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Die Piraten der Puma-Insel

 

 

Die Piraten der Puma-Insel.

 

Eine Erzählung von

W. Kabel.

 

Mit 19 Illustrationen von

Max Henze.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO26, Elisabeth Ufer 44

 

Copyright 1919 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H. Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 26.

 

Erster Teil.

Die Teufelsfarm.

 

1. Kapitel.

Der Schoner Brasilia.

Es war eine jener feuchtheißen Nächte, die für das Ufergebiet des riesigen Amazonenstromes in den Monaten Mai bis Juli, wo dieser Fluß das Land oft bis auf zwanzig Meilen hin überschwemmt, so außerordentlich kennzeichnend sind.

Auch die beiden Männer, die auf der Reling eines schlanken, mittelgroßen Seglers in leisem Gespräch dicht beieinander saßen und die Schwärme der geflügelten, stechenden Plagegeister durch den beizenden Rauch ihrer kurzen Holzpfeifen ein wenig in Schach zu halten suchten, wischten sich immer wieder die Schweißperlen von den gebräunten Gesichtern.

Der Segler lag unweit des Westufers eines jener jetzt während der Überschwemmungszeit um das Dreifache vergrößerten Seen, die man überall im Stromgebiet des Amazonas findet und die zumeist von dem Flusse nur durch eine schmale Bodenwelle getrennt und mit ihm lediglich durch enge, verkrautete Kanäle verbunden sind. Als Laufplanke war ein Brett von dem als Doppelschoner getakelten Fahrzeug nach einem vom Sturm entwurzelten Baumriesen hinübergelegt worden. Der See war eingefaßt von undurchdringlichem Urwald, der bis an das Ufer seine niedrigeren Baumarten, hauptsächlich Palmen, und auch mancherlei Sträucher vorgeschickt hatte und der nur einen Teil jenes unendlichen, tropischen Waldgürtels bildete, der den Amazonas fast auf seinem ganzen Laufe in ungeheurer Ausdehnung begleitet.

Einer der beiden Männer, ein reinblütiger Brasilianer, dessen von einem schwarzen Bart umrahmtes, mageres Gesicht den finsteren, heimtückischen Ausdruck nie verlor, sagte soeben zu seinem Gefährten, einem jungen Mestizen von schlanker, kräftiger Gestalt:

„Karamba, Benito noch immer nicht zurück!“

„Das Fluchen hilft auch nichts, Sennor Almeida,“ erwiderte der Mestize achselzuckend. „Ich hätte an Eurer Stelle die Sache überhaupt aufgegeben. Was nutzt es, wenn man Leute gewaltsam zwingt, in die Armee des Rebellengenerals de Mello[1] einzutreten?! Sie laufen ja doch bei der ersten Gelegenheit davon!“

„Rebellengeneral?!“ fuhr Almeida ärgerlich auf. „Ich will dieses Wort von Dir nicht nochmals hören, Juan! Wenn der General beabsichtigt, demnächst den Präsidenten Peixoto, der unser Land nur aussaugt und nicht besser ist als der vor vier Jahren vertriebene Kaiser Dom Pedro, zu stürzen und geordnetere Zustände einzuführen, so tut er damit wahrhaftig nur etwas Gutes für unser Vaterland Brasilien. Doch – um dies alles richtig zu würdigen, dazu bist Du eben zu wenig bewandert in der Politik und ein zu sehr nur auf Deine eigenen Interessen bedachter Pelzjäger, den ich jetzt freilich sehr gut brauchen kann, weshalb ich auch den Zufall preise, der uns nach zwei Jahren wieder einmal zusammenführte. Im übrigen – was das etwas gewaltsame Anwerben von Soldaten für den General anbetrifft, so liegt hier mit den Bewohnern der sogenannten Diabolo-Farm die Sache insofern anders, als der Deutsche, dem sie gehört, früher Seemann war, und wir gerade erfahrene Seeleute für die kleine Flotte de Mellos notwendig brauchen, ferner nicht minder seine Peons (Knechte), alles tüchtige Burschen, die er durch seine Kunst, mit Menschen umzugehen, aus halben Bravos (Banditen) zu ehrlichen, fleißigen Arbeitern gemacht hat. Es handelt sich mithin nicht allein um ihn, vielmehr auch um einige zwanzig stämmige Farbige und um seinen weißen Aufseher, einen ehemaligen Steuermann der deutschen Handelsmarine. – Es war nicht allein das Geld, das ich für jeden Angeworbenen erhalte, sondern ebenso sehr der Ehrgeiz, dem General recht brauchbare Soldaten zuzuführen, die mich dazu bestimmt hatten, heute nachmittag den Deutschen aufzusuchen und –“

Er unterbrach sich, hob lauschend den Kopf und flüsterte:

„Ein Plätschern im Wasser! Hörst Du’s, Juan?! – Es wird wohl nur ein Kaiman[*1] sein –“

Trotzdem drehte er sich halb um und beugte sich über Bord, konnte jedoch auf der dunklen Wasseroberfläche nichts unterscheiden und erklärte nun völlig beruhigt:

„Sicher ein Kaiman! Die gefräßigen Scheusale gibt es ja leider hier überall.“

Der Mestize lächelte spöttisch.

„Ein Kaiman mit zwei menschlichen Armen!“ meinte er, nachdem er einen kurzen Blick auf das lehmige Wasser geworfen hatte. „Das Plätschern war anderer Art, als es die nach Moschus stinkenden Bestien hervorrufen. Und die kleinen Wellenkreise, die ich soeben bemerkt habe, deuten auf die Schwimmbewegungen eines Menschen hin. Von diesen Dingen, Sennor Almeida, verstehe ich nun wieder mehr als Ihr.“

„Ein Mensch?!“ rief der Brasilianer mißtrauisch und sprang auf das Deck hinab, beugte sich nochmals ganz weit über die Reling und beobachtete den Wasserstreifen zwischen der Bordwand des Schoners und dem Ufer eine Weile aufs sorgfältigste.

Dann richtete er sich wieder empor, schüttelte den Kopf und sagte:

„Ein Mensch?! – Unsinn! Es war doch ein Kaiman! Ich habe ihn jetzt ja langsam davonschwimmen sehen.“

Da wurde der sonst sehr gelassene Juan ebenfalls lebhaft.

„Wohin denn, Sennor Almeida? Wohin? – Schnell, zeigt mir die Richtung!“ Er ließ sich dabei von der Reling herabgleiten, eilte nach dem nahen Mittelaufbau des Schoners hin und nahm die hier hängende große Petroleumlaterne vom Haken, mit der er nun vom Heck aus die Oberfläche des Sees so gut es ging abzuleuchten suchte.

Der rötliche Lichtschein reichte jedoch kaum sechs Meter weit. Immerhin konnte der Mestize noch die lange Schnauze des Kaimans und einen Teil des mächtigen Schädels gerade an der Grenze des Lichtkreises der Laterne wahrnehmen, stellte diese nun hastig auf die breite Reling und riß einen seiner Revolver aus dem Gürtel, zielte auf die kaum noch erkennbare Panzereidechse, wurde nun aber von Almeida grob angeschrieen.

„Karamba – bist Du verrückt, Juan?! So nahe an der Diabolo-Farm ein Schuß! Da haben wir den Deutschen in kurzem mit seinen Peons hier. Steck’ den Revolver ein, zum Teufel! Wer schießt auch mit so ’ner Knallbüchse auf Kaimans, – und wozu wohl!“

Juan gehorchte, schob den Revolver in die Ledertasche am Gürtel zurück, lachte dabei aber recht ironisch auf und meinte:

„Mit so ’ner Knallbüchse treffe ich ganz gut einen Menschen, der nur eine Kaimanhaut über Kopf und Schultern gestreift hat, um hier zu spionieren! – Versteht Ihr mich jetzt, Sennor Almeida?“

Der stand einen Moment wie erstarrt, faßte sich aber ebenso schnell und lief nach dem Mittelaufbau zurück, neben dem das Brett von der Reling zu dem Urwaldriesen am Ufer hinüberführte und wo auch, mit einem Tau an einem Relingpflock befestigt, unten auf dem Wasser ein größeres Boot lag.

Juan hatte kaum gemerkt, was der Brasilianer vorhatte, als er mit ein paar langen Sätzen neben ihm war und ihm half, das Boot loszubinden. Gleich darauf trieb er es mit kräftigen Schlägen nach der Stelle hin, wo der Kaiman sich jetzt ungefähr befinden mußte – besser der Unbekannte, der auf so listige Weise sich an den Schoner herangeschlichen hatte.

Doch diese Jagd zu Wasser war umsonst. Nach einer halben Stunde mußten sie unverrichteter Sache an Bord zurückkehren.

„Ob’s einer der Peons des Deutschen gewesen ist und ob er etwa unser Gespräch teilweise belauscht haben mag?“ fragte Almeida besorgt, als sie nun, beide gleich enttäuscht, das Boot wieder unter der Laufplanke befestigten und mit Hilfe der kurzen Leiter an Deck kletterten, die hier an Stelle eines Fallreeps hing.

„Belauscht? – Das glaube ich nicht,“ erwiderte der schlanke Juan, der die landesübliche Tracht anhatte: großen Strohhut, baumwollenes, gestreiftes Hemd, Leinenhosen, die einst weiß gewesen sein mochten, und niedrige Lederschuhe mit darüber geschnallten, weichen Gamaschen bis zur halben Wade, dazu einen breiten Hüftgürtel mit Messer und zwei Revolvern. „Ob’s ein Peon war, – die Frage möchte ich bestimmt verneinen,“ fügte er hinzu. „Von den Burschen wagt sich niemand in ein Gewässer, in dem es neben Kaimans noch giftige Wasserschlangen wie hier gibt. Diese List roch mehr nach indianischer Teufelei.“

Almeida blieb stehen. „Indianische Teufelei? – Du meinst, daß es einer der Roten aus einem nahen Dorfe gewesen sein kann? Ja, aber zu welchem Zweck –“

„Nein, Sennor,“ unterbrach der Mestize ihn mit einem geringschätzigen Auflachen. „Keiner von diesen sogenannten kultivierten Indianern hier in der Nähe des Amazonas, – nein, die Kerle riskieren ihr Leben noch weit weniger gern als ein Peon. Sie haben den Schnaps, das Knöchelspiel[*2] und die Bequemlichkeit zu sehr lieben gelernt. Ich meine einen der wilden Indianer aus den Urwäldern und Steppen, in denen sie noch zu Hunderttausenden in zahlreichen Abteilungen umherstreifen, freie Söhne der Wildnis, wie man sie in solcher Ungebundenheit und Ursprünglichkeit nirgends mehr antreffen soll als nur in diesem riesigen Lande, das ja – dies alles verdanke ich einem deutschen Gelehrten, der mich für ein halbes Jahr als Führer gedungen hatte – um ein Vielfaches größer als Europa ist, wie jener dicke Doktor behauptete. Und diese wilden Indianer beginnen jetzt wieder zum Teil recht aufsässig zu werden, Sennor Almeida. Das ist auch eine der bösen Folgen der ewigen, inneren Zwistigkeiten hier in Brasilien, wo es mit dem gewaltsamen Wechsel unserer Präsidenten nicht schnell genug gehen kann.“

Almeida schaute den Mestizen forschend an. Das Licht der wieder an ihre alte Stelle zurückgehängten Laterne traf dessen kühnes, gelbliches Gesicht und enthüllte regelmäßige, angenehme Züge, die im Gegensatz zu denen des Weißen Offenheit und Ehrlichkeit verrieten.

„Aufsässig werden?“ sagte der Brasilianer zweifelnd. „Davon habe ich noch nichts gehört. Nun, es kann sich dabei auch nur um Übergriffe einzelner Horden handeln. – Woher weißt Du denn übrigens, daß Deine halben Verwandten sich wieder einmal unangenehm bemerkbar machen? Ich denke, Du bist schon seit Wochen in Serpa[*3] gewesen, wo ich mit Dir vor drei Tagen zusammentraf. Und dort erwähnte niemand etwas von Indianerunruhen.“

Juan merkte, daß der äußerst mißtrauische Almeida argwöhnte, er könnte nicht ganz offen ihm gegenüber gewesen sein und ihm wichtige Dinge, die diesem gerade als einem der Vertrauten des Generals de Mello wertvoll gewesen wären, verschwiegen haben.

Er entgegnete daher, den Weißen scharf anblickend:

„Ihr habt mich nach allem möglichen ausgefragt. Ich habe geantwortet, so gut ich konnte. Ich pflege nie zu lügen, Sennor. Absichtlich habe ich nichts unterdrückt. Über die wilden Indianer sprachen wir nicht. Und den Spott, sie als meine halben Verwandten zu bezeichnen, könnt Ihr Euch getrost verkneifen! Ich bin stolz darauf, daß meine Mutter eine Vollblutindianerin und mein Vater ein Weißer war, wenn ich ihn auch nie gekannt habe und nur noch ein einziges Andenken an ihn besitze, das ich als Amulett stets auf der Brust trage.“

„Nun, nun, – sei nicht so empfindlich!“ beruhigte Almeida den Erregten. „Komm’, gehen wir in meine Kajüte. Diese Nacht ist so recht geeignet, einem die Malaria zu verschaffen. Die verdammten Moskitos und das andere stechende Geschmeiß sind blutgieriger als sonst. Drinnen können wir bei einem Glase Tromalla, der wie Gold schimmert und alle Sorgen vergessen macht, unser Gespräch fortsetzen.“

Bevor sie aber in dem Mittelaufbau des Schoners verschwanden, rief Almeida noch eine der beiden Wachen herbei, die bisher auf dem Vorderdeck auf und ab gegangen waren.

„He, Manuel, Du kannst jetzt wieder hier nach achtern kommen. Und passe besonders auf Kaimans auf. Sobald Du so eine Bestie in der Nähe bemerkst, melde es mir sofort. – Dasselbe gilt für Dich, Pedro! Verstanden?“

Dann erst betraten sie die Kajüte Almeidas, die die eine Hälfte des Mittelaufbaus einnahm. –

An demselben Abend kurz vor Sonnenuntergang hatte der Besitzer der Diabolo-Farm sein Pferd bestiegen und war, obwohl er bereits gleich nach dem Mittagessen dort gewesen, nochmals nach der großen Rinderhürde im Süden seiner jetzt gleichfalls zum größeren Teil überschwemmten Ländereien geritten, um sich selbst davon zu überzeugen, ob der Damm, den er mit vieler Mühe zum Schutz dieser Viehhürde gegen die Wassermassen des Amazonas hatte errichten lassen, noch hielte und ob ferner die Raubtierfalle, die er an der westlichen Umzäunung der fast einen halben Quadratkilometer messenden Weidefläche aufgestellt hatte, inzwischen nicht etwa durch kleineres Raubwild zum Zuschlagen gebracht worden wäre. Er hatte es auf einen Jaguar abgesehen, der bereits verschiedene Kälber zerrissen und dem er schon mehrere Nächte vergebens aufgelauert hatte. Nun erhoffte er von dem Fangeisen, das mit einer Kette an einen in die Erde versenkten Pfahl befestigt, mit einem lebenden Kalbe als Köder und in üblicher Weise durch Strauchwerk sorgfältig bedeckt worden war, leichteren und besseren Erfolg.

Als er sich der Stelle näherte, wo das Fangeisen lag, hörte er schon von weitem eine helle Männerstimme, die sehr laut auf irgend jemand einzusprechen schien. Noch trennte ihn ein Buschstreifen von dem Fremden, denn ein solcher mußte es sein, da dem Deutschen dieses hohe Fistelorgan ganz unbekannt war.

Plötzlich machte er halt. In seinem gebräunten, kühn geschnittenen Gesicht, zu dem die schmale Adlernase und das große, dunkle Augenpaar aufs beste paßten, zeigte sich ein Ausdruck ungläubigen Staunens. Jetzt konnte er nämlich nicht nur einzelne Worte, sondern so ziemlich alles verstehen, was der Fremde redete. War der Inhalt dieser kurzen Sätze schon seltsam genug, so machte die Tatsache noch weit mehr Eindruck auf den überraschten Farmer, daß der Mann die deutsche Sprache benutzte und zwar mit einigen plattdeutschen Ausdrücken.

„Ja, reiß’ nur feste, mein Tierchen,“ ließ sich jetzt die Fistelstimme vernehmen. „Dat helpt (hilft) nu allens nix! So ’ne Eisenzähne von ’n Tellereisen holn (halten) beeter (besser) as Fliegenleim!“

 

„Ja, reiß nur feste, mein Tierchen!“

 

Kurze Pause. Dann –

„Wenn Du mich so frech ankiekst, rotgelber Viehräuber, brenn’ ich Dir eins up ’n Pelz, dat Dir die Lust zum Kieken verjeiht (vergeht).“

Da konnte der Farmer seine Neugier doch nicht länger bezähmen, sprang leise aus dem Sattel, nahm seine Büchse in den Arm und schlich durch den Buschstreifen hindurch.

Der Anblick, der sich ihm jetzt darbot, war ebenso merkwürdig wie komisch. In der Falle hatte sich der Jaguar mit der rechten Vorderpranke gefangen und hockte nun auf dem aufgewühlten Boden, in den er bei seinen Befreiungsversuchen ganze Löcher gescharrt hatte. Etwa drei Meter vor der Pantherkatze wieder saß ein kleiner, dicker Weißer auf einem Baumstumpf, hielt in der Rechten eine alte Steinschloßpistole von geradezu riesigem Format und in der Linken einen langen Stock, der oben ein Stück aufgespalten war.

Die Gesamterscheinung dieses Dicken wirkte deshalb geradezu zwerchfellerschütternd komisch, weil er ganz in Grün gekleidet war – mit Ausnahme des Strohhutes und der Schuhe. Sogar einen grünen Schleier hatte er um den Hut als Schärpe gebunden, die an der linken Seite fast bis auf die Schulter herabhing. Grün war auch das Baumwollhemd, grün der Leinengürtel mit einigen aufgenähten Taschen, grün die weiten Leinenhosen und die Strümpfe, die bei der Kürze der Hosen noch über den Schuhen sichtbar wurden. Dann das faltige Gesicht! Rund, Pausbacken, Stupsnase, Brille mit goldener Einfassung, keine Spur von Bart, brandrotes, dichtes Haar, das an den Schläfen förmliche Würste bildete. Und in diesem Gesicht noch der Ausdruck unendlicher Gutmütigkeit, heiteren Frohsinns und jener Schlauheit, die nie zum Schaden der Mitmenschen ausgenutzt wird.

Jetzt hatte der Dicke, dessen Bäuchlein ihn zwang, mit breiten Beinen dazusitzen, den Farmer erspäht, nickte ihm nun freundlich zu, legte den langen Stock auf die Erde, zog mit der Linken den breitkrempigen Strohhut, erhob sich gleichzeitig und sagte mit weltmännischer Verbeugung in gutem Portugiesisch:

„Sennor, ich vermute in Ihnen wenn nicht den Besitzer dieser Farmländereien, so doch wenigstens einen seiner Angestellten. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Doktor Karl Anton Siegfried Teppenwurz, von meinen Freunden stets Treppensturz genannt. Ich bin Deutscher, geboren in der berühmten pommerschen Stadt Rügenwalde, wo die besten Dauerwürste herkommen. Mein Beruf ist Privatgelehrter, Naturforscher, Spezialist für Giftschlangenkunde. Ich bereise jetzt Südamerika, habe bisher zwei neue Arten von giftigen Reptilien hier festgestellt und bin augenblicklich, wie Sie sehen, dabei, Raubtierstudien an diesem Jaguar, lateinisch Felis onza, zur Gruppe der Pantherkatzen gehörig, drittgrößte und zweitgefährlichste Bestie aus der Familie der großen Katzen, zu machen. Mein Maultier steht dort drüben jenseits des Wasserarmes im Urwald. Mein letzter Führer ist mir gestern ausgerissen, nachdem ich ihn ersucht hatte, sich von einer Schararaka, deren Giftigkeit recht berüchtigt ist, beißen zu lassen, damit ich mein selbsterfundenes Heilmittel gegen Schlangenbisse an ihm erproben könnte. Er war ein Feigling. Mein früherer Führer dagegen ein Held. Schade, daß er was anderes vorhatte und wir uns trennen mußten. Er hieß Juan, war ein Mestize und hatte als Pelzjäger einen großen Ruf. Was nun diesen Jaguar da anbetrifft, so habe ich soeben ausprobiert, daß er genau wie der Löwe den Blick des Menschen nicht aushält und vor mir zurückweicht, so weit es die Kette der Falle gestattet. Passen Sie auf!“

All das hatte der Dicke so in einem Atem hervorgesprudelt, daß der Farmer gar nicht Gelegenheit fand, sich ihm als Landsmann vorzustellen.

Nun – und der Farmer traute seinen Augen nicht! – schritt der kleine Doktor langsam auf den Jaguar mit vorgerecktem Kopf und stier auf die gelbe Katze gerichtetem Blick zu, und – der Jaguar kroch tatsächlich ebenso langsam und so weit rückwärts, als er es nur konnte. Kaum anderthalb Meter vor der dumpf fauchenden Bestie blieb er stehen, schaute zu dem Farmer hinüber und meinte vergnügt lächelnd:

„Fabelhaft – was?! Am Stammtisch in Rügenwalde werden die Botokuden, die Spießer, die Skatbrüder mir’s nicht glauben, daß –“

In demselben Moment hatte der Jaguar, befreit von dem durchdringenden Blick, all seine Kräfte zusammengenommen und trotz der schweren Falle einen Satz nach vorwärts gemacht, hatte den Dicken zu Boden geworfen und suchte nun sein Gebiß in dessen Hals zu vergraben.

Bevor der Farmer noch zuspringen konnte, war jedoch schon eine entscheidende Wendung eingetreten.

Mit einer Geistesgegenwart, die niemand dem Dicken zugetraut hätte, riß er nämlich, kaum zu Fall gebracht, mit der Linken sein Dolchmesser aus dem Gürtel und hob gleichzeitig die alte Pistole, die er fest in der Hand behalten hatte, bis dicht unter die Kehle des Jaguars.

Dann ein Knall wie von einer kleinen Kanone – ein blitzschneller Stoß mit dem Messer und die gelbrote, schwarzgetupfte Bestie tat genau so geschwind einen Satz nach rückwärts, während ihr aus zwei Halswunden zwei fingerdicke Blutstrahlen heraussprangen.

Der kleine Doktor setzte sich nun ganz gemütlich aufrecht, zog die zweite Pistole aus dem Gürtel, zielte im Sitzen und feuerte, traf den Jaguar mitten in die Stirn, wandte sich jetzt dem Farmer wieder zu und meinte:

„Da liegt er! Feiner Schuß, was?! Ja, jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, – das meine ist, mit diesen Donnerbüchsen ebenso gut zu treffen wie ’n Kunstschütze mit ’nem modernen Repetiergewehr!“

Er stand auf, klopfte sich die Erde von den grünen Hosen, stülpte den Hut auf den roten Haarwald und näherte sich dem Farmer, der nun, nur mühsam ein Lächeln unterdrückend, sich ebenfalls vorstellte.

„Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Herr Doktor. Mein Name ist Karl Burg. Ich bin der Eigentümer dieser Farm und, wie Sie nun an der lieben Muttersprache hören, Ihr Landsmann.“

Der Dicke war keineswegs erstaunt, hier einem Deutschen zu begegnen.

„Eigentlich hatte ich drauf gehofft, daß Sie Herr Burg von der Diabolo-Farm wären, von der man mir dort unten in dem Dorfe am Madeira – es heißt Karitapazu oder so ähnlich – als von einer Musterwirtschaft viel erzählt hat. – Hand her, Landsmann! Bin froh, mal wieder ’n Wort Deutsch schnacken zu können.“

Burg lud den Doktor sofort ein, für einige Tage es sich bei ihm bequem zu machen. Der kleine Dicke gefiel ihm.

„Gern,“ meinte Teppenwurz erfreut. „Ich will nur meine Walküre holen. Das ist nämlich mein Maultier. Ein schöner Name, was?! Ja – jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, Herr Burg. Ich sammle Giftschlangen, schieße mit vorsintflutlichen Handkanonen und gebe jedem mir gehörigen Dings ’nen Namen – jedem! Weshalb auch nicht? Wir werden doch auch benamset, wir Menschen. Wozu sollen wir was vor vierbeinigen Geschöpfen und so weiter voraushaben?!“

Er schritt nun voran einem Wasserarme zu, den die Überschwemmung hier gebildet hatte, bat den Farmer einen Augenblick zu warten, kletterte auf einen kurzen Baumstamm, an den er, um das Rollen dieses primitiven Fahrzeugs zu verhindern, seitwärts zwei kleinere Stämme als Ausleger befestigt hatte, ergriff einen langen Ast und gondelte schnell über den schmalen Kanal ans andere Ufer, wo er im Gebüsch verschwand, um sehr bald mit einem Maultier zurückzukehren, das ihm nachher ganz von selbst auch durch den Wasserarm nachschwamm.

Burg hatte ja schon manches häßliche Maultier gesehen. Aber ein derartiges Vieh wie diese Walküre war ihm denn doch noch nicht vor Augen gekommen. Ganz zu schweigen von der absoluten Kahlheit des grauschwarzen Felles, die auf eine in Südamerika gar nicht seltene Haarkrankheit zurückzuführen war, stellte dieses Maultier geradezu eine Musterkarte aller Schönheitsfehler vor, die ein solches Geschöpf nur haben kann. Auf vier kurzen, dicken Beinen lagerte ein überlanger, magerer Leib mit gewaltigem Hängebauch. Der kurze, dünne Hals wieder trug einen wahren Riesenschädel mit ein paar Ohren, die für drei Maultiere gereicht hätten. Die großen Augen blickten recht heimtückisch, und die kurze Oberlippe dieser Heldenjungfrau entblößte gefährlich lange, vorstehende Zähne. Dazu war diesem Wundertier noch ein hoher, spanischer Sattel aufgeschnallt, an dem außer zwei Ledertaschen noch eine gerollte Decke und zwei runde, große Blechtrommeln hingen.

Siegfried Teppenwurz beachtete die kritischen Blicke des Farmers in keiner Weise, kletterte nun in den Sattel und meinte: „Es kann von mir aus losgehn.“

Da schüttelte Burg auflachend den Kopf.

„Herr Doktor, mußten Sie diese wandelnde Verhöhnung tierischer Schönheit denn ausgerechnet Walküre taufen?“ meinte er belustigt.

„Walküre? Gefällt Ihnen der Name nicht? Ich bitte Sie: Es wird doch auch häßliche Walküren gegeben haben! Und im übrigen: Meine Walküre ist eine sehr streitbare Dame, beißt und schlägt um sich, daß es nur so ’ne Art hat! Die hat schon mehr als einem diebischen Kerl eine sanfte Mahnung zum schleunigen Rückzug verabreicht. Fragen Sie nur den Juan, falls er Ihnen mal über den Weg laufen sollte!“

„Sie scheinen sich hier in Brasilien schon recht gut eingelebt zu haben,“ lächelte der Farmer. „Wer es fertig bekommt, mit solcher Seelenruhe einem Jaguar gegenüberzusitzen, ist hier kein Neuling mehr.“

„Stimmt. Ein Greenhorn[2] bin ich nicht. – Ihnen will ich’s als Landsmann anvertrauen: Schon einmal war ich hier, – das sind nun fast fünfundzwanzig Jahre her. Damals rettete mir eine junge Indianerin das Leben. Sie nannte sich Omitara – blaue Taube. Sie war zierlich und schön wie eine Spanierin. Ich lernte sie lieben. Sie wurde mein Weib, und wir lebten sehr glücklich in einem kleinen Dorfe am Amazonas nicht allzu weit von hier. Omitara hat mir nie gesagt, welchem Stamme sie angehörte. Ich glaube, sie verschwieg es mir deshalb, weil sie aus einer Häuptlingsfamilie stammte und dies nicht zugeben mochte. Ich habe sie dann aus Heimweh nach dem deutschen Vaterlande verlassen, sie und unseren kleinen Sohn! Und – um diesen Sohn zu suchen, bin ich jetzt wieder nach Brasilien gekommen. Meine Studien betreibe ich nur so nebenbei. – Leider habe ich bisher keinerlei Erfolg gehabt. Omitara ist längst tot, und wo unser Kind geblieben, konnte mir niemand in jenem kleinen Dorfe sagen. So Landsmann, nun wissen Sie Bescheid! Wenn Sie mir ein wenig helfen wollten, meinen Sohn aufzufinden, wäre ich Ihnen dankbar.“

Der Farmer hatte bei dem Namen Omitara dem Doktor einen überraschten Blick zugeworfen, hatte sich dunkel an etwas erinnert, das ihm einmal jemand anders erzählt hatte.

Doch zur Fortsetzung dieses Gespräches fehlte jetzt die Gelegenheit, denn man hatte bereits die Baulichkeiten der Farm erreicht, die auf einem flachen Hügel im Osten desselben Ufersees des Amazonas lagen, an dessen Weststrand der Schoner ankerte.

Zwei Peons sprangen zu und nahmen den Reitern die Tiere ab, führten diese nach den Stallungen. –

Sauberkeit und echt deutsche Behaglichkeit fand der Doktor in den Räumen des großen Wohnhauses, dazu noch die angenehme Gesellschaft eines frischen, jungen Mädchens von kaum siebzehn Jahren, deren liebreizendes Gesicht dem ihres Bruders nur wenig ähnlich sah. Sie hieß Annemarie mit Vornamen und war das zweitälteste Kind des alten Herrn Gottlieb Burg, der infolge eines Beinleidens sich nur mühselig mit Hilfe eines Stockes weiterbewegen konnte, trotzdem aber jene stille Heiterkeit besaß, die nur die Zufriedenheit und der Rückblick auf ein arbeitsames Leben in uns weckt. Der jüngste Sohn, der erst fünfzehnjährige Erwin, war abwesend und wurde erst nach zwei Tagen von der Stadt Serpa zurückerwartet, wohin er einen Transport Viehhäute und Paranüsse begleitet hatte.

Bei der Abendmahlzeit lernte der Doktor dann auch noch einen weiteren Landsmann, den blondbärtigen, breitschultrigen ersten Aufseher der Farm namens Johann Schwechter kennen, einen schweigsamen Menschen, der ebenso wie Karl Burg früher zur See gefahren war, bis er aus Anhänglichkeit an diesen vor drei Jahren die Familie nach Brasilien begleitet hatte, wo der durch seinen Kompagnon an den Bettelstab gebrachte alte Herr sich eine neue Existenz hatte gründen wollen, bald aber infolge seines Beinleidens die Bewirtschaftung der ausgedehnten, neugegründeten Farm ganz seinem Ältesten überlassen mußte, dem es denn auch gelungen war, sie in kurzem zu einem ebenso ertragreichen wie noch weit höhere Einkünfte versprechenden Unternehmen auszugestalten. Deutscher Fleiß und deutsche Gründlichkeit im Verein mit einem praktischen Blick und schnellem Erfassen der kaufmännischen Erfordernisse hatten auch hier reiche Früchte getragen.

Der Doktor fragte gelegentlich dann bei Tisch den Farmer, weshalb seine Besitzung den etwas verfänglichen Namen Diabolo-Farm führe, worauf dieser erklärte, hieran sei der Aberglaube der umwohnenden Indianer schuld, die den Hügel, auf dem die Wirtschaftsgebäude ständen, seit langem stets Diabolo-Berg deshalb genannt hätten, weil in der hinter dem Wohnhause unter Bäumen versteckt liegenden Ruine eines uralten Jesuitenklosters Geister umgehen sollten. Und so wäre denn aus dem Diabolo-Berg später eine Diabolo-Farm geworden.

Erst gegen zehn Uhr hob der alte Herr Burg, dessen Gattin bereits früher in Deutschland verstorben war, die gemütliche Tafel auf, sagte allen gute Nacht und humpelte in sein Schlafzimmer hinüber. Die anderen blieben noch beisammen und tauschten allerlei Erinnerungen an die deutsche Heimat aus.

Gerade als Annemarie dann auf des Doktors Bitte ein paar Volkslieder singen und sich dabei selbst auf dem neuen Pianino begleiten wollte, pochte es laut an die Scheiben des nach einer breiten Veranda hinausgehenden Fensters, dessen einer Flügel weit offenstand. Und in diesem offenen Fenster erschien nun, beleuchtet von dem Lichtschein der großen Petroleumhängelampe, der Oberkörper einer hochgewachsenen Rothaut.

Aller Augen waren jetzt auf den Indianer gerichtet. Da sprang auch schon Karl Burg auf, eilte nach dem Fenster hin und streckte dem gern gesehenen neuen Gast ehrlich erfreut die Hand entgegen.

„Ich heiße meinen Bruder Watawi herzlich willkommen,“ sagte er in jener Mischsprache, die, als Lingoa geral brasilika bezeichnet, sich von selbst als Verständigungsmittel zwischen Indianern und Weißen mit der Zeit herausgebildet und längst überall in Brasilien eingebürgert hat.

 

„Ich heiße meinen Bruder Watawi herzlich willkommen.“

 

2. Kapitel.

Der Überfall.

Mit gelassener Würde stieg der Rote durch das Fenster, drückte dem jungen Farmer die Hand und sagte dann mit wohlklingender, tiefer Stimme zu den Anwesenden, indem er nunmehr die Rechte flach auf das Herz legte und eine kleine Verbeugung machte:

„Watawi freut sich, seine weißen Brüder und seine Schwester mit dem Haar der goldgelben Nuggets[*4] begrüßen zu können.“ Dann blieb sein Blick auf Siegfried Teppenwurz haften. Ein kaum merkliches Lächeln flog über sein mehr ins Bräunliche spielendes Gesicht, das die stark an die Mongolen erinnernden Rasseeigentümlichkeiten der südamerikanischen Indianer nur in angenehmer Abschwächung zeigte und trotz eines gewissen Zuges von stolzer Zurückhaltung und brutaler Energie durchaus sympathisch wirkte.

„Watawi begrüßt auch den fremden Sennor dort,“ fuhr er nun fort, das Wort an den Doktor richtend. „Ich kenne ihn von Ansehen. Er fängt Schlangen und läßt sie ihr Gift in kleine Gläschen entleeren. Er ist ein großer Medizinmann.“

Der kleine Dicke nickte ihm zu. „Sehr erfreut, mein roter Bruder, sehr sogar, daß Du mich für was Bedeutendes hältst. Doch – woher kennt Watawi mich? Ich bin ihm noch nie begegnet.“

„Die Wälder und Savannen haben tausend Augen. Watawi ist mit seinen Kriegern überall und nirgends, seit die Soldaten ihm nachstellen, weil er die Hazienda des Diego Almeida vor einem Jahre niedergebrannt haben soll. Watawi hat den großen weißen Medizinmann viermal beobachtet, als noch der Mestize Juan sein Führer war.“ Dann wandte er sich wieder Karl Burg zu. „Mein Bruder mag seine Peons zusammenrufen und Wachen ausstellen. Ich bringe schlechte Nachricht. Die Hazienda soll noch in dieser Nacht überfallen werden.“

Die Wirkung dieser Worte war eine sehr verschiedene. Das blonde, liebreizende Mädchen stieß einen leisen Schreckensruf aus. Der Doktor schüttelte etwas ungläubig den Kopf. Der Oberaufseher Johann Schwechter schlug mit der Faust auf den Tisch, murmelte drohend: „Sie sollen nur kommen!“ während Karl Burg mit einem verächtlichen Lächeln sagte: „Was Ähnliches habe ich erwartet!“

Dann rief der von alledem nichts begreifende Doktor sehr laut:

„Überfall?! – Etwa Indianer?! Und – hier so dicht am Flusse? Also in einem der Kultur erschlossenen Landstrich?!“

„Kultur?!“ erwiderte der Farmer. „Sie kennen Brasilien jetzt ja genügend. Und da reden Sie hier am Amazonas so weit im Innern des Landes von Kultur! Die Farmen und Hazienden liegen ja oft mehrere Tagereisen auseinander! Stellenweise gibt’s auf weite Strecken überhaupt nur kleine Indianerniederlassungen! Nein – wir leben hier eigentlich nicht anders als jene ersten Pioniere, die kühn in die westamerikanische Wildnis eindrangen und diese im Kampf gegen die Sioux, Komanchen, Pawnees und wie die roten Völker alle heißen eroberten, nur daß wir es hier weniger mit Indianern als vielmehr mit farbigem und weißem Gesindel anderer Art zu tun haben! Ich bitte Sie, Herr Doktor: Was macht es wohl aus, daß in den größeren Orten am Flusse kleine Militärkommandos liegen?! Wie sollten die wohl auf Hunderte von Meilen im Umkreis für Ordnung und für die Sicherheit des Einzelnen sorgen?! Unmöglich! – Es gibt hier eben nur eine Sicherheitspolizei: Man selbst ist’s! Dabei fährt man am besten!“

Der Doktor nickte. „Sie haben recht, Herr Burg, nur zu recht! Brasilien ist ein zu ungeheures und zu dünn bevölkertes Land, um es, abgesehen von den Landstrichen an der Meeresküste, als Kulturstaat betrachten zu können.“

Karl Burg kam jetzt erst dazu, seinen roten Freund dem Doktor etwas genauer vorzustellen, indem er sagte:

„Watawi ist der Häuptling der Karipunen. Wir kennen uns seit zwei Jahren. Ich durfte ihm einen kleinen Dienst leisten. Das machte uns zu Brüdern.“

Da warf der Indianer mit Nachdruck ein: „Mein weißer Bruder rettete mir das Leben und hätte dabei fast das eigene eingebüßt. So verhält es sich, großer Medizinmann.“

Der junge Farmer, dessen blondes, leicht gewelltes Haar dem seiner elfenhaft zierlichen und doch kräftigen Schwester in Farbe und Fülle vollkommen glich, wollte offenbar gerade diesen Gesprächsgegenstand aus Bescheidenheit nicht länger erörtern lassen und bat den Häuptling jetzt um Aufklärung darüber, wie er von dem beabsichtigten Überfall Kunde erhalten hätte.

„Watawi liebt die kurze Rede,“ entgegnete der Karipune sofort, indem er sich auf seine lange Doppelbüchse lehnte, deren Kolben reich geschnitzt und mit gelbem Metall so verschwenderisch ausgelegt war, daß er von weitem ganz hell schimmerte. „Wir jagten droben am Rio Branco[*5] den großen Ameisenbär und das Kragenfaultier. Bei uns war mein berühmter weißer Bruder Ma Tschiza, der Gebieter der Kugeln, die nie fehlgehen.“

„Aha!“ rief der Doktor, „von dem habe ich bereits gehört! Es ist ja wohl ein Landsmann von uns, Herr Burg. Er soll Werner Neuberg heißen.“

„Der große Schlangenjäger hat den Namen richtig genannt,“ erklärte der Häuptling an Stelle Burgs. „Als uns unser Pulver ausging, wollte Ma Tschiza in dem Orte Moura neues kaufen. Aber er kehrte nicht wieder. Wir selbst hatten uns nicht nach Moura hineingewagt, da dort gerade eine stärkere Abteilung Soldaten weilte. Watawi sorgte sich um seinen weißen Bruder und kundschaftete in dem Orte aus, daß die Soldaten Ma Tschiza mit sich fortgeschleppt und mit ihrem Schiffe, einem Schoner, den Rio Branco abwärts gefahren seien. Wir verfolgten das Schiff zu Pferde, ritten am Ufer entlang. Kamen an den Rio Negro, erkundigten uns stets nach dem Fahrzeug und trafen vor drei Tagen in der Nähe von Serpa ein. Hier mußte Watawi sich von seinen fünfzehn Kriegern trennen, da er allein versuchen wollte, seinen Bruder Ma Tschiza zu befreien. Er blieb auf der Fährte des Schoners, der jetzt dort am Westufer des Diabolo-Sees liegt, wie die Umwohner hier dieses Wasserbecken nach dem Diabolo-Hügel benannt haben. Watawi beobachtete heute dann, wie der Schiffsführer, in dem er jetzt erst jenen Diego Almeida erkannte, der seine Hazienda wahrscheinlich selbst in Brand gesteckt hat, um von der Regierung die Entschädigung ausgezahlt zu bekommen, nach der Farm meines Bruders Karlos Burg nachmittag hinüberschlich und wie er dann zwei Stunden darauf sehr ergrimmt heimkehrte.“

Jetzt unterbrach der junge Farmer den Häuptling.

„Mein Bruder Watawi soll gleich erfahren, daß Almeida mich, meinen Landsmann Schwechter und meine sämtlichen Peons für das Rebellenheer des Generals de Mello anwerben wollte. Natürlich lehnte ich trotz der außerordentlich verlockenden Versprechungen ab und setzte den unverschämt werdenden Almeida ziemlich unsanft an die frische Luft!“

„Watawi weiß alles,“ nickte der Karipune ernst. „Er hat Almeida und einen Mestizen belauscht. Er fand am Seeufer einen großen Kaiman, tötete ihn, zog ihm die Panzerhaut ab und streifte sie über, schwamm nach dem Schoner und zog sich an einem Tauende so weit hoch, daß er fast alles verstehen konnte, was die beiden sprachen. Almeida will mit seinen 22 Mann, die sich auf dem Schiffe befinden, die Diabolo-Farm umzingeln und, sobald der Mond hoch genug steht, angreifen, um meinen Bruder und die anderen Leute gewaltsam fortzuführen. Der Mestize hat ihm abgeraten, aber Almeida blieb bei seinem Entschluß. Er hat auch einen Späher hierher geschickt, einen Mulatten Benito, der Watawi als tapferer Jaguarjäger aber auch als blutgieriger Straßenräuber bekannt ist. Nachher machten Almeida und der Mestize in einem Boot Jagd auf eine Kaimanhaut, unter der der Häuptling der Karipunen steckte. Nun ist Watawi hier und wird seinem Bruder helfen, die Angreifer zu töten.“

Dem dicken Doktor entschlüpfte ein begeistertes: „Fabelhaft – mit einer Selbstverständlichkeit erzählt er das alles – als ob’s ’ne Landpartie wäre!“

Karl Burg stand einen Augenblick regungslos. Dann meinte er:

„Also nach Mondaufgang! Mithin haben wir noch eine Stunde Zeit. – Watawi, ob Almeida mit seinen Leuten bereits hier sein kann?“

„Nein. Sie befanden sich noch auf dem Schiff. Aber mein Bruder mag sich beeilen, die Peons zu rufen. – Was gedenkt mein Bruder zu tun?“

Der junge Farmer hatte bereits einen Plan entworfen.

„Um besten ist, wir versuchen, die Kerle am Landen zu hindern. Sie müssen ja in ihren Booten über den See. Der Umweg zu Fuß ist zu weit und das Gelände infolge der Überschwemmung auch zu sumpfig.“

„Dasselbe gedachte Watawi seinem Bruder vorzuschlagen. Es ist gut, wenn wir sofort den See beobachten. Vielleicht kommt mein weißer Freund Schwechter mit mir.“

Der Oberaufseher eilte sofort hinaus, um seine Waffen zu holen.

