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Der Mann aus Zelle 13

 

Harald Harst

 

Band: 341

 

Der Mann aus Zelle 13

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

 

Das unheimliche Haus.

Im April hatte die Verhandlung gegen Karl Marx wegen schweren Einbruchs, Widerstandes und unbefugten Waffenbesitzes in einer westdeutschen Industriestadt ohne größere Anteilnahme der Presse stattgefunden. Das Urteil gegen den Angeklagten lautete auf ein Jahr Zuchthaus, da Karl Marx sich die Sympathien der Richter durch sein hartnäckiges Schweigen gründlich verscherzt hatte. Man kannte nicht einmal seinen wahren Namen, man wußte nichts über seine Vorstrafen, man stand in vielem vor einem Rätsel, was den ganzen Fall anbetraf, Marx hatte zweifellos Mithelfer gehabt, wie die Spuren in dem Fabrikkontor bewiesen, – – er schwieg, er nahm das Urteil mit einer ironisch-höflichen Verbeugung hin und bat nur, seine Strafe recht bald antreten zu dürfen.

Das Zuchthaus Eisenstädt, wohin er dann überführt wurde, war eine ältere Anstalt, und Marx erhielt die Zelle 13 des ersten Stockwerkes im Block B, dem allerältesten Teil des Gebäudekomplexes. Er war ein sehr ruhiger, sehr genügsamer Sträfling, und die Anstaltsbeamten, die den Fall Marx genau kannten, gelangten schnell zu der Überzeugung, es hier mit einem ganz gefährlichen und noch viel schlaueren internationalen Gauner zu tun zu haben, zumal auch hier für ihn anonyme Geldsendungen einliefen, die ihm die Haft nach Möglichkeit erleichtern sollten, was freilich nicht angängig war.

Trotzdem blieb der Fall ‚Karl Marx‛, den wir mit größtem Interesse verfolgt hatten, für die Öffentlichkeit alltäglich. Harst war damals in Nordschweden bei einem Bekannten, und er erwähnte in seinen knappen Kartengrüßen die Angelegenheit niemals. Nur unser vielseitiger Famulus Fred Steen und ich besprachen häufig die für uns doch recht mysteriöse Angelegenheit, und Fred, ein langer semmelblonder Jüngling mit frecher Wippnase und zuweilen noch frecherem Mundwerk, erklärte wiederholt:

„Eine glatte Verrücktheit!“

So ganz unrecht hatte er nicht. –

Die ersten warmen Maitage kamen, und mit ihnen eine neue Karte Harsts, nun aus jener westdeutschen Industriestadt, wo dieser im Grunde sinnlose Einbruch in das Fabrikkontor stattgefunden hatte. Die Grußzeilen hatten für jeden Uneingeweihten einen harmlosen Text. Wer sich aber die Mühe gab, diese hübsche Ansichtskarte etwas zu präparieren, fand darauf noch fünf Chiffrezeilen, und diese veranlassten uns, die günstigste Fahrgelegenheit nach jener Stadt aus dem Kursbuch herauszusuchen.

Das war am 10. Mai vormittags neun Uhr.

Gleich darauf hielt vor unserem villenähnlichen Häuschen in Berlin W, (alter Westen), Arnoldstraße, eine Autotaxe, und die junge Dame, die ihr entstieg und durch unseren Vorgarten sich der Haustür näherte, glich dem Frühling selbst und war so blendend schön, daß Fred ihr den besten Klubsessel hinschob.

„Oh, das bedaure ich allerdings sehr, daß Herr Harst verreist ist,“ erklärte Fräulein Erna Stahling recht enttäuscht. „Wann kehrte er wohl zurück?“

„Unbestimmt,“ erwiderte ich der Erbin der größtenteils stillgelegten ‚Stahling-Werke‛. „Vielleicht schenken Sie mir das Vertrauen, gnädiges Fräulein, und tragen mir Ihre Sorgen vor.“

Sie hatte Sorgen, dafür sprachen ein gewisser bitterer Zug um den Mund und die seelenvollen melancholischen Augen.

„Mein Verlobter ist verschwunden,“ sagte sie leise. „Ich weiß mir keinen Rat mehr. Das heißt, – öffentlich waren wir noch nicht verlobt, und im Grunde wußte ich von ihm sehr wenig… Ich hatte mir Bedenkzeit ausgebeten, denn Reisebekanntschaften soll man mit Vorsicht bewerten, obwohl der Baron Detlev Ammersteg weder ein Mitgiftjäger noch ein Abenteurer ist. – Ich besitze einige Menschenkenntnis, und seine ganze Art, wie er in Nizza sich mir näherte, entsprang bestimmt ganz selbstlosen Motiven. Er ist Kurländer und Emigrant, nicht sehr vermögend und schriftstellert ein wenig. Er wollte mich in Ixstädt, wo ich in dem Villenvorort wohne, am 2. April besuchen. Er ist auch in Ixstädt abends am 1. April eingetroffen, denn er rief mich sofort vom Bahnhof an. Doch am folgenden Tag ließ er sich nicht sehen, und da meine Nachforschungen ergebnislos blieben, verreiste ich abermals, weil ich annehmen mußte, daß Detlev im letzten Augenblick vor einer entscheidenden Aussprache zurückgeschreckt sei. Er wollte seine Familienpapiere mitbringen, da ich, so sympathisch er mir auch war, volle Gewißheit über seine Herkunft erlangen wollte. – Inzwischen habe ich nun festgestellt, daß meine geringen Zweifel oder mein übertriebenes Mißtrauen ihn verletzt haben müssen, denn er ist Kurländer, ist der letzte seines Geschlechts und dazu ein sehr intelligenter Mann. – Das alles ist zweifelsfrei erwiesen. Weshalb er alle Beziehungen zu mir abgebrochen hat, begreife ich nicht. – Ich will ehrlich sein, Herr Schraut: Ich liebe ihn! Ich fürchte, ihm ist irgend etwas zugestoßen. An die Polizei kann ich mich nicht wenden, da ich meinen Namen nicht in die Öffentlichkeit gezerrt sehen will. Helfen Sie mir bitte. Ihr Freund Harst und Sie sind die letzte Hoffnung für mich.“

Was an alledem wahr oder entstellt sein mochte, konnte ich im Augenblick nicht ergründen. Tatsache blieb, daß das Verhalten und Benehmen der jungen Erbin recht unausgeglichen erschien und daß es mich überaus stutzig machte, daß Detlev Ammersteg gerade in der Nacht vom 1. zum 2. April verschwunden war, denn in derselben Nacht hatte man ‚Karl Marx‛ verhaftet, nachdem er auf den Fabrikwächter und die Polizeibeamten mehrmals geschossen hatte, ohne jedoch jemanden zu verwunden.

Es gab nun sehr triftige Gründe für mich – Fred Steen wohnte der Unterredung nicht bei – so manches zu verheimlichen, und meine Antwort lautete daher auch, wir würden Fräulein Stahling in Ixstädt sehr bald persönlich besuchen. Ich durfte ihr auf keinen Fall mitteilen, daß ‚Karl Marx‛ und jener Einbruch uns bereits sehr viel Mühe bereitet hatten und daß auch sie selbst, daß millionenschwere Fräulein Stahling, uns keine Fremde war.

Sie verabschiedete sich sehr dankbar und sichtlich erleichterten Herzens, drückte mir warm die Hand und erklärte noch, sie würde sofort wieder zurückreisen, da sie Berlin ohnedies nicht liebe. – –

Noch an demselben Tag, freilich nach halb zwölf Uhr nachts, bestiegen zwei unauffällig gekleidete Herren vor dem Hauptbahnhof in Ixstädt eine Autotaxe und gaben dem Fahrer als Ziel ein einsames kleines Gehöft an, das zwei Meilen außerhalb der Stadt in den bewaldeten Bergen lag. Wir bezahlten im voraus, und gegen zwei Uhr früh setzte die Taxe uns vor dem kleinen ehemaligen Gutsgebäude ab, das ein Ehepaar älteren Jahrgangs zu einem Fremdenheim umgewandelt hatte. Die Taxe machte kehrt, und wir läuteten an der Pforte, genau so wie die Postkarte Harsts es uns vorgeschrieben hatte.

Auf unser Läuten erschien niemand. Fred wurde ungeduldig.

„Ich klettere über den Zaun, Herr Schraut‥!“

Ich warnte ihn. Er ließ sich nicht halten.

„Ach was!“ wies er meine Einwendungen zurück „Fremdenheim ‚Glück auf!‛ klingt so vertrauenswürdig, daß…“

… Er war schon in den Garten gesprungen und stelzte auf das dunkle Gebäude zu. Ich konnte genau sehen, wie er die unverschlossene Haustür öffnete, wie er seine Taschenlampe einschaltete und wie der Lichtschein sich verlor.

Fünf Minuten verstrichen, – zehn Minuten verstrichen. Ich wurde immer besorgter und unruhiger. Das Haus lag so einsam und ein Stück von der Straße ab, die hohen alten Bäume ringsum und der Wald dahinter verliehen dem Gebäude bei dieser nächtlichen Beleuchtung etwas Geheimnisvolles, fast Unheimliches, und Haralds kurzer Chiffrebefehl für uns mochte unter ganz falschen Voraussetzungen erteilt worden sein. Ich wußte beim besten Willen nicht, wie ich mich verhalten sollte, und als Fred dann urplötzlich mit Riesensätzen aus der Haustür hervorschoß und sich mir eilends näherte, ahnte ich das Allerschlimmste…

„Was es geschehen, Fred?!“

„Nur schnell!“ stieß er hervor. „Ich habe sie glücklich ins Bewußtsein zurückgerufen… Die Schufte hatten ihr den Knebel zu tief in den Mund geschoben…“

„Wem?“

„Fräulein Stahling… Sie ist ja mit dem Flugzeug nach Ixstädt zurückgereist… Sie war schon nachmittags daheim…“

„Welche Schufte meinen Sie, Fred?“ –

Wir hoben die Koffer über den Zaun.

„Zwei Kerle, die durch das Fenster in den Wald flüchteten… – Nur schnell‥!“

Wir liefen ins Haus… In einem Hinterzimmer brannte Licht. Die Tür stand offen. Es war ein Fremdenzimmer mit der üblichen billigen Ausstattung.

Fred blieb in der Tür entgeistert stehen.

„Sie ist weg!!“ keuchte er verwirrt… „Dort lag sie… Auf dem Bett… Dort sehen Sie noch die Gardinenschnüre, mit denen sie gefesselt war und die sich zerschnitten habe. Was soll das alles?! Hat sie mich etwa nur genarrt?! War sie gar nicht bewußtlos?! Die Schufte können sie doch nicht verschleppt haben?! Die Fenster sind geschlossen…

Vorhin war das eine offen, und ich verriegelte es wieder.“

Ich stand hinter Fred noch halb im Flur, und ich zuckte erschrocken zusammen, als mir jemand leicht die Hand auf die Schulter legte.

„Guten Abend, mein Alter… Wir haben uns lange nicht gesehen…“

„Du‥?!“

„Herr Harst, Sie‥?!“ rief auch Fred Steen.

„Schreit nicht so!“ mahnte mein Freund ernst. „Das Ehepaar Hörbig schläft im Seitenflügel…“

Er drückte uns flüchtig die Hand. „Ich habe keine Zeit… Ihr müßt mich entschuldigen… Hier die bisherigen Aufzeichnungen, mein Alter. Richtet euch danach genau, denn die Dinge hier schweben auf des Messers Schneide… – Wiedersehen…“

 

 

2. Kapitel

Zelle 13.

Das vergitterte Fenster der Zelle Nr. 13 mündete auf einen kleinen Hof. In derselben Nacht gegen drei Uhr morgens kletterte ein Sträfling an einem dünnen, festen Seil mit vielen Knoten vom Hof aus zu diesem Fenster empor, hob das gelockerte Gitter heraus, schlüpfte in die Zelle und befestigte das Gitter wieder.

Unter dem Fenster hatte er innen aus Tisch und Schemel einer Art Trittleiter hergestellt, denn das Fenster lag sehr hoch.

Er faßte nun in seinen Kittel, nachdem er diese Ersatzleiter entfernt hatte, und brachte eine eigentümlich geformte flache, leicht gewölbte Blechflasche, eine sogenannte Herzflasche, zum Vorschein, wie sie Herzkranke, mit Eisstücken gefüllt, zu tragen pflegen. Der Anstaltsarzt hatte sie ihm verordnet, freilich nicht zu dem Zweck, wie der schlanke Gefangene mit den scharfen Zügen sie jetzt benutzte. Er schraubte nämlich oben den kleinen Klappverschluß ab, und plötzlich schoß ein dünner Lichtstrahl aus der Öffnung des Schraubengewindes hervor, glitt umher und blieb auf der dicken Eichentür mit den Riegeln und Schlössern haften.

Zelle 13 und ihr Insasse verrieten eines ihrer weiteren kleinen, für ein Zuchthaus allerdings sehr bedenklichen Geheimnisse: Vor dem vergitterten und verglasten Guckloch oben in der Tür, durch das die Aufsichtsbeamten die Sträflinge stets heimlich beobachten konnten, hing ein großer Kasten, der etwa einer photographischen Kamera mit Auszügen aus Stoff gleichen mochte.

Sträfling Nr. 13 horchte eine geraume Weile, indem er das Ohr an die Tür preßte, entfernte dann die ‚Kamera‛ und legte sie schnell in ein Versteck, von dessen Vorhandensein ein Uneingeweihter nichts ahnen konnte. Dieses Versteck, ein Mauerloch in der Außenwand, war so sorgfältig hergestellt worden, daß Nr. 13 es nur mit Hilfe tadelloser Werkzeuge ausgehöhlt haben konnte.

Nr. 13 verbarg darin auch die ‚Laterne‛, fügte die äußere Steinschickt wieder ein, stand nachdenklich im Dunkeln da, lachte ärgerlich auf, als habe er sich soeben selbst bei einem schweren Denkfehler ertappt und rückte schnell Tisch und Schemel wieder zurecht, um das Seil einzuziehen und gleichfalls zu verstecken.

Als er den Knoten lösen wollte, fühlte er, daß unten im Hof jemand an dem Seil ruckte, – ruckte, nicht etwa gleichmäßig zog.

Diese Rücke überraschten ihn ein wenig, – er erwiderte sie, holte dann das Seil vollends ein und schob die Mauersteine, die ein Ganzes bildeten, von neuem vor das Loch. Selbst im Dunkeln fand er sich in der engen Zelle so gut zurecht, als ob er sich bei voller Beleuchtung hin und her bewegte. Er war in etwas gereizter Stimmung, seine Unachtsamkeit des Seiles wegen zeigte ihm nur, daß er in dieser Nacht geistig nicht mehr voll auf der Höhe war, wenn er sich auch des Mannes wegen, der unten im Hof das Seilende hatte hängen sehen, weiter keine Sorgen machte.

