser, so gerät man sehr bald in die weit über die Gasspalten hinaus vorgedrückten giftigen Wolken, verliert die Besinnung und … erstickt! Also nur laufend und mit dem Winde ist an die Schätze …“

Er schwieg, rief nun: „Ah – die vier haben das Grauen überwunden …! Parbutti läuft auf den Geiser zu … gegen den Wind – – gegen den Wind …!!“

Er sprang auf, brüllte: „Parbutti – zurück …!!“

Doch – die Entfernung war zu groß, oder aber der Mörder hörte in seiner goldhungerigen Aufregung nichts …

Nun hatte Parbutti den goldig schillernden Ring beinahe erreicht, nun … begann er zu taumeln, sank zu Boden, suchte sich aufzuraffen, focht wild mit den Armen umher, bis er sich in kurzem überhaupt nicht mehr regte.

Seinen Spießgesellen erging es genau so … –

Langsam näherten sich die Freunde nun dem Geiser bis auf hundert Meter, gingen dann um ihn herum und konnten von der anderen Seite mit dem Winde bis dicht an einige enge Spalten vordringen, denen mit leisem Zischen die Gase entströmten.

Von hier aus sahen sie die Skelette und die anderen Leichen, von denen ein Teil erst halb verwest war, ganz deutlich.

„Daß auch des Grafen ungetreuen Freund hier der Tod ganz unvermutet hingerafft hat, unterliegt keinem Zweifel!“ meinte der Doktor. „Er besaß eben nicht genügend naturwissenschaftliche Kenntnisse, um die Andeutungen des alten Pergaments sich richtig zu erklären. – Da – die meisten der Leichen sind Isländer, wie man an der Tracht erkennt. Und all diese Unglücklichen hat der Giftwall hinweggerafft …“ –

Noch an demselben Tage begannen die Gefährten, möglichst viel von den Goldkieseln aus dem Bannkreis der Giftgase herauszuholen. Sie durften hier ja nicht lange verweilen, da der Proviant auf den Schlitten gerade noch für die Rückkehr nach der Jacht reichte.

Als sie etwa dreimal jeder den gefährlichen Weg laufend zurückgelegt hatten, wollte Jensen als leidenschaftlicher Raucher sich eine lang entbehrte Zigarre anstecken, die er soeben in der Seitentasche seines Pelzrockes gefunden hatte. Zu spät rief der Doktor ihm zu, das Streichholz nicht brennend wegzuwerfen.

Er tat’s in seiner Gedankenlosigkeit, schleuderte es sogar in eine der Gasspalten hinein.

In demselben Moment schoß eine Feuersäule empor unter einem Knall wie der eines Riesengeschützes.

„Fort – fort!!“ brüllte Taller und raste von dannen. Die anderen folgten ihm nach.

Zu ihrem Glück! – Der ersten Gasexplosion folgten weitere; bald bildete der Umkreis des Geisers ein einziges Feuermeer brennender Gase.

Dann aber begann der Boden unter den Füßen der Fliehenden zu wanken. Dumpfes Rollen drang aus den Tiefen der Erde hervor.

Die Explosionen hatten sich nach unten zu fortgesetzt. Und dort, wo früher der Geiser hochgesprudelt war, entstand nun im Augenblick ein riesiger Buckel, aus dessen Spitze Rauch, Flammen, Lavaströme hochschossen …

Ein neuer Vulkan hatte sich aufgetan …

Der Goldgeiser mit seinen Schätzen war für alle Zeiten vernichtet, verschwunden … –

Peter Peterson hatte noch gerade seine Pelzjacke zu packen bekommen, in die man die Goldkiesel geworfen hatte. So wurde wenigstens ein Teil der verderblichen gelben Steinchen gerettet. Sie wogen kaum vierzig Pfund … – –

Die Gefährten erreichten wohlbehalten die Jacht und kehrten nach Deutschland zurück, wo die Goldkiesel unter Jensen, Peterson und Fritz geteilt wurden. Taller verzichtete auf seinen Anteil. – –

Wenn die Freunde sich jeden Sonnabend in des Doktors Villa zusammenfinden, dann frischt regelmäßig dieser oder jener von ihnen irgend eine Erinnerung auf an die abenteuerliche Expedition nach … dem goldenen Geiser.

 

Verantwortl. Redakteur: M. Lehmann, Berlin SO 26. – Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 26.

 

 

Anmerkung:

  1. Heutiger Name ist „Oslo“.