Da meldete sich auch der Doktor freiwillig als Kundschafter.

„Der Häuptling möge mir gestatten, ihn gleichfalls zu begleiten. Wenn ich auch eine Brille trage und harmlos wie ein weißes Kaninchen mit roten Augen – bei mir ist nun allerdings das Haar rot! – aussehe, so heiße ich doch nicht umsonst Siegfried!“ Er lächelte dazu freundlich und ein wenig selbstbewußt.

Watawi, erwiderte, er würde den großen Medizinmann sehr gern mitnehmen. Doch der Farmer glaubte, den Doktor hier nicht entbehren zu können, und ersuchte ihn, zusammen mit seiner Schwester seinen Vater nach der Klosterruine zu bringen und beiden dort als Beschützer Gesellschaft zu leisten. Teppenwurz schloß sich denn auch sofort Annemarie an, während Burg und Watawi gleichfalls das Zimmer verließen.

Kaum fünf Minuten später hatten der Häuptling und der Oberaufseher zu Pferde das Seeufer erreicht. Die dunkle, wenn auch sternenklare Nacht erschwerte den beiden Männern ihre Aufgabe so sehr, daß sie sich bald trennten, nachdem sie vereinbart hatten, jeder einen bestimmten Uferstreifen abschreiten zu wollen. Ihre Pferde hatten sie ein Stück zurück im Gebüsch angebunden.

Watawi wandte sich nach links. Er verließ sich lediglich auf sein Gehör, denn über dem See wogten jetzt feine Nebelschleier hin und her, die nur einen Ausblick auf kaum dreißig Meter gestatteten. Lautlos glitt der Karipune über den stellenweise von fast mannshohem Grase bestandenen Boden der flachen Uferböschung dahin. Oft blieb er stehen und lauschte. Er war hier ein völlig anderer geworden als der, über dessen Lippen so knapp und so leidenschaftslos die Schilderung von Erlebnissen gekommen war, die sicherlich voller Gefahren gewesen. Seine schlanke, muskulöse Gestalt drückte in jeder Bewegung, in der Körperstellung eines Lauschenden, bei jedem Schritt die äußerste Anspannung aller Sinne aus. Jetzt war er erst der rechte, freie Sohn der Wildnis, jener junge Häuptling seines Stammes, der trotz seiner kaum dreißig Jahre der berühmteste aller Kaziken[*6] der nördlich des Amazonas beheimateten wilden Indianerstämme geworden, – berühmt und bei der Regierung der großen Republik ebenso verhaßt, da er niemals geduldet hatte, daß seine Krieger sich für die Armee anwerben ließen, die in diesen unruhigen Zeiten mehr Soldaten brauchte, als durch das Werbesystem aufzubringen waren.

Die Zeit verstrich. Watawi wurde unruhig. Hinter den Urwaldkronen da drüben erschien bereits der helle Schein des aufleuchtenden Nachtgestirns. – Ob etwa Almeida seinen Angriffsplan geändert oder gar aufgegeben hatte? Die beabsichtigte Umzingelung der Farmgebäude hätte ja längst vollendet, mithin der Feind auch längst gelandet sein müssen! – Der Häuptling stand jetzt regungslos wie eine Bildsäule da und überlegte. Seine Unruhe wuchs mit jeder Sekunde. Dann hörte er plötzlich weit links von sich den schlecht nachgeahmten, dem Brüllen eines Rindes ähnlichen Ruf des Ochsenfrosches. Es war das mit dem jungen Farmer verabredete Zeichen, damit die beiden Späher den Trupp der Peons leichter fänden.

Gleich darauf hatte Watawi das kleine, beim Ausroden des Urwaldes stehen gelassene Gehölz erreicht, in dem Karl Burg seine Leute vorläufig aufgestellt hatte. Auch der Farmer äußerte jetzt dem Häuptling gegenüber seine Bedenken, ob Almeida nicht vielleicht doch den Landweg nach der Farm gewählt habe. Er hatte zwar fünf der zuverlässigsten Peons bei den Gebäuden zurückgelassen, mußte sich aber selbst sagen, daß diese gegen eine Übermacht von einigen zwanzig Angreifern nichts ausrichten würden. Immerhin diente es ihm zur Beruhigung, seinen Vater und seine Schwester unter des Doktors Schutz in der Ruine zu wissen, deren halbverfallenen Turm er wiederhergestellt und sozusagen als kleine Festung ausgebaut hatte.

Während er mit Watawi noch beriet, ob es nicht ratsamer sei, nach der Farm zurückzukehren, tauchte Schwechter im Laufschritt vor ihnen auf und rief schon von weitem mit halb unterdrückter, keuchender Stimme:

„Die Schufte sind ganz oben in der Nordostecke des Sees gelandet. Eben erst habe ich ihre drei Boote gefunden. Weiß der Teufel, ob die Halunken nicht längst dicht bei den Gebäuden waren, als wir abrückten. Ein Kerl stand bei den Booten Wache. Ich habe ihm einen Klaps vor die Hirnschale gegeben, daß er nur noch wie ’ne Kröte aufquakte. Jetzt liegt er gefesselt im Gestrüpp.“

Watawi hatte aufgehorcht. „Drei Boote? Hat mein weißer Freund sich auch nicht geirrt? Der Schoner besitzt nur zwei Boote.“

„Es sind drei: Zwei kleinere und ein großes Segelboot, als Kutter getakelt,“ erklärte der Oberaufseher bestimmt.

Der Häuptling wollte hierauf etwas entgegnen. Er brachte aber nur das erste Wort hervor, denn der schwache Knall mehrerer Schüsse schnitt ihm urplötzlich das Weitere ab.

„Zu den Pferden!“ rief Burg. „Vorwärts – ehe wir zu spät kommen!“

Er jagte mit den Peons davon.

Jetzt rächte es sich, daß Watawi und Schwechter ihre Tiere gut fünfhundert Meter nordwärts zurückgelassen und nun erst dorthin eilen mußten. Der schnellfüßigere Häuptling war dem bereits etwas bejahrten früheren Steuermann sehr bald weit voraus. Aber auch dieser nahm alle seine Kräfte zusammen. Hörte er doch immer wieder Schüsse von der Farm herüberklingen, die ihm bewiesen, daß der Angriff der Bande Almeidas in vollem Gange war.

Der Karipune sprang mit einem Satz auf seinen Braunen, der, bisher nur von dem Farmer selbst benutzt, sich schon auf dem Herritt recht widerspenstig gezeigt hatte. Auch jetzt bewies der erst halb gezähmte Gaul, der noch vor kurzem in voller Freiheit die Savanne westlich des Madeiraflusses[3] durchstreift hatte, wo es noch wilde Pferde in ganzen Trupps gibt, seine starke Abneigung gegen die ihm ungewohnte Erscheinung des federgeschmückten Indianers und bäumte sich, keilte hinten aus, machte sich krumm wie eine Katze und schnellte in die Höhe, bis Watawi ihm mit der Faust einen solchen Hieb zwischen die Ohren versetzte, daß er einen Moment verdutzt stillstand und dann wie ein Pfeil vorwärtsschoß. Diese Verzögerung hatte es dem Oberaufseher möglich gemacht, den Häuptling einzuholen, so daß sie jetzt ziemlich gleichzeitig am Fuße des Hügels anlangten, auf dem die Baulichkeiten standen. Inzwischen war der Mond weit über den Urwald hinausgestiegen. Trotzdem war der von den Gebäuden umgebene, große Hofraum zum Teil in tiefen Schatten gehüllt, weil man auch hier mehrere Palmen und breitästige Nußbäume nicht mit ausgerodet hatte und weil auch die Dächer breite Schatten warfen.

Watawi raste im Galopp den Hügel hinan, indem er den hier breit ausgetretenen und ausgefahrenen Hauptweg benutzte. Das wüste Geschrei, der helle Klang abgeschossener Revolver und einzelne laute Ausrufe hatten all die wilden Instinkte in ihm geweckt, die der häufige Umgang mit Europäern, besonders mit dem Pelzjäger Ma Tschiza, in ihm scheinbar nur gemildert hatte.

Die Pforte des primitiven Holzzaunes, der die Gebäude umschloß und sich dann weiterhin nach Süden und Westen zu großen Viehhürden ausdehnte, war nur mannsbreit geöffnet. Plötzlich erblickte der Häuptling zwei Männer, die bisher offenbar hinter der Pforte gekniet, nun jedoch sich aufgerichtet hatten und auf ihn anschlugen. Kaum fünf Schritt betrug die Entfernung. Der Indianer riß den Braunen vorn hoch, glitt gleichzeitig aus dem Sattel und über die Kruppe des Tieres auf die Erde. In demselben Moment krachten auch die beiden Schüsse, trafen das Pferd mitten in die Brust und ließen es in jäher Wendung mit letzter Kraft den Weg zurückstürmen.

 

Der Indianer riß den Braunen vorn hoch.

 

Gedankenschnell war Watawi bis zur Pforte herangehuscht. Seine kurze Wurfkeule aus dem Holze des eisenharten Tuara-Baumes traf den einen Torhüter mitten vor die Stirn; der andere wollte entfliehen, riß beim Davoneilen seinen Revolver aus dem Leibgurt, wurde aber schon durch eine Büchsenkugel des Karipunen zu Boden gestreckt, so daß er sich nach vorn mehrmals überschlug.

Watawi stürmte weiter. Plötzlich jedoch machte er halt, glitt hinter einen Palmenstamm. Er hatte mit schnellem Blick die verzweifelte Lage der Verteidiger erkannt, hatte gesehen, daß Almeidas Leute, die irgendwoher Verstärkung erhalten haben mußten, den Farmer und seine Peons hier auf dem Hofe offenbar in eine Falle gelockt und vollkommen eingekreist hatten, ebenso auch gehört, wie eine laute, herrische Stimme soeben brüllte: „Ergebt Euch, oder der Greis und das Mädchen dort fahren zur Hölle!“

Auch der letzte Widerstand der Peons hatte infolge dieser Drohung aufgehört. Wie erstarrt schauten sie jetzt alle nach der Veranda des Wohnhauses hin, wo der alte Herr Burg und seine jugendschöne Tochter, bewacht von vier der Angreifer, soeben erschienen waren.

Und abermals rief jetzt der Anführer dieser vor keiner Schandtat zurückschreckenden Bande von Werbern:

„Werft die Waffen weg – sofort – oder beim heiligen Antonius von Padua! – ich selbst jage dem Alten eine Kugel durch den Kopf!“

Von der Veranda ertönte als Antwort ein gellender Hilferuf des von einem riesigen Neger roh dicht neben ihren Vater gedrängten Mädchens. Und sofort nun auch des armen Vaters zitternde Stimme:

„Mein Sohn – keine Rücksicht auf uns! Schlagt Euch durch, zeigt diesen Elenden, daß Ihr Männer seid.“

Er wollte noch etwas hinzufügen. Da – ein Knall – er breitete die Arme aus, sank hintenüber. Und mit schrillem Aufschrei warf sich Annemarie über den tödlich Verwundeten.

In diesem Augenblick sah Watawi den früheren Steuermann neben sich. All dies Furchtbare hatte sich so schnell abgespielt, daß er es nicht mehr hätte abwenden können, selbst wenn er vorgestürmt wäre und vielleicht einige der Bravos niedergemacht hätte.

Jetzt wich die lähmende Erstarrung auch von dem jungen Farmer und seinen Leuten. Mit einem fast tierischen Wutgebrüll stürzten sie unversehens geschlossen nach der Richtung des Hofausganges zu, sämtlich in dem Glauben, daß auch Annemarie soeben von Mörderhand gefallen sei.

Der Häuptling und Schwechter halfen ihnen freie Bahn schaffen. Vier Schüsse aus ihren Doppelbüchsen, dann warfen sie sich mit Revolver und Messer auf Almeidas Gesindel. Watawi hatte genau gesehen, daß der Brasilianer selbst es gewesen, der den alten Herrn niedergeschossen hatte, schaffte sich jetzt mit wuchtigen Schlägen seiner Keule eine Gasse zu dem vorsichtig abseits hinter einem Holzstoß Stehenden und packte ihn bei der Brust, bevor dieser noch zurückspringen und die revolverbewaffnete Linke zu schneller Abwehr heben konnte.

„Hund von einem Bleichgesicht, Verleumder und Lügner, stirb durch die Hand dessen, den Du fälschlich beschuldigt hast!“ zischte er den leichenblaß Gewordenen an, indem er dessen linkes Handgelenk packte und ihm mit einem Ruck den Arm aus dem Gelenk drehte, so daß Almeida den Revolver mit heiserem Schmerzensschrei fallen ließ.

Watawis langes, leicht gebogenes Jagdmesser blinkte im Mondschein auf. Da – als er es dem Gegner durch die Kehle stoßen wollte, erhielt er einen furchtbaren Hieb gegen den Hinterkopf. Benito, der Mulatte, der Vertraute Almeidas, hatte noch im allerletzten Moment seines Herrn Bedrängnis bemerkt und den Indianer mit dem Büchsenkolben niedergeschlagen.

Schon wollte er dem bewußtlosen Karipunen das Messer ins Herz stoßen, als Almeida ihm zurief:

„Benito – hilf mir, schnell, – renke mir den Arm wieder ein. Sonst werde ich vor Schmerz ohnmächtig. – Schnell – so laß doch den verdammten Roten! Dem kannst Du nachher noch den Rest geben!“

Der Mulatte, ein großer, sehniger Bursche mit nur einem Ohr, gehorchte widerwillig.

Das sollte Watawis Rettung sein. Von der anderen Seite löste sich aus dem Schatten jetzt eine kleine, dicke Gestalt heraus, packte des Häuptlings linkes Bein und zog den Körper unbemerkt in das Dunkel hinein, legte ihn sich hier über die Schulter und hastete nun mit kurzen Sprüngen, stets sich unter den Bäumen haltend, einer Pforte zu, die in den hinter dem Wohnhause liegenden Garten führte.

Hier erhob sich inmitten eines Haines von Palmen und umgeben und überwuchert von allerhand stachligen und rankenden Urwaldgewächsen die Klosterruine. Der dicke Doktor erreichte auch glücklich die offen gebliebene, feste und eisenbeschlagene Holztür des Turmes und verschwand mit seiner schweren Last in dem untersten, viereckigen Raume.

Mittlerweile hatte die Kampfszene auf dem Hofe insofern für Burg und die Seinen eine günstigere Wendung erfahren, als es ihnen geglückt war, den ganzen Kreis der Banditen zu durchbrechen und das Hoftor zu gewinnen.

Freilich – wenn Almeida bisher absichtlich nach Möglichkeit das Leben der Peons hatte schonen lassen, um recht viele noch brauchbare Soldaten für den General zu gewinnen, so kannte er jetzt, als er das geradezu rätselhafte Verschwinden des Indianers wahrgenommen hatte und als auch die Gefahr bestand, die Verteidiger der Farm könnten entkommen, keinerlei Rücksicht mehr, ließ vielmehr auf die den Hauptweg entlang Flüchtenden ein geradezu verheerendes Feuer eröffnen, dessen Wirkung jedoch mehr der Menge der Gewehre als der Schießfertigkeit der Bravos zuzuschreiben war.

Der junge Farmer hatte zuerst diesen Durchbruch nicht mitmachen wollen, war von den Peons mitfortgerissen worden und wollte schon, um Vater und Schwester in den Tod zu folgen, abermals auf die Übermacht eindringen, als Steuermann Schwechter ihn am Arm packte und ihm zuraunte:

„Käp’ten, denkt an die Rache! Soll Almeida, dieser elende Mörder, unbestraft bleiben?!“

Da gab Burg nach. Und wie durch ein Wunder entgingen gerade er und Schwechter der verderblichen Kugelsaat, erreichten die am Fuße des Hügels stehenden Pferde, riefen den drei gleichzeitig mit ihnen angelangten Peons ein hastiges: „Folgt uns nach den Booten!“ zu und jagten davon.

 

3. Kapitel.

Rache.

Das fürchterliche Gemetzel war vorüber.

Der Mond beschien mit mildem Licht grausige Bilder menschlicher Bestialität. Almeida hatte die verwundeten fünf Peons erschießen lassen, da sie infolge ihrer Verletzungen vielleicht wochenlanger Pflege bedurft hätten. Das ganze Unternehmen hatte ihm nicht weniger als sechs Tote gekostet, dazu noch sieben andere, recht böse Zugerichtete. Mithin war von einem Erfolg keine Rede, im Gegenteil, Juans Warnung war nur zu berechtigt gewesen. Almeidas Wut kannte daher keine Grenzen. Er stand jetzt auf den Stufen der Veranda neben Benito, versetzte der Leiche des alten Mannes einen Fußtritt, fluchte wie ein Wahnsinniger und stieß gegen den jungen Farmer die wildesten Drohungen aus, noch immer hoffend, daß seine Leute Burg und die anderen Entflohenen einholen und mit zurückbringen würden.

Benito sollte jetzt das blonde Mädchen auf den Hof führen, das vorher ins Innere des Hauses gebracht worden war. Almeida wollte Annemarie Burg angesichts der Leiche ihres Vaters mitteilen, welches Schicksal er ihr zugedacht hatte. Keiner von seinen Leuten ahnte ja, daß er vielleicht niemals auf den Gedanken gekommen wäre, die Farm anzugreifen und deren Bewohner gefangen zu nehmen, wenn er nicht heute nachmittag dieses blonde, liebreizende Geschöpf hier gesehen hätte, zu der ihn sofort eine sinnlose, ganz seiner von ungezügelten Begierden beherrschten Seele entsprechende Leidenschaft erfaßt hatten.

Der Mulatte Benito hatte das erleuchtete Zimmer hinter der Veranda, wo er die schöne Gefangene zu finden erwartete, kaum betreten, als er förmlich zurückprallte.

Auf dem hellen Bastteppich lagen regungslos die beiden Mestizen, die das Mädchen hier hatten bewachen sollen.

Benito faßte sich schnell, beugte sich über die starren Körper, sah, daß jeder einen Stich mitten ins Herz erhalten hatte. Die blonde Deutsche aber war und blieb auch verschwunden, so genau der jetzt vor Ingrimm rasende Almeida Haus und Umgebung nun auch absuchen ließ.

Während dieses fruchtlosen Mühens, die Entflohene aufzufinden, trafen zu allem Unheil noch die hinter Burg und den Seinen hergeschickten Leute mit der Meldung ein, daß die drei Boote vom Nordostufer des Sees offenbar durch die Flüchtlinge entführt worden waren.

Bei dieser Kunde entrang sich den Lippen Almeidas ein entsetzlicher Fluch. Und Benito mußte den jetzt vollständig vor Wut Sinnlosen erst mahnend an die Gefahr erinnern, die für den Schoner bestand, wenn der Farmer diesen vielleicht in seine Gewalt zu bekommen trachtete, bevor Almeida einigermaßen zur Vernunft kam und nun den Befehl gab, die Gebäude schnell zu plündern und dann einzuäschern.

Bereits eine Viertelstunde später jagte der jetzt noch über dreißig Mann starke Trupp auf eiligst eingefangenen Reittieren nach Westen zu auf dem niedrigen, bewaldeten Hügelgelände der Halbinsel dahin, die den Amazonas von dem weiten Wasserbecken des Diabolo-Sees trennte.

Hinter den Abziehenden aber lohte die feurige Glut der brennenden Farm zum nächtlichen Himmel empor, verbrannten in der großen Scheune gleichzeitig die Leichen all der Opfer dieses blutigen, erfolglosen Überfalles, unter ihnen auch die des alten Herrn Burg. Prasselnd und fauchend leckten die Flammen höher und höher, erleuchteten weithin die ganze Umgebung. Der Dachstuhl des Wohnhauses stürzte ein. Und ein Funkenregen stob hoch, gefolgt von einer schwarzen Qualmwolke, wie unzählige, glühende Anklagen gegen die Verruchten. die diese Stätte deutschen Fleißes in einen Schutthaufen verwandelt hatten, – wie eine finstere Mahnung an die jeder Untat drohende Strafe.

Dann tauchte ein einzelner Reiter auf dem Hauptwege auf, parierte sein Pferd mitten in dem von Funkengarben durchwehten Hofraum, stierte in fassungslosem Entsetzen um sich.

Es war noch ein halbes Kind, dieser junge Weiße, der jetzt hier einsam, grell beschienen von der Überfülle zuckender Flammen, wie eine Statue regungslos auf seinem Pferde saß; es war kein anderer als der jüngste Sohn des vor kaum einer Stunde Ermordeten, – Erwin Burg, der, früher als erwartet von der Reise nach Serpa heimgekehrt und, infolge der roten Glut am Himmel das Schlimmste befürchtend, den drei ihn begleitenden Peons weit vorausgeeilt war.

Während er noch stier auf die brennenden Trümmer des Wohnhauses blickte, unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, schlich von der Gartenpforte eine kleine, rundliche, ganz in Grün gekleidete Gestalt heran. die sich nun langsam dem bedauernswerten Knaben näherte und ihn dann anrief.

So kam es, daß Erwin Burg jetzt sofort aus dem Munde des Doktors vernahm, was sich in den letzten zwei Stunden hier abgespielt hatte. –

Almeida hatte auf dem Schoner nur drei Leute zurückgelassen. Zwei von diesen standen gerade am Heck in sorglosem Gespräch, als über die Laufplanke blitzschnell fünf Männer huschten, sich hinter dem Mittelaufbau verbargen und nun warteten, bis die beiden Wachen gemächlich das Achterdeck entlanggeschlendert kamen.

 

… als über die Laufplanke blitzschnell fünf Männer huschten.

 

Ohne viel Lärm wurden diese niedergerungen und gefesselt. Dann zwang Burg den einen – es war ein blutjunger Mestize namens Antonio – mit dem vorgehaltenen Revolver zu dem Geständnis, daß nur noch ein Mann außer den beiden sich an Bord befinde, der jetzt vorn im Mannschaftslogis schlafe. Auch dieser war dann bald überwältigt. Nun ging es an eine schleunige vorläufige Besichtigung des Schiffes. Burg als früherer Kapitän eines Frachtdampfers und Schwechter als Steuermann erkannten sehr bald, daß der Schoner als Schnellsegler gebaut und alles an Bord in vorzüglicher Verfassung war – angefangen von den schlanken Masten bis hinab zum Kielraum, in dem Sandsäcke als Ballast lagerten. Zu ihrer Überraschung entdeckten die beiden Seeleute dann noch einen am Heck eingebauten, damals noch recht seltenen Petroleummotor, der zum Antrieb einer Schraube diente, so daß der zwanzig Meter lange und fünf Meter breite Schoner also nicht nur auf den Wind als Fortbewegungsmittel angewiesen war.

Burg hatte gehofft, unter Deck eingesperrt noch einige zu Soldaten gepreßte Leute vorzufinden, erhielt dann aber von dem Mestizen Antonio auf seine Frage hin die Antwort, Almeida habe die bisher Angeworbenen sogleich der Militärabteilung übergeben, die in Serpa stationiert war und die sich bereits auf die Seite des Rebellengenerals geschlagen hatte.

Er schichte nun zunächst Schwechter und einen der Peons nach der Stelle zurück, wo man vorhin vor dem Beschleichen des Schoners die drei Boote im Ufergebüsch versteckt hatte. Zwei der Boote, die kleineren, wurden an Bord geholt. Das dritte, der Kutter, mit dem gerade in dem Augenblick von Serpa zwölf Mann auf dem Schoner eingetroffen waren, als Almeida nach der Farm hatte aufbrechen wollen, wurde durch Zertrümmerung der Bodenplanken versenkt. Diese zwölf Leute hatten mit zu der Besatzung des Schoners gehört, waren aber noch einen Tag in Serpa geblieben, um den Lebensmittelvorrat der Brasilia zu ergänzen.

Jetzt erst beriet Burg mit seinen vier Getreuen, was man weiter tun solle. Unter den drei Peons, die sämtlich Mulatten waren, befand sich nun auch ein älterer Mann, der früher einmal, wie er offen zugegeben hatte, Mitglied einer Piratenbande gewesen war, die drei Jahre lang den Amazonas als gefürchtete Freibeuter unsicher gemacht hatte.

Dieser Miguel Zampa, wie er sich nannte, schlug seinem Herrn vor, den Schoner zu entführen und die unruhigen Zeiten zu einem reichen Erfolg versprechenden Piratenleben zu benutzen.

„Sennor Karlos, Ihr dürft nicht vergessen, daß Euer Vater und Eure junge Schwester grausam hingemordet sind! Ihr habt gerade als Kapitän dieses Schiffes die beste Gelegenheit, Euch an denen zu rächen, die Euch heute nicht nur Eurer Lieben, sondern auch Eures Eigentums beraubt haben. Ihr könnt überzeugt sein, daß dieser Schurke von Almeida die Sache so hinstellen wird, als ob Ihr seine Leute angegriffen hättet und daß hier so weit ab vom Sitze unserer Regierung diese besonders bei den jetzigen Zeitläuften nicht die Macht besitzt, die Angelegenheit ernstlich zu verfolgen und die wahren Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Bedenkt, daß der von dem Rebellengeneral de Mello geplante Aufstand bereits mit seinen ersten Anzeichen begonnen und hier im Tale des Amazonas zahlreiche Anhänger gefunden hat, die sämtlich auf einen Wink Almeidas hin bereit sein werden, Euch und uns für alle Zeit verschwinden zu lassen. Die kleine Garnison in Serpa hat sich ja schon den Rebellen angeschlossen. Kurz, Sennor Karlos: gerade weil ich an Euch hänge und es gut mit Euch meine, schlage ich Euch vor, so ein wenig Strompiratenkapitän zu spielen, damit nicht auch Ihr und wir anderen mit Euch das Leben verlieren!“

Der Farmer lächelte trübe und schüttelte den Kopf. „Von Deinem Standpunkt, Miguel, magst Du in dem Handwerk eines Freibeuters nichts Schlimmes sehen. Ich denke anders. Gewiß – rächen will ich mich, und zwar sehr bald. Dann aber gehe ich vorläufig als Jäger in die Savanne, bis hier wieder geordnete Zustände herrschen.“

Er erteilte darauf verschiedene Befehle, deren Klarheit und kurze Form bewiesen, daß er wieder ganz der energische, zielbewußte Karl Burg war, der in drei Jahren aus einem wüsten Urwaldgebiet eine blühende Farm geradezu hervorgezaubert und der es wie selten ein Mann verstanden hatte, sich die Achtung und Liebe seiner Angestellten in höchstem Maße zu erwerben.

Unter anderen Vorbereitungen wurde jetzt auch unten aus dem Laderaume des als Frachtschiff gebauten Schoners ein altes Vorderladergeschütz mit seinem plumpen Holzgestell auf Deck geschafft. Es war stark verrostet und hatte wohl nur noch als Signalkanone gedient. Burg ließ es in der Kajüte Almeidas aufstellen, deren kleine Fenster so niedrig lagen, daß man sie als Stückpforten[*7] benutzen konnte.

Dann wurden die Anker der Brasilia gelichtet und die Trossen losgemacht. Und zehn Minuten später lag der schlanke Segler am Westufer der etwa sechzig Meter breiten Mündung des den großen See mit dem Amazonas verbindenden Kanals. Drüben am Ostufer aber mußte sich sehr bald Almeida mit seinen Leuten einfinden, der jetzt ohne Boote gezwungen war, den bequemsten und kürzesten Weg zu Lande über die schmale Halbinsel zu nehmen, die zwischen dem Ufersee und dem Riesenstrom einen natürlichen Damm bildete. –

Benito, Almeidas Vertrauter und Unteranführer, war mit fünf Mann auf seinen eigenen Wunsch unweit der brennenden Farm in einem Gehölz zurückgeblieben, um nach einiger Zeit die Umgegend nochmals nach dem spurlos verschwundenen blonden Mädchen und dem auf ebenso rätselhafte Weise dem Tode entgangenen Indianerhäuptling abzusuchen. Der schlaue Mulatte hoffte eben, daß vielleicht Annemarie oder Watawi es wagen würden, ihr Versteck zu verlassen und die Brandstätte zu betreten. Er hatte denn auch einen der zu Almeidas Werberbande gehörigen Roten vom Stamme der kriegerischen Mundurukus, der in nüchternem Zustande ein vorzüglicher Späher war, auf einen hohen Baum unweit der Farm als Beobachtungsposten hinaufgeschickt, während er mit den anderen vier Leuten weiter nach Norden zu sich vorläufig gelagert hatte.

Almeida mit dem Haupttrupp war in zehn Minuten an der Südwestspitze der dicht bewaldeten Halbinsel angelangt und sah sich hier zu seinem Erstaunen dem jetzt am anderen Ufer des Kanals festgemachten Schoner gegenüber, der doch vorher gut tausend Meter weiter südlich am Seeufer gelegen hatte.

Der Mond stand noch am Himmel und gestattete dem Brasilianer, zwei von den drei an Bord zurückgelassenen Leuten zu erkennen, die mit dem Gewehr im Arm, der eine auf dem Vorderdeck, der andere auf dem Achterdeck, gewissenhaft Wache haltend auf und ab schritten.

Er rief sie an.

„He – Ihr da drüben, weshalb habt Ihr denn den Schoner so weit nach Norden gebracht? Und – seht zu, daß Ihr ihn schleunigst an dieses Ufer lotst, damit wir an Bord können.“

Er ahnte nicht, daß die beiden unter der steten Bedrohung durch drei Büchsen handelten, die schußbereit von den hinter der Reling versteckten jetzigen Herren des Seglers auf sie gerichtet wurden.

Der Mestize Antonio, den Karl Burg vorhin mit dem Revolver zu den für ihn wichtigen Aussagen gezwungen hatte, antwortete jetzt genau das, was der Farmer ihm vorgeschrieben hatte:

„Fünf Leute in einem Boot suchten vor etwa einer halben Stunde den Schoner zu nehmen. Wir schlugen den Angriff ab. Rodrigo ist dabei gefallen. Wir wagten nicht, am alten Ankerplatz zu bleiben, wo die Büsche so weit ans Ufer herangingen und wir leicht aus den Sträuchern heraus beschossen werden konnten. Deshalb haben wir die Brasilia jetzt hier vertäut. Die Leute im Boot sind nach Verlust eines Mannes wieder davongerudert.“

Inzwischen hatte sich um Almeida der ganze Trupp versammelt. Die Pferde waren freigegeben worden, und all diese Banditen schleppten sich mit schweren Bündeln, in denen sie ihren Anteil der Beute aus der geplünderten Farm mitgenommen hatten.

Almeida fand das Verhalten der Wachen recht zweckentsprechend und rief nun zurück:

„Ihr seid brauchbare Burschen, sollt eine Extrabelohnung haben. Nun aber herüber mit dem Schoner. Benutzt den Motor, damit es schnell geht!“

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als aus einem der Kajütenfenster ein gellender Pfiff ertönte. Gleichzeitig fast tauchten die Oberkörper von drei Leuten über der Steuerbordreling auf. Almeida rettete jetzt lediglich seine Geistesgegenwart vor dem sicheren Tode. Blitzartig war in ihm der Gedanke aufgezuckt, daß hier Verrat vorliege, daß der Pfiff ein vereinbartes Signal sei, und ebenso blitzartig ließ er sich nach vorn fallen und rollte die Uferböschung hinab ins Wasser.

In demselben Augenblick fuhr aus dem Kajütfenster der breite Feuerstrahl der mit Eisenstücken und Kettenteilen bis oben vollgepfropften Kanone heraus; in demselben Augenblick knallten drei – vier Gewehrschüsse.

Die Wirkung des Kartätschenhagels des alten Geschützes auf die eng beisammen stehenden Leute Almeidas war furchtbar. Über die Hälfte wurde hingemäht, und in das Schmerzgeheul der Getroffenen mischten sich die Angstrufe der jäh auseinander stiebenden Überlebenden, die in panikartiger Flucht das Weite suchten, trotzdem aber noch ein paar Mann durch die Kugeln des Kapitäns und seiner Gefährten verloren.

Hatte der Mond vorhin vor etwa anderthalb Stunden ein grausiges Bild der Vernichtung droben auf dem Hofe der Farm beschienen, so beleuchtete er jetzt eine nicht viel weniger gräßliche Szene am Ufer des Kanals, beleuchtete etwa vierzehn Tote, Sterbende und arg Verstümmelte, die hier den Lohn für ihre Schandtaten empfangen hatten, für die Zerstörung einer friedlichen Ansiedlung, deren Brand jetzt am westlichen Horizont einen hoch zum nächtlichen Firmament hinaufreichenden rotstrahlenden Halbkreis hervorgerufen hatte. –

Der Schoner lichtete abermals die Anker. Schwechter stand am Steuer, während Karl Burg den Motor bediente und gleichzeitig dem Mulatten Miguel Zampa die nötigen Unterweisungen gab, damit dieser später selbständig mit der kleinen Maschine umgehen könnte.

Langsam glitt die Brasilia dem nahen Amazonas zu, wand sich geschickt durch die schmale, krautfreie Fahrrinne und durchfurchte sehr bald mit ihrem scharfen Bug die lehmigen Fluten des hoch angeschwollenen Riesenstromes.

Jetzt wurde der Motor abgestellt, und unter dem Druck ihrer von dem frischen Nachtwinde geschwellten Segel schoß der Schoner, stark nach Steuerbord wie eine Jacht überliegend, schnell dahin.

Burg und Schwechter standen nebeneinander am Heck. Dieser hielt die lange, gebogene Pinne des Steuers umklammert, die auf kleineren Schiffen das Steuerrad vertritt. Der junge Farmer aber hatte den Blick unverwandt dorthin gerichtet, wo der rötliche Feuerschein über den Kronen der Urwaldbäume im Osten jetzt noch heller als vordem erstrahlte.

„Die große Scheune brennt,“ sagte Burg leise und mit vor Erregung ganz fremd klingender Stimme. „Diese Nacht werde ich nie vergessen! Fast alles habe ich verloren, woran mein Herz hing: den Vater, die Schwester, die neue Heimat, die ich mir in dreijähriger Arbeit geschaffen hatte, auch Watawi, meinen roten Bruder, denn auch er wird ja der Mordbande zum Opfer gefallen sein. Nur Erwin ist mir geblieben und – Sie, lieber, alter Freund! – Und abermals frage ich mich jetzt: Was nun?! – Wenn ich ehrlich sein soll: als dort der Feuerschein am Horizont aufzuckte, da war’s mir, als raunte mir eine Stimme zu: Heimatloser, befolge den Rat des Mulatten, werde Pirat, verschaffe Dir für Dein zerstörtes Eigentum gewaltsam Ersatz von denen, die es mit dem Rebellengeneral halten, auf dessen Befehl der Schurke Almeida hier auftauchte und Dein Glück vernichtet hat! – Ja, Schwechter, – in meinem Herzen ist heute etwas erwacht, das ich bis dahin nicht kannte: eine bis zum äußersten gesteigerte Rachgier, die jetzt vielleicht durch das Bewußtsein abgeschwächt ist, daß Almeida ohne Zweifel als einer der vordersten unseren Kugeln und Eisenstücken zum Opfer gefallen ist. Ich hätte vielleicht doch noch an das Ostufer des Kanals hinüberrudern sollen, um mich auch davon zu überzeugen, daß er wirklich tot ist. Aber Sie hatten anderseits ganz recht, lieber Schwechter, mich davor zu warnen. Es hätten ein paar von den Kerlen in den Büschen stecken und mich abschießen können.“

Burg wurde hier durch den Mulatten Zampa unterbrochen, der sich den beiden genähert hatte und nun das Wort an seinen Herrn richtete.

„Sennor Karlos,“ meinte er zögernd, „der junge Mestize da, der Antonio, der ja nun treu zu uns halten will, hat mir soeben erzählt, er hätte ganz genau gesehen, daß der verfluchte Hund, der Almeida, gerade im selben Augenblick sich ins Wasser des Kanals fallen ließ, als unsere Salve die Kerle wie ’n Haufen Spreu auseinandertrieb. Ich will Euch dies nur mitteilen, Sennor Karlos, damit Ihr Euch meinen Vorschlag nochmals überlegt, – Ihr versteht – von wegen Strompiraten! Jedenfalls könnt Ihr sicher sein, daß der schwarzhaarige Halunke alles versuchen wird, Euch – auszulöschen, ganz abgesehen davon, daß er natürlich auch den Schoner wiederhaben will! Euer Leben ist jetzt weniger wert als ’ne ruppige Kupfermünze!“

Karl Burg blickte eine Weile starr vor sich hin. Offenbar hatte diese Kunde, daß Almeida doch entronnen sei, seinen Durst nach Rache wieder so weit gesteigert, daß dadurch alle moralischen Bedenken in ihm ersticht zu werden drohten.

Der frühere Steuermann schaute seinen bisherigen Brotherrn und langjährigen Bekannten forschend an. Dann sagte er plötzlich:

„Käp’ten damit Sie ’s gleich wissen: ich bleibe bei Ihnen, was auch kommen mag!“

Burg richtete sich aus seiner etwas zusammengesunkenen Haltung mit einem Ruck hoch auf, nickte Schwechter ernst zu und wandte sich an den alten Mulatten:

„Miguel, Du hast mir mal von einem Schlupfwinkel erzählt, den Du und Deine damaligen Kameraden benutzten, als Ihr hier der Schrecken der Amazonasschiffer wart. Ich glaube mich recht zu entsinnen, daß es sich um eine Insel handelte, die ja wohl eine Strecke stromaufwärts, aber nicht allzuweit ab von der Teufelsfarm liegen sollte. Traust Du Dir zu, den Schoner dorthin zu führen?“

Miguel Zampa tat einen förmlichen Luftsprung.

„Sennor Karlos – also habt Ihr Euch doch entschlossen, meinen Vorschlag anzunehmen?! Oh, Sennor, – das soll ein Leben werden, ganz wie ich’s mir seit langem wieder gewünscht habe! – Der Schlupfwinkel ist für uns noch sehr gut brauchbar. Ich will’s nur ehrlich eingestehen, Sennor Karlos: ich war heimlich vor zwei Monaten dort, wollte mal wieder die Stätte sehen, wo ich vor acht Jahren mich wohler fühlte als in der fidelsten Bar mit Nigger-Musik in Manaos[*8]! Und ob ich den Schoner hineinlotsen kann ins Innere der Puma-Insel bis in den kleinen See, von dem kein Mensch etwas weiß, – natürlich kann ich das, ich schwör’s bei allen Heiligen, Sennor, und Ihr kennt ja meine Frömmigkeit!“

„Schon gut, Miguel! Dann also zunächst nach Serpa!“

„Und Erwin, der doch morgen im Laufe des Tages aus Serpa heimkehren wollte, – was wird aus ihm?“ warf Schwechter ein.

„Auch daran habe ich bereits gedacht,“ meinte Karl Burg mit einer fast unnatürlichen Ruhe, die ganz den Eindruck machte, als ob sein Herz unter dem Einfluß der furchtbaren Geschehnisse dieser Nacht zu Eis erstarrt sei. „Ich sagte ja soeben, daß wir jetzt sofort nach Serpa segeln wollen. Dort vor der Stadt werde ich Dich, Miguel, mit dem kleineren der beiden Boote zu dem Kaufmann Rosario schicken, der dicht am Flusse wohnt und der Erwin stets als Gast bei sich aufnimmt. Du wirst meinen Bruder dann sogleich mit an Bord der Brasilia bringen, die – sehr bald einen anderen Namen führen soll.“ –

Vier Stunden später, gerade als der Morgen graute, kehrte der alte Mulatte aus Serpa mit der Nachricht zurück, daß Erwin Burg mit den drei Peons bereits nachmittags sich habe über den Strom setzen lassen, also inzwischen längst auf der Teufelsfarm eingetroffen sein müsse.

Bei dieser neuen Hiobspost, die ja die traurige Möglichkeit insichschloß, daß der Knabe den vielleicht nach der brennenden Farm zurückgeeilten Überlebenden des Blutbades am Kanalufer in die Hände gefallen sein könnte, entschlüpfte den jedes Kraftwortes bisher ungewohnten Lippen des ehemaligen Schiffskapitäns ein halblautes: „Hier hat der Teufel seine Hand im Spiel! Verdammt – nichts bleibt mir erspart – nichts, – vielleicht haben die Schurken jetzt auch noch den Jungen ermordet!“

„Schwechter, zurück nach dem Ufersee!“ rief er dann dem Steuermann zu. „Ich muß wissen, was aus Erwin geworden!“

 

4. Kapitel.

In den Gewölben des Turmes.

Der schlaue Almeida hatte sich, nachdem die Kugelsaat des alten Geschützes unschädlich über ihn hinweggesaust war, mit aller Vorsicht durch das Uferschilf hindurchgearbeitet und glücklich einen entwurzelten Baum erreicht, auf dem er, umgeben von den in der Rinde wuchernden Schmarotzerpflanzen, bis an dessen Wurzelstock sich vorwärtsgeschoben und ein vorläufiges Versteck gefunden hatte, von dem aus er die Abfahrt des Schoners mit ohnmächtiger Wut beobachten konnte.

Kaum hatte er so erkannt, daß ihm keinerlei Gefahr von dem Farmer und dessen Leuten weiter drohe, als er auch sofort versuchte, eins der vorhin freigegebenen Pferde wieder einzufangen. Von seinen Leuten war nirgends mehr etwas zu sehen. Sie hatten sich scheinbar in alle Winde zerstreut. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bevor es ihm glückte, einen wohl mehr als Zugpferd benutzten Schimmel zu erwischen, und sehr bald zeigte sich auch, daß er mit diesem Reittier in Wahrheit einen schlechten Fang gemacht hatte, denn die störrische Bestie warf selbst ihn, einen anerkannt guten Reiter, zweimal ab, so daß er es schließlich vorzog, den Rest des Weges bis zu jenem Wäldchen, in dem Benito mit seinen fünf Mann zurückgeblieben war, zu Fuß zurückzulegen. Er verirrte sich jedoch in der Dunkelheit, fand zunächst das kleine Gehölz nicht, und brauchte eine weitere volle Stunde, ehe er endlich auf den Mulatten stieß, der sich und seine Leute so gut in einem Gebüsch verborgen hatte, daß Almeida ihn tatsächlich nur durch einen Zufall entdeckte.

Gerade als der Brasilianer dann seinem farbigen Vertrauten von den schweren Verlusten am Kanal und der Entführung des Schoners berichtet hatte, erschien jener Munduruku, den Benito als Beobachtungsposten auf dem Baume zurückgelassen hatte, und meldete, so eben hätte er auf dem Hofe der Farm einen ganz jungen Weißen zu Pferde und einen anderen, kleinen dicken Europäer bemerkt, die dann in dem hinter dem jetzt eingeäscherten Wohnhause liegenden Garten verschwunden wären, wohin er ihnen sogleich nachgeschlichen sei und so festgestellt habe, daß sie sich in dem Turme einer Ruine befänden, die sich inmitten des Gartens dickichtumwuchert erhebe.

