Harald Harst
Band: 340
Von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
Die unheimliche ‚Sechs’.
Man wußte nicht recht, worüber man sich mehr wundern sollte, über die Ausdauer des Drehorgelspielers oder die eisige Hartherzigkeit des elegant gekleideten Gastes am Rande der Kaffeehausterrasse des prunkvollen Hotels in Bulak, dem Flußhafen der Nilstadt Kairo.
Der armselige Bettler mit seiner uralten Drehorgel, dem dressierten Hund und den noch gelehrigeren Affen stand nun schon viele Minuten im grellen Sonnenbrand der Straße und flehte den weißgekleideten Gentleman in allen Sprachen und Tonarten an und ließ seine Tiere stets von neuem ihre Kunststücke machen.
Der elegante Europäer saß im Schatten am Geländer der Terrasse und schaute anscheinend nicht mit einem einzigen Blick auf den winselnden Krüppel, sondern hatte nur Augen für das bunte Hafenbild jenseits der Straße.
Die Terrasse war um diese Nachmittagsstunde nur mäßig besetzt, aber die meisten Gäste warfen dem Greis ein paar Münzen zu…
Nur der eine Fremde nicht, offenbar ein Engländer, denn er hielt die ausgebreitete Times in den Händen und trug in dem sonngebräunten, etwas feisten Gesicht wie eingemauert ein blinkendes Monokel.
Außer ihm benahm sich noch ein zweiter Herr ähnlich geizig und lieblos, ein hagerer Jüngling, der auf der kecken Stupsnase eine schwarze Intelligenzbrille trug.
Die anderen Gäste machten aus ihrem Unwillen kein Hehl.
Die beiden Eleganten focht das nicht im geringsten an.
Der Mann mit dem Monokel enttäuschte die Empörten als erster. Man horchte auf, als er dem Krüppel zurief, was der Hund kosten solle.
Es war ein gelblicher, einfarbiger Terrier, dieser Hund, und er war schmutzig und verwahrlost.
Wimmernd nannte der Bettler eine Summe…
Zehn Pfund, zehn englische Pfund…
Die Gäste hielten fast den Atem an, als der Hartherzige seiner Brieftasche fünf Pfundnoten entnahm, sie zusammenkniff und dem Alten auf den Leierkasten schleuderte.
Der Erfolg war verblüffend, man klatschte Beifall, und ein Kellner holte den Hund nun auf die Terrasse, wo er allgemein gestreichelt und gefüttert wurde.
„He, – – du, – komm’ einmal her!“ Der fade Jüngling hatte es dem Drehorgelspieler zugerufen, und die Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu.
Zu aller Erstaunen wiederholte sich nun genau dasselbe Schauspiel. Der sonnengebräunte blasierten junge Herr kaufte den Affen für dreißig Pfund.
Als ob der Krüppel, der einen Buckel und ein Holzbein hatte, befürchtete, daß seine Wohltäter ihre Großmut bereuen könnten, humpelte er nun schleunigst davon…
Der Herr mit dem Hund zahlte seine Zeche, ließ ein Auto holen und stieg mit dem zutraulichen Tier ein. Der Wagen rollte von dannen, und auch der Jüngling mit dem Affen blieb nicht mehr lange, sondern winkte einer Maultierdroschke herbei und entschwand nach der entgegengesetzten Richtung.
Mehr im Hintergrund der Terrasse saß ein jüngerer, vornehmer Ägypter in einer Art Sportanzug und hatte von all diesen Vorgängen sich nichts entgehen lassen. Er besaß schmale, scharfe Züge und seine Haltung verriet den Militär in Zivil.
Auch jetzt, nachdem das Maultiergespann sich in Bewegung gesetzt hatte, behielt er die Gäste unauffällig im Auge, und als einer der Gäste, der dem Äußeren nach wohl ein Armenier sein konnte, schnell zahlte und gleichfalls ein Auto bestieg, erhob er sich, ging bis zum Geländer und zündete sich hier eine Zigarette an, wozu er fünf Zündhölzer verbrauchte. Erst das letzte fing Feuer.
Der Ägypter überblickte den Kai, der hier einige neuere Gartenanlagen hatte, und stutzte unmerklich, als hinter einem Stapel Fässer eine Radlerin auftauchte, die eiligst dem Armenier folgte.
Er warf seine Zigarette weg, nahm eine neue aus seinem Etui und verbraucht vier Zündhölzer zum Inbrandsetzen.
Einige Arbeiter, die neben zwei Lastautos im Schatten gesessen hatten, wurden jetzt plötzlich lebendig, und die Wagen ruckten an.
Der junge Ägypter hatte sich die Gesichtszüge der Radlerin genau eingeprägt. Es war eine Europäerin gewesen mit blondem Haar und schlanker Figur, nicht mehr ganz jung. Er wunderte sich, hier bei dieser Gelegenheit auf ein im gänzlich fremdes Gesicht zu stoßen, denn er mußte es am besten wissen, daß die Blonde nicht zu den berüchtigten ‚6’ gehörte, die ihm so viel Unruhe brachten. In Gedanken freilich sagte er sich, daß die Angelegenheit der ‚Sechs’ noch zu ungeklärt sei, um mit aller Bestimmtheit die Radlerin als Gegenpartei der Berüchtigten ansehen zu können. Dazu lagen die Dinge noch viel zu sehr in den allerersten Anfängen. Wenn er und seine Freunde trotzdem schon jetzt die weitgehendsten Vorsichtsmaßregeln anwandten, so entsprach das nur der stets sorgfältig durchdachten Arbeitsmethode des verkrüppelten Drehorgelspielers, den verschiedene Kleinigkeiten, die anderen wahrscheinlich entgangen wären, rechtzeitig gewarnt hatten.
Mit Gegnern wie den ‚Sechs’ war nicht zu spaßen, und bei geringerer Wachsamkeit wäre Kairo wohl um ein paar unaufgeklärten Morde reicher geworden.
Der Ägypter nahm wieder Platz und beobachtete nun die schneeweiße Schonerjacht, die da drüben im Fluß vorgestern Anker geworfen hatte.
Sie hieß ‚Südstern’ und führte die deutsche Flagge. –
Der Armenier hatte mit seiner Verfolgung des blonden Jünglings wenig Glück, da ein Lastauto seine Taxe anrempelte und es sofort zu einem großen Auflauf von Neugierigen kam. Auch die Radlerin geriet in die Menschenmenge, und so entging der junge Gentleman mit dem Affen auch ihr, während andererseits nun zwei eingeborene Motorradfahrer ihr unbemerkt auf den Fersen blieben.
Das alles spielte sich zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags ab. –
Sehen wir zu, was der Krüppel tat, der hier mit die Hauptrolle gespielt hatte. Ihm war niemand gefolgt, und eiligst wanderte er den finstersten Vierteln von Bulak zu, bis er einen ehemaligen mohammedanischen Friedhof erreichte, der sehr dicht mit Bäumen bestanden war. Innen an der Mauer dieses Friedhofs neben einem unscheinbaren Holzpförtchen erhob sich die frühere Pförtnerbehausung mit angeklebter winziger Moschee.
Der Drehorgelspieler blickte sich um, die Gasse war völlig leer, gegenüber dem Friedhof lag ein Warenspeicher, – der Bucklige schloß die Pforte auf, schlüpfte hinein und betrat das baufällige Häuschen. Das Zimmer, in dem er jetzt sein Holzbein abschnallte und ebenso den künstlichen Buckel entfernte, war überraschend modern eingerichtet, halb Büro, halb Speisezimmer.
Der Mann, der nun ganz normal beide Beine benutzte, zündete sich zunächst einmal eine Zigarette an und setzte sich dann an den Schreibtisch, der ein sehr geschickt verborgene Geheimtür hatte. Er entnahm dem geöffneten Fach ein dünnes Heft, dessen Seiten mit Schreibmaschine beschrieben waren, und las nochmals die wichtigsten Stellen des Rundschreibens des unlängst insgeheim gegründeten Bundes der Polizeichefs der Geheimen politischen Polizei der Großstaaten.
„Ansicht Lord Hastings, London. – Die Gerüchte von einer Geheimorganisation von sechs der reichsten Asiatischen zur Zerstörung der abendländischen Kultur und Ausdehnung der Herrschaft Asiens über ganz Europa sind auch zu mir gedrungen. Zweifellos hat diese Organisation die große Arbeitslosigkeit in Australien – als Schlag gegen das englische Mutterland hervorgerufen. Wir sind auf Unteragenten eines unbekannten Syndikats gestoßen, das mit ungeheuren Geldmitteln arbeitet. Nie gelang es uns, Hauptagenten festzunehmen, die etwas Bestimmtes wußten. Selbst die verhafteten Unteragenten wurden bald nach ihrer Entlassung zumeist irgendwo tot aufgefunden.“
„Bericht Baron Sagellettes, Paris. – Der nächste Vorstoß der ‚Sechs’, an deren Existenz ich nicht zweifele, wird sich bestimmt gegen den Suezkanal, Ägypten und die nordafrikanischen Kolonien richten. Die Sabotageversuche an den Kanalschleusen sowie das Auftauchen von Agenten in Tunis, die gleichzeitige Rebellion mehrerer Nomadenstämme und die Meuterei unter der Fremdenlegion sind bedenkliche Sturmvorzeichen. Ich halte ein Zusammengehen mit der ägyptischen Regierung nicht nur für vorteilhaft sondern unbedingt nötig.“
… Der Mann, der dies soeben überflogen hatte, lehnte sich im Schreibsessel zurück, überlegte und schrieb dann mit Tintenstift auf die leeren letzten Blätter des geheimen Kampfberichts gegen die ‚Sechs’:
„Ich, Harald Harst, und meine Freunde Schraut und Fred Steen befanden uns noch in Chartum, wo wir gerade die weiße Schlange unschädlich gemacht hatten, als unser zum Oberst und Chef der gesamten politischen Geheimpolizei beförderter Bekannter Ali Mansur eine Chiffredepesche erhielt, die ihn schleunigst nach Kairo rief und ihm seine neue Aufgabe kurz auseinandersetzte: Kampf gegen die ‚Sechs’. Er bat um unsere Unterstützung, die wir ihm zusagten, worauf er vorausreiste, um hier in Kairo Vorbereitungen zu treffen.
Schon in Chartum merkte ich am nächsten Tag, daß wir sehr geschickt beobachtet wurden.
Wir reisten gleichfalls ab, und kurz vor Kairo erfolgte auf dem von uns benutzten Dampfer in der Nähe unserer Kabine nachts eine schwere Explosion, die fünfzehn Tote forderte und das schwer beschädigte Schiff zum Sinken brachte.
Wir entkamen schwimmend unter Verlust unseres Gepäcks und trafen erst in der Dunkelheit hier ein. Wir trafen Mansur, der uns hierher führte. Von ihm erfuhren wir, daß unsere Namen mit auf der Verlustliste standen. Er führte uns in dieses Versteck und konnte mir melden, daß mein Gedanke, die einlaufenden Schiffe zu überwachen, bereits den Erfolg gehabt habe, daß er auf eine Privatjacht namens ‚Südstern’ aufmerksam geworden sei, die angeblich einem deutschen Bankier namens von Rotten gehöre, jedoch nur Inder und Japaner als Besatzung an Bord habe.
Die vorsichtige Beobachtung von Rottens, der äußerlich einem Armenier gleich, ergab ebenfalls einige Verdachtsmomente, da Herr von Rotten es vermied, die ägyptische Hauptstadt selbst zu besuchen und nur zuweilen auf den Hotelterrasse des Hotel ‚Giseh’ in Bulak anzureffen war.
Heute am 22. September nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr habe ich Schraut und Steen mit Hilfe der Drehorgel gewisse Winke erteil, wie sie sich fernerhin verhalten sollen. Ihre in die Banknoten eingewickelten Berichte besagen nicht viel. Schraut und Steen wohnen unter anderen Namen in verschiedenen Hotels in Kairo.
Bisher ist durch nichts erwiesen, daß die Jacht ‚Südstern’ und ihr Besitzer etwa mit den ‚Sechs’ zu schaffen haben, lediglich ein Argwohn gegen Herrn von Rotten, den Inhaber eines der größten Bankinstitute Berlins, erscheint am Platz, zumal die Mutter von Rottens eine Inderin aus dem Radschputen-Staaten gewesen ist. –
An der Existenz der Geheimorganisation der ‚Sechs’ zweifle ich nicht, ebensowenig daran, daß das Attentat auf dem Nildampfer uns galt. Ich lobe die ägyptische Regierung, die weder die Beförderung des sehr intelligenten Ali Mansur noch seine Rückberufung bekannt gegeben hat. Angeblich ist Mansur drunten im Süden in Faschoda.“
Harst legte den Bleichstift weg.
Ein gelber schmutziger Hund und ein Affe mit buntem Jäckchen schossen durch die Tür herein und überhäuften ihn mit Liebkosungen. Hinter den Tieren erschienen drei ärmlich gekleidete, fast allzu bärtige Eingeborene.
Wir begrüßten uns, dann ordnete Harst an:
„Stecken Sie Minz in die Bütte, Fred, und waschen Sie ihm die gelbe Farbe ab. Der arme Kerl sieht zu unecht aus.“
Oberst Mansur, er war bei der Rückberufung nach Kairo für seine Erfolge in Chartum befördert worden, lächelte. „Haben Sie keine anderen Sorgen, lieber Harst? – Nein? Dann will ich Ihnen welche aufbürden… Meine Leute haben eine Geheimagentin entdeckt, die entweder hinter Steen oder hinter Rotten her war – auf einem Rad. Sie heißt Anni Sander und wohnt in einer deutschen Pension in einer Seitengasse unweit des Hauptbahnhofs…“
Harald nickte gleichgültig und entnahm seiner Brieftasche eine Momentphotographie, die auch ich noch nicht kannte.
„Ist das diese Anni Sander?!“
Mansur bejahte sofort.
Harst erklärte dann: „Diese Anni Sander hieß auf dem Nildampfer ‚Chedive’, der nun ein Wrack ist, Miß Ann Andersen, Engländerin. Sie hatte uns schon in Chartum aufs Korn genommen, und die Explosion auf der ‚Chedive’ könnte ihr Werk sein – – fünfzehn Tote!! Etwas viel, lieber Mansur. – Sie sehen aber, wie nützlich unsere heutige Maskerade gewesen ist. Nur Steen können wir nicht mehr recht brauchen, eine solche Stupsnase ist in Ägypten selten, und Herr von Rotten angelte offenbar nach dieser Nase.“
Fred Steen brummte etwas unliebenswürdig und sperrte den Terrier Minz draußen in der Küche ein.
2. Kapitel
Das Monokel und die Schnüre.
