Harald Harst
Band: 358
Von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
1. Kapitel
Die Königin meldet sich.
Daran war nun leider nichts mehr zu ändern… Wir waren unser Sonnenscheinchen und ihre Mutter, die uns monatelang den Haushalt in vorbildlichster Weise besorgt hatten, durch die ‚Roten Pantöffelchen‛ endgültig losgeworden, oder genauer ausgedrückt: Wir hatten Ingeborg Menzel und ihre Mutter durch die Verlobung Inges mit dem Grafen Elimar Wrangel zu unserem größten Bedauern verloren.
Nun begann die Jagd nach einem passenden Ersatz, und den zu finden, war sehr schwer.
Am 3. Januar holte ich den ersten Stoß postlagernder Bewerbungen ab. Die Durchsicht war eine traurige Arbeit. Aus den Briefen sprachen Not und Elend.
Am 4. Januar ging mein Freund persönlich zur Post. Er hätte in wenigen Minuten zurück sein können.
Doch eine Stunde verging. Ich wurde bereits unruhig und las die Morgenzeitungen nur sehr flüchtig und zerstreut. Dann schnurrte das Telephon.
Harald meldete sich.
„Wahrscheinlich wird in kurzem bei uns eine Frau in Trauer, eine Erna Karsten, erscheinen. Sie dürfte ihren Sohn mitbringen. Stelle sie auf Probe für zwei Monate ein. Es lohnt. Zu näheren Erklärungen habe ich jetzt keine Zeit. Wiedersehen, mein Alter. Verhalte dich deinerseits recht zweckmäßig.“
Diese äußerst dürftigen Angaben ließen nur den einen Schluß zu, daß es mit dieser Frau Karsten und ihrem Sohn eine besondere Bewandtnis haben müsse. Wie aber hatte Harald auf die Frau aufmerksam werden können?! Diese Frage blieb offen.
Seine Voraussage traf jedoch zu: Um elf Uhr erschienen Mutter und Sohn, und nicht nur die schwarzgekleidete blasse Frau mit den feinen Zügen und den ernsten, traurigen Augen, sondern auch ihr fünfzehnjähriger blonder, frischer Junge, den sie aus pekuniären Gründen vor kurzem von der Untersekunda hatte wegnehmen müssen, gefielen mir ausgezeichnet.
Ihr Ehemann war Ingenieur, zuletzt erwerbslos gewesen und hatte sich schließlich aus Verzweiflung das Leben genommen. Frau Karsten wohnte jetzt im Souterrain einer Villa, die einem Bekannten ihres Gatten gehörte.
„Und wie fanden Sie heraus, daß gerade Harst eine Hausdame möglichst mit einer zur Mitarbeit bereiten Verwandten suchte?!“ forschte ich weiter.
Sie errötete etwas, aber ihr Blick begegnete dem meinem mit größter Unbefangenheit „Herr Schraut,“ erwiderte sie mit ihrer angenehmen Stimme und in ihrer ungezwungenen gewählten Ausdrucksweise, „ich weiß aus Erfahrung, daß schriftliche Bewerbungen kaum je Erfolg haben. Deshalb begab ich mich heute früh in das Postamt dort drüben und hoffte, daß jemand nach den Offerten am Schalter fragen würde. Es erschien denn auch ein Herr, den der Schalterbeamte sofort mit Herr Harst anredete und dem er die Briefe überreichte. Ihr Freund äußerte noch zu dem Beamten, wie schwierig es für ihn sei, eine passende Hausdame zu finden. Da wußte ich Bescheid, fuhr heim, holte meinen Jungen ab und kam hierher.“
„Das war sehr klug gehandelt, Frau Karsten,“ nickte ich ihr freundlichst zu. „Wann könnten Sie die Stellung hier bei uns antreten? Ich glaube, auch mein Freund wird mit meiner Wahl einverstanden sein.“
Der blonde Felix mit dem sorgfältig gekämmten vollen Scheitel und den munteren Blauaugen sprang von seinem Stuhl hoch. Sein Gesicht leuchtete, und ein zärtlicher froher Blick traf die ernste, stille, schwarzgekleidete Frau, die kerzengerade im Sessel saß und die Hände im Schoß verschlungen hielt.
„Mama,“ rief der Junge tief beglückt, „Mama, hörst du, Herr Schraut will uns hierher zu sich und Herrn Harst nehmen, – Mama, damit ist ja dein sehnlichster Wunsch erfüllt…“
Er wollte zweifellos noch mehr hinzufügen, aber ein kurzes, scharfes Stirnrunzeln der blassen Frau warnte ihn.
Er schwieg, setzte sich wieder und ließ beschämt über seinen kindlichen Übereifer den Kopf hängen.
… Sehnlichster Wunsch erfüllt! hatte er gesagt und dann war daraufhin das ärgerliche Stirnrunzeln erfolgt. Was hatte Harald doch am Telephon erklärt? ‚Es lohnt! Zwei Monate auf Probe, und – – es lohnt!!‛
Ein leiser Verdacht stieg in mir auf. Hatte diese verwitwete Frau Ingenieur Erna Karsten, die sich so schlau vor anderen Bewerberinnen um die Stellung bei uns einen weiten Vorsprung gesichert hatte, doch so manches zu verhehlen, war sie etwa nicht so harmlos, wie sie in ihrer bewußten Verschlossenheit und seelischen Bedrücktheit erscheinen wollte? Trug auch sie nur eine gut angelegte Maske wie unzählige andere ihrer Zeitgenossinnen, die des Lebens Härte irgendwie vom geraden Weg abgedrängt hatte?