Kaum hatte der von finsteren Rachegedanken erfüllte Almeida dies vernommen, als er auch schon frohlockend rief:

„Der Knabe kann nur der jüngste Bruder des deutschen Farmers sein! Dieser erwähnte ihn mir gegenüber, als ich ihn für General de Mello anzuwerben suchte. Wenn wir den kleinen Burschen in unsere Gewalt bekommen, haben wir ein Mittel in der Hand, den früheren Kapitän zu zwingen, uns den Schoner wieder auszuliefern, den er meiner Überzeugung nach sonst eher versenken als je wieder uns übergeben würde. – Vorwärts, Benito, hin nach dem Turme! Wir können es ja allerhöchstens mit dem Knaben und jenem dicken Weißen zu tun haben, von dessen Anwesenheit auf der Farm wir bisher nichts wußten, der sich also wohl während des Kampfes irgendwo verkrochen haben muß.“

Gleich darauf setzte sich der kleine Trupp in Bewegung, erhielt unterwegs aber noch Verstärkung durch fünf zerstreute, die ebenfalls nach Benito gesucht hatten. Mithin waren es insgesamt zwölf Leute einschließlich Almeidas, die jetzt in einem Bogen nach Osten zu dem Farmgarten zuschlichen.

– – – – – – – –

Als Doktor Siegfried Teppenwurz mit seinen beiden Schützlingen, dem alten Herrn Burg und dem blonden Mädchen in dem Turm angelangt war, hatte er sich hier leichtbegreiflicherweise recht neugierig umgeschaut und das Licht der großen Petroleumlaterne, die man mitgenommen hatte, überallhin die Wände entlang gleiten lassen, die freilich auch nichts Sehenswertes darboten. Nein, dieser unterste, viereckige Raum war vollkommen leer. Nur an der der kleinen Eingangstür gegenüberliegenden Wand führte eine offenbar ganz neue Holztreppe in ein oberes Stockwerk hinauf.

Annemarie erklärte nun, dort oben gebe es ein ganz behaglich eingerichtetes Gemach, in dem sogar ein Ruhebett stehe, das ihr Vater sofort benutzen könne, bei dem die Aufregung über den drohenden Überfall bereits einen schweren Schwächeanfall zur Folge gehabt hatte. Hier in dem ersten Stockwerk fand der kleine Doktor auch eine Stehlampe, die er sogleich anzündete. Er überließ jetzt den alten Herrn der Fürsorge seiner Tochter und stieg weiter durch einen dritten, wiederum ganz leeren Raum bis zur brüstungumgebenen Plattform empor, konnte hier jedoch nur feststellen, daß die hohen Bäume des Gartens jede Aussicht nach den Farmgebäuden hin versperrten, kehrte daher zu seinen Schutzbefohlenen zurück, nachdem er noch sowohl die Turmluke nach der Plattform als auch die festen, dicken Läden der in jedem der Stockwerke befindlichen drei kleinen Fenster verriegelt hatte, und teilte ihnen mit, daß er unten im Erdgeschoß bleiben und dort die weitere Entwicklung der Dinge abwarten wolle.

Das blonde, schöne Mädchen, das in dem an die Tiroler Bauerntracht erinnernden Kleide vielleicht noch liebreizender als in einem modernen, städtischen Anzug aussah, warnte ihn noch, doch ja nicht durch einen Lichtschimmer der Laterne, der vielleicht durch die Tür ins Freie fallen könnte, ihr gemeinsames Versteck zu verraten, und bat ihn sogar, doch besser hier oben zu bleiben, hatte hiermit aber wenig Glück bei dem dicken Gelehrten, in dem durch eine besondere Beobachtung, die er im untersten Raume zunächst nur durch einen flüchtigen Blick gemacht hatte, der Forschergeist erwacht war.

Siegfried Teppenwurz stieg nun also mit seinen kurzen Beinchen, die Laterne in der Linken, die Treppe hinab, überzeugte sich nochmals, daß er die schwere, eisenbeschlagene Tür auch sorgfältig von innen verschlossen habe, nahm dann eine aus dem Wohnraum mitgenommene Decke und hängte sie so über die niedrige Pforte, daß der Laternenschein unmöglich zum Verräter werden konnte, zumal es hier sonst weiter keine Maueröffnungen nach außen hin gab.

Der dicke Doktor beleuchtete nun die linke Wand, an der er vorhin eine in das Mauerwerk eingelassene Steinplatte bemerkt hatte, in die vier Reihen von Buchstaben eingemeißelt waren. Und diese Inschrift war’s gewesen, die sein Interesse so stark wachgerufen hatte, daß er selbst dem holden Kinde da oben die Bitte abschlug, ihr und dem Vater Gesellschaft zu leisten, anstatt unten allein den Wächter zu spielen.

 

Der dicke Doktor beleuchtete nun die linke Wand.

 

Siegfried Teppenwurz erkannte sehr bald, daß es lateinische Worte waren, die die Steinplatte hier über Jahrhunderte hinaus bewahrt hatte. Unschwer gelang es ihm, die Inschrift zu entziffern und auch zu übersetzen. Sie lautete in deutscher Sprache:

„In diesem Gott geweihten Hause haben drei unserer Brüder, die gegen die Gesetze des Ordens sich vergingen, die Strafe für ihr sündiges Tun erhalten. Vergiß dies nicht, o Bruder, der Du vielleicht einmal den Raum der Folter in den Gewölben des Turmes betrittst!

Im Jahre des Herrn 1689. Eusebius, Prior des Klosters Santa Virgo.“

Der kleine Dicke schaute sich jetzt prüfend um, leuchtete überall die Wände und die Steinplatten des Bodens ab, fand aber nirgends Anzeichen dafür, daß es hier noch einen Zugang zu den in der Inschrift erwähnten Gewölben gäbe. Deshalb stieg er nun leise nach oben und fragte das blonde Mädchen, ob sie vielleicht etwas von diesen Gewölben wisse. Sie schüttelte den Kopf und meinte, ihr Bruder Karl hätte zwar auch bereits nach dem Eingang zu den doch offenbar vorhandenen Kellerräumen gesucht, jedoch nichts entdecken können.

Darauf kehrte der Doktor wieder in das Erdgeschoß zurück und tastete, jetzt bereits mit wesentlich gesteigerter Neugier, nochmals ganz sorgfältig besonders die Bodenplatten ab, sodann ebenfalls die Wände. Schon wollte er die Sache als aussichtslos aufgeben, als ihm dicht neben der Tür an der linken Mauerseite eine fortlaufende, tiefe Fuge in den großen. gebrannten Tonziegeln auffiel, die etwa anderthalb Meter über dem Boden sich wagerecht in einer Länge von etwa neunzig Zentimeter hinzog und sich von den Endpunkten dieser Linie senkrecht nach unten fortsetzte.

Eine Viertelstunde später war es seiner Ausdauer und seiner Vertrautheit mit ähnlichen Geheimtüren alter Burgen und Schlösser geglückt, an dieser Stelle den Zugang zu einer schmalen Steintreppe zu finden, die steil abwärts verlief. Die Fugen in dem Mauerwerk stellten die Umrisse eines in ein eisernes Gestell eingefügten Mauerteiles dar, der sich durch starkes Drücken auf einen bestimmten Stein nach innen wie eine Pforte öffnen ließ, sich also in Angeln drehte. Die ganze Einrichtung war ebenso einfach wie sinnreich angelegt.

Siegfried Teppenwurz, ganz erfüllt von der soeben gemachten Entdeckung und jetzt nur noch Gelehrter, der zwar hauptsächlich die Schlangengifte studierte, aber auch für alles sonst irgendwie Außergewöhnliche sich lebhaft interessierte, zögerte keinen Augenblick, in die vielleicht seit mehr als hundert Jahren nicht mehr betretenen Gewölbe hinabzusteigen.

Er fand denn auch wirklich drei hintereinander liegende Räume, in denen eine dumpfe, modrige Luft ihm fast den Atem benahm, was ihn jedoch nicht hinderte, sie recht sorgfältig zu besichtigen. Diese drei mit gewölbten Decken versehenen, quadratischen Keller enthielten allerlei für einen Forscher recht bemerkenswertes Gerümpel, darunter auch ein langes Kanonenrohr. In dem letzten Raum besonders waren an den Wänden allerlei Folterwerkzeuge befestigt, wie sie im Mittelalter nicht nur von den Gerichten, sondern auch besonders von den Inquisitionstribunalen zur Erpressung von Geständnissen benutzt worden waren. Hauptsächlich interessierte den kleinen Gelehrten eine in der Mitte dieser Folterkammer stehende, seltsame Maschine, die aus einem durch eine Tretvorrichtung drehbaren, wagerecht liegenden großen Rade bestand, in dessen Radkranz in gleicher Entfernung von einander nach außen hin haarscharfe, lange Messer eingelassen waren, während links neben diesem Rade eine Art hölzerner Lehnsessel stand, an dem viele Riemen befestigt waren und mit Sicherheit darauf hindeuteten, daß sie nur zur Fesselung eines zu Folternden bestimmt sein konnten.

Zuerst war der Doktor sich über den Zweck dieses Folterrades noch nicht im klaren. Als er nun aber versuchsweise mit dem Fuße die Tretvorrichtung auf und ab drückte und die einfache Maschinerie sich jetzt noch völlig gebrauchsfähig zeigte, als das Rad sich immer schneller zu drehen begann, da bemerkte er, daß die Achse des Rades sich langsam nach links zu neigte, so daß die kreisenden Messer sich immer mehr der Stelle des hölzernen Stuhles näherten, wo etwa der Hals eines darauf befestigten Menschen sich befinden mußte.

Kopfschüttelnd nahm Siegfried Teppenwurz jetzt den Fuß von dem Holzhebel herunter, worauf die Umdrehung des Rades sofort aufhörte und die Achse auch wieder in ihre senkrechte Lage zurückglitt. Und mit einem Seufzer, der der bestialischen Grausamkeit der Menschen galt, die dieses Instrument erfunden, murmelte er vor sich hin: „Es ist eine Maschinerie, um einem armen Opfer ganz allmählich den Hals abzuschneiden! Gott sei Dank, daß ich nie auf jenen Holzsessel angeschnallt war. Es muß ein scheußliches Gefühl gewesen sein, wenn die surrenden Messer der Kehle immer näher und näher kamen, erst nur die Haut ritzten, dann den Schlundknorpel durchsägten und – Nein, pfui Teufel, – ich mag’s mir gar nicht weiter ausmalen!“

Er kehrte nun wieder nach oben zurück, ahnungslos, daß er weit über eine Stunde die Folterkammer besichtigt und daß inzwischen längst der Überfall auf die Farm begonnen hatte. Freilich – hier in diesen dicken Mauern war von den Schüssen nichts zu hören, nichts von dem Geschrei der Kämpfenden, den Schmerzensrufen der Verwundeten.

Gerade als er die Geheimtür wieder zuziehen wollte, wurde von draußen an die Turmpforte geklopft. Der Doktor löschte schnell die Laterne aus, schlug die vor die Tür gehängte Decke zurück und lauschte.

Abermals das Klopfen. Und jetzt auch eine Stimme.

„Öffnet. Ich bin einer der Peons. Sennor Burg schickt mich. Der Angriff ist abgeschlagen.“

Es war eine große Unvorsichtigkeit von Teppenwurz, dem Manne da draußen so ohne weiteres zu glauben, daß er tatsächlich ein Beauftragter des Farmbesitzers wäre. Später machte sich der Doktor denn auch die schwersten Selbstvorwürfe dieser Unüberlegtheit wegen. Da war es aber leider schon zu spät.

Er schob nun die starken Eisenriegel zurück, und die nach innen schlagende, schwere Tür wurde sofort von draußen ein Stück aufgestoßen, so daß der Doktor nun drei nur ganz undeutlich zu erkennende Gestalten gewahrte und gleichzeitig auch ein andere Stimme vernahm:

„Hinein – nur der Alte und das Mädchen können hier stecken!“

Da erst durchzuckte den armen Teppenwurz die niederschmetternde Erkenntnis, daß er sich hatte überlisten lassen.

Doch – ein Zufall sollte den drei Leuten Almeidas, die dieser auf die Suche nach den in dem Wohnhause nicht aufzufindenden beiden Angehörigen des Farmers geschickt hatte, zunächst noch den Eintritt in den Turm verwehren.

Die Wolldecke, mit der die Tür verhängt gewesen war, fiel nämlich herab und klemmte sich unten zusammengeballt so zwischen dem Steinboden und der erst zwei Handbreit offenen Pforte fest, daß diese sich nicht weiter aufstoßen ließ.

Der Doktor war beim Anblick der drei Kerle und infolge des ihm die wahre Sachlage enthüllenden Zurufs unwillkürlich zurückgeprallt. In der im Turme herrschenden Finsternis hatten die Leute Almeidas den kleinen Gelehrten bisher nicht bemerkt, glaubten vielmehr, entweder die Schwester Karl Burgs oder dessen Vater vor sich zu haben, stemmten sich nun mit aller Kraft gegen die Tür, indem der eine von ihnen dabei drohend ausrief:

„Keine Gegenwehr! Sonst schneiden wir Euch die Hälse ab. Die Farm ist unser, und auf Hilfe habt Ihr nicht zu rechnen!“

Siegfried Teppenwurz war alles andere nur kein Feigling. Und als er nun nach blitzschnellem Überlegen lautlos hinter der Geheimtür verschwand und diese zudrückte, geschah es wahrlich nicht, um sich in Sicherheit zu bringen! Nein – er glaubte eben, daß es für seine beiden Schützlinge besser wäre, wenn sie den Leuten Almeidas in die Hände fielen, ohne daß hierbei Blut floß, und er hoffte weiterhin auch, den in Gefangenschaft Geratenen vielleicht irgendwie später helfen zu können.

Diese Gedanken bestimmten ihn, sich schleunigst in das sichere Versteck zurückzuziehen.

Die drei Bravos hatten sehr bald das Hindernis hinweggeräumt und stürmten nun auf den Lichtschein zu, der vom ersten Stockwerk her auf die Treppe fiel, rissen hier mit brutaler Roheit den alten Herrn von seinem Lager hoch, zerrten das leichenblasse Mädchen gleichfalls mit sich fort und schleppten beide im Triumph nach der Veranda des Wohnhauses, auf deren Stufen dann der Vater des jungen Farmers durch eine Kugel Almeidas hingemordet wurde.

 

… und schleppten beide im Triumph nach der Veranda des Wohnhauses.

 

Inzwischen waren dem kleinen Doktor, der niedergeschlagen auf der obersten Treppenstufe der Gewölbe saß, doch allerlei Zweifel gekommen, ob er nicht richtiger gehandelt hätte, wenn er den Turm gegen die drei Banditen verteidigt haben würde. Der Gedanke war ihm jetzt geradezu unerträglich, daß Burg ihn vielleicht für einen Menschen halten könnte, der nur darauf bedacht gewesen, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Schließlich bestürmte ihn ein solches Heer von Selbstvorwürfen und Selbstanklagen, daß er kurz entschlossen die Geheimtür wieder öffnete, den Turm verließ und nach der Gartenpforte schlich, von der aus er einen Teil des Hofraumes übersehen konnte.

So wurde er gerade Zeuge des freventlichen Mordes an dem alten Manne, so gewahrte er weiter, wie Watawi sich zu Almeida hin eine förmliche Gasse mit Keule und Revolver bahnte und wie der Häuptling dann von dem Mulatten Benito mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen wurde, während in demselben Augenblick die umzingelten Peons den Kreis zu durchbrechen suchten.

In diesem Moment kam dem wackeren kleinen Gelehrten der Gedanke, den Indianer zu retten. Und es glückte ihm auch wirklich, Watawi unbemerkt nach dem Turm und unten in die Gewölbe zu bringen. Hier ließ er den Bewußtlosen allein und schlich abermals den Baulichkeiten zu, diesmal in der Absicht, zu versuchen, das blonde Mädchen zu befreien. Da er auf der Veranda nur noch die Leiche des alten Herrn Burg erblickte, während der Hof jetzt nur noch Tote, Sterbende und Verwundete barg, zwischen denen Almeida im Gespräch mit einem Mulatten stand, wagte er sich in das Wohnhaus hinein und gelangte auch bis an die Tür zu dem erleuchteten, hinter der Veranda liegenden Zimmer. Diese Tür war nur angelehnt.

Kaum hatte der Doktor, durch die Spalte lugend, in dem Zimmer Annemarie erspäht, die von zwei Leuten bewacht wurde, als er auch schon sein Messer zog, um die beiden Wächter niederzustechen und dann das Mädchen gleichfalls in die sicheren Turmgewölbe zu geleiten.

Doch ein anderer kam ihm zuvor!

Plötzlich schlüpfte von der Veranda durch das Fenster ein schlanker Mestize in das Zimmer.

Der Doktor traute seinen Augen nicht: es war Juan, der noch bis vor wenigen Wochen sein Führer durch die Wildnis und die Savanne gewesen und den er stets beinahe als Freund behandelt hatte! –

Kurz vorher hatte Almeida auf dem Hofe den Mestizen grob angefahren, weil dieser sich nicht am Kampfe beteiligt, sondern stets in vorsichtiger Entfernung gehalten hätte, worauf der Mestize entgegnet hatte, er wäre kein Bandit und nur eine Verpflichtung zum Dienst als Soldat eingegangen, eine Antwort, auf die hin der Brasilianer die wüstesten Beschimpfungen und allerlei Drohungen ausgestoßen hatte, aus denen dem Mestizen erst klar wurde, wie Almeida in Wahrheit über ihn dachte. –

Der Doktor beobachtete nun, wie der schlanke, kräftige Farbige mit unheimlicher Gewandtheit und Sicherheit die beiden Wächter erdolchte, bevor sie noch einen Schrei ausstoßen konnten.

Jetzt hielt er es doch für angebracht, sich zu zeigen, denn Annemarie war bei dieser neuen Blutszene abermals in Ohnmacht gesunken.

Er stieß die Tür weiter auf, und – beinahe hätte ihn Juan nun als dritten ebenso schnell kaltgemacht, wenn er nicht doch in dem kleinen, bebrillten Herrn noch im letzten Augenblick seinen verehrten einstigen „Doktor Siegfried“ wiedererkannt haben würde.

„Ah – karamba! – Doktore, Ihr seid’s! Das nenn’ ich ein Wiedersehen!“ meinte er hastig. „Später können wir reden, – jetzt nur fort von hier! Ich wollte das Mädchen dort retten, um dem Schurken Almeida einen Streich zu spielen.“

So kam es, daß Siegfried Teppenwurz gleich zwei neue Flüchtlinge mit nach den Gewölben nehmen konnte, wo der Häuptling inzwischen das Bewußtsein wiedererlangt hatte.

Der Doktor hatte schon vorher die große Petroleumlaterne hier unten angezündet, bei deren Schein nun Juan und Teppenwurz sich eifrig bemühten, das blonde Mädchen wieder ins Leben zurückzurufen, was ihnen aber erst nach einer geraumen Weile gelang.

Annemarie wurde nun auf dieselbe Decke gebettet, die die drei Banditen gehindert hatte, sofort in den Turm einzudringen. Dann erbot sich Watawi, der sich jetzt vollständig von dem Kolbenhiebe Benitos erholt hatte, draußen Ausschau zu halten, ob Almeida mit seinem Gesindel inzwischen vielleicht abgezogen sei. Er gab diesen Gedanken jedoch auf, da der Doktor bemerkte, daß der Brasilianer ohne Zweifel alles versuchen würde, Annemarie wieder einzufangen, und daß zu leicht der Häuptling gerade dann durch die Geheimtür in den Turm schlüpfen könnte, wenn ein paar der Bravos auf der Suche nach dem Mädchen in nächster Nähe wären, wodurch die Sicherheit aller hier unten Anwesenden gefährdet würde.

Watawi mußte eingestehen, daß diese Bedenken des kleinen Gelehrten ihre große Berechtigung hatten. So unterblieb denn dieser Kundschaftergang. Und erst ein paar Stunden später wagten sich der Karipune und Teppenwurz gemeinsam nach oben, trennten sich aber sehr bald, nachdem sie die Gebäude der Farm in hellen Flammen stehend vorgefunden hatten, und wollten einzeln jeder für sich eine besondere Aufgabe erledigen, – nämlich Watawi die weitere Umgebung des Diabolo-Hügels daraufhin absuchen, ob vielleicht noch irgendwo Leute Almeidas versteckt lägen, der Doktor wieder zusehen, ob er nicht die Leiche des alten Herrn bergen könnte.

Der Häuptling entging den scharfen Augen des von Benito auf den Baum beorderten Beobachtungspostens. Nicht so Siegfried Teppenwurz, der durch das unerwartete Erscheinen Erwin Burgs inmitten des von den brennenden Gebäuden hell erleuchteten Hofes gezwungen wurde, sich mit dem Knaben, dem er bisher ja völlig fremd war, erst bekannt zu machen und dessen berechtigte Zweifel zu zerstreuen, daß er nicht vielleicht selbst mit zu den Leuten gehörte, die hier schlimmer als Vandalen gehaust hatten.

Da die Leiche des alten Mannes nirgends zu entdecken war, führte der Doktor den Knaben nun gleichfalls schleunigst in den Turm, nachdem dieser sein Pferd abgesattelt und tiefer in den Garten hineingescheucht hatte.

Watawi wieder war, sich mit allergrößter Vorsicht vorwärtsbewegend und alle offenen Geländestellen vermeidend, nach einigen Minuten auf die frische, jetzt im Morgenzwielicht gut erkennbare Fährte Benitos und seiner vier Leute gestoßen, hatte diese Spuren sofort eine Strecke weit mit derselben Vorsicht verfolgt und dann gerade die Begrüßung zwischen Almeida und Benito beobachten und belauschen können, die ja sehr bald durch die Dazwischenkunft des Beobachtungspostens gestört wurde, der das Verschwinden der beiden Weißen in dem Turme melden kam.

Auch dies hörte Watawi mit an, wollte nun schleunigst nach der Klosterruine zurück und wäre jetzt dabei fast jenen fünf Leuten in die Arme gelaufen, die dem Blutbade am Kanal entgangen waren, sich nachher wieder zusammengefunden und mit Benito sich hatten vereinigen wollen. Im letzten Moment nur konnte der Karipune noch in ein Dickicht kriechen, wo er den Augen der Bravos zwar entzogen war, anderseits aber zu lange sich verborgen halten mußte, um Almeidas berittenem Trupp noch vorauseilen zu können. Dies mußte er aufgeben, blieb aber stets auf ihrer Fährte, hoffte außerdem auch bestimmt, daß es den Banditen nicht gelingen würde, die Geheimtür in der Mauer herauszufinden.

 

5. Kapitel.

Die kreisenden Messer.

Erwin Burg, ein für seine Jahre außerordentlich kräftiger Knabe mit tiefgebräuntem Gesicht, hatte genau dieselbe kühn gebogene Nase und dasselbe blonde, gewellte Haar und dieselben dunklen Augen wie sein weit über zehn Jahre älterer Bruder. Er trug einen indianischen Jagdanzug aus feinstem, weichgegerbtem Leder des Pampashirsches, ein Geschenk Watawis, der den frischen, kecken Jungen genau so innig in sein Herz geschlossen hatte wie seinen weißen Bruder Karlos. Der Anzug, reich verziert mit farbigem Lederbesatz, Leopardenzähnen und den weißschwarzen Haarbüscheln des Arua-Marders, hob mit seinem eng anliegenden Schnitt die schlanke, kraftvolle Figur des kaum Fünfzehnjährigen aufs vorteilhafteste. Bewaffnet war der Knabe mit einer kurzen, doppelläufigen Hinterladerbüchse, einem Revolver, einem Jagdmesser und einem indianischen Wurfbeil mit gebogenem Stiel von sehr zierlicher Form, so daß dieses fast wie ein Spielzeug aussah. Und doch war Erwin von seinem strengen Lehrer dem Häuptling der Karipunen, neben anderen für das Leben in der Wildnis nötigen Dingen auch in dem Gebrauch dieser Schleuderwaffe so vorzüglich unterwiesen worden, daß er es darin mit jedem alten Krieger aufnahm.

Alles in allem war er eine Erscheinung, die so recht in die von der Zivilisation nur schwach berührten Gebiete an dem Riesenstrome paßte und die sofort in dem zwar gutmütigen, aber ebenso abenteuerlustigen und tapferen Herzen des kleinen Doktors warme Gefühle freundlicher Zuneigung weckte.

Desto schmerzlicher war es ihm aber auch gewesen, dem ahnungslosen Jungen, der bisher ja nur die Feuersbrunst mit eigenen Augen schaute und von den anderen Schreckensszenen nichts wußte, die Unglücksnachricht von dem Überfalle auf die Farm und von dem Tode des kränklichen Vaters ausrichten zu müssen.

Erwin hatte dann nur kurz gebeten, ihn zu seiner Schwester in das Versteck in den Gewölben des Turmes zu führen.

Hier spielte sich zwischen den Geschwistern eine herzergreifende Wiedersehensszene ab. Das blonde Mädchen schluchzte fassungslos, hielt den Bruder umklammert und konnte vor unsäglichem Weh kein einziges Wort hervorbringen.

Stumm und tief ergriffen standen der Doktor und der Mestize Juan dabei. Es war ein seltsames, phantastisches Bild, diese beiden jungen, gestern noch so zufriedenen und glücklichen Menschenkinder aneinander gelehnt in tiefstem Schmerz, daneben die Gestalten des dicken Doktors mit seinem fast zum Lachen reizenden Äußeren und des ernsten, hochgewachsenen Mestizen, ringsum aber die schimmelüberzogenen Mauern des Gewölbes mit seinem altertümlichen Gerümpel, und all das beleuchtet von dem rötlichen Schein der an der Wand hängenden großen Laterne.

Jetzt löste der Knabe sanft die Arme der Schwester von seinem Halse. Und das, was er nun feierlich und doch mit dem zielbewußten Ernst eines erwachsenen Mannes sagte, bewies wie schnell er auch innerlich durch diese drei Jahre in der brasilianischen Wildnis ausgereift war.

„Annemarie, sei tapfer! Der Vater wird gerächt werden, ebenso die Vernichtung dieser unserer neuen Heimat, in der wir so glücklich waren! Sollte auch unser Karl von diesen elenden Schurken hingemordet sein, so werde ich die Rache übernehmen, und – nicht einer von den Banditen, die hier gehaust haben, soll mit dem Leben davonkommen! Unser roter Bruder Watawi wird mir helfen, dieses Strafgericht zu vollenden. Das weiß ich genau. – Jetzt aber habe ich eine andere heilige Pflicht: die, unseres Vaters Leichnam zu suchen, damit wir ihn beerdigen können und eine Stätte haben, an der ich stets von neuem an meine Rache erinnert werde! Das Gesetz der Wildnis heißt: Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

Siegfried Teppenwurz glaubte den Knaben warnen zu müssen und machte ihn auf die Gefahren aufmerksam, die draußen vielleicht lauerten.

„Ich habe mit Watawi vier Monate lang in den Bergen des Rio Trompetas[*9] auf Leoparden gejagt, Herr Doktor,“ erwiderte Erwin bescheiden aber doch mit stolzer Festigkeit. „Nichts von den Künsten der wilden Indianer ist mir fremd. Mich fängt keiner der Banditen des Mörders Almeida.“

Darauf nickte er der Schwester nochmals zu und verließ den Turm, von Teppenwurz bis an die Pforte geleitet, die man absichtlich offen ließ, um die Feinde gar nicht auf den Gedanken zu bringen, daß sich irgend jemand hier verborgen hielte.

Die Morgendämmerung war schon recht weit vorgeschritten. Im Osten rötete sich der Horizont über dem grünen Blättermeer der Urwaldkronen immer stärker. Die Sonne schickte sich an, mit ihren ersten Strahlen die qualmenden Trümmerhaufen der Diabolo-Farm zu vergolden wie ein Hinweis auf ihre segenbringenden, befruchtenden Kräfte und auf das bekannte Dichterwort: „Und neues Leben blüht aus den Ruinen –!“[4]

Erwin Burg schlüpfte sofort in das nächste Gebüsch, verhielt sich hier einige Minuten völlig regungslos. Er hatte von dem roten Häuptling auch das gelernt, was bei allen gefahrvollen Unternehmungen nie vergessen werden darf: Geduld und wieder Geduld.

So stand er denn tief gebückt da, lugte durch die Sträucher, beachtete jede Kleinigkeit, – die in den Zweigen sich haschenden winzigen Kolibris, die auf einer nahen Palme hockenden, laut schnatternden Seidenäffchen, die sich so sehr leicht an den Menschen gewöhnen und die man als possierliche[5] Spaßmacher gern in der Nähe der Ansiedlungen duldet.

Dann schlich er weiter. Nicht auf allen Vieren. Dazu war das Gestrüpp zu dicht. Nein – er suchte sich stets freiere Stellen aus und schnitt hinderliche Äste geräuschlos weg.

So gelangte er bis an den Fuß der Palme, auf der die kleine Affenherde unruhig und neugierig das ungewohnte, völlig veränderte Bild der Farmgebäude anstarrte und eifrig darüber sich auszusprechen schien.

Etwa hundert Meter weiter nach Norden zu erhob sich jetzt aus einem niedrigen Hain von Araukarien-Bäumen krächzend ein Schwarm Papageien.

Erwin faßte seine Büchse fester. Die scheuen, mißtrauischen Vögel sind dem einsamen Jäger in Urwald und Savanne stets rechtzeitige Warner. Ohne Zweifel hatte entweder ein Mensch oder ein größeres Raubtier sie verjagt, wahrscheinlich ein Mensch, denn die Vertreter der Raubkatzen, Onze, Jaguar und Leopard, zeigten sich in solcher Nähe der Farm am Tage höchst selten.

Dann tauchten jenseits eines frisch ausgerodeten Streifens unter den Bäumen drüben auch wirklich Reiter auf. Es konnten nur die Banditen Almeidas sein! Und – da befand sich ja auch unter ihnen ein Weißer, der ganz so aussah, wie der Doktor den Mörder Almeida beschrieben hatte.

 

Dann tauchten unter den Bäumen drüben auch wirklich Reiter auf.

 

Einen Moment packte den Knaben da das heiße Verlangen, hier sofort den verruchten Schurken vom Pferde zu schießen. Nur einen Moment! Dann siegte bereits die ruhige Überlegung. Der Schuß unterblieb, denn er hätte, selbst wenn der Schütze entkommen wäre, die Bravos nur zu eifrigster Durchsuchung der Umgebung veranlaßt und somit vielleicht eine neue Gefahr für die in den Gewölben Verborgenen heraufbeschworen. So dachte der wackere Junge, und – ahnte nicht, daß Almeida mit seinen Leuten gerade nach dem Turm unterwegs war.

Noch ahnte er es nicht. Aber keine fünf Minuten später bereits hatte er die Gewißheit, die Banditen könnten es nur auf die Ruine abgesehen haben, mußten also wissen, daß es für sie dort menschliche Beute gäbe.

Aus der Krone eines dichtbelaubten Lorbeerbaumes, den er gewandt erklettert hatte, beobachtete er zu seinem Entsetzen, daß der Turm von den Bravos umzingelt wurde. Was sich dort weiter abspielte, vermochte er freilich nicht festzustellen. Dann hörte er nach etwa fünf Minuten ein gellendes Triumphgeheul, das er sich nur auf eine Weise deuten konnte: die Banditen mußten die Geheimtür zu den Gewölben entdeckt haben, so wenig wahrscheinlich dies auch zu sein schien!

Der Knabe war einen Augenblick wie gelähmt. Sein erster Gedanke galt der Schwester, die jetzt diesen Unmenschen überantwortet war.

Da – gerade jetzt, wo tiefste Mutlosigkeit und Verzweiflung ihn befallen hatte, bemerkte er in den Büschen, dicht am Fuße des Baumes, den er erstiegen hatte, eine ganz schwache Bewegung einiger Zweige. Gleich darauf schob sich über das grüne Laub der mit drei Adlerfedern geschmückte Haarschopf eines Indianers hinaus.

Erwin Burg ahmte sofort den Ruf der kleinen Wildtaube täuschend ähnlich nach. Es war das Erkennungszeichen, das er mit Watawi damals vereinbart hatte, als sie am Rio Trompetas zusammen gejagt und dabei auch einen bösen Strauß mit einer Bande von Buschkleppern ausgefochten hatten.

Auf die gurrenden, in einem hellen Schmettern verklingenden Vogellaute hin hatte der Häuptling der Karipunen langsam den Kopf gehoben. Erwin streckte jetzt den einen Fuß durch eine Lücke im Gezweig etwas tiefer und bewegte ihn hin und her. Als Antwort hierauf erklang von unten dasselbe harmlose Gurren, ein Beweis, daß Watawi jetzt wußte, wer dort oben in dem Laubdach steckte

Bereits wenige Sekunden später tauchte der Häuptling neben Erwin in der Baumkrone auf, reichte ihm die Hand hin und flüsterte:

„Mein kleiner weißer Bruder hat nicht verlernt, was Watawi ihm beigebracht hat, der sich freut, ihn hier zu finden. Watawi wird ihm beistehen, das Unheil von der holden blonden Blume der Teufelsfarm und von dem großen Medizinmann, der die Giftschlangen liebt, abzuwenden.“ –

Das Triumphgeheul der Bande Almeidas hatte tatsächlich den Grund, den Erwin Burg vermutete.

Von winzigen Kleinigkeiten hängt oft unser Geschick ab. Hier war es ein Stück buntes Band von Annemaries Rock, das sich in einer Mauerfuge der Geheimtür festgeklemmt hatte, als der Doktor und der Mestize Juan die Ohnmächtige in die Gewölbe hinabtrugen, und das dann, bisher unbemerkt, gerade von den Augen derer erspäht wurde, denen es am ehesten hätte verborgen bleiben müssen.

Benito, der schlaue, vielerfahrene Mulatte, war es, der nach vergeblicher Durchsuchung der Turmstockwerke auf den Gedanken kam, es könnten hier auch verborgene Räumlichkeiten vorhanden sein. Seine scharfen Augen fanden dann auch das winzige Stückchen Band, das kaum zwei Zentimeter weit aus der Fuge der Geheimtür herausragte. Sehr bald hatte er nun ebenfalls den einfachen Mechanismus ausgekundschaftet, durch den die Tür sich nach hinten aufdrücken ließ.

Auf seinen Wink hin herrschte jetzt im Erdgeschoß des Turmes völlige Stille, und durch einen neuen Wink befahl er vier Leuten, ihm lautlos zu folgen. Wie die Katzen glitten sie die Stufen der Steintreppe abwärts, sahen nun vor sich den rötlichen Lichtschimmer, hörten auch eine Stimme, die soeben sagte:

„Sennor Doktore, macht Euch keine Sorge des Jungen wegen! Er ist nicht umsonst Watawis Schüler gewesen, davon könnt Ihr überzeugt sein. Er wird sich nicht abfassen lassen, zumal –“

So weit kam er. Da unterbrach ihn ein anderer – Benito, der Mulatte:

„Keinen Widerstand! Wir feuern sofort! Ergebt Euch!“

In Juans Hirn rasten die Gedanken. Was vermag ein Mensch in der Aufregung nicht alles im Bruchteil einer Sekunde zu überlegen! Und – der Mestize hatte ja leider übergenug Grund zu den schlimmsten Befürchtungen! Er, der bisherige Verbündete Almeidas, hier zusammen mit dem blonden Mädchen, der Schwester des Farmers! Das bedeutete fraglos sein Todesurteil. Er wußte, daß es für ihn kein Entrinnen gab. Sollte er da nicht wenigstens noch diesen gefährlichen Burschen, den Benito, unschädlich machen?!

Kaum gedacht, schnellte er auch schon von der Kiste, auf der er neben dem Doktor gesessen, hoch und mit einem wahren Seiltänzersatz über das Lager Annemaries hinweg, riß im Sprunge den Revolver heraus, – stürzte jetzt aber wie vom Blitz getroffen urplötzlich nach vorn auf das Gesicht.

Benito hatte noch schneller, als der Mestize abdrücken konnte, seine Wurfkeule in die Hand bekommen und mit einer Sicherheit, über die kaum ein wilder Indianer verfügt, dem Mestizen das eisenharte Holz gegen die Stirn geschleudert.

Wenige Minuten später lagen Siegfried Teppenwurz und Juan zu wehrlosen Bündeln zusammengeschnürt am Boden des Gewölbes, und hohnlachend umdrängten die Banditen nun die Gefangenen, stießen den Mestizen mit Füßen, riefen dem weinenden blonden Mädchen häßliche Worte zu und bewiesen in ihrem ganzen Gebaren die wilde Genugtuung, jetzt wenigstens an der Schwester des Farmbesitzers und diesen beiden Männern ihr Mütchen kühlen zu können für die schweren Verluste am Ufer des Kanals.

Dem Jubelgeheul, das die draußen vor dem Turme versammelten Banditen infolge der so gut geglückten Gefangennahme der in den Gewölben versteckten ausgestoßen hatten, folgte sehr bald ein zweites, als jetzt drei der Bravos einen verwundeten Peon angeschleppt brachten, der von ihnen an einer anderen Stelle der Klosterruine zufällig aufgestöbert worden war, wo der Ärmste sich trotz seines zerschossenen Knies verkrochen gehabt hatte. Dieser Peon war einer der tapfersten von Karl Burgs Leuten und hatte bei dem Kampfe auf dem Hofraum allein zwei der Bravos mit sicherer Hand niedergeschossen. Einige der Banditen erkannten ihn jetzt wieder, und das tierische Freudengebrüll steigerte sich ins Ungemessene, als Almeida seiner Truppe nun verkündete, er wolle sofort über die drei männlichen Gefangenen Gericht halten. Das war so ganz nach dem Herzen dieses Gesindels, das sich bereitwilligst dazu hergegeben hatte, die Menschenjäger zu spielen, denn viel anders konnte man diese Art der Werbetätigkeit, wie Almeida sie ausübte, kaum bezeichnen.

Inzwischen hatten nämlich der Brasilianer und sein Vertrauter Benito in dem hintersten Gewölbe, der ehemaligen Folterkammer, das Messerrad entdeckt und auch herausgefunden, welchen Zwecken es gedient hatte und wie es in Bewegung zu setzen war. Da war sofort in Almeidas verruchter Seele ein Gedanke aufgeblitzt, wie er den dicken Europäer und den Mestizen Juan, die sich bisher standhaft geweigert hatten, über den Verbleib Erwin Burgs etwas auszusagen und die ebenfalls auf die Frage, wer Annemarie befreit und deren Wächter niedergestochen hätte, hartnäckig geschwiegen hatten, zu einem Geständnis zwingen könnte.

Um seinen Leuten ein besonderes Schauspiel zu geben, ernannte er nun drei von ihnen zu Richtern. Dieser Gerichtshof suchte mit blutiger Komik nach Möglichkeit die Gebräuche eines staatlichen Gerichts nachzuäffen, wobei besonders der Vorsitzende, ein verkommener Trunkenbold von Italiener, sich nicht genug tun konnte, das blonde, schon wieder halb ohnmächtige Mädchen zu verhöhnen, das von diesem schnapsduftenden Vorsitzenden zum Schein als Zeugin vernommen wurde.

Es war selbstverständlich, daß die drei männlichen Gefangenen zum Tode, Annemarie aber als Schwester eines Farmers, der sich der „Staatsautorität“ widersetzt hätte, zu – fünfzig Peitschenhieben verurteilt wurde, wobei dieser Banditen-Gerichtshof noch, was den Doktor und Juan anbetraf, bestimmte, daß sie insofern milder als der Peon davonkommen sollten, als das Urteil dann durch Erschießen anstatt durch das Messerrad vollstreckt werden könnte, wenn sie vorher angeben würden, was aus dem Knaben geworden sei, der doch unzweifelhaft sich irgendwo in der Nähe befinden müsse.

Dieser Urteilsspruch wurde von den Zuhörern mit lautem Händeklatschen und einem in den Gewölben schaurig widerhallenden Beifallsgeheul begrüßt.

Dann packten ein paar der vertierten Kerle den verwundeten Peon, schnallten ihn auf dem Holzsessel fest, daß er selbst den Kopf nicht mehr zu bewegen vermochte, und rissen sich nun förmlich darum, wer jetzt das Rad durch die Tretvorrichtung in Drehung versetzen dürfte.

Siegfried Teppenwurz, Juan und auch die blonde Annemarie waren nebeneinander so an der Wand aufgestellt worden, daß sie den Verurteilten im Profil vor sich hatten, mithin auch genau sehen mußten, wie das blitzschnell sich drehende Messerrad dem entblößten Halse des armen Opfers näher und näher rücken würde.

Jetzt gab Almeida den Befehl, die brennende Laterne niedriger zu hängen, damit der Oberleib des Peons deutlicher beschienen würde, bestimmte dann auch einen Neger dazu, den Fußhebel der Maschine zu treten.

Sofort begann das Rad zu kreisen und sich gleichzeitig immer mehr nach dem Festgeschnallten hinzuneigen, der zunächst gar nicht begriff, was ihm bevorstand, dann aber, als die blitzenden Messer ihm näher und näher kamen, leichenblaß wurde, während große Schweißperlen ihm auf die Stirn traten.

Dieser Peon, ein Mestize von so heller Hautfarbe, daß er für einen Weißen gelten konnte, war gewiß ein unerschrockener Bursche, der ja auch im Kampfe gezeigt, wie wenig er den Tod fürchtete.

Jetzt aber brach auch seine seelische Widerstandskraft diesem Millimeter um Millimeter langsam näherschleichenden Tode gegenüber völlig zusammen. Ein Angstschrei entrang sich seiner Kehle, der schnell in flehende Bitten um Gnade überging, die der Chor der Banditen mit Hohnrufen beantwortete.

Der kleine Doktor hatte während seiner zahlreichen Forschungsreisen schon manches erlebt und auch viele Szenen mitangesehen, bei denen man gute Nerven haben mußte, um nicht vor Entsetzen das Bewußtsein zu verlieren. Das, was er hier zu beobachten gezwungen war, ging über seine Kräfte. Wenn er die Hände frei gehabt hätte, würde er sie sich ebenso fest auf die Ohren gedrückt haben, damit er das furchtbare Angstgeheul nicht hörte, wie er jetzt die Lider der Augen schloß, um nichts mehr zu sehen.

Da – neben ihm ein dumpfer Fall. Das blonde Mädchen war bewußtlos zusammengesunken. Die Banditen kümmerten sich nicht darum. Sie waren viel zu sehr von dem ihre abgestumpften Nerven angenehm kitzelnden Schauspiel in Anspruch genommen, das diese teuflisch ersonnene Maschinerie und deren Opfer darboten.