Der Terrier Minz und der Affe Jumbo waren Andenken an die weiße Schlange. Sie waren nach der Explosion auf dem Nildampfer von uns mit an Land gerettet worden und sollten nun bei dem Kampf gegen die ‚Sechs’ eine wichtige Rolle spielen. –
Wir saßen beieinander und berieten.
Harald betonte, daß von Rotten sich heute die erste gröbere Blöße gegeben hätte, indem er Fred zu verfolgen suchte.
„… Lieber Mansur, – eine oder besser zwei Fährten haben wir nun. Ich schlage Folgendes vor…“
Der Chef der Sonderabteilung stimmte allem zu, und gleich darauf verließen wir die Tarnbehausung, schlichen über den ehemaligen Friedhof und gelangten bald in ein anderes Gebäude, in dessen Erdgeschoßräumen – nur vier – seit gestern sich neu eine Firma etabliert hatte, eine Zigarettenfabrik, deren sechs Arbeiter und drei Büroangestellte sämtlich Beamte der geheimen Polizei waren. Hier kleideten wir uns um, und ich begleitete Fred dann zunächst zu seinem Hotel, wo…
Aber das muß ich eingehender schildern.
Das Hotel – den Namen will ich besser verschwiegen – war ein ganz neuer moderner Bau, der sich architektonisch in die Umgebung gut einpaßte. Wir benutzten den Fahrstuhl, und oben im dritten, etwas bescheideneren Stockwerk angelangt schloß Fred die Tür seines Zimmers auf und öffnete auch die Innentür. –
Das Attentat auf dem Nildampfer hatte mich, ganz gegen meine sonstige Natur überaus mißtrauisch gemacht, fast schon krankhaft mißtrauisch. Als Fred eintreten wollte, hielt ich ihn zurück.
„Warten Sie noch!“ flüsterte ich…
Ich griff nach seinem wunderbar dekorativen Tropenhelm und rollte diesen in das Zimmer hinein, als ob er Fred vom Kopf gefallen wäre.
Gegenüber der Tür stand ein hoher breiter Kleiderschrank.
„Bücken Sie sich, – schnell hinter den Schrank, Fred!“
Unser Famulus ist nie begriffsstutzig gewesen.
Mit zwei Sätzen war er hinter dem Tropenhelm her in Deckung, und wie richtig ich gehandelt hatte, zeigte schon die nächste Sekunde.
Ein dumpfes Plopp, nochmals derselbe Ton, Schüsse mit Schalldämpfer. Fred stürzte der Länge nach auf den Teppich, zuckte schauspielerisch gekonnt mit den Beinen und lag still, lag aber so, daß er dem Bett, woher die Kugeln gekommen waren, dem Rücken zukehrte.
Er grinste…
Ich konnte das sehen, die beiden feinen farbigen Gentlemen, die jetzt die Innentür schnell schließen wollten, jedoch nicht. Sie hatten mich nicht bemerkt, und als sie erstarrt vor Schreck in die Mündung meiner Pistole glotzten, schnellte Fred empor und schlug rücksichtslos zweimal zu.
Fred Steen war jung, gewiß, noch nicht neunzehn. Doch in den acht Monaten gemeinsamen Wirkens bei uns hatte er unendlich viel gelernt. Er schlug eine Handschrift, die überzeugender war als ein Haftbefehl, und auf Genickhiebe war er besonders erpicht.
Die unvorsichtigen Schützen, es mochten Japaner sein, lagen wie schlappe Puppen am Boden, die Augen verdreht. Ich verriegelte die Tür von innen, und die Gardinenschnüre genügten, den Herren jede Lust an unerlaubten Bewegungen zu benehmen. Wir räumten ihnen die Taschen aus, sehr gründlich, aber wir fanden außer den üblichen Dingen nicht einen Fetzen Papier. Nur eins fiel mir auf: Sie trugen beide in der einen Tasche des Westengürtels Monokel an dunkelbrauner Seidenschnur, und als ich aus altem Instinkt die Monokel (randlos) in das Licht hielt, erblickte ich darin über die ganze Glasfläche kaum merklich nur wie eine Trübung eingeschliffen eine Figur. Es gehörte nicht viel Intelligenz dazu, die sechs Striche als eine ‚Sechs’ zu deuten.
Inzwischen hatte Fred die etwas verdröhnten Herrschaften auf das Bett gelegt. Sie waren wieder leidlich bei Sinnen. Daß sie mir auf Fragen nicht antworten würden, wuße ich, trotzdem tat ich so, als hielte ich sie für einfache Banditen. Daß ich die Monokel mir betrachtet hatte, konnten sie nicht beobachtet haben.
Wir deckten die Steppdecken fein säuberlich über ihre wehrlosen Körper, steckten alles zu uns, was sie besessen hatten, Fred packte seine Sachen, und ich rief derweil die Zigarettenfabrik ‚Rumeli’ an. Dies war die neu eröffnete Fabrik mit den merkwürdigen Angestellten.
Bereits dreißig Minuten später erschienen vier Dienstmänner mit zwei großen Schrankkoffern, die für Mr. Oderson (Fred) abgegeben werden sollten. Aus dem einen stieg Mansur in tadellosem Weißdreß heraus, und wieder Minuten später zahlte Fred seine Rechnung.
Wir nahmen eine Autotaxe, das Gepäck kam auf eine zweite, und als wir am Hauptbahnhof vorüber fuhren, erfolgte das, was uns die Gefährlichkeit der ‚Sechs’ noch deutlicher als bisher zeigte.
Ein großes Privatauto streifte unseren Gepäckwagen, schleuderte ihn zur Seite, sauste weiter, und ehe wir noch recht begriffen hatten, sickerte schon aus dem einen der Schrankkoffer ein dünner roter Quell hervor.
Nicht weniger als acht Einschlaglöcher saßen in jedem der Koffer, und dabei war der elegante Privatwagen nur mit zwei verschleierten Damen besetzt gewesen.
Mansur befahl dem Schofför schleunigst weiterzufahren, bevor die Menschenansammlung noch größer wurde. Von einer heimlichen Eskorte von Radlern gesichert, nahmen wir die Richtung nach Bulak, setzten über die – jetzt ersetzte – Pontonbrücke und verloren uns in dem Gassengewirr der Altstadt. Die Taxenschofföre, die Dienstmänner, – alles waren Beamte der Geheimpolizei und zwar ausgesuchte Kräfte.
Wir hatten mit größter Aufmerksamkeit keinen Verfolger mehr bemerkt, trotzdem empfing uns Harst in der Zigarettenfabrik mit sehr langem Gesicht…
„Ihr seht nun selbst, wie diese Leute arbeiten,“ meinte er beim Öffnen der Koffer. „Richtet euch danach!“
Die beiden Japaner waren tot.
Während ich Harald die Monokel zeigte, telephonierte Mansur, der in Kairo so gut wie unbekannt war und nach außen hin als einfacher höherer Polizeioffizier Dienst tat, mit der Polizeidirektion und gab Anweisungen, ein hellgraues Auto, Modell Packard, suchen zu lassen. Sein zweiter Befehl lautete, meine Sachen in aller Stille aus dem Hotel abzuholen und die Rechnung zu begleichen.
Angesichts der beiden Koffer mit den erschossenen Agenten der ‚Sechs’ erörterten wir die Lage nochmals auf das gründlichste. Unser Vertrauen zu uns selbst und zu unseren bisherigen Maßnahmen war auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Nur die Monokel bildeten einen geringen Lichtblick. Harald wies darauf hin, daß die blauen Seidenschnüre der Gläser je zwei mit eingewebte weiße Fäden hätten, und er folgerte daraus, daß die Organisation der ‚Sechs’ in Untergrade eingeteilt sei, die einander wahrscheinlich nicht kannten. Je höher der Grad, meinte er, desto mehr weiße Fäden in den Seidenschnüren.
Mitten in diese bitterernste Beratung hinein platzte ein kleiner verlauster Straßenjunge, der einen Brief abgeben sollte, den ihm eine unbekannte Dame ausgehändigt hätte – für die Zigarettenfabrik ‚Rumeli’.
Mansur öffnete den flüchtig zugeklebten Umschlag.
In deutscher Sprache stand auf dem Zettel:
Herr Harst, bisher ist ihr Schlupfwinkel nicht entdeckt worden. Belästigen Sie mich bitte nicht, da wir dem gleichen Ziel zustreben. Herr von Rotten ist nur eine Strohpuppe und hat nur fünf weiße Fäden in der bewußten Schnur. Als Herr Schraut am Fenster des Hotels das Monokel prüfte, beobachtete ich ihn durch ein Fernglas. Ich habe meine Wohnung bereits gewechselt.
A. S.
A. S. – ?!
Das konnte nur Anni Sander heißen.
Wer war das?! –
Wir blickten uns unsicher an.
Daß Anni Sander, die Radlerin, unser Doppelquartier hier am Friedhof kannte, gefiel uns allen nicht.
Harald zuckte die Achseln. „Weiber sind, sagt man, die geschicktesten Spioninnen… Nur – – die meisten sind im Weltkrieg gefaßt worden… Es fehlt der Frau im allgemeinen eine Eigenschaft für diesen Beruf: Absolute Hingabe an die Sache!“
Nachher wurden die Toten in aller Stille auf dem Friedhof verscharrt. Sie waren photographiert worden, und die Bilder wanderten in den Tresor der Zigarettenfabrik.
Beim Abendessen warf Harst eine sehr treffende Bemerkung in die spärliche Unterhaltung: „Wir sitzen hier wie die Füchse im vielleicht belagerten Bau. Anni Sander kann auch ein Monokel mit eingeschliffener ‚6’ aus sechs Strichen haben… Vorsicht ist geboten.“
Oberst Mansur nickte tiefsinnig. Die einzig vergnügten waren Minz und der Affe, der Hund nun wieder dreifarbig.
So wurde es elf Uhr. An schlafen dachte niemand. Wir hatten bisher nur Niederlagen erlitten, die Monokel halfen uns nicht viel, und alle Vorschläge und Pläne zerrannen vor der unumstößlichen Tatsache, daß die ‚6’ auch hier in Kairo schon zahlreiche Helfer besaßen.
Dann schrillte das Telephon.
3. Kapitel
Das Jussuf-Schloß.
„Rumeli!“ meldete sich Mansur mit dem Erkennungswort, das für heute mit der G-Abteilung des Ministeriums vereinbart war, um jede Täuschung zu verhüten.
Mansurs Gesicht nahm einen immer gespannteren Ausdruck an. „Harst, bitte, hören Sie mit,“ flüsterte er schnell. „Es ist eine Frauenstimme…“
Harald stellte sich dicht neben ihn. – Wie Fred und ich nachher sofort erfuhren, war es abermals Anni Sander. Sie hatte sich irgendwo und irgendwie in die Leitung eingeschaltet und sprach in aller Eile. Ihre Mitteilungen gaben den Dingen eine völlig neue Wendung.
„Oberst Mansur, ich glaube nun das Haupt der ‚Sechs’ entdeckt zu haben. Es ist eine Frau, offenbar ein Mischblut, ich beobachtete sie zufällig im Teeraum des Pyramiden-Hotels, weil ihre Erscheinung mir auffiel – eine Erscheinung von pikantestem Reiz und in allem Weltdame. Sie trägt ein Monokel an völlig weißer Seidenschnur. In ihrer Begleitung befanden sich drei mir unbekannte Inder, soeben haben diese außerhalb der Stadt Reitdromedare bestiegen und sind an den Steinbrüchen des Dschebel el Ahmar vorüber auf die Straße eingebogen, die nach dem versteinerten Wald gen Osten läuft. Ich kann ihnen nicht sofort folgen, vermute aber, daß irgendwo in der östlichen Bergwildnis eine Zusammenkunft der ‚Sechs’ stattfinden wird. Sie dürfen mir durchaus vertrauen, – nur in wessen Diensten ich arbeite, kann ich Ihnen nicht verraten.“
Damit war die Meldung beendet.
Sie wirkte auf unseren kleinen Kreis wie eine Kampferspritze.
Mansur schickte zwei der Beamten fort, damit sie alles Nötige vorbereiteten.
Dann rasselte abermals das Telephon. Die neue Meldung kam aus dem Ministerium, G-Abteilung:
„Das graue Packard-Auto gefunden. Gehört einem Autoverleiher. War heute gegen Hinterlegung der Wertsumme an eine ältere Engländerin namens Miß Mary Jones verliehen. Weder Mary Jones, wie festgestellt noch ihre Schwester, bisher Pyramiden-Hotel, auffindbar. Abends abgereist. Ziel unbekannt.“
Wir befanden uns noch immer im Büroraum der Zigarettenfabrik. Harst und ich eilten jetzt über den Friedhof nach dem Pförtnerhäuschen, um unsere Waffen und anderes zu holen. Mein Gepäck war inzwischen eingetroffen, und die drei Beamten, die das Haus bewachten, halfen uns.
Alles ging im Fluge. Ein paar Tassen stärksten Kaffees pulverten uns noch mehr auf, und zwei Autotaxen brachten uns gegen drei Uhr morgens quer durch das schlafende Kairo bis außerhalb der letzten westlichen Straßenzüge in die kahlen Berge hinein.
Auf der Straße nach dem versteinerten Wald, einer der Sehenswürdigkeiten für Touristen, hielten zehn Dromedare und acht Maultierwagen, eine harmlose kleine Handelskarawane.
Acht der Dromedare waren allerbeste Reittiere, Mansur nahm noch vier erprobte Männer mit, und im Trab verschwanden wir in den immer flacher werdenden öden Tälern, wo nur an wenigen Stellen kleine Gehöfte mit armseligen Feldern lagen.
Harst, wie wir alle zweckmäßig als Eingeborene verkleidet, ritt mit einem ortskundigen Beamten voraus.
Die Nacht war hell und sternenklaren, windstill und sehr heiß. Das Klappern der Dromedarhufe klang wie das rhythmische Gerassel von Kastagnetten. Auf den Felsen neben dem Weg hockten Aasgeier und vereinzelte Raubvögel. Wir begegneten nur wenigen Einheimischen, die bereits mit ihren ländlichen Erzeugnissen zu den Märkten Kairos unterwegs waren. Zweimal bestätigten uns diese, daß sie vier Dromedarreiter getroffen hätten, fremde feine Effendis…
Die Gegend wurde Wildnis, – plötzlich stockte unser Troß, abseits von der Straße waren aus einer kleinen Schlucht ein paar Geier hochgeflattert, denen das Geheul der Schakale folgte.
Harst stieg ab und winkte mir. Wir hatten nur fünfzehn Schritt zu gehen, um in die Tiefe blicken zu können – dort unten in dem Geröll lag ein Dromedar, das erst vor kurzem erschossen worden sein mußte, trotzdem von dem Raubzeug bereits übel zugerichtet worden war.