Der Beruf des Detektivs erfordert leider oft genug ein Vorgehen, das mit dem eigenen Charakterbild nur schwer in Einklang zu bringen ist. Heute fiel es mir wahrlich nicht leicht, den zwanglos freundlichen Ton beizubehalten. Ich fragte nochmals, wann Frau Karsten bei uns ihre Pflichten übernehmen könnte.
„Je eher, je besser,“ erwiderte sie zu meinem Erstaunen mit einer Härte in der Stimme, die bisher dem sanften, müden Organ vollkommen gefehlt hatte. Sie hatte dabei die Hände und die Unterarme flach auf die Sessellehne gelegt und sich noch höher aufgerichtet.
„Je eher, je besser,“ erwiderte ich lächelnd. „Dann fühlen Sie sich wohl im Hause des Freundes Ihres Gatten nicht recht behaglich?“
Sie behielt dieselbe steife Stellung bei. Ihre Stimme blieb hart.
„Nein. Ich nehme nicht gerne Almosen entgegen, Herr Schraut. Herr Direktor Solmsky ist nicht mein Geschmack, und nur seine Tochter Clarissa, übrigens sein einziges Kind und sehr verwöhnt, vermag einem intelligenteren Menschen das Dasein reizvoller zu gestalten.“
Das war ja eine ungewöhnlich geschraubte Ausdrucksweise! Sollte das Absicht sein?! Aber Frau Karsten fügte bereits wieder sehr weich und sehr melodisch hinzu: „Ich bin Clarissa sehr verpflichtet, und ich werde sie nie vergessen… – Dürfen Felix und ich hier abends um sieben unseren Einzug halten? Von Möbeln besitze ich fast nichts mehr, habe alles verkaufen müssen‥!“
„Gewiß, – also um sieben…“ Ich war etwas zerstreut. Ich hätte ja nun eigentlich erklären müssen, daß es sich zunächst nur um eine Probezeit von zwei Monaten handeln sollte. Aber eine innere Stimme hielt mich davon zurück.
Ich zeigte dann Frau Karsten und dem wieder sehr zutraulichen Felix im Oberstock das Balkonzimmer und das benachbarte einfenstrige Stübchen, in dem bisher Frau Menzel und unser Sonnenscheinchen gehaust hatten. Beide Räume waren sehr behaglich ausgestattet, und Frau Karsten meinte beglückt, als sie auf den winterlich verschneiten Balkon hinaustrat: „So viel Licht und blauen Himmel habe ich seit Monaten nicht gesehen! Hier werde ich bestimmt mein Ziel erreichen und wieder meines Lebens froh werden.“
Als sie sich dann mit herzlichen Dankesworten verabschiedete, bat sie mich noch, auch Harst nahezulegen, über die Art und Weise Schweigen zu bewahren, wie sie sich diese angenehme, so gut bezahlte Stellung verschafft hätte. „Besonders Clarissa könnte mich falsch beurteilen, wenn sie erführe, daß ich zu dieser kleinen List gegriffen habe, die Namen der beiden Junggesellen zu ermitteln, die eine Hausdame durch Zeitungsannonce suchten. Belassen Sie es also bei der Lesart, Herr Schraut, ich hätte mich schriftlich beworben, und geben Sie mir noch einen kurzen Brief mit, in dem Sie mich auffordern, mich heute vormittag mit meinem Jungen persönlich bei Ihnen vorzustellen.“
Ich schrieb den Brief. Als ich dann mit mir und meinen Gedanken und einer brennenden Zigarre allein war, als ich mir all die Einzelheiten im Benehmen Frau Karstens nochmals vergegenwärtigte, überkam mich ein Gefühl des Unbehagens. Dieses Unbehagen steigerte sich noch, als ich an den Brief dachte, den ich hatte schreiben müssen… Ja, müssen! Ich hatte anfänglich gezögert. Dann aber hatte mich Felix so flehend angeschaut, daß ich der Frau ihren Willen tat. Und jetzt?! Ich konnte mich von dem beklemmenden Empfinden nicht frei machen, daß ich mit der Person dieser modernen Göttin Isis eine sehr gefährliche Hausgenossin in unser Heim eingelassen hätte.
Minuten später hielt ich die freilich anonyme Bestätigung dafür in den Händen.
Es hatte leise geschnurrt – wie eine etwas aufgeregte Katze, – es war schon mehr ein Fauchen gewesen – – es, das Telephon!
Ich hatte mich gemeldet. Eine herrische, metallische Stimme erklang:
„Sehen Sie im Briefkasten nach!“
Weiter nichts. Nur dieser knappe Befehl. Ich gehorchte und fand im Briefkasten einen frisch zugeklebten Brief mit der Aufschrift:
Harst und Schraut
Etwas unhöflich als Adresse, dachte ich, und riß den Umschlag auf, der recht faltig und bauschige war.
Ich schaute hinein. Als erstes erblickte ich eine große sonderbar geformte Blüte darin liegen, dann einen getippten Zettel.
Und las:
Falls Sie Frau Erna Karsten engagieren, werden Sie die Orchideen kennen lernen!!
M’s K. L. 1900, 15, 98. – Berlin, 4. 1. 192.
Cattleya
Königin
„Hm,“ brummte ich, „diese Königin hat zu viel Edgar Wallace-Kriminalromane gelesen! Albern!!“
Worauf ich mir all die Verbrecher-Geheimbünde ins Gedächtnis zurückrief, die Wallace sich aus dem weiten Ärmel seiner unerschöpflichen Phantasie geschüttelt hatte.
Orchideen!! – – Freilich, die dem Zettel beigefügte Blüte war ein wunderschönes Exemplar einer Orchidee. Aber…
Mein Blick haftete auf den Buchstaben und Zahlen – was sollten diese: M’s. K. L. 1900, 15, 98?!