Der Peon Kreischte jetzt in Tönen, die an die Schreie eines Wahnsinnigen erinnerten. Seine Augen waren stier nach unten auf den sich blitzschnell drehenden Kranz der Messer gerichtet, die bereits der Haut des Halses so nahe gekommen waren, daß der Unglückliche den kühleren Luftzug dieses tödlichen Windfächers spürte.

Dann – dann erschienen auf der Haut die ersten feinen Blutstropfen, erschien eine feine rote Linie, die sich immer mehr verlängerte.

Die kreisenden Messer begannen die Gurgel zu durchschneiden.

Jetzt verstummte ganz plötzlich das Angstgekreisch des Unglücklichen, – ganz plötzlich sank dem von einer wohltätigen Ohnmacht Umfangenen der Kopf matt auf die Brust, wodurch der Hals weiter nach vorn geschoben wurde, so daß das Todesrad seine Henkerarbeit nun ganz unerwartet schnell vollendete.

Zwei Blutstrahlen sprangen zwischen den kreisenden Messern aus dem halb durchschnittenen Halse auf. Einer davon besudelte den Mestizen Juan von oben bis unten, der andere traf den Mulatten Benito, der nun schnell zur Seite auswich, was dem gefesselten Juan unmöglich war.

Selbst diese halben Bestien von Menschen starrten jetzt mit halb verzerrten Gesichtern auf den auf dem Holzsessel festgeschnallten Leichnam des Peons.

Der Neger, der das Rad getreten hatte, drückte sich scheu beiseite und verließ die Folterkammer, holte draußen seine Schnapsflasche hervor und teilte ihren Inhalt brüderlich mit dem Italiener, der den Gerichtsvorsitzenden gespielt hatte und dem sich nun bei dem Anblick des Opfers des Messerrades alle Gedärme im Leibe umgekehrt hatten.

Erst ein heiseres Auflachen Almeidas und seine laut gerufenen Worte: „Ah – das war doch mal was anderes, meine Burschen!“ verscheuchten den Bann, der über den Zuschauern lastete. Jeder suchte jetzt so recht zu beweisen, daß die soeben durchlebte Szene ihm gar nichts ausgemacht hätte. Der Totenstille folgten Gelächter, allerlei rohe Scherzworte, bald auch Drohungen und höhnende Reden, die dem Mestizen Juan als dem nächsten Opfer des Messerrades galten.

Almeida ließ den Toten losschnallen und in den Nebenkeller schaffen, wohin Benito inzwischen auch die blonde Annemarie gebracht hatte, ohne sich jedoch weiter um sie zu kümmern. Nur mit einer Decke hatte er die Bewußtlose halb zugedeckt und ihr eine zweite, zusammengerollte, unter den Kopf geschoben.

Nun wandte der Brasilianer sich nochmals an den Doktor und an Juan mit der Frage, ob sie eingestehen wollten, wo der Knabe geblieben sei und wer das Mädchen befreit und hierher geführt habe.

Beide schwiegen auch jetzt angesichts des blutbespritzten Rades und des mit Blutlachen bedeckten Sitzes des Holzstuhles, auf dem der Peon soeben seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte.

Almeida geriet in wilde Wut über diese Halsstarrigkeit seiner Gefangenen.

„Schnallt den gelben Halunken auf den Sessel!“ brüllte er. „Er wird das Maul schon auftun, wenn ihm nur erst die Messer den Hals kitzeln! Dieser Abtrünnige, dieser Verräter hat kein anderes Schicksal verdient!“

 

„Schnallt den gelben Halunken auf den Sessel!“ brüllte er.

 

Im Nu war Juan dort festgebunden, wo noch vor Minuten der Tote mit verglasten Augen gesessen hatte.

Siegfried Teppenwurz sah noch Juans schnell erblaßtes Gesicht, noch die ersten Umdrehungen des Rades, – dann schloß er wieder die Augen.

Da – plötzlich ein Zuruf:

„He – Sennor Almeida, schaut her, was ich dem schurkischen Verräter soeben von der Brust gerissen habe: ein goldenes Medaillon ist’s, auf der einen Seite zwei verschlungene Buchstaben, – ja – ein S und T ist’s, – und vorn in blauen Steinchen eine große Blüte. Ah – es läßt sich öffnen. Nur eine Haarlocke ist darin, nichts weiter!“

„Gib das Ding mal her,“ meinte Almeida und streckte die Hand danach aus.

Jetzt hatte der kleine Doktor aber die Augen wieder ganz weit aufgerissen, jetzt rief er den Brasilianer hastig an:

„Sennor, – zeigt mir das Medaillon einmal, ich beschwöre Euch. – haltet es mir nur einen Moment vor die Augen. Wenn Ihr’s tut, will ich Euch sagen, wer die beiden Wächter des Mädchens erdolcht hat, – nein, sofort sollt Ihr’s hören: ich war’s, ich – und ich war’s auch, der den Knaben sofort nach seinem Eintreffen hier auf der Farm nach Serpa zurückschickte, damit er Hilfe herbeiholen sollte! Nun wißt Ihr alles, nun zeigt mir aber auch den kleinen Schmuck, den ich zu kennen glaube und der –“

Er stockte, blickte scheu nach Juan hin, dessen Augen fragend auf ihn gerichtet waren.

Almeida trat auf den kleinen Dicken zu. Das Medaillon hielt er hoch erhoben in den Fingern. Bevor der Doktor jedoch auch nur einen einzigen Blick darauf werfen konnte, spie jener ihm hohnlachend in die Augen.

„Da – da hast Du einen Schmuck, elender Bücherwurm!“ rief er. „Von der Sorte Medaillons kannst Du noch viele bekommen!“

Wieherndes Gelächter lohnte diesen „Witz“, – ein Gelächter, das gar nicht enden wollte.

Das Messerrad, das inzwischen stillgestanden hatte, begann sich wieder zu drehen.

 

6. Kapitel.

Schicksalstücke.

Benito, der Unteranführer der Truppe Almeidas, war ein vorsichtiger Mann und hatte daher drei besonders zuverlässige Leute als Wachen vor dem Eingang des Turmes zurückgelassen.

Diese drei hielten jedoch den Dienst, den man ihnen hier draußen aufgebürdet hatte, gerade jetzt für eine halbe Bestrafung und eine durch nichts begründete Zurücksetzung vor den übrigen, die unten in den Gewölben weit Interessanteres erlebten, als es hier vor der Turmpforte zu sehen gab.

Ihre Laune war daher auch recht schlecht. Sie fluchten und schimpften auf Benito, suchten sich dann auch durch ein paar Flaschen Schnaps zu entschädigen, die sie bei der Plünderung der Farm erbeutet hatten und die nun immer wieder die Runde machten.

Sehr bald waren sie denn auch recht vergnügt, setzten sich gemächlich auf ein paar nahe Mauertrümmer und begannen um Geld zu würfeln.

Einer der drei, ein pockennarbiger Neger, hatte das meiste Glück. Die beiden Verlierer, Mestizen und Brüder, warfen ihm unredliche Handhabung des als Würfelbecher benutzten Trinkbechers vor. Die Spielleidenschaft und der Schnaps machten sie völlig blind und taub für das, was um sie her vorging.

Aus dem Gestrüpp am Fuße des Turmes schob sich jetzt lautlos ein Indianer auf die Spieler zu, während von der anderen Seite ein schlanker Knabe, der gleichfalls wie ein Roter gekleidet war, jedoch einen Strohhut auf dem Kopfe trug, sich den pflichtvergessenen Wachen näherte.

Gerade als der eine der Mestizen abermals fluchend dem Neger ins Gesicht brüllte, daß dieser betrüge, richteten sich hinter den dreien die beiden Gestalten auf, und Watawis Keule und Erwin Burgs Wurfbeil machten die drei für alle Zeiten stumm, bevor einer auch nur den leisesten Hilferuf ausstoßen konnte.

Die Leichen wurden nun ebenso schnell ins Gestrüpp geschleift. Dann huschte Watawi in den Turm, fand die Geheimtür weit offen, schlüpfte die Treppe hinab, tastete sich durch das vorderste Gewölbe bis in das zweite hinein und hatte nun gerade vor sich das erleuchtete, in die Folterkammer führende Türloch.

Gerade jetzt war’s, als Almeida dem Doktor wiederholt ins Gesicht spie und seine Banditen diese Art „des Medaillonzeigens“ mit brüllendem Lachen begrüßten.

Watawis Fuß stieß an einen Körper. Er bückte sich, befühlte den Kopf, – fühlte langes, weiches Haar: es war Annemarie, die holde Blüte der Teufelsfarm!

Schon hatte er sie in die Arme genommen, trug sie ins Freie, übergab die noch immer Ohnmächtige ihrem jüngsten Bruder mit der Weisung, sie sofort in Sicherheit zu bringen und zwar in den östlich gelegenen Urwald, an dessen Rande Karl Burg auf einer gut achtzig Meter hohen Riesenkiefer, die sich durch besondere Vorrichtungen leicht ersteigen ließ, ganz im geheimen in der Krone einen kleinen Pavillon erbaut hatte, der ihm als Beobachtungsplatz über die ausgedehnten Viehhürden schon gute Dienste geleistet hatte.

Schon wollte Erwin mit der Schwester im Arm davoneilen, als – Karl Burg, Steuermann Schwechter und ein Peon aus den Büschen hervorbrachen, die so, vom Diabolo-See herkommend, gerade zur rechten Zeit erschienen.

Viel Worte wurden jetzt nicht gemacht. Nur das Allernötigste teilte man sich gegenseitig mit. Dann entwickelte Watawi in knappster Form seinen Plan, wie man nun den Doktor und den Mestizen gleichfalls retten könnte.

Die eisenbeschlagene Turmpforte wurde ausgehoben und eiligst durch Mauertrümmer oben vor der Treppe zu den Gewölben als Kugelfang so befestigt, daß man an den Seiten vorbeischießen und die Treppe unter Feuer halten konnte.

Dies war in knapp drei Minuten geschehen. Dann wurde diese Barrikade schnell noch durch den Tisch aus dem Turmgemach sowie ein paar Bretter verstärkt, und jetzt saßen Almeida und seine Banditen in einer Mausefalle, aus der es kein Entrinnen mehr gab.

Karl Burg feuerte einen Revolverschuß in den vordersten Keller hinein ab, um die Bravos aufmerksam zu machen. Der Knall, unheimlich verstärkt durch die gewölbte Decke, brachte denn auch nicht nur die gewünschte Wirkung hervor, sondern rettete auch Juan vor dem Tode durch das surrende Messerrad.

Die Banditen, ahnend, daß ihre Sicherheit irgendwie gefährdet sei, drängten in wilder Hast nach der Treppe hin. Kaum hatten die ersten jedoch einige Stufen erklommen, als zwei Schüsse aufblitzten und eine Stimme dann ein drohendes „Halt – zurück!“ rief.

Die Bravos fluteten rückwärts, – schimpfend, schreiend und Verwünschungen ausstoßend.

Abermals dieselbe Stimme:

„Jeder Widerstand ist nutzlos! Wir halten den verbarrikadierten Treppenaufgang besetzt! Ihr sollt geschont werden und unbehelligt abziehen dürfen, wenn Ihr uns sowohl Eure beiden Gefangenen als auch Almeida unversehrt ausliefert. Krümmt Ihr den Gefangenen auch nur ein Haar, so werdet Ihr dort unten durch herabgeworfene brennende Reisigbündel erstickt oder ausgehungert. Überlegt Euch die Sache! Wir geben Euch eine Viertelstunde Zeit!“ –

Die Banditen waren nun wieder in der Folterkammer versammelt. Almeida suchte hier jedoch vorgeblich seine Leute zu äußerstem Widerstand aufzustacheln und befahl ihnen ebenso vergeblich, den Doktor und Juan zu nehmen und als lebende Kugelfänge derart zu benutzen, daß einige hinter diesen Schilden die Verteidiger von dem Treppenausgang zu verdrängen und die Barrikade wegzuräumen versuchen sollten.

Jetzt zeigte sich so recht, welch erbärmlich feiges Gelichter diese bezahlten Anhänger des Rebellengenerals waren. Als niemand Miene machte, Almeidas Befehle zu befolgen, drohte dieser, er würde die Gefangenen mit eigener Hand erschießen, falls jemand daran dächte, ihn dem Farmer auszuliefern, dessen Stimme er nur zu gut erkannt hatte.

Er zog denn auch seine beiden Revolver und brüllte jetzt, um sich bei den Banditen gehörig in Respekt zu setzen:

„Vorwärts – schafft die Gefangenen an die Treppe! Wer nicht gehorcht, dem blase ich ein Stück Blei ins Hirn, so wahr ich Diego Almeida heiße und Euer Anführer bin, dem Ihr blinden Gehorsam gelobt habt! Vergeßt das nicht!“

Benito riß jetzt gleichfalls seine Revolver aus dem Gürtel und stellte sich neben ihn.

Inzwischen hatten der Italiener und der Neger, der vorhin das Messerrad getreten hatte, bereits leise mit einander geflüstert, auch zwei anderen heimlich einen Wink gegeben.

Jetzt erklärte der Italiener, scheinbar es ganz aufrichtig meinend:

„Eigentlich ist Eure Idee ganz gut, Sennor Almeida, die Gefangenen als Schild voranzutragen. – Versuchen wir, ob’s Erfolg hat. Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, den Ausgang zu erzwingen –“

Der Brasilianer und der sonst so mißtrauische Benito ließen sich wirklich täuschen, zumal sie wußten, daß gerade der Italiener großen Einfluß auf die anderen hatte.

Doch – kaum hatten sie die Revolver in die Gürtel zurückgeschoben, als sie hinterrücks zu Boden gerissen und ebenso geschwind gebunden wurden.

Almeida schäumte vor ohnmächtigem Grimm. Benito schwieg. Er regte sich nie zwecklos auf.

Der Italiener übernahm dann auch die weiteren Unterhandlungen mit den Verteidigern der Treppe.

Wenige Minuten später stiegen dann der Doktor und Juan, ihrer Fesseln ledig, bis zur Barrikade empor, kletterten über diese hinweg und – befanden sich in Sicherheit.

Nun sollten dem getroffenen Übereinkommen nach Almeida und Benito nacheinander von zwei unbewaffneten Leuten nach oben geschafft und den Belagerern ausgeliefert werden.

Hierzu kam es jedoch nicht.

Erwin Burg, der seiner jetzt wieder bei vollem Bewußtsein befindlichen Schwester vor dem Turme Gesellschaft geleistet und gleichzeitig hier hatte Wache halten sollen, stürzte plötzlich in das Erdgeschoß des Turmes mit dem Alarmruf hinein, daß soeben acht Bewaffnete – und dies konnte nur der Rest der am Kanal Auseinandergesprengten sein! – sich den Ruinen von den eingeäscherten Gebäuden her näherten.

Karl Burg brauchte keine Sekunde dazu, die durch das Auftauchen dieser Leute neu geschaffene Lage zu übersehen und einen Entschluß zu fassen. Ebenso schnell hatte er sich auch mit dem Häuptling dahin geeinigt, daß es unter diesen Umständen zu gefährlich sei, im Turme zu bleiben, wo man jetzt nur zu leicht zwischen zwei Feuer geraten könnte, und daß es, schon in Rücksicht auf Annemarie, am richtigsten sei, schleunigst nach dem Schoner zurückzukehren, der am Ostufer des Sees vor Anker lag, bewacht von den beiden anderen Peons und den beiden früheren Anhängern Almeidas, die jetzt treu zu den nunmehrigen Herren der Brasilia zu stehen gelobt hatten.

So wurden denn nun Annemarie, Erwin und der Peon, der Burg und Schwechter hierher begleitet hatte, zu Pferde nach Norden zu nach dem Schoner vorausgeschickt, während die fünf Zurückbleibenden, nachdem sie schnell die Turmtür wieder eingehängt und von außen mit dem Schlüssel abgesperrt hatten, gegen die sehr vorsichtig heranschleichenden acht Banditen sich wandten, die offenbar durch einen vorausgeschickten Späher schon vorher ausgekundschaftet hatten, daß in dem Turme sich ganz besondere Dinge abspielen müßten.

Auch jetzt zeigten diese acht Leute sich außerordentlich mißtrauisch, schickten erst zwei der ihrigen voraus, während die übrigen sechs im Gebüsch etwa siebzig Meter ab liegen blieben.

Auf Vorschlag Watawis wurden diese beiden Kundschafter durch Schüsse verscheucht und dann der Buschstreifen, in dem die anderen steckten, eine Weile unter Feuer genommen. Dann erst schlichen die Verteidiger des Turmes davon, um sehr bald in einen Laufschritt überzugehen, der sie zwar schnell außer Sicht der neu erschienenen Angreifer brachte, trotzdem aber die Lage für sie insofern noch nicht wesentlich besserte, als sie gezwungen waren, sich erst einmal nach Reittieren umzutun, denn die Pferde, auf denen Burg, Schwechter und der Peon den Weg bis hierher zurückgelegt hatten, waren ja von den drei Vorausgeeilten benutzt worden.

Dem dicken Doktor fiel dieser Dauerlauf recht schwer. Auch der Steuermann, ebenfalls nicht mehr der jüngste, keuchte und pustete bald wie eine altersschwache Dampfmaschine.

Karl Burg bog jetzt scharf nach Süden ab, um an die nächste Viehhürde zu gelangen, in der auch mehrere halb gezähmte wilde Rosse sich befanden, die man der Not gehorchend auch ungesattelt würde reiten müssen.

Da – hinter den fünf Männern Pferdegetrappel und ein lauter Zuruf.

Es war der Peon, der eigentlich Erwin und das blonde Mädchen hatte begleiten sollen, dann aber von dem Knaben den Befehl erhalten hatte, schnell fünf Pferde aus einer anderen Hürde einzufangen und sie den Zurückgebliebenen zuzuführen.

Auch diese fünf Pferde waren ungesattelt und trugen nur Trensen, so daß es für einen mäßigen Reiter nicht ganz einfach gewesen wäre, das Tempo mitzumachen, das Watawi und Burg nun vorlegten. Aber – selbst der Doktor zeigte hier, daß er nicht umsonst zusammen mit Juan die endlosen Savannen Brasiliens durchstreift hatte und daß er nicht nur sein an Unschönheiten so überreiches Maultier Walküre zu regieren wußte.

In gestrecktem Galopp fegten die fünf Männer auf einem der die Farmländereien durchschneidenden Wege auf den See zu, erreichten ihn in knapp zehn Minuten und riefen nun die Brasilia heran, die wohl aus Vorsicht von dem an Bord als Führer zurückgebliebenen alten Mulatten Miguel Zampa, dem ehemaligen Strompiraten, in der Nähe des Ostufers mit Motorenkraft langsam hin und her gesteuert wurde.

Jetzt fuhr sie einer kleinen Landungsbrücke zu, die Karl Burg hier zur Erleichterung des Wasserverkehrs nach Serpa vor kurzem hatte errichten lassen. Freilich, der kleine Dampfer, der diesen Verkehr hatte vermitteln sollen und den er bei einer Werft in Rio de Janeiro in Auftrag gegeben, war noch nicht geliefert worden.

Der Schoner machte an der Brücke fest. An Bord war nichts von Annemarie und Erwin zu sehen. Auf Burgs hastige Frage erwiderte der alte Mulatte erstaunt, die beiden seien nicht einmal von ihm am Ufer bemerkt worden, obwohl er dieses doch ständig beobachtet hätte. Nur vier Schüsse hätte er vor ein paar Minuten weiter nach der Südecke des Sees hin gehört.

Karl Burg schaute den Häuptling besorgt an und meinte zögernd:

„Sie müßten doch längst hier sein, Watawi!“

Der Karipune nickte ernst und deutete nach Süden.

„Mein Bruder Karlos mag mir folgen. Watawi fürchtet Böses –“

Sie eilten wieder an Land und jagten am Seeufer südwärts. –

Inzwischen hatte sich in den Gewölben des Turmes und in dessen Nähe folgendes abgespielt.

Als die Belagerer sehr zum Erstaunen der in den Kellern Eingeschlossenen die eisenbeschlagene Pforte weggeräumt und dafür nur noch den Tisch als Barrikade hatten stehen lassen, als sich dann niemand von den Freunden des Farmers hinter dieser Barrikade mehr zeigte, ahnte der Italiener, daß sich droben irgend etwas Besonderes ereignet haben müsse, wurde jetzt in Gedanken an den Verrat, der mit auf sein Betreiben an Almeida und Benito begangen worden war, sehr besorgt um seine eigene Sicherheit und wagte sich schließlich die Treppe hinan bis zu der jetzt verschlossenen Geheimtür, öffnete sie vorsichtig und hatte bald festgestellt, daß die Turmpforte von außen versperrt war. Jetzt hörte er auch draußen verschiedene Schüsse fallen, die ihm nur seine Befürchtung bestätigten, daß die Belagerer tatsächlich durch das Auftauchen weiterer Gegner gezwungen worden wären, sich zunächst gegen diese zu verteidigen und daß mithin sehr leicht hier ein völliger Umschwung der Dinge zu Gunsten Almeidas eintreten könnte, der dann fraglos nicht zögern würde, die zu bestrafen, die ihn und Benito überwältigt und dem Farmer hatten ausliefern wollen.

Um aus dieser für ihn so heiklen Lage einen ihm günstigen Ausweg zu finden, beschloß der listige Italiener, anscheinend Reue über den an den beiden Anführern verübten Verrat zu zeigen und sie frei zu geben, ohne sie zunächst merken zu lassen, daß außerhalb des Turmes jetzt ein lebhaftes Feuergefecht sich entwickelt hatte.

Dieses heuchlerische Tun hätte nun vielleicht andere täuschen können, nicht aber gerade Männer wie Almeida und Benito, die als hartgesottene Schurken leichter als anständige Charaktere jede Gemeinheit schnell durchschauten.

Kaum hatte der Italiener nach kurzen, reumütigen Worten vor den Augen aller Banditen, die nicht dagegen einzuschreiten wagten, die Stricke der beiden aufgeknüpft, als Almeida auch schon blitzschnell seine Revolver zog und den Italiener und den Neger als die Rädelsführer durch Kopfschüsse niederstreckte, ein Vorgehen, das am meisten geeignet war, diese Bravos wieder zum Gehorsam zu zwingen.

Gleich darauf ertönten laute Schläge gegen die Turmpforte. Inzwischen hatte Benito sich bereits von dem Verschwinden der Belagerer überzeugt, rief den draußen stehenden Gefährten zu, die Tür mit einem Balken einzurennen, und erzielte so eine schnelle Vereinigung der beiden Trupps.

Die, denen die Eingeschlossenen ihre unerwartete Befreiung zu danken hatten, berichteten nun in aller Eile, daß zwei von ihnen dem von einem Peon begleiteten Knaben und dem blonden Mädchen, deren Flucht nach dem See hin noch rechtzeitig bemerkt worden wäre, zu Pferde gefolgt seien und daß mithin Hoffnung vorhanden sei, den Jungen und den Peon abzuschießen und das Mädchen wieder gefangen zu nehmen.

Almeida ließ nun sofort die im Hofe der niedergebrannten Farm noch vorhandenen, von den Versprengten vorher schon eingefangenen Pferde, im ganzen zehn, herbeiholen und jagte mit Benito und acht der besten seiner Leute in Karriere dem Ostufer des Sees zu, um auf jeden Fall das blonde Mädchen wenigstens wieder in seine Gewalt zu bekommen.

Mittlerweile war der bei den Geschwistern befindliche Peon bekanntlich auf Geheiß Erwins umgekehrt und hatte leider die beiden Banditen nicht bemerkt, die, ihm ausweichend, in rasendem Galopp hinter den Knaben und Annemarie dreinsprengten.

Gewiß: Erwin gewahrte die Verfolger noch rechtzeitig, bog schnell in ein Gehölz nach Süden ab, um sich ihren Blicken zu entziehen, mußte dann jedoch nur zu bald einsehen, daß er ihnen nicht mehr entkommen würde, da die durch all die überstandenen Aufregungen völlig erschöpfte Schwester sich kaum mehr, obwohl sonst eine vorzügliche Reiterin, im Sattel halten konnte.

Kurz entschlossen rief er ihr zu, allein die Flucht fortzusetzen. Er selbst riß sein Pferd herum, drängte es hinter den von Lianen dicht umrankten Stamm einer Palme und machte sich schußfertig. Die beiden Verfolger hatten jedoch dieses Manöver sehr wohl bemerkt, trennten sich sofort und, während der eine dem Mädchen im Bogen den Knaben umgehend, nachjagte, schlich der andere zu Fuß von der Seite an Erwin heran, nachdem er sein Pferd in die Büsche gejagt hatte, so daß der Junge durch das Rauschen der Zweige über die Absichten dieses seines Gegners völlig getäuscht wurde.

 

Kurz entschlossen rief er ihr zu, allein die Flucht fortzusetzen.

 

Der Bandit legte jetzt auf Erwins Pferd an, traf es auch seitlich in den Kopf, so daß es nach einem letzten Sprung sich überschlug und halb auf den Reiter fiel, dessen Beine unter der Last seines Leibes wie an den Boden gefesselt unverrückbar festhaltend.

Der Knabe versuchte noch ein letztes, zog den Revolver und feuerte auf den Banditen, schoß jedoch in der Aufregung vorbei und erhielt nun von hinten in seiner völlig wehrlosen Lage mit dem Büchsenkolben einen Hieb gegen die Schläfe, der ihn bewußtlos vollends niedersinken ließ.

Auch Annemarie entging ihrem Verfolger nicht, der vom Sattel aus ihrem Tiere zwei Kugeln in die Kruppe feuerte, von denen eine das Rückgrat traf und die Hinterbeine blitzartig lähmte, so daß das Pferd, hinten umknickend, zur Seite rollte und Annemarie so unglücklich abwarf. daß sie mit dem Kopf gegen einen Baumstumpf flog.

Wenige Minuten später, als die beiden Bravos sich wieder vereinigt und ihre bewußtlosen Gefangenen sich quer über den Sattel gelegt hatten, um nach der Farm zurückzukehren, erschien Almeida mit seinen acht Leuten von Osten her, während fast gleichzeitig in der Nordwestecke der großen Lichtung, auf der die Bravos sich gerade befanden, Karl Burg und Watawi auftauchten, auf die der Brasilianer sofort, seine Reiter weit auseinanderziehend, um den beiden den Weg abzuschneiden, Jagd machen ließ.

Der Häuptling hatte beim Anblick der scheinbar leblos auf den Pferden liegenden Geschwister einen schrillen Wutschrei ausgestoßen, während Burg, vor Entsetzen völlig wie versteinert, den heransprengenden Feinden wie ein der klaren Vernunft Beraubter untätig entgegenstierte.

Da packte Watawi die Zügel des Pferdes seines weißen Bruders und wandte sich zur Flucht. Jeder Versuch eines Widerstandes wäre dieser Übermacht gegenüber Wahnsinn gewesen.

Zum Glück lag der Schoner noch an der Landungsbrücke, so daß Burg und der Karipune sofort an Bord konnten. Aber die Verfolger waren ihnen doch so dicht auf den Fersen gewesen, daß sich nun zwischen der hinter der Reling knienden Besatzung der Brasilia und den Bravos noch eine Weile ein lebhaftes Feuergefecht entspann, das allerdings bei der vorsichtigen Deckungnahme beider Parteien keinerlei Opfer forderte, bis der Schoner dann, nach Norden dem Kanal zusteuernd, außer Schußweite kam.

Almeida gab jedoch die Hoffnung nicht auf, den Segler noch vor dem Einlaufen in den Amazonas aufhalten zu können, ritt nun mit den Seinen, ohne die Pferde irgendwie zu schonen, in wilder Hast am Ufer entlang dem Kanal zu, um hier dem Schoner einen Hinterhalt zu legen.

Von Deck der Brasilia aus wurden die Bewegungen des Reitertrupps genau verfolgt. So konnte Steuermann Schwechter, der mit einem Fernglas bewaffnet auf dem Dache des Mittelaufbaus stand, deutlich erkennen, daß Almeidas Leute sehr bald vor dem Schoner einen Vorsprung gewannen und daß sie außerdem Verstärkung durch weitere sechs Berittene erhielten.

Karl Burg, der bisher in dumpfem Brüten teilnahmlos in der Kajüte Almeidas gesessen hatte, raffte sich erst auf, als Watawi ihm berichtete, daß Gefahr vorhanden sei, die Bravos würden sich an den Ufern des kaum dreißig Meter breiten Kanals auf die Lauer legen und vielleicht aus den Baumkronen herab das Deck des Schoners unter Feuer nehmen, wodurch es unmöglich sein würde, diesen durch die enge Passage zu steuern.

Da hob der Farmer den Kopf, sprang auf, stieß hervor:

„Watawi – eine Frage: Glaubst Du, daß Annemarie und Erwin tot – ermordet sind?“

Der Häuptling zögerte etwas mit der Antwort:

„Ich fürchte,“ meinte er dann mit gesenktem Blick, „daß Almeida ihr Leben schon deshalb nicht geschont haben wird, weil er jetzt mehr als zuvor seiner Rachgier gegen meinen Bruder Karlos alles opfern wird, was diesem lieb und teuer, und weil er auch befürchtet haben mag, die holde Blume der Teufelsfarm und der kleine weiße Bruder könnten ihm abermals entrissen werden.“

Da reckte Karl Burg die rechte Hand empor, rief mit einer Stimme, die selbst draußen auf Deck noch gehört wurde:

„So wahr ich bisher an eine über uns waltende, gerechte Vorsehung geglaubt habe, so wahr ich, nachdem all dies Unheil mich betroffen, diesen Glauben jetzt für immer verloren habe, – ich will nicht ruhen und nicht rasten, bis ich auch den letzten dieser Schurken ausgelöscht habe, die all diese Schandtaten begangen haben! Sterben sollen sie sämtlich und wenn Almeida in meine Hände gerät, will ich für ihn Martern ersinnen, wie sie noch kein Sterblicher durchgemacht hat! Von heute ab ziehe ich einen Strich unter mein bisheriges Leben, beginne ich ein neues – als Kapitän des Piratenschoners El Diabolo – der Teufel – will ein Schrecken all derer werden, die es hier auf dem Amazonas mit dem Rebellen de Mello halten!“

Die Schwurhand sank langsam herab – herab auf die Schulter des Karipunen.

„Mein roter Bruder,“ fragte Burg leiser und mit festem Blick in die dunklen Augen des Indianers, „willst Du mir helfen, meine Rache zu vollenden?“

„Watawi hätte Karlos für ein feiges Weib gehalten, wenn dieser Schwur soeben nicht erfolgt wäre. Der Häuptling der Karipunen, selbst ein Heimatloser, wird mit seinen ihm treugebliebenen Kriegern den Schwur erfüllen helfen.“

„Ich danke Dir, Watawi!“ Der Kapitän des neuen Diabolo holte tief Atem. „Und nun – vorwärts! Erkämpfen wir uns zunächst die Durchfahrt durch den Kanal!“

Dann ging er, gefolgt von Watawi, an Deck.

 

 

Zweiter Teil.

Der Diabolo.

 

7. Kapitel.

Der Kampf im Kanal.

Der Schoner lief jetzt, gesteuert von dem Mulatten Miguel, unter vollen Segeln und unter gleichzeitiger Ausnutzung der Höchstleistung des Motors auf den Kanal zu, der noch etwa eine Viertelmeile entfernt war. Almeida und seine Reiter waren inzwischen verschwunden und hatten längst den Waldstreifen erreicht, der sich auf der den See und den Amazonas trennenden Halbinsel hinzog. –

Kapitän Burg rief die Besatzung am Heck zusammen und ließ auch den dritten Banditen herbeiholen, der zusammen mit den jetzt auf die Seite Burgs getretenen beiden anderen von Almeida vor dem Angriff auf die Farm an Bord als Wache zurückgelassen war und der sich im Gegensatz zu diesen geweigert hatte, zu dem Farmer überzugehen.

Er klärte die Versammelten nun mit kurzen Worten über seine Zukunftsabsichten auf und stellte es einem jeden frei, sich von ihm bei nächster Gelegenheit zu trennen, da es ja nicht jedermanns Sache wäre, Stromfreibeuter zu werden.

Nicht einer meldete sich, der von diesem Angebot Gebrauch machen wollte. Im Gegenteil – selbst der Doktor, der doch Karl Burg erst seit gestern kannte, und ebenso der Mestize Juan versicherten aufs nachdrücklichste, daß sie sich jetzt ganz zur Besatzung des Diabolo gehörig betrachteten und dessen Kapitän „durch dick und dünn folgen würden“, wie Siegfried Teppenwurz mit seiner schrillen Fistelstimme sagte.

Dann wandte Burg sich an den dritten, gebunden dastehenden Banditen. Es war dies ein stiernackiger Zambo (Mischling von Indianer und Neger) mit einem wahren Raubtiergesicht, ein Kerl, der sicher schon ein gutes Dutzend Morde auf dem Gewissen hatte.

„Du nennst Dich selbst Schararaka, die giftige Schlange, wie Deine bisherigen Genossen mir erzählt haben,“ begann er, den Zambo durchdringend anschauend. „Weshalb hältst Du so treu zu Almeida? Du mußt einen besonderen Grund dazu haben?“

„Er – er weiß zu viel von mir!“ knurrte der stiernackige Kerl.

„Ah so! – Du willst also auf keinen Fall in meine Dienste treten?“

„Nein!“

Da winkte der Piratenkapitän den beiden einstigen Gefährten des Zambo zu, befahl kalt, ohne mit der Wimper zu zucken:

„Werft ihn über Bord!“

 

„Werft ihn über Bord!“

 

Nun aber kam Leben in die Raubtierzüge des braunschwarzen Riesen.

„Über Bord?!“ brüllte er. „Ersäufen wollt Ihr mich? – Nein – dann gebe ich nach, dann –“

„Weg mit ihm!“ rief der Kapitän erbarmungslos, „Vorwärts – über die Reling!“

Der Zambo wehrte sich. Da schlüpfte Watawi hinter ihn. Ein Hieb mit der Wurfkeule, – und gleich darauf verschwand ein menschlicher Körper in den trüben Fluten des Sees, tauchte dann im Kielwasser des Diabolo nochmals auf und lockte so ein paar Kaimans herbei, unter denen sich sofort ein wütender Kampf um die leichte Beute entspann.

Steuermann Schwechter und der Doktor hatten geradezu starr vor ungläubigem Staunen diese Szene mitangeschaut, die so recht bewies, wie sehr die Ereignisse einer einzigen Nacht einen bis dahin gütigen, fast weichherzigen, wenn auch energischen Charakter verwandeln können. Aber – beide konnten es verstehen, daß jede Regung des Mitleids in diesem Manne erloschen war, der durch eine Bande von vertierten Scheusalen im Laufe weniger Stunden nicht nur die selbstgeschaffene neue Heimat, sondern auch seine sämtlichen Angehörigen verloren hatte. –

Mit jener kaltblütigen Ruhe und jenem kraftvollen Zielbewußtsein, die nunmehr alle Anordnungen und Taten des Piratenkapitäns auszeichneten, verteilte er die verschiedenen Obliegenheiten unter die kleine, neun Köpfe starke Besatzung des Diabolo. Seine sodann ausgegebenen Befehle bezogen sich hauptsächlich auf die Vertreibung Almeidas und seiner Leute vom Ufer des Kanals, den der Schoner ja passieren mußte, um in den Amazonas zu gelangen.

Mittlerweile hatte der Diabolo sich der schmalen Durchfahrt bis auf etwa zweihundert Meter genähert. Nun wurde der Motor abgestoppt, und der Piratensegler kreuzte langsam vor dem Kanal, während Steuermann Schwechter mit einem Fernrohr die Büsche drüben an den Ufern scharf beobachtete und die anderen eiligst eine Menge der als Ballast verwendeten Sandsäcke aus dem Kielraum heraufschleppten, die nun dicht vor dem Steuer so aufgeschichtet wurden, daß ein Mensch darunter bequem liegen und vor jeder Kugel völlig geschützt, das Steuer mittels einer an der Pinne befestigten Stange regieren konnte. Eine zweite, ähnliche Deckung aus Sandsäcken wurde auf der äußersten Spitze für einen zweiten Mann hergerichtet, der das Fahrwasser beobachten und nach dem Steuer hin die nötigen Anweisungen mit Hilfe eines dritten, im Mittelaufbau untergebrachten Mannes übermitteln sollte. Auf diese Weise mußte es aller Voraussicht nach selbst bei einer noch so heftigen Beschießung durch die Banditen gelingen, den Schoner ohne Verluste durch den Kanal nach dem Amazonas hindurchzulotsen.

Schwechter hatte nichts Verdächtiges entdecken können, stieg nun vom Dache des Mittelaufbaus herunter und ließ die Segel bergen. Dann kroch er unter die Sandsäcke am Heck, um selbst den Schoner zu steuern, während der Mulatte Miguel als der einzige seemännisch erfahrene Matrose die Deckung am Bug bezog und der Kapitän wieder von Almeidas bisheriger Kajüte aus die Zurufe an Schwechter weitergeben wollte.

Nachdem noch eine Probe mit dieser Art Befehlsübermittlung angestellt worden war, die zur vollen Zufriedenheit ausfiel, begann der jetzt von dem Doktor bediente Motor zu rattern. Die Luke nach dem kleinen Maschinenraum am Heck blieb offen, so daß Schwechter auch in der Lage war, Teppenwurz gleichfalls von allem Nötigen zu verständigen.

Lediglich von der Schraube angetrieben, strebte der Diabolo jetzt der Einfahrt des Kanals zu. Auf Deck war scheinbar kein lebendes Wesen. In Almeidas Kajüte befanden sich außer dem Kapitän noch der Häuptling und Juan. Die nach Backbord hinausgehenden kleinen Fenster standen offen, damit man des Mulatten Stimme besser vernehmen könne. Burg ging unruhig auf und ab, bis Watawi ihn gewaltsam auf einen Schiffsstuhl in einer Ecke zog, indem er stumm auf die Fenster deutete, durch die nur zu leicht eine Kugel eindringen konnte.

Etwas wie eine atemlose Spannung lag über dem kleinen, schlanken Schiffe, das jetzt im klaren, strahlenden Sonnenlicht in die Fahrrinne hineinglitt, die zwischen den Krautmassen der Wasserpflanzen in sehr ungleicher Breite freigeblieben war. die farbige Blütenpracht tropischer Wassergewächse mit ihren mannigfachen Formen der Blätter und Blütenkelche, darunter viele Exemplare der Königin der das nasse Element bevorzugenden Flora, die prächtige, gerade in Brasilien beheimatete Viktoria regia[6], bedeckte stellenweise die Oberfläche des gewundenen, etwa achthundert Meter langen Kanals so dicht, daß die Abgrenzung der Uferlinien kaum zu erkennen war.

Und zwischen all diesen bunten, feinabgetönten Erzeugnissen einer verschwenderisch schaffenden Natur nahm der Piratenschoner seinen Weg wie ein Totenschiff, auf dem alles Leben erstorben, das von Geisterhänden geleitet und getrieben schien und auf dem doch eine Anzahl Männer mit wachen Sinnen auf jedes Geräusch, jeden Laut achtete, die der schweigende Urwald zu beiden Seiten an ihre Ohren dringen ließ, – zunächst nur friedliche Vogelstimmen der verschiedensten Art, übermütiges Gekreisch flinker Affenherden und das schrille Pfeifen der Wasserbeutelratten und des langbeinigen Arauka-Vogels.

In der Kajüte sagte soeben der Kapitän zu Watawi:

„Die Hälfte der Strecke haben wir hinter uns. Vielleicht haben wir all diese Vorsichtsmaßregeln –“

Da – von vorn des Mulatten Zuruf:

„Stoppen – stoppen – sofort rückwärts! Die Schufte haben ein paar abgestorbene Baumstämme quer über der Fahrrinne verankert!“

In demselben Moment auch schon das Geknatter zahlreicher Schüsse. Drei Kugeln schlugen durch die Fenster in die Kajüte ein, fuhren in die Zwischenwand nach der zweiten Kabine; eine davon zerschmetterte das Glasgehäuse des Barometers; eine andere prallte gegen eine Stuhllehne, bohrte sich dann neben dem Häuptling in die Bodenplanken ein.

Trotzdem stellte sich Burg ganz dicht an eines der Fenster und wiederholte für Schwechter und den Doktor die besorgniserregende Meldung des Mulatten.

Jetzt aber ein starker Stoß, der den Kapitän derart aus dem Gleichgewicht brachte, daß er beinahe lang hingeschlagen wäre.

Der Schoner war mit voller Fahrt gegen einen der Baumstämme gerannt, prallte ein Stück zurück, schoß abermals vorwärts und begann sich nun von selbst unter dem Druck der Schraube, an dem Baumriesen entlangschrammend, mit der Steuerbordseite der schwimmenden Barrikade zu nähern.

Bevor der Kapitän sich noch aufgerafft und des Mulatten ersten Zuruf weitergegeben hatte, bereits ein neuer von vorn:

„Die Banditen klettern über das Hindernis entlang auf den Schoner zu, wollen entern!“

Burgs Lippen entrang sich eine Verwünschung.

Und tatsächlich: Almeidas schlauer Plan, auf diese Weise den Segler in seine Gewalt zu bekommen, wäre beinahe geglückt.

Schon hatten sich vier der Banditen über die Steuerbordreling auf das Deck geschwungen, als Watawi und der Kapitän aus der Kajüte herausstürmten und sich ihnen entgegenwarfen. Umsaust von den Kugeln der auf den Uferbäumen postierten anderen Bravos feuerten sie noch im Laufen ihre Revolver ab, streckten auch zwei der Angreifer nieder. Dann schlug ein dritter mit der Büchse auf den Häuptling an, drückte ab. Watawi hatte sich blitzschnell zur Seite geworfen, und seine Keule fuhr dem Schützen nun mitten vor die Stirn, daß er wie ein Klotz nach hinten umsank.

Inzwischen hatte Burg den vierten durch einen Kolbenhieb erledigt, bevor der Mann noch dazu kam, von seinem Revolver Gebrauch zu machen.

Abermals tauchten da über der Reling die Oberkörper von drei weiteren Angreifern auf.

Plötzlich spürte Kapitän Burg einen dumpfen Schmerz im rechten Arm, der ihm sofort auch wie gelähmt herabsank.

Die drei Banditen sprangen an Deck. Watawi stand ihnen nun allein gegenüber. Drei Revolver richteten sich auf ihn. Er schien verloren. Doch – ein langer Satz – noch einer, und er war über Bord in den Kanal gesprungen, während die Bleigeschosse dicht an ihm vorüberpfiffen und der Schoner nun mit rückwärts schlagender Schraube von dem Hindernis freikam und schneller und schneller, das Heck voran, dem See wieder zuglitt.

Einer der Bravos stürzte jetzt mit hochgeschwungener Büchse auf Burg zu. Doch dessen linke Hand war ja noch gebrauchsfähig, riß den zweiten Revolver aus dem Gürtel, ein Blitz, ein Knall, und der Bravo taumelte mit einem Loch im Schädel zur Seite.