Das war ‚Karl Marx‛, um dessen wahre Persönlichkeit es bei der Polizei und beim Gericht in Ixstädt ein großes Hin- und Herraten gegeben hatte, – das war der Mann aus Zelle 13, für den es keine Sicherheitsmaßnahmen gab, die ein Zuchthaus erst wirklich gegen die Außenwelt absperren und der mit unerhörter Frechheit all dieser Maßnahmen spottete.

Jetzt schlief er.

Draußen im Flur ging ein Aufseher vorüber, blickte in einzelne Zellen hinein und stand dann vor dem Oberaufseher Mänzer stramm und erstattete die übliche Meldung. Karl Mänzer befand sich auf einem Inspektionsgang, er war nicht gerade beliebt bei seinen Untergebenen, zumal er erst kürzlich von Ostpreußen hierher versetzt worden und niemandem ein vertrauliches Wort erlaubte. Er hatte volle, wenn auch scharf markierte Züge, er schien etwas behäbig zu sein, aber seine Bewegungen waren leicht und kraftvoll, und er besaß nebenbei einen stillen, festen, prüfenden Blick, dem nichts zu entgehen schien.

Er dankte dem Aufseher wortlos nur durch leichten Gruß für die Meldung und setzte seinen Rundgang fort. Nachher in seiner Dienstwohnung blieb er noch eine Weile vor dem Schreibtisch sitzen und starrte regungslos in das Lampenlicht, dann erhob er sich, schloß die Tür ab und entnahm der Innentasche seines Dienstrockes ein Paket Banknoten, zählte sie und verbarg sie in einem großen Blumentopf, der eine vielästige Kaktee enthielt und unten leer war und somit aus zwei Behältnissen bestand.

Es war eine sehr kostbare Kaktee alles in allem: Sie wuchs über Banknoten im Gesamtwert von jetzt zwölftausend Mark, – immerhin ein recht wertvolles Düngemittel für eine so anspruchslose Pflanze.

Aber Karl Mänzer war nicht anspruchslos. Im Gegenteil… – –

*

Ich bin mir vollkommen bewußt, daß ich hier von der bisherigen Art meiner Darstellungsweise unserer kleinen Abenteuer beträchtlich abweiche. Der Fall ‚Zelle 13‛ erfordert dies jedoch aus verschiedenen Gründen. Hätte ich den Leser von vornherein mit der Entwicklung dieses eigenartigen Problems bekannt gemacht, würde ich gewissermaßen stümperhaft als Autor vorgegangen sein. Ich darf also zunächst nur das grell erleuchtete Bühnenbild, das für aller Augen offenkundig ist, zeigen und nachher das einflechten, was Harsts Aufzeichnungen und eigenem Wissen entspringt.

Diese Aufzeichnungen, die er mir in dem Pensionat ‚Glück auf!‛ übergeben hatte, sind in Vorstehendes bereits mit hineinverflochten worden.

Fred und ich lasen sie, nachdem wir das Ehepaar Hörbig, ältere bescheidene Leute, zu ihrem Entsetzen aus dem Bett getrommelt hatten. Sie waren im festen Glauben gewesen, ihr Haus sei gut verwahrt und nun voller Empörung darüber, daß jemand die Klingeldrähte durchgeschnitten, ein Fenster eingedrückt hatte und eingestiegen war. –

Wie weit ihre Entrüstung echt war, konnte man schwer beurteilen. Mir erschien sie übertrieben. Wir hüteten uns natürlich, den Leuten die volle Wahrheit mitzuteilen. Wir begnügten uns damit zu erklären, wir hätten uns hier mit einem Bekannten verabredet gehabt, und Fred habe dann zwei Einbrecher verscheucht.

Von Fräulein Erna Stahling wurde keine Silbe erwähnt.

So wurden wir denn die ersten Sommergäste im ‚Glück auf!‛, bekamen zwei gemütliche Zimmer mit Verbindungstür, Frau Hörbig kochte uns Tee. Dann waren wir allein und verarbeiteten Haralds Niederschrift, die aus fünf einzelnen Blätter zweifelhafter Sauberkeit und beschrieben mit Tintenstift bestand. –

Einzelnes lasse ich weg. Das Übrige bringe ich wörtlich. Ich bitte meine lieben Leser und Freunde, die einzelnen Punkte nicht aus Sensationsgier zu überfliegen, sondern scharf aufzumerken und insbesondere nicht voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Die einzelnen Entwicklungsstadien des Falles ‚Stahling‛ bis zum 11. Mai morgens gegen ein Uhr.

(Diese Überschrift stammt von mir.)

1.) Am 30. März spricht mich bei einem Spaziergang ein Herr an und erzählt mir eine seltsame Geschichte von Liebe und Geld. Abends verreise ich nach ‚Schweden‛, das heißt, ich sende einem schwedischen Bekannten eine Anzahl vorbereiteter Postkarten, die er nachher an Schraut schicken soll. – Schraut wird nur halb eingeweiht.

2.) In der Nacht vom 1. zum 2. April wird in dem früheren Kontor der Stahling-Werke (Kassenraum) eingebrochen. Der Zufall will es, daß zwei Einbrecherkolonnen in dieser Nacht dasselbe planen und daß die eine, die nur aus zwei Personen besteht, die andere, drei Mann, vor dem aufgeschweißten Tresor überrascht.

Die beiden Männer wollen die drei anderen mit vorgehaltener Waffe zu genauen Angaben darüber zwingen, weshalb sie einem leeren Tresor in einer stillgelegten Fabrik zu Leibe rückten. Bevor einer der drei noch antworten kann, taucht hinter den zweien der Schmierensteher der drei auf, und dieser Mann zerschießt die Laterne, so daß urplötzlich Dunkelheit eintritt und die Kolonne der vier entwischen kann, während von den beiden Zurückbleibenden (von der Kolonne der zwei) der eine der Polizei in die Hände fällt. Der andere entkommt.

3.) Ich lerne den Oberaufseher Karl Münzer des Zuchthauses Eisenstädt kennen und treffe mit ihm gewisse Vereinbarungen. (2. Mai)

4.) Ich bleibe, zumeist nachts, in Ixstädt und beobachtete die Villa Stahling in dem Vorort, wobei es mir darauf ankommt, das Ziel der nächtlichen Ausflüge Fräulein Erna Stahlings kennenzulernen. Einmal übernachtete sie, allein ihr Auto lenkend, in dem Pensionat ‚Glück auf!‛, und da sie stets in schnellstem Tempo und auf Umwegen fährt, wird es mir nicht leicht, mit meinem Motorrad hinter ihr zu bleiben.

5.) Fräulein Stahlings Verhalten ist völlig undurchsichtig. Wiederholt entkommt sie mir und ich verliere ihre Spur. Ich bringe lediglich das eine heraus, daß sie dem Ehepaar Hörbig das Geld zum Ankauf des früheren Gutshauses geschenkt hat. Frau Therese Hörbig ist ihre frühere Amme.

6.) Am 9. Mai nach erneuter Unterredung mit Mänzer halte ich es für richtig, Schraut und Steen nach dem ‚Glück auf!‛ zu bestellen.

7.) (Nachtrag) 10., 11.Mai. – Erna St. fährt abermals nach dem Pensionat. Ich beobachte sie und das Ehepaar Hörbig in einem Parterrezimmer. Sie schickt die Hörbigs zu Bett und erwartet offenbar jemand, sie zerschneidet die Drähte der elektrischen Glocke und harrt im dunklen Flur auf den Unbekannten. Ich höre ihren halb erstickten Hilferuf, will ihr Beistand leisten, sehe ein Auto nahen und berechne, daß es der Zeit nach Schraut und Steen sein können. Ich höre weiter, den Kopf an die Fensterscheibe gepreßt, daß zwei Männer von Erna St. irgend eine Frage beantwortet haben wollen. Sie weigert sich, wird gefesselt, und die beiden wollen offenbar gewaltsam ein Geständnis von ihr erpressen. Steen taucht auf, die Kerle fliehen, Erna St. spielt die Bewußtlose, Steen holt Schraut, Erna St. entweicht und fährt mit ihrem im Wald verborgenen Auto davon. Ich verliere die Spur der beiden Männer und kehre zurück, um Schraut und Steen Anweisungen zu geben: Allergrößte Vorsicht, da bestimmt ganz große Sache und Lebensgefahr! Nachts Fabrikgebäude beobachten und meine Befehle abwarten.

– Hiermit schlossen die Aufzeichnungen.

Steen machte dazu ein sehr langes Gesicht.

„Die junge Dame hat mich wirklich geblufft!“ empört er sich. „Wer ist nun eigentlich Karl Marx, Herr Schraut, und was hat dieser Oberaufseher Mänzer mit alledem zu tun?! Überhaupt, das Ganze ist ja eine total verrückte Geschichte. Wer schweißt einen leeren Tresor auf? Davon stand in den Zeitungen kein Wort. Und…“

Ich gähnte kräftig. „Fred, – diese Fragen stellen Sie bitte Harst, nicht mir… Ich weiß nicht einmal mit Bestimmtheit, ob es Detlev Ammersteg gewesen sein kann, der Harst in Berlin angesprochen hat. Ich bin hundemüde… Gute Nacht…“

Wir waren, wie Herr Hörbig betont hatte, die einzigen Gäste in dem Pensionat. Ich lag noch eine Weile wach und rauchte im Dunkeln aus alter schlechter Angewohnheit eine Zigarre. So hörte ich denn im Flur und im Haus allerhand Geräusche: Treppen knarren, leises Öffnen und Schließen von Türen, Rauschen der Wasserleitung, Anknipsen von Lichtschaltern und Quietschen von Dielen und Möbelrücken. –

Ich wollte Fred wecken, – es wurde jedoch mit einem Mal alles still, ich legte die Zigarre weg und war gerade im Einschlummern, als ich mit aller Deutlichkeit neben meinem Bett die Anwesenheit eines Menschen spürte. Eine Hand schob sich mit äußerster Vorsicht unter mein Kopfkissen, wo ich meine Pistole und Harsts Aufzeichnungen versteckt hatte. – –

Ich packte blitzschnell zu, ein Schrei aus weiblicher Kehle erklang, ich hatte ein Handgelenk umspannt. Doch die Frau riß sich los, und dann kam Fred aus dem Nebenzimmer hereingestürzt. Ich schaltete das Licht ein.

Die Frau war verschwunden, die Türen und Fenster geschlossen und von innen verriegelt, und erst nach längerem Suchen entdeckte ich, daß die Tür meines großen, altehrwürdigen Kleiderschrankes nur angelehnt war…

Freds stand dabei und stieß einen leisen Pfiff aus.

„Feine Sache, Herr Schraut! Das kleine Geheimnis soll uns später noch nützlich werden…“

Die Frau war bestimmt nicht Erna Stahling gewesen, denn Fräulein Stahling benutzte ein sehr feines, diskretes Veilchenparfüm, während diese unerwünschte Dame, die es auf Harsts Aufzeichnungen abgesehen gehabt hatte, nach Küche, Lavendel und Tabak geduftet hatte, – Herr Emil Hörbig rauchte nämlich Pfeife und dazu einen fürchterlichen Knaster.

 

 

3. Kapitel

Eine unruhige Nacht.

Morgens neun Uhr brachte Frau Hörbig uns das Frühstück und tat völlig unbefangen. Wir fragten, ob wir das Hörbig’sche Auto benutzen dürften, einen uralten Benzinschlucker, der kaum mehr Wrack genannt werden konnte.

Um halb zwölf hielten wir mit diesem Prachtvehikel vor der Villa Stahling. Fräulein Erna, noch eleganter und reizender als in Berlin, dankte Fred herzlich für sein tapferes Eingreifen und erklärte in einem Atem, sie sei in der verflossenen Nacht so verwirrt und kopflos gewesen, daß sie voreilig aus dem Fenster gesprungen und davongefahren sei.

Das war natürlich gelogen, denn sie war überhaupt nie ohne Bewußtsein gewesen.

Auch jetzt bewies sie eine erstaunliche Selbstbeherrschung. Sie war in ihren Fragen und Antworten so überaus vorsichtig und diplomatisch, daß ich diesem zweifellosen Hin und Her von Spitzfindigkeiten dadurch ein Ende machte, daß ich sehr kurz angebunden um ein Bild des Barons Ammersteg bat, den wir suchen sollten. Bereitwillig übergab sie mir eine gute Amateurphotographie, die in Nizza aufgenommen war, und schon bei dem ersten Blick auf das Bild hatte ich alle Mühe, meine Überraschung zu verbergen.

Gewiß, absolute Ähnlichkeit gibt es nur zwischen Zwillingen. Immerhin sah der Baron meinem Freund Harst sehr ähnlich, und bei flüchtiger Betrachtung konnte man annehmen, es sei Harst.

Wir verabschiedeten uns. Im Auto zeigte ich Fred das Bild. –

„Unbegreiflich!“ rief er. „Das könnte Herr Harst sein!“

Wir hielten vor dem Polizeipräsidium. Ein Beamter führte mich zu dem zuständigen Kommissar der Kriminalabteilung. Der Herr war überaus höflich. Ich erklärte lediglich, Harst interessiere sich für den Fall ‚Starling-Marx‛ – ob dies wohl Karl Marx sei. Der Kommissar trat mit dem Bild ans Fenster, bejahte, gab es mir zurück und wollte wissen, woher ich es hätte. –

Ich war zur Diskretion verpflichtet und erwiderte daher, das Bild sei uns anonym mit einem Zeitungsausschnitt über den Fall ‚Marx‛ zugeschickt worden. Kommissar Trauter lächelte ein wenig.

„Es ist Marx, Herr Schraut… Der Fall ist erledigt! – Sagen Sie das auch Ihrem Freund.“

Dann gondelten wir mit dem Benzinwrack zu den Stahling-Werken hinaus, von denen nur noch die Metallschmelze in Betrieb war. Ich wollte mir das Verwaltungsgebäude von außen ansehen und womöglich auch einen Blick auf den ruinierten Tresor werfen.

Das Werk lag weit draußen, und in der stillen Arbeitervorstadt merkte ich bald, daß eine schnittige Limousine mit vermummtem Fahrer hinter uns her war: Fräulein Stahling, dieses schöne Rätsel!

Unter diesen Umständen zog ich es vor, einen Arbeiter nach dem ‚richtigen‛ Weg zu fragen und dann rechts von der Chaussee nach ‚Glück auf!‛ abzubiegen.

Die elegante Limousine blieb noch eine Weile hinter uns und machte dann kehrt. Fred hatte beobachtet, daß unser schönes Rätsel denselben Arbeiter ausgefragt und ihm Geld gegeben hatte.