Ich fand keine Erklärung dafür. –
Es wurde zwölf, eins, zwei, – um ein Viertel drei rief Harald abermals sehr eilig an:
„Mein Alter, wir treffen uns abends neun Uhr Angelikastraße, Ecke Ringbahnstraße. Bring den kleinen Rucksack mit, in übrigen Maske fünf… Ich habe es sehr eilig… Schluß!“
2. Kapitel
Solmsky und Clarissa.
Frau Karsten hatte mir bereits um halb acht Uhr abends einen Speckeierkuchen vorgesetzt, der im Gegensatz zu meinen eigenen Bratfabrikaten nicht angebrannt war.
Beim gemeinsamen Abendessen erklärte ich ihr nochmals, um Haralds Fernbleiben zu entschuldigen, wir hätten augenblicklich einen außerordentlich schwierigen Fall in Arbeit… Auch ich würde um halb neun ausgehen, und sie solle unten im Erdgeschoß nur das Licht brennen lassen, um eventuelle Spione zu täuschen.
Dann legte ich in meinem Zimmer Maske 5 an, schnallte mir den kleinen Rucksack vor den Bauch, knöpfte den Pelz darüber zu und entfernte mich lautlos über unseren Hof nach dem anstoßenden Grundstück. Bevor ich jedoch über die Hofmauer stieg, war mir eingefallen, daß ich vergessen hatte, Ersatzbatterien für die Taschenlampe mitzunehmen.
Ich kehrte um. Genau so lautlos wie vorhin betrat ich den Flur und wollte gerade die Pendelglastür nach dem Vorderflur aufstoßen, als ich zu meinem Erstaunen wahrnahm, wie die Tür zu unserem Büro geöffnet wurde und Frau Karsten fertig zum Ausgehen herausschlüpfte. Sie trug jetzt einen Krimmermantel und eine flache Mütze mit schwarzem Schleier.
Gleich darauf hatte sie das Haus durch die Vordertür verlassen und hinter sich wieder abgeschlossen.
Ich huschte rasch ins Büro und von da in Harsts dunkles Schlafzimmer, schob die Vorhänge bei Seite und spähte hinaus. Aber von der fragwürdigen Hausdame war nichts mehr zu sehen. Sie mußte die Gitterpforte des Vorgartens sehr eilig aufgeschlossen haben.
Da ich mich unbedingt an Haralds Anweisungen halten mußte, verließ ich abermals durch die Hintertür das Haus und wollte meinen Weg über das rückliegende Grundstück zur Parallelstraße nehmen.
Neue Überraschung…
Zum Glück stand ich noch im Schatten unseres kleinen Stalles – die Winternacht war klar und mondhell – als ich droben auf der Mauer gerade noch den Oberkörper und die Krimmermütze[1] verschwinden sah.
Frau Karsten kannte also die einfache Art, unser Haus unbemerkt zu verlassen!! –
Ich war sprachlos.
Ich wartete einige Minuten, dann folgte ich unserer neuen Hausdame, erwischte sie auch in der Parallelstraße, wie sie gerade eine sehr elegante Limousine bestieg, die dann eiligst davonfuhr.
Zwanzig Minuten später teilte ich Harald in kurzen Sätzen alles Nötige mit.
Er war keineswegs erstaunt. „Ich kann dir über die Karsten noch weit mehr berichten, mein Alter,“ sagte er, während er auf einem der Laubengrundstücke der Angelikastraße sich anders kostümierte. „Von einer Orchideenkönigin Cattleya wußte ich bisher nichts… – Ich will dir nun die Leute zeigen, die ich tagsüber beobachtet habe, weil sie ihrerseits unserer vielverheißenden neuen Hausdame nachspionierten. Die Villa liegt da drüben, Hunde sind nicht vorhanden, und das Verandadach erleichtert das Einsteigen.“
In der Villa Solmsky war es feststehender Brauch, daß Vater und Tochter an ihren freien Abenden ein paar Partien Schach spielten. So auch heute. Sie saßen in dem nach allerletzter Mode eingerichteten Arbeitszimmer des Direktors der Meteor-Filmfabrik und täuschten beiderseits ein Interesse an der Stellung der elfenbeinernen Schachfiguren vor, daß heute weniger denn je vorhanden war. Gerade unter ihnen im Souterrain lagen die Räume, die Frau Karsten und Felix bisher bewohnt hatten, und die geheimsten Gedanken von Vater und Tochter weilten weit mehr bei der einstigen Hausgenossin als bei der Schachpartie.
Siegfried Solmsky, ein schlanker, bartloser, gut aussehender Mann mit leider nur noch angedeutetem Scheitel, betrachtete oft genug verstohlen sein einziges Kind, das heute bereits die dritte Partie verloren hatte. Sonst war sie stets die Gewinnerin.
Clarissa war das verfeinerte, pikante Ebenbild des Vaters, geistig ihm weit überlegen, dazu in allem große Dame, eifrige Sportlerin und von Kindheit an maßlos verwöhnt. Sie rauchte andauernd Zigaretten, und als sie jetzt nach einer neuen greifen wollte, hielt ihre schmale Hand mit den vom Zigarettenrauch leicht bräunlich verfärbten Fingerspitzen mitten auf dem Weg zu dem Silberkästchen inne, wurde zurückgezogen, und mit müder Stimme sagte sie, sich in den Sessel zurücklehnend, so daß ihr leicht gepudertes Gesicht außerhalb des Lichtscheins der Ständerlampe geriet:
„Es hat keinen Zweck, Papa… Wir sind beide zu zerstreut. Du hättest Erna und den Jungen nicht fortlassen – und sie reichlicher unterstützen sollen.“
Solmsky, durch diesen fast schroff hervorgestoßenen Vorwurf etwas außer Fassung geraten, warf mit unwilliger Hast die Schachfiguren durcheinander.