 

… ein Blitz, ein Knall, und der Bravo taumelte zur Seite.

 

Noch waren zwei Feinde an Bord – noch war des Kapitäns Leben aufs ärgste gefährdet.

Da erschien hinter diesen beiden, die wütend auf den Zurückweichenden eindrangen, der grauhaarige Mulatte, der sich jetzt aus seiner Deckung hatte hervorarbeiten können.

Watawis Keule lag noch auf den Deckplanken.

Miguel raffte sie auf, und einen schrillen Schrei ausstoßend, schmetterte er sie gedankenschnell den Banditen von hinten auf die breitrandigen Strohhüte, die gegenüber dieser Waffe kaum einen größeren Schutz als ein dünner Schleier boten.

Steuermann Schwechter hatte indessen mit sicherer Hand den Schoner durch die Windungen der Fahrrinne gelenkt, da dieser jetzt rückwärts lief und er mithin zwischen seinen schützenden Sandsäcken hindurch genau sehen konnte, wie er steuern mußte.

Jetzt hörte auch die Beschießung vom Ufer aus auf, und nun erschienen endlich die beiden früheren Leute Almeidas an Deck, die bisher vorsichtigerweise im Mittelaufbau geblieben waren, wo der Mestize Juan, von einer durch eins der Fenster eindringenden Kugel an der linken Hüfte verwundet, sie umsonst zum Eingreifen in den ungleichen Kampf voller Wut wiederholt aufgefordert hatte.

Der Mulatte Miguel schleppte seinen Herrn, dem die linke Schulter von einer Kugel durchbohrt war, in die Kajüte, fand hier den leise stöhnenden Mestizen und hatte jetzt alle Hände voll zu tun, den beiden die erste Hilfe zu bringen, besonders die starken Blutungen zu stillen.

Dann war der Schoner endlich wieder in offenem Wasser, fuhr noch ein Stück in den See hinein und lag nun mit abgestopptem Motor still.

Schwechter und der Doktor konnten jetzt ebenfalls ihre Posten verlassen und dem Mulatten die Sorge um die Verwundeten abnehmen.

Von den Angreifern lebten noch drei. Miguel Zampa kannte kein Erbarmen. Auch sie flogen über Bord.

In der Kajüte wurde dann Kriegsrat gehalten.

Burg, dessen Schulterschuß nicht weiter gefährlich war und bei sorgfältiger Behandlung schnelle Heilung versprach, gab den Befehl über den Diabolo an den Steuermann ab. Über das, was man nunmehr tun solle, war man sich nicht recht einig.

Siegfried Teppenwurz hatte bisher geschwiegen und nur zugehört, welche Vorschläge die anderen machten. Nun meldete er sich zum Wort.

„Wir sitzen jetzt hier in einer richtigen Mausefalle,“ meinte er. „Unser Piratendasein hat nicht gerade vielverheißend angefangen, weiß Gott. Zwei Verwundete und ein dritter Mann, Watawi, über Bord gesprungen, – das sind für uns Verluste, die uns zur äußersten Schonung unserer kleinen Besatzung zwingen. Übrigens: wir können noch glücklich sein, daß Almeida nicht auf den Gedanken gekommen ist, eine zweite Barrikade so anzulegen, daß er sie hinter dem Schoner schnell schließen konnte. Dann hätten wir weder vor, noch rückwärts gekonnt, und unser Diabolo wäre sicher geentert worden! – Gewaltsam läßt sich für uns die Durchfahrt durch den Kanal nicht mehr erzwingen. Nur List kann helfen! Wir wollen bis zum Abend hier liegen bleiben und vor Anbruch der Dunkelheit mit den beiden Booten den Schoner vorlassen. Wir tun eben so, als ob wir eingesehen hätten, mit ihm doch nicht entfliehen zu können, gehen drüben am Westufer an Land, kehren aber sofort nach Dunkelwerden an Bord zurück. Ich wette dann, daß Almeida mit dem Rest seiner Leute auf einem Floß den Schoner zu erreichen suchen wird, da er nur unsere Abfahrt, nicht aber unsere Rückkehr zum Schiffe beobachtet haben wird. – Das ist mein Plan. Ob er etwas taugt, weiß ich nicht. Glückt er, so können wir, sobald die Banditen mit dem Floß anrücken, ihnen unschwer ausweichen, in den Kanal einlaufen, das Baumhindernis beseitigen und davondampfen, wohin wir wollen.“

Nach kurzer Aussprache über die Schwächen und anderseits auch über die guten Seiten dieser Idee fand sie allgemeine Billigung.

Daher wurde der Diabolo denn auch noch mehr nach der Mitte des Sees zu vor Anker gelegt. Endlos langsam schlichen den Männern an Bord die Stunden hin. Der Doktor bemühte sich auffallend viel um den[7] Mestizen Juan, der auf seine Bitte hin in die zweite Kabine des Mittelaufbaus, in der Benito, der Unteranführer Almeidas, gewohnt hatte, gebracht und dort sorglich gebettet worden war. Juan begriff nicht, weshalb Teppenwurz ihn mit so viel liebevoller Sorgfalt umgab. Gewiß – er war ja ein halbes Jahr lang des Doktors Begleiter in der Wildnis gewesen, und sie hatten sich auch stets gut verstanden und waren fast Freunde geworden. Doch in dem jetzigen Verhalten des kleinen Dicken lag etwas ganz Besonderes, das der junge, schlanke Mestize nicht zu fassen vermochte. Auch dem Steuermann und Miguel Zampa fiel dies auf, so daß dieser einmal zu Schwechter äußerte:

„Sennor, Euer kleiner Landsmann ist ja um den Juan herum wie die Mutter um ’n Säugling, der die ersten Zähne kriegt! Merkwürdig!“

Als Schwechter dann halb im Scherz hiervon auch dem Kapitän berichtete, der schon selbst gemerkt hatte, daß der gutmütige Gelehrte den Mestizen geradezu verhätschelte, wurde Burg plötzlich sehr nachdenklich.

Nachmittags ergab sich dann für ihn eine Gelegenheit, den Doktor allein zu sprechen, als dieser den Schulterverband sachkundig erneuerte, denn auch von Medizin verstand Teppenwurz eine ganze Menge.

„Sagen Sie mal, bester Doktor,“ meinte der Kapitän leise, „Sie haben mir doch damals, als wir uns kaum kennengelernt hatten, – richtig, es war ja erst gestern gegen Abend, und mir kommt’s vor, als lägen Wochen dazwischen! – eine seltsame Geschichte anvertraut, – erinnern Sie sich, von der Indianerin, die Sie zum Weibe nahmen und nachher hier in Brasilien zurückließen. Sollte etwa Juan, für den Sie jetzt so starke Teilnahme zeigen, der sein, den Sie so gern finden möchten, – etwa – Ihr und jener Indianerin Sohn?“

Teppenwurz schaute sich vorsichtig um, flüsterte dann erregt:

„Landsmann, ich – ich weiß es noch nicht bestimmt. Aber – ich glaube, er ist’s, denn – er trug um den Hals ein Medaillon, das ich einst Omitara, meinem Weibe, geschenkt habe. Gleich damals, als ich Juan als Führer anwarb, fühlte ich eine seltsame Zuneigung zu ihm. Vielleicht – vielleicht ist’s die Stimme des Blutes gewesen, die sich in dem Herzen eines Vaters meldete, der einst Weib und Kind aus überstarkem Heimweh nach dem deutschen Vaterlande verließ! Bisher habe ich nicht gewagt, Juan nach seinen Eltern auszuforschen. Er vermeidet es, über seine Herkunft zu sprechen. Jetzt aber will ich Klarheit haben, nachdem jenes Medaillon in der entsetzlichsten Stunde meines Lebens, in der Folterkammer des Turmes, aufgetaucht ist. Sobald es Juan etwas besser geht, frage ich ihn geradezu, wie seine Mutter hieß.“

Der Kapitän wollte etwas sagen, schwieg dann aber doch, da er es für ratsamer hielt, nicht jetzt schon dem Doktor mitzuteilen, was er über Omitara, die ihrem weißen Gatten gegenüber ihre Stammeszugehörigkeit stets verschwiegen hatte, und über den Häuptling der Karipunen wußte.

Dann betrat auch Schwechter die Kajüte und machte dem Gespräch der beiden ein Ende.

Er kam, um Burgs Meinung darüber zu hören, was man mit den beiden früheren Leuten Almeidas anfangen solle, die sich doch bei dem Kampf im Kanal so überaus feige und unzuverlässig gezeigt hätten.

Burg ließ sie vor sein Lager bringen und hörte ihre wortreichen Entschuldigungen geduldig an, die in der Hauptsache darauf hinausliefen, daß er selbst ihnen doch vorläufig das Waffentragen verboten hätte und daß sie, unbewaffnet wie sie waren, zu spät daran gedacht hätten, des verwundeten Juan Büchse, Revolver und Messer benutzen zu können. Sie gelobten auch, fernerhin sich geistesgegenwärtiger zu zeigen und auch den Beweis zu erbringen, daß sie durchaus keine Feiglinge seien.

Obwohl diese ihre Verteidigung durchsichtig genug war, kamen sie doch mit einer strengen Verwarnung weg. Schwechter war sehr einverstanden damit, daß Burg in diesem Falle so viel Nachsicht zeigte, da man auf dem Schoner jetzt niemanden entbehren konnte. Im stillen hatte er gefürchtet, der Kapitän würde die beiden womöglich dem Zambo nachschicken, das heißt – ersäufen lassen. Zuzutrauen war ja jetzt dem von Rachedurst erfüllten Manne so ziemlich alles.

Als Miguel hörte, daß die „feigen Überläufer“ – anders nannte er sie jetzt nicht mehr – so glimpflich von Burg behandelt worden waren, sagte er drohend zu Schwechter:

„Ich werde auf sie aufpassen! Ich traue ihnen nicht. Und merke ich etwas, dann –“ Und er machte die Handbewegung des Halsabschneidens. –

Endlich war die Sonne hinter den Urwaldwipfeln verschwunden; endlich nahte der Abend.

Von den Banditen hatte man den Tag über trotz schärfsten Auslugens mit dem Fernrohr nichts wahrgenommen.

Nun wurde es Zeit, den Schoner zu verlassen. Inzwischen hatte Burg aber den klugen Plan des Doktors insofern noch ergänzt, als er befahl, kurz vor der Abfahrt von dem Diabolo auf dem Vorderdeck unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln ein unschädliches Feuer anzuzünden, das bei den Bravos den Eindruck erwecken sollte, man hätte den Schoner in Brand gesteckt. Hierdurch würde Almeida mit seinen Leuten, so rechnete Burg, noch sicherer nach dem Schiffe hingelockt werden.

 

8. Kapitel.

Auf der Puma-Insel.

Eine Stunde später.

In aller Stille hatten sich die beiden Boote wieder an den Diabolo herangeschlichen, und ihre Insassen befanden sich nun wieder an Bord, die Verwundeten in den Kabinen, die anderen auf ihren ihnen von Schwechter angewiesenen Posten.

Abermals hatte das Rache brütende Hirn des Kapitäns dem Plane des Doktors eine Erweiterung gegeben: das Floß der Banditen, mit deren Nahen man bestimmt rechnete, sollte bis dicht an den Schoner herangelassen und dann die darauf befindlichen Leute beim Schein des noch immer in Brand gehaltenen Feuers auf dem Vorderdeck aus nächster Nähe überraschend niedergeschossen werden.

Jetzt tauchten die ersten Sterne am nächtlichen Firmament auf. Die Finsternis wich, und die hinter der Reling verborgene Besatzung des Diabolo konnte dann sehr bald ein bereits recht nahe gekommenes Baumfloß in nordöstlicher Richtung wahrnehmen, das anscheinend durch Ruder fortbewegt wurde.

Es rückte langsam vor. Man erkannte nun auch mehrere Gestalten. Und Miguel Zampa flüsterte dem neben ihm knienden Doktor frohlockend zu:

„Das wird ’n Spaß geben, Sennor Doktore! Paßt auf, nicht einer soll mit dem Leben davonkommen! Dann ist die ganze Bande ausgelöscht! Eure Idee war besser als ’ne volle Rumflasche!“

Er wollte nun dem links von ihm postierten jungen Mestizen Antonio nochmals einschärfen, ja nicht zu früh abzudrücken, sondern auf das verabredete Zeichen zu warten.

Doch – Antonio war verschwunden!

Der alte Mulatte, sofort von Mißtrauen erfaßt, schlüpfte weiter nach dem Heck zu, wo der andere Mestize seinen Platz hatte.

Auch dieser „feige Überläufer“ war nicht da! Das konnte kein Zufall sein! Miguel argwöhnte sogleich, sie könnten an einem Tau heimlich ins Wasser hinabgeglitten und dem Floß entgegengeschwommen sein, um Almeida zu warnen.

Und so war es auch, wie sich gleich darauf zeigte. Das Floß hatte nämlich jetzt eine Weile stillgelegen, kehrte plötzlich um!

Als Burg von dieser Vereitelung seines sonst sicherlich geglückten Vernichtungsplanes durch Schwechter in aller Eile in Kenntnis gesetzt wurde, befahl er, dem Floß zu folgen und es dann unter Feuer zu nehmen, nötigenfalls auch zu überrennen und so die darauf Befindlichen dem Tode in den Fluten des Sees zu überantworten, von dessen Mitte aus ja nur ein sehr guter Schwimmer das Ufer erreichen könnte.

Schwechter ließ nun sofort durch den Doktor den Motor in Gang setzen, nachdem eiligst der Anker hochgewunden worden war. Der Schoner kam schnell in Fahrt und steuerte auf das immer deutlicher sichtbar werdende Floß zu.

Da – ein breiter Feuerstrahl sprang plötzlich von dem hinteren Ende des langen, primitiven Fahrzeugs auf, und der nachfolgende dröhnende Knall und eine dumpfe Erschütterung des Diabolo, verbunden mit einem lauten Krachen und Splittern von Holzteilen, ließen nur die eine Deutung zu, daß das Floß ein Geschütz an Bord haben mußte.

Kaum war der Steuermann sich hierüber klar geworden, kaum war in ihm auch die Befürchtung aufgezuckt, ob Almeida nicht womöglich noch über ein zweites, ein drittes Geschütz verfüge, als er auch schon die Ruderpinne scharf nach rechts herüberdrückte, so daß der Schoner mit kurzem Bogen nach Norden abschwenkte und sich nun immer mehr von dem Floß entfernte.

Dann mußte Miguel den Steuermann vertreten, der nun zunächst den Kapitän über die veränderte Lage unterrichtete und dessen Einverständnis zu einem sofortigen Einlaufen in den Kanal erbat, da es zu gefährlich wäre, das Floß nochmals anzugreifen.

Der Diabolo trieb jetzt wieder mit gestoppter Maschine auf der vom Nachtwinde leicht gekräuselten Oberfläche des Sees. Auch der Doktor erschien jetzt in Burgs Kajüte. Und er war es nun, der den beiden Gefährten Aufschluß darüber gab, woher die Banditen so schnell in Besitz eines Geschützes gelangt sein könnten. Es stand für ihn außer Zweifel, daß sie das alte, in den Gewölben des Turmes bis dahin aufbewahrt gewesene Kanonenrohr mit einem Gestell versehen und für ihre Zwecke brauchbar gemacht hatten, wozu sie ja den ganzen Tag über Zeit gehabt.

Sodann besichtigten Schwechter und Teppenwurz das Schußloch am Bug, das dicht über der Wasserlinie lag, zuerst von außen, stiegen darauf auch in den Laderaum hinab, um das Leck sofort durch Bretter und geteerte Leinwand abzudichten.

Hier unten nun wartete ihrer eine neue Überraschung, die abermals zeigte, daß Almeida zu jener Sorte von Schurken gehörte, die jedes menschlichen Gefühls völlig entbehren und nichts als ihren wilden Instinkten nachgebende Bestien sind.

Der Häuptling der Karipunen hatte ja bereits den Schoner nach seinem weißen Bruder Ma Tschiza, dem berühmten Trapper, durchsucht, ohne ihn jedoch finden zu können, obwohl er Watawis Überzeugung nach nicht wie die anderen gewaltsam von Almeida zum Soldatendienst gepreßten Leute ebenfalls in Serpa an Land geschafft worden war.

Jetzt entdeckten der Doktor und der Steuermann vorn am Bug einen äußerst geschickt angelegten Geheimverschlag, dessen niedrige Tür sie nur deshalb bemerkten, weil das Vollgeschoß der Kanone des Floßes[8], ein eisernes Gewicht von der Schwere eines halben Zentners, nach Zertrümmerung der Außenplanken diese Tür am oberen Rande mit zerstört und aus den verborgenen Angeln gerissen hatte.

Sie hatten eine Laterne mitgenommen, leuchteten nun neugierig in den kaum ein Meter breiten, kleinen Raum hinein, stießen dann gleichzeitig einen Ruf der Überraschung aus, denn – am Boden des Verschlages lag, mit Nägeln und Stricken an die Dielen gefesselt, dazu noch mit einem Knebel im Munde, ein Europäer mit langem, dunkelblondem Bart, der das volle Haupthaar genau so wie Watawi schopfartig mit Adlerfedern darin hochgebunden, weiter auch einen indianischen Jagdanzug und um den Hals eine Kette von Jaguarzähnen trug.

 

Am Boden des Verschlages lag, mit Stricken gefesselt, ein Europäer.

 

Der Doktor wollte sich bücken und dem Gefangenen – es konnte ja nur Ma Tschiza sein! – den Knebel aus dem Munde nehmen, als der Steuermann ihn mit einem lauten: „Vorsicht!“ zurückriß, dann auf eine kaum zwei Handbreit über dem Gesicht des Trappers sich wütend hin und her ringelnde, an einem von der Decke herabhängenden Eisendraht in der Mitte des Leibes befestigte kleine, grünbraune Schlange mit sehr flachem Kopf deutete und rief:

„Ah – dieser Teufel – dieser Almeida! Sehen Sie, Doktor, es ist eine Labaria, eine der gefährlichsten Giftschlangen Brasiliens! Almeida hat sie über dem Kopfe Ma Tschizas doch nur deshalb aufgehängt, um ihm eine Flucht unmöglich zu machen, da der Trapper es ja nicht wagen konnte, auch nur den Kopf zu heben! – Dieser Satan – dieser Erzhalunke, – wenn wir ihn doch nur in unsere Gewalt bekämen! Dann soll er etwas erleben!“

Er zog sein Messer, hielt mit der Linken seinen Hut unter die Schlange und trennte ihr dann mit einem Hieb den Kopf ab, der in den Hut fiel, worauf Siegfried Teppenwurz sofort erklärte:

„Famos – eine Labaria! Ich habe schon einige Giftdrüsen dieser Schlangenart untersucht, freue mich aber doch, wieder mal eine in die Finger zu bekommen.“

Als der Trapper nun losgeschnitten war, mußte ihm Schwechter beim Aufstehen helfen.

Seine erste Frage war:

„Wo kann ich Almeida finden? – Ich habe noch nie einen Menschen gemartert, aber diesem Scheusal schneide ich Riemen aus der Haut!“

Als er nun hörte, daß er Landsleute, Deutsche, vor sich habe, denn er war ja selbst ein Deutscher namens Werner Neuberg, und ihm auch die ganzen traurigen Ereignisse der vorhergehenden Nacht geschildert worden waren, wobei natürlich auch Watawi erwähnt wurde, da erklärte er sofort, man möge ihn fortan mit unter die Besatzung des Diabolo aufnehmen. Über seinen roten Bruder, den Häuptling, äußerte er sich dahin, daß er fest davon überzeugt wäre, der Karipune hätte den Schoner durch den Sprung über Bord nur in Verfolg eines vorher überlegten bestimmten Planes verlassen, vielleicht in der Absicht, seine am Nordufer des Amazonas in der Nähe von Serpa lagernden fünfzehn Krieger herbeizuholen.

Jedenfalls hatte man in der Person Ma Tschizas einen Verbündeten gewonnen, der gut ein Dutzend gewöhnliche Sterbliche wert war. Dies sagte ihm auch nachher der Kapitän ganz offen, worauf der Trapper bescheiden meinte, „ein Dutzend wär’ wohl ein bißchen viel, aber mit sechsen wolle er wohl allein schon fertig werden.“ –

Das Loch in der Bugwand war bald verstopft. Dann steuerte der Schoner den Kanal an. Man verabsäumte nichts, um nicht etwa abermals in eine ähnliche Falle wie am Vormittag zu geraten. Doch – kein einziger der Banditen befand sich am Ufer, und ohne Zwischenfall wurde nun schleunigst die Barrikade weggeräumt. Zehn Minuten später durchfurchte der Diabolo die Wogen des lehmfarbenen Riesenstromes, der hier in etwa zwei Kilometer Breite seine ungeheure Wassermasse dem Atlantischen Ozean zuwälzte. Wenn es nach Ma Tschiza gegangen wäre, so hätte man jetzt sofort den Versuch gemacht, den doch fraglos noch auf der Halbinsel befindlichen Almeida und den Rest von dessen Bande auszulöschen. Doch inzwischen hatte sich sowohl bei Burg als auch bei Juan ein ziemlich heftiges Wundfieber eingestellt, das die sorgsamste Pflege der Verwundeten verlangte. In Rücksicht hierauf ging Schwechter als jetziger Führer des Diabolo auf den Vorschlag des Trappers nicht ein, sondern befahl Miguel Zampa, den Schoner jetzt nach der Puma-Insel zu steuern. Ma Tschiza gab sich zufrieden, sah auch selbst ein, daß man die Bestrafung des Brasilianers einer besseren Gelegenheit vorbehalten müsse. –

Wenn man den nordamerikanischen Mississippi als den „Vater der Ströme“ zu bezeichnen pflegt, so müßte man weit eher dem Amazonas diesen Namen zubilligen, denn kein Flußgebiet der Erde kommt an Ausdehnung dem des brasilianischen Rio de las Amazonas gleich, dessen Länge ohne die Krümmungen rund 5400 Kilometer beträgt, während das Stromgebiet mit 7 Millionen Quadratkilometer fast genau so groß wie unser ganzes Europa ist!

Dementsprechend ist denn auch seine Breite. Bei der Stadt Santarem sind’s fünfzehn Kilometer, weiter der Mündung zu sogar 80 bis 100 Kilometer! Schon diese Abmessungen dieses Flusses, dessen mit Urwäldern eingefaßte Ufer so dünn besiedelt sind, daß man tagelang nur hier und da ein paar Hütten indianischer Fischer bemerkt, die hauptsächlich dem über drei Meter langen Pirarucu[9] nachstellen, dessen Fettschichten einen vorzüglichen Tran abgeben. Fast alle Nebenströme des Amazonas haben weitverästelte Mündungen, bilden also zahllose Inseln, die mit ihren schmäleren und breiteren Kanälen stets ein förmliches Labyrinth darstellen, in dem allerhöchstens die eingeborenen, in der Nähe hausenden Fischer sich zurechtfinden.

Westlich von Serpa empfängt der Riesenstrom einen unbedeutenderen Zufluß in Gestalt des von den Indianern Parataxu benannten, auf unseren Landkarten überhaupt nicht verzeichneten Wasserlaufes, der eigentlich nur ein Nebenarm des weit nach Osten zu ausweichenden Rio Urubu ist, jedoch vor seiner Mündung von einem solchen Gewirr von Eilanden und Inseln umlagert ist, daß der Name Parataxu – tausend Hügel – auf ihn insofern auch zutrifft, als alle diese bewaldeten Inseln nach der Mitte zu hügelig sich emportürmen und zum Teil sogar von kahlen Felspartien – eine Seltenheit in der Amazonas-Niederung! – durchzogen sind.

Hier inmitten des Mündungslabyrinths des Parataxu lag auch die Puma-Insel, die der alte Mulatte und frühere Strompirat seinem Herrn als Schlupfwinkel empfohlen hatte.

Zunächst steuerte Miguel, nachdem man bis zum Morgen in einem breiten Kanal des Parataxu-Deltas[10] vor Anker gelegen hatte, den Schoner durch einige Dutzend sich kreuzender Wasserstraßen von verschiedener Breite in eine scheinbar nur kleine Bucht einer langgestreckten Insel hinein, wo sich dann aber eine enge, von Wasserpflanzen, Gestrüpp und Lianenvorhängen dem Unkundigen vollständig verborgene Fortsetzung dieser Bucht nach Norden zu vorfand, nach deren Durchquerung man in ein Sumpfgebiet gelangte, das auf den ersten Blick für ein Schiff von dem Tiefgang des Diabolo ganz unpassierbar schien. Und doch lotste der Mulatte den Schoner dann ohne Schwierigkeiten hindurch, brachte ihn in einen neuen Kanal und von hier in einen fast kreisrunden, etwa dreihundert Meter breiten See, dessen zum Teil felsige, dann auch wieder sandige Ufer mit ihren abwechselungsreichen Strandpartien und mannigfachen Bäumen und Sträuchern ein überaus freundliches Bild gewährten.

Dies war das einstige Versteck der Flußfreibeuter, zu denen auch Miguel Zampa gehört hatte. Am Westufer unweit eines kahlen Felsenhügels mit steilen, zerklüfteten Wänden standen noch die Reste zweier jetzt unkrautüberwucherter Blockhütten, während ein weit besser erhaltener Landungssteg, aus starken Stämmen gefertigt, es dem Schoner gestattete, daran festzumachen, so daß der Diabolo in der Tat hier einen richtigen kleinen Hafen gefunden hatte.

Die Blockhäuser wurden nun in aller Eile wieder leidlich in Stand gesetzt und in dem einen die Krankenstube für die beiden Verwundeten hergerichtet, deren Pflege man vollständig dem kleinen Doktor überließ, während die anderen Leute des schlanken Seglers unter Anleitung des sachverständigen Steuermanns dem nunmehrigen Piratenschiff aus den an Bord befindlichen Farbenvorräten einen neuen Anstrich – schwarz mit rotem Streifen – gaben, nachdem man das Schiff nach Möglichkeit entlastet hatte, um die neue Farbe auch bis unter die Wasserlinie auftragen zu können. Selbst der ernste, würdige Ma Tschiza, der mit seinem Namen Werner Neuberg von niemandem der Gefährten angeredet wurde, da er ihn in den fünfzehn Jahren seines Trapperlebens hier in Brasilien fast vergessen hatte, spielte mit Eifer den Anstreicher und zeigte sich auch bei anderen friedlichen Beschäftigungen als wertvolle Kraft.

So vergingen vier Tage. Inzwischen hatte die robuste Gesundheit des Farmers über das Wundfieber schnell gesiegt und die weitere Genesung dann fast noch bessere Fortschritte gemacht. Auch der Mestize Juan, der vielleicht noch widerstandsfähiger und abgehärteter als Burg war, durfte am Nachmittag dieses vierten Tages zum ersten Mal ins Freie. Man hatte für die beiden Patienten vor dem Hause eine Art Veranda mit einem Leinwanddach gebaut, wo sie in bequemen Schiffsstühlen lang ausgestreckt beobachten konnten, wie die Gefährten nun auch den Aufbauten des Schoners ein neues Gewand gaben und wie sehr sich das Aussehen des ganzen Schiffes verändert hatte.

Der kleine Doktor war gerade dabei, seinen beiden Pflegebefohlenen einen Imbiß zu reichen (die Vorratskammer der früheren Brasilia hatte sich als überreichlich, selbst mit Delikatessen in Büchsen, versehen herausgestellt), als von der Einfahrt in den runden See her ein schriller Jagdruf erscholl, der besonders auf den Trapper förmlich wie ein elektrischer Schlag wirkte, denn mit einem wahren Preisspringer-Satz schwang er sich nun auf das Dach des Mittelaufbaus und starrte dann nach Süden hin, wo soeben ein großes, offenes Boot, von Indianern gerudert, aufgetaucht war, an dessen Steuer hoch aufgerichtet kein anderer als der Häuptling der Karipunen stand und nun abermals seinen gellenden Jagdruf über das stille Wasser des verborgenen Beckens hinüberschickte.

Watawi kam – Watawi, um den sich schon alle gesorgt hatten, am meisten Burg und Ma Tschiza, denen er ja genau so ans Herz gewachsen war wie ein leiblicher Bruder!

Das gab eine Aufregung und Freude, wie sie dieser versteckte Platz noch nie gesehen, das gab ein Herüber- und Hinüberwinken und -rufen, das dem Häuptling so recht bewies, welcher Beliebtheit er sich bei der ganzen Besatzung des Diabolo erfreute.

Jetzt legte das Boot neben dem Schoner an der Landungsbrücke an, jetzt bemerkte man außer den Indianern noch drei Mulatten auf den Ruderbänken, aber auch noch einen Europäer, der gefesselt am Boden des Fahrzeugs lag.

Miguel Zampa erkannte den Weißen zuerst, brüllte nun:

„Almeida – sie bringen Almeida als Gefangenen mit! Wir haben ihn – wir haben ihn, den Mörder des alten Herrn, den Brandstifter, den Folterknecht!“

Der Kapitän hörte diese Worte, erhob sich mit einem Ruck aus seinem Stuhl, stützte sich auf den kleinen Doktor, rief ganz heiser:

„Führen Sie mich auf den Landungssteg! Ich muß diesen Schurken mit eigenen Augen sehen!“

Teppenwurz wollte dem Kapitän gütlich zureden, sich doch zu schonen. Doch Burgs von Rachedurst übervolles Herz kannte jetzt nur einen Wunsch: Sich selbst davon zu überzeugen, daß Almeida wirklich von Watawi als Gefangener eingebracht worden war.

Gleich darauf stand er am Geländer des Landungssteges. Und da gerade hatten zwei der Mulatten – es waren die Peons, die mit Erwin in Serpa gewesen und die den Banditen entkommen waren – den Brasilianer gepackt und zwangen ihn aufzustehen.

Almeidas Augen begegneten jetzt denen des Farmers. Er erbleichte unter dem wilden Triumph, den die Blicke des Kapitäns widerspiegelten. All seine Frechheit, all seine Kühnheit schwanden dahin. Er schlug die Augen nieder.

Da rief Karl Burg mit alles übertönender Stimme:

„An den Vordermast mit ihm! Bindet ihn dort fest, so fest, daß er kein Glied rühren kann! Noch heute soll er sterben! Wir werden über ihn zu Gericht sitzen, und seine Strafe soll seinen Untaten angemessen sein!“

Über Almeidas Leib lief ein Zittern hin. Er schien zu ahnen, was ihm bevorstand. Er hörte ja rings umher nichts als Drohungen, Verwünschungen, Flüche, die ihm allein galten.

Dann – zierte er den Mast des Schiffes, dessen Führer er selbst noch vor kurzem gewesen. Nur ein Wächter war bei ihm zurückgeblieben, Miguel Zampa. Die anderen befanden sich jetzt alle an Land bei den Blockhütten.

Almeidas herzzerfressende Angst legte sich schnell. Mochte er auch ein Schurke sein – ein Feigling war er nicht! Wenn ihn beim Anblick des Farmers die sonstige Ruhe und Verwegenheit verlassen hatten, so war dies doch nur ein einziger Moment der Schwäche bei ihm gewesen. Alles andere hatte er nur geheuchelt, selbst das kraftlose Zittern, den angstvollen Gesichtsausdruck und die scheinbare willenlose Ergebenheit in sein Schicksal.

Seine listigen Augen begannen jetzt alles ringsum sorgfältig zu prüfen, blieben schließlich auf dem faltigen Mulattengesicht Miguel Zampas haften. Er forschte in diesem Gesicht, wollte feststellen, ob bei diesem Graukopf vielleicht ein Bestechungsversuch Erfolg haben würde.

Nach einer Weile flüsterte er dem vor ihm an der Reling Stehenden zu:

„He, mein Bursche, wie wär’s mit einem Beutel Gold? Möchtest Du ihn Dir verdienen?“

Miguel grinste.

„Ich möcht’ schon, Sennor Almeida,“ meinte er, den Willfährigen spielend. „Nur – was verlangt Ihr dafür als Gegenleistung?“

„Daß Du meine Fesseln zerschneidest und mit mir entfliehst. Dort liegt das kleine Boot des Schoners. Sind wir erst auf den Ruderbänken, holt uns niemand mehr ein, und das Dickicht der Inseln ringsum bietet tausend Verstecke.“

„Hm – losschneiden?! – Gut – ich bin einverstanden. Nur kann ich’s erst dann, wenn Ihr tot seid!“

Almeida sah das höhnische Lächeln des Mulatten, merkte, daß dieser ihn genasführt hatte.

„Karamba, Du Halunke wagst mich zu verspotten!“ zischte er. „Noch bin ich nicht tot, noch kann ich –“

Er schwieg plötzlich.

Von links her, vom Gipfel des felsigen Hügels scheinbar, war das heisere Krächzen eines Fischadlers erklungen. Niemand achtete darauf. Die einzelnen Krächztöne folgten einander in verschieden langen Zwischenräumen.

Da fuhr Almeida schon fort: „Doch nein – wozu soll ich in meiner Lage zwecklose Drohungen ausstoßen! – Überleg’ Dir die Sache, mein Bursche! Ich gebe Dir auch gern das Doppelte.“

„Und ich das Zehnfache – aber an Messerstichen!“ knurrte der Mulatte ingrimmig.

 

„Und ich das Zehnfache – aber an Messerstichen!“ knurrte der Mulatte.

 

Da verzichtete Almeida auf jedes weitere Wort.

Aber – in seine Augen war jetzt eine heimliche Unruhe gekommen. Sie blitzten förmlich, glitten nun wie absichtslos nach links – nach dem steilen, zerklüfteten Hügel hin.

Und da – abermals das Krächzen des großen Fischadlers, der im Stromgebiet des Amazonas so häufig ist, wie etwa bei uns daheim die Sperlinge oder Krähen.

Um des Brasilianers Lippen spielte jetzt ein kaum merkliches Lächeln des Triumphs.

 

9. Kapitel.

In höchster Bedrängnis.

Während sich dies auf dem Vorderdeck des Schoners zutrug, hatte Watawi seinen Freunden in seiner knappen Art über seine Erlebnisse seit jenem plötzlichen Sprung in die Fluten des Kanals das Notwendigste berichtet.

In der Annahme, daß der Schoner ohne eine Verstärkung seiner Besatzung die Durchfahrt durch den Kanal nicht würde erzwingen können und in der sicheren Überzeugung, daß die Banditen sehr bald wieder vom Deck des Seglers verjagt werden würden, anderseits auch, um den Kugeln der drei auf ihn gerichteten Revolver zu entgehen, hatte der Häuptling den Sprung ins Wasser getan, war eine Strecke unter der Oberfläche entlanggeschwommen und dann in dem Pflanzengewirr der Wasserblüten so lange aufrecht stehen geblieben, nur mit dem Munde und einem Teil des Kopfes über Wasser, bis die Bravos das Ufergelände verlassen hatten. Einen Baumstamm als Nachen benutzend, war er darauf glücklich über den Amazonas gelangt, hatte hier auf dem Nordufer auf einer kleinen Ansiedlung ein Maultier gestohlen und war ohne Sattel in größter Eile dorthin geritten, wo er seine Krieger damals zurückgelassen hatte, als er allein nach der Stadt Serpa geschlichen war, um über den Verbleib seines weißen Bruders Ma Tschiza Erkundigungen einzuziehen. Nachdem er sich mit seinen Karipunen wieder vereinigt hatte, war der kleine Trupp sogleich auf einem selbstgefertigten Floß über den Amazonas nach der Halbinsel gerudert, die die Gelände der Teufelsfarm nach Norden zu begrenzte. Hier langten sie an demselben Morgen an, als der Schoner bereits im Mündungsdelta des Parataxu sich befand. Kaum hatte Watawi festgestellt, daß es dem Diabolo inzwischen doch geglückt sein mußte, den See zu verlassen, kaum hatten zwei ausgesandte Späher ihm die Meldung überbracht, die Banditen hielten sich jetzt bei den Brandruinen der Farmgebäude auf, als er auch schon beschloß, die an Zahl gleich starken Bravos anzugreifen und Almeida wenn irgend möglich lebend zu fangen. Er selbst näherte sich nun zunächst allein von Norden her den zerstörten Baulichkeiten und beobachtete, wie die Banditen die Brandruinen, besonders die unversehrten Kellerräume des Wohnhauses, nach nützlichen oder wertvollen Dingen durchstöberten, beobachtete weiter, daß sie ein paar Fäßchen in den Garten schleppten und trotz des wütenden Einspruchs Almeidas und Benitos ein Zechgelage begannen, und schließlich noch, wie der Brasilianer dann seinen Unteranführer und jenen jungen Mestizen Antonio, der sich scheinbar von ihm losgesagt hatte und zu Karl Burg übergegangen war, zu Pferde nach Süden schickte. Diese beiden waren dann auch die einzigen, die dem sehr bald nachher erfolgten überraschenden Angriff und dem blutigen Gemetzel entkamen, bei dem nur Almeida absichtlich geschont wurde. Mithin lebten jetzt von den zwanzig Mann, die die Besatzung der unter Almeidas Führung stehenden Brasilia gebildet hatten, nur noch dieser, Benito und derselbe junge Mestize Antonio, der, was Watawi nun erst erfuhr, zusammen mit den anderen dem Floße damals im Diabolo-See entgegengeschwommen war, um es vor dem nur anscheinend von Burg und seinen Leuten verlassenen Schoner zu warnen. – Da dem Häuptling aus den Reden des Mulatten Miguel nur die ungefähre Lage der[11] Puma-Insel bekannt gewesen war, wo er jetzt den Diabolo zu finden hoffte, brauchten er und seine Krieger, die inzwischen von einem vorüberkommenden Dampfer das im Schlepptau nachgezogene Boot sich angeeignet hatten, nicht weniger als drei volle Tage, bis sie den kleinen, inmitten der Puma-Insel liegenden See gefunden hatten. –

Dies waren die Ereignisse, die sich abgespielt hatten, während hier in dem Schlupfwinkel der früheren Strompiraten sich alle ernstlich um das Ergehen des tapferen Karipunen-Häuptlings sorgten und Ma Tschiza bereits den Gedanken erwog, sich wieder von Burg und dem Diabolo zu trennen und seinen roten Bruder zu suchen.

Watawi hatte auch heute all diese Erlebnisse mit einer Selbstverständlichkeit geschildert, die den lebhaften Doktor wiederholt zu allerlei Zwischenrufen veranlaßte, durch die er betonen wollte, daß diese Abenteuer denn doch kaum so gefahrlos gewesen sein könnten, wie der Häuptling sie hinzustellen suchte.

Einer dieser Zwischenrufe hatte Watawis Gedanken scheinbar abgelenkt, denn es hatte eine Weile gedauert, ehe er in seiner Erzählung dann wieder fortgefahren war. Und diese Stockung war gerade da eingetreten, als zum ersten Male von dem Felsenhügel her das Krächzen des Fischadlers erklang.

Dann sprach Watawi weiter. Aber seine Blicke glitten jetzt unauffällig bald hierhin, bald dorthin, und als nun abermals die heiseren Adlerschreie sich hören ließen, warf er Ma Tschiza einen kurzen Blick zu und hüstelte ein wenig.

Jetzt, wo die Gefährten durch ihn von allem unterrichtet worden waren und dieses und jenes noch genauer erörtert zu werden drohte, wobei besonders Burg mit allerlei Fragen sogleich herausrückte, erklärte der Häuptling in seiner ruhigen, bestimmten Art, er hätte mit seinem Bruder Ma Tschiza noch etwas zu besprechen, das keinen Aufschub dulde.

Die beiden verließen denn auch die Blockhütten und schritten langsam am Seeufer nach Süden zu dahin, entfernten sich also auch immer mehr von dem jenseits der Blockhäuser emporragenden kahlen Felshügel. Ihre Büchsen hatten sie nicht mitgenommen. Es machte ganz den Eindruck, als ob sie nur einen kurzen Gang unternehmen wollten.

Und doch lag ihrem Tun eine sehr ernste Absicht zugrunde.

Kaum hatten sie sich außer Hörweite der übrigen entfernt, als der hünenhafte Trapper fragte:

„Mein Bruder Watawi hat auch den Adler gehört, der kein Adler war?“

„Unsere Gedanken sind stets die gleichen, Ma Tschiza. Wir werden uns nachher trennen und einzeln die Umgebung jenes zerklüfteten großen Felsens absuchen. Almeida hat gleichfalls dort hingeblickt.“

Jetzt bogen sie in eine kleine Lichtung des Urwaldes ein; Watawi wandte sich nach links, hatte also so ziemlich den ganzen See zu umrunden, um an den Felsenhügel zu gelangen; der Trapper hatte den kürzeren Weg nach rechts. –

Die unter der Zeltveranda Zurückgebliebenen ahnten nicht, daß der Häuptling und sein weißer Bruder lediglich zur Sicherheit aller jetzt wie die Schlangen durch das Dickicht krochen und hierbei alle jene Vorsichtsmaßregeln anwandten, die nur dem in der Wildnis Großgewordenen oder einem Fremden erst nach Jahren etwas Selbstverständliches sind.

Die Unterhaltung unter dem Sonnendache drehte sich natürlich um Watawis Erlebnisse. Burg sprach sein ärgerliches Bedauern darüber aus, daß gerade Benito und der junge Mestize dem durch den Karipunen angerichteten Blutbad entgangen wären. Steuermann Schwechter wieder erörterte die Frage, ob Benito nicht versuchen würde, seinen Herrn zu befreien, auf dessen Gefangennahme er doch unschwer dadurch kommen müßte, daß Almeida sich nicht unter den bei der Brandstätte Hingemetzelten befand. Juan erklärte jetzt, er für seine Person sei überzeugt, daß Benito alles tun würde, Almeida zu retten und auch den Schoner zurückzuerobern, der für die Rebellen einen schier unersetzlichen Verlust darstelle.

So kam es, daß der Doktor wieder die Frage aufwarf, ob etwa der junge Mestize Antonio während seiner Anwesenheit an Bord als scheinbarer Anhänger des Kapitäns erfahren haben könnte, daß Miguel Zampa die Puma-Insel als Schlupfwinkel vorgeschlagen hätte und ob es möglich wäre, hier von Benito und einer von diesem aus Serpa herbeigeholten Abteilung von Rebellen angegriffen zu werden.

Niemand vermochte mit Bestimmtheit zu behaupten, daß der Mestize nichts von diesem Versteck wissen könnte, und auch Miguel, den Schwechter sofort danach ausfragen ging, meinte mit ernstem Gesicht, es sei ihm recht ungewiß, ob der Mestize nicht doch vielleicht einiges über die Puma-Insel aufgeschnappt hätte.

Jedenfalls war Karl Burg bei dieser unsicheren Sachlage, die einen Überfall nicht ausschloß, sofort vorsichtig genug, fünf von den Karipunenkriegern, die sämtlich kräftige, gutbewaffnete Leute waren, als Wachen nach dem Kanal zu schicken, der den runden See mit dem weiten Sumpfgebiet verband.