Meine List war geglückt.

Auch wir kehrten um, und nachher schritt ich allein zu Fuß auf das Verwaltungsgebäude zu, vor dem auf einer Bank im Sonnenschein ein graubärtiger Wächter saß und … schlief.

Ich weckte ihn, erklärte, ich sei Zeitungsreporter, und möchte mal den Kassiererraum…

Da war’s aus. Der Alte wurde saugrob, und ich zog sehr enttäuscht ab, nein – nicht vollkommen enttäuscht, denn ich hatte mich vor dem Gebäude sehr genau umgesehen.

Drei Straßen weiter stieg ich wieder in den Wagen zu Fred, und unser nächstes Ziel war eine Autoverleihanstalt, wo ich eine größere Summe zahlte und mit dem Inhaber gewisse diskrete Vereinbarungen traf.

Um drei Uhr waren wir wieder im ‚Glück auf!‛, aßen sehr gut Mittag, schliefen und schlugen die Zeit bis zum Abend tot. So wurde es zehn Uhr. Wir gingen zu Bett, nachdem wir noch mit dem etwas anrüchigen Ehepaar Hörbig freundschaftlichst geplaudert hatten. Über dies und jenes, – auch über Erna Stahling, die von den Hörbigs über den grünen Klee gelobt wurde.

Ich schätzte die junge Dame etwas anders ein.

Wir waren natürlich nicht zu Bett gegangen, sondern saßen stumm und still in meinem Zimmer und warteten bis halb elf Uhr. Für diese Zeit hatte ich mir das Leihauto in die Nähe bestellt. Der bewußte Kleiderschrank stand halb offen, damit ich durch die bewegliche Rückwand und durch das türähnliche Loch in der Hausmauer sofort hinausschlüpfen könnte. Dieses Loch hatte einen ganz unauffälligen Verschluß aus einer Schicht von Ziegelsteinen.

Wir rauchten nicht einmal, wir wußten ja, daß die Hörbigs spionierten, und wir hatten miteinander vereinbar, Fred solle während meiner Abwesenheit im Garten Wache halten. Harsts Aufzeichnungen trug ich im linken Schuh zwischen Oberleder und Futter.

Irgendwo schlug ein keifender alter Wandregulator zwei Schlägel: Halb elf!

Ich horchte nochmals und wollte mich gerade zu Fred hinüberbeugen, als ich von seinem Plüschsessel aus Geräusche vernahm…

Der Sessel knarrte, ein Stöhnen folgte, und als ich halb entsetzt emporschnellen wollte, packten mich kräftige Fäuste, und den Schrei, der mir bereits auf den Lippen schwebte, erstickte ein Knebel.

Die Leute, die uns überfallen hatten, trugen zweifellos Schuhe mit Filzsohlen, ich hörte nichts von ihnen, ich vernahm kaum ein paar hastige Atemzüge, aber ich roch etwas: Es war der so kennzeichnende muffige Dunst von Zuchthauskleidung!

Ich saß nun wieder ganz still da.

Was würde weiter geschehen?!

Dieser Überfall mußte doch irgend einen Zweck haben. Und Zuchthäusler?! Gewiß, der Mann aus Zelle 13 war wohl für seine Person imstande, jederzeit nachts seine Zelle zu verlassen. Seine ‚Kamera‛ täuschte jeden Aufseher. Es war eben ein glänzend konstruierter Apparat, der das Innere der Zelle mit dem Bett und dem schlafenden Gefangenen vortäuschte. Hier jedoch mußten sich mindestens vier Personen im Zimmer befinden.

Unwillkürlich – es war ein ganz flüchtiger Gedanke – dachte ich an die Einbrecherkolonne der ‚Vier‛, drei Geldschrankknacker und ein Schmierensteher.

… Es geschah nichts.

Dann fühlte ich, wie jemand meine Kleider betastete, wie man mir schließlich auch den linken Schuh auszog, und ich hörte Papier knistern.

Harsts Aufzeichnungen waren in fremde Hände geraten.

Abermals kein Laut, nichts…

Nicht der Lichtstrahl einer Laterne… Die Dunkelheit blieb wie dicke schwarze Tücher, nur mein durch die Erregung geschärftes Ohr glaubte einmal in der Ferne das Surren eines Autos zu vernehmen.

Dann knallte im Garten ein dünner Schuß, eine Scheibe splitterte. Minuten später rüttelte Emil Hörbig an der Tür und brüllte, wir sollten öffnen.

Ebenso unerwartet fühlte ich bei einer hastigen Bewegung meine Arme frei, die Stricke waren zerschnitten, ich riß den Knebel heraus, befreite auch meine Füße, schaltete das Licht ein und öffnete die Tür.

Der dürre lange Hörbig stand völlig zerstört auf der Schwelle und stierte den gefesselten Fred an.

„Herr Schraut, – – man hat in unser Schlafzimmer hineingeschossen‥!“ stammelte er endlich.

Die Bemerkung hätte er sich sparen können.

Als Fred den Knebel los war, betrachtete er Emil Hörbig mit langen Blicken.

„Öffnen Sie Ihren Schlafrock!!“

Hörbig zitterte…

Fred spielte mit seiner Pistole… Es war nur eine Scheintodwaffe, doch als solche durchaus nicht zu erkennen‥.

„Bitte…“ Und der verängstigter Hausherr schlug den Schlafrock auseinander.

Er war im Nachthemd, trug Filzschuhe, und seine dünnen, schwarz behaarten Beine wirkten lächerlich.

Fred schüttelte den Kopf…

„Entschuldigen Sie, Herr Hörbig…“

„Glaubten Sie, ich hätte…“ – und Emil Hörbig hob die Schwurhand. „Bei Gott, ich lag im Bett!“

„Verrückte Geschichte‥!“ meinte Steen etwas besänftigt.

Ich hatte mich gesetzt und zog meine Schuh wieder an, – – stoppte plötzlich, faßte in den linken hinein und zog ein Papier hervor, auf das kaum leserlich gekritzelt war – Harsts Schrift:

Das ganze war Bluff. Aber Erna Stahling ist mißtrauisch geworden. Kein Wort zu den Hörbigs. Verbrennen.

Ich hätte mir am liebsten die Stirn massiert. Allmählich wuchs mir dieser Fall ‚Marx‛ denn doch zum Halse heraus.

„Was ist’s mit dem Papier?“ fragte Hörbig und trat näher. Ich rieb schon ein Hölzchen an, das Papier flammte auf, und ich griff nach einer Zigarre.

„Ein schlechter Witz dieser nächtlichen Banditen, Herr Hörbig,“ erklärte ich achselzuckend.

Emil Hörbig war noch immer völlig verschüchtert. Man merkte ihm an, daß er nicht heuchelte. In dieser seelischen Verfassung würde er sich am leichtesten zu einem Geständnis bereit finden.

„Herr Hörbig,“ sagte ich mit allem Nachdruck, „wir haben die Geheimtür in der Mauer entdeckt. Ihre Frau wollte gestern nacht Harsts Aufzeichnungen unter meinem Kopfkissen hervorangeln.“

Der arme Kerl sank auf den nächsten Stuhl. „Ich leugne das nicht… Wir sind Fräulein Stahling zu Dank verpflichtet. Sie hatte Sie beide belauscht, und … und…“

„Halt, – weshalb die nächtliche Unruhe gestern im Haus?!“

„Auch auf Fräulein Ernas Wunsch, um die Geräusche zu übertönen, als sie die Mauertür benutzte… – Herr Schraut, ich schwöre Ihnen, ich habe nicht die geringste Ahnung, was das alles bedeuten soll. Meine Frau und ich sind schlichte ehrliche Leute, und…“ – er begann faßt zu weinen, er konnte nicht weitersprechen, und Fred klopfte ihm begütigend auf die Schulter.

„Ruhe, Ruhe‥!! Wir fressen keinen! Wir glauben Ihnen schon deshalb, weil wir selbst vollkommen im Dunkeln tappen. Gehen Sie schlafen, trinken Sie vorher einen Schnaps und geben Sie auch Ihrer Frau einen kräftigen Likör.“

Hörbig schlurfte seufzend davon, indem er das ganze ‚Glück auf!‛ verwünschte.

 

 

4. Kapitel

Die Hilferufe.

Eine Stunde vor diesen Ereignissen hatte der Mann aus Zelle 13 eilfertig die Vorbereitungen zum Verlassen seines Gratiszimmers getroffen und war, nachdem die ‚Kamera‛ wieder vor dem Guckloch hing, in den Hof hinabgeklettert. Im Erdgeschoß unter seiner Zelle lag die Wohnung des Oberaufsehers Mänzer, die einen besonderen Ausgang ins Freie hatte.

Karl Mänzer erwartete den Sträfling, der zu ihm in das Fenster einstieg. Außerdem waren noch drei Personen anwesend, deren verkniffene Gaunergesichter Karl Marx mit verständnislosem Grinsen begrüßten.

Mänzer brachte Mäntel und Mützen herbei, und die seltsame Kolonne verschwand nachher im Wald und schlug die Richtung ostwärts ein.

Mänzer und Nr. 13 schritten voraus. Der Oberaufseher war schlechter Laune. „Wir kommen mit der Geschichte nicht vorwärts… Ein miserables Geschäft alles in allem. Wir jagen einem Phantom nach, lieber Marx.“

Der andere widersprach. „Sie hat letztens wieder in Mannheim in aller Stille eine Perlenschnur und ein Brillantkollier beleihen lassen… Wo soll denn das Geld geblieben sein?! Der Alte war kurz vor seinem Tod nicht mehr ganz zurechnungsfähig, das beweist schon allein die unsinnige Vernichtung der Schlüssel des Tresors und sein Nachtrag im Testament. Erna Stahling befindet sich in einer sehr üblen Lage. Ihre Angaben erscheinen unglaubwürdig… – Aber vielleicht weiß sie selbst gar nichts. Mit Gewalt ist die Sache nicht zu klären. Man muß schrittweise vorgehen.“

Mänzer fluchte leise. „Wenn die drei Kerle da hinter uns mich wegen Annahme von Bestechungsgeldern anzeigen, ist alles verloren, Marx!“

Der Mann aus Zelle 13 rauchte ganz gemütlich eine Zigarre. „Nur nicht den Teufel an die Wand malen, lieber Mänzer! Klappt die Sache, so wird…“

„… Sie wird nicht klappen! Sie haben mich zu Dingen verleitet, Marx, die recht wenig…“

„… denn landläufigen Moralbegriffen entsprechen,“ ergänzte der andere leichthin. „Mag sein… Aber wir wissen, um was es geht.“

Der Oberaufseher mit den scharfen Zügen blieb stehen.

„Still! Drüben am Waldrand schlenderte der Förster entlang‥! Hinlegen! Das fehlte noch, daß der uns anhält‥!“

Der Forstbeamter bog jetzt jedoch in die Felder ein und kam bald außer Sicht. Die seltsame Kolonne setzte ihren Marsch noch vorsichtiger fort.

Mänzer begann von neuem: „Auch gestern nacht hätten wir den Anschlag auf Erna Stahling unterlassen sollen‥! Das Mädchen läßt sich nicht einschüchtern.“

Marx lachte leise und belustigt. „Schraut und Steen sind sehr intelligente Herren!! Aber nützlich. Erna Stahling wird sich im Vertrauen auf die Harmlosigkeit der beiden doch irgendwie verraten, falls sie etwas zu verbergen hat… – Wir sind bereits in der Nähe…“

– Und dann erfolgte der Überfall auf uns…

Und dann?!

… Die Kolonne kehrte heim. Diesmal schritt Mänzer allein voraus. Er hatte keine Lust, sich auf ein Gespräch einzulassen, ihm ging vieles durch den Kopf… Gewiß, die Hörbigs würden nun gründlichst von jeglichem Mißtrauen gegen ihre Sommergäste geheilt sein. Trotzdem – – wenn die Sache nur besser in Fluß käme! Die Entwicklung der Dinge ging ihm zu langsam. Es war ein sehr zweifelhaftes Vergnügen, Tag und Nacht in Angst zu schweben, daß seine Vorgesetzten in Eisenstädt auf sein Treiben und seine ‚offene Hand‛ aufmerksam werden könnten oder daß einer der Sträflinge etwa Erpressungen versuchte. Freilich hatte er sich Leute ‚vom Fach‛ und nur solche ausgewählt, deren Strafzeit in kurzem beendet war.

Trotzdem, Karl Mänzer war bei alledem keineswegs wohl zumute, und wenn er Harst zur Stelle gehabt hätte, würde er diesem einmal gründlich seine Meinung gesagt haben. So konnte das auf keinen Fall weitergehen, es mußte etwas Entscheidendes geschehen. Ihn überlief es heiß, wenn er nur an die drei Galgenvögel dachte, die da gehorsam hinter ihm drein schlichen… – –

Derweil war es fast Mitternacht geworden. Steen und ich hatten uns überzeugt, daß die Hörbigs wieder zu Bett gegangen waren, und nach kurzer Beratung entschloß ich mich, doch noch nach Ixstädt hinüberzufahren und dem Fabrikkontor einen heimlichen Besuch abzustatten. Der alte Wächter war nicht allzusehr zu fürchten, der Mann würde es mit seinen Pflichten wohl kaum so recht ernst nehmen.

Ich schlüpfte durch den Schrank ins Freie, fand auch das bestellte Auto an der vereinbarten Stelle und wir gondelten im schnellsten Tempo davon. Der Inhaber des Autoverleihs saß selbst am Steuer, der Herr war zuverlässig und verschwiegen, er wußte ja, mit wem er es zu tun hatte. – –

Der schnittigen Wagen hielt an einer dunklen Ecke der Vorstadt, und ich setzte meinen Weg wie schon heute Mittag zu Fuß fort, fand mich leicht zurecht und kletterte frech über das geschlossene Tor der Stahling-Werke.

Im Wächterhäuschen brannte Licht, ich hatte schon von der Straße aus den Graubart lesend am Tisch erkannt. Ich huschte vorüber, und dann stand ich mit meinem Bund Dietriche vor dem Haupteingang des Büroraumes.

Ich stutzte… Der eine Torflügel war nur angelehnt, und mit einigem Unbehagen schlich ich weiter, lehnte die Tür wieder an und wandte mich nach rechts, wo der Kassenraum lag.

Abermals kamen mir Bedenken, als auch hier die Türen halb offen waren, – ich wurde noch vorsichtiger und blickte dann schließlich in ein Gewölbe hinein, dessen Rückwand matt erleuchtet war.

Vor dem mächtigen, eingemauerten Tresor mit der aufgesprengten Tür, die einen Einblick in den offenen Schrank gewährte, lehnte an dem einen Marmorpfeiler der … alte Wächter. Vor seiner Brust baumelte eine sehr hell brennende Laterne, und der Mann rauchte eine Zigarette, – das fiel mir am meisten auf.