„Was soll das, Kind?! Hatten die beiden hier nicht freie Wohnung, Verpflegung und Heizung?! Ich glaube, ich habe für die Witwe eines Mannes, der dir allerdings einst befreundet gewesen, gerade genug getan. Außerdem war Frau Karsten keineswegs so…“ – er hielt inne, hüstelte nervös und schloß den Satz hart und gebieterisch: „Das Thema ist für mich vorläufig erledigt‥!“
Er erhob sich und begannen im Zimmer auf und ab zu schreiten, die Hände auf dem Rücken geschlungen und den Kopf tief geneigt.
Clarissa beobachtete ihn aufmerksam aus dem Schatten hervor und wartete gespannt auf eine Fortsetzung dieser Aussprache.
Seine Augen ruhten halb zugekniffen auf Clarissas fein onduliertem Kupferhaar.
Solmsky blieb neben ihrem Sessel stehen.
„Ich habe andere Sorgen,“ sagte er gepreßt… „Man hat mir heute abend einen sehr merkwürdigen Brief geschickt. Einen Drohbrief… Im Umschlag lag noch eine … eine Blume, eine Orchidee.“
„Eine Orchidee?! – Ein teurer Brief!“ spöttelte sie…
Solmsky stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tisch.
„Ein gefährlicher Brief, mein Kind. Ich habe ihn verbrannt… Sicher ist sicher… Den Inhalt weiß ich auswendig.“
„So?! Und der lautet?“
„Der lautete:
Bemühen Sie sich in keiner Weise weiter um Frau Karsten, sonst werden Sie die Orchideen kennen lernen und ein bestimmter Mord wird die Öffentlichkeit beschäftigen!! –
M’s. K. L. 1900.15.98. –
Im Auftrag der Königin: Laelia, Nr. 9
– Der Name Laelia war in großen Buchstaben getippt.“
Clarissa war aufgesprungen.
„Was stand da, Papa? Mord?! Was soll das?!“
Sie hatte ihm die Linke auf die Schulter gelegt. Ihre Stimme sank zum Flüstern, als sie nun hinzufügte: „Glaubst du, daß diese lächerlichen Orchideen auf die ungeklärte Geschichte von damals anspielen?!“
„Ja, ich fürchte.“
Er blickte sie sorgenvoll an. „Wir hätten damals nichts verheimlichen sollen, Kind… Die Person, die sich hinter diesen Orchideen verbirgt, kann nur einer der Eingeweihten sein…“
„Es gab nur fünf Eingeweihte, Papa. Zwei davon scheiden aus,“ meinte sie nachdenklich. „Der dritte ist … tot, und die beiden anderen werden sich hüten, die Sache irgendwie aufzurollen. Der Wortlaut des Briefes beweist doch auch, daß diese ‚Orchideen‛…“ – sie lachte ironisch – „sowohl Erna wie ihrem Jungen jede fremde Hilfe entziehen möchten. – Es ist schändlich,“ rief sie jetzt temperamentvoll. „Man will Erna vernichten‥! Es kann sich nur um Harry Gorring und Kurt Mestel handeln, um wen sonst?! Ihr nächster Brief wird eine Erpressung sein‥!“
Solmsky nickte. „Mag sein… Doch damit werden sie wenig Glück haben. Das müßten sie wissen, und deshalb scheiden sie aus. Nein, Kind, ich bin da auf eine andere Vermutung gekommen.“
„Welche denn?!“ fragte das Mädchen sehr gedehnt.
Ihr Vater zauderte. „Hältst du es für einen Zufall, daß deine Freundin gerade bei Harst eine Stellung fand?“ antwortete er dann mit einer Gegenfrage.
„Ja! Erna hat mir ja selbst den Brief Schrauts gezeigt, daß sie sich persönlich vorstellen soll. Sie las eben die Anzeige, meldete sich schriftlich und wurde engagiert. Wie sollte Harst irgendwie ein anders geartetes Interesse an ihr nehmen?!“
„Dann bleiben nur Gorring und Mestel, da hast du recht… Aber Gorrings Charakter entspräche es sehr wenig, zu solchen Mitteln zu greifen. Du kennst ihn ja…Er spielt den Büßer , nein, – er hat wohl aus tiefster Überzeugung sein Leben derart umgestellt. Mestel dagegen, – – ein übler Bursche, alles in allem, raffiniert, heimtückisch, heuchlerisch, erfinderisch. Ihm traue ich den Versuch sehr wohl zu, mich wie eine Zitrone auszuquetschen…“
Clarissa schwieg, rieb ein neues Hölzchen an und rauchte dann sehr gelassen.
„Er war doch vormittags bei dir… Wart ihr im Treibhaus, Papa?“
„Ja…“
„Dann wollen wir einmal sofort dort nachsehen. Du weißt, daß Laelia eine jener Orchideensorten ist, die du selbst als Liebhaber züchtest. Wenn eine Laelia-Blüte fehlt, hat Mestel sie heute vormittag mitgenommen. Ich will der Sache auf den Grund gehen… Bitte, komm mit…“
Vater und Tochter hatten kaum das Zimmer verlassen, als sich der schwere türkische Vorhang vor der Türöffnung zur Bibliothek bewegte und zwei Herren in Sportpelzen hereinhuschten. Der eine horchte als Wache an der Flurtür, der größere, ebenfalls mit dunklem Spitzbart und Brille, durchsuchte den Schreibtisch mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, die auf Übung schließen ließ. Er zweifelte daran, daß Solmsky den Orchideenbrief verbrannt hatte. Und da er die Eigentümlichkeit sehr schlauer Köpfe genau kannte, wichtige Schreiben ganz offen in harmlosen Umschlägen von Geschäftsreklame zu verbergen, nahm er auch den Briefständer vor und fand wie von ihm erwartet da das gewünschte Schreiben.