Mansur gesellte sich zu uns.
Harald, der den Boden in weitem Umkreis ableuchtete, deutete stumm auf einige Glassplitter und auf ein Stückchen des Gummiabsatzes eines Frauenschuhs.
„Anni Sander – – ein Monokel, Mansur… Man hat die Geheimagentin geschnappt… Betrachten Sie das Stück Gummiabsatz, – das ist keine Schnittfläche, das ist von einer Kugel wegrasiert worden… – Schraut, hole Minz.“
Herr Terrier Minz war empört, daß man ihn und seinen Freund in einen Ledersack auf eines der Maultiere verfrachtet hatte. Minz besaß das Selbstbewußtsein eines reinrassigen Hundes und nebenbei hing er mit rührender Treue an seinem neuen Herrn.
„Minz, – – such!!“ befahl Harald und hielt ihm ein Stück des zerschellten Monokels unter die Nase, an dem noch ein Endchen völlig weißer Seidenschnur hing.
Der Terrier lief knurrend hin und her, sein vorgereckter Stummelschwanz zitterte vor Eifer, und Jumbo hopste hinterdrein. Minz fand die Fährte, kehrte zur Straße zurück, und da er nun die richtige Witterung hatte, konnten wir uns auf ihn verlassen.
In noch schärferem Trab ging es weiter, bis nach einer halben Stunde der Terrier rechts abbog, wo ein wenig benutzter Karawanenpfad gen Süden den hohen Felsenmassen des Dschebel Mokattam zustreckte, gleichzeitig auch dicht an dem sogenannten ‚kleineren’ versteinerten Wald vorüberlief.
Der ortskundige Beamte machte jetzt halt und erklärte, daß etwa eine halbe Meile vor uns in einem der fruchtbaren Täler das uralte Schloß des Mohammed Jussuf-Bey liege, der seinen Besitz schon vor längerer Zeit an einem einsiedlerischen englischen Effendi verkauft habe, einen Lord Fitzmoor. Da der Tag bereits anbreche, betonte er, würde unsere Karawane von dem burgähnlichen Schloß des inzwischen verstorbenen Jussuf-Bey bestimmt bemerkt werden. Er selbst habe dem Engländer seit langem mißtraut, und er rate dringend, vom Weg abzubiegen.
Mansur fragte grade heraus: „Du glaubst, daß das Schloß das Ziel der Monokelleute sein könnte.“
„Jawohl, Oberst… Wenn sich ein Platz zum Verschwörernest eignet, ist es das sogenannte Jussuf-Schloß.“
Wir beschlossen, die Lasttiere unter Bewachung in einem Seitental zurückzulassen und nur zu fünfen auf Umwegen weiterzureiten. Minz war äußerst mißvergnügt, daß er die verfolgte Fährte aufgeben mußte, und daß Harst ihn sogar an die Leine nahm.
Es wurde jetzt sehr schnell hell geworden. Unser Führer ritt voran, und nach etwa vierzig Minuten befanden wir uns in einer engen Schlucht, wo wir abstiegen, den Dromedaren Futter und Wasser gaben. Dann kletterten wir die Südostseite der Schlucht hinan, und schoben uns zwischen großen Felsbrocken vorsichtig weiter.
Mit einem Mal öffnete sich vor uns eine Fernsicht, ein wundervolles Panorama: Hundert Meter unter uns lag das stark bewaldete Tal, dahinter türmten sich nach Südwest die höchsten Kuppen des Dschebel Mokattam auf, und drüben an der anderen Talseite lag auf einem mächtigen Steinwürfel der trutzige Felsenbau dieser alten Festung, – denn der Name Schloß traf hier kaum zu. Mohammed Jussufs Ahnen hatten in der Geschichte Ägyptens stets eine zweifelhafte Rolle als Aufwiegler gespielt, und noch vor fünfzig Jahren etwa war das Jussuf-Schloß sogar mit Kanonen beschossen worden und die beiden Wachtürme oberhalb des Schlosses halb in Trümmer gelegt worden.
Diese Raubburg dort war nichts als ein Steinkasten aus ungeheueren Felsblöcken mit schmalen Schießscharten. Selbst mit dem Fernglas bemerkte man in dem ganzen grünen Tal keinerlei Leben. Der einzige Zugang zum Schloß, belehrte uns der Führer, liege uns abgekehrt auf der anderen Seite: ein etwa meterbreiter Felsengrat, der vom westlichen Wachturm hinüberlief.
Diese Turmruinen, gleichfalls auf Felsenwürfeln errichtet, waren von einigen Palmen umstanden, und zwischen ihnen entsprang einer senkrechten Wand die größte Sehenswürdigkeit dieser wasserarmen Einöde: eine leicht salzhaltige Quelle, die als Sturzbach in die Tiefe stäubte und unten einen kleinen See bildete, der sich bis zum Schloßfelsen hinzog.
Wie gesagt: nichts Lebendiges rührte sich hier. Es war kaum ein Vogel zu sehen. Über dem grünen Paradies Lord Fitzmoores ruhten eine bedrückende Stille und verfängliche Abgestorbenheit, so daß der erste erfreuliche Eindruck des Landschaftsbildes vollkommen ausgetilgt wurde. Man witterte förmlich, daß hier Dinge vorgingen, die das Licht des Tages scheuten.
Harst lag neben mir in Deckung. Mansur links von ihm. Das Felsenkastell, ein plumper Würfel mit kleinen Ecktürmchen, bot uns seine Nordostfront dar, und Harst blieb es vorbehalten, an diesen glatten Mauern und der ebenso glatten Steinwand, die ohne Absatz ineinander übergingen, eine Beobachtung zu machen, die uns eine unumstößliche Gewißheit gab: Lord Fitzmoore mußte einer der unheimlichen ‚Sechs’ sein, denn Kastellmauer und Felswand zeigten bei scharfem Hinsehen ein unauffälliges riesiges Zahlenbild aus sechs Strichen: Eine sechs, genau wie auf dem schlau gewählten Erkennungszeichen, den Monokeln.
Jemand, der von dieser Sechs aus sechs Strichen nichts wußte, hätte das Riesensiegel der Geheimorganisation dort oben an Mauer und Felsen nie bemerkt.
Mansur war verblüfft.
„Eine Frechheit, mit dem Zeichen derart zu prunken!!“
Harald meinte nur: „Bedenken Sie, die Leute sind überzeugt, niemand würde je in einem Monokel und der dazu gehörigen Seidenschnur eine Verschwörererkennungsmarke vermuten. – Was nun Mansur?“
Der Chef der G.P.P. erwiderte sofort: „Wir bleiben hier… Ali“ – das war der Führer – „holt aus Kairo hundert Mann berittene Polizei herbei, und dann durchsuchen wir der Schloß. In fünf Stunden können die Beamten zur Stelle sein.“
Harst lächelte etwas. „Versprechen Sie sich davon wirklich Erfolg?! Zunächst werden Sie in der Burg nicht einen Fremden vorfinden. Dann aber warnen Sie die ‚Sechs’, und Sie werden sie nie fassen. Nein, Mansur, mit den Methoden erreichen wir nichts.“
„Und Ihre Methode, Harst?“
„Abwarten… Wir haben Lebensmittel mit, wir dürfen hoffen, bisher nicht bemerkt worden zu sein, wir wollen auf die Dunkelheit bauen…“
„Und Annie Sander?!“
„Die Geheimagentin ist entweder tot, dann nützt ihr unser vorschnelles Eingreifen nichts, oder sie wird im Jussuf-Kastell gefangen gehalten, – – dann werden wir sie schon herausholen…“
Er wollte noch mehr hinzufügen…
Aber Minz, der schon eine ganze Weile laut schnüffelnd die Luft eingesogen hatte, drängte jetzt nach links hinüber, fletschte die Zähne, und Jumbo, der Affe, verriet eine ebenso starke Erregung…
4. Kapitel
Annie Sander.
Dort links lagen Felsstücke wirr übereinander.
Harst gab mir Minz’ und Jumbos Leine zu halten, entsicherte seine Pistole und kroch in die Felsen hinein.
Seine Beine blieben sichtbar, und seine gedämpfte Stimme klang plötzlich scharf und befehlend, nachdem er dort mit irgend jemandem geflüstert hatte. Dann ein Zuruf von ihm, der uns galt:
„Folgt mir einzeln, der Zugang ist sehr schmal.“
Innerhalb der Felsgruppe befand sich ein geräumiges Versteck, das von außen und oben durch zahlreiche offene Stellen genügen Licht erhielt.
Daß wir ausgerechnet hier die Geheimagentin kennen lernen sollten, hatten wir auch nicht vermutet.
Annie Sander kauerte recht erschöpft am Boden dicht vor einer der Öffnungen. Sie hatte ein schmales, feines Gesicht, und trug heute die Tracht der christlichen Fellachinnen, die in allem dem einer europäischen Bäuerin mit leichtem Einschlag in das orientalische entspricht. Ihre Augen waren dunkel umschattet, und ihre Stimme gehorchte ihr kaum.
Nachdem wir uns neben ihr an den anderen natürlichen Fensteröffnungen postiert hatten, zerstörte sie zunächst unsere Annahme, hier läge ein zufälliges Zusammentreffen vor.
„Ich bin gehetzt und verfolgt worden, und nur mein trainierter Körper überwand die furchtbaren Anstrengungen, da ich gezwungen war, die steilsten Felswände als Weg zu wählen, um die Verfolger abzuschütteln. Ich lag zuletzt dort im Osten auf einer Kuppe, ich mußte Sie sehen, meine Herren, und ich schlich hierher, damit Ihr Hund, Herr Harst, nicht etwa bellte, falls ich mich offen zeigte…“
Harst griff zunächst einmal nach seiner Feldflasche und füllte ihr den Aluminiumbecher, da ihre Hände zu stark zitterten. Sie trank ohne Ziererei ein großes Quantum Whisky, atmete dann tief auf und bat um eine Zigarette. Auch der Wunsch wurde ihr erfüllt. Inzwischen hatte ich bereits gesehen, daß an ihrem linken Schuh ein Stückchen Gummiabsatz fehlte.
Wir warteten nun voller Spannung darauf, daß sie den Schleier ihrer Persönlichkeit lüften würde. Sie mußte ja unbedingt weit mehr über die unheimlichen ‚Sechs’ wissen als sämtlicher Polizeipräsidien der Großstaaten zusammengenommen. Diese Mächte, Japan und Rußland mit einbegriffen, hatten alle mehr oder weniger den völlig unsichtbaren Druck dieser ‚Sechs’ gespürt, und es hatte lange gedauert, bis die Kabinette der geschädigten Staaten herausfühlten, hier einem Gegner gegenüberzustehen, der mit ganz neuen Mitteln die Welt in blutige Flammen stürzen wollte. Doch die Annahme, hinter dieser Geheimorganisation steckten Asiaten, war halb Vermutung, genau so die andere, es handele sich um einen Vernichtungsfeldzug gegen Europa. Man tappte in all diesen Fragen in einem lähmenden Halbdunkel.
Würde diese kühne junge Frau etwas von ihrem Wissen preisgeben?
Wir Männer warteten, bis sie sich erholt hatte.
Und als sie dann sprach, – wie bitter wurden wir enttäuscht. Schon ihre einleitenden Sätze vernichteten alle hochgespannten Erwartungen.
„Meine Herren, wer und was ich bin und wer als Auftraggeber hinter mir steht, darf ich Ihnen nicht mitteilen. Es möge Ihnen genügen, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich damals, als die Attentate auf die Kanalschleusen von Suez erfolgten, zufällig auf dem großen Ostindiendampfer mich befand, der in der einen Schleuse wegsackte und daß ich damals zum ersten Mal auf das eigentümliche Kennzeichen des Monokels stieß und damit auch auf die Schnüre mit den eingewebten Fäden. Das Abenteuerliche hat mich stets gelockt, und aus freien Stücken spürte ich den Monokelbesitzern nach und gelangte schrittweise an die unübersteigbare Mauer, hinter der die wahren sechs Drahtzieher sitzen. Agenten der ‚Sechs’ kenne ich in Menge, – nie führte mich einer von ihnen auf die richtige Fährte. Ich ließ danach in der Weltpresse Artikel erscheinen, die sich mit diesem Problemen beschäftigten, – und ich erreichte mein Ziel: Die Großmächte wurden aufmerksam – und wachsam! Dann trat mein Auftraggeber an mich heran, ohne zu ahnen, daß gerade ich jene Artikel in die Presse lanciert hatte. Meine Geldmittel allein hätten mir die Fortführung meiner Arbeit nicht erlaubt, ich nahm das großzügige Angebot an und fand die Spur des Herrn Karl von Rotten, der mit einigen der Agenten der ‚Sechs’ in Berlin Zusammenkünfte hatte. Rotten war ein unbedeutender, unbekannter Börsenjobber gewesen, doch plötzlich kaufte er die Jacht ‚Südstern’. Ich ermittelte deren Reiseziel, fuhr voraus und weiter bis Chartum, um dort Sie, Herr Harst, als Helfer zu gewinnen. – Mehr weiß ich nicht…“
Harald streckte ihr impulsiv die Hand hin.
„Wenn Sie das Abenteuerliche lieben, vor acht Monaten in Suez waren, und wenn Sie so viel Geschick und Schneid besitzen, können Sie nur eine junge Dame sein: die Tochter des…“
„Bitte, keine Namen!“ rief sie schnell. „Ich bin Anni Sander, Malerin…!“
„Gut, wie Sie wollen, Fräulein Sander…“ Harst schüttelte ihr kräftig die Rechte. „Nur einige Fragen müssen Sie mir gestatten. Offenbar sind doch die Agenten der ‚Sechs’ in Gruppen eingeteilt… Sind es sechs Gruppen?“
„Vermutlich ja. Ich stieß bisher nur auf Seidenschnüre mit der Höchstzahl von fünf weißen Strähnen in dem Blau. Wahrscheinlich bedeutet eine weiße Strähne die unterste Gruppe. Rotten zum Beispiel hat fünf Strähnen.“
„Und jeder der eigentlichen ‚Sechs’ hat nur völlig weiße Seidenschnüre,“ ergänzte Harst und zeigte der Geheimagentin den Scherben des Monokels mit dem Stückchen Schnur.