So hatte denn das Wiedersehen mit Watawi dazu geführt, die Besatzung des Diabolo aus einem Sicherheitsgefühl wachzurütteln, das in jedem Falle den ganzen Umständen nach nicht recht angebracht gewesen war.

Kaum waren die fünf Indianer verschwunden, als Siegfried Teppenwurz plötzlich ausrief:

„Ah – was bedeutet denn das?! Watawi und Ma Tschiza sind doch vorhin dort hinaus davongeschritten und nun klimmen sie da soeben den Felsenhügel hinan[12]?!“

Burg hatte jetzt das bestimmte Gefühl, daß die beiden durchaus nicht lediglich zu einem kurzen Meinungsaustausch sich von den übrigen getrennt hätten. Voller Ungeduld sah er daher ihrer Ankunft entgegen, zumal er inzwischen sich vorgenommen hatte, Watawi zu fragen, ob dieser nicht vielleicht zufällig während seines Handstreiches gegen die zechenden Banditen irgend etwas darüber erfahren hätte, wo seine blonde Schwester und der Knabe von den Bravos verscharrt worden wären.

Jetzt traten Watawi und der Trapper unter das Zelt. Sie waren recht eilig ausgeschritten, und der Häuptling erklärte nun auch ohne Zögern:

„Mein Bruder Karlos mag Befehl geben, daß der Diabolo sofort zur Abfahrt fertig gemacht wird. Wir, Ma Tschiza und ich, haben drüben am Fuße des Hügels und auf demselben die Spuren zweier Kundschafter gefunden, die Almeida durch das Geschrei des Fischadlers ein Zeichen gegeben hatten. Die Spuren führen nach der Nordseite der Puma-Insel. Dort hat im Gestrüpp am Ufer ein kleines Boot gelegen, das nun verschwunden ist. Dieser Schlupfwinkel ist schlecht. Er hat nur einen Ein- und Ausgang. Wir können hier genau so eingesperrt werden wie in dem See am Südufer des Amazonas, wo mein Bruder Karlos die Kugel in die Schulter erhielt.“

Burg rief, indem er aus seinem Liegestuhl aufsprang, jetzt völlig vergessend, daß seine Wunde kaum leicht vernarbt war:

„So habe ich mit meiner Vermutung doch recht gehabt! Ihr beide bringt uns die Gewißheit, daß unser Versteck hier verraten worden ist! – Vorwärts – jede Minute ist kostbar! Wir müssen schleunigst heraus aus dem See, der für uns eine Falle werden kann!“ –

Es dauerte, obwohl mit Ausnahme der beiden Genesenden alle Mann zugriffen und ihre Kräfte nicht schonten, fast anderthalb Stunden, ehe der Diabolo abfahrtbereit war. Mußten doch all die Gegenstände, die an Land geschafft worden waren, um ihn zu erleichtern und ihm einen geringeren Tiefgang zu geben, wieder an Bord gebracht und verstaut werden, eine Arbeit, die mit geübten Matrosen natürlich in der halben Zeit hätte erledigt werden können. Hier aber bestand weit über die Hälfte der Besatzung jetzt aus Indianern, die auf einem Pferderücken besser zu Hause waren als auf den Planken eines Schoners.

Die Sonne war bereits hinter den Urwaldkronen untergetaucht, als endlich die Schraube anschlug und der Diabolo sich erst langsam, dann schneller und schneller in Bewegung setzte. Der Kanal wurde glücklich passiert, ebenso das Sumpfgebiet. Dann aber war es bereits so dunkel geworden, daß Miguel Zampa erklärte, es sei ihm unmöglich, sich durch das Labyrinth der Kanäle und Inseln hindurchzufinden, und es sei auch deshalb ratsamer vor Anker zu gehen, weil der Diabolo nur zu leicht auf einer Untiefe sich in dieser Finsternis festfahren könne.

So wurde denn am Ufer einer Insel ein Ankerplatz ausgesucht, der, in einer kleinen Einbuchtung gelegen, den Vorteil krautfreien Wassers bot. Diese Insel gehörte mit zu einem Kreise zahlreicher größerer und kleinerer Eilande, die ein seeartiges, weites Becken umschlossen, so daß also der Schoner hier volle Bewegungsfreiheit hatte.

Nachdem für die Nacht die Wachen verteilt waren – es sollten immer vier Mann je drei Stunden die Wache übernehmen – und nachdem noch für alle Fälle das alte Geschütz auf das Dach des Mittelaufbaus geschafft und auch Munition der verschiedensten Art für dasselbe bereitgelegt worden war, ging alles, was dienstfrei, zur Ruhe.

Die Indianer und die Mulatten hatten sich auf dem Vorderdeck ihre Lagerstätten zurechtgemacht, während die Weißen, Watawi, Juan und auch Miguel Zampa, der jetzt von Burg feierlich zum zweiten Steuermann des Schoners ernannt worden war, sich auf die Wohnräume des Seglers verteilt hatten.

Miguel ging jedoch vorläufig nicht schlafen. Sein altes Piratenherz war jetzt voller Freude, daß vielleicht schon der nächste Tag einen blutigen Strauß mit dem Feinde bringen könnte. Um den Diabolo auch äußerlich als Freibeuter zu kennzeichnen, hißte er jetzt am Heck als Flagge einen roten Leinwandvorhang, den er in Benitos Kabine schon vorher heimlich abgeschnitten hatte. Nun erst war er mit dem Aussehen des Diabolo ganz zufrieden, ging nochmals auf das Vorderdeck, prüfte Almeidas Fesseln und begab sich dann ebenfalls zur Ruhe. –

Doktor Teppenwurz hatte von ein Uhr morgens ab die Wache am Heck. Er nahm es damit sehr ernst und beobachtete unausgesetzt sowohl die Wasseroberfläche als auch das kaum sechs Meter entfernte Ufer der Insel. Außer ihm befand sich noch Ma Tschiza als Wache auf dem Hinterdeck, während vorn zwei der Indianer auf und ab schritten.

Der kleine Dicke hätte zu gern während seiner drei Stunden etwas Besonderes erlebt. Doch – es schien sich durchaus nichts ereignen zu wollen, was ihm Gelegenheit gegeben hätte, seine geliebten Donnerbüchsen sprechen zu lassen oder gar den mächtigen Kavalleriesäbel benutzen zu können, den er in Almeidas Kajüte aufgestöbert und sich am Gürtel befestigt hatte. Er sah mit diesem endlosen Schwert recht putzig aus, der Sennor Doktore, und selbst die todernsten Roten hatten etwas gegrinst, als er vorhin säbelrasselnd über das Deck gegangen war.

Er lehnte jetzt am Steuer und betrachtete zur Abwechslung einmal auch den Sternenhimmel, der sich glitzernd und geheimnisvoll über den Inseln und den Kanälen ausspannte.

Da – er ruckte zusammen! War das nicht eben unten am Heck ein verdächtiges Plätschern gewesen?

Leise schlich er bis zum Flaggenstock hin, beugte sich weit über die Reling, schaute hinab.

Der Glanz der Sterne spiegelte sich auf dem Wasser so stark wider, daß man selbst einen nur die Nasenlöcher herausstreckenden Kaiman hätte sehen müssen.

Doch – da unten war nichts – gar nichts zu bemerken, das des Dicken Mißtrauen verstärken konnte.

Trotzdem blieb er jetzt an der Reling stehen und holte sogar eine seiner Steinschloßpistolen hervor, deren Knall unfehlbar für die ganze Besatzung als Alarmsignal genügte.

Und wieder dachte der Doktor, wie ruhmreich es doch für ihn wäre, wenn nun da unten ein menschlicher Kopf sich zeigen wollte und er in diesen Kopf mit seiner geliebten Donnerbüchse ein Loch hineinblasen könnte. Oh – treffen würde er schon! Er hatte schon winzigere Dinge als Ziel gehabt als so einen kürbisgroßen Menschenschädel!

„Verflucht noch mal!“ knurrte Siegfried Teppenwurz nun plötzlich. „Das schien mir doch soeben, als ob da geradeaus was Dunkles, Rundes schwamm! Schade, nun ist’s wieder weg! – Hm – die kleinen Wellen deuten wirklich darauf hin, daß – Verflixte Geschichte,“ unterbrach er sich, „da war doch wieder etwas, das nicht nach ’m Kaiman und auch nicht nach ’ner Schildkröte aussah! Freilich – gerade Schildkröten gibt’s ja hier in Brasilien in allen Größen und so zahlreich, daß man aus den Eiern sogar Öl preßt.“

Da war Ma Tschiza hinter ihm erschienen.

„Doktor,“ flüsterte er, „auf keinen Fall schießen, wenn Sie was Verdächtiges erspähen! Ihre Signalkanone weckt Tote und lockt vielleicht mehr Lebende herbei, als uns lieb ist. – Haben Sie etwa irgend eine Beobachtung gemacht, die Ihnen nicht ganz geheuer erscheint?“

 

„Doktor,“ flüsterte er, „auf keinen Fall schießen“.

 

Teppenwurz berichtete, was er bemerkt zu haben glaubte.

„Es wird wohl eine Schildkröte gewesen sein,“ meinte der Trapper und schritt davon. –

Der kleine Doktor wurde um vier Uhr morgens abgelöst, als der Morgen bereits zu grauen begann.

Er war jetzt doch recht müde. Zu den Jüngsten gehörte er ja mit seinen 52 Jahren auch nicht mehr! In diesem Alter strengt schon so manches an, was man vor zehn Jahren kaum gespürt hat. – Solche und ähnliche Gedanken waren’s, die den wackeren Dicken schnell ins Traumland hinübergeleiteten. Doch – lange sollte er sich nicht der wohlverdienten Ruhe freuen. Jemand rüttelte ihn sehr unsanft wach, brüllte ihm ins Ohr:

„Sennor Doktore, – sie sind da! Schnell auf Deck, schnell!“

Es war Miguel Zampa. Und hinter ihm stolperte nun Teppenwurz schlaftrunken nach oben, wurde dort aber sofort völlig munter, als plötzlich um ihn herum ein wahrer Schloßenregen[13] von Geschossen herumpfiff. –

Die ersten Sonnenstrahlen vergoldeten die Baumkronen. Das gefiederte Volk der nahen Inseln begrüßte den neuen Tag mit all den verschiedenartigen Lauten seiner Sprache. Muntere Seiden- und Löwenäffchen, auch viele Rollschwanzaffen, diese hervorragendsten Turner des ganzen Affengeschlechtes, tollten durch die Äste, quiekten, kreischten, freuten sich ihres faulen Daseins; ein paar mächtige Wasserschweine nahmen ein Morgenschlammbad, versahen sich mit einer frischen Schmutzkruste gegen das stechende Ungeziefer, Schmetterlinge in allen Farben und Größen gaukelten graziös in der schwachen Morgenbrise – und in all diesen Frieden, all diese tropische Pracht hatte vor wenigen Minuten der Alarmruf des Häuptlings der Karipunen wie ein Trompetenton warnend hineingeklungen:

„Ein Floß! Die Feinde!“

Im Augenblick war die Besatzung munter, war jeder auf seinem Posten.

Der Kapitän des Diabolo, kaum erst halb genesen, stürzte gleichfalls aus der Kajüte heraus, sprang an die Reling, nahm das Fernglas an die Augen.

„Ein Floß mit mindestens 25 Leuten darauf,“ rief er nun. „Zwei Geschütze bemerke ich. Das Floß wird durch lange Ruder vorwärtsbewegt.“

Dann gab er Befehl, den Anker zu lichten und den Motor anzuwerfen.

Da – des Doktors helle Stimme: „Der Motor versagt! Die Schraube muß unklar sein!“

Das war eine böse Überraschung! Denn der leicht bewegliche Schoner hätte von dem Floß nichts zu fürchten gehabt, hätte es von allen Seiten angreifen, umkreisen, es in den Grund bohren können. Der Antriebskraft der Schraube dagegen beraubt, war er schwerfälliger als das Floß, da die schwache Morgenbrise seine Segel kaum gefüllt hätte.

Schwechter sprang kurz entschlossen über Bord, tauchte, belastete die Schraube, – tauchte dreimal, kletterte wieder an Bord, meldete Burg kopfschüttelnd:

„Unbegreiflich – eine Stahltrosse ist um das Steuer und die Schraube so fest gewickelt, daß es eine halbe Stunde dauern kann, ehe wir sie wieder klar bekommen!“

Da wieder mischte sich Ma Tschiza ein.

„Doktor, dann ist’s doch keine Schildkröte gewesen, die –“

Er taumelte plötzlich, sank langsam zu Boden.

Von dem noch gut siebenhundert Meter entfernten Floß war eine neue Kugelsaat eines der Geschütze über den Schoner hingegangen. Nur einer war getroffen worden – der Trapper!

Man trug ihn schnell unter Deck. Er hatte einen Streifschuß am Kopf – zum Glück keine allzu ernste Verletzung.

Burg erkannte, daß es sehr schlecht um ihn und die Seinen stand. Dennoch bewies er jetzt, daß es keine Anmaßung von ihm gewesen, als er sich selbst zum Kapitän der ehemaligen Brasilia gemacht hatte. Er wußte nicht nur ein Schiff zu führen, nein, er besaß auch all jene Eigenschaften, die das gefahrvolle Handwerk eines Piraten verlangt.

Klar, kurz, aufmunternd waren seine Kommandos.

Abermals ein Kanonenschuß von drüben. Einer der Mulatten, die Miguel das Geschütz auf dem Mittelaufbau bedienen halfen, fiel hintenüber auf das Achterdeck, war sofort tot.

Nun hatte aber auch der grauhaarige Zampa seinen „Bullenbeißer“ schußfertig. Ein langer Blitz fuhr aus dem Eisenrohr heraus, schickte seine Ladung von Eisenstücken nach dem Feinde hinüber. Und – es war gut gezielt worden. Burg erkannte durch das Glas, daß drüben eine gewisse Verwirrung entstand, daß drei der Angreifer umgesunken waren.

Doch dadurch ließen sich die anderen nicht stören, ruderten vielmehr mit erhöhter Energie auf den Schoner zu, nahmen ihn unter so scharfes Feuer, daß man jetzt auf dem Diabolo kaum noch den Kopf über die Reling stecken konnte.

Und inmitten dieses infolge der stets sich verringernden Entfernung immer gefährlicher werdenden Geschoßregens stand Almeida als lebende Zielscheibe für die Kugeln seiner eigenen Leute und Befreier noch immer aufrecht an den Mast gebunden da. Sein finsteres Gesicht spiegelte alle möglichen Empfindungen wider. Nur Angst war darauf kaum zu lesen.

Inzwischen hatten die Leute des Schoners auch mit den Gewehren in den Kampf eingegriffen, so weit es sich bei diesen um weittragende Hinterlader handelte; inzwischen arbeiteten Schwechter und der Häuptling an der Klarmachung der Schraube und des Steuers.

Dann hörten die Kanonenschüsse von drüben plötzlich auf, und die Angreifer schwenkten eine weiße Flagge zum Zeichen, daß sie Verhandlungen einleiten wollten. Auch Burg ließ jetzt das Feuer einstellen, wartete ab, was die Rebellen weiter tun würden.

 

10. Kapitel.

Opferwillige Freunde.

Sehr bald näherte sich ein einzelner Mann, der die Uniform der brasilianischen Kavallerieoffiziere trug, in einem Einbaum, das heißt einem aus einem Baumstamm gefertigten Nachen, dem Diabolo. Er hatte an der Spitze seines kleinen Fahrzeugs gleichfalls einen Stock mit einem weißen Lappen befestigt und brachte dadurch zum Ausdruck, daß er als Parlamentär käme. Er war unbewaffnet, und Gesichtsschnitt und Hautfarbe ließen auf einen reinblütigen Spanier oder Portugiesen schließen.

Burg empfing ihn auf Deck und fragte sehr kühl nach seinem Begehren. Die anmaßende Sprache des Offiziers änderte jedoch sehr bald das bis dahin höfliche Benehmen des Piratenkapitäns, der den Unterhändler plötzlich unterbrach und ihm mit Erschießen drohte, falls er nicht einen angemesseneren Ton anschlüge. Das half. Die weitere Unterredung bewegte sich dann in rein sachlichen Formen.

Der Offizier unterbreitete folgende Vorschläge: Auslieferung Almeidas, des Mestizen Juan und des Schoners; dafür freier Abzug für die Besatzung des Seglers.

Burg lehnte rundweg ab und meinte, derartige Bedingungen könnte man vielleicht einem besiegten Feinde, nicht aber einem Gegner stellen, der sehr wohl in der Lage wäre, sich den freien Abzug zu erkämpfen.

„Das mag schon sein, Sennor,“ erwiderte der Unterhändler mit jetzt absichtlich übertriebener Höflichkeit. „Nur dürft Ihr nicht vergessen, daß wir zwei Geiseln besitzen, durch die wir jeden Zwang auf Euch auszuüben vermögen, – Eure Schwester und Euren Bruder! – Bitte, blickt nach unserem Floß hin. Mit dem Glase werdet Ihr Eure Geschwister ganz deutlich erkennen –“

Burg riß schon das Fernglas an die Augen, rief dann jubelnd:

„Sie sind’s – sie sind’s! Und – sie leben!“

Auch Watawi, Schwechter und der Doktor und die anderen, die in der Nähe gestanden und die Unterredung bisher schweigend mitangehört hatten, bemerkten jetzt Annemarie und Erwin Burg, die drüben bis an den Rand des Floßes gedrängt und genau zu sehen waren. Selbst Juan hatte sich, halb auf Miguel gestützt, gleich nach Erscheinen des Parlamentärs den übrigen zugesellt, hatte also sehr wohl vernommen, daß der Offizier auch seine Auslieferung verlangte. Seine Blicke hingen jetzt gespannt auf dem Gesicht des Kapitäns des Diabolo, das nun nach dem ersten Freudenausbruch über diesen unverhofften Anblick der beiden Totgeglaubten abermals sehr ernst geworden war.

Karl Burg wandte sich nun an den Unterhändler, sagte mit ruhiger Bestimmtheit:

„Gut, ich will Euch Almeida lebend zurückgeben, wenn meine Geschwister unversehrt zu mir zurückkehren. Auch den Schoner sollt Ihr haben. Mein Wort darauf. – Was den Mestizen Juan anbetrifft, so müßt Ihr auf ihn verzichten. Ich – bin kein Verräter! Er hat mir Treue gehalten, und genau so werde ich ihn nicht verlassen oder ihn Eurer Rache preisgeben, – nein, niemals!“

„Schade,“ meinte der Offizier achselzuckend. „Ihr scheint Eure Geschwister wenig zu lieben. Ich habe nämlich von meinem Vorgesetzten in Serpa den Befehl erhalten, Euren Bruder – aufhängen zu lassen, falls Ihr die Bedingungen, die ich zuerst nannte, nicht ohne weiteres annehmt. Eure Schwester bleibt in jedem Falle vorläufig in unserer Gewalt, damit, falls Ihr gegen General de Mellos Anhänger irgendwie feindselig auftreten solltet, ihr das gleiche Schicksal wie Eurem Bruder bereitet werden kann.“

Burg war bis in die Lippen erblaßt. Er schien sich auf den Offizier stürzen zu wollen. Aus seiner Kehle drang ein heiseres Röcheln furchtbarer Wut empor.

Da – legte Watawi ihm die Hand auf die Schulter, sagte voller Würde wie immer:

„Mein Bruder Karlos mag daran denken, daß wir das Floß nicht mehr beschießen können, wenn wir nicht die holde Blume der Diabolo-Farm oder meinen kleinen weißen Bruder treffen wollen.“

„Ganz recht,“ fiel dem Karipunen hier der Offizier ins Wort, „wir würden uns auch keinen Augenblick besinnen, die beiden als lebende Schutzschilde zu benutzen. – Ihr hört ja nun selbst von dem Roten da, daß Ihr nachgeben müßt, Sennor. Wir sind gezwungen, so gegen Euch vorzugehen, nachdem Ihr den bei General de Mello hochangesehenen Almeida bei Eurer Farm in eine Falle gelockt und seine Leute größtenteils hinterrücks erschossen habt. Wir springen schon äußerst milde mit Euch um, wenn wir Euch überhaupt laufen lassen.“

Burg fuhr auf. „All das ist infame Lüge! Almeida hat die Farm überfallen, hat –“

Der Offizier schnitt ihm durch eine Handbewegung das Wort ab.

„Natürlich stellt Ihr die Vorgänge anders dar, natürlich! Kein Verbrecher wird, ohne Ausflüchte zu versuchen, seine Tat eingestehen. Doch genug! – Ich gebe Euch eine Stunde Bedenkzeit. Ich bleibe so lange hier an Bord. Wagt nicht, mich irgendwie zu belästigen! Kehre ich nicht nach Ablauf dieser Stunde zu den Meinen zurück, so werdet Ihr Euren jüngeren Bruder lebend nicht wiedersehen.“

Burg wollte schon wieder, halb sinnlos vor ohnmächtigem Grimm, irgend eine Torheit begehen. Watawis Hand legte sich jedoch abermals mit schwerem Druck auf seine Schulter.

„Mein Bruder Karlos mag mit uns beraten,“ sagte er gelassen. „Vielleicht wird er dann erkennen, daß wir die Bedingungen annehmen müssen.“

„Du scheinst ein leidlich vernünftiger Bursche zu sein, Rothaut,“ lachte der siegesgewisse Offizier gönnerhaft. „Wie heißt Du denn, mein farbiger Halunke?“

Watawi stand einen Moment wie erstarrt. Dann schaute er den Brasilianer durchdringend an, als wolle er sich dessen Gesichtszüge für alle Zeiten einprägen, und erwiderte mit erkünstelter Bescheidenheit:

„Ich nenne mich Watawi, und mein Stamm sind die weit nördlich von hier wohnenden Karipunen.“

„Aha – Karipunen! Nettes Gesindel! – Und – Watawi ist dein Name? Dann bist Du ja der rothäutige Schuft, der Almeidas Hazienda eingeäschert hat. Gut, daß ich Dich hier finde! Du wirst auch ausgeliefert, genau so wie der gelbhäutige Verräter Juan, der nur für andere den Spion gespielt hat!“

Watawi blieb völlig ruhig.

„Mein Bruder Karlos folge mir in die Kajüte. Dort können wir Rat halten,“ meinte er, ohne den Offizier weiter zu beachten, der sich nun auf die Reling des Achterdecks setzte und sich eine Zigarette drehte.

In der Kajüte wandte sich Burg sofort an den Häuptling mit der Frage:

„Watawi, sprachst Du im Ernst, als Du erklärtest, wir müßten diesen elenden Mordgesellen gegenüber in allem nachgeben?“

Der Karipune – außer ihm und Burg befanden sich jetzt noch Schwechter, der kleine Doktor und Miguel Zampa in der Kajüte – entgegnete leise:

„Die Blume mit dem Haar von der Farbe der Nuggets und der kleine weiße Bruder werden gerettet werden. Watawi wird jetzt heimlich den Schoner verlassen. Meine Brüder mögen hier in der Kajüte bleiben und den Hund von Brasilianer nicht merken lassen, daß fünf Karipunen von Bord verschwunden sind.“

Bevor noch Burg oder einer der anderen hierzu etwas äußern konnte, war Watawi schon durch das eine der nach der Landseite zu hinausgehenden kleinen Fenster geschlüpft und verschwunden.

Der Doktor meinte jetzt kopfschüttelnd:

„Ich fürchte, die Sache wird schief gehen, – ganz gleich, was der Häuptling plant. Der Offizier dürfte scharf achtgeben, ob nicht etwa Juan oder Watawi sich zu drücken suchen. Wenn ihm jetzt zum Beispiel einfällt, hier einzutreten, so ist die Geschichte schon verfahren, falls wir –“

Da wurde die Tür auch schon von außen aufgerissen und der Brasilianer stürmte mit den erregten Worten herein:

„Wo ist der rote Schuft von Häuptling? Mir war’s doch soeben, als ob seine Adlerfedern einen Moment über dem Dache dieses Deckaufbaus sich zeigten! – Ah – er ist nicht mehr hier. Das bedeutet Verrat! Ich werde sofort auf das Floß zurückkehren, falls der Bursche nicht augenblicklich hergeschafft wird! Jedenfalls werde ich Euch alle nicht mehr aus den Augen lassen, und sollte –“

Weiter kam er nicht. Miguel Zampa hatte ihm von hinten seine Hände mit eisernem Druck um den Hals gelegt, rief Schwechter jetzt zu:

 

Miguel Zampa hatte ihm von hinten seine Hände mit eisernem Druck um den Hals gelegt.

 

„Binden – und einen Knebel in den Mund! Schnell! – Und Ihr, Sennor Doktore, holt den Pedro herbei. Der soll mit seiner hellen Haut und dem schwarzen Schnurrbärtchen diesen edlen Brasilianer hier spielen, dessen Uniform anziehen und sich mit dem Rücken nach dem Floß hin auf die Reling setzen. Dann glauben die Schufte drüben sicher, es sei ihr Offizier! – Nur schnell, Sennores, – alles muß fix gehen wie bei ’nem Niggerverwandlungskünstler!“

Der Doktor eilte schon hinaus, mäßigte dann aber sofort auf Deck seine Schritte und schlenderte scheinbar zwecklos nach vorn, wo die Karipunen und auch die Peons an der Reling lehnten.

Der von Miguel genannte Pedro hatte in der Tat einige Ähnlichkeit mit dem Brasilianer. Und als er dann wenige Minuten später in dessen Uniformstücke geschlüpft war und auch die käppiartige Mütze aufgesetzt hatte, wäre es schwer gewesen, nur auf hundert Meter diesen Wechsel der Personen zu bemerken, und das Floß war doch gut zweihundertfünfzig Meter entfernt.

Als der falsche Offizier nun zigarettenrauchend auf der Reling hockte und als zehn Minuten verstrichen waren, ohne daß man auf dem Floß irgend welche Anzeichen für eine Entdeckung dieses kecken Streiches bemerkte, atmeten alle erleichtert auf.

Nur einer hatte sofort gesehen, daß jetzt der Mulatte Pedro in der Uniform des Parlamentärs steckte: Almeida! – Doch dicht vor ihm saß jetzt mit gezücktem Messer einer der Karipunenkrieger, stets bereit, ihm die Klinge in den Leib zu rennen, wenn er den Mund zu irgend einem für die Floßbesatzung bestimmten Warnungsruf öffnen sollte.

Nunmehr hatte der Kapitän des Diabolo wieder völlig freie Hand, auf dem Schoner in aller Stille all die Vorbereitungen zu treffen, die nötig waren, um Watawi und seinen vier Leuten rechtzeitig zu Hilfe kommen zu können.

Inzwischen hatte Burg sich nämlich überlegt, daß der Häuptling einzig und allein folgendes planen könne: er würde ohne Frage sich dem Floß von hinten heimlich nähern und ganz überraschend zwischen den Feinden auftauchen, würde sich bis zu den beiden Gefangenen eine Gasse bahnen und die Geschwister dann mit fortzuführen suchen. – Eine andere Möglichkeit, jene zu befreien, gab es ja nicht. Allerdings – wie Watawi mit den Seinen und den Gefangenen dann wieder lebend aus der Nähe des Floßes wegkommen wollte, war nicht nur dem Kapitän, sondern auch seinen Gefährten völlig unklar, die, als man das Vorhaben des Häuptlings genau durchsprach, sämtlich freimütig erklärten, sie hätten zu einem Gelingen des Planes auch nicht das geringste Vertrauen.

Trotzdem hielt sich der Schoner, da die Schraube und das Steuer inzwischen von dem Drahttau klar gemacht worden war, bereit, jeden Augenblick das Floß anzugreifen. Da man nun den Anker nicht lichten konnte, wenn man nicht beim Feinde Verdacht erregen wollte, ließ Steuermann Schwechter die Ankerkette von dem Eisenringe lösen, so daß sie jederzeit über Bord geworfen und der Diabolo in Fahrt gesetzt werden konnte.

Jetzt war die Hälfte der gewährten Frist von einer Stunde verstrichen. Von Watawi und seinen Kriegern, die längst unbemerkt an das Ufer der nahen Insel und in das Dickicht gelangt waren, hatte man bisher nichts mehr zu sehen bekommen.

Mit jeder Minute wuchs jetzt die Spannung an Bord des Schoners. Besonders Burg konnte seiner Erregung kaum mehr Herr werden. Auch der Mestize Juan, den man in alles eingeweiht hatte und der still und angegriffen wieder in seiner Kabine auf seinem Lager ruhte, ließ sich von Siegfried Teppenwurz alle Augenblicke Bericht erstatten, wie es draußen stehe. Der Doktor konnte ihm jedoch stets nur mitteilen, daß die Lage bisher ganz unverändert sei.

Das Verhältnis zwischen diesen beiden Männern, von denen der eine in dem anderen seinen eifrig gesuchten Sohn gefunden zu haben glaubte und doch bis heute nicht Gelegenheit gehabt hatte, sich völlige Gewißheit hierüber zu verschaffen, war ein immer herzlicheres geworden. Der Doktor war eigentlich bereits fest überzeugt, daß Juan sein und jener Indianerin Kind sei, die ihm damals aus heimlicher Zuneigung und unter größter Selbstaufopferung das Leben gerettet hatte und dann sein Weib geworden. Wenn er trotzdem sich Juan bisher nicht zu erkennen gegeben hatte, so lag dies lediglich daran, weil er fürchtete, der Mestize würde den Mann, der seine Mutter verlassen und volle zweiundzwanzig Jahre lang nicht mehr um Weib und Kind sich gekümmert hatte, stolz zurückweisen und nicht als Vater anerkennen.

Es war dies für den weichherzigen Doktor ein geradezu unerträglicher Zustand seelischer Bedrängnis. Zu gern hätte er sich auch hierin dem Kapitän anvertraut, mochte diesen aber, der selbst von so schwerem Kummer bedrückt wurde, nicht mit seinen persönlichen Angelegenheiten belästigen. –

Soeben war Teppenwurz abermals bei Juan gewesen und hatte ihm jetzt offen erklärt, daß seiner Ansicht nach Watawi und die vier Karipunen zwecklos ihr Leben aufs Spiel setzen und doch nichts erreichen würden.

Da hatte der Mestize den Kapitän zu sprechen verlangt und diesen dann geradezu gebeten, ihn dem Feinde auszuliefern, um nicht das Leben des jungen Mädchens, des Knaben und der fünf so opferwilligen Indianer zu gefährden.

Burg hatte kurz mit einem: Niemals! geantwortet und war wieder gegangen. Auch der Doktor mußte fort, um den Motor nochmals genau nachzusehen.

Juan war allein. Über seinem Lager stand eine halbe Flasche Wein, von der er hin und wieder ein Gläschen zur Stärkung erhielt. Er nahm sie und trank sie leer. Der würzige Wein rann ihm wie Feuer durch die Adern, verlieh ihm für kurze Zeit ungeahnte Kräfte.

Juan, ohnedies schon ganz leicht bekleidet, streifte nun auch das Hemd ab und behielt nur die leichten Leinenhosen an. Dann schloß er die Verbindungstür nach der anderen Kajüte auf, schwang sich durch das Fenster, sofort auch über die Reling und ließ sich in das Wasser hinabgleiten.

All das ging so schnell, daß niemand auf ihn aufmerksam wurde. Erst als er nun mit mächtigen Stößen dem Floße zuschwamm, gewahrte ihn der Steuermann, – doch, da war es schon zu spät, ihn zurückzuholen.

Burg begriff sofort, weshalb der Mestize den Schoner verlassen hatte: Juan glaubte, die Lage für die Besatzung des Diabolo dadurch günstiger gestalten zu können, daß er freiwillig sich den Feinden in die Hände gab, nachdem er gemerkt hatte, wie weit entfernt der Kapitän davon war, dem Ansinnen des Parlamentärs betreffs seiner Auslieferung zu entsprechen.

Der Heldenmut, der diese Handlungsweise Juans kennzeichnete, erschütterte nicht nur den Kapitän, sondern gab auch ganz besonders dem Doktor Veranlassung, nunmehr vor allen öffentlich sich als Vater des Mestizen zu bekennen und sie mit bewegten Worten zu beschwören, ihm zu helfen, Juan um jeden Preis zu retten.

Da, in diesem Augenblick des allgemeinen teilnahmvollen Staunens über die so plötzlich kundgewordenen nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen diesen beiden an Bildung und Hautfarbe so verschiedenen Männern, glaubte Burg auch darüber nicht länger schweigen zu dürfen, was ihm die Gewißheit gegeben, daß Juan der Sohn Omitaras sei.

„Doktor,“ sagte er leise und herzlich, „der Mestize ist Omitaras Kind – ohne Zweifel! Denn er trägt ja auf der Brust genau dieselbe Tätowierung wie mein roter Bruder Watawi, – das Bild eines fliegenden Vogels, und dies ist das besondere Zeichen der Familie, zu der eben auch Ihr Weib gehörte, der Familie der Häuptlinge der Karipunen! Mit einem Wort: Omitara war eine Schwester des Vaters Watawis, also eine Karipunin! Mein roter Freund und Bruder hat mir früher selbst einmal erzählt, daß seines Vaters Schwester, die ihrer Schönheit wegen Omitara – blaue Taube – genannt wurde, eines Tages spurlos verschwunden sei.“

Teppenwurz stand regungslos da. Dann sagte er wie zu sich selber sprechend: „Omitara wird Juan das Familienzeichen eigenhändig eingeätzt haben. Und – Watawi ein Verwandter von ihr, sie selbst eine Karipunin! Wer hätte das alles gedacht!“ –

Während diese Szene in des Kapitäns Kajüte sich abspielte, hatte sich dem Floß von rückwärts ein scheinbar mit einer sanften Strömung ganz langsam treibender riesiger Baumstamm genähert, der offenbar erst kürzlich durch einen Orkan entwurzelt und ins Wasser gestürzt worden sein mußte, da er noch den nur schwach verwelkten Blätterschmuck an den mächtigen Ästen und Zweigen trug.

Die Leute auf dem Floß schenkten dem Urwaldriesen weiter keine Beachtung. Treibende Baumstämme sind eben im Stromgebiet des Amazonas eine zu häufige Erscheinung.

Nein – die Floßbesatzung hatte jetzt nur Augen für den Schoner! Die Frist von einer Stunde war ja bereits vorüber, und nun mußte es sich zeigen, ob man ohne weiteren Kampf den Segler zurückerhalten würde, der für die Rebellen von so außerordentlichem Werte war.

In der Mitte des Floßes war eine Art niedrige Hütte errichtet. Vor dieser saßen auf Baumklötzen der Mulatte Benito, Almeidas Vertrauter, ein zweiter Offizier und der junge Mestize Antonio.

Vor diesen drei Leuten stand jetzt Juan, den man soeben aus dem Wasser gezogen hatte, da ihn mittlerweile doch seine Kräfte verlassen hatten, so daß er nicht mehr fähig gewesen, allein auf das Floß zu klettern.

Benito musterte ihn mit teuflischer Rachgier.

„Freiwillig bist Du gekommen, elender Verräter, – freiwillig?!“ höhnte er. „Nein – aus Angst kamst Du, in der Hoffnung, bei uns eher Milde zu finden, wenn Du Dich nicht zwangsweise ausliefern ließest! So ist’s! Ich durchschaue Dich! Du entgehst dem Messerrade nicht, – nein, Du sollst der nächste sein, der auf den Holzsessel geschnallt wird und die surrenden Klingen näher und näher seiner Kehle spürt! Und – Dein neuer Freund, der deutsche Farmer, wird das Rad in Bewegung setzen, denn auch er wird bald in unserer Gewalt sein! Der Dummkopf ahnt ja nicht, daß wir Euch die Bedenkzeit von einer Stunde nur deshalb bewilligten, damit unsere zweite Abteilung sich auf die Insel schleichen konnte, an der der Schoner jetzt liegt, und damit Ihr dann, von zwei Seiten angegriffen, Euch ergeben müßt! Diesen feinen Plan habe ich entworfen, und ich war es auch, der in der vergangenen Nacht die Stahltrosse um die Schraube und das Steuer der Brasilia wickelte! – Nicht einer von Euch verdammten Piraten soll mit dem Leben davonkommen, nicht einer! Euer Blut wird ebenso rot fließen wie Eure rote Flagge dort sich bauscht!“

Dann winkte er ein paar Leute heran, ließ Juan binden und in die Hütte werfen.

Weiter nach der Spitze des Floßes zu saßen Annemarie und Erwin dicht nebeneinander auf einem Holzkasten, in dem die Munition für die Geschütze aufbewahrt wurde.

Sie sahen beide hohläugig, bleich und erschöpft aus, wagten kein Wort zu wechseln und stierten nur immer nach dem Schoner hin, auf dem sie ihren älteren Bruder und treue Freunde wußten und den sie doch nicht erreichen konnten. –

Auf dem Diabolo hatte soeben einer der Karipunen, der den treibenden Baumriesen schon eine Weile beobachtet hatte, dem Kapitän mit wenigen Worten erklärt, daß ohne Zweifel in dem Laube jenes entwurzelten Stammes Watawi und die vier Krieger versteckt wären.

Burg warf einen schnellen Blick nach dem Floß hinüber. Auch er war sofort überzeugt, daß der Baumriese alles andere als zufällig gerade auf das plumpe Fahrzeug der Feinde zu steuere, beriet sich eiligst mit Schwechter und Miguel Zampa und wollte nun den Befehl zum Anwerfen des Motors geben, als vom Vorderdeck der schrille Kriegsruf der Karipunen warnend erklang und gleich darauf mehrere Schüsse vom Lande her krachten, deren einer Miguel ein Ohr fortriß, während ein anderes Geschoß dem Doktor, der in der offenen, nach dem Maschinenraum führenden Luke stand, zwischen linkem Arm und Brust unschädlich hindurchfuhr.

Im Augenblick hatte der Kapitän die neue Gefahr erkannt. Schon waren einige zehn Feinde auf dem Vorderdeck, schon mußten die Verteidiger sich hinter den Mittelaufbau vor den umherschwirrenden Kugeln zurückziehen, als der Mulatte Miguel, durch den Verlust des rechten Ohres in eine Art Raserei geraten, mit einem Satz auf das Dach der beiden Kajüten sprang und ungeachtet der auf ihn abgefeuerten zahlreichen Schüsse das Rohr der Kanone, die geladen bereitgestanden hatte, auf das Vorderdeck richtete und jetzt die eiserne Saat mitten unter die Enternden entlud, so daß von diesen nur zwei Mann unverwundet blieben. Trotzdem war es den Angreifern bereits gelungen, Almeida loszuschneiden, der sofort sich ins Wasser warf und der Insel zuschwamm. Ein Wutgebrüll der Besatzung des Diabolo folgte ihm.

Da hatte auch Teppenwurz den Motor schon in Gang gebracht, der Schoner glitt davon, beschrieb, gesteuert von dem lang auf den Deckplanken liegenden Schwechter, der sich nicht unnötig den Geschossen aussetzen wollte, einen kurzen Bogen und hielt auf das Floß zu.

Dort hatten Benito und der Offizier mit gespanntester Aufmerksamkeit die Vorgänge drüben verfolgt. Und Benito stieß einen greulichen Fluch aus, als er sah, daß der Schoner infolge des entschlossenen Eingreifens Miguel Zampas und durch seine wiedererlangte Bewegungsfreiheit den Angreifern vom Lande her glücklich entrann und jetzt mit wachsender Geschwindigkeit auf das Floß zulief.

Gerade da schrammten die Äste des Baumriesen über die Spitze des Floßes hin, – gerade da knatterten urplötzlich aus dem Laubdach des schwimmenden Stammes mehrere Schüsse, – gerade da tauchte aus demselben grünen Vorhang die Gestalt Watawis auf, schnellte sich auf die Geschwister zu, packte sie und zerrte sie mit sich zurück in die schützende Baumkrone.

 

Gerade da tauchte aus dem grünen Vorhang die Gestalt Watawis auf.

 

Ehe die Besatzung des Floßes, von der gleich zuerst vier Leute tödlich getroffen umgesunken waren, sich von dem ersten Schreck erholt hatte, war der Baumriese schon ein Stück weiter getrieben, hatten auch die Büchsen vom Schoner her zu sprechen begonnen.

In ihrer Kopflosigkeit wußten die so unvermutet Angegriffenen nicht, was sie zunächst zur Abwendung des ihnen drohenden Unheils tun sollten. Immer mehr von ihnen brachen tot oder verwundet zusammen, und die anderen hatten bald jeden Gedanken an Gegenwehr aufgegeben, sprangen ins Wasser und suchten schwimmend zu entkommen.

Benito, der umsonst diese vor Angst sinnlose Horde zu einer energischen Verteidigung aufzumuntern gesucht hatte, erkannte jetzt ebenfalls, daß alles verloren, riß das lange Messer aus der Lederscheide und wollte in die Hütte hinein, um wenigstens dem verhaßten Juan die Klinge ins Herz zu stoßen. Da – warf auch ihn eine Kugel, die ihm den linken Oberschenkel durchbohrte, nieder. Er gab sein Vorhaben auf, schleppte sich an den Rand des Floßes und ließ sich ins Wasser fallen.

Gleich darauf hatte der Schoner das schwerfällige Fahrzeug erreicht. Der Motor stoppte, und als erster sprang Doktor Teppenwurz von der Reling auf die Baumstämme hinab, fiel der Länge nach hin, raffte sich wieder auf und verschwand in der niedrigen Strauchhütte.

Juan war bewußtlos, als Teppenwurz seine Fesseln durchschnitt, ihn dann ins Freie trug und angstvoll den Ohnmächtigen untersuchte, ob ihn nicht vielleicht eine verirrte Kugel getroffen hätte.

Mit aller Behutsamkeit wurde Juan nun wieder in eine Kabine geschafft, wo er unter den Bemühungen des Doktors bald wieder zu sich kam.

Kaum hatte er sich ein wenig erholt, als Teppenwurz nicht länger seinem übervollen Herzen Schweigen gebieten konnte. Mit leicht zitternder Stimme fragte er den Mestizen, indem er dessen Rechte zwischen seine beiden Hände nahm:

„Juan, wie hieß Deine Mutter? – Nicht müßige Neugier treibt mich zu dieser Frage. Du hast wohl schon gemerkt, daß ich den herzlichsten Anteil an Dir nehme.“

Der Mestize nickte. „Sennor Doktore,“ meinte er herzlich, „ich bin nicht umsonst Euer Führer und Begleiter in der Wildnis während vieler Monate gewesen. Ihr besitzt das beste Herz auf der Welt. – Meine Mutter hieß Omitara und war eine Karipunin. Meinen Vater habe ich nie gekannt, weiß auch seinen Namen nicht, den meine Mutter mir wohl absichtlich verschwiegen hat. Erst kurz vor ihrem Tode – ich war damals sechzehn Jahre – erfuhr ich, daß er ein Deutscher war. Er hat meine Mutter verlassen. Sie hat ihm nie gezürnt deswegen. Und auch mein anfänglicher Groll gegen ihn ist mit den Jahren mehr und mehr geschwunden. Erst haßte ich ihn, weil ich sah, wie meine Mutter litt, weil er von ihr gegangen war. Aber ich lernte einsehen, daß er, der ein gelehrter Sennor gewesen sein soll, nicht dauernd unter den indianischen Fischern des kleinen Dorfes an der Mündung des[14] Rio Urubu sich zufrieden fühlen konnte, wo ich meine Kindheit verlebte.“

Er schwieg, schaute empor in des Doktors Gesicht, über das ein paar Tränen auf seine Hand hinabgerollt waren.