Geschickt bestreute er es mit einem feinen schwärzlichen Pulver und machte so eine Menge Fingerabdrücke sichtbar.
Dann blies er die letzten Reste des Pulvers auf den Teppich, säuberte den Brief und legte ihn wieder an den Fundort zurück. Dafür steckte er eine mittelgroße Photographie in die Tasche, die im Schreibtisch zwischen einem Stoß ähnlicher Bilder gelegen hatte.
„Wir können verschwinden, mein Alter,“ sagte er leise zu seinem Freund. „Dieser Orchideenbrief zeigt die Abdrücke anders gerippter Gummihandschuhe als der unsrige… Sehr wichtig!“
3. Kapitel
Der Einsiedler vom Walde.
– Um dreiviertel zwölf rollte eine Taxe mit einer tief verschleierten Dame als Fahrgast über die Halenseer Brücke, bog dann links in die Joachim Friedrichstraße ein und hielt im ältesten Viertel Charlottenburgs vor einer schmalen Gasse, die sich winklig und düster am andern Ende in die Anlagen eines Schmuckplatzes verlor.
Die Frau stieg aus, entlohnte den Chauffeur und schritt in die Gasse hinein. Sie schaute sich immer wieder mißtrauisch um, aber wir blieben trotzdem hinter ihr. Sie betrat schließlich ein schmales Haus, in dem sich unten eine einfache Kneipe befand. Sie benutzte den Nebeneingang zu den Mietwohnungen im ersten und zweiten Stock, und als sie diese Haustür öffnete, taumelte leise gröhlend ein Betrunkener an ihr vorüber und blickte sehr scharf auf ihre Schuhe. Sie nahm keine Notiz von ihm. Betrunkene waren in dieser verrufenen Gasse keine Seltenheit.
Kurz nach Mitternacht verließen fünf Gestalten die Kneipe, alle gut angezogen, nur die Gesichter hätten Anstoß erregen können.
Wieder einige Zeit später überholte eine flinke Taxe auf der nach der Machnower Schleuse am Teltow-Kanal führenden Straße eine andere Taxe und schwenkte vor dem Kanal in den nur leicht verschneiten Hochwald ein.
„Hier haben Sie zwanzig Mark, warten Sie hier,“ befahl er eine der Insassen dem zustimmend nickenden Fahrer. –
– Nicht nur in der Filmwelt, sondern auch weit mehr im Publikum hatte es vor einem Jahr berechtigtes Aufsehen gegeben, als der Liebling aller Abenteuerfilmdarsteller urplötzlich sich vollkommen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und ein idyllisches Landhaus am Teltow-Kanal erworben hatte, wo er nun ganz allein als Kleinbauer hauste, seinen Garten, das anschließende Kartoffelfeld und die Erdbeerplantage bestellte – und jeden Besucher höflich abwies.
Harry Gorring wurde schnell vergessen. Filmstare besitzen nur Tagesberühmtheit.
Sein Herrenzimmer war geschmackvoll eingerichtet. Den großen Kamin an der Rückwand hatte er nachträglich einbauen lassen. Buchenklötze glühten darin, knallten und knisterten und warfen behagliche Wärme bis zum Schreibtisch hin, der zwischen den beiden außen mit grünen Holzläden versehenen Fenstern stand. Neben dem Schreibsessel, in dem Gorring über ein Buch gebeugt saß, lag auf dem schwarzen Bärenfell der einzige Gefährte seiner Einsamkeit, ein großer Hund von dunkelgepfleckter Farbe, Wolfsschnauze und Bernhardinerschlappohren.
Trasso hob plötzlich den Kopf. Dann richtete er sich langsam auf. Gorring blickte hin, und die braunen Augen des Tieres begegneten denen seines Herrn.
Gorring horchte. Der Hund neigte sich vor und stieß mit der Nase gegen seinen Schenkel.
Der ‚Einsiedler des Waldes‛, wie man Gorring in der Umgebung allgemeinen getauft hatte, faßte nach hinten in die Hüfttasche seiner derben Sportbeinkleider und beobachtete unausgesetzt seinen Trasso, ergriff dann dessen Halsband und zog ihn mit sich in den Schutz der Außenmauer neben das kritische Fenster. Dabei umspielte ein geringschätziges Lächeln seinen von Falten umgebenden Mund.
„Ihr irrt euch!“ sprach er halblaut vor sich hin. „Ich bin auf alles vorbereitet‥!“ –
Er horchte noch angespannter, der Hund knurrte ganz leise, und sein Herr bückte sich nun und zog an einer Schnur, die unter dem Teppich entlanglief. Er drehte dabei etwas den Kopf, um sich zu vergewissern, ob seine ebenso einfache wie sinnreiche Vorrichtung auch wirklich funktionierte.
Er lächelte noch härter und bissiger. In dem einen Klubsessel vor dem Kamin, von der roten Glut flackernd beschienen, saß jetzt eine Gestalt, die ein Buch in den aufgestützten Händen hielt. Fast gleichzeitig vernahm er draußen an der Mauer über dem Fenster einen dumpfen, kratzenden Schlag, jedoch so verschwommen, daß lediglich seine geschärften Sinne dieses Geräusch als ungewöhnlich aufzunehmen vermochten.