Außerdem waren mir auch gewisse Handbewegungen Harsts so vertraut – zum Beispiel, wie er die Zigarettenasche abschnippte –, daß es gar nicht mehr des Duftes seiner Mirakulum bedurft hätte: Es war Harald!

Jetzt drehte er sich langsam um…

Unter meinen Füßen hatte irgend etwas Weiches nachgegeben und einen leise pfeifenden Ton erzeugt: Ein flacher Gummiball, zweifellos nur hier hingelegt als Warner.

„Tritt nur näher, mein Alter…“ sagte er schlicht. „Ich wußte ja, daß du kommen würdest. Bei dieser Sache sind so viel Spione auf den Beinen, daß man sich gar nicht genug vorsehen kann…“

Ich war neben ihm, er streckte mir die Hand hin…

„Ganz nette Maske, nicht wahr? Mein Duplikat sitzt im Torwärterhäuschen, du wirst ihn gesehen haben… Es ist Baron Detlev, ein netter Kerl, recht geschickt und vielseitig…“

Ich hielt noch immer seine Hand.

„Harald, wer ist nun eigentlich der Mann aus Zelle 13?! Ich glaubte, du wärst es.“

Diese Frage war mir im Augenblick am wichtigsten.

„Weshalb erwähnst du solche Nebensächlichkeiten?“ lenkte er mit unmerklichem Lächeln ab. „Ich habe ganz andere Sorgen, und der Baron und Mänzer desgleichen.“

Harst wurde sehr ernst, als er die folgenden Sätze mit noch stärker gedämpfter Stimme sprach: „Bisher hatten wir es nur mit Erna Stahling zu tun, denn die Hörbigs rechnen im Grunde nicht als Gegner. Heute erhielt ich den Beweis, daß da plötzlich noch Konkurrenz aufgetaucht ist, den endgültigen Beweis… – Vor dieser Konkurrenz warne ich Fred und dich.“

Er streifte seinen linken Ärmel empor, und ich sah, daß er um den Unterarm ein Taschentuch gebunden hatte…

„Streifschuß… Ein Treffer von vier Schüssen mit Schalldämpfer, als ich mit dem Motorrad unterwegs war. Nehmt euch also in acht, die Burschen sind grobes Kaliber, und sie stellen den Schönheitsfehler in diesen so pikanten Fall dar. Pikant, weil ja auch Erna Stahling äußerst pikant wirkt. Sie ist zwar keine landläufige Schönheit, und geistig steht sie hoch über dem Durchschnitt. – Das also ist nun der berühmte Tresor…“ wechselte er das Thema. „Er war leer, als Baron Detlev und ich hier die Geldschrankknacker überraschten, die Kerle waren mit der Arbeit gerade fertig geworden und machten recht lange Gesichter, als sie keine Spur der erhofften Millionen bemerkten. Sie besaßen übrigens hervorragende Werkzeuge, der Schweißapparat war von besonderer Konstruktion, vielleicht das modernste dieser Art. – Hallo, – – was war das?! Hörtest du?!“

Er war mit ein paar Sätzen an der schweren Eisentür des Gewölbes und horchte.

Dann winkte er mir. Wir liefen ins Freie, und als wir auf das Torwärterhäuschen zustürzen, vernahmen wir draußen auf der Straße noch einen erstickten Schrei und dann das Schnurren eines Automotors.

Harst stand wie eine Bildsäule vor dem Tischchen, an dem der Baron Ammersteg bisher gesessen hatte.

Auf dem aufgeschlagenen Buch lag ein getippter Zettel:

H., ich gebe die Sache auf. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. – Z. 13

Selten habe ich meinen Freund derart verblüfft gesehen wie damals.

Z. 13 konnte doch nur ‚Der Mann aus Zelle 13‛ heißen. Also war es doch Ammersteg!

Es ist jedoch nicht Haralds Art, sich über längere Zeit zwecklosen Gedanken hinzugeben. Er schaute sich prüfend in der kleinen Stube um und wies auf den umgestürzten Stuhl und eine auf den Dielen liegende, zertretene Zigarre.

„Hier stimmt natürlich irgend etwas nicht… Weshalb sonst die Hilferufe, die wir hörten?! Ob es des Barons Stimme war, weiß ich nicht. Aber etwas anderes weiß ich bestimmt: Erna Stahling erwartete vergangenen Nacht jemanden draußen bei den Hörbigs, jemand hatte sie dorthin bestellt, – wer?!

Der Überfall auf die junge Dame hatte damit gar nichts zu schaffen, der Erwartete mag durch euch verscheucht worden sein…“

Er sprach immer lebhafter, und seine Maske als Wächter paßte nicht recht zu dieser geistigen Frische. „Ich habe jetzt zwei dringende Aufträge für dich, höre genau zu, ich selbst muß mich anderweitig betätigen…“

Er senkte die Stimme bis zu vorsichtigstem Flüstern. –

Ich war wenig erbaut von dem, was er mir zumutete, trotzdem verabschiedete ich mich eiligst, und mein Leihauto brachte mich in den Vorort zur Villa Stahling hinaus.

 

 

5. Kapitel

In der Wibbergasse.

Es war jetzt gegen zwei Uhr morgens, der bis dahin klare Himmel hatte sich bewölkt, die Nacht war schwül und in der Ferne grollte ein Gewitter. –

Ich ließ das Auto wieder an der Straßenecke vor der Villa halten, damit der Fahrer mir nicht allzu tief in die Karten schauen konnte. Der ganze Fall ‚Zelle 13‛ war freilich so undurchsichtig, daß ein Uneingeweihter aus Einzelbeobachtungen gar nicht entnehmen konnte. Dennoch hielt ich es für angebracht, den Autoverleihbesitzer nach Möglichkeit im unklaren über Ziele und Zwecke dieser etwas geheimnisvollen Ausflüge zu lassen. Aus demselben Grund begab ich mich auch nicht direkt nach der Villa, sondern machte einen Umweg nach der entgegengesetzten Seite.

Ich hatte angenommen, im Haus Stahling würde alles im tiefsten Schlaf liegen, ärgerte mich nun, denn im Hochparterre waren zwei Fenster hell. Es war dasselbe Zimmer, in dem Fräulein Erna Fred und mich empfangen hatte. Nicht einmal die Rolläden waren verschlossen, nur die Vorhänge zugezogen.

Ich durfte nicht lange zögern und läutete. Aber niemand erschien. Schließlich warf ich etwas feinen Kies gegen die erleuchteten Fenster. Das half. Die Haustür ging auf. Ich stand im Schatten des tiefen Portals, und draußen regnete es.

Erna Stahling fragte flüsternd:

„Nummer 13?“

Ich hörte ihrer Stimme an, wie erregt sie war.

Diese Frage konnte nur ein irgendwie vereinbartes Losungswort sein.

„Dreizehn,“ flüsterte ich geistesgegenwärtig zurück.

Die junge Dame, die offenbar die Glocke ausgeschaltet hatte – bei Hörbigs hatte sie sogar die Drähte zerschnitten! – raunte mir energisch zu: „Ich warne Sie! Ich habe eine Waffe in der Hand und meinen Hund neben mir…“

Ich sah die glühenden Augen eines sehr hochbeinigen Tieres. Es war eine Dogge.

„Die Waffe ist genau so unnötig wie der Hund,“ flüsterte ich wieder und erlaubte mir eine gleichgültige Handbewegung. –

Der Hund röhrte dumpf.

Erna Stahling trat zurück, und ich schlüpfte in die Vorhalle. Ich hatte das Gefühl, als ob ich hier eine böse Niederlage erleben würde. Zweifellos hielt mich das Mädchen für eine andere, von ihr erwartete Person. Immerhin war ich hierauf durch Harst so halb und halb vorbereitet worden.

Die Dogge röhrte noch grimmiger, bevor die Tür wieder verriegelt wurde. Das Licht in der Vorhalle flammte auf, und ich starrte die junge Millionärin genau so entgeistert an, wie sie mich.

„Herr Schraut‥?!“ – ein fast haßerfüllter Ausdruck trat in ihre Augen. „Was wollen Sie hier?!“ Sie war totenbleich geworden. Ihr Gesicht erschien versteinert, und ihre Lippen zuckten, als ob sie noch eine Flut von Vorwürfen und Fragen zurückdrängte.

„Harst schickt mich her…“ erklärte ich schnell.

Dadurch verschlimmerte ich meine Lage nur noch.

„So?! Harst?!“ Es klang feindselig und empört. „Der Herr fehlt mir gerade noch! – Was wünschen Sie? Reden Sie!! – Schnell!!“

Sie wurde jetzt ängstlich, horchte nach der offenstehenden Tür ihres kleinen Salons hin…

Ich ahnte, weshalb…

Sie wollte die Steinwürfe gegen das Fenster nicht überhören.

War es unter diesen Umständen klug, ihr die Wahrheit mitzuteilen?! Wohl kaum. Ich fühlte ja, wie sie gegen uns eingenommen war. Ich konnte mir auch denken, weshalb. Die Vorgänge dieser Nacht im ‚Glück auf!‛ hatten die Hörbigs ihrer Wohltäterin bestimmt längst telephonisch mitgeteilt. Erna Stahling hatte daraus ganz andere Schlüsse gezogen, als ‚man‛ erhofft hatte.

Plötzlich änderte sich ihr Benehmen.

„Ich will nicht unhöflich erscheinen, Herr Schraut. Bitte, treten Sie näher…“

Sie deutete auf die Salontür…

Ich trat ein. Sie schloß die Tür und wies auf einen Sessel.

„Danke verbindlichst,“ sagte ich möglichst unbefangen. Ich hatte mir meinen Schlachtplan bereits zurechtgelegt. „Harst hält es für richtig, daß wir Ihren Auftrag fernerhin nicht weiterverfolgen.“ –

Das war so grob gelogen, daß ich mich gar nicht wunderte, als sie nun mit einem ironischen harten Auflachen sehr selbstbewußt den Kopf zurückwarf. Ich hatte hier ja die Unterredung zwischen ihr und dem Erwarteten mit ihrem Einverständnis belauschen sollen.

„Was Sie nicht sagen!!“ höhnte sie ohne Scheu. „Nun gut, – wie Sie wollen…“ Ihr Ton hatte sich jäh verändert. Sie sprach kalt und rücksichtslos. Die Pistole in ihrer Hand hob sich.

„Ich weiß nicht, inwieweit Ihr Freund Harst … mich bereits geschädigt hat. Damit ist’s nun Schluß, endgültig… Sie werden vorläufig ganz gehorsam dort in die Bibliothek gehen, Herr Schraut, und Tyras wird Sie bewachen, – im Dunkeln. Wenn Sie sich rühren, springt er zu… – Bitte, – – Ihre Waffe! – So, danke… Nun dort hinein.“

Noch nie bin ich mir so unglaublich kläglich vorgekommen wie damals. Da war in der Bibliothek auch ein Riesenschrank mit einem leeren Mittelteil… Und dort saß ich auf einem Hocker…

„Tyras, leg dich!!“

Die Dogge lag vor der angelehnten Tür, das Licht erlosch, – die schwere Zimmertür schloß sich, und als der Hocker etwas knarrte, röhrte Tyras so drohend, daß mir der Atem wegblieb. –

Ich hörte und sah nichts. Ich hätte Erna Stahling einfach erdrosseln können, so sehr kochte in mir die Wut… –

Endlose Zeit verstrich… Dann trat das Mädchen wieder ein und befreite mich, reichte mir stumm meine Pistole und zehn Hundertmarkscheine und deutete auf die Tür. Trotzdem bemerkte ich, daß sie vor Erregung fieberte. Zweifellos war inzwischen der Erwartete bei ihr gewesen.

Mit völlig benommenem Kopf und tief gedemütigt schritt ich meinem Auto zu. Der Mann am Steuer empfing mich mit einer aufmunternden Botschaft. „Ein Herr mit einem Motorrad übergab mir diesen Brief für Sie, Herr Schraut… Es eilt…“

Harst also! – Ich riß den frisch zugeklebten Umschlag auf und fand darin folgenden Befehl:

Auf Laternenmasten achten und Kreidekreuze. An Straßenkreuzungen auf Pfeile. Auto zum Hauptbahnhof schicken. Bin hinter dem Besucher her. – H.

– Um dieselbe Zeit, als ich nach halbstündigem Marsch durch entlegene Stadtteile in die finstere, armselige Wibbergasse gelangte, sauste ein geschlossenes Auto die Chaussee entlang, von der kurz vor dem Pensionat und Walderholungsheim ‚Glück auf!‛ eine Seitenstraße nach dem Zuchthaus und nach dem gleichnamigen Dörfchen Eisenstädt abbiegt.

Der einzige Insasse dieses Wagens ließ an einer dunklen Stelle halten, drückte dem Fahrer einen größeren Geldschein die Hand und huschte davon. Er hatte den weichen Hut ganz tief ins Gesicht gedrückt, hatte den Mantelkragen hochgeschlagen und zugeknöpft, und der Schofför hätte den Fremden, der ihm das vorteilhafte Angebot gemacht hatte, niemals wiedererkannt, auch nicht an der Sprache.

Der Mann mußte sich sehr beeilen, damit er noch vor Morgengrauen seine Zelle wieder erreichte. Er lief stellenweise im Trab, und als er schließlich bei Oberaufseher Mänzer leise anklopfte und schleunigst eingelassen wurde, empfing ihn dieser mit ernsten Vorwürfen, die auf Nr. 13 freilich wenig Eindruck machten.

In seiner Zelle glücklich angelangt, benahm er sich wie stets nach seiner Heimkehr und schlief dann sofort ein.

*

Inzwischen hatte ich in der Wibbergasse das Haus entdeckt, dessen häßliche Tür das letzte Kreidekreuz zeigte. Ich wischte es weg und ebenso den dünnen Kreidepfeil, der schräg nach unten zeigte.

Dieses derart gekennzeichnete Haus war mehr eine altersschwache Baracke, – genau wie alle übrigen Gebäude der berüchtigten Wibbergasse, deren Hinterhöfe an den sogenannten Zechen-Kanal stießen. Wer westliche Industriestädte genau kennt, dürfte aus der Wibbergasse und einigen meiner anderen Angaben leicht erraten, welches Industriezentrum mit Ixstädt hier gemeint ist.

Die Wibbergasse lag jetzt bei dem dünnen Regen und dem drohenden Gewitter völlig ausgestorben da. Sie wirkte so überaus ärmlich, verwahrlost und unheimlich, daß das kleine Schaufenster rechts neben der Eingangstür der von Harst signierten Baracke geradezu nervenberuhigend sich ausnahm, denn die dort ausgestellten Puppen, Puppenstuben, Kinderspielzeuge und Karnevalskostüme, beleuchtet durch eine einzige elektrische Birne, hatten in ihrer Mannigfaltigkeit, Sauberkeit und in ihrem grellbunten Durcheinander etwas Friedvoll-Märchenhaftes an sich.