Sie war sichtlich überrascht und drehte das Glasstück immer wieder hin und her. Dann erklärte sie freudig: „Herr Harst, das ist ein großer Erfolg… Als ich überfallen wurde und mein Tier zusammenbrach, feuerte ich auf die Angreifer… Es waren die vier Leute, von denen ich Ihnen Nachricht gab…“
„Die elegante Dame und die drei Herren…“
„Ja… – – Ich habe also doch getroffen… Einer der vier muß verletzt sein…“
„Die vier,“ sagte Harst mit nachdrücklicher Betonung, „sind zweifellos alle vier ‚Personen mit den weißen Schnüren’, also vier der Oberhäupter, und der fünfte dürfte Lord Reginald Fitzmoore sein, der Sonderling, der Besitzer des Jussuf-Schlosses da drüben. – Sahen Sie Ihre Verfolger dort den Serpentinenweg zum westlichen Wachturm emporsteigen?“
„Nein, Herr Harst, – in dem Punkt irren Sie sich, Lord Fitzmoore hat mit der Sache nichts zu tun.“
„So?! Und die ‚6’ auf sechs Strichen dort an der Mauer?! Schauen Sie einmal genau hin…“
Annie Sander nahm Harsts Fernglas.
Ließ es wieder sinken…
Sie war ganz blaß vor innerer Erregung geworden.
„Endlich!! Endlich!!“
Sie vermochte nur zu flüstern.
„Herr Harst, – – hier, lesen Sie dies‥!!“
Sie zog sehr flink den rechten Schuh aus, öffnete den breiten, derben Lederabsatz, der eine kleine Höhlung hatte, und holte ein Röllchen Papier hervor, einen Zeitungsausschnitte.
„Diese Anzeige fand ich vor einem halben Jahr in einer Berliner Zeitung…“ erläuterte sie kurz.
Der Sechserklub
Unsere nur wohltätigen Zwecken dienende Vereinigung hat nunmehr für kranke Kinder ein Erholungsheim erworben. Wir bitten mildtätige Freunde um Gaben zur Förderung unserer Ziele. Spenden sind erbeten an Karl von Rotten, Berlin W. 9, Adelheidstraße 15, unter Kennwort ‚Schloß am Fitzer Moor’.
Oberst Mansur lachte bissig. „Nicht schlecht: Schloß am Fitzer Moor!! – Fitzmoore!!“
Harst winkte ihm energisch zu.
„Still, – – das erste Lebewesen drüben auf dem Serpentinenweg!!“
Wir schauten durch die Fensteröffnungen…
5. Kapitel
Die Signale mit dem Vorhang.
Nördlich von Bulak, jenseits der großen Eisenbahnbrücke über den Nil, und somit nicht allzufern jener historischer Stätte, wo Napoleon den Engländern die sogenannte Schlacht bei den Pyramiden lieferte, befindet sich auch in einigen halb verschlammten Seitenkanälen des ehrwürdigen Stromes der Schiffsfriedhof von Kairo. Unbrauchbare Fahrzeuge aller Art verfaulen hier im Sonnenbrand oder werden abgewrackt.
Am nächsten Nachmittag gegen fünf Uhr verhandelten hier zwei ältere Europäer mit dem Besitzer einer Abwrackwerft über den Ankauf einer eisernen Brigg, die im Wege einer Zwangsversteigerung vor kurzem den Eigentümer gewechselt hatte.
Der gerissene Ägypter merkte bald, daß die beiden Effendis großen Wert auf den Erwerb des unmodernen Seglers legten, aber er fand in ihnen ebenso gerissene Gegner, und das Geschäft kam dann wirklich zu Stande.
Wenn der Ägypter wirklich ein heller Kopf gewesen wäre, hätte ihm unbedingt auffallen müssen, daß schon eine halbe Stunde drauf die Brigg ‚New Jersey’ nicht nur voll bemannt war, sondern auch schon Lastautos heranrollten, die den Segler mit Kisten und Fässern, angeblich Proviant, beluden. Dann spannte sich ein Schlepper vor den verrosteten Segler, und das Schiff verschwand südwärts.
Der Ägypter hatte ein glänzendes Geschäft gemacht und kümmerte sich nicht weiter um die Sache, zumal die Hafenpolizei so entgegenkommend war, ihm die nötigen Schreibereien abzunehmen.
Der Schlepper brachte die Brigg bis in die Nähe der eleganten Schonerjacht ‚Südstern’, und da der Segler nicht anders ausschaute als hundert sonstige verwahrloste Fahrzeuge, die hier ankerten oder an den Kais lagen, daß ferner die Besatzung sofort eifrigst zu pinseln und zu putzen begann, vermutete niemand, was da in Wirklichkeit auf der ‚New Jersey’ vor sich ging. –
In jeder der Holzkisten hatte ein Beamter der G.P.P. gesteckt, in den Fässern waren Waffen verborgen, und im Laderaum hockten bald fünfzig Leute, die zur Zeit nichts zu tun hatten.
Die beiden weißen Effendis, die neuen Besitzer, trugen nun Schiffsuniformen zweifelhafter Sauberkeit, rauchten Pfeife, fluchten und wetterten und tauschten zwischenein Bemerkungen über den ‚Südstern’ aus, der mit leerem Deck auf der trägen Flut schaukelte. Nur eine einzige Deckwache war zu sehen.
Überflüssig zu sagen, daß wir die Effendis waren und daß der Gedanke des Schiffskaufs von Harald stammte, nachdem wir Oberst Mansur überzeugt hatten, daß polizeiliche Maßnahmen gegen das Jussuf-Schloß nur einen Fehlschlag bedeuten würden.
Was sich inzwischen sonst noch ereignet hatte, werde ich später einflechten.
Uns kam es darauf an, die Vorgänge auf der Jacht aus nächster Nähe und dauernd zu beobachten. Harald hoffte, die berüchtigten sechs unbekannten Führer der Geheimorganisation, die in dem alten Kastell, das wahrscheinlich mehrere geheimen Ausgänge besaß, niemals zu fassen gewesen wären, bei ihrer Rückkehr zum ‚Südstern’ abfangen zu können. Außerdem hatte Mansur noch weitere Vorkehrungen getroffen, die elegante Weltdame nicht mehr aus den Augen zu verlieren.
Es wurde dunkel. Unser Schiffsjunge, ein langer dürrer Negerboy mit schwarzem Krauskopf hatte soeben gemeldet, daß das Abendessen fertig sei.
„Fred“ sagte Harst zu dem imitierten Schwarzen, „du bleibst jetzt hier an Deck und…“
Er verstummt jäh…
Auf dem ‚Südstern’, auf dessen Deck sich einige Matrosen faul herumrekelten waren die Fenster des Hecksalons hell geworden. Die Vorhänge wurden sofort geschlossen, und nur der eine schien nicht ganz in Ordnung zu sein. Er wurde immer wieder hin und her gezogen, und deutlich erkannten wir hinter dem Fenster die Gestalt einer Frau, die sich gebückt hatte und deren Gesicht auch mir auffiel. Es war ein sehr pikantes, reifes Frauenantlitz, und wenn überhaupt noch ein Zweifel möglich gewesen, wer diese Dame sein könnte, so überhoben uns das hin und her pendelnde Monokel an weißer Schnur aller Zweifel.
Jetzt blieben die Vorhänge geschlossen.
Harst pfiff nach alter Gewohnheit leise durch die Zähne.
Er drehte sich um, beschaute das halb hinter uns ankernde Schiff, einen kleinen Küstensegler mit zwei Masten und hohem Heckaufbau, und sagte nur:
„Schlaue Teufel!! Aber nicht schlau genug!“
Auch ich blickte zu dem schäbigen Schiff hinüber. Auf dem Heckaufbau stand ein alter Araber und rauchte Pfeife.
„Signale waren das!“ fügte Harst hinzu.
„Der Fenstervorhang?!“ warf der ‚schwarze‘ Fred ein…
„Ja… Und da wir uns zwischen den arabischen Zweimaster und die Jacht gelegt haben und der alte Kerl dort oben die Heckfenster der Jacht nicht mehr sehen kann, wird…“
Fred ist stets vorlaut. „Die Signale galten dem Alten, Herr Harst?“
„Unbedingt. Er hatte Papier und Bleistift in der Hand, und er wollte die Zeichen notieren. Es sollte mich wundern, wenn die Jacht nicht ein paar Meter vorrückt, damit der Alte sehen kann, was er sehen soll. Merken wir uns auch, es war genau halb zehn, als das Signalisieren begann.“
„Die Setzeier werden kalt,“ klagte Fred, der als Koch sehr empfindlich war, etwas ärgerlich.
Harst schwieg.
Drüben auf der Jacht klirrten die Ankerketten, und das Erwartete trat ein: der ‚Südstern’ schob sich zehn Meter weiter, und gleich begann der Vorhang aufs neue seine Arbeit. –
Von dem alten Araber war nichts mehr zu bemerken. Harst notierte die Zeichen mit, und dann blitzte hinter dem verstaubten Fenster des Küstenseglers eine Laterne auf: Antwortsignale!
Erst um zehn konnte Fred die Setzeier wieder aufwärmen, und Harald zergrübelte sich derweilen über die notierten Morsezeichen den Kopf.
Als jedoch Oberst Mansur trefflich verkleidet um halb elf Uhr bei uns erschien, brachte nicht nur er wichtige Neuigkeiten mit, sondern auch Harst konnte mit mindestens ebenso wichtigen dienen. –
Hier möchte ich nun auf die noch nicht erzählten Ereignisse angesichts des Jussuf-Schlosses zurückgreifen.
Die Gestalt, wie wir hinter der Steineinfassung des Serpentinenweges hinabschleichen sahen, trug nur einen Lappen um die Lenden und in der Hand das Ende einer Kette, die an einen Fußring des völlig verwahrlosten Unglücklichen angeschmiedet war. Der Flüchtling war sehr matt, fast verhungert, und als Harst ihn mit viel Mühe nachher zu uns emporgeschafft hatte, traten wir sofort den Rückweg an, um dem Ärmsten ärztliche Pflege zukommen zu lassen. Der Mann war ein Ägypter, mindestens fünfzig Jahre alt, und einer der Beamten Mansurs erkannte in ihm den seit Monaten spurlos verschwundenen Direktor des ägyptischen Museums wieder: Professor Ben Saud Kendi, der zuletzt auf eigene Faust in den Ruinen von Sakkara Ausgrabungen vorgenommen hatte.
Trotz aller Fürsorge unsererseits verschied der Unglückliche noch auf dem Rückmarsch, ohne uns mehr als nur mit allerletzter Kraft ein paar verständliche Sätze zuflüstern zu können: Wir sollten die Felsenhöhlen südlich von Abusir scharf bewachen, besonders die am Westrand der Hügel.
Kaum, daß wir mit dem Toten in Kairo eingetroffen waren, hatte sich Anni Sanders von uns getrennt. Sie wollte allein und nach ihrer Methode die Ermittlungen fortsetzen, jedoch mit uns dauernd in Verbindung bleiben.
Jetzt nun berichtete Mansur, daß Anni Sander ihn vor drei Stunden angerufen und ihm mitgeteilt habe, sie glaube den Namen der pikanten Dame festgestellt zu haben, im ‚Palast-Hotel’ wohne eine Fürstin Pigmatelli, die sehr wahrscheinlich mit der schönen ‚Sechs’ identisch sei und angeblich zur Zeit für ein paar Tage nach dem Wüstenkurort Heluan gereist sei.
Mansur hatte in kurzem seinerseits ermittelt, daß diese Fürstin in Heluan nirgends abgestiegen war, und daß sie im ‚Palasthotel’ stets ein Monokel an weißer Schnur getragen hatte.
Harst schob Mansur nun zwei Zettel hin. „Bitte, – dies hier signalisierte die Fürstin dem Küstensegler ‚Aleppo’, und dies wurde zurückgemeldet.“ – Er hatte die Morsezeichen doch entziffern können.
Oberst Mansur las, und seine Züge wurden immer starrer. Genau so wie es Fred und mir erging.
Zettel Nr 1. – Gruppe vier hat die drei Deutschen, sowie Oberst Mansur, die am alten Friedhof in der Okbara-Gasse zum Schein die Zigarettenfabrik ‚Rumeli’ eröffnet haben, noch in dieser Nacht ohne jene Rücksicht zu beseitigen. Gruppe zwei und drei übernehmen dann morgen Nacht den Abtransport aus S. – Gruppe eins bleibt mit unserer Agentin der 5. Gruppe Anni Sander nach wie vor in Verbindung.
Zettel Nr. 2. (Antwort von Schmutzkahn ‚Aleppo’) Depeschen aus Berlin, Paris und London eingetroffen. Sturz des Dollars vorbereitet. Ford-Aktien sinken bereits, ebenso Standard-Oil, weitere Brände auf Petroleumsfeldern vorbereitet. – Befehle notiert. Werden weitergegeben.
– Mansur knüllte die Zettel wütend zusammen.
„Harst, da sind wir ja dieser Geheimagentin fein auf den Leim gegangen!!“
„Glauben Sie?! – Nein, Mansur, die schneidige Dame ist in dieser Hinsicht ohne Makel.“
Der junge Chef der G.P.P., der sehr viel Europäerblut in den Adern hatte, war Annis Schönheit gegenüber wohl nicht ganz unempfindlich geblieben.
Harald lächelte ein wenig. „Die Führer der ‚Sechs’ sind eben wahrhaftig teuflisch schlau. Sie kennen ihre Feindin Anni Sander, und sie wissen nur nicht recht, ob wir bereits mit ihr Verbindung aufgenommen haben. Eine Organisation wie die ‚6’ deckt sich nach allen Seiten hin. Sie hat die ganze Welt gegen sich, denn sogar Japan als Hauptmacht in Ostasien will nichts von diesen wahnwitzigen Verschwörern wissen, die sich letzten Endes als ein Syndikat skrupelloser Finanzgewaltiger herausstellen dürften. In weiser Vorsicht flechten sie daher hier in ihre Morsebefehle Anni Sander als ihre Agentin mit ein, wobei sie natürlich von dem Gedanken ausgehen, diese Morsezeichen würden mitgelesen und entziffert, – hier von uns.“
Er verstummte ein paar Sekunden, rieb ein Zündholz an und verbrannte den Zettel samt seinen Lösungsversuchen über einer Aschenschale. Sein Gesicht hatte dabei einen etwas müden, abgespannt und fast verzagten Ausdruck angenommen. Mansur fragte daher hastig:
„Harst, was haben Sie?! Ihr Gesicht deutet…“
Harald sprach schon weiter. „Ich habe aus der Tatsache, daß diese Fürstin Pigmatelli in ihrem Befehl an den Küstensegler Fräulein Sander mit einflocht, eine zweite, sehr naheliegende Schlußfolgerung gezogen, nämlich die, daß unser Ankauf dieser Brigg einen Schlag ins Wasser darstellt, das heißt: die ‚6’ können bereits davon unterrichtet sein, daß wir uns hier auf der Brigg befinden – können, betone ich, – Beweise dafür habe ich nicht. Immerhin wollen wir unsere Wachsamkeit verdoppeln, denn, habe ich recht, so ist der Befehl zu unserer Beseitigung in der Zigarettenfabrik nur Bluff, der uns in Sicherheit wiegen soll. Wir werden ja sehen, ob die ‚6’ tatsächlich gegen die Fabrik und den Friedhof in dieser Nacht vorgehen…“
Es hatte geklopft. Einer der Beamten von der Deckwache trat ein.