Er wußte, was der kratzende, dumpfe Schlag zu bedeuten hatte. Schon zweimal hatte er etwas Ähnliches gehört und hatte die ungebetenen Gäste verscheucht.
Es war eine Leiter, die jemand mit umwickelten oberen Enden an die Hausmauer gelehnt hatte.
Gorrings Daumen schob die Sicherung seiner Pistole zurück. Der Hund knurrte von neuem. Sein Herr streichelte ihm beruhigend den Kopf.
Dann ertönte draußen im Garten kurz hinter einander ein mehrfaches gedämpftes Plomp-Plomp, – – wie schwache Trommelschläge etwa.
Ein Schrei folgte, ein lauter heller Ton schloß sich an… Die Leiter war umgestürzt.
Gorring runzelte die Stirn und schüttelte erstaunt den Kopf.
Da schlug seine Flurglocke an, und draußen rief jemand: „Öffnen Sie getrost, Herr Gorring. Hier ist Harst… Mein Freund Schraut hat geläutet. Wir haben fünf nette Blümlein erwischt!“
Als der Einsiedler des Waldes nun schleunigst öffnen ging, überschaute er mit einem einzigen Blick die vom Mond beschienene, stark an Wildwest-Romantik gemahnende Situation.
Da standen auf dem beschneiten Rasen fünf zweifelhafte Gentlemen in einer Reihe mit erhobenen Armen, vor ihnen lehnte gemütsruhig ein Herr im Sportpelz an einem weiß gekalkten Obstbaum.
Ich begrüßte den einstigen Filmstar mit der knappen Erklärung:
„Es war auf Ihr Leben abgesehen, Herr Gorring. Harst möchte die fünf so ein wenig ins Verhör nehmen. Haben Sie ein paar Stricke zur Hand?“
„Und ob! Sofort. – Trasso, leg’ dich!“
Er eilte ins Haus zurück.
Minuten später war sein Arbeitszimmer zum Gerichtssaal geworden. –
Über die Gestalt im Klubsessel vor den Kamin, die wir erst nachher zu Gesicht bekamen, spreche ich später. Harald vermied auch jeder Erörterung der Ursachen unseres Auftauchens hier und wollte sich zunächst mit den fünf Banditen auseinandersetzen, die sämtlich bewaffnet gewesen und von denen drei harmlose Unterarmschüsse bezogen hatten, die nur leicht verbunden zu werden brauchten.
Keiner von den fünf hatte irgend welche Papiere bei sich gehabt, keiner schien sich zum Reden bequemen zu wollen. Mit frechen, herausfordernden Gesichtern saßen sie auf ihren Stühlen, und der eine, der vor Schreck mit der Leiter umgekippt war, benahm sich am unverschämtesten und grinste uns sogar höhnisch-drohend an.
Doch sie wurden sehr bald zahm.
Schon Harsts einleitende Frage nach dem ersten ergebnislosen Teil des Verhörs zog ihre Gesichter beträchtlich in die Länge.
„So, – ihr wollt also bockbeinig bleiben?“ sagte er unangenehm belustigt und erhob sich und trat auf den Abgestürzten zu, der am Kinn eine dicke rote Beule auf dem hartgefrorenen Boden davongetragen hatte.
„– So, ihr wollt nicht‥! Dann gestattet mal, daß ich eure Jackenaufschläge auf der Unterseite revidiere.“
Er begann bei dem Abgestürzten…
„Hallo, was ist denn das, mein Sohn?! Welchem Klub gehörst du denn an?!“ –
Er zog eine Nadel aus dem Jackenstoff, deren angelötetes, aus dünnem Aluminiumblech geschnitztes Abzeichen zweifellos eine Blume darstellte. „Sollte das nicht eine Orchidee und zwar die bekannte Laelia sein?! Seid ihr etwa Orchideen-Brüder und der großen Königin Cattleya verpflichtet?“
Laelia Nr. 9 grinste nicht mehr.
„Ich weiß nicht, was Sie da reden, Herr Harst,“ brummte er mehr als bestürzt…
Abgestürzt war er schon – von der Leiter. Doch nun war er entlarvt, und das wog schwerer.
„Du weißt noch immer nichts?! Komisch!!“
Harald war bei Laune. „Dann will ich doch erst mal die anderen Jackenaufschläge revidieren… – Sieh da: Alles nur dieselben Abzeichen bei den vieren! Alles nur Aganisia, alles nur Kerle mit der Nr. 1. Offenbar euer unterster Grad, ihr armen Orchideen-Bürschlein…“
Herr Gorring saß neben mir und machte zu alledem ein Gesicht, das deutlich bewies, daß er von Orchideen dieser Sorte bisher nichts, gar nichts, geahnt hatte.
4. Kapitel
Laelia 9 stirbt.
„Mein Sohn Laelia, du wolltest morden… Du hattest oben auf der Leiter deine lange Coltpistole bereits im Anschlag. Ich dämpfte deine Unternehmungslust, mein Schalldämpfer arbeitete flinker. – Willst du nun ein Geständnis ablegen?“
Der Bursche schwitzte vor Angst Blut und Wasser, wie man zu sagen pflegt. Aber diese Angst konnte in dem Maße unmöglich nur auf Haralds Anwesenheit zurückzuführen sein.
„Ich … weiß nichts…“ quetschte er heiser hervor.