Vor der Haustür lag als Schwelle ein grob behauener, ausgetretener Feldstein. Da der Pfeil nach unten gewiesen hatte, fühlte ich mit der Hand unter die rechte Steinkante, angelte einen zusammengefalteten Zettel hervor und trat damit in die nächste tiefe Haustürnische, schaltete meine Lampe ein und las folgendes:

Beobachtet das Haus und den dahinter liegenden Kanal mit den ausrangierten Frachtkähnen. Solltest du mir begegnen, so kennen wir uns nicht. H.

Ich zerriß den Zettel in winzige Stückchen, die ich in verschiedene Regenpfützen warf, überquerte die Gasse und drückte mich in den Winkel einer überdachten Toreinfahrt. Ich hatte die Baracke und die Schaufenster nun gerade vor mir. Das alte Haus besaß zwei Stockwerke und ein Giebelfenster. Über dem Schaufenster hing ein großes Holzschild

Puppenklinik

Inhaberin Emilie Schramm

Eine Puppenklinik in der Wibbergasse?! – Ich konnte nur wieder den Kopf schütteln…

Zuweilen huschten doch einzelne Gestalten mit aufgespannten Regenschirmen vorüber und hinterließen einen aufdringlichen Parfümgeruch…

Dann näherte sich ein Mann im langen Gummimantel und Reisemütze und huschte lautlos fünf Schritt vor mir in eine Haustürnische. Ich horchte, – vernahm das Geräusch eines Schlüssels, aber kein Türknarren. Der Mann war wohl ebenfalls ein Spion, – seine Nachbarschaft kam mir ungelegen, denn sie beraubte mich der Bewegungsfreiheit. Mitunter blitzte es in nicht allzu weiter Entfernung, dann wurde die Gasse für Sekunden heller…

Plötzlich fesselte mich etwas ganz Bestimmtes in dem matt erleuchteten Schaufenster. Ich starrte minutenlang ungläubig hinüber, und erst allmählich wurde mir die Bedeutung dessen, was ich beobachtete, vollkommen klar. Ich wurde dadurch nur noch verwirrter, es erschien mir höchst zweifelhaft, daß Harst so schnell Emilie Schramm für sich und seine Zwecke gewonnen haben sollte.

Mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgte ich die Bewegungen der blanken Messingsschellen…

 

 

6. Kapitel

Der Harlekin im Fenster.

… Mitten in dem Schaufenster stand da vor dem bunten Vorhang eines großen Puppentheaters ein Harlekin, der die Hände halb erhoben hatte und die Schellen, die er hielt, zusammenschlug‥: Ein bescheidenes mechanisches Spielzeug.

So schien es. –

Aber die Bewegungen der Arme des Harlekins waren nicht gleichmäßig, es traten Pausen ein…

Der Harlekin telegraphierte: Morsezeichen!! – Wie oft schon hatte Harst alles Mögliche zur Übermittlung dieser Zeichen benutzt. In dieser Hinsicht war er unglaublich erfinderisch.

Leider hatte ich soeben nur die letzten Buchstaben des Schlußwortes einer Nachricht auffangen können. Ich wartete… Hoffentlich würden die Worte wiederholt, denn ihr Schluß besagten gar nichts. Sie hatten gelautet: ‚… Muß um jeden Preis verhindert werden.‛

Ich hatte nicht umsonst mit einer Wiederholung des seltsamen Spieles gerechnet.

Es begann wieder…

Ich gab noch schärfer acht.

Schraut, kümmert euch fürs erste nicht um mich. Ich schwebe nicht gerade in momentaner Lebensgefahr. – E.St. (also Erna Stahling) wird wieder Teile des Familienschmuckes veräußern wollen, das muß um jeden Preis verhindert werden.

Dann folgte das Schlußzeichen… Und nach einer Weile telegraphierte der Harlekin genau dasselbe nocheinmal.

Diese Meldung erschreckte mich ebenso sehr, wie sie mich vor eine Verantwortung stellte, deren Umfang ungewiß blieb.

‚… Nicht gerade in Lebensgefahr…‛ – Was hieß das?!

Hatte man meinen Freund erwischt, war er von den Leuten, die da als Konkurrenz aufgetaucht waren, etwa gefangen genommen worden?

Es mußte so sein. Es gab keine andere Erklärung für diese Redewendung.

Nun, diese Nacht sorgte dafür, daß meine Nerven die bösesten Proben auf ihre Widerstandsfähigkeit durchmachen mußten.

Mit einem Mal erschien neben mir blitzschnell derselbe Mann, der vorhin in die Türnische geschlüpft war.

„‛n Abend, Herr Schraut…“

Die Stimme kam mir bekannt vor.

„Wer sind Sie?!“…

Ich griff in die Tasche…

„Lassen Sie Ihre Pistole nur stecken,“ meinte der Herr ebenso leise. „Ich bin Kriminalkommissar Trauter, und ich hoffe nun endlich, etwas mehr über diese mysteriöse Geschichte zu erfahren als bisher. Es muß um große Dinge gehen, – wenn das Ministerium sich einmischt, steht alle Mal Wichtiges auf den Spiel. Ich habe die Morsezeichen soeben mit entziffert, Herr Schraut. Deshalb vermutete ich Sie in der Nähe. Nun können wir gemeinsam vorgehen.“

Ich brauchte einige Zeit, diese Einmischung Trauters, den ich ja nur ganz flüchtig kannte, daraufhin zu prüfen, inwieweit ich ihn einweihen durfte. Ich selbst wußte wenig, jedoch offenbar mehr als er.

Trauter erriet wohl meine Gedanken.

„Herr Schraut, ich will offen sein… Ich bin nicht zufällig hier. Vor vier Tagen wurden aus dem Zuchthaus Eisenstädt drei unserer übelsten Kunden entlassen, sie sollten sich bei der Polizei melden, aber sie unterließen es, und wir suchen sie nun.

Uns ist seit längerem kein Geheimnis mehr, daß die Puppenklinik dort drüben – – das Haus gehört der dicken Mutter Schramm, die wie eine gottesfürchtige Korporalin der Heilsarmee ausschaut, womit ich nichts gegen die Heilsarmee sagen will – … also daß die Puppenklinik das schlimmste Hehler- und Ganovennest weit und breit sein muß. – Nur Beweise fehlen uns, das Weib ist zu schlau… –Also deshalb bin ich hier, und natürlich nicht allein… Ich habe für vier Uhr morgens eine Razzia angesetzt… – Ihres Freundes Harst Harlekin-Depesche bestärkt nur meine Absicht. Es muß hier endlich reiner Tisch gemacht werden…“

… Er sowohl als ich hatten die Armbewegungen des Harlekins weiter verfolgt.

Jetzt brachen diese plötzlich ab.

Trauter flüsterte hastig:

„Mitten im Satz! Schon faul!“

Soeben war ein besonders heller Blitz im Nordwesten über die schwarze Wolkenbank herniedergeglitten.

Der Kommissar holte zu meinem Erstaunen unter seinem Mantel einen Telepfonhörer hervor…

„Die Leitungschnur habe ich hinter mir hergezogen, sie liegt auf der Straße,“ bemerkte er kurz.

Dann rief er in die Muschel:

„Hier Trauter… Sofort Signal geben… Den ganzen Block einkreisen… – Gut… – schleunigst!!“

Irgendwo ertönten schrille Hupensignale, die von verschiedenen Seiten wiederholt wurden.

Fünf Dämchen mit Schirmen tauchten auf. Über das Tor der Einfahrt, in deren Winkel wir standen, schwangen sich nach fünf Gestal–ten, – drei Autotaxen näherten sich, hielten, und ihre Scheinwerfer zogen weiße Lichtbahnen durch die Wibbergasse.

Trauter eilte auf die Tür der Puppenklinik zu. Die fünf Dämchen warfen ihre Schirme weg, Brecheisen sprengten die Tür, und große Polizeilaternen erhellten den schmalen Flur.

Die erste Tür rechter Hand stand offen. Sie war die des Puppenladens… Ich drängte mich vor, – – kein Harst, nichts, – – nur vor dem Vorhang ein Knebel und eine kleine Blutlache.

Ich schlug den Vorhang beiseite, – sah, daß jemand auch mit gefesselten Händen den Harlekin hätte in Bewegung setzen können…

Hinter mir ein halblauter Ruf…

„Hier liegt ein Toter… Es ist der Kanal-Seppl – Kopfschuß, – – einer der drei unlängst Entlassenen…“

Trauter zog mich von Fenster weg…

„Schnell, – zum Kanal hinab, – die Schufte verschleppen Ihren Freund!“

In der Tür zu den Wohnräumen der Puppentante erschien eine große, stattliche Frau mit goldener Brille im sauberen Morgenrock.

„… Herr Kommissar, – – was geht hier vor?! Ich arme anständige Person werde abermals von Ihnen…“

Trauter rief seinem Assistenten zu: „Verhaftet sie! Drei Mann mitkommen…“

Wir liefen den endlosen Flur entlang, die Tür nach draußen stand offen, wir stürmten weiter, auch die Hofpforte zum Kanalufer war nur angelehnt…

Wir standen auf dem zementierten Treidelpfad, vor uns ankerte ein halbwracker großer Schleppkahn, hinter dem plötzlich ein gedecktes Motorboot hervorschoß…

Trauter fluchte…

„Es fährt ohne Licht! – – Stoppen, oder wir schießen!!“ brüllte er…

Am Steuer hockte ein vermummter Kerl, die Polizeilaternen zeigten ihn ganz deutlich, – aber er zeigte keine Neigung, sich irgendwie um die Drohungen zu kümmern. Er hob nur etwas empor, das eine Eisenplatte sein konnte, und duckte sich tiefer dahinter…

Eine Maschinenpistole begann zu belfern…

Der Beamte schoß sehr ruhig. Wir hörten die Kugelaufschläge gegen die Schutzplatte, aber das Boot glitt pfeilschnell davon, und als ein Polizeiboot ihm entgegenkam, verschwand es in einem engen Seitenkanal, wo ein Auto wartete. Der Wagen, von dem wir nur die Scheinwerfer deutlich erkannten, ruckte an, entschwand, und Trauter fluchte nach ärger…

„Entwischt, Herr Schraut!“

Es begann zu gießen. Das Polizeiboot schleppte das andere Boot heran.

„Leer!“ meldete der Beamte. „Aber vorn in der kleine Kajüte sind Blutspuren zu bemerken. Außerdem fand ich dies…“

Er hielt seinem Vorgesetzten einen Uniformknopf mit einem Fetzen Stoff hin. „Wahrscheinlich vom Ärmel abgeschossen, Herr Kommissar…“

Trauters Gesicht zeigte grenzenlose Verblüffung.

„Von der Uniformbluse eines Zuchthausbeamten,“ sagte er zu mir.

Er ahnte nicht, daß ich insgeheim erleichtert aufatmete, obwohl sich meine Hoffnung nur auf sehr lockere Schlußfolgerungen stützte, denn damals, das sei nochmals betont, wußte ich nicht einmal genau, wer der Mann aus Zelle 13 sein mochte.

Inzwischen war die ganze Wibbergasse und deren Umgebung in Aufruhr geraten. Uniformierte Polizei rückte an, Blumentöpfe und Dachziegel prasselten herab, – – und so fand ich Gelegenheit, mich heimlich zu drücken…

Eine Taxe brachte mich zum Bahnhof, wo ich mein Auto mit dem schlafenden Fahrer wiederfand. Ich weckte ihn. Der Wagen war sehr schmutzig…

„Nach der Arbeitervorstadt,“ befahl ich. „An dieselbe Straßenecke wie vorhin.“

Ich wollte mir endlich Gewißheit verschaffen.

Als ich mich dem Tor der Stahling-Werke näherte, schimmerte hinter dem Fenster des Wächterhäuschens Licht. An den Tisch saß ein graubärtiger Mann mit einer blauen Mütze auf dem Kopf.

Er las Zeitung und…

… und rauchte eine Zigarette.

Ich kenne Harsts Handbewegungen genau.

Ich kletterte über das Gittertor und pochte an die Fensterscheibe.

Der Wächter öffnete das Fenster.

„Was willst du hier?! Du sollst doch aufpassen, daß Erna Stahling nicht…“

Mein Geduldsfaden riß.

Ich schob Harst zurück und schwang mich ins Zimmer.

Er lachte gedämpft.

„Leise, bitte… Der echte Wächter, der eingeweiht ist, schläft nebenan…“

Ich setzte mich, die Beine zitterten mir.

„Harald, nimm mal die Mütze ab…“

„Bitte…“

Er hatte einen frisch bepflasterten Streifschuß in der Scheitellinie, und das Haar war kunstvoll über das Pflaster gelegt.

„Du warst also in der Puppenklinik?!“

„Hast du noch mehr so geistvolle Fragen auf Vorrat, mein Alter?! – Bitte, werde nicht böse! Hier hast du eine Zigarette… Beruhige dich. Weshalb beobachtest du nicht die Villa Stahling?“

„Weil Trauter es tun läßt‥!“

„Ah – – Trauter! Unangenehm! – Erzähl mal…“

Seine Kaltblütigkeit reizte mich bis zur Grobheit.

„Ich werde dir mal was sagen, – ich habe dieses Theater satt! Ich bin nicht dein Harlekin! Wer befreite dich aus der Puppenklinik?“

„Oberaufseher Mänzer… Ich deutete ja bereits an, daß der Mann bestechlich ist und für Geld alles tut…“

 

 

7. Kapitel

Erna Stahling, das große Rätsel.

… Karl Mänzer?!

Ich rieb mir die Stirn, denn hinter dieser Stirn hauste zur Zeit ein Bienenschwarm.

„Und wer erschoß den Kanal-Seppl?“

Harst blickte mich durchdringend an.