„Effendi Harst, draußen ist eine arme Fellachin, die zur Brigg geschwommen kam. Sie möchte Effendi Harst sprechen.“
„Ist es Anni Sander?“ flüsterte Mansur ängstlich.
„Nein…“ –
– Es war die Fürstin Andante Pigmatelli, gebürtige Österreicherin, aber von Mutterseite her Singhalesin, also halb Inderin.“
6. Kapitel
Der große Unbekannte.
Selbst in den triefenden, ärmlichen Kleidern und dem löchrigen Kopftuch blieb die Fürstin eine imponierende, ungewöhnliche Erscheinung und vollkommen große Dame.
Beim Eintritt in die Kajüte stutzte sie. Mansurs Gegenwart war ihr nicht angenehm. Nach den ersten nichtsagenden Bemerkungen fragte sie, wer der Mann sei und deutete auf Mansur. Seine Verkleidung war eben sehr sorgfältig gewählt.
„Ein Bekannter, Fürstin,“ erklärte Harst ausweichend.
Sie hatte bisher ihren Namen nicht genannt.
„Sie kennen mich, Herr Harst?!“ – Ihr Erschrecken war offenkundig. Sie krümmte sich in ihrem Rohrsessel etwas zusammen und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr Antlitz hatte sich entfärbt.
Harst bejahte. „Haben Sie Schmerzen, Fürstin?“
Die pikante reife Frau preßte die Lippen fest aufeinander. Auch ich sah nun, daß sie körperlich litt. Ihre Augen waren unnatürlich groß.
Harald beobachtete sie. „Fürstin, um das Ärgste gleich vorwegzunehmen: Man hat Sie vergiften wollen, und Sie sind geflohen, Sie haben noch rechtzeitig ein Gegenmittel zur Hand gehabt.“
Wir drei – Mansur, Fred und ich – glaubten uns verhört zu haben. – Gift?!
„Es ist so…“ quälte sie mühsam hervor. „Ich bin meines Lebens nicht mehr sicher…“ Sie zitterte, und dankbar nahm sie das gefüllte Glas hin, in dem Harst schnell eine Tablette aus der Reiseapotheke zerrührt hatte.
Sie trank schluckweise, aber die Hälfte floß daneben. Sie schien einer Ohnmacht nahe.
Harst trug sie auf das Glanzledersofa, schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Minutenlang rührte sie sich nicht. Dann schlug sie die Augen wieder auf.
„Fürstin, nur eine Frage: Wissen die ‚Sechs’, daß wir hier auf der Brigg sind?“
„Nein… Ich hoffe nicht‥!“
„Fühlen Sie sich etwas besser? – Darf ich dann bitten, mir zu erklären, weshalb man Sie beseitigen wollte?“
„Weil … weil man annimmt, ich hätte Professor Ben Saud Kendi zur Flucht verholfen, – – und das ist wahr, ich tat’s, – Kendi ist tot, wir wissen es, wir haben in Kairo hunderte von Agenten aller Schichten versammelt… Ich … ich konnte dies Entsetzliche nicht länger mitmachen, sogar meinen Gatten hat man mir … genommen… – Ich will nichts mehr mit diesen Schurken zu tun haben, nichts, nichts!“ schrie sie auf… „Meinen Mann will ich zurückhaben. Ich werde sagen, was ich weiß… – Retten Sie meinen Mann, Herr Harst!“
Ihre Nerven versagten vollkommen, ein hysterisches Schluchzen folgte, vor dem es uns kalt über den Rücken rieselte.
Daß diese Frau hier nicht etwa eine ausgeklügelte Komödie spielte, merkte jeder.
Harst gab ihr abermals zu trinken, stützte ihren Kopf und sprach ihr tröstend zu. Allmählich beruhigte sie sich, und sie besaß Energie, sie raffte sich auf, und mit harter Stimme sagte sie dann:
„Es ist eigentlich lächerlich, daß meine Nerven derart streiken, denn ich bin in den letzten anderthalb Jahren durch eine furchtbare Schule gegangen. Ich … verfluche jetzt den Tag, an dem sich die ‚Sieben’ an mich heranmachte…“
„Sieben?“ warf Harst erstaunlich ein. „Also steht über den sechs mit den weißen Schnüren noch ein siebenter…“
„Ja – der große Unbekannte‥! Ein Genie, ein Teufel – ein wahrer Verwandlungskünstler‥!“
„Genie?!“ – Harst hob die Achseln… „Genie?! Alles andere lasse ich gelten, aber das ‚Genie’ hat mit solchen Arbeitsmethoden nichts zu tun… Verbrecherische Veranlagung, wahrscheinlich geboren aus ungeheurer Eitelkeit und Rachsucht, das ja.“
Die Fürstin Pigmatelli hatte sich aufrecht gesetzt.
„Hören Sie mich an. Dann urteilen Sie, meine Herren. Wir Pigmatellis sind sehr reich. Auf Ceylon gehören uns endlose Gebiete, Silber-, Kupfer- und Goldgruben. Meine Mutter war Singhalesin, mein Vater Engländer, meines Mannes Mutter ist eine siamesische Prinzessin, und unsere Liebe neigte – Asien zu, stets‥! Europa mit seiner inneren Zerrissenheit, seinem Völkerhaß und seinen wohl nie vernarbenden Kriegswunden stieß uns ab. Eines Tages erschien in unserem Palast in Kolombo auf Ceylon zu später Stunde ein alter Inder und eröffnete uns seine Pläne: Asien sollte das Erbe des überalterten Europa übernehmen! – Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren, – der Mann besaß eine berauschende suggestive Kraft der Rede und eine eiskalte, imponierende Rücksichtslosigkeit. Dabei war er schlau genug, nur harmlose Mittel zur Erreichung seiner Ziele anzuführen, er war gewiegtester Diplomat, er spekulierte auf unsere Vorliebe für die asiatische Kultur, – nun, er gewann uns, und er verpflichtete uns durch Handschlag auf die ‚heilige Sechs’, wie er die Organisationen bezeichnete. Dann nahm er meinen Gatten und mich einzeln in Arbeit, – ich kann es nicht anders bezeichnen, – er bearbeitete uns einzeln, und er trieb den ersten unsichtbaren Keil in unseren Ehebund, indem er mich sofort unter der Verpflichtung strengster Verschwiegenheit in die sogenannte Gruppe der sechs Erwählten aufnahm, – ich erhielt das Monokel mit der weißen Schnur, und bei Hamilton, meinem Gatten, bemerkte ich nachher nur die blaue Schnur mit den fünf weißen Strähnen: Ich war meinen Gatten also übergeordnet, und damit begann der innere Zerfall unserer Ehe. Lassen Sie mich über das schweigen, was ich seit dem seelisch gelitten habe. Nur anfangs lebte ich wie in einem Taumel, ich fühlte mich als zukünftige Mitbeherrscherin der Welt. – – All das zerrann, und als die Erkenntnis kam, daß nur mein Riesenvermögen für den Unbekannten den Ausschlag gegeben, da – war es zu spät, da war ich so fest hineinverstrickt in dieses Netz von heimlichen Untaten, daß ich wehrlos war. Vor einem halben Jahr mußte mein Mann auf Befehl des ‚Siebenten’ verreisen. Wohin, ich weiß es bis heute nicht – ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Fragen durfte ich nicht. Wir sechs Erwählten waren ja nur Marionetten in der Hand des großen Siebenten. Wir mußten gehorchen. Der Tod stand allzeit neben uns. Aber heute nacht habe ich rebelliert, – Entsetzen packte mich, als ich zufällig im Jussuf-Schloß auf des Professors Kerker stieß, und…“ – sie konnte vor Erregung nicht weitersprechen, eine neue Nervenkrise drohte. Harst griff sofort ein…
„Kein Wort mehr, Fürstin… Schonen Sie sich, nur noch eine Frage sollen Sie mir beantworten… Haben Sie nicht die geringste Vermutung, wer dieser Siebente sein könnte?“
„Nein … bestimmt nicht…“
Sie schloß die Augen, und wiederum überlief ein Zittern ihren Körper. Harald füllte ihr das Glas mit Whisky, und nachdem sie es gierig geleert hatte, fiel sie fast augenblicklich in einen totenähnlichen Schlaf, der für sie zur Zeit wohl die beste Medizin war.
Sie wurde warm zugedeckt, und wir zogen uns in die kleinere Kabine des Steuermannes zurück, ließen die Tür offen.
Niemand von uns sprach zunächst. Mansur rauchte mißmutig eine Zigarette, Harst starrte gedankenverloren vor sich hin, und Fred versorgte uns lautlos mit Getränken. Die Mitteilungen der Fürstin hatten uns erst so recht gezeigt, wie unendlich schwierig unsere Aufgabe war. Wenn wir es nur, wie wir bisher geglaubt hatten, mit den ‚sechs Erwählten’ und deren fünf Untergruppen zu tun gehabt hätten, wäre es jetzt ein Leichtes gewesen, diese Organisationen zu sprengen.
Aber unheimlich, drohend und unsichtbar schwebte über dem Ganzen nun der Siebente wie ein teuflisches Gespenst. Er hielt alle Fäden in seinen blutbefleckten Händen, ihm war jedes Mittel recht, jedes…
Und noch mehr: Wußten wir, ob dieses unbekannte Untier von Mensch nicht doch vielleicht bereits wußte, daß wir hier auf der Brigg uns befänden?!
Und wo war Fürst Hamilton Pigmatelli?! –
Harst gab dem nun gleichfalls in gedämpften Worten Ausdruck.
Mansur schlug vor, die Jacht ‚Südstern’ polizeilich einzukreisen und gleichzeitig die sämtlichen Leute, die etwa die Zigarettenfabrik und das Friedhofshäuschen in dieser Nacht stürmen wollten, zu verhaften.
Harst schüttelte bedenklich den Kopf.
„Und der Erfolg?!“ meinte er nur. „Der Erfolg wäre nur eine Warnung für die ‚Sechs’ und insbesondere für den Siebenten… – Nein, Mansur, den Trumpf, den wir in Gestalt der Fürstin nun in den Händen haben, dürfen wir nicht leichtfertig dransetzen. Wir müssen abwarten… – Hallo, Fred, was bringen Sie?!“
„Das neue Telephon, Herr Harst… Das Kabel zum Ufer ist in aller Stille gelegt worden, und der Anschluß zum Ministerium steht…“
Harst erhob sich. „Das trifft sich vorzüglich, Mansur… Rufen Sie sofort an und fragen Sie, ob…“
Was gefragt werden sollte, betraf den ‚Südstern’ und ihren Besitzer, Herrn Karl von Rotten.
7. Kapitel
Die fünf Schatten.
Schauplatz: die bewußte Hotelterrasse aus dem 1. Kapitel: elf Uhr abends, handelnde Personen: zwei olle ehrliche Jan Maate, ein Schwarzer Boy, Herr von Rotten und an einem dritten Tischchen eine alte, weißhaarige Dame, offenbar Engländerin.
Die beiden bärtigen, rotnasigen Schiffsoffiziere und ihr Schiffsjunge passten in diese elegante Umgebung hier nicht recht hinein und … sie knobelten!! Wahrhaftig, sie hatten einen Knobelbecher, drei Würfel und spielten wohl die Zeche aus. –
Die Kellner waren empört, das feine Publikum desgleichen, aber die Jan Maate scherten sich den Deubel was um die hochmütigen Blicke.
Vier Tische weiter an der Brüstung saß der patente Herr von Rotten in eisiger Unnahbarkeit und schlürfte sein Eisgetränk. Die Seeleute waren ihm vollkommen Luft, er hatte nur Augen für die hell erleuchtete Straße und den Fluß mit den vielen ankernden Schiffen.
Die alte Engländerin, die vor sich drei Reisehandbücher liegen hatte, saß zwei Tische weiter zurück und schrieb Briefe, trank Mokka, knabberte Gebäck. Ihre Hornbrille verlieh dem farblosen gepuderten Gesicht, in dem die Augen tief umschattet waren, das Aussehen einer Eule. Ihre Nase war groß, schmal, hakenförmig, und niemand ahnte, daß ein Teil dieser Nase aus Wachs bestand.
Die Terrasse füllte sich immer mehr. Die Theatervorstellungen waren beendet, und der vornehme Teil der Inselvorstadt Bulak wurde gern besucht. Hier unmittelbar am Wasser war die Luft etwas kühler.
Harst würfelte dreizehn und flüsterte Fred über den Tisch zu: „Trinken Sie nicht so viel!! Nachher, wenn der Tanz losgeht, sind Sie unfähig, zwei mal zwei zu multiplizieren…“
Ich würfelte achtzehn, und ich raunte meinen Kumpanen zu: „Es ist bestimmt Anni Sander…“
Ich meinte die alte Eule.
„Sie ist’s,“ bestätigte Harst. „Soeben hat sie mir zugeblinzelt. Eine tadellose Maske.“
Herr von Rotten, dessen Monokelschnur mit den fünf weißen Strähnen auf dem Seidenbasthemd deutlich zu erkennen war, hatte seine Zeche beglichen und schlenderte nun der Treppe zu. Harst ergriff den Knobelbecher, der so unscheinbar aussah, ließ die Würfel liegen und streckte den Arm hoch – so, daß die Öffnung des Pappbechers nach der Straße zeigte. Wer genau hinsah, bemerkte vielleicht, daß es in dem Becher grün aufglühte. Harsts Arm sank herab, und auf der Straße setzten sich ein paar Radler, zumeist arme Fellachen der Kleidung nach, in mäßiges Tempo… Vorneweg fuhr der kleiner Lieferwagen einer Konditorei mit grellem Reklameanstrich.
All das war vollkommen unauffällig.
Die alte Miß bezahlte, wir ebenso, und bereits drei Straßen weiter hielt ein Radler vor uns und bot Abendzeitungen an – scheinbar – flüsterte dabei hastig: „Abara-Gasse, hellgelbes schmales Haus schräg gegenüber ‚Rumeli’.“
Nun wußten wir, wohin Rotten in der Autotaxe enteilt war. Der Zeitungshändler fuhr uns voraus, und die von uns gewählte Taxe schaukelte hinterdrein. Anni Sander, die alte Miß, hatten wir nicht wieder zu Gesicht bekommen. Nun, sie ging ihre eigenen Wege, dieses tapfere junge Weib, deren wahren Namen ich zu gern erfahren mochte, aber Harst hielt sein Versprechen.
