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Der Zigarrenladen an der Ecke

Der Zigarrenladen an der Ecke.

In dem kleinen Zigarrenladen an der Ecke ist neulich eine Veränderung eingetreten. Von der will ich Ihnen erzählen.

Eigentlich ist es nämlich bloß ‛ne Filiale, und wie in allen solchen Zweiggeschäften hat der Verkäufer auch dort eine ziemlich selbstständige Stellung – pardon, wenn Sie das etwa uninteressant finden sollten, es gehört mit zur Sache!

Der betreffende junge Mann öffnet um acht Uhr morgens seinen Laden und wenn er dann dreizehn Stunden Zigarren verkauft und unter höflichen Verbeugungen das Geld dafür in Empfang genommen hat, so darf er seine Sklavenkette fortwerfen und Mensch sein, soweit er Talent dazu hat.

Der blonde Junge, der mir dort bis vor kurzer Zeit meinen Zigarrenbedarf vermittelte, hatte entschieden viel Talent dazu! Es war eine Freude, ihn zu sehen, so schlank und elegant in Figur und Haltung, in der Kleidung immer derniere fasson und besonders mit einem fabelhaften Geschmack für seine Wäsche begabt.

Ein paar Mal hatte mein Eintritt in das Geschäft eine Konversation zwischen dem schönen Verkäufer und einer Person des anderen Geschlechts gestört – nun, daß solch junger Halbgott ein Passepartout in Armors Varieté haben würde, daran war ja nicht zu zweifeln – und der Herr Ministerialrat von Klettenfeld, der drei Etagen unter mir wohnt und dem ich hin und wieder hinten auf der Pferdebahn gegenüberzustehen die Ehre habe, – er ist im Kultusministerium angestellt, hat sehr strenge Ansichten über Moral! – hm wollt’ ich denn – ach so ja: also selbst dieser würdige und in jeder Hinsicht ernst ins Leben schauende Mann meinte neulich: ‚Ich glaube, er ist ein ‚kleiner Don Juan‛ – der Zigarrenverkäufer nämlich – ‚aber man kann es ihm nicht so übelnehmen – obwohl – nun, ich habe wohl nicht nötig, Ihnen meine Ansichten über diesen Punkt klarzulegen –‛

Dabei strich Herr von Klettenfeld seinen schöngepflegten grauen Vollbart und lächelte diskret, wie eben solch ein hoher Beamter zu lächeln pflegt.

Dann wartete ich einige Minuten auf den nächsten Ausspruch des verehrten Mannes, und eben wollte der Herr Ministerialrat den Mund wieder öffnen, als eine Dame, die die Straße heraufkam, die Aufmerksamkeit des hohen Beamten ganz von mir ablenkte.

„Meine Frau!“ rief er und dann – „Christine! – Christine!“

Dabei wäre er beinah’ von der in schöner Pace dahinlaufenden Bahn gesprungen, und schon erlaubte ich mir, das feine, schwarze Tuch seines Rockes zu berühren, als der Schaffner, der wohl gehört haben mochte, daß ich zu meinem Gegenüber ‚Herr Ministerialrat‛ sagte, in begreiflicher Höflichkeit den Wagen schon ein ganzes Stück vor der Haltestelle stillstehen ließ.

Ein Arbeiter, der ebenfalls draußen auf dem Peron stand, machte darüber einen pöbelhaften Witz, aber ich konnte dem Mann seine Ungehörigkeit nicht einmal verweisen, so sehr interessierte mich die wundervoll üppige Erscheinung dieser brünetten, hochgewachsenen Frau.

Sie wissen wohl, in diesem Jahr sind die Kleider aus Pointlace Mode – diese cremefarbigen, auf Mull gestickten und vielfach durchbrochenen Stoffe, die ein Heidengeld kosten und die den Ehemännern auch sonst noch manche Unbequemlichkeiten zu bereiten imstande sind. Darunter trägt man Seide, auch wohl Samt in kräftigen Nuancen; aber wo es das Gesetz nicht ausdrücklich unter Strafe stellt, trägt man gar nichts darunter – und die Korsetts werden von Damen, welche über Formen verfügen, noch immer so tiefschnürend wie möglich getragen.

Frau von Klettenfeld also trug Pointlace und – in diesem Augenblick hätte ich meinen Eckplatz oben auf der Bahn nicht mit zehn Königreichen vertauscht.

Leider fuhren wir gleich weiter und der Herr Ministerialrat nebst Gattin entfernten sich nach der entgegengesetzten Seite. Neben ihr, das war nicht zu leugnen, sah er doch schon recht klapprig aus, aber trotzdem, es gibt schließlich noch andere Dinge, wegen denen ein Mann von seiner Frau geliebt werden kann, als blondgelockte Schnurrbärte und moderne Wäschefassons. – –

Herr Erich Schmidt, der Verkäufer, war keineswegs adlig! Aber er war ein galanter Mann und guter Gesellschafter. Momentan war er nicht im Laden.

Sein Chef, Herr Born, i. Fa. Eduard Born & Co., hatte die Angewohnheit, hin und wieder kleine Inspektionsreisen durch sämtliche Filialen anzustellen. So war er denn heute in seiner ruhigen, behäbigen Weise, mit seinen kurzen, dicken Beinen auch hierher in den feinen Westen gekommen.

Aber jetzt hatte er seine gute Laune vollkommen eingebüßt, er war fuchswild und sein Vollmondgesicht, auf dem in der Hitze des Junitages Schweißperlen glänzten, war dunkelrot und die kleinen nichtsagenden Augen bemühten sich, Blitze durch die Scheibe der Ladentür zu schleudern.