„Ich – in Notwehr. Es tut mir leid, – ein Menschenleben bleibt ein Menschenleben… Dann fesselten sie mich. Der Harlekin war sehr nützlich, obwohl Mänzer… – na, das hast du ja gesehen, mein Alter…“

„Wo ist der Baron Ammersteg?“ fragte ich ganz zusammenhanglos. Ich sog verzweifelt an der Zigarette, meine Gedanken klärten sich endlich. „Du hast ihn doch befreit oder befreien wollen, soviel ist mir nun allmählich klar geworden. Er wurde von hier von den drei entlassenen Zuchthäuslern entführt, deshalb die Hilferufe.“

Harst nickte. „Das stimmt.“ Er zog die Fenstervorhänge zu und lehnte sich an den Tisch. „Der Fall ‚Zelle 13‛ erscheint nur unübersichtlich und widerspruchsvoll, weil du die Uranfänge nicht kennst. Ich habe zu schweigen versprochen, und vielleicht habe ich diese Schweigepflicht bereits zu stark vernachlässigt. Wir müssen aber auch so durchhalten, mein lieber Alter, die Stunde wird ja kommen, wo alle Schleier fallen. Was ich dir noch mitteilen darf, will ich schon aus dem einfachen Grunde tun, da du wahrscheinlich diese Teildinge ebenfalls überschaust. Du besinnst dich, daß Erna Stahling vorgestern nacht im ‚Glück auf!‛ jemand erwartete. Jemand?! Diese Frage ist nun geklärt. Es muß sich um einen der drei entlassenen Zuchthäusler gehandelt haben, den sie dem Ehepaar Hörbig nicht zeigen konnte. Was sie von dieser Unterredung erhoffte, bleibt bloße Vermutung. Das Zusammentreffen kam nicht zustande, da man Fräulein Stahlings Nerven nur erschüttern wollte, um ein Geständnis von ihr zu erzielen. In diesem Punkt habe ich mich in meinen Aufzeichnungen so diplomatisch ausgedrückt, daß es an Schwindel grenzt. – Für diese Nacht hatten nun die drei Exsträflinge einen neuen ‚Schlag‛ vorbereitet. Sie entführten Baron Ammersteg, und in der Gewißheit, daß ihnen dies gelingen würde, hatte sich einer von ihnen bei Erna Stahling angemeldet. Du solltest dieses Gespräch belauschen, doch das Mädchen wird es nicht geduldet haben. Das sah ich voraus, es war meinerseits auch nur eine Probe aufs Exempel. Ich folgte Ernas Besucher, ich befreite den Baron, aber – – die Kerle faßten mich ab, und während Ammersteg entkam, saß ich fest und hatte noch dazu einen Menschen erschießen müssen.“

„Mithin ist Ammersteg der Mann aus Zelle 13,“ warf ich kurz ein. „Er schickte dir Mänzer zu Hilfe.“

„Hm – der zweite Satz ist richtig, mein Alter…“

„Und wer ist Karl Marx aus Zelle 13?“ beharrte ich auf sofortiger Beantwortung meiner Frage.

„Diese Einzelheit fällt leider unter meine Schweigepflicht,“ erwiderte Harald mit so ehrlich bedauerndem Ton, daß ich nicht weiter in ihn drang. „Ich würde dir auch raten, jetzt heimzufahren,“ fügte er mit unterdrücktem Gähnen hinzu. „Fred dürfte sich deinetwegen Sorgen machen, vielleicht hat er auch noch andere Sorgen, ich fürchte fast…“

„Inwiefern?!“ Ich fühlte, hinter dieser letzten Bemerkung steckte etwas Besonderes.

„Verabschiede dich besser… Es wird schon hell, obwohl es noch immer stark regnet.“

Unser Auseinandergehen litt beiderseits unter einer gewissen Kühle. Es lag zu viel Unausgesprochenes zwischen uns.

Ich fuhr heim, ließ weit vor dem Gehöft halten und erklärte dem müden, verschlafenen Autoverleihbesitzer, ich würde anrufen, wenn ich den Wagen wieder brauchen sollte.

Der unfreundlich, schwüle Maimorgen mit seinen Regenschleiern hatte die Chaussee, die längst ausbesserungsbedürftig war, mit zahllosen schmutzigen Pfützen bedeckt, die Bäume am Wegrand tropften, und ‚Glück auf!‛ erschien mir bei dieser Beleuchtung noch düsterer und geheimnisvoller als sonst.

Die Gartenpforte war nur eingeklinkt, ich näherte mich dem Haus, bog jedoch nach links ab, da in einem unserer Gastzimmer im Erdgeschoß noch Licht brannte. Ich wollte Fred Steen dadurch überraschen, daß ich durch das Mauerloch und den Schrank hinkam. Es war dies für mich ja auch der bequemste Zugang.

Ich war durch Harsts Voraussage, Fred könnte so allerlei Sorgen haben, auf manches vorbereitet, niemals jedoch auf das Bild, das sich meinen starren Augen darbot, als ich die Schranktür aufgedrückt hatte.

Steen saß gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl, und sein blasses Gesicht zeigte einen so wilden Ausdruck von Wut, daß ich eilends zusprang und ihn von dem Knebel befreite, der – denselben Duft spürte ich im Zimmer – nach Veilchen roch und aus einem Spitzentüchlein und einem Stück farbiger Seide bestand, vielleicht von einem Unterrock abgerissen.

Freds kühne Wippnase schnüffelte begierig…

„Verdammtes Frauenzimmer, mich so zu überrumpeln!! Ich war eingeschlafen… Und aus Herrn Harst mag der Deubel klug werden… Er war soeben noch hier, auch durch den Schrank, und dann rannte er in den Flur und ließ mich allein, rief mir nur zu: ‚Keller!!‛ – Was soll das alles?!“

„Harst?!“

„Ja, Herr Harst!! Im Lederanzug, total dreckig und bespritzt… Er muß wie ein Verrückter gefahren sein!“

Unterwegs waren verschiedene Motorradler an meinem Auto vorübergejagt… Erkannt hatte ich nicht einen.

Ich schnitt Fred los.

Der hatte sich immer noch nicht beruhigt.

„Hinab in den Keller‥! Schnell, Herr Schraut! Sicherlich ist die Erna Stahling auch dort!! Na, die kann sich gratulieren!! Mich so gemeint zu behandeln!“

Wir kannten die Keller… Die Haustür war offen. Als wir unten in dem Hauptgang, der sich bis zum Eiskeller hinzog, angelangt waren, sahen wir ganz hinten zwei Laternen und zwei Gestalten. Wir trabten weiter, – nun waren wir heran, einen der schweren Tür des kleinen Eiskellers lehnte Erna Stahling im Herrenmantel, Sporthosen und über Schnallgamaschen und tief ins Genick gezogener Mütze, in der einen Hand einen Bund Dietriche, in der anderen ein Päckchen.

Harst – nicht etwa der alte ‚Wächter‛, sondern Harst ohne Maskerade – stand dicht vor ihr und blickte nur ganz flüchtig nach uns hin und setzte dann seinen unterbrochenen Satz fort:

„… Sie sind zweifellos sehr gewandt, gnädiges Fräulein, nur zu unerfahren in solchen Dingen. Sie werden Ihre Nerven vollkommen ruinieren, und der Gebrauch von Reizmitteln, zu denen Sie leider bereits gegriffen haben, ist zumeist der Anfang vom Ende…“

Er sagte dies in so gültigem, warnendem Ton, daß das blasse junge Mädchen nicht einmal den Versuch machte, Empörung zu heucheln. Im Gegenteil, sie senkte beschämt den Kopf, in dem die Augen in unnatürlichem Glanz flimmerten, und etwas wie ein trockenes Schluchzen drang ihr über die leicht getuschten Lippen.

Harst streckte ihr die Hand hin. „Kommen Sie, gehen wir nach oben, hier ist es wirklich zu kühl, und Ihr Versuch, die beiden dort im Eiskeller eingesperrten Personen zu befreien, wäre ohnedies gescheitert.“

Zu meinem Erstaunen ließ sie sich ganz sorgsam nach oben führen, wenn Sie auch sehr unsicher die Kellertreppe hinaufschritt und ihre Kräfte kaum mehr ausreichten, wenigstens nach außen hin etwas Haltung zu bewahren.

Fred und ich schlossen uns genauso zögernd an. Ich sah, daß Fred mehrmals die Eiskellertür musterte und wohl am liebsten dort eingedrungen wäre. Er konnte sich ja nicht im geringsten vorstellen, wer die beiden Gefangenen dort sein mochten, er wusste noch nicht von den Vorgängen in der Stadt, und auch für mich gab es hier so viel unklarer Fragen, daß ich der weiteren Unterredung mit der jungen Millionärin sehr ungeduldig entgegensah.

Sie saß nun in der Sofaecke, das Päckchen im Schoß, die Blicke stier auf den billigen Teppich gerichtet. Harst ließ er Zeit, sich zu erholen, reichte ihr sein Zigarettenetui und ein Zündholz und sprach zunächst ganz harmlos über das unfreundliche Frühjahrswetter und über allerlei Nichtigkeiten.

Erna Stahling mußte diese zarte Rücksichtnahme äußerst wohltuenden empfinden. Sie hob die schillernden Augen und betrachtete Harst wie ein ihr völlig fremdes oder neues Wesen. Ihre Züge entspannten sich, sie lehnte sich bequemer zurück und sagte dankbar: „Sie sind sehr gut zu mir, Herr Harst, obwohl ich dies vielleicht nicht verdiene…“ Ihre Stimme wurde fester und ausdrucksvoller. „Fragen Sie‥! Ich will Antworten, soweit ich dies darf…“

„Weshalb fuhren Sie im Auto so eilig hierher?“

„Weil ich Zeugin der Vorfälle in der Wibbergasse wurde, – – ich war dem Mann, der mich besucht und von mir Geld für Ammerstegs Freilassung verlangt hatte, gefolgt – – wie Sie, Herr Harst. Ich befand mich auf der anderen Kanalseite und beobachtete auch, daß derselbe Mann und ein zweiter im Auto von vier Leuten weggeschafft wurden…“

Harst war doch ein wenig überrascht. „Und ich hatte von der Pförtnerwohnung bei Ihnen angerufen, nachdem Schraut davon geeilt war. Sie waren nicht daheim.“

Sie beugte sich vor. „Pförtnerwohnung?!“ Sie war vollkommen verwirrt. „Der Mann, der von mir fünfundzwanzigtausend Mark verlangte, behauptete, sie säßen in Zelle 13 als Karl Marx… – Mein Gott, das ist ja ein so undurchsichtiges Spiel, daß ich nunmehr vollkommen den Überblick verloren habe…“

Harst lächelte sie beruhigend an. „Die Hauptsache ist, daß andere nicht den Überblick verlieren. – Was enthält das Päckchen? Natürlich wieder Schmuckstücke, denn daß Ihre Barmittel vollkommen verbraucht sind, wissen wir längst.“

Sie errötete und senkte schnell den Kopf.

„Den Schein des Reichtums aufrechtzuerhalten, muß eine Nervenprobe schwerster Art gewesen sein,“ fügte er leiser hinzu. „Ich bedaure Sie ehrlich…“

Diese Sätze hätte Harald sich sparen sollen. Mit einem Schlag war Erna Stahling wieder eine andere.

Sie erhob sich.

„Haben Sie noch etwas zu fragen, Herr Harst?“

„Das wohl, aber Sie würden nicht antworten…“

„Dann kann ich also gehen…“

„Ich werde Sie bis zu Ihrem Auto begleiten…“

Mit leichtem Kopfnicken verabschiedete sie sich.

Fred und ich starrten den beiden ratlos nach.

 

 

8. Kapitel

Sträfling Biegel wird frech.

Etwa anderthalb Stunden später, genau acht Uhr morgens, stand Oberaufseher Mänzer vor dem Spiegel und rasierte sich. Es war eine beschwerliche Arbeit, den der linke Arm gehorchte nicht recht. Diese Halunken hatten ihm nachts eine Kugel durch das dicke Fleisch gejagt, und die Wunde schmerzte beträchtlich.

Als er das Gesicht abgetrocknet hatte, holte er aus dem Schrank eine neue Uniformbluse hervor. Die andere war im Morgengrauen in der Feuerung des Heizkessels verschwunden.

Das Anziehen der Bluse entpreßte Mänzer einige sanfte Verwünschungen. Dann kam der Kalfaktor, ein Sträfling, und brachte ihm das Frühstück.

Es war ein kleiner dürrer Kerl mit einem verkniffenen Gesicht. Er arbeitete tagsüber in der Zuchthausbibliothek, die Mänzer zu verwalten hatte.

„Miserables Wetter, Biegel,“ sagte der Oberaufseher leutselig.

„Scheußlich!“ bestätigte der Kalfaktor.

Mänzer setzte sich an den Frühstückstisch.

„Was neues, Biegel?“

Der kleine grauhaarige Gauner hüstelte. „Der Direktor hat von Aufseher Müller darüber Bericht verlangt, weshalb Sie Nr. 13 in Dunkelarrest gesperrt haben…“

„So?!“ Mänzer blickte von der Tasse Kaffee auf, und seine Augen begegneten denen des Sträflings.

„Glauben Sie, Biegel, daß der Direktor irgendwie Verdacht geschöpft hat?“ flüsterte er dann schnell.

Der Sträfling schielte zur Seite. „Ich fürchte, Herr Mänzer… – Na, Sie werden uns ja nicht verraten,“ meinte er plump-vertraulich. „Dazu stecken wir zu tief in der Tinte oder besser im selben Tintenfaß…“ Er grinste breit… „Ich will nur lieber wieder gehen, sonst fällt es auf, daß ich hier so lange bei Ihnen bin… Wiedersehen…“

Mänzer nickte kurz, und erst als er allein war, flog ein bedrohliches hartes Lächeln um seine energischten Mund.

Gleich darauf schnurrte das Telephon. „Mänzer, ich will Sie sofort sprechen,“ meldete sich der Anstaltsdirektor.

„Sehr wohl, – sofort.“ –

Der Oberaufseher pfiff vor sich hin. Er hob den Blumentopf von dem mit Banknoten gefüllten Unterteil, nahm zwei Papiere heraus und begab sich zum Dienstzimmer seines Vorgesetzten.

Der Direktor war heute sehr kurz angebunden. „Wie war das mit Nr. 13 aus Ihrem Block, Mänzer?“

„Das war so, Herr Direktor… Ich revidierte gegen Morgen die Zelle, und Nr. 13 rauchte und wurde aufsässig. Ich wollte bitten, es bei den drei Tagen Dunkelarrest zu belassen. Es ist der Disziplin wegen nötig.“

„Hm – nötig‥! – – Sagen Sie mal, woher stammt das Geld bei der Filiale der Rheinischen Bank in Ixstädt, Mänzer? Man redet von einem Konto von achtzehntausend Mark.“

„Ersparnisse, Herr Direktor‥!“

„So … so… Nun gut… Trotzdem warne ich Sie. Sie verstehen mich wohl. Ihre Zeugnisse von früher sind nicht gerade erstklassig, und… – – Sie können gehen… Ich werde Bericht einreichen. Ihr verschlossenes Gesicht gefällt mir nicht. – Abtreten!“

Münzer war heilfroh, vorläufig mit diesen halben Drohungen davongekommen zu sein. Er schritt dem Büro der Anstaltsbibliothek zu, wo hinter einer Schranke seine drei Helfer bereits eifrig arbeiteten. Er setzte sich an seinen eigenen kleinen Tisch, blätterte zerstreut in dem Bücherverzeichnis und dachte nur immer wieder an den versteckten Rüffel und die für ihn durchaus verständlichen Andeutungen seines Chefs. Daß er von irgend jemandem denunziert worden war, der sogar Gelegenheit gehabt hatte, die einzelnen Bankguthaben der Kunden der Rheinischen Bank einzusehen, bildete die einzige dunkle Frage bei alledem, das übrige war ihm vollkommen klar, besonders die Einmischung der drei entlassenen Sträflinge, von denen der Kanal-Seppl jetzt das Zeitliche gesegnet hatte, bot ihm als erfahrenem Beamten lediglich das Bild einer zwangsläufigen Erscheinung dar, er kannte ja die Mentalität der Berufsverbrecher. Nur eins störte ihn außerordentlich: diese Entwicklung der Dinge hatte ein allzu hastiges Tempo eingeschlagen. Er war seinem Endziel noch genau so fern wie einst, und wenn nicht ein glücklicher Zufall eintrat, würde der Fall ‚Zelle 13‛ ein Fehlschlag werden, auch für Harst.