Der Radler vor uns bog am Anfang der Abara-Gasse rechts ab, und wir kamen in eine jener uralten Straßen mit ebenso uralter düsteren kleinen Palästen und Gärten, die jede Erinnerung an das moderne Kairo sofort austilgten. Durch einen dieser verwahrlosten Gärten irgend eines Paschas aus der Zeit der Türkenherrscher gelangten wir an ein Gebäude, vor dem Mansur uns empfing.
„Die Bewohner stecken im Keller unter Bewachung,“ sagte er nur und geleitete uns durch den stinkenden Flur die Treppe empor an ein kleines Fenster. Hier standen schweigend sechs Beamte in allen möglichen Verkleidungen. Mansur deutete auf das einzig erleuchtete Fenster des engbrüstigen Hauses gerade gegenüber, und auf dem dünnen Vorhang erblickten wir das Schattenbild des erregt gestikulierenden Herrn von Rotten, der zu irgendwelchen uns unsichtbaren Hörern sprach. Dann trat er zurück, ein anderer Schatten glitt über die Vorhänge, ein Araber mit Kopftuch, Vollbart und losem Mantel, – im Verlauf von wenigen Minuten stellten wir so die Anwesenheit von fünf Personen drüben in dem Raum fest, und Mansur sagte sehr bestimmt:
„Harst, die erwählten sechs ohne die Fürstin!! Sie sind alle beieinander.“
Wir standen im Halbdunkel, und Fred ergänzte genauso überzeugt: „Die Schufte wollen den Angriff auf die Zigarettenfabrik verfolgen!“
Harst lachte leise auf. Es lang etwas ironisch, und Mansur spürte wohl Haralds Zweifel:
„Sind Sie andere Ansicht?“
„Ja, – überlegen Sie einmal, Mansur, ist nicht dieses helle Fenster mit den schwarz sich abzeichnenden Schatten etwas verdächtig?! Schätzen Sie die Intelligenz der ‚Sechs’ so gering ein?! Das helle Fenster muß jedem auffallen. Ich behaupte, wir sind abermals die Übertölpelten, die ‚Sechs’ wissen ganz genau, daß – geben Sie acht! – die Brigg jetzt unser Hauptquartier ist, sie wußten es schon, bevor die Fürstin signalisieren mußte. Es wird kein Angriff auf ‚Rumeli’ erfolgen, nichts wird geschehen, wenigstens nichts, was wir vorausahnen könnten… Rotten hat uns erkannt, Rotten lockte uns hierher, wir sollten dieses Fenster sehen‥! Was er damit bezweckte, ist schwer zu ergründen… – Doch, geben Sie nun das Signal, daß das Haus da drüben, daß von Ihren Leuten eingekreist ist, durchsucht wird – – schleunigst! Fred bleibt hier, wir machen die Razzia mit… Wir sind ja doch längst durchschaut worden.“
Oberst Mansur öffnete das Fenster und warf seine Zigarette auf das Pflaster, wo sie einen kleinen Feuerregen erzeugte.
Dann waren wir drüben, einer der Beamten trat uns entgegen und meldete achselzuckend: „Nur ein Heim blinder Bettler… Zehn alte Kerle wohnen hier, wir haben sie von ihren Lagerstätten aufgejagt, im Hinterzimmer stehen sie herum. – Sonst war niemand im Haus.“
Die blinden Greise Kairos, Opfer einer früheren Zeit, die gegen die verheerende berüchtigte ägyptische Augenkrankheit nichts tat, sind jammervolle Gestalten. Starr und stumm ließen sie alles über sich ergehen, antworten leise und verängstigt, wußten nichts von Fremden, die das Haus mitbenutzen… Nein, niemand sei außer ihnen hier gewesen, und das kleine Zimmer oben mit dem vorhin erleuchteten Fenster würde nie benutzt, sei eine Rumpelkammer!
Wir besichtigten diesen Raum, fanden nichts als Gerümpel, und Harst erklärte dann den alten Leuten, daß sie für die Störung ihrer Nachtruhe entschädigt werden sollten und verteilte Geld.
„… Mansur, wir können die Sache getrost aufgeben, kehren wir heim, es ist zwecklos…“
Minuten später waren wir wieder drüben in dem anderen Haus.
Harst flüsterte Mansur ein paar Sätze zu, und der Oberst horchte auf.
„Wirklich?! Das wäre ja… – Haben Sie sich auch nicht getäuscht?!“
„Nein, der eine der zehn war Rotten… Verwenden Sie nur die besten Ihrer Leute…“
„Soll geschehen…“
Um halb eins waren wir auf der Brigg, und die Fürstin, die zusammen mit zwei Beamten das Telephon überwacht hatte, trat uns frisch und kampfeslustig in Männertracht entgegen.
„Vorhin kamen zwei Meldungen, Herr Harst. Hier – ich habe mitgeschrieben. Man hat Anni Sander entführt, und ein kleines Beiboot des Küstenseglers ‚Aleppo’ machte sich am Heckanker zu schaffen…“
Harst fuhr auf: „Am Heckanker?“
„Ja…“
„Wartet hier!“
Harald warf schon die Tür der Kabine des Steuermanns hinter sich zu…
Wir warteten… Nur Fred schlich an Deck. Wir alle ahnten Böses, wir wußten jetzt, daß die ‚Sechs’ überall ihre Helfershelfer hatten. Wir blickten gespannt auf, als Fred mit bestürztem Gesicht wieder eintrat.
„Herr Harst stieg ins Wasser und taucht…“ flüsterte er. „Zum Glück liegen wir in der Rauchfahne eines Dampfers…“
Mansur zerkaute nervös seine Zigarette.
„Schraut, was halten Sie davon?!“
„Attentat!!“
Die Fürstin lehnte bleich am Rohrsessel.
„Ja, wir haben Bomben mit Zeitzünder auf dem ‚Südstern’,“ quälte sie hervor…
Minuten verstrichen, schleichend gingen sie dahin.
Da wurde es über uns lebendig… Die Ankerkette klirrte, aber keine Winde kreischte, und plötzlich ging ein leiser Ruck durch den Schiffskörper, ein Schwanken, – – unser Kahn bewegte sich, wurde wohl geschleppt…
Dann flog die Tür auf. Harst, eingeknöpft in einen Mantel, trug vor sich einen Rettungsgürtel, in dessen Ring an Drähten ein Metallei mit großer Kappe hing.
Er legte die Bombe auf das Bett und sagte lediglich:
„Wir hätten noch eine halbe Stunde zu leben gehabt… Das Ding da schwamm unter Wasser an unserem Heck… Die Schnur lief zur Ankerkette des ‚Aleppo’. Eine Polizeibarkasse schleppt uns jetzt. Auf die Dauer wäre diese Nachbarschaft doch zu ungemütlich.“
Mansur fingerte erregt an seiner Pistole herum.
„Harst, der ‚Aleppo’ müßte sofort, da wir nun Beweise haben, besetzt werden…“
„Müßte!“ Harald zuckte die Achseln. „Und der Fürst und Anni Sander?! Sollen wir die beiden opfern?! – Nein, Mansur, nur ruhig Blut wird uns zum Sieg verhelfen! Ich habe bereits andere Anordnungen getroffen, so daß wir mit den Beamten in der Stadt selbst nach Kappen der Telephonverbindung in steter Verbindung bleiben. Daß die Brigg abgeschleppt wird, dürfte den Herrschaften das Programm gründlich im Unordnung bringen… Kein Boot kann uns folgen, dafür habe ich gesorgt… Wir müssen die Brigg verlassen.“
8. Kapitel
Die Felsenhöhlen.
Giseh oder Gizeh, – – man braucht nur den Namen zu nennen, und für den Kenner steigen wunderbare Bilder auf, in denen sich die uralten Pyramiden und die allermodernsten Hotels mit bezaubernden Parkanlagen und vielen anderen neuzeitlichen Errungenschaften zu einem berauschenden Traum vermischen.
Weltberühmt das Mena House-Hotel, weltberühmt die tadellosen Straßen, weißen Luxusvillen und … die bequemen Autobusse, die die fremden Scharen zu den historischen Stätten bringen.
Die Brigg legte unweit Giseh an einer Landungsbrücke an und wurde dann quer über den Strom in einen Werftkanal gesteuert und im Umsehen ihrer Masten und Aufbauten beraubt. Hiermit hatte die ‚New Jersey’ für uns ihre Bedeutung verloren. Sie war ausgetilgt, jede Spur hatten wir verwischt, und der elegante Autobus, der gegen sieben Uhr Giseh verließ, hatte achtzehn Fahrgäste von echter Globetrotteraufmachung an Bord, darunter acht Damen, verschleiert, elegant: die Fürstin und sieben weibliche Beamte der G. P. P.
Inzwischen hatten wir in Giseh die erste wertvolle Meldung erhalten: Herr von Rotten, der ‚blinde Greis’, hatte das Bettlerheim um drei Uhr früh verlassen und sich an seinem Stecken durch die Straßen getastet, war dann in ein kleines bescheidenes Kaffeehaus gegangen und – – verschwunden. Das Haus war ein Durchgangsgebäude, und Rotten hatte sich so jeder weiteren Beobachtung entzogen.
Wir hatten kaum ein paar Stunden geschlafen, und erst jetzt in dem sanft dahingleitenden Autobus besprachen wir nochmals die merkwürdigen Geschehnisse im Bettlerheim. Harst hatte bisher mit einer Erklärung für die ‚Schattengestalten’ auf dem Fenstervorhang zurückgehalten. Daß ein Angriff auf ‚Rumeli’ nicht erfolgt war, wußten wir – Harald hatte also auch in diesem Punkt recht behalten. Und nun endlich, als wir bereits die Pyramiden von Giseh vor uns hatten, fand er sich auf Bitten der besorgten Fürstin zu einer Erklärung bereit, die uns dann alle außerordentlich überraschte.
„Rotten ist der geheimnisvolle, unbekannte, allmächtige Siebente, die ‚Sieben’, – ja, es ist so, Fürstin, und daß Rotten scheinbar nur der fünften Gruppe angehört, ist nichts als ein sehr schlauer Verschleierungsversuch. Ich will Ihnen die Beweise aufzählen, Fürstin, die ich zum Teil Ihren Angaben verdanke, die Sie selbst nicht richtig bewertet haben, bewerten konnten. Erinnern Sie sich an den alten Inder, der Sie in Kolombo für die ‚Sechs’ gewann und Ihnen sofort die weiße Schnur überreichte… Der Mann besuchte Sie abends und – besinnen Sie sich, Sie erwähnten es später erst – bat zur Schonung seiner Augen die Beleuchtung abzudämpfen. Er scheute das helle Licht, er fürchtete, Sie könnten seine Verkleidung bemerken.
Ferner erzählten Sie, daß der Siebente stets in anderer Maske erschienen sei, wenn er sich einmal zeigte. Sie sahen ihn nur viermal – – immer im Halbdunkel, so auch, jetzt zuletzt im Jussuf-Schloß, wo die Wegschaffung des Goldes der Sakkara-Felshöhlen, die von Professor Kendi entdeckt waren, beraten und beschlossen wurde. Kendi selbst und seine Arbeiter waren vor Monaten an der Fundstelle überfallen und verschleppt worden, und das Geheimnis der neuen Höhlengänge kam nie an die Öffentlichkeit. Sie betonten, Fürstin, daß der ‚Siebente’, der mit der blauen Schnur, von allen Sprachen das Deutsche am fließendsten beherrschte und – – stets Handschuhe trug oder doch, seiner Maske entsprechen, so schmutzige Hände hatte, daß seine Handform unter der Schmutzkruste verschwand. Diese Vorsichtsmaßregeln waren auch verständlich, da Rotten tatsächlich recht auffallende Hände besitzt, die freilich an ihm, dem nur Fünfsträhnigen, nie beachtet wurden. Als Rotten glaubte er sie daher getrost zeigen zu können, nicht aber als ‚Siebenter’, auch nicht als ‚blinder Bettler’ von der verflossenen Nacht. Ich weiß nicht, ob einer von euch diese schmalen, langen, zierlichen Händen die nötige Aufmerksamkeit auf der Hotelterrasse gewidmet hat. Ihre Besonderheit besteht in der unnatürlichen Farblosigkeit der Haut, die nur nach dem Handgelenk zu von scharf abgegrenzten bräunlichen Flecken unterbrochen wird. Kurz, Rotten leidet an der Hautfleckenkrankheit, daß heißt, der Haut fehlt zum Teil das Pigment, das bewirken würde, Sonnenbräune aufzunehmen. Ein Mann mit derart kennzeichnenden Händen muß sie verbergen.