In seinen Zügen malte sich plötzlich Unruhe, Staunen und dann die aufdämmernde Erkenntnis der Wahrheit.

Da beugte sich Teppenwurz tief über sein Lager, flüsterte mit halbem Schluchzen:

„Juan – ich bin Dein Vater – ich habe Dich hier gesucht, wollte an meinem Sohne gutmachen, was ich einst an Deiner Mutter aus Heimweh nach meinem deutschen Vaterlande gefehlt hatte. Besinne Dich, daß ich Dich damals, als Du mein Begleiter warst, vorsichtig ausgeforscht habe, ob Du nicht in jenem kleinen Dorfe bekannt wärest. Damals leugnetest Du. – Du bist mein Sohn, Juan, – bereits das Medaillon hatte es mir zur halben Gewißheit gemacht.“

Juan lag ganz still da. In seine dunklen Augen war ein frohes Leuchten gekommen. Und plötzlich umschlang er nun den kleinen Doktor, rief mit unterdrücktem Jubel: „Mein Vater – mein Vater!“

Da gerade lugte Kapitän Burg durch die halb offene Tür hinein.

„Sie haben sich gefunden!“ dachte er. „Es ist heute ein Tag des Glückes. Auch mir sind Schwester und Bruder wiedergegeben worden!“

Inzwischen war ja auch der treibende Baumstamm von den Kriegern Watawis mit Hilfe von großen Rindenstücken, die schnell als Ruder hergerichtet waren, an das Floß herangedrückt worden. Zwischen den Ästen des über Wasser befindlichen Teiles der riesigen Krone aber hatten das blonde Mädchen und der kräftige Knabe gestanden, hatten dem Bruder zugewinkt, der gleich darauf die Geretteten an seine Brust drücken konnte.

Watawi, dem der Kapitän jetzt für diese ebenso kluge wie wackere Tat danken wollte, hatte jedoch bereits mit mehreren seiner Karipunen eines der Boote des Diabolo bestiegen und war zur Verfolgung Almeidas davongerudert.

Sieben Leute von der Besatzung des Floßes wurden dann noch aus dem Wasser lebend aufgefischt und zunächst in eine Kammer des Vorschiffes des Schoners unter strengster Bewachung eingesperrt. Was mit ihnen geschehen sollte, darüber wollte Kapitän Burg erst später entscheiden.

Benito befand sich nicht unter diesen sieben Gefangenen. Man suchte auf das eifrigste nach ihm. Er blieb jedoch spurlos verschwunden.

 

11. Kapitel.

El Manato, der Würger.

Obwohl Almeida und Benito entkommen waren, herrschte an Bord des Diabolo jetzt doch eine wahre Feststimmung. Den Mittelpunkt der allgemeinen freudigen Erregung bildeten nicht nur die geretteten Geschwister, sondern auch Teppenwurz und Juan. Und gerade die Mulatten und die Indianer als Farbige waren es, die es dem kleinen Doktor hoch anrechneten, weil er den Mestizen mit so inniger Zärtlichkeit als seinen Sohn begrüßt hatte.

Wenn etwas diese frohe Laune der Besatzung des schlanken Seglers dämpfte, so war’s die Ungewißheit über den Ausgang der Verfolgung Almeidas, die Watawi kühn und selbstbewußt wie immer mit nur sechs seiner Krieger aufgenommen hatte, trotzdem er sich klar darüber sein mußte, daß auf der Insel, neben der der Schoner hier gelegen hatte, vielleicht noch eine ganze Menge Feinde steckten.

Als dann gegen Abend Watawi noch immer nicht zurückgekehrt und auch keinerlei Nachricht von ihm eingetroffen war, die er doch den Gefährten unschwer durch einen seiner Krieger hätte geben können, bemächtigte sich aller eine gewisse Unruhe, die sich noch steigerte, als Miguel Zampa als vielerfahrener Jäger, Pirat und Peon erklärte, man dürfe auf keinen Fall die Nacht über hier in diesem seeartigen Becken inmitten der vielen Inseln bleiben, da er es nicht für ausgeschlossen halte, daß von Serpa her noch weitere Anhänger de Mellos aufgebrochen seien, die vielleicht auf Booten irgendwo in der Nähe lauerten. Er fügte noch hinzu, er habe ja bereits versucht, hierüber etwas von den Gefangenen zu erfahren, diese seien aber trotz all seiner Drohungen stumm geblieben, was für ihn der beste Beweis wäre, daß sie auf baldige Befreiung hofften.

Diese Äußerungen des schlauen alten Mulatten bildeten den Gegenstand einer kurzen Beratung, an der auch der Trapper Ma Tschiza teilnahm, den man jetzt auf Deck gebettet hatte und der sich bereits wieder so frisch und unternehmungslustig fühlte, daß er am liebsten sein Lager verlassen und sich auf die Suche nach Watawi gemacht hätte. Ma Tschiza erkannte die Berechtigung der von Miguel gegen ein Verbleiben an dieser Stelle vorgebrachten Bedenken durchaus an und meinte, es sei am besten, wenn der Schoner das Mündungsdelta des Parataxu sofort verlasse und einen anderen Schlupfwinkel aufsuche, etwa auf dem Südufer des Amazonas weiter westlich in dem Insellabyrinth der Madeira[*10]-Mündung.

Eine halbe Stunde später war der Diabolo denn auch aus dem weiten Binnensee verschwunden, hatte aber auf Vorschlag Miguels das zweite, größere Boot mit drei Karipunen, Miguel Zampa selbst, dem Doktor und Juan hier zurückgelassen, damit diese für alle Fälle Watawi aufnehmen und dem Schoner wieder zuführen könnten.

Teppenwurz war auf seine eigene Bitte hin mit dem Oberbefehl dieses Bootes betraut worden, da er jetzt, nachdem er in Watawi einen so nahen Verwandten seiner Frau gefunden, diesem auch durch die Tat beweisen wollte, wie nahe ihm der Häuptling stand und wie aufrichtig seine Zuneigung für die Stammesangehörigen seines verstorbenen Weibes war. Juan sollte natürlich bei ihm bleiben. Irgend welche Rücksichten auf dessen Befinden brauchte man nicht mehr zu nehmen, da der Mestize sowohl den reichlichen Weingenuß als auch die Schwimmtour nach dem Floß längst völlig überwunden hatte.

Das Boot hatte sich jedoch erst vom Schoner getrennt, als dieser bereits tief in einen der breiteren Kanäle zwischen den Inseln eingedrungen war. Absichtlich geschah dies, damit nicht etwa an den Inselufern des Seebeckens verborgene Späher entdeckten, daß eine kleinere Abteilung sich von dem Diabolo abgezweigt hatte.

Der Doktor ließ dann den Schoner allein weiterfahren und wartete, im Schutze überhängender Schlingpflanzen gut verborgen, den Anbruch der Nacht ab, bevor er das Boot mit umwickelten Rudern und daher lautlosen Ruderschlägen wieder an dieselbe Uferstelle führte, wo vor genau zwölf Stunden der Diabolo den überraschenden Angriff vom Lande her dank Miguel Zampas Geistesgegenwart glücklich abgewehrt und dann das Floß angegriffen hatte.

Mit äußerster Behutsamkeit hatte man das kleine, offene Fahrzeug in eine schmale, sumpfige Bucht hineingedrückt, wo man es dann an einem mächtigen, gestürzten Urwaldriesen festmachen konnte, der quer über das verkrautete Wasser gefallen war und somit auch gleich einen bequemen natürlichen Landungssteg bildete. Von hier aus wurden die drei Indianer, die sich mit im Boote befanden, am Ufer der Insel nach der Seite des seeartigen Beckens hin als Wachen aufgestellt, damit sie Watawi, falls er in der Nacht wieder erschien, von der Anwesenheit der auf ihn wartenden Freunde benachrichtigen könnten. Die drei im Boote Zurückbleibenden machten es sich so gut es ging bequem. Zur Vorsicht hatte man auch mehrere Moskitonetze vom Schoner mitgenommen, um sich in diese zum Schutz gegen die gerade in den Flußmündungen überaus zahlreiche stechende, geflügelte Brut einhüllen zu können.

Nach anfänglich sehr tiefer Dunkelheit tauchten die Sterne, bald auch der Mond mit beinahe voller Scheibe am nächtlichen Firmament auf und verwandelten die drückende Finsternis in ein stimmungsvolles Halbdunkel mit tiefen Schatten und desto heller erscheinenden voll beleuchteten Waldpartien.

Juan schlief fest. Der Doktor und Miguel unterhielten sich flüsternd, schwiegen auch oft längere Zeit und lauschten den Stimmen des nachtumfangenen Urwaldes, der auch all diese Inseln, hier vielleicht noch undurchdringlicher als am Amazonas, mit seinem Gewirr von Bäumen, gestrüppartigem Unterholz und Vorhängen von Lianen und all den anderen Schlinggewächsen bedeckte.

Dann vernahmen sie beide gleichzeitig einen irgendwo aus der Ferne herüberklingenden seltsamen Laut, der fast wie der tiefe Ton einer Orgel klang und sich in längeren und kürzeren Pausen wohl fünf Minuten lang wiederholte.

„Was bedeutet das, Miguel?“ fragte Teppenwurz jetzt, dem bei diesen Tönen ganz eigen zu Mute wurde, ja, geradezu ein Eiseshauch über den Rücken lief, da diese Folge sanfter, tiefer Klänge fast etwas Überirdisches an sich hatte.

Der Mulatte antwortete nicht. In seinem vom Monde beschienenen Gesicht bemerkte der Doktor jetzt einen Ausdruck, den er bei dem grauhaarigen Zampa noch nie beobachtet hatte – den der Angst, mehr noch, den hellsten Entsetzens.

„Miguel, so rede doch!“ meinte Teppenwurz ungeduldig. „Dein Gesicht beweist mir, daß Du die Ursache dieser Töne kennst. Du siehst aus, als fürchtest Du Dich.“

„So ist’s auch, Sennor Doktore, so ist’s auch!“ entgegnete der Alte nun, indem er näher an Teppenwurz heranrückte. „Niemand weiß, was diese merkwürdigen Laute bedeuten, Sennor, niemand, aber alle Fischer hier am Tapaxu und weiter hinauf am Amazonas kennen sie und – fürchten sie, denn wenn sie erklingen, geht ein Würger hier auf den Inseln um, dessen Opfer der Amazonas ein paar Tage darauf auf seinen Wellen flußabwärts schaukelt.“

„Ein – Würger? Was heißt das?“

„Ich kann’s auch nicht anders bezeichnen, Sennor Doktore! Man sagt hier allgemein so. Alle Fischer und indianischen Farmer sprechen nur von el Manato, dem Würger, oder besser, sie sprechen nicht von ihm, denn sie wagen es nicht, diesen Namen in den Mund zu nehmen.“

„Hm – und dieser el Manato sucht sich Menschen als Opfer aus?“ forschte der Doktor weiter, dem diese Sache immer interessanter wurde.

„Ja, – die, die später mit durchschnittenen Hälsen tot den Amazonas hinabschwimmen, verschwinden sämtlich schon vorher. Es sind zumeist Kinder, ältere und jüngere, aber auch Erwachsene.“

Die seltsamen Töne hatten eine Weile geschwiegen, setzten jetzt aber wieder ein.

Teppenwurz lauschte angestrengt, richtete sich nun etwas auf und flüsterte:

„Wenn mich nicht alles täuscht, kommen diese Orgelklänge von Süden her. Der Wind hat dieselbe Richtung. – Wahrhaftig, ich hätte Lust, der Geschichte doch mal auf den Grund zu gehen. Ich behaupte, die Töne müssen dort auf einer der südlicheren Inseln ihren Ursprung haben, gar nicht allzu weit von hier. Wie wär’s, Miguel, wenn wir mal –“

Da fiel ihm der alte Mulatte schnell ins Wort:

„Sennor – verlangt alles von mir, nur nicht das. Ich bin kein Feigling, aber gegen el Manato, den Würger, unternehme ich nichts – gar nichts!“

Juan war vorhin schon munter geworden und hatte all dies, sich völlig ruhig verhaltend, mitangehört. Nun mischte er sich ein und sagte zu seinem Vater:

„Die Leute hier am Flusse, ob Indianer, Mischbluts oder Neger, behaupten, daß stets genau um dieselbe Zeit, nämlich kurz vor Vollmond, diese geheimnisvollen Töne erschallen und diese ebenso geheimnisvollen Morde an unschuldigen Kindern, an Frauen und Männern geschehen. Freilich, sie sind alle abergläubisch, diese Halbwilden, die el Manato fürchten, dem ich sehr gern einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüber treten würde, da auch –“ Er schwieg plötzlich, griff dann nach des Doktors Hand und fuhr mit weicher Zärtlichkeit fort: „Wirst Du stark genug sein, mein Vater, etwas Schreckliches zu vernehmen? Ich wollte es Dir eigentlich verheimlichen, aber vielleicht hilfst Du mir, die zu rächen, die Dein Weib und meine Mutter war. Wisse also, daß meine Mutter keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern eines Tages spurlos aus dem kleinen Dorfe verschwand, um bald darauf als Leiche von Fischern auf dem Amazonas geborgen zu werden – mit durchschnittenem Halse. Deshalb möchte ich el Manato einmal vor mir sehen. Ich bin nicht abergläubisch, ich lache über Gespenster und Geister, an die die farbigen Uferansiedler glauben. Ich fühle mich kräftig genug, Dir beim Rudern des Bootes zu helfen, mein Vater. Laß uns die Gelegenheit nicht versäumen, meine Mutter zu rächen!“

Teppenwurz war sofort einverstanden.

„Du kannst den drei Karipunen Bescheid sagen, Miguel, und bei ihnen bleiben,“ befahl er dem Mulatten. „Hilf uns nur erst, das Boot in offenes Wasser zu bringen. Ich will Dich nicht zwingen, Deine Haut zu Markte zu tragen.“

Der Graukopf war offenbar wieder unschlüssig geworden. „Ich möchte doch lieber mit, Sennor Doktore,“ meinte er. – Doch Teppenwurz verzichtete auf seine Begleitung. „Wir können bei diesem Unternehmen niemand brauchen, der vor el Manato Angst hat,“ erklärte er ganz gegen seine Gewohnheit etwas spöttisch. – Und dabei blieb’s auch.

So kam es, daß Vater und Sohn sich allein aufmachten, das Geheimnis, das mit dem „Würger“ verknüpft war, zu lüften.

Der Doktor ruderte, während Juan, die gespannte Büchse neben sich, steuerte und mit den geschärften Sinnen des erprobten Waldläufers auf alles ringsum achtgab.

Der junge Mestize verließ sich, was die einzuschlagende Richtung anbetraf, ganz auf sein Gehör. So drang denn das Boot nach Durchquerung des Sees langsam und vorsichtig in die Kanäle zwischen den Inseln ein, kreuzte hin und her, bis Juan eine Stelle am Ufer einer anscheinend recht ausgedehnten Insel gefunden hatte, wo die inzwischen immer wieder ertönenden tiefen Klänge so deutlich wie nirgend anderswo zu vernehmen waren. Auch der Doktor hörte dies heraus. Das Boot wurde jetzt also ein Stück auf das Ufer gezogen, und dann schlichen Vater und Sohn zu Fuß weiter, suchten nach einer Möglichkeit, in den pfadlosen Urwald eindringen zu können, entdeckten schließlich einen winzigen Bach mit festem, hartem Tonuntergrund, in dem sie nach Süden zu vorwärtswaten konnten. Juan ging voran. Die Finsternis war hier inmitten des Dickichts so stark, daß der Doktor auch nicht die Spur eines Gegenstandes – seien es die Baumstämme, Sträucher oder irgendwelche Hindernisse – erkannte und lediglich seinem Sohne folgte, der ihm die Hand gereicht hatte und ihn so geleitete. Tief gebückt tappten die beiden wohl eine gute Viertelstunde im Wasser immer südwärts dahin. Jetzt vernahmen sie die merkwürdigen Laute bedeutend schwächer. Trotzdem behauptete Juan, man sei auf dem richtigen Wege, und nur das Blätterdach des Urwaldunterholzes lasse die Töne so fern erscheinen.

Dann machte das Bächlein eine plötzliche Biegung nach Osten und führte die beiden Männer sehr bald auf eine Lichtung, die, obwohl sie mit fast zwei Meter hohen Gräsern bestanden war, doch ein schnelleres Vordringen erlaubte. Hier, wo es nun wieder auch leidlich hell war, hörte man nach einiger Zeit die seltsamen Klänge so deutlich, daß Vater und Sohn fast erschrocken stehen blieben.

Um besser Ausschau halten zu können, ließ der Doktor Juan auf seine Schultern steigen. Dieser berichtete dann, daß vor ihnen das Gelände ansteige und in der Ferne etwas wie niedrige Felsenhügel zu sehen seien, über denen der Himmel hell gerötet sei.

Hierauf setzten sie den Weg in Richtung auf diese felsigen Erhebungen fort. Der Mestize schlich jetzt einige zehn Meter voraus, da der Graswuchs immer spärlicher wurde und dafür einige verstreute Gestrüppinseln auftauchten.

Als die mit größter Behutsamkeit auf diese Weise Anschleichenden nun gar vor sich ein dumpfes Gebrüll wie von einer größeren Menge erregter Menschen vernahmen, als sehr bald auch die tiefen Töne von dem Doktor als unzweifelhaft von einem Antilopenhorn herrührend erkannt wurden, da er diese Negerinstrumente in Westafrika und im Kongogebiet oft genug auf seinen afrikanischen Reisen gesehen und gehört hatte, da durchzuckte ihn gleichzeitig auch ein Gedanke, der eine wohlbegründete Erklärung für el[15] Manato, den Würger, und dessen Geheimnisse war.

Er wollte jetzt Juan das Nötige leise mitteilen, als dieser ihm plötzlich zuraunte: „Hinwerfen – sofort! – vor uns steht ein Mensch dort an jenem Gebüsch und schaut nach Osten zu.“

Gleich darauf schoben sie sich von zwei Seiten lautlos an den halb verschlafen in den Mond stierenden Neger, der hier offenbar Wache hielt, heran. Nun bewies der Doktor, daß er nicht umsonst mit Juan die Wildnis durchstreift hatte, denn er war es, der dem Neger mit dem Kolben einer seiner Steinschloßpistolen einen solchen Hieb gegen die Schläfe versetzte, daß der Schwarze sofort bewußtlos zusammenbrach. Im Nu hatten sie ihn dann gefesselt, geknebelt und abseits in ein anderes Gebüsch geschleppt. Dann ging es weiter.

Jetzt waren die ersten Felsen erreicht, – kahle Trümmer größerer Blöcke, die stellenweise hoch übereinandergetürmt, dann wieder flach über den ansteigenden Boden verstreut waren.

Das wüste Gebrüll war jetzt verstummt, begann jedoch urplötzlich von neuem und mit einer Stärke, als ob mindestens Hunderte halb wahnsinnig Gewordener durcheinander schrien.

Dann – dann hatten die beiden einen riesigen Stein erklettert, von dessen kantiger, aber muldenartig vertiefter Spitze aus ein Rundblick sich ihnen darbot über einen etwa zehn Meter unter ihnen liegenden Felsenkessel, der durch zahllose Feuer fast taghell erleuchtet war und in dessen Mitte ein aus Steinen roh aufgeschichteter, altarähnlicher Würfel stand, auf dem gleichfalls ein Feuer lohte und um den gegen zweihundert Neger und Negerweiber, fraglos zumeist Arbeiter von den Hazienden in der Nähe des Parataxu, soeben in doppeltem Kreise herumtanzten und dazu eines jener Negerlieder sangen, die trotz ihrer eintönigen Melodie etwas so seltsam Nervenaufpeitschendes haben.

 

Dann hatten die beiden einen riesigen Stein erklettert.

 

Sie sangen und hüpften langsam im Kreise, während auf einer Plattform vor dem Altar ein – schneeweißer Ziegenbock gravitätisch saß und den Kopf aufgeregt hin und her drehte. Vor dem Bocke aber stand ein großes Metallbecken auf einem niedrigen Dreifuß, daneben wieder ein tischartiges Holzgestell, auf dem eine menschliche Gestalt auf dem Rücken lag und zwar so, daß die Schultern über dem Becken schwebten, in das aus dem – durchschnittenen Halse des Opfers eines der blutigsten Fetischkulte entmenschter Neger das Blut in dicken Strahlen hinablief.

Dieses Opfer aber – und der Doktor und Juan bemerkten dies zu ihrem Entsetzen gleichzeitig – war ein – Indianer, – ein Karipune dem schopfartig gebundenen Haar nach!

Immer mehr Einzelheiten der wilden Szene dort unten erfaßten die beiden heimlichen Lauscher, sahen nun vor der Plattform auf dem Boden noch drei Gefesselte liegen – ebenfalls Indianer, erkannten sehr bald in dem einen Watawi, den tapferen Häuptling, bemerkten jetzt auch neben dem Holzgestell einen Haufen menschlicher Leichen, bemerkten schließlich unter den tanzenden Schwarzen auch ein Dutzend hellhäutigere Männer und – Almeida – den entflohenen Almeida!

Die Hauptsache aber, sozusagen der Mittelpunkt dieser Mordorgie war eine junge, schlanke Negerin, die, in ein weißes Ziegenbockfell gehüllt, dessen Kopf ihr gerade auf der Brust lag, den Hals umwunden mit einer großen Schlange und auf dem Kopf eine Art Mütze aus Hahnenfedern und -köpfen, vor dem Metallbecken stand und zum Takte des Gesanges ein breites langes Messer schwang. Neben ihr aber, auf den Stufen hockend, entlockten vier Neger langen Antilopenhörnern jetzt so weich klingende Töne.

Jetzt hörte das Blut des Opfers zu fließen auf. Jetzt winkte die Fetischpriesterin; der Gesang verstummte. Die Tanzenden machten halt. Und aus ihrer Mitte sprangen nun ein paar der Schwarzen zu, rissen die Leiche von dem Gestell, schleppten dafür einen der gefesselten Karipunen hinauf, legten ihn zurecht.

Gesang und Reigen begannen von neuem.

Und die Fetischpriesterin trat schnell an das neue Opfer heran.

Ein Schnitt – und hochauf sprangen die Strahlen des Blutes.

Ein wildes Gebrüll und Geheul begleitete den Tod des neuen Opfers. Die Tanzenden stürzten vor, schöpften aus dem Becken das mit Rum vermischte Blut, tranken, stießen sich bei Seite, tranken wieder.

Abermals die eintönige Melodie, die hüpfenden Kreise. –

Da kam der Doktor wie aus halber Betäubung zu sich, packte Juans Arm, flüsterte heiser:

„Wir schießen zwischen die Bande – sofort!“

„Dann sind wir die nächsten, denen der Hals abgeschnitten wird. Bedenke die Übermacht der Halbtrunkenen!“

„Sollen wir denn dulden, daß –“

„Nein,“ unterbrach Juan den vor Erregung Zitternden, „wir werden eingreifen, nur darf’s nicht so geschehen, daß die Neger uns entdecken. Gib acht, mein Vater!“

Er hatte ein Stück Fels erhoben, das ungefähr Keulenform hatte. Er duckte sich zusammen, schwang es wie eine Wurfkeule blitzschnell zweimal um den Kopf und schleuderte es nach der Fetischpriesterin hin. Er verstand sich auf diese Kunst.

Drüben brach plötzlich wie vom Blitz gefällt die phantastisch herausgeputzte Negerin zusammen. Der längliche Stein hatte sie von der Seite ins Genick getroffen.

Der Gesang brach ab. Die Tanzenden standen wie erstarrt. Da – es war, als ob zwei Kanonenschüsse losgingen, – nein, nicht zwei nur, denn ein mehrfaches Echo in dem Felsenkessel warf den Knall der alten Pistolen des Doktors unheimlich verstärkt vielfach zurück, während Juans Doppelbüchse wie die leisere Begleitung zu diesem Baßkonzert erklang.

Dann raunte der Mestize seinem Vater zu:

„Fort von hier, ehe sie zur Besinnung kommen!“

Sie glitten von dem Steinblock hinab und krochen eilends weiter nach Norden zu, bis sie einen ähnlichen Felsen fanden, der sie auf seiner platten Spitze schützend aufnahm.

Jetzt erscholl in dem Felskessel ein Wutgebrüll, im Vergleich zu dem das vorige Geheul und Gekreisch ein Nichts bedeutete.

Dann Almeidas Stimme, die sogar diesen Lärm übertönte: „Von dort kamen die Schüsse! Seht die Pulverwölkchen! Vorwärts – fangt sie, die das Fest des heiligen Bockes gestört haben!“

Eine Schar bis zum Wahnsinn erregter Neger, Männer und Weiber, wälzte sich auf jenen Stein zu, wo der Doktor und Juan die ersten Schüsse abgefeuert hatten. Und in diesen eng gedrängten Haufen schlugen nun abermals die Kugeln ein; abermals durchrollte den Talkessel ein Donner wie von unzähligen Gewehren.

Die Schwarzen stutzten. Doch Almeida trieb sie weiter. Seine aufreizenden Zurufe waren wie Peitschenhiebe. Daß die Angreifer die Stellung gewechselt, konnte er so schnell nicht bemerken.

Eine neue Salve – neue Opfer, neues Stocken des Ansturms. Diesmal war es für den Brasilianer schon schwieriger, den Schwarm schwarzer Menschen nach Norden zu lenken, denn nun hatte er festgestellt, daß die letzten Schüsse anderswoher kamen.

Bevor die Neger noch begriffen, daß sie sich nach links wenden sollten, wiederum das rollende Krachen der Feuerwaffen. Und jetzt – jetzt wankte Almeida, sank langsam nach hinten über.

Juan frohlockte. Aufs neue zog er dann den Vater mit sich nach einem anderen Versteck. Hastig glitten sie tief geduckt dahin.

Doch – da tauchte auch schon das Verhängnis in Gestalt mehrerer Wächter, die rings um das Tal verteilt gewesen waren, hinter ihnen auf. Zwei riesige Neger hatten sich ihnen lautlos wie Schlangen genähert, sprangen ihnen auf den Rücken, drückten sie mit der Last ihrer mächtigen Körper zu Boden, krallten ihnen wahre Bärenpranken um den Hals.

Da half keine Verteidigung, kein blitzschnelles Herumwerfen. Fast gleichzeitig verloren Vater und Sohn die Besinnung, hingen schlaff in den würgenden Fäusten.

Der gellende Ruf der schwarzen Sieger rief die übrigen schnell herbei. Ein Triumphgeheul erklang, als wären alle Teufel der Hölle losgelassen. Man schleppte die Ohnmächtigen auf die steinerne Plattform, band ihnen Arme und Beine, goß ihnen Rum in die Kehle, um sie zum Bewußtsein zu bringen, denn sie sollten nun sofort dem heiligen weißen Bocke geopfert werden.

Der Doktor kam als erster wieder zu sich. Was in seinem Herzen vorging, als er seinen kaum wiedergefundenen Sohn in derselben traurigen Lage neben sich liegen sah, ist schwer zu beschreiben. Sein Vaterherz zerfleischte sich förmlich in Selbstvorwürfen wegen seines unseligen Planes, dem Geheimnis des Würgers auf den Grund zu gehen! Nun hatte er es ja enthüllt, aber unter welchen Opfern! An sich selbst, an sein eigenes nahes Ende dachte er nicht, nur an Juan, nur an seinen Sohn, den endlich wiedergefundenen, den er nun wieder verlieren sollte, mit dem zusammen er sterben mußte, – denn er hatte nicht die geringste Hoffnung auf irgend welche Hilfe, kannte auch nur zu gut die erbarmungslose Mordgier, die gerade der Vadoux-Kult der Neger bei diesen geheimen Fetischfesten heraufbeschwor.

Ja – er wußte von diesem Fetischdienst, der in streng geheim gehaltenen Vereinigungen überall da gepflegt wird, wo reinblütige Neger seit längerer Zeit ansässig sind, gerade genug, um in verzweifelten Selbstvorwürfen alle anderen Gedanken zu ersticken, wußte, daß über ganz Amerika diese schwarze Geheimgesellschaften verbreitet sind und daß sie alle unter ähnlichen blutigen Zeremonien ihre nächtlichen Feste feiern, bei denen stets der heilige Bock, die heilige Schlange und das ekelhafte Getränk von warmem Blut und Rum eine Hauptrolle neben der Person der Fetischpriesterin spielen, hatte schon genug von den Versuchen der Behörden selbst in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gehört, den Vadoux-Kult zu unterdrücken, an dem sich nachgewiesenermaßen selbst gebildete Weiße, Herren und Damen, beteiligen. Stets endigen diese Feste mit Trinkgelagen, bei denen sich die Teilnehmer bis zur völligen Bewußtlosigkeit berauschen. Deshalb finden die nächtlichen Zusammenkünfte stets auch vor Sonn- oder Feiertagen statt, damit die Vadoux-Verehrer ihren Rausch ausschlafen können und ihre Abwesenheit auf den Farmen und Hazienden nicht auffällt[*11][16]. Der Ursprung des Namens Vadoux ist unklar. Jedenfalls ist dieser abscheuliche Fetischdienst von Westafrika mit den Negersklaven nach der Neuen Welt gekommen. –

Während der Doktor noch den reuevollsten Gedanken über seine folgenschwere Abenteuerlust nachhing, kehrte auch Juan das Bewußtsein zurück. Um die jetzt völlig bei Besinnung daliegenden neuen Gefangenen tanzte der Chor der Schwarzen in wilder Freude herum, während zwei männliche Fetischpriester in bunten Federkleidern die Leiche der Vadoux-Priesterin aufrecht an einen Stein neben den weißen Bock festbanden.

Dann wurde Juan gepackt und im Nu auf das Gestell über dem Metallbecken gelegt.

Teppenwurz erstarrte das Blut in den Adern.

Einer der Vadoux-Priester hob nun das große Opfermesser auf, trat hinter das Gestell, winkte der schwarzen Horde zu, die sich schnell wieder zu zwei Tanzkreisen gruppierte, holte zum Stoße nach dem Halse des Mestizen aus.

Die blitzende Klinge senkte sich.

Der Doktor fühlte seinen Herzschlag aussetzen, schloß die Augen, war einer Ohnmacht nahe.

Da – ein scharfer Knall – das vielfache Echo eines Büchsenschusses.

Der Fetischpriester sank vornüber, fiel mit dem Oberleib in das Becken hinein.

 

Der Fetischpriester sank vornüber, fiel mit dem Oberleib in das Becken hinein.

 

Ein zweiter Schuß, und der andere Priester knickte mit durchbohrter Stirn um.

Wieder war’s Almeida, der wirklich gegen den Tod gefeit zu sein schien, dessen Stimme die schwarze Schar vorwärtshetzte.

Die Kugel, die ihm Juan zugedacht hatte, war auf des Brasilianers Taschenuhr aufgeschlagen, die er gerade auf dem Herzen trug, und hatte ihn nur betäubt niedergestreckt.

Mit heiserem Wutgeheul stürmte der Haufe dorthin, wo der Schütze verborgen liegen mußte. Doch – alles Suchen war umsonst. Man fand nirgends auch nur die Spur eines Menschen.

Inzwischen hatte Almeida den Mestizen durch seine Leute wieder von dem Gestell herabheben lassen. Der Doktor atmete auf. Vorläufig wenigstens waren sie gerettet, da der Brasilianer ihm mit haßfunkelnden Augen zugerufen hatte:

„Ihr seid mein! Euer wartet ein anderer Tod!“

Ob es Almeida gelingen würde, die Schwarzen zur Herausgabe der Gefangenen zu überreden, war Teppenwurz doch recht zweifelhaft. Freilich, er wußte ja nicht, welchen Einfluß gerade der Brasilianer dank seiner Menschenkenntnis auf diese in den tollsten abergläubischen Vorstellungen befangenen Schwarzen auszuüben vermochte.

Als die Verfolger des unsichtbar gebliebenen Schützen zurückgekehrt waren, wußte Almeida den Vadoux-Leuten klar zu machen, daß der große Fetisch ihnen zürne, weil sie die Indianer geopfert hätten, die jener als unrein verschmähe. Nur deshalb wären auch die Priesterin und die anderen Schwarzen hier vom Tode ereilt worden.

Dem Blutrausch der vertierten Horde war jetzt doch eine gewisse Ernüchterung gefolgt. Ihrer Führer, eben der Priester, beraubt, wagte die urteilslose Masse gegen den Weißen keine eigene Meinung geltend zu machen. Nach kurzer Zeit schon befanden sich in dem Talkessel nur noch der Brasilianer und seine Leute sowie die Gefangenen, nämlich der Doktor, Juan, Watawi und zwei Karipunen. Den weißen Bock und die große Schlange hatten die Neger mit sich genommen, ebenso auch die Leichen und die Verwundeten.

Almeida gab sehr bald das Zeichen zum Aufbruch. Inzwischen hatten seine Leute gegabelte Baumäste zurechtgehauen, an die die Gefangenen so gefesselt wurden, daß die Gabel ihnen auf den Schultern lag, während die Hände an den Ast selbst gebunden waren, den jeder vor sich her tragen mußte, wenn er nicht stolpern wollte. Eine Flucht war bei dieser Art der Fesselung unmöglich.

Gerade als der Zug sich in Bewegung setzte, tauchte, auf einen Stecken sich stützend und schwer hinkend, der Mulatte Benito auf.

Almeida eilte ihm entgegen.

„Bist Du den Schuften noch entwischt, Benito?“ rief er. „Ich hatte schon geglaubt, Du wärest mit zum Teufel gefahren.“

„Viel fehlte nicht,“ meinte der Verwundete finster. „Es gelang mir, mich unter das Floß zu retten und dort, wo die Reisighütte stand, eine Spalte zwischen den Stämmen zu finden, wo ich Luft schöpfen konnte. Als das Floß dann an Land getrieben war und ich Grund unter den Füßen spürte, schlüpfte ich ins Gebüsch, beobachtete nun, wie der Schoner davonfuhr, und folgte später den Tönen der Antilopenhörner. So gelangte ich glücklich hierher.“

„Du hast wirklich Glück gehabt, Benito. – Nun, wir werden denen, die uns so böse mitgespielt haben, alles gehörig heimzahlen, – so heimzahlen, daß uns das Herz im Leibe vor Freude hüpfen wird. Denke an die Klosterruine bei der Farm, an die Folterkammer! Der Verräter Juan wird das Rad treten, und die Messerklingen werden selbst den verdammten Watawi wie ein Weib um Gnade winseln lassen.“

Benito hatte von seiten Almeidas, dem er so treu ergeben war, doch eine andere Begrüßung erwartet. Er war enttäuscht über die Gleichgültigkeit, die der Brasilianer seiner Verwundung und besonders seinem plötzlichen Auftauchen hier entgegenbrachte. Nicht ein Wort der Freude hatte Almeida zu seinem alten Verbündeten über dieses Wiedersehen geäußert, hatte nur gezeigt, daß sein Haß und seine Rachgier all seine Empfindungen beherrschten.

Almeida erzählte ihm dann triumphierend, wie es ihm gelungen war, selbst den schlauen Häuptling der Karipunen in einen Hinterhalt zu locken und wie er dann ein paar Negern einer ihm bekannten Farm begegnet sei, die zum Vadoux-Feste eilten und denen er sich dann angeschlossen hätte, da sie über einen großen Nachen verfügten. Leider hätte er es nicht verhindern können, daß die Schwarzen sich in ihrem Blutrausch auch an den Indianern vergriffen, die er gleichfalls lieber durch das Rad hätte sterben lassen wollen.

Inzwischen hatte der Zug sich längst in Bewegung gesetzt. Für Benito war eine Art Tragbahre hergestellt worden, neben der Almeida jetzt herschritt.

Nachdem er dann eine Weile geschwiegen hatte, forschte er Benito über die Zustände in der Stadt Serpa aus, wo die mittlerweile losgebrochene Gegenrevolution des Generals de Mello schon vorher eine große Anhängerschaft gehabt hatte.

Benito berichtete, daß er mit den beiden Gefangenen, dem blonden Mädchen und dem Knaben, die er doch auf Almeidas Befehl hätte nach Serpa in Sicherheit bringen sollen, wohlbehalten in der Stadt angelangt gewesen wäre und hier bereits einen höheren brasilianischen Offizier vorgefunden hätte, der als naher Freund des Generals den Aufstand im Amazonasgebiet leiten sollte. Dieser hatte Benito sehr genau über die Vorgänge beim Überfalle der Teufelsfarm ausgefragt und dann sein lebhaftes Mißfallen über diese Art der Mannschaftsanwerbung geäußert, anderseits aber befohlen, daß der Schoner um jeden Preis wieder genommen werden müßte. Es wurde denn auch eine Flottille von großen Booten mit einigen sechzig Mann nach dem Mündungsdelta des Parataxu ausgeschickt, wo der junge Mestize Antonio bestimmt die Puma-Insel auffinden zu können erklärt hatte.

Die weiteren Ereignisse waren Almeida so ziemlich bekannt, interessierten ihn auch weit weniger als die Frage, ob Benito der Meinung sei, daß er bei General de Mello oder dessen Vertreter in Serpa etwa durch die blutige Eroberung und die nachfolgende Einäscherung der Farm des Deutschen in Ungnade gefallen wäre.

Benito zögerte mit der Antwort, erklärte dann schließlich ganz ehrlich, daß Almeida nicht darauf rechnen dürfe, bei der Gegenrevolution eine hervorragende Rolle zu spielen. Ihm hätte das Vorgehen gegen den deutschen Farmer sehr geschadet.

Almeida lachte höhnisch auf. „Ah – also so steht’s jetzt, – so!“ rief er in verletzter Eitelkeit. „Nun, wenn man nichts mehr von mir wissen will, dann werde ich auf eigene Faust Krieg führen! Auch ein Räuberleben ist eine ganz lustige und einträgliche Sache! Jedenfalls werden die Burschen, die wir hier bei uns haben, schon bereitwilligst auf meine Vorschläge eingehen, das ist sicher.“

Dann versank er in Schweigen, fragte Benito nur noch, wo die Bootsflottille jetzt wohl läge, die die sechzig Mann aus Serpa nach dem Parataxu gebracht hätte.

„Wahrscheinlich dort, wo wir das Floß bauten und uns trennten,“ erwiderte der Mulatte. „Es war dies dort, wo der Hauptmündungsarm sich strahlenförmig in vier Äste teilt, – weit von hier nach Osten zu. Dieser Plan, mit dem Floß den Schoner anzugreifen, ging von dem Offizier aus, der nachher als Unterhändler auf die Brasilia kam. Ich wußte gleich, daß der Plan nichts taugte. Aber der Offizier war starrköpfig und verließ sich darauf, daß er für die Besatzung des Floßes die gefangenen Geschwister als lebende Schilde benutzen könnte. Nun – er hat dann ja einsehen müssen, daß es Watawi, diesem listigsten und tollkühnsten aller Roten gelang, selbst die Geschwister zu befreien.“

Almeida überlegte jetzt, wie er, da ihm kein Boot zur Verfügung stand und er auch die Bootsflottille nicht mehr in Anspruch nehmen konnte, am schnellsten und sichersten aus dem Parataxu-Delta heraus- und über den Amazonas käme. In seiner blinden Rachsucht ließ er nicht von dem Gedanken ab, zunächst seine Gefangenen in der Folterkammer der Klosterruine hinzuschlachten und dann erst diese Gegend gegen eine andere zu vertauschen, wo er Aussicht hatte, als Kapitän einer Bande von Buschkleppern schnell sein Glück zu machen. Bald sah er dann ein, daß er auch jetzt wieder zum Bau eines Floßes seine Zuflucht nehmen müsse. Als er nachher seine Leute bei einer kurzen Rast zusammenrief und ihnen seine verbrecherischen Pläne unterbreitete, fand er tatsächlich die freudige Zustimmung des bunt zusammengelesenen Gesindels, dessen Begeisterung für General de Mellos Rebellion lediglich auf den hohen Sold begründet war, den sie erhielten, und die nun ebenso schnell Almeida als neuen Führer anerkannten, nur weil er ihnen in Aussicht stellte, daß sie alle in kurzem und ziemlich gefahrlos Reichtümer erwerben könnten.

 

12. Kapitel.

Miguel Zampas Tod.

Almeida ahnte nicht, daß seinem Trupp heimlich eine dunkle Gestalt folgte, die es verstand, selbst bei dieser schwachen nächtlichen Beleuchtung alles genau zu verfolgen, was die neue Räuberbande des verbrecherischen Brasilianers bei dem Marsche durch den Urwald und dann auch am Nordufer dieser Insel unternahm, auf der seit Jahren die blutigen Feste des großen Fetisch von den Vadoux-Leuten gefeiert worden waren.

Es war kein anderer als der Mulatte Miguel, der so dem Trupp ständig auf den Fersen blieb, nachdem er die beiden Fetischpriester erschossen und sich dann in der Krone einer Palme versteckt hatte.

Miguel Zampa war nämlich sehr bald, nachdem der Doktor und Juan ihn in dem Boote verlassen hatten, um dem Geheimnis des Würgers auf die Spur zu kommen, von einer gewissen Beschämung über seine abergläubische Angst vor el Manato ergriffen worden und hatte dann kurz entschlossen sich aus einem im Wasser liegenden, kleineren Baumstamm ein Fahrzeug hergestellt, das er mit einer langen, aus einem Aste zurechtgehauenen Stange geschickt fortzubewegen wußte und mit dem er schließlich auf der Vadoux-Insel landete, wo er sich mühsam einen Weg durch den Urwald, immer dem Klange der Antilopenhörner nachgehend, bahnte und so nach jenem Talkessel gelangte.

Als nun die Bande Almeidas am Nordufer der Insel bei Morgengrauen ein Floß anzufertigen begann, lag Miguel so dicht dabei in einem Gestrüpp, daß er verschiedene Zurufe genau verstand und daraus mit Sicherheit entnahm, wohin der Brasilianer jetzt zunächst seine Schritte zu lenken gedachte.

Er hielt es nun für zweckmäßig, schleunigst zu den drei Karipunen zurückzukehren, die noch am Ufer jener Insel Wache hielten, wo der Diabolo vor Anker gelegen hatte und dann – freilich ohne Erfolg – gleichzeitig von der Land- und von der Wasserseite angegriffen worden war.