Oberaufseher Mänzer ahnte nicht, daß die Sträflinge hinter ihm immer eifriger miteinander tuschelten und zischelten und zwar in jener lautlosen Art ohne sichtbare Lippenbewegungen, wie die ‚alten Kunden‛ der Strafanstalten dies mit der Zeit lernen.

Dann räusperte sich der kleine Kalfaktor Biegel sehr vernehmlich, und Mänzer schaute sich um. Seine klaren ernsten Augen ruhten abwartend auf dem sehnigen Geldschrankknacker mit dem verkniffenem Gesicht, und Biegel krümmte sich vor Verlegenheit noch mehr zusammen, gab sich dann aber doch einen innerlichen Ruck und begann halblaut sein ‚Anliegen‛ vorzutragen.

„Herr Mänzer, wir drei sind übereingekommen, Ihnen einen den Umständen nach durchaus berechtigten Vorschlag zu unterbreiten…“

Mänzer zog die Augenbrauen etwas hoch und näherte sich langsam der Schranke. „Kürzer, – keine Phrasen!“ sagte er gleichmütig.

Biegel rieb sich die Hände und verbeugte sich tief.

„Herr Mänzer, die Sache war für uns ein schlechtes Geschäft… Auf jeden von uns dreien kommen nur rund fünftausend Mark, während Sie selbst den Löwenanteil geschnappt haben. Ihre Auftraggeber kennen wir nicht, aber der Mann muß Geld wie Heu haben. Spaß – ein Baron!!“

Mänzer lächelte flüchtig. „Nur weiter, Kinder!“

Biegel wurde noch frecher. „Kurz und gut, erhöhen Sie unsere Anteile auf je zehntausend Mark… Dann ist die Geschichte im Lot!“

„Das kann ich nicht!“ meinte der Oberaufseher ruhig und bestimmt.

„So?! Und Ihr … Ihr Bankguthaben bei der Rheinischen?! Es wird nicht das einzige sein,“ fuhr der kleine sehnige Ganove auf.

„Das sind Staatsgelder,“ erklärte Mänzer halb belustigt.

Biegel bog sich vor Lachen.

„Staatsgelder!! Nicht schlecht!! – Aber nun mal im Ernst: Wollen Sie oder wollen Sie nicht?! Bedenken Sie Ihre Lage: Sie haben uns drei als Fachleute dazu angeworben, den Tresor bei Stahling aufzuschweißen, Sie haben uns das Handwerkszeug besorgt, Sie haben uns noch zu anderen Dingen angestiftet, – vergleiche Fräulein Stahling und Haus ‚Glück auf!‛. Wir drei werden in der nächsten Woche entlassen… Wollen Sie etwa hier Quartier nehmen?! Herr Mänzer, seien Sie doch vernünftig! Also nochmals: Zehntausend pro Nase, oder‥!!“

„Oder?“

Biegel schwitzte jetzt vor Aufregung.

„Herr … Herr Mänzer…“ – Er stotterte beträchtlich – „ich … wir … ich erinnere an den Mann aus Zelle 13.“

„Der jetzt in Dunkelarrest sitzt…“ ergänzte Mänzer kopfnickend…

Biegel holte ganz tief Luft. Nun sollte der entscheidende Vorstoß kommen…

*

Und an der Stelle möchte ich als Chronist dieser verzwickten Kriminalaffäre, der sich die erdenklichste Mühe gegeben hat, diesen schwierigen Fall dem Leser recht mundgerecht zu machen, in aller Bescheidenheit die Frage stellen:

Lieber Leser und alter Harstfreund – darunter auch Herr H. insbesondere, der mir das Buch über ‚Heilerde‛ zuschickt und dessen Anschrift ich verloren habe, deshalb auf diese Weise herzlichen Dank! – Wer ist nun der Mann aus Zelle 13?“ – Aber – bitte ehrlich nachdenken und überlegen, denn die Lösung erfolgt sofort!

Wer ist’s?! Wer kann es nach dem Vorstehenden nur sein? Wer also? – –

*

„Ja, – der jetzt in Dunkelarrest sitzt, damit niemand die oberflächliche Ähnlichkeit herausmerkt,“ sagte Biegel außerordentlich scheu, denn Mänzers beständiges Lächeln gefiel ihm gar nicht.

„Es ist nicht mehr Karl Marx, der große Unbekannte, sondern es ist der Baron Ammersteg!!“

 

 

9. Kapitel

Hörbig läßt die Kaffeekanne fallen.

Mänzer hatte sich sehr bequem auf die Schranke gelehnt und erwiderte zur Verblüffung der drei Geldschrankknacker:

„Er stimmt, Kinder… Es ist nicht mehr Karl Marx… Karl Marx war ja auch nur ein Name, der mit Wissen und Willen und mit eigener Zustimmung sich einsperren ließ. Ein Name, – Karl Marx! Wer dahinter steckt, werde ich euch nachher mitteilen. Zunächst etwas anderes…“

Er zog eine Zigarre hervor und brannte sie umständlich an.

Die drei Ganoven standen mit äußerst bestürzten Gesichtern da.

„Also, Kinder,“ begann Mänzer unheimlich gemütlich, „ich kenne die seelische und moralische Einstellung von euch Entgleisten zur Genüge. Ich verarge euch nichts, absolut nichts. Man darf mit euch nicht zu streng ins Gericht gehen. – Mit einem Wort: Ihr wollt nicht nur Erpresser spielen, sondern ihr habt mich auch an den letztens entlassenen Kanal-Seppl und dessen beide Kumpane verraten, und die drei wollten nun für sich im Trüben fischen und euch sozusagen begaunern. Kanal-Seppl machte sich an Fräulein Stahling heran, aber anstatt der verlangten fünfundzwanzigtausend Mark erhielt er eine Kugel in den Schädel. – Er ist tot.“

Die drei hinter der Schranke erbleichten.

„Schufte!!“ zischte Biegel.

„Bitte – nur geschäftstüchtig,“ verbesserte Mänzer in aller Ruhe. „Mich haben die drei denunziert, damit ich und auch ihr gründlich hineinfliegen solltet.“

„Lumpenpack!!“ schnaufte Biegel entrüstet. „Das ist kein ehrliches Spiel unter Dieben‥!“

„Geschäftstüchtig, Kinder, weiter nichts…“

„Wer erschoß denn den Kanal-Seppl?“

„Harst‥!“

Biegel riß den Mund auf. „Wie?! Der Harald Harst aus Berlin, der … Detektiv?!“

„Ja. Der Mann aus Zelle 13, Kinder, – Karl Marx gleich Harald Harst!“

Die drei Ganoven bekamen lange Gesichter.

Sie schwiegen… Ihnen war verdammt ungemütlich zumute. Sie begriffen jetzt nichts mehr von dem, was hier eigentlich gespielt wurde.

Mänzer lachte. „Na – besteht ihr noch immer auf eurer Mehrforderung?!“

„Durchaus nicht!“ versicherte Biegel eiligst. Kanal-Seppl’s Tod war ihm arg in die Knochen gefahren.

„Dann sind wir ja einig,“ sagte Mänzer etwas ironisch. „Ihr bekommt jeder fünftausend, und ihr haltet den Mund. Wehe euch, wenn ihr schwatzt! Ihr kennt die Sachlage nicht. Ich habe euch belogen, ich wollte niemals stehlen… Das mag euch genügen.“

Biegel schluckte und druckste. „Wir … wir werden keine Silbe mehr reden… Nicht eine, Herr Oberaufseher! Aber Seppl’s Freunde…“

„Die sind gut aufgehoben,“ unterbrach Mänzer ihn. „Die sitzen mit Handschellen im kleinen Eiskeller des ‚Glück auf!‛ und blasen Trübsal und spielen mit den Ratten… – Harst rief mich gestern nacht von Ixstädt an, bevor die Kerle ihn schnappten… Ich kam noch zur rechten Zeit mit meinen Leuten… Aber das interessiert euch nicht weiter. – Geht wieder an eure Arbeit… Wiedersehen…“

Er verließ den Raum. Die drei Zurückbleibenden schauten sich lange an, und dann flüsterte Biegel scheu:

„Harst war’s! Donnerwetter!! – Und was denkt ihr von Mänzer?“

Seine Kollegen machten hilflose Gesichter.

Biegel desgleichen…

Um dieselbe Stunde waren im ‚Glück auf!‛ drei Gäste mit der Morgentoilette beschäftigt. Harald hatte auf dem Sofa geschlafen, obwohl Fred ihm sein Bett einräumen wollte.

Wir unterhielten uns ganz leise, aber leider über nebensächliche Dinge.

Ich war vorhin im Seitenflügel bei dem Ehepaar Hörbig gewesen und hatte das Frühstück für zehn Uhr bestellt – für drei Personen. „Ein Bekannter ist bei uns,“ hatte ich nur erklärt und war wieder gegangen.

Jetzt klopfte es.

„Herein!“

Die dürre Frau Therese kam mit einem vollbesetzten Teebrett und hinter ihr der ebenso dürre Emil mit Kaffeekanne und Sahnenapf.

„Guten Morgen, meine Herren…“

„Guten Morgen…“

Das Ehepaar beschaute sich den dritten Gast.

„Mein Freund Harst…“ stellte ich höflich vor. „Herr und Frau Hörbig…“

Kaffeekanne und Sahnetopf zerklirrten auf den Dielen… Und nur Freds rasches Zugreifen rettete das Teebrett vor dem gleichen Geschick.

Die Hörbigs grinsten und waren etwas farblos.

„Nein – die Überraschung!!“ flötete Frau Therese.

Und Emil: „Oh, – – ein so bekannter Name!“

Harst betrachtete die beiden mit kühlem Interesse.

„Schade um Kaffee und Sahne,“ meinte er, „vielleicht bringen Sie uns Ersatz…“

Frau Hörbig nickte. „Sofort, sofort‥! Sie stellte das Teebrett auf den Tisch und winkte ihrem Mann. „Emil, du mußt die Scherben zusammenfegen und aufwischen. Hole einen Besen und einen Lappen.“

Aber Hörbig stand noch immer wie versteinert da, bis seine Frau ihn hinausschob.

Harst, der Freds Morgenschuhe anhatte, huschte zur Tür, horchte, öffnete leise und verschwand.

Freds Wippnase schnüffelte… „Herr Schraut, das war komisch!! Weshalb erschraken die Hörbigs so?! Ich wittere Unrat!“

„Ich auch. Aber warten wir ab… Der Deubel mag aus alledem schlau werden!“

Nach vier Minuten schlüpfte Harst wieder ins Zimmer, warf sich in einen Klubsessel, rauchte sich eiligst eine Zigarette an und sprach ganz laut über den sonnigen Vormittag.

Es klopfte. Hörbig kam, um die Scherben und die braunweiße Nässe von den Dielen zu entfernen.

Harst gähnte zwanglos…

„Na, Herr Hörbig, jetzt erscheine ich Ihnen wohl nicht mehr so furchterregend…“ Er lächelte gutmütig. „Ich fresse ja auch niemanden…“

„Ich habe nie Furcht gehabt,“ brummte Emil, auf dem Fußboden kniend. „Weshalb auch?! Wenn wir hier im Winter auch ganz einsam leben, so…“

Seine Frau trat mit Kanne und Sahnetopf ein.

„… So, meine Herren, alles wieder in Ordnung!“

„Ja, alles in Ordnung,“ bestätigte Harald. „Wissen, Sie, meine lieben Hörbigs, ich möchte sehr gern einmal mit Ihnen beiden den Fall ‚Stahling‛ in aller Gemütlichkeit durchsprechen. Nehmen Sie also bitte Platz.“

Das Ehepaar glotzte ihn etwas stier an.

„Warum nicht?!“ meinte Frau Therese recht zögernd. „Emil, setz’ dich… –

Ja, wir lieben Fräulein Erna über alles, und ich als ihre einstige Amme…“

„… und Ihr Mann als letzter Diener des armen Geheimrats haben ja auch allen Grund, für Fräulein Erna einzutreten. – Ich weiß nicht recht, wieweit die junge Dame sich Ihnen anvertraut hat. Erwiesen ist folgendes: Der Geheimrat Stahling, der vor Jahresfrist als nicht mehr voll zurechnungsfähig verstarb, war durch den Zusammenbruch der Stahling-Aktiengesellschaft gesundheitlich schwer geschädigt worden, obwohl ihm immer noch ein Privatvermögen von rund zwölf Millionen Mark verblieb. Es muß sich nun bei ihm die fixe Idee entwickelt haben, auch diese Millionen könnten verloren gehen, und in aller Heimlichkeit tätigte er mit Verlusten Devisenkäufe… Er mag dabei drei Millionen verloren haben, jedenfalls müssen bei seinem Tod ungefähr neun Millionen in ausländischen Geldsorten – hohen Banknoten – noch vorhanden gewesen sein… Diese Devisengeschäfte war strafbar, und das wußte auch sein einziges Kind, das jedoch auf den Kranken keinerlei Einfluß mehr hatte. Nach seinem Tod wurde von dem riesigen Barvermögen nichts mehr gefunden. Fräulein Erna verheimlichte dies, vertraute sich lediglich dem Präsidenten des Ixstädter Oberfinanzamtes an, bat um Verschwiegenheit und benahm sich so eigentümlich, daß der Präsident Verdacht schöpfte. Von den Devisengeschäften hatte sie ihm nichts mitgeteilt, und deshalb mag ihr Benehmen, das wohl sehr zerfahren war, Argwohn erregt haben.