Dieser verdammte Kerl, der Schmidt! –

Wo war er denn nur? Erlaubte er sich etwa, den Laden während der Geschäftszeiten zu verlassen?

Aber nein, da steckte ja der Schlüssel von innen! Er schlief also noch, jetzt um ein Uhr mittag! –

War er vielleicht von gestern her noch derart besoffen? Da hörte doch verschiedenes auf!

Und der Zigarrenhändler rüttelte abermals an der Tür, mit einer gewissen Vorsicht allerdings, um die teuren Scheiben nicht zu zerbrechen. Schon wollte er gehen und einen Schlosser holen, da tat sich die von der rundgebauten Rückwand des Ladens in das dazu gehörige private Gelaß führende Tür auf und Herr Erich Schmidt, der Verkäufer trat in Erscheinung.

Der junge Mann blieb vorläufig noch hinter dem Ladentisch und stellte die Zigarettenschachteln gerade, wie wenn er von dem vor der Tür postierten Chef noch gar keine Ahnung hätte.

Herr Born mußte nochmals kräftig gegen die Scheibe pochen, ehe der elegante Jüngling aufsah und dann allerdings sehr diensteifrig öffnete.

„Wo waren Sie denn, Herr Schmidt?“

Der junge Mann senkte etwas verschämt das blonde Haupt.

„Ich war mal draußen, Herr Baron.“

„So – das hat aber ‛n bißchen lange gedauert! Ich stehe ja hier schon ‛n Viertelstunde und lauere, bis es Ihnen gefällig ist –“

„Ja, ich bin leider nicht recht auf dem Posten, Herr Born.“

„Dann konsultieren Se gefälligst ‛n Arzt, aber bleiben nicht ‛ne Stunde draußen, verstehen Se mich?“

Der junge Mann wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick ging wieder die Tür und ein Kunde trat ein.

„Na, is die Bude endlich wieder offen?“ rief er ärgerlich. „Was ist denn das hier! Entweder man kriegt seine Zigarre oder man kriegt se nich!“

Der Chef wartete ruhig, bis der Käufer abgefertigt war und den Laden wieder verlassen hatte, dann ging er, ohne einen Ton zu sagen, hinter den Ladentisch und wollte in das Privatzimmer seines Verkäufers hinein.

Aber Herr Schmidt trat rasch vor den Eingang.

„Es ist noch nicht aufgeräumt, Herr Born, es sieht zu unordentlich darin aus!“

„Das ist mir völlig egal! Lassen Sie mich hinein, augenblicklich!“

Dabei wollte er den Verkäufer beiseite schieben, aber der stand wie eine Mauer.

„Ich bitte, Herr Born, wirklich, es ist mir zu genannt – und der N…, das Geschirr ist noch nicht mal ausgegossen!“

„Herr! Wenn Sie nicht gleich da weggehen! – Lassen Sie mich rein oder Sie sind sofort entlassen!“ – –

An diesem Tag hatte ich wieder die Ehre, mit dem Herrn Ministerialrat Pferdebahn zu fahren. Er würdigte mich auch heute der Ehre seiner Unterhaltung und als wir an unsere Ecke kamen, meinte er leutselig:

„Ich muß mir erst noch Zigarren kaufen, am Ende tun Sie das nämliche!“

Dieser so überaus schmeichelhaften Einladung, meinen Rauchbedarf in der Begleitung eines so angesehenen Mannes zu decken, konnte ich mich natürlich nicht entziehen.

Ich sprang ab, unterstützte Herrn von Klettenfeld; wie es sich gebührte, und schritt dann, seinen Worten aufmerksam lauschend, das Endchen an seiner Seite bis zum Zigarrenladen.

Dieser Laden ist, wie gesagt, ebenerdig, und die Parterrefenster vor dem Laden haben ihre Fensterbank etwa in halber Manneshöhe. Wir gingen an diesen Fenstern vorbei, der Herr Ministerialrat und ich, und ich bemerkte rein zufällig, daß die Fenster mit Gardinen verhängt waren. Nur das letzte, das vor dem Laden, in dem der junge Mann wohnte, das stand offen.

Wir waren vielleicht noch fünf Schritte davon entfernt, da kam etwas heraus aus dem Fenster:

Es war sehr voluminös und von einer prächtigen Rundung und in prall anschließende, schwarze Seide gehüllt.

Man sah einen rotchangeant Seidenjupon und eine herrliche Wade im schwarzdurchbrochenen Strumpf, dann auch Arme und einen entzückenden Sommerhut – in der Tat, es war eine Dame, eine richtige Dame, die diesen merkwürdigen Ausgang wählte und sich mit größter Schnelligkeit entfernte.

Wo hatte ich doch diese hohe, junionischen Figur, diese wundervoll geschwungenen Linien schon gesehen? Unwillkürlich sah ich mich nach Herrn von Klettenfeld um.

Und das war noch ein Glück! Der Herr Ministerialrat war leichenblaß geworden, er zitterte und wankte, und er wäre sicherlich hingestürzt, wenn ich ihn nicht noch zur rechter Zeit in meinen Armen aufgefangen hätte.

Der arme Herr! Es war klar, die offenbare und selbst Tageslicht nicht scheuende Unmoral hatte ihn derartig angegriffen!

Aber der Herr Ministerialrat erholte sich bald und bedankte sich in warmen Worten für meine Hilfe. Er reichte mir sogar die Hand zum Abschied – und da hätte ich eigentlich wohl zufrieden sein können, wenn ich nur gewußt hätte, wer die Dame war – die Dame –?