Auf seinem primitiven Fahrzeug gelangte er beim Aufgehen der Sonne an sein Ziel, vereinigte sich mit den drei roten Kriegern und verstärkte seinen Einbaum durch drei weitere Stämme, so daß dieses schmale Floß die vier Mann sehr gut tragen konnte. Durch schmale Seitenarme arbeiteten die vier sich dann dem Amazonas zu. Diese Fahrt, so viel Reize sie auch infolge des reichen Tierlebens auf dem Wasser und den Inseln und durch die mannigfachen Schönheiten der von Urwäldern eingefaßten Ufer bot, verlangte größte Vorsicht und Wachsamkeit, da man damit rechnen mußte, vielleicht gerade durch einen unglücklichen Zufall dem Floße Almeidas zu begegnen.

Die Karipunen, auf diese Gefahr aufmerksam gemacht, spähten dauernd mit jenem stets regen Mißtrauen umher, das den roten Söhnen der Wildnis schon in jungen Jahren zur zweiten Natur wird und ihre Sinne so außerordentlich schärft und auf Kleinigkeiten achten lehrt, die ein anderer kaum bemerken würde.

Gegen Mittag näherte man sich einem Mündungsarm des Katapaxu, an dem ein paar Hütten von indianischen Fischern am Westufer lagen. Miguel landete hier und war auch bald mit einem der halbzivilisierten Roten, die jeder wilde Indianer Brasiliens tief verachtet, über einen Nachen handelseinig, den er ihnen abkaufen wollte, um schneller vorwärts zu kommen.

Die sechs erbärmlichen Hütten der schmutzigen und durch Trunksucht verkommenen Fischer standen auf einer Anhöhe inmitten einer Urwaldlichtung. Miguel, nichts Böses ahnend, folgte nun einem der Roten in dessen Hütte, da dieser ihm noch etwas Rauchtabak abgeben wollte. Kaum hatte der sonst so vorsichtige, hier aber allzu vertrauensselige Zampa das Innere betreten, als er von drei Leuten unversehens gepackt, gewürgt und zu Boden gerissen wurde.

Fast gleichzeitig hörte er draußen mehrere Schüsse fallen. Man hatte ihn schnell gebunden, ihm die Waffen abgenommen und schleppte ihn nun ins Freie, wo er sich zu seinem Schreck Almeida gegenübersah, der ihn hohnlachend mit den Worten begrüßte:

„Ah – ein neuer Anwärter für den famosen Holzsessel in der Folterkammer. Auf Dich alten Halunken habe ich gerade gewartet! Du spieltest Dich auf dem Schoner stets als den Überklugen auf, und bist mir hier nun doch so fein ins Garn gegangen! Ich wollte nämlich ebenfalls hier ein größeres Boot mir zulegen, freilich nicht kaufen, hatte aber dort an der Biegung des Wasserarmes einen Posten aufgestellt, der Euch dann gerade noch rechtzeitig gewahr wurde, um mir Zeit zu lassen, hier alle Vorkehrungen zu Eurem festlichen Empfang zu treffen. Die drei Karipunen habe ich niederknallen lassen. Zwei liegen da tot auf Eurem Floß. Der dritte ist ins Wasser gefallen. Die Kaimans werden sich über den Leckerbissen freuen! – So, nun kannst Du mit deinen lieben Freunden, dem deutschen Doktor, Watawi, dem Hunde von Mestizen und ein paar roten Halunken hier ein freudiges Wiedersehen feiern. Vorher aber wirst Du mir mitteilen, wo der Schoner hingesteuert worden ist, denn Du mußt dies ja wissen, da Du doch ohne Zweifel mit dem verfl…… Deutschen, diesem Karlos Burg, einen Treffpunkt verabredet hast. Belügst Du mich oder weigerst Du Dich etwa, mir die verlangte Auskunft zu geben, so werde ich Dich hier sofort, gebunden wie Du bist, auf jene Sandbank dort niederlegen lassen, wo sich ein Dutzend Kaimans sonnen, die sicher Mulattenfleisch nicht verschmähen werden, obwohl Dein Braten schon etwas zäh sein dürfte. – Du weißt nun, was Dir bevorsteht! Also heraus mir der Sprache: wo hast Du Dich mit Burg verabredet?“

Miguel bewies jetzt, daß er den Tod nicht fürchtete, selbst einen solchen Tod nicht, wie er ihn hier sofort sterben sollte. Alle Drohungen Almeidas halfen nicht. Er blieb fest. Und fünf Minuten später lag er dann wirklich auf der niedrigen Sandbank, wohin die verscheuchten Kaimans sehr bald zurückkehrten.

Almeida beobachtete vom nahen Ufer das zu erwartende Schauspiel, das nun sehr bald beginnen mußte, wenn die gepanzerten Rieseneidechsen den Mulatten zerreißen würden. Neben ihm stand Benito, und weiter zurück wieder waren die Gefangenen in einer Reihe aufgestellt worden, die noch immer ihre Astgabeln schleppten.

Was Almeida nicht bemerkte, das blieb Watawis scharfen Augen nicht verborgen: ein großes Grasbüschel, das scheinbar mit der sanften Strömung der Sandbank zutrieb.

In diesem Grasbüschel aber steckte der Kopf jenes Karipunen, der von den Kugeln der Banditen Almeidas nicht sofort getroffen, schlau genug gewesen war, sich scheinbar schwer verwundet ins Wasser fallen zu lassen und sich dann unter dem Floße geschickt zu verbergen, wo er zwischen den Stämmen immerhin von Zeit zu Zeit den Mund über Wasser bringen und Atem schöpfen konnte.

Nun hatte er nichts anderes vor, als Miguel zu befreien. Er kam auch bis dicht an die Sandbank heran, schnellte sich gerade in dem Moment aus dem Wasser, als der erste Kaiman schwerfällig auf den gefesselten Miguel zuwatschelte, der die Bestie vergeblich durch lautes Schreien zu vertreiben suchte. Im Nu hatte der Karipune die Stricke durchschnitten, sprang sofort in das Wasser zurück, gefolgt von dem alten Mulatten, der beim Auftauchen zu seinem Entsetzen bemerkte, daß sein Retter von einem riesigen Kaiman bei der Schulter gepackt worden war und nun langsam in die Tiefe gezogen wurde.

 

Im Nu hatte der Karipune die Stricke durchschnitten.

 

Da vergalt er gleiches mit gleichem. Noch hielt der Indianer das Messer in der Rechten, mit dem er Miguels Fesseln zerschnitten hatte und das ihm jetzt nichts half, da die Bestie gerade die rechte Schulter mit den Zähnen zu fassen bekommen hatte. Zampa griff nach dem Messer, hatte es dann kaum in den Fingern, als er auch schon untertauchte und dem Kaiman mit oft geübtem Schnitt den hellen, ungepanzerten Leib aufschlitzte.

All dies hatte sich im Verlauf von wenigen Sekunden abgespielt. Jetzt eröffneten aber Almeida und Benito, nachdem sie sich von der ersten Überraschung über das unvermutete Eingreifen des Karipunen erholt hatten, ein lebhaftes Feuer aus ihren Revolvern – ihre Büchsen hatten sie nicht zur Hand – auf die beiden im Wasser mit der Bestie kämpfenden Männer. Plötzlich versank Miguel, tauchte ein Stück weiter wieder auf und schleppte sich ans linke Ufer des Flußarmes, wo er gleich darauf von Almeidas Leuten ergriffen wurde. Er hatte eine Revolverkugel in den Hals bekommen. Sein Leben zählte nur noch nach Minuten. Trotzdem man es ihm ansah, daß die Schatten des Todes sich bereits auf seine Lider herabsenkten, versetzte ihm Almeida doch noch ein paar Fußtritte und brüllte:

„Endlich verreckst Du, alter Schuft! Schade – Du bist zu billig weggekommen! Da – nimm das noch mit auf die Reise!“ Und er spie dem Sterbenden wiederholt ins Gesicht.

Auch diese Szene mußten die Gefangenen mit ansehen. Der Doktor konnte jetzt nicht länger an sich halten, rief in zitternder Empörung:

„Es gibt eine höhere Macht, Sie Mordbube, Sie Scheusal, die an Ihnen einst alles vergelten wird, was Sie verbrochen haben! Denken Sie an diese meine Worte, wenn Ihr letztes Stündlein geschlagen hat!“

Almeida zuckte die Achseln, erwiderte mit kaltblütiger Ironie:

„Ja – ich werde an diese Worte denken, wenn Du deutscher Dummkopf auf den Holzsessel angeschnallt bist und die Messer Deine Kehle durchsägen.“

Miguel Zampa richtete sich jetzt mit letzter Kraft nochmals auf, winkte den Gefährten zu, die dort mit ihren Astgabeln wehr- und machtlos dastanden, fiel zurück und war tot.

So starb dieser Farbige nach einem an Abenteuern überreichen Leben, dessen letzte Jahre er in treuer Anhänglichkeit seinem deutschen Herrn widmete, dem er die Treue nun bis zum letzten Atemzuge bewahrt hatte.

Der Kaiman aber war inzwischen mit dem von ihm gepackten Karipunen trotz der tödlichen Bauchwunde in die Tiefen des Flußarmes untergetaucht, kam nicht wieder zum Vorschein. –

Die indianischen Fischer jammerten und flehten Almeida umsonst an, ihnen doch ihre beiden großen Boote zu lassen, die sie so notwendig zum Fange des transpendenden Pirarucu brauchten.

Er lachte sie aus, drohte ihnen dann mit Erschießen, als sie zudringlich wurden. Da verkrochen sie sich in ihren Hütten. Almeidas Bande aber konnte nun den Weg in zwei bequemen, mit Segeln versehenen Booten fortsetzen, gelangte bald in den Amazonas und steuerte nach Südost zu über den Riesenstrom auf jenen Kanal zu, der in den großen Ufersee führte, dessen Ostufer keine Viertelstunde von der Teufelsfarm ablagen. Gegen Abend war der Kanal erreicht. Die Boote durchfuhren ihn und landeten dann bei völliger Dunkelheit in einer verborgenen, gestrüppumrahmten Bucht des Südufers, wo Almeida das Lager für diese Nacht aufschlagen ließ. Die Gefangenen wurden an in die Erde getriebene Pfähle gebunden. Feuer anzuzünden verbot Almeida. Er war vorsichtig. Man konnte ja nicht wissen, ob nicht der Vertreter des Generals de Mello in Serpa eine Abteilung Rebellentruppen zur Feststellung der Zerstörungen der Farm ausgeschickt hatte.

Bereits vor Morgengrauen sandte Almeida dann zwei seiner Leute, die als frühere Kautschuksucher[*12] Erfahrung im Anschleichen besitzen mußten, nach der Teufelsfarm, um festzustellen, ob dort alles sicher sei. Die beiden kehrten nach drei Stunden mit der Meldung zurück, daß inzwischen tatsächlich eine Anzahl Leute die Brandstätte besucht hätten, wie die frischen Spuren bewiesen, daß jetzt aber die Luft wieder völlig rein wäre.

Sie hatten auch klugerweise gleich ein Dutzend Pferde und Maultiere in einer Hürde eingefangen und mitgebracht, so daß Almeida und der größte Teil seiner Bande jetzt den Weg bis zur Farm reitend zurücklegen konnten, während die Gefangenen zu Fuß meist im Trab laufen mußten, wobei sie von den Bravos roh mit Stöcken geschlagen wurden und Juan besonders vor Erschöpfung immer wieder lang hinschlug, da seine Hüftwunde wieder aufgebrochen und er durch Blutverlust noch mehr geschwächt war.

Almeida konnte sich nicht genugtun mit allerlei Roheiten gegen die Gefangenen. So ließ er die Stöcke seiner Leute mit Dornenranken umwickeln, um die Schläge empfindlicher zu machen. Besonders den jungen Häuptling der Karipunen peinigte er auf jede nur erdenkliche Art. Watawi ertrug alles mit stoischer Ruhe.

Dann war endlich die niedergebrannte Farm erreicht. Almeida brachte die Gefangenen zunächst in dem Turm im Erdgeschoß unter. Er hatte sich vorgenommen, das Messerrad und den dazu gehörigen Holzsessel in den Farmgarten schaffen zu lassen, damit seine Opfer unter den rauschenden Palmen und im strahlenden Lichte der lebenspendenden Sonne ihren letzten Seufzer aushauchen sollten und damit ihnen das Sterben angesichts all der Wunder einer tropischen Landschaft doppelt schwer würde. –

Als die beiden Boote mit der Bande Almeidas sich von den Fischerhütten im Katapaxudelta, wo Miguel Zampa den Tod eines Helden starb, kaum aus Sicht entfernt hatten, kamen auch die ihrer wertvollsten Fahrzeuge beraubten Indianer wieder zum Vorschein und schworen mit einer Auslese wilder Flüche, deren Kenntnis sie dem häufigen Verkehr mit den Herren des Landes verdankten, den Räubern blutige Rache.

Zu ihrem Erstaunen bemerkten sie dann plötzlich am anderen Ufer jenen Karipunen, den der Kaiman doch scheinbar mit sich auf den Grund des Flußarmes gezogen hatte. Dieser Rote, einer der besten Krieger Watawis, hatte sehr wohl bemerkt, daß der alte Mulatte um ihn zu retten, dem Alligator den Bauch aufschlitzte, und hatte sich daher gesagt, daß er nur noch kurze Seit zu warten brauche, bis die in seine Schulter eingegrabenen Zähne der Bestie von selbst loslassen würden. So hatte er sich denn ruhig mit in die Tiefe zerren lassen, fühlte nun, bevor ihm noch der Atem ausging, die Zähne sich von seiner Schulter lösen, kam frei und strebte unter Wasser dem mit einer dichten Pflanzenschicht bedeckten Uferstreifen zu, wo er zwischen den Blüten und Blättern der Wassergewächse es wagen durfte, das Gesicht herauszustrecken und Atem zu schöpfen. So dem sicheren Tode entgangen, beobachtete er die weiteren Vorgänge bei den Fischerhütten, wurde Zeuge von Miguels traurigem, aber heldenhaftem Ende und von der Entführung der Boote, von der ohnmächtigen Wut der bestohlenen Roten und ihren zwecklosen Racheschwüren. Immerhin wußte er nun, daß die indianischen Fischer gern bereit sein würden, ihm zu helfen, wenn er ihnen die Wiedererlangung ihrer Boote in Aussicht stellte. Da ihm bekannt war, wo der Diabolo jetzt vor Anker lag, eben im Mündungsgebiet des Madeiraflusses, und da die Bißwunden in seiner Schulter seiner kräftigen Natur nicht viel ausmachten, verließ bereits eine halbe Stunde später ein kleinerer, von vier der roten Fischer geruderter Nachen unter Führung des Karipunen das Katapaxudelta und strebte mit größter Eile dem Madeira zu. Doch erst bei Einbruch der Dunkelheit war dieser erreicht, so daß die Suche nach dem Liegeplatz des Schoners sich recht schwierig gestaltete. Stunde um Stunde verrann, und der Diabolo war noch immer nicht gefunden. Da feuerte der Karipune nacheinander in gleichen Zwischenräumen die vier Vorderladergewehre der Fischer ab – seine eigene Büchse hatte er ja leider eingebüßt – und wiederholte dieses Signal später noch mehrmals, hoffend, daß gerade die regelmäßige Pause zwischen den Schüssen der Besatzung des Diabolo klar machen würde, es könne sich hier nur um ein Signal handeln.

Dann, als im Osten der Himmel sich bereits zu lichten begann und der neue Tag nahte, erklangen aus einem engen Flußarm ebenfalls vier Schüsse als Antwort. Fünf Minuten später stand der Karipune an Deck des Diabolo im Kreise der gespannt seinem Bericht lauschenden Besatzung.

Hier zeigte sich nun, wie unvorsichtig Almeida gewesen, als er in Gegenwart der indianischen Fischer Andeutungen darüber hatte fallen lassen, wohin er sich zunächst zu wenden gedachte. Die roten Fischer besannen sich sehr wohl darauf, daß er von einer Klosterruine und einem schrecklichen Tode, der den Gefangenen gewiß sei, gesprochen hatte, so daß der Kapitän des Schoners in der Lage war, sofort die Anker zu lichten und nach dem Ufersee zu steuern, der mit zur Teufelsfarm gehörte. Um die Mittagszeit bog der Diabolo in den gewundenen Kanal ein, legte[17] am Ufer an und landete den größten Teil seiner Besatzung. An Bord blieben nur unter Ma Tschizas Befehl die vier indianischen Fischer und Annemarie zurück. Alle übrigen, im ganzen neun Mann, strebten nun im Geschwindschritt den Brandruinen der Farm zu, angestachelt zu höchster Eile durch die stetig wachsende Angst, vielleicht zu spät zu kommen und die Freunde nicht mehr retten zu können.

Zwei der bei dem Trupp des Kapitäns befindlichen Karipunen erboten sich freiwillig, als Späher vorauszueilen. Ihnen schloß sich noch Erwin Burg an, dem sein älterer Bruder zwar ungern die Erlaubnis hierzu erteilte, der aber so dringend zu bitten wußte, daß der Kapitän doch schließlich nachgab.

 

13. Kapitel.

Ein Gottesurteil.

Almeida hatte mitten auf einer baumfreien Rasenfläche das teuflische Mordinstrument aufstellen lassen und sich auch selbst davon überzeugt, daß das Messerrad wie vordem unten in der Folterkammer richtig arbeitete.

Die von dem Brasilianer neu verpflichteten Leute, mit denen er nachher das Buschklepperhandwerk zu betreiben gedachte, hatten erst mit neugierigem Interesse die seltsame Hinrichtungsmaschine gemustert. In den Gesichtern einiger war auch etwas wie stilles Entsetzen darüber zu lesen, daß die Gefangenen auf diese bestialische Art abgeschlachtet werden sollten. Diese Leute waren noch nicht so völlig vertiert wie ihre beiden Anführer Almeida und Benito, in denen nur ein einziger Gedanke jetzt lebte: sich an der Todesangst ihrer Opfer zu ergötzen. Es bedurfte denn auch erst einiger aufreizender Reden des Brasilianers, ehe seine Banditen in die rechte Stimmung für die Mordarbeit kamen, die nun beginnen sollte.

Die Mittagssonne brannte glühend heiß auf den ausgedörrten Rasenplatz herab, an dessen Nordseite im Baumschatten ein zierliches Holzhäuschen sich erhob, das Karl Burg eigens für die geliebte Schwester hatte erbauen lassen und das so hoch auf eingerammten Pfählen stand, daß man durch die Fenster der Westwand durch eine Baumlücke in der Ferne den breiten Wasserspiegel des Amazonas schimmern sah.

Almeida ließ jetzt, nachdem er noch bei den Brandruinen der Farm und weiter nach Norden zu je eine Wache aufgestellt hatte, die Gefangenen herbeibringen.

Juan mußte getragen werden. Er hatte starkes Wundfieber und phantasierte, brüllte mitunter und schien in seinem fieberumnebelten Geiste die wildesten Kämpfe durchzumachen.

Der Doktor war gleichfalls mehr tot als lebendig. Nicht aus Angst, – nein, nur deshalb, weil er seine Kräfte durch die steten Selbstvorwürfe völlig geschwächt hatte und nun in stumpfer Gleichgültigkeit halb bewußtlos alles mit sich geschehen ließ.

Watawi und die beiden Karipunen wieder standen stolz aufgerichtet mit ihren schweren Astgabeln auf den Schultern da und schienen die höhnischen Worte ihrer Peiniger gar nicht zu hören.

Als erster wurde der jüngere der Karipunen, ein schlanker, großer Bursche auf den mit getrocknetem Blute über und über bespritzten Holzsessel geschnallt. Dem anderen wurden die Arme auf den Rücken gebunden, damit er, von der Last der Holzgabel befreit, leichter das Messerrad treten könnte.

Mit gespanntem Revolver in der Hand stieß Almeida ihn nun auf das Rad zu.

„Vorwärts – rühre Dich, roter Halunke, setze das Rad in Bewegung, wenn Du nicht erleben willst, daß ich Dich bei lebendigem Leibe röste!“ schrie er den Karipunen an.

„Ich werde es sofort tun,“ erwiderte der rote Krieger, ein kleiner, bärenstarker Mann, scheinbar voller Angst, indem er sich nach Almeida umwandte.

Dann – geschah etwas, das keiner der Banditen vermutet hätte. Der Rote beugte plötzlich den Kopf nach vorn, nahm einen Anlauf und rannte mit dem Schädel mit voller Kraft gegen Almeidas Brust an, so daß dieser im Bogen hintenüberflog und bewußtlos liegen blieb, während ihm aus dem Munde ein Strom helles Blut hervorbrach, ein Beweis, daß der Stoß eine Rippe gebrochen und die Lunge verletzt haben mußte.

Da hatte aber auch schon Benito den Revolver aus dem Gürtel gerissen und schoß dem[18] Karipunen durch den Kopf. Leblos sank der tapfere Krieger zusammen, der es verstanden hatte, wenigstens dem einen der Feinde noch einen gehörigen Denkzettel zu geben.

Almeida kam erst wieder zu sich, als man ihm eine Menge Rum eingeflößt hatte. Er litt unter starken Schmerzen, spie auch immer wieder Blut. Gerade die Schmerzen steigerten aber seine Rachgier zu wahnsinniger Wut. Kaum fühlte er sich infolge des Alkoholgenusses leidlich kräftig, als er selbst das Rad zu treten begann.

Die Messer surrten, neigten sich dem Sessel, dem Halse des jungen Karipunen zu.

Ein wildes Hohnlachen Almeidas – Blutstrahlen sprangen hoch – der rote Krieger hatte ausgelitten.

„Schnallt ihn los!“ rief der Brasilianer seinen Leuten zu.

Doch deren jetzt vor Entsetzen bleiche Gesichter bewiesen, daß selbst ihnen diese Mordarbeit an die Nerven gegangen war.

„Seid Ihr Weiber?“ brüllte Almeida. „Vorwärts! Gehorcht! Ihr habt mir Gehorsam gelobt!“

Inzwischen war der Doktor, hauptsächlich infolge des kühnen Angriffs des Karipunen auf den Brasilianer, doch wieder mehr Herr seiner Sinne geworden. Er bemerkte das Zaudern der Banditen, fühlte heraus, daß bei ihnen nicht mehr viel Überredung nötig war, um sie dem Schurken abtrünnig zu machen, rief ihnen jetzt zu:

„Gehorcht ihm nicht! Bedenkt, daß Ihr Unschuldige ermorden helft! Die Strafe wird nicht ausbleiben. Ich verspreche Euch eine hohe Belohnung, wenn Ihr Almeida und Benito ergreift und uns –“

Weiter kam er nicht. Benito hatte ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

Almeida gebärdete sich wie ein wildes Tier. Im Nu hatte er die Leiche des Karipunen losgeschnallt, schleuderte sie beiseite, schleppte den jetzt still daliegenden Juan nach dem Holzsessel, drückte ihn auf den Sitz, zog die Riemen fest, rief dann Benito zu:

„Der verfluchte Doktor wird jetzt das Rad treten! Binde ihn mit dem linken Fuß unten an das Gestell an, damit er nicht etwa auch versucht, uns noch zu schaden, wie’s der rote Hund getan hat! Und dann – zieh’ zwei Kugeln aus Deinen Revolverpatronen, Benito! Wenn der deutsche Schuft nicht gehorcht, schießt Du ihm in die Augen. Runter deshalb auch mit seiner Brille!“

Siegfried Teppenwurz’ Oberlippe und Nase bluteten von dem Faustschlag. Er sträubte sich, warf sich lang hin. Doch es half nichts, – die beiden vertierten Gesellen schleiften ihn zum Rade, richteten ihn auf, und Benitos auf seine Augen zielende Revolvermündung, die ständig sein Augenlicht bedrohte zwang ihn, sich jetzt ruhig zu verhalten.

Inzwischen hatte Watawi, auf den weder Almeida noch der Mulatte jetzt achtgaben, den Banditen heimlich mit dem Kopfe zugewinkt, die in dichtem Haufen neben ihm sich völlig untätig verhielten.

Ein paar der Leute traten unauffällig an den Häuptling heran, der ihnen nun zuflüsterte:

„Ihr erhaltet jeder einen Hut voll Goldkörner, wenn Ihr die beiden packt! Ich lüge nie! Das Gold ist Euch sicher!“

Die Kerle berieten schnell.

Dann Almeidas höhnende überschnappende Stimme:

„Los, Sennor Doktore, – tretet das Rad, wenn Ihr nicht blind werden wollt! Ich zähle bis drei – dann feuert Benito!“

Teppenwurz’ Antwort kam sofort:

„Niemals! Juan ist mein Sohn, Du Schurke. Niemals zwingst Du mich dazu, ihn –“

„Ich zähle!“ hohnlachte der Brasilianer. „Dein Sohn – desto besser! – Eins – zwei –“

In diesem Augenblick stürmten die Banditen auf die beiden zu, – so überraschend, daß diese sich gar nicht mehr wehren konnten und in kurzem eng gefesselt am Boden lagen.

Die Gefangenen waren frei. Juan wurde losgeschnallt, in den Schatten der Bäume getragen und sofort von Teppenwurz in Behandlung genommen. Der Saft verschiedener Kräuter wurde ihm eingeflößt, worauf sich das Wundfieber schon nach einer halben Stunde legte.

Dann plötzlich von dem Pavillon her laute, freudige Zurufe: die kleine Schar des Kapitäns tauchte auf! –

Am Nachmittag wurde dann über Almeida und Benito Gericht gehalten. Karl Burg spielte den öffentlichen Ankläger. Als unparteiische Richter waren die fünf ältesten der Leute bestimmt worden, die sich jetzt auf die Seite der Gegner Almeidas gestellt hatten. Es waren zwei Mulatten, zwei Mestizen von sehr heller Hautfarbe und ein Weißer spanischer Abkunft. Sie hatten versprochen, völlig leidenschaftslos und nach dem alten Gesetz der Wildnis „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ihren Spruch abzugeben.

Die Gerichtssitzung fand vor dem kleinen Holzhäuschen statt, wo man aus Brettern schnell einen langen Tisch für die Richter und Bänke für die Zuschauer zusammengeschlagen hatte.

Der Kapitän des Diabolo wollte mit dieser Nachahmung eines vor einer staatlichen Behörde stattfindenden Verfahrens keineswegs etwa eine lächerliche Komödie ins Werk setzen. Im Gegenteil! Es lag ihm daran festzustellen, wie die Schandtaten Almeidas und dessen Vertrauten von Leuten beurteilt wurden, die weder an der einen noch an der anderen Partei ein besonderes[19] Interesse hatten. Selbst Watawi war mit dieser Art der Aburteilung einverstanden. Nur Ma Tschiza, der Trapper, den man inzwischen von dem Schoner herbeigeholt hatte, war zunächst etwas ungehalten über diese Verzögerung der Vollstreckung einer Todesstrafe, die seines Erachtens hier nur in Betracht kam.

Die Verhandlung begann unter lautloser Stille der Anwesenden. Die Angeklagten standen mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor dem Tische der Richter. Links daneben saß der deutsche Farmer, der sich nun erhob und der Reihe nach alle Morde und sonstigen Verbrechen aufzählte, die die beiden verübt hatten.

Zuerst sprach er sozusagen im Namen Watawis, warf Almeida jene schändliche Lüge vor, daß der Häuptling der Karipunen seine Hazienda eingeäschert haben sollte.

Almeida, dem jetzt bewußt war, daß er verloren sei, hörte bleich und mit vor Angst schweißfeuchter Stirn zu. Zunächst erwiderte er nichts auf diesen ersten Punkt der Anklage. Dann raffte er sich auf, suchte sich zu verteidigen und nannte Benito als den, der ihm, dem tief in Schulden Steckenden, den Rat gegeben hätte, die Hazienda anzuzünden und vom Staate dann eine Entschädigung für einen angeblichen Indianerüberfall zu verlangen. – Der Mulatte räumte dies ehrlich ein. Nur behauptete er, er sei stets dagegen gewesen, einen bestimmten Indianerstamm als Zerstörer der Hazienda anzuzeigen. Almeida sei vielmehr von selbst darauf gekommen, gerade Watawi zu nennen, weil dieser als freier Roter die Oberhoheit der brasilianischen Regierung nie anerkannt hatte und daher dort recht unbeliebt war.

Almeida bestritt dies, schob alle Schuld auf Benito, so daß die beiden bisherigen Verbündeten sich jetzt sehr bald mit Schmähungen überhäuften.

Dann fuhr Karl Burg in seiner Anklagerede fort. Immer tiefer sank da Almeida das schuldbeladene Haupt auf die Brust. Der Mulatte, doch lediglich das Werkzeug des weißen Verbrechers, zeigte eine Ruhe und Gleichgültigkeit, die geradezu bewundernswert waren. Ohne Zweifel war er derjenige von beiden, der weit mehr Mut und auch eine seltene Todesverachtung besaß.

Nun zogen sich die fünf Richter nach oben in den Pavillon zur Beratung zurück. Diese währte etwa eine Viertelstunde. – Als sie ihre Plätze wieder am Tisch eingenommen hatten, verkündete der Spanier, ein grauhaariger kleiner Mensch mit listigem Fuchsgesicht, das Urteil:

„Sennores,“ begann er, sich an die Zuhörer wendend, „wir haben folgendes beschlossen. Almeida und Benito sollen, gefesselt an um die Hüften gebundenen Stricken hier auf diesem Rasenplatz mit Messern gegeneinander kämpfen und zwar bis zum Tode des einen von beiden. Dem überlebenden Sieger werden zur Strafe die Ohren abgeschnitten. Dann soll er frei sein. – Wir haben diesen Spruch deshalb gefällt, weil es uns zweifelhaft erscheint, wer der größere Schurke von beiden ist und ob nicht Benito als der schlauere von ihnen doch die Anregung zu den meisten Schandtaten gegeben hat.“

In den Mienen der Zuhörer malte sich deutlich größte Mißbilligung über diesen merkwürdigen Spruch. Doch – es blieb dabei. Und sofort traf man auch die nötigen Vorbereitungen für dieses Gottesurteil, wie der Doktor es nannte.

Die beiden Verurteilten wurden an zehn Meter lange Lederlassos gebunden, die wieder an zwei in einem Abstand von vier Meter eingerammte Pfähle befestigt waren. Die Kämpfer hatten also nach allen Seiten hin volle Bewegungsfreiheit.

Daß sie etwa die Lassos durchschneiden und fliehen könnten, war angesichts der in den Händen der Zuschauer befindlichen Büchsen ausgeschlossen. Die Messer, die sie erhielten, waren völlig gleich – zwei Jagdmesser mit Holzgriff und langer leicht gebogener Schneide.

Jetzt wurden Almeida und Benito jeder neben einen Pfahl gestellt. Dann rief der Kapitän des Diabolo ein kurzes „Los!“ als Zeichen des Beginns des Zweikampfes.

Eine Weile musterten sich die beiden nun mit Blicken, aus denen Haß, Wut und der Wunsch sprachen, die Absichten des anderen zu erraten. Dann schritt der Mulatte auf Almeida zu, ganz langsam. Aber ebenso langsam wich der Brasilianer zurück, sprang nun jedoch plötzlich zur Seite, schoß an Benito vorüber, der nichtsahnend nur stets das Gesicht dem Gegner zugekehrt behielt, und legte den Lasso des Mulatten nun so in einer Doppelschlinge um dessen Pfahl, daß Benito nur noch etwa drei Meter Spielraum blieben.

 

Eine Weile musterten sich nun die Beiden mit Blicken, aus denen Haß und Wut sprachen.

 

Zu spät hatte der Mulatte die Absicht des anderen erkannt, zu spät stürmte er nun auf ihn ein. Almeida trat schnell zurück, und mit einem starken Ruck spannte sich Benitos so beträchtlich verkürzter Lasso straff und hinderte ihn, den Feind zu erreichen, der nun ihm gegenüber die größere Bewegungsfreiheit hatte und somit im Vorteil war.

Benito suchte dies sofort wieder auszugleichen, wich bis an seinen Pfahl zurück und wollte nun, den Blick stets auf Almeida gerichtet, die Doppelschlinge wieder abstreifen, um dem Lasso die ursprüngliche Länge zu geben. Doch abermals griff der Brasilianer ihn an, so daß Benito nun in seiner blinden Wut so heftig vorwärtsstürmte, daß der von ihm nicht berechnete Ruck des straff gewordenen Lassos ihn nach hinten prallen, stolpern und zu Boden stürzen ließ.

Mit einem wahren Panthersatz war Almeida schon neben ihm, stieß ihm mit dem Stiefel ins Gesicht, als er gerade aufspringen wollte, bückte sich blitzschnell und bohrte ihm von der Seite das Messer in die Brust.

Der Mulatte jedoch, nicht minder geistesgegenwärtig jetzt trotz der tödlichen Wunde, packte den rechten Fuß des Brasilianers, riß ihn hoch, brachte so den bereits triumphierenden Sieger zu Fall, warf sich mit letzter Kraft über ihn und durchschnitt ihm die Kehle von einem Ohr zum andern.

Blutstrahlen schossen hoch. Almeidas Glieder zuckten noch ein paarmal; dann war er tot. In seinem verzerrten Gesicht lag der Ausdruck ohnmächtigen Grimmes, in seinen weit aufgerissenen Augen der eines unsagbaren Entsetzens.

Auch Benito lebte nur noch wenige Minuten. Die breite Klinge mußte in der Lunge ein paar Hauptäste durchschnitten haben. Er röchelte laut, und hellroter Schaum trat ihm immer stärker auf die Lippen. Dann ein krampfhaftes Dehnen des ganzen Körpers, ein gurgelnder Schrei, und auch dieser Verbrecher hatte geendet.

Watawi winkte seinen vier Kriegern, den letzten, die ihm noch verblieben waren.

„Schafft die beiden Leichen nach dem See, werft sie dorthin, wo die Kaimans ihre Lieblingsplätze haben,“ befahl er. –

Gleich darauf kehrte der Trupp des Farmers an Bord des Diabolo zurück.

Den Leuten, die Almeida für seine späteren Pläne angeworben gehabt und denen sowohl der Doktor als auch Watawi für ihren Abfall von dem Brasilianer eine Belohnung zugesagt hatte, stellte Teppenwurz eine Anweisung auf ein Bankhaus in Para, dem Haupthafen des Amazonasgebietes, in solcher Höhe aus, daß sie damit sehr zufrieden waren und auf das Gold des Häuptlings verzichteten, welches dieser auch erst aus einer nur ihm bekannten Fundstelle am Oberlaufe des Rio Urubu hätte holen müssen.

Sie hatten sich auch erboten, in Burgs Dienste zu treten, doch dieser hielt sie nicht für zuverlässig genug für das, was er weiter vorhatte. War dies doch nichts anderes als eine Verwirklichung seines ursprünglichen Gedankens, mit dem Schoner die Rebellion des Generals de Mello nach Kräften zu bekämpfen und bei der schleunigen Niederwerfung der Unruhen zu helfen, vor deren Beendigung er ja doch nicht daran denken konnte, die zerstörten Farmgebäude wieder zu erneuern und in friedlicher Arbeit auf der eigenen Scholle das frühere erfolgreiche Schaffen fortzusetzen.

Noch an demselben Abend verließ der Diabolo den Ufersee und kehrte nach dem Mündungsdelta des Madeira zurück, wo er so lange blieb, bis die Verwundeten an Bord sämtlich genesen waren, unter ihnen auch Juan und der Trapper Ma Tschiza.

Inzwischen hatten die indianischen Fischer mit ihren beiden Booten und einer ansehnlichen Belohnung längst die Heimfahrt angetreten, ebenso wie Burg auch die noch an Bord des Diabolo befindlichen Gefangenen aus jenem Kampfe gegen das Floß im Parataxu-Delta bereits beim Verlassen des Ufersees an Land gesetzt hatte, damit sie von hier auf irgend eine Weise nach Serpa zurückkehren könnten.

Nach völliger Wiederherstellung der Verwundeten rief Karl Burg dann eines Morgens die gesamte Besatzung des Schoners auf dem Hinterdeck zusammen, klärte sie über seine ferneren Absichten auf und fragte, wer weiter bei ihm ausharren wolle.

Nicht einer meldete sich, der nach all diesen gemeinsam bestandenen Abenteuern und Gefahren sich von den Gefährten trennen mochte.

Der Kapitän des Diabolo dankte ihnen für diese treue Anhänglichkeit, ließ dann sofort die Anker lichten und steuerte in den weiten Riesenstrom hinaus. Zwei Tage darauf traf der Schoner mit einem Kanonenboot der rechtmäßigen Regierung des Landes zusammen, wurde nun auf Burgs Bitte hin als Hilfskreuzer in die brasilianische Flotte eingereiht und durfte danach seine kriegerische Tätigkeit mit voller Berechtigung aufnehmen.

 

14. Kapitel.

Schluß.

Der Diabolo wurde bald der Schrecken aller Anhänger des Rebellengenerals im Gebiete des Amazonas. Sein Name erlangte eine Berühmtheit, die weit über die Grenzen Brasiliens hinausdrang. Allerlei Legenden über die Leute, die zu der Besatzung des Schoners gehörten, gingen von Mund zu Munde; neben dem Kapitän wurden hauptsächlich Watawi, Ma Tschiza, der kleine Doktor und der Mestize Juan immer wieder als ebenso tollkühne wie listenreiche Kämpfer erwähnt.

Acht Monate später war dann die Ruhe und Ordnung in Brasilien vollkommen wiederhergestellt. General de Mello hatte nur anfänglich einige Erfolge zu verzeichnen gehabt, besonders durch die rücksichtslose Beschießung Rio de Janeiros, wurde jedoch bei Desterro im April 1894 so entscheidend geschlagen, daß die Rebellion nunmehr als unterdrückt gelten konnte.

Damit hatte auch der Diabolo seine Aufgabe erfüllt. Und abermals nach acht Monaten feierte man auf der Teufelsfarm das Richtfest der neuen Baulichkeiten, zu dem sich auch wieder der Häuptling der Karipunen mit seinem weißen Bruder Ma Tschiza und ebenso Teppenwurz mit seinem Sohne Juan einfanden. Der Doktor hatte inzwischen von der Regierung die zerstörte Hazienda Almeidas, die nördlich von Serpa lag, angekauft und war auf dem besten Wege, dort mit Unterstützung Juans eine ähnliche Musterwirtschaft zu gründen, wie Karl Burg sie auf seiner Farm einst erzielt hatte und nun bald wieder erzielen würde.

Bei diesem Richtfest ließ der kleine Doktor es sich nicht nehmen, in längerer Rede an all die Erlebnisse zu erinnern, die um die heute hier Versammelten ein festes Band dauernder Freundschaft geschlungen hätten und die, wie er weiter ausführte, am treffendsten zusammenzufassen wären unter der Bezeichnung:

Die Piraten der Puma-Insel.

 

Ende.

 

 

Anmerkungen des Verlages:

  1. ↑* Ein Negerausdruck für Alligator, der sich in Brasilien für diese Krokodilart eingebürgert hat.
  2. ↑* Ein Würfelspiel mit den flachen Rückgratwirbeln der sog. Trugratte. Alle Farbigen Südamerikas sind leidenschaftliche Spieler.
  3. ↑* Stadt am linken Amazonasufer unweit des Nebenflusses Madeira.
  4. ↑* Goldkörner.
  5. ↑* Linker Nebenfluß des Rio Negro, eines linken Nebenflusses des Amazonas.
  6. ↑* Kaziken, die Häuptlinge der südamerikanischen Indianer. Im Gegensatz zu den nordamerikanischen Roten ist diese Würde hier zumeist erblich.
  7. ↑* Kanonenluken auf älteren Kriegsschiffen.
  8. ↑* Größere Stadt am Rio Negro.
  9. ↑* Linker Nebenfluß des Amazonas.
  10. ↑* Größter rechter Nebenfluß des Amazonas.
  11. ↑* Tatsachen. Besonders verbreitet ist der Vadoux-Kult auf Kuba, Haiti und San Domingo. Gerade Kindermorde werden den Vadoux-Verehrern überall zur Last gelegt.
  12. ↑* Leute, die die Urwälder durchstreifen und nach jenen Bäumen suchen, deren angebohrte Stämme dann einen zu Kautschuk erstarrenden Saft absondern.

 

 

Anmerkungen:

  1. Custódio José de Melo (9. Juni 1840 – 15 März 1902) war ein brasilianischer Admiral und Politiker. Siehe auch Wikipedia: Custódio José de Melo.
  2. In der Vorlage steht: „Greehorn“.
  3. „Madeiraflusses“ / „Madeira-Flusses“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Madeiraflusses“ geändert.
  4. Ausspruch von Attinghausen in Wilhelm Tell, 4. Aufzug, 2. Szene von Friedrich Schiller. Siehe auch Wikipedia: Wilhelm Tell.
  5. In der Vorlage steht: „pussierlich“ – Sowohl die Regeln für die deutsche Rechtschreibung von 1902 als auch von 1938 geben „possierlich“ (von „Posse“) als richtige Schreibweise an.
  6. Riesenseerose. Siehe auch Wikipedia: Viktoria regia (Bild).
  7. In der Vorlage steht: „dem“.
  8. „Flosse(s)“ / „Floße(s)“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Sowohl der Brockhaus von 1911 als auch die Regeln der Deutschen Rechtschreibung von 1938 geben „das Floß / die Flöße“ als korrekte Schreibweise an. Daher drei Vorkommen geändert auf „Floße(s)“.
  9. Süßwasserfisch. Siehe auch Wikipedia: Arapaima.
  10. „Parataxu-Delta(s)“ / „Parataxudelta“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Parataxu-Delta(s)“ geändert.
  11. In der Vorlage steht: „des“.
  12. In der Vorlage steht: „hinab“.
  13. Hagel.
  14. In der Vorlage steht: „das“.
  15. In der Vorlage steht: „El“.
  16. Gemeint ist natürlich der „Voodoo-Kult“, der aber in dieser Form so nicht praktiziert wird. Man muß dazu auch den Wissensstand dieser Zeit, in der das Buch geschrieben wurde, berücksichtigen. Vieles, was damals eben als „Tatsache“ (siehe Anmerkung 11 des Verlages) galt, wurde später widerlegt bzw. ins Reich der Mythen verwiesen. So gibt es im Voodoo-Kult zwar Tieropfer bzw. rituelle Schlachtungen, aber keine Menschen- oder Kinderopfer. Andererseits hat Kabel sicherlich Dank der künstlerischen / schriftstellerischen Freiheit diese Rituale für die Handlung in dieser Erzählung erheblich dramatisiert. Siehe auch Wikipedia: Voodoo.
  17. In der Vorlage steht: „legten“.
  18. In der Vorlage steht: „den“.
  19. In der Vorlage steht: „besonderse“.