Mir genügt dieser Beweis der Identität Rottens mit jenem ‚Siebenten’, dem großen Unbekannten, und die aus Berlin funktelegraphisch eingeforderten Angaben über Rottens Lebensweise dürften nunmehr, wo man genaue jede Einzelheit prüfen wird, zu überraschenden Ergebnissen führen, die mit dem bisherigen Bild Rottens absolut nicht übereinstimmen.“
Fred Steen konnte seine Ungeduld nicht länger zügeln. Als Harst einen Augenblick schwieg, rief er etwas vorlaut:
„Nun, – und die Schatten der fünf Personen auf dem Fenstervorhang?!“
Harald entgegnete bereitwilligst: „Ich glaube schon angedeutet zu haben, daß diese fünf Gestalten sämtlich von Rotten selbst dargestellt wurden. – Und der Zweck? Auch das ist unschwer zu beantworten: wir sollten das Bettlerheim durchsuchen. Zehn Blinde lebten in der armseligen Baracke, wir fanden auch nur zehn vor, und die Ärmsten gaben uns freimütig jede gewünschte Auskunft, so freimütig und ohne Verlogenheit, daß ihr gutes Gewissen aus den Falten und Fältchen ihrer verschrumpelten Gesichter förmlich hervorleuchtete. Zuweilen antworteten sie vor Eifer im Chor, und als ich ihnen die Münzen in die Hände drückte, zauderte nur einer, der in der zweiten Reihe stand, die Hand vorzustrecken… Nachher tat er es doch, aber da war es zu spät. Die von einem schmierigen Lappen bedeckte Hand war erst unter meinen Augen flink und heimlich umwickelt worden, und Rotten hatte sich verraten! Sein wahrer Schlupfwinkel ist das Bettlerheim, und wenn er abwesend ist, hat er natürlich einen bestochenen Stellvertreter. Das Ganze aber war nichts als eine Herausforderung uns gegenüber: ‚Bitte, erkennt nun endlich, daß ihr machtlos seid! Sucht doch mich und die anderen Leute, die ihr auf dem Fenstervorhang saht! Und wenn ihr die Zwecklosigkeit eurer Bemühungen erkannt habt, kehrt als abermals Geschlagene auf euer Schiff heim, wo – – euch die Bombe erwartet!’ – Mithin müssen wir dieses nächtlich kühne Spiel Rottens auch dahin deuten: Wir sollten für diese Nacht die Lust an weiteren Unternehmungen verlieren, an Bord bleiben und beraten und – – in die Luft fliegen!“
Harst blickte über das eintönige Landschaftsbild hin. Nochmals meinte er, seine Annahme bekräftigend: „Alles in allem war es ja von Rottens Seite ein sehr feiner Schachzug, – daß er selbst ihn verdarb, liegt an der allgemeinen menschlichen Unzulänglichkeit. Als ich das Geld verteilte, dachte er an seine verräterischen Hände, die, obwohl beschmutzt, ihn verraten könnten. Sekundenlang herrschte in seinem Hirn etwas wie Stillstand, und der Gedanke, eine verletzte Hand vorzutäuschen, kam ihm zu spät. Ich erblickte neun gierige Pfoten vor mir, die zehnte aus der zweiten Reihe tauchte als Verräterin auf. Ich könnte dies noch weiter ausspinnen, aber ich hoffe, daß Sie, Fürstin, genau so überzeugt sind wie Mansur, der mir soeben eifrig zunickt. Wir kennen mithin den großen Siebenten, die ‚Sieben’, wir kennen auch die sechs ‚weißen Schnüre’, und wir werden die ganze Gesellschaft dingfest machen, wenn erst die Nacht da ist und der zu erwartende Vollmond bei den Pyramiden von Sakkara das jetzt in Mode gekommene Zeltlagerleben entstehen läßt, diesen neuesten Geschäftskniff der Touristenschöpfer, die auf den romantischen Sinn ihrer arglosen Schäflein spekulieren und Mondscheinzauber, Lagerleben in Luxuszelten und – Hauptsache! – die ‚Pyramiden bei Nacht’ dabei in Rechnung setzen. Daß auch wir droben auf dem Deck des Autobus alle Requisiten mit uns führen, hat la leider eine weit ernsteren Zweck…“ –
Was er noch sprach, war nichts als genaue Verhaltensmaßregeln, damit niemand von uns sich irgendwie verriet. –
Der Weg von Giseh zu den berühmten Pyramiden, ebenso zu der Sphinx, führt quer durch das fruchtbare Niltal, das bei Giseh etwa 1600 Meter breit ist. Dann beginnt die Wüste. Bei dem sogenannten Kiosk von Giseh biegt der Weg nach Süden ab und folgt der Grenze des bebauten Gebietes mit seinen zahllosen eingestreuten kleinen Ortschaften, führt an den unbedeutenderen Pyramiden von Zauiyet el Arzan und denen von Abusir vorüber, wo das Niltal, immer schmaler werdend, nur noch tausend Meter Breite hat. Hier treten aus dem Wüstensand auch die ersten stärkeren Höhenzüge und Felspartien hervor, und der Teich von Abusir und die Ortschaft selbst mit ihrem reichen Palmenbestand bieten ein einzigartiges Oasenbild dar. Zwischen dem Teich und der Ortschaft nach Süden zu, also nördlich von Sakkara mit seinen weiten Flächen verschütteter Gräber, erstreckt sich eine von Dünen und Felsen eingerahmte mäßige Hochebene, der Nordseite die Felshöhen enthält und deren südlichen Teil, an die Gräberfelder stoßend, die moderne Fremdenindustrie damals so außerordentlich geschäftstüchtig zur Einrichtung von Zeltlagern benutzte. Übrigens sei noch erwähnt, daß die so viel genannte Ruinenstätte von Memphis wenig südlicher inmitten des fruchtbaren Niltales als besonders geartete Sand- und Felsinsel liegt, an der Bahnstation Badraschen gegenüber dem Luftkurort Heluan.
Bei unserer Ankunft auf dem Lagerplatz fanden wir zwei getrennte Gruppen von Zelten vor, – die Herren Unternehmer dieser ‚Mondscheinnächte’ führten einen scharfen Konkurrenzkampf gegeneinander. Vorsichtshalber hielten wir uns stark abseits, denn die Zusammensetzung unserer Autobuskarawane vertrug kein zu eingehende Prüfung der Teilnehmer. Die sechs Diener und Köche einschließlich des Schofförs verjagten zunächst die unglaublich zudringliche Bande von Eseltreibern und Hausierern, wobei es – echt Orient! – zu wüstem Gebrüll, aber nur harmlosen Hieben kam. –
Drei Zelte genügten uns. Das nördlichste wurde unweit der letzten Felsenhöhlen aufgestellt, und wir sechs männlichen Bewohner packten unsere Sachen aus. Dabei kamen aus dem einen Koffer recht merkwürdige Dinge ans Tageslicht, und die kleine Funkstation, Reichweite fünf Meilen, benutzte als Antenne den hohen Flaggenstock des Zeltes, ein lackiertes Messingsrohr. Kaum war der Sender arbeitsbereit, als der Funker auch schon Verbindung mit Kairo aufnahm.
Wir waren gespannt, was dort inzwischen geschehen sein mochte. Es war jetzt elf Uhr, und in den letzten sechs Stunden konnte sich allerlei ereignet haben.
Das traf leider auch zu: sowohl ‚Südstern’ wie der Küstensegler ‚Aleppo’ hatten ihre Ankerstellen mit Kurs nach dem westlichsten der Nilmündungshäfen Alexandria frühmorgens verlassen und mußten inzwischen schon das offene Meer erreicht haben. Die Abteilung G.P.P. bat Oberst Mansur um Verhaltensmaßregeln.
Harst riet dem Polizeioffizier, die Schiffe nur beobachten zu lassen.
Antwort aus Kairo: Dies sei geschehen und geschehe noch, jedenfalls befinde Rotten sich an Bord des ‚Südstern’.
Als diese Meldung einging, lachte Harald herzlich und deutete dann auf das Geländer von Felsen draußen, durch das sich ein Fußweg nach den Eingängen der berühmten Höhlen hindurchschlängelte. Das Zelt hatte Zelluloidfenster und Harst zählte mit dem Finger die den Weg garnierenden Bettler, Andenkenverkäufer und Obsthändler ab.
„Der elfte ist der … Siebente,“ sagte er nur. „Allerdings kehrt er uns den Rücken zu, aber vorhin sah ich seine verschorften Augen und die halb zerfressene Nase im Profil…“
„Rotten?!“ flüsterte der lange Fred ungläubig.
„Wer sonst?! Wenn ein Bettler, der blind ist, in seiner umwickelten Hand einen Taschenspiegel hält, dann ist der Mann ebenso wenig blind wie Sie, mein lieber Steen… Er beobachtet uns, und wir beobachten ihn. Jetzt hängt alles davon ab, daß man uns wirklich für Touristen hält… Benehmt euch gefälligst danach.“
Das taten wir nach Kräften… Da unsere verkleideten Polizeiagenten am wenigsten der Gefahr ausgesetzt waren, von jemandem wiedererkannt zu werden, mußten sie später nach der gemeinsamen Mahlzeit und nach der Besichtigung der Pyramiden den Pfad nach den Felsenhöhlen benutzen, während wir Männer und die Fürstin den Umweg über die westlichen Anhöhen wählten.
9. Kapitel
Wer ist Anni?!
Die Felsenhöhlen von Sakkara, deren erste Eingänge 1860 von einem Engländer mehr zufällig freigelegt wurden, sind zumeist Begräbnisstätten, sollen früher zahlreiche Mumien enthalten haben, bieten heute jedoch, da große Teile der Einsturzgefahr wegen gesperrt sind, nichts Besonderes mehr, es sei denn, daß ein Ägyptologen voller Begeisterung die mit Hieroglyphen-Inschriften rundum geschmückten Wände als Quelle reiner Begeisterung ansieht.
Der Felsabhang, der dort in weiter Krümmung nach Norden diese Eingänge barg, zeigte deutlich, daß auch an der Südwestecke neuerdings Nachgrabungen stattgefunden hatten. Zwei neue Felsspalten, die mit dem Meißel einst zu Torbögen umgeformt waren, führten in die Tiefe. Sauber gehauene Stufen versprachen allerhand Überraschungen, aber bereits ein paar Meter weiter hing die übliche Warntafel ‚Einsturzgefahr und ein Labyrinth von Gängen’.
Die Regierung hatte seiner Zeit alle Anstrengungen gemacht, den auf so geheimnisvolle Weise verschwundenen Professor und seine Arbeiter aufzufinden. Alle Zeitungen hatten davon berichtet, – schließlich nahm man an, daß Kendi und seine Leute sich in den Gängen verirrt und in eine der Felsspalten gestürzt seien, man gab das Suchen schließlich auf, und die Angelegenheit wäre in Vergessenheit geraten, wenn nicht die Fremdenführer mit ihrer gruseligen Geschichte bei den Touristen so lebhaften Anklang gefunden hätten: Kendis Name wurde wie der so vieler anderer Forscher erst nach seinem Verschwinden berühmt!
Wir begnügten uns vorläufig mit einer flüchtigen Besichtigung der Örtlichkeiten und verbrachten den Rest des Nachmittags im Schatten der als Verandadach hochgestützten Zeltwände bei Eisgetränken und allerlei harmlosem Zeitvertreib.
Daß wir den Siebenten nicht aus den Augen ließen, bedarf keiner Hervorhebung. Wir sahen ihn zweimal mühsam mit seinem Stecken nach Abusir hinken, und einer der Andenkenhändler, auch ein Beamter, folgte ihm unauffällig und meldete uns später, daß Rotten lediglich in einem ärmlichen Kaffeehaus einen Imbiß zu sich genommen hätte.
Als die Sonne bei klarem Himmel mit dem bekannten wundervollen Farbenspiel in der westlichen Wüste untergetaucht war und die Dunkelheit nahte, ereignete sich das erste Ungewöhnliche: eine Karawane von zwölf Dromedaren, acht Maultieren und zehn Arabern, die aus dem Inneren der Wüste zu kommen schien, lagerte am Südrand des Abusir-Teiches, zündete Feuer an und schlug sogar drei Zelte auf.
Mansurs Untergebener, der Major Ali, wurde sofort stutzig.
„Herr Harst, mit den Leuten dort stimmt es nicht ganz… Der Lagerplatz ist zu ungewöhnlich…“
Harald wies nur nach der Stelle hin, wo soeben noch der blinde Bettler gesessen hatte. „Leer‥! Rotten ist auf und davon, und leider hat der Andenkenverkäufer diesmal nicht aufgepaßt.“
Das Verschwinden des ‚Blinden’ war das zweite Auffällige, das dritte gestaltete sich noch merkwürdiger. Das eine Zeit der Karawane fing Feuer und brannte mit sehr hoher Flamme vollkommen nieder.
„Signal!“ meldete Harst und richtete sein Glas auf den fernen Fluß. „Ein Frachtkahn mit Schlepper macht gerade am diesseitigen Ufer fest… Der beste Beweis, daß der Siebente keinen Verdacht geschöpft hat und auch nicht ahnt, daß die Fürstin schwimmend zur Brigg entkam…“
Die Fürstin Pigmatelli hatte uns bereits mitgeteilt, daß sie so vorsichtig gewesen, zunächst zum Ufer zu schwimmen, und daß Rotten sehr wahrscheinlich hoffte, sie sei, durch die Vergiftung zu sehr entkräftet, versunken und uns Leben gekommen. Andererseits hatte sie aber auch betont, daß sie nicht wüßte, wo das Gold lagerte, das Rotten zu rauben gedachte. Der große Siebente hatte selbst vor den ‚Erwählten Sechs’ niemals seine Karten völlig aufgedeckt.
Nun wurde es Zeit für uns. Alles war genau vorbereitet, jede Kleinigkeit war berücksichtigt worden, und daß Harst und ich zunächst allein die beiden Südwesthöhen beobachten sollten, blieb eine durch die Verhältnisse bedingte Notwendigkeit. Unsere Zelte durften nicht menschenleer erscheinen, erst nach Mondaufgang konnten sich unsere ‚Touristen’ scheinbar südwärts nach den Pyramiden begeben, um dann auf Umwegen sofort wieder zurückzukehren.
Noch bevor die Sternenhelle eingetreten war, hatten wir beide, beladen mit je einem strampelnden Paket, die Felswand und die Torbögen der Höhen zumeist kriechend erreicht. Harald hatte weder auf den Terrier Minz noch auf Jumbo verzichten wollen, denn Tiernasen und deren Augen sind nun einmal weit zuverlässiger als menschliche Sinnesorgane. Das bisher keiner der Karawanenleute in die Höhlen hineingeschlichen war, während wir vorsichtig näher rückten, bewies uns jetzt das vereinbarte Signal vom Zelt her, bevor wir in die Finsternis des ersten Höhlenganges hineinschlüpften. Auch die Treppe tappten wir im Dunkeln hinab, nachdem jeder von uns eines der Tiere an die Leine genommen hatte. Unsere Vorsicht und deren Wachsamkeit steigerte sich sehr bald, da Minz warnend zu schnüffeln und auch sein Freund Jumbo ganz leise, dafür desto eindeutiger zu schnattern begann.
Harst schaltete seine starkkerzige Taschenlampe ein. Er hatte sie vor der Brust hängen und beobachtete den Terrier, der heftig an der Leine zog und vorwärts drängte.
„Hier ist noch jemand vor kurzem hineingeschlüpft,“ flüsterte er mir zu. „Minz muß die Person jedoch kennen, sonst würde sich sein Nackenhaar sträuben. Ich begreife das nicht recht.“
Wir standen noch unten an der Treppe, wo das Labyrinth von Gängen begann und diese Pfade beider Höhlentore ineinander übergingen.
Der Lichtstrahl wanderte plötzlich zur Seite, Harst bückte sich, kniete nieder und betastete das Gestein, auf dem die Hieroglyphen gerade hier bis tief nach unten reichten.
„Ein starker dunkelgrauer Seidenfaden,“ meldete er. „Bitte, schau’ dir’s an…“
Da war in eine Ritze ein kleines Holzstück getrieben, und um dieses Holz war der Anfang des Fadens befestigt. Darunter wieder war mit Kohle ein unmerkliches Monogramm gemalt:
A. v. M.
„Was soll das, Harald?!“
„Das beweist, daß die Geheimagenten Anni Sander, die in Wahrheit Anni von Matthiesen heißt und die Tochter und beste Mitarbeiterin des Kriminalkommissars a.D. von Matthiesen ist, ihren Feinden doch entkommen und nach wie vor hinter der ‚Sechs’ her ist. Matthiesens Auskunftei kennst du. Er hat nur allerbeste Kundschaft, sehr gute Angestellte und macht nie Reklame für sich. Braucht er auch nicht, seine Reklame sind seine Leistungen. Freilich bestätigt er sich auch auf anderem Gebiet als wir.“ Er sprach sehr langsam, und wie so oft war er mit seinen Gedanken beim Sprechen anderswo.