„So?! Dann muß ich dein schwaches Gedächtnis eben etwas auffrischen. Du hast heute kurz nach Mitternacht von eurer Königin Cattleya den Befehl erhalten, Herrn Gorring zu erschießen und sein Haus hier niederzubrennen.“
Herr Laelia zitterte. „Nein, nein… Es … es ist schon so… Sie wissen alles, Herr Harst… Aber wir müssen gehorchen, die Königin hat…“
Die Fensterscheiben klirrten plötzlich…
Plomb … Plomb…
Trasso tat einen wilden Satz nach dem linken Fenster hin…
Der Mann mit Nr. 9 fuhr kerzengerade von seinem Stuhl hoch und fiel nach vorn auf den Teppich…
‚Peng … Peng … Peng‛, spuckte Gorrings Pistole gegen das Fenster… Glas zersplitterte…
Nochmals: Peng … Peng…
„Verschwenden Sie keine Patronen, Herr Gorring,“ meinte Harald etwas rauhen Tones. „Die Königin ist längst über alle Berge… Und Herr Laelia ist tot und kann nichts mehr verraten – leider, – – armer Teufel!“
„Mein Trasso wird das Weib stellen – kommen Sie mit, Herr Schraut, wir fangen sie schon,“ rief Gorring heiser vor Grimm.
„Versucht es, meinetwegen…“ stimmte Harst zu.
Wir stürmten durch den Flur in den Garten, dann, von Trasso geführt, in dem nahen Hochwald. Am Fenster hatte noch die Leiter gelehnt, jetzt wieder aufrecht stehend, hier nahm der Hund die frische Fährte an, den Gorring an die Leine gelegt hatte. Auf einem nahen Waldweg wurde Trasso jedoch unsicher, lief hin und her, bog dann nach rechts ab, und als wir eine dichte Schonung durchquerten, bemerkten wir vor uns eine Limousine, die sich gerade in Bewegung setzte.
Gorring zögerte nicht, – auch ich nicht… Der Knall der auf die Hinterräder abgegebenen Schüsse weckte in der Schonung rollende Echos, aber der Wagen entkam, wir blieben stehen, Gorring bückte sich und betrachtete die Eindrücke der Pneumatiks in dem Schnee.
„Unmöglich!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor…
„Was ist unmöglich?“
Er richtete sich wieder auf. „Daß ich nicht getroffen haben soll,“ erwiderte er merkwürdig geistesabwesend.
Ich wurde stutzig, schaltete meinen Taschenlampe ein und sagte so obenhin, um ihn nicht argwöhnisch zu machen: „Vielleicht haben Sie doch getroffen, und die Limousine fährt mit einem schlaffen Reifen… Verfolgen wir die Spuren noch ein Stück weiter…“
„Zwecklos, Herr Schraut… Wir hätten den Knall sicherlich gehört, mit dem ein angeschossener Reifen aufgerissen wäre.“
„Da haben Sie allerdings recht. Kehren wir also um.“ –
Ich hatte mir das Muster der Riffelung der Reifen bereits eingeprägt.
Harst hatte inzwischen den Kriminalrat Penz angerufen und Meldung erstattet. So wie die Dinge nun nach der Ermordung des Orchideenmannes Nr. 9 lagen, mußten wir die Polizei verständigen, und Penz war einer der uns wohlgesinnten und nötigenfalls sogar gegenüber seinen Vorgesetzten sehr verschwiegenen Beamten…
„Die vier dort sind tatsächlich Orchideen des untersten Grades,“ sagte Harald und deutete auf die vier sehr bleichen Gestalten. „Sie haben mir erzählt, was sie über die Königin Cattleya, die übrigens die Nr. 7 trägt, und über die Verbrechervereinigung wissen. Viel war es nicht. Ich habe Penz auch sofort an Telephon geraten, das Haus in der Rosengasse in Charlottenburg, in dem sich unten die Kneipe und das Hauptquartier der Orchideen befindet, zu umzingeln, und alle Mann verhaften zu lassen, auch die Mieter der oberen Stockwerke. Die großen Einbrüche und Raubüberfälle der letzten Monate kommen sämtlich auf das Konto der Orchideen. Die Anführerin ist ein Weib, die niemand kennt. Sie trägt stets einen dunklen Mantel, dunkle Mütze und eine Maske aus braunen Seidenflicken in Form einer Orchidee, – daher Cattleya… – Die Bande soll mindestens fünfzig Mann stark sein, aber die wenigsten Mitglieder kennen einander genauer. Die ‚Königin‛ ist so vorsichtig gewesen, all diese Leute aus Verbrechern anderer Großstädte auszuwählen. Kein einziger ist Berliner. Die Organisation besteht seit etwa acht Monaten, behaupten die vier dort. Doch bestimmt wissen sie es nicht.“ –
Penz traf nach kaum zwanzig Minuten mit fünf Beamten ein. Er ließ die Leiche sehr bald wegschafften, ebenso die vier Verhafteten, und schickte auch seine Leute heim.
Als wir nun unter uns waren, sagte er ärgerlich: „Harst, das Nest in der Rosengasse war leer… Im ganzen Haus befand sich keine lebende Seele. Der Kneipwirt und die Mieter waren auch ausgerückt. Zweifellos hat die Orchideenkönigin ihre Bande telephonisch gewarnt, nachdem sie von hier entwischt war. Pech!! – So, nun erzählen Sie, wie Sie auf die Orchideen aufmerksam geworden sind… Unterlassen Sie aber gefälligst Ihre bekannten Mätzchen und verschweigen Sie nichts, gar nichts! Ich merke ja doch, wenn Sie schwindeln, um auf eigene Faust weiterarbeiten zu können.“
Penz sog mißmutig an seiner Pechnudel von Brasil.