Jedenfalls bat sie um Steuerstundung und vereiste nach Nizza, nachdem ihre Versuche, das Geld zu finden, fehlgeschlagen waren.“

Das Ehepaar Hörbig saß steif da und machte keine Miene, sich hierzu irgendwie zu äußern. Harst beachtete diese steinerne Verschlossenheit nicht weiter. „Ich will Sie beide nicht zu Indiskretionen verleiten,“ fügte er hinzu. „Erwiesen bleibt: Das Geld ist verschwunden, und man nimmt an, der kranke Geheimrat könnte es an einem Platz verborgen haben, der ein zu gutes Versteck darstellt. Anfänglich freilich glaubte man weit Ärgeres von Fräulein Stahling, wie ich bereits andeutete. Diesem Verdacht habe ich zerstreuen können. – Die junge Dame will ihren Vater nur in dem Punkt nicht bloßstellen, daß er die verbotenen Devisengeschäfte tätigte, – hieraus ergaben sich die vielen Irrungen und Wirrungen, hieraus ergab sich auch die Notwendigkeit, den großen Tresor gewaltsam zu öffnen, da ja die Schlüssel verdorben waren und da eine Durchleuchtung des Stahlschrankes von außen keine genügende Gewährt bot, daß er wirklich leer war.“

Noch immer rührten sich die Hörbigs nicht. Sie blicken zu Boden und wollten wohl den Eindruck erwecken, daß sie von alledem die Quintessenz nicht recht verständen. Schließlich fand Frau Therese doch die notwendige Kraft, lediglich so obenhin zu äußern: „Nun – und wie steht die Sache jetzt für unser armes Fräulein?“

„Vorzüglich!“ erwiderte Harald äußerst lebhaft. „Im Eiskeller sitzen drei Burschen, die von Kriminalbeamten bewacht werden. Mehr darf ich nicht sagen. – Hätten Sie beide mir einen Wink zu geben?“ fragte er scheinbar sehr gespannt…

„Wir?! Wir wissen nichts, Herr Harst,“ erklärte Hörbig etwas heiser.

„Schade! – Dann wollen wir frühstücken…“

Das Ehepaar entfernte sich recht bedrückt.

Fred schlich zur Tür und flüsterte: „Sie gehen wirklich davon, sie horchen nicht.“

Ich habe gehorcht,“ sagte Harald mit drohendem Unterton.

Fred schaute ihn an. „Herr Harst, wo befindet sich das Geld? Hörbig ist der Dieb!“

Er war sehr stolz auf seine billige Weisheit.

„Wo? Das müssen wir erst feststellen, lieber Fred.“

„Und wenn die Hörbigs schlau genug sind, sich nicht noch weiter zu verraten?!“

Harst schmunzelte. „Noch weiter verraten?! Glauben Sie, ich habe den Eiskeller unabsichtlich erwähnt? Bemerkten Sie, wie die beiden die Mundwinkel hängen ließen‥?“

„Ach so!!“ meinte Fred Steen sehr gedehnt. „Ich bewundere Ihren Trick… Und die drei Kriminalbeamten?“

„Sind vorhanden und sind Mänzers Leute.“

„Wessen Leute?! Mänzers?“

„Ja, die Beamten des Kriminalrats Mänzer aus Königsberg, Ostpreußen, den man der verschwundenen Millionen wegen hierherbeordert hat und der mein Aufseher war… Allerdings begann unsere Bekanntschaft in etwas ungemütlicher Weise, denn als der Baron Ammersteg und ich auf Mänzer Einbrecherkolonne stießen, wäre die Sache beinahe schief gegangen. Ich einigte mich jedoch rasch mit ihm und ließ mich verhaften. Kommissar Trauter wußte natürlich, wer Nr. 13 war.“

 

 

10. Kapitel

Das Benzinwrack versagt.

Unser semmelblonder Fred, der zuweilen etwas theatralisch ist, schritt zum Spiegelschrank hin, verneigte sich tief vor seinem Ebenbild und sagte zu sich verächtlich: „Rindvieh!! Darauf hättest du auch allein kommen können!“ Dann drehte er sich um und fragte Harald in aller Bescheidenheit: „Verzeihen Sie – und wer ist nun eigentlich dieser Baron Detlev Ammersteg?“

„Ein echter Baron namens Ammersteg, nur mit einem Mangel behaftet, den ihm Fräulein Stahling nie vergeben wird…“ – Harst lehnte sich zum offenen Fenster hinaus, denn im Garten im warmen Sonnenschein ging ein fremder Herr spazieren, der höflich grüßte und dann verschwand.

„Einer von den Mänzer-Männchen,“ witzelte Fred.

Harst unterbrach seinen Morgenimbiß von neuem und verließ das Zimmer mit der Bemerkung, er müsse nach Ixstädt und dem Zuchthaus telephonieren.

In zehn Minuten hatte er dies erledigt, und er nahm wieder Platz.

„Ihrer weichen Eier werden inzwischen kalt geworden sein,“ bemerkte Fred besorgt. „Soll ich sie in der Küche nach wärmen lassen? – Vielleicht erlausche auch ich etwas.“

Harst winkte ab. „Unnötig. Das Geld ist im Haus. In einer halben Stunde werden die Gefangenen aus dem Eiskeller abtransportiert, dann werden wir auch Fräulein Stahling zur Stelle haben und den Hörbigs entweder mit gröberem Geschütz oder mit einem neuen Trick auf den Leib rücken, je nachdem sich Mänzer entscheidet. – Ein Mensch, der nicht scharf genug nachdenkt,“ fügte er gedämpft hinzu, „könnte auf den Gedanken kommen, es sei in diesem Kriminalfall mit ebenso eigenartigen wie zum Teil sogar verwerflichen Methoden gearbeitet worden. Volle Klarheit über Erna Stahlings seltsame Rolle in diesem Spiel der Irrungen und Wirrungen erhielt ich erst gestern. Sie hat keine Ahnung, wo das Geld steckt, sonst würde sie den Hörbigs nicht so blindlings vertraut haben, die ihrerseits die weitaus unsympathischsten Figuren dieses Problems bleiben. Andererseits hegten sowohl Mänzer wie ich gegen Hörbig einen ungewissen Verdacht, der sich freilich nur auf dessen Dienertätigkeit bei dem Geheimrat stützte…“

Harsts eingehendere Ausführungen zu diesen Punkten kann ich hier übergehen. Nur eins sein noch angegeben: Über den Baron vermied er nähere Erklärungen und betonte nur, daß Ammersteg zumeist verkleidet Fabrikwächter gespielt und nachts die leeren Fabrikräume durchsucht habe. „Sein Verschwinden für die Öffentlichkeit und für seine heimlich Verlobte,“ sagte er zum Schluß, „hatte sehr triftige Gründe. – Übrigens konnte man von einer Verlobung noch nicht recht sprechen, Ammersteg ist zu sehr Gentleman, um ein Mädchen zu küssen, das er leider… – doch nein, dieser Punkt soll später erörtert werden.“

Inzwischen war etwa wiederum eine Viertelstunde vergangen. Harald wischte sich den Mund mit der Kaffeeserviette und erhob sich.

„Nun dürfte es soweit sein,“ meinte er mit etwas rätselhaftem Lächeln und zog ein Fläschchen hervor. „Bitte, trinkt dies Zeug. Je dreißig Tropfen… Das einzige Mittel gegen das andere Zeug, das die Therese in unseren Kaffee getan hatte… Schnell, – und dann in den Keller hinab… Therese war dreimal heimlich im Flur und schaute durch das Schlüsselloch, ob uns ihr Kaffee auch wirklich mundete.“

Fred schluckte mit etwas entsetztem Gesicht das bittere Zeug, und auch mir war stark unbehaglich zumute.

Harald öffnete die Flurtür.

Im Haus herrschte Totenstille.

Als wir in den langen Keller kamen, erblickten wir vor der Tür des Eiskellers einen Tisch, eine Lampe, Kaffeegeschirr, drei Rohrsessel und drei zusammengesunkene Gestalten. Die Eiskellertür stand halb offen.

Fred rannte stürmisch wie immer vorwärts und leuchtete in den Eiskeller hinein.

„Die beiden Gefangenen haben Knebel!“ brüllte er.

Im selben Augenblick schlug droben die schwerer Haupttür des Kellers krachend zu.

„Entflohen,“ meinte Harst achselzuckend. „Arme Teufel, mir glatt in die Falle gegangen, und ihr beide habt euch etwas nasführen lassen. – Fred, hierher. – Er lief zu einem der vorderen Kellerfenster, hob zu meinem Erstaunen das starke Eisengitter heraus und gleichzeitig sauste links von uns das Hörbigsche Auto in voller Fahrt durch das Zauntor auf die Chaussee.

Wir kletterten ins Freie, doch Harst ließ sich Zeit.

„Die kommen nicht weit,“ sagte er. „Die sind immer noch nicht gewitzt genug…“

Die Chaussee verlief von hier eine weite Strecke völlig schnurgerade.

Der alte Klapperkasten von Auto jagte wie wild davon. Wir beobachteten diese halsbrecherische Flucht. Harst zündete sich in aller Gemütlichkeit eine Zigarette an und meinte nur: „Sie würden die nächste Bahnstation und den fälligen Schnellzug in zehn Minuten erreichen, aber … der Benzintank enthält ein Gemenge, das jeden Motor in kurzem lahmlegt. – Seht ihr, – der Wagen läuft schon langsamer… Auf diese Weise kommen wir am sichersten zu dem Geld, ich mußte den Hörbigs eine Fluchtchance bieten, und sie sind auch prompt darauf hereinfallen… – Da – – der Wagen steht… Armen Narren! Und dort – – zwei Motorradler… Mänzer und Ammersteg sind pünktlich… – Hallo, der arme Kerl, der Hörbig, ist verrückt… Er schießt… Ich fürchte Therese wird Witwe werden.“

Der dünne Knall mehrerer Schüsse hallte herüber.

Mänzer und der Baron hatten hinter Chausseebäumen Deckung genommen.

Dann sahen wir, wie das Ehepaar mit erhobenen Armen auf die Chaussee trat…

Hinter uns näherte sich eine elegante Limousine, an deren Steuer Erna Stahling saß.

„Halt, – nehmen Sie uns mit!“ rief Harst.

Der Wagen stoppte halb, wir sprangen auf die Trittbretter, und es ging weiter…

Dann erreichten wir den anderen Wagen, hielten, und Mänzer begrüßte uns mit einem gemütlichen:

„Alles im Lot, lieber Harst! Ihre Vorbereitungen waren ausgezeichnet…“

Baron Ammersteg stand abseits und drehte und halb den Rücken zu, die Hörbigs weinten kläglich. Dazu hatten sie auch allen Grund, denn sie trugen Stahlfesseln.

Erna Stahling, die Millionenerbin, lehnte matt und mit übergroßen Augen an ihrem Wagen.

„Was … was geht hier vor?!“ Sie konnte kaum sprechen, ihre verängstigten, fragenden Blicke hingen dauernd an Ammerstegs abgewandtem Gesicht.

Mänzer sagte höflich: „Gnädiges Fräulein, das Geld liegt in einem Koffer in dem Benzinwrack der Hörbigs. Emil Hörbig hat bereits eingestanden, den Geheimrat, Ihren Herrn Vater, dabei beobachtet zu haben, wie er die Banknotenbündel in der Fabrik in einem Koffer versteckte. Nachher hat das Ehepaar das Geld im Eiskeller bei sich verborgen. Das wäre in Kürze alles…“

Erna Stahling schritt zögernd auf Ammersteg zu.

„Detlev, Ihr Benehmen begreife ich nicht… Ich sorgte mich um Sie, und Sie gaben mir nicht das kleinste Lebenszeichen…“

Langsam drehte der Baron sich um.

„Ich … schäme mich, gnädiges Fräulein … vor Ihnen, vor mir selbst…“ Seine Stimme schwankte vor Erregung. „Ich bin wohl Baron Detlev Ammersteg, nebenbei bin ich aber auch Beamter des Oberfinanzamtes, und zwar einer Abteilung, die ähnliche Aufgaben wie die Kriminalpolizei hat. –Meine Vorgesetzten schickten mich hinter Ihnen her nach Nizza, es ging ja um viele Millionen, und ich näherte mich Ihnen als Beamter in der Absicht, über den Verbleib des Geldes irgend etwas zu ermitteln. Dabei geriet ich sehr bald in einen harten Konflikt zwischen Dienstpflicht und einem zarteren Empfinden. Deshalb fuhr ich nach Berlin, vertraute mich Herrn Harst auf der Straße an und nahm meinen Abschied, um als freier Mann im Verein mit Herrn Harst diese Dinge restlos zu klären. Als Harst und ich den Tresor aufschweißen wollten, kam es insoweit zu einer Entscheidung, als der Kriminalrat Mänzer mit Harst gewisse Vereinbarungen traf, nach denen Harald Harst als Karl Marx verurteilt wurde, während ich verschwunden blieb, – das heißt, ich spielte teils Fabrikwächter, teils Beobachter des Hörbig’schen Grundstücks. – Ich durfte Ihnen von alledem nichts mitteilen – schwer genug wurde es mir. – So wie die Dinge liegen, werden Sie mich verachten. Denken Sie jedoch nicht zu schlecht von mir. – Und … verzeihen Sie mir. Hier vor so viel fremden Ohren möchte ich Ihnen nicht näher erklären, was ich gelitten habe…“

Mänzer hustete kräftig.

„Gnädiges Fräulein, dürften wir Ihr Auto zum Abtransport der Hörbigs benutzen?“ fragte er todernst.

„Ja … ja… – fahren Sie nur!“ stammelte Erna Stahling überstürzt.

Wir fuhren…

Zwei blieben zurück…

Als ich so indiskret war, einmal durch das Fensterchen in der Rückwand der Limousine zu schauen, sagte Mänzer augenzwinkernd:

„Überflüssig, Schraut!“

… Und er hatte recht.

Die Stellung, in der ich Erna und Detlev gesehen hatte, war durchaus eindeutig.

Er hatte sie bisher nicht geküßt, jetzt tat er es…

Fred, der vorlaute Bengel, rauchte, grinste und stellte seine langen Pedalen noch bequemer auf den Koffer mit den Millionen.

„Solch eine Fußbank lobe ich mir‥!“ sagte er geschwollen. „Nicht einmal der König von Siam wird so feudal seine Beine stützen wie ich!“

… Die Maisonne schien…

Es war ein herrlicher Frühlingstag.

Und es war – Hauptsache! – ein Kriminalproblem, das seine besonderen Züge aufwies.

… Der Mann aus Zelle 13 qualmte still seine Zigarette, und Oberaufseher Mänzer schmunzelte bei dem Gedanken, was für ein Gesicht der Direktor der Strafanstalt wohl machen würde, wenn er nun die Wahrheit über seinen bestechlichen Untergebenen erfuhr…

Nur die Hörbigs schmunzelten nicht… Doch das konnte uns die gute Laune wahrhaftig nicht verderben.