„Ich glaube, die alte Engländerin, die von der ‚Sechs’ geschnappt wurde, war gar nicht Anni Matthiesen, sondern eine ihrer Gehilfinnen. Ein schlaues Mädel, das unfehlbar richtig kombiniert. Der Seidenfaden ist für uns bestimmt und für sie eine Art Rückversicherung. – Weiter nun… Wir können uns hier nicht aufhalten, die Sache wird ernst, meine Annahme, das Rotten hier noch einen zweiten Ausgang entdeckt hat, dürfte zutreffen, und dieser Ausgang muß in der Nähe des Teiches von Abusir liegen, wo die Karawane lagert…“
Wir folgten dem Faden.
Hie und da bemerkten wir an Kreuzungspunkten der Gänge schwarze Striche. Mehrfach übersprangen wir Felsspalten, und zweimal wollte der jetzt noch aufgewecktere Minz eine andere Richtung einschlagen. Dann lag der Faden lose am Boden, war zerrissen und jede Fortsetzung fehlte.
Die angenehm kühle Luft in diesen Grotten erfrischte uns. Der übermäßige Jagdeifer, um nicht Jagdfieber zu sagen, wurde so etwas gedämpft. Minz schnüffelte begierig, Harst leuchtete den Steinboden ab, und auf dem grauen Fels schimmerte ein kleiner blanker Fleck. Es war die Kappe einer Schnurschuhöse, die bereits den Farbüberzug verloren hatte.
„Von einem Männerschuh,“ meinte Harald leise. „Jetzt haben sie das Mädel wirklich erwischt! Ein ungemütlicher Gedanke, mein Alter! Wagen wir uns weiter vor, komm… – Hallo, was war das?! Das klang ja wie das Zuwerfen einer schweren Tür, ich hörte sogar das metallische Schieben eines schweren Schloßriegels! – Pistolen raus‥! Bleib ein paar Schritte zurück… Die Laterne werde ich besser abdämpfen und in die linke Hand nehmen! – Minz, such’, – – aber Ruhe, du Unband!“
Es ging weiter… Wir drängten uns an halb verschütteten Kreuzungspunkten vorüber, der Terrier schlich jetzt mit hängender Rute wie ein Kater dahin, und urplötzlich hatte die ganze Herrlichkeit ein Ende, wir standen vor einem toten Winkel, Felsen starrten uns an, und die Wand, die diesen Gang abschloß, zeigte das saubere Reliefbild des Osiris, des Gatten der Isis, in der seltenen Darstellung als Zwitterwesen, als Hermaphrodyt.
Minz rannte unsicher hin und her, schnupperte, hob den Kopf und schien den Mond, den er nicht sah, anheulen zu wollen. Dann tat er einen mächtigen Luftsprung und schnappte nach seines Freundes Jumbo Schwanz, – der Affe war sehr pietätslos an dem Reliefbild emporgeklettert und reckte den einen Arm nach der Höhlendecke aus.
Harst hatte sich wieder gebückt und erneut etwas aufgehoben, sogar mehrere Stücke einer bröckeligen grauen Masse, die ursprünglich Kringelform gehabt hatte, aber in seiner Hand auseinanderfiel.
„Von einem Hund,“ flüsterte er… „Auch Rotten ist so schlau gewesen, dem Professor Kendi mit einem Hund nachzuspüren und…“ – Sein jähes Verstummen und ein vielsagender Blick machten mich noch neugieriger. –
„Nein, nicht Rotten, was rede ich! Erinnere dich an die Angaben der Fürstin! Ihr Gatte besaß einen Skyterrier, auch der ist verschwunden. Er liebte das Tier… Sollte die ‚Sechs’ etwa durch Hamilton Pigmatelli hier diesen niederträchtigen Streich inszeniert haben?! Und – was hat Jumbo nur?! Was greift er da oben immer nach der Felsendecke?! Warte mal, ich werde dir auf die Schultern steigen… – So, – – aha, also das ist die Lösung… Die alten Ägypter liebten auch solche Scherze… Achtung, – – die Tür, die vorhin zuknallte!“
Über mir hob sich ein Quadrat der Steindecke, und mit einem Satz schnellte sich Harst in die Öffnung hinein, half mir nach oben, und Minz wurde gleichfalls hochgeseilt. Bei Jumbo war dies nicht nötig.
Wir standen in einer mäßig großen Höhle. Der Lichtschein fiel über Bretter, Balken, Handwerkszeug.
„Hier hat Kendi geheim gearbeitet, mein Alter… Weiter also! Minz zieht wie toll!“
Nach fünfzehn Metern eine scharfe Biegung…
Harst trat zurück, bedeckte die Linse der Lampe…
Wir hatten Lichtschein und Stimmen wahrgenommen, dann bellte eine Pistole hart auf, – ein wütender Fluch folgte … wir schoben uns vor und sahen…
Wir hatten das Goldgeheimnis der Felsenhöhlen entdeckt…
10. Kapitel
Der Steinsarg des Königs Amenostris.
Wir lagen hier auf einer Laufplanke aus zusammengenagelten Brettern im Schatten, vor uns gähnte ein Abgrund, den man für das Innere eines alten Turmes hätte halten können. Die Planke war dazu bestimmt, diesen Schlund zu überbrücken, an dessen jenseitiger Wand eine roh zusammengefügte Treppe in die Tiefe führte.
An langen Drähten hingen Karbiblaternen, die selbst den Boden des Abgrundes beleuchteten, wo neben einem gewaltigen uralten Sarg ein Dutzend Männer jetzt gespannt emporstarrten.
Aber all das bedeutete nichts gegenüber dem Bild gerade vor uns auf der Treppe.
Anni Matthiesen, in der Hand eine Pistole, bewegte sich rückwärts die Stufen empor, während ihr Verfolger, dem der eine Arm schlaff herunterbaumelte, ihr näher zu kommen suchte.
Es war Rotten…
Es war der große Siebente, aber flügellahm, angeschossen, ohne Waffe.
„Zurück, Herr von Rotten!“ drohte das Mädchen keuchend. „Ich knalle Sie nieder… Sie haben nichts Besseres verdient… Sie haben Prof. Kendi um die Früchte seiner Arbeit bestohlen, dabei nur eins übersehen: Daß Kendis Gattin eine Deutsche war, wenn auch von Geburt Ägypterin durch ihre Mutter… Frau Kendi hetzte mich auf Ihre Fährte… Sie sind die ‚blaue Seidenschnur’, der Siebente‥! Sie sind’s! Und Fürst Pigmatelli…“
Rotten war vorgeschnellt…
Sein rechter Arm, nur scheinbar verletzt, fuhr empor, und Annis Waffe entlud sich gegen die Decke…
Ein wildes Ringen begann auf der schmalen Treppe, ein grauenvoller Kampf entspann sich, Mensch gegen Mensch, – es ging um Annis Leben, und doch verteidigte sie sich mit einer Kaltblütigkeit, die ihr gegenüber der flammenden Wut des Siebenten einen gewissen Vorteil gab.
Harst, der dauernd die Pistole im Anschlag hielt, suchte einen Schuß anzubringen…
Es war unmöglich…
Dann erlahmten Annis Kräfte, Rotten packte sie, wollte sie in die Tiefe schleudern… Ein flinker Schatten huschte von oben her die Treppe hinab, einen Mann mit verwildertem Bart, schlank, groß, totenbleich.
Rotten sah ihn, sah die Waffe des anderen, ließ das Mädchen fahren und stierte den Fremden an.
Der lachte böse und hart.
„Sie sind ein Dummkopf, Rotten… Sie haben mich eingesperrt dort oben in der anderen Grabkammer, nachdem ich dem Sechserklub blindlings vertraut hatte. Ich fand Kendis Gold, dort unten, – doch ich war kein Dieb. Als ich rebellierte, sperrten Sie mich ein, töteten meinen Hund… Viele Monate lag ich in der Finsternis, bewacht und gefüttert von Ihrem Ungeziefer, von verkommenen Subjekten wie Sie eins sind. Viele Monate habe ich mit Steinen an den Riegeln gefeilt, – – heute bin ich frei. – – Rotten, die Stunde der Abrechnung ist da! Ihr Narren habt eure Waffen oben liegen lassen… Die zwei, die sie bewachen sollten, liegen nun daneben, werden sich vorläufig hier kaum einmischen. Sie Betrüger, Sie Lump, der Sie mit Phrasen Ihre Anhänger einfingen, – – wo ist meine Frau?! Reden Sie! Los!! Oder – –“
Fürst Hamilton Pigmatelli winkte Anni zu, und die Geheimagentin schob sich an ihm vorüber die Treppe empor, kam uns aus dem Gesichtskreis.
Der Siebente lehnte wie ein wildes, tückisches Tier an der Felswand.
„Reden Sie!!“
Rotten grinste teuflisch.
„Ihre Frau?! Nun ja, – – Ihrer Frau lebt, aber Sie werden sie kaum wiedersehen… Das heißt: Ihre Frau ist der ‚Sechs’ treu und weiß längst, daß Sie hier gefangen gehalten wurden…“
„Sie lügen!“
„So?! Nun, Sie werden sofort…“
Droben irgendwo rasch hintereinander fünf Schüsse.
Anni Matthiesen stürmte die Treppe hinab…
„Feinde!“ rief sie atemlos… „Schießen Sie, – wir müssen…“
Harst hatte mich zur Seite geschoben.
„Schnell, – – mit anpacken, – – die Laufplanke!“
Jetzt erst erkannte ich, daß die schmale Bretterbrücke an Drahtseilen hing…
Wir schoben sie vorwärts, es ging ganz leicht, die Brücke schwankte, sie lag noch hier auf dem Felsrand auf…
„Springen!“ brüllte Harst… „Springen Sie!“
Pigmatelli zögerte…
Anni bückte sich, flog herüber, packte das eine Drahtseil…
Da sprang auch der Fürst, – sie stützte ihn, die Laufplanke pendelte stärker…
Von oben her Stimmen, Zurufe…
„Schießen!“ kreischte Rotten… „Schießt, – die blaue Schnur befiehlt es! Schießt!“
Minz heulte vor Erregung…
Der Affe tanzte wie toll um uns her…
Harald zielte…
Drei Lampen hingen da…
Drei Schüsse…
Das Licht erlosch…
Finsternis…
Sekundenlang Totenstille…
Nur das Knirschen der Laufplanke auf dem Steinboden war zu hören, – ich hielt das Ende der Bretter fest, zog es zurück, eine dicke Querleiste gab meinen Fingern halt…
Ich zog mit aller Kraft…
Die Planke rutschte rückwärts…
Droben ein Lichtschein…
Wieder Stimmen…
Rotten schrie eisig:
„Werft mir eine Pistole zu‥!“
Der Lichtschein verstärkte sich…
Etwas flog durch die Luft, – Rotten wollte die Waffe auffangen, griff daneben, hatte sich zu weit zur Seite gebeugt, verlor das Gleichgewicht – und sauste in die Tiefe, schlug unten auf dem mächtigen Steinsarg auf…
Wie ein toller Spuk war’s…
Aber die helle Kommandostimme droben, die jetzt dem Todesschrei des ‚größten’ aller modernen Schwindler folgte, war kein Spuk…
„Hier Polizei! Waffen wegwerfen!!“
… Mansur!!
Harst atmete erleichtert auf… „Sagte ich’s nicht, mein Alter, daß der zweite Zugang zu den Höhlen in der Nähe des Lagers der Karawane liege! Wie gut, daß wir es genau beobachten ließen! Mansur ist mit den Seinen den anderen Weg entlanggekommen… – Hallo, Mansur, – hier ist alles in Ordnung! Auch den Fürsten haben wir gefunden!“
„Hamilton!! Hamilton!!“ ertönte eine Frauenstimme…
Alle Seligkeit unverhofften Wiedersehens lag in diesem zärtlichen Schrei… – –
In jener Nacht ging’s in unseren Zelten recht lebhaft her.
Wir durften mit Recht einen vollkommenen Sieg feiern… Der kleine Sender hatte zahllose Befehle nach Kairo gefunkt… In dem Blindenheim fand die Polizei Rottens gesamte Korrespondenz und Aufzeichnungen über seine Pläne. Im Jussuf-Schloß wurde Lord Fitzmoore verhaftet, auch nur einer der Genarrten des großen Schwindlers, der sich den Trick ersonnen hatte, angeblich Asien zum Kulturzentrum einer neuen Weltepoche zu machen. Unzählige waren seine Phrasen erlegen, Unzählige hatten insgeheim von hohen Ehren und Würden geträumt, die nachher zu vergeben wären, wenn Asiens uralte Kultur und Millionenheere gesiegt hätten…
Rotten war nichts als ein Spekulant auf die Dummheit seiner Mitmenschen gewesen. Wie sich herausstellte, besaß er zwar selbst ein Millionenvermögen, als er die ‚6’ gründete. Doch dies genügte ihm nicht, Ehrgeiz kamen hinzu, sein Name sollte die Welt zittern machen… Zunächst aber beschränkte er sich darauf, sein eigenes Bankkonto zu vervielfachen. Geld war sein oberster Götze, und die, die er für seine Pläne gewann, waren seines Schlages.
Nun, über all diese Dinge ist damals nicht viel an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Großmächte hatten ein Interesse daran, die Sache zu vertuschen. Und selbst wir wissen nicht, welcher Gerichtshof die Hauptschuldigen aburteilte und was aus ihnen geworden. –
Am andern Nachmittag standen wir alle in der Riesengruft des ägyptischen Königs Amenostris neben dem Steinsarg und musterten die rundum aufgehäuften Goldschätze, – viele Millionen wert…
Das Ehepaar Hamilton hielt sich eng umschlungen, doch auch Anni von Matthiesen und Oberst Mansur hatten so allerlei miteinander zu tuscheln…
Ich glaube, die Geheimagentin hat damals doch eine Niederlage erlitten. Wenigstens behauptete Fred, der stets recht vorlaut ist, er habe gesehen, wie Mansur das schneidige Mädel küßte…
„Also Niederlage‥! Verlust der Freiheit durch Verlobung und Heirat! Ich finde das scheußlich banal!“
„Ja, – weil Sie selbst die blonde Anni anschwärmten, Sie großer Kindskopf,“ lachte Harald gutmütig ironisch…
Fred wurde blutrot und hüstelte…
… Und die Sphinx drüben in Giseh lächelte ihr uraltes Rätsellächeln…