„Hm, – Sie würden kaum merken, wenn ich etwas verheimlichte,“ widersprach Harald achselzuckend. „Aber es liegt kein Anlaß vor, etwas geheim zu halten. – In aller Kürze also: Wir suchen eine neue Hausdame, ich hole heute die Offerten ab, dabei stelle ich fest, daß eine verschleierte Frau mich im Schalterraum beobachtet. Der Schalterbeamte kennt mich, redet mich mit meinem Namen an und übergibt mir den Stoß Briefe. Die Frau eilt hinaus, ich folge ihr, ich stelle weiter fest, daß sie selbst von zwei Männern beobachtet wird. Sie fährt nach dem Vorort Halensee und betritt dort im Westteil, jenseits der Brücke die Villa des Direktors Solmsky. Ich ziehe in der Nähe Erkundigungen ein und höre, daß die Frau die Witwe eines Ingenieurs Karl Karsten ist, und daß sie bei Solmsky im Souterrain mit ihrem fünfzehnjährigen Jungen wohnt, daß es ihr sehr schlecht geht, daß sie mit Clarissa Solmsky befreundet ist, aber von Solmsky nicht gut behandelt wird. – Ich rufe Schraut an, er soll die Frau engagieren, da ich annahm, sie würde sich persönlich um die Stelle bei uns bemühen… Schraut engagiert sie auch, Sie zieht bereits abends bei uns ein, und ich verbringe den ganzen Tag in der Stadt und suche mich über Solmsky und Tochter zu informieren. Inzwischen hat Schraut bei uns im Briefkasten eine Nachricht vorgefunden, auf die ihn jemand telephonisch aufmerksam machte…“
Er wiederholte nun den Inhalt dieses ersten Orchideenbriefes wörtlich und erwähnte dazu, daß ich versucht hätte, Fingerabdrücke zu finden, jedoch ohne Erfolg, da der Absender mit Handschuhen gearbeitet hatte.
Penz hob die Hand…
„Stopp, lieber Harst… Eine Zwischenfrage… Was bedeuten die Zahlen und Buchstaben in dem Brief der Königin Cattleya?“
„Eine sehr törichte Herausforderungen, auf die wahrscheinlich die echte ‚Königin‛ aus übermütigem Sicherheitsgefühl verfallen sein mag.“
„Die … echte?! Wie meinen Sie das?“
„Darüber reden wir nachher. Die Buchstaben und Zahlen bedeuten jedenfalls ‚Meyer’s Konversationslexikon, Ausgabe 1900, Band 15, Seite 98.‛ – Auf dieser Seite sind die in Treibhäusern leicht zu züchtenden bekanntesten Orchideen aufgezählt und mit Nummern entsprechen der farbigen Abbildung versehen.“
Penz klatschte sich knallend auf den feisten Schenkel…
„Donnerwetter! Verblüffend einfach! Wenn man es weiß!! – Und weiter nun‥?!“
Er, der sich nicht so leicht für einen Fall begeisterte, war Feuer und Flamme.
„Weiter? – Schraut und ich trafen uns abends und statteten der Villa Solmsky einen Besuch ab, wir belauschten Vater und Tochter und hörten so, daß auch Solmsky einen Orchideenbrief erhalten hatte…“ –
Harst berichtete der Wahrheit gemäß, wie wir dann Clarissa Solmsky bis zur Rosengasse in Charlottenburg verfolgten und was sich noch fernerhin ereignet hatte.
Penz qualmte wie ein Schlot und schüttelte dazu ungläubig den mächtigen Schädel. „Trotz dieser einwandfreien Beobachtungen halten Sie also die junge Dame nicht für die Königin der Orchideen, lieber Harst?! Vorhin sprachen Sie ja von der ‚echten‛ Königin.“
„In dieser Beziehung lege ich mich vorläufig auf keine bestimmte Ansicht fest,“ erklärte Harald vorsichtig. „Und dies aus folgenden Gründen… Schraut hat nämlich festgestellt, daß kurz nach ihm auch Frau Karsten unser Haus heimlich verließ und von einer Limousine abgeholt wurde.“
„Unglaublich!“ rief Penz sichtlich verwirrt. „Ihre neue Hausdame wandelt also ebenfalls dunkle Pfade!“
„Sehr dunkle!“ nickte Harald. „Wie gut sie bei uns Bescheid wußte, beweist die Tatsache, daß sie über die Hofmauer kletterte und durch das anstoßende Grundstück die Parallelstraße erreichte‥ Außerdem habe ich durch Nachfragen ermittelt, daß es ihr pekuniär keineswegs schlecht ging. Sie erhielt regelmäßig nach dem Selbstmord ihres Mannes postlagernd größere Geldbeträge.“
Penz starrte Harst lange an und rieb sich verzweifelt die Stirn. „Das sind ja nette Geschichten!! Die Frau wohnt mit ihrem Jungen im Keller, verkauft angeblich aus Not ihre Möbel, und…“
„Ich bin noch nicht fertig,“ fiel mein Freund ihm ins Wort. „Frau Karstens Verhalten läßt nur eine Deutung zu: Sie wollte unbedingt engagiert werden! Hierzu war ihr jedes Mittel recht.“
„Um zu spionieren!“ ergänzte der Kriminalrat bissig.
„Mag sein. – Ich bin noch immer nicht fertig, denn der Orchideen-Brief, den Schraut in unserem Briefkasten fand, hat Frau Karsten selbst hineingelegt, wie ich mit ansah.“
Penz pfiff leise. „So … so!! Verstehe! Die in dem Brief enthaltene Drohung ‚Falls Sie Frau Karsten engagieren, werden Sie die Orchideen kennen lernen!‛ war also ein schlauer Bluff, von vornherein jeden Verdacht gegen Ihre neue Hausdame zu zerstreuen! Hieraus geht hervor, daß sie, falls sie nicht selbst die Königin ist, doch mit der Bande in Verbindung steht!“
Harald beschränkte sich auf ein unmerkliches Kopfnicken. Ich selbst beobachtete den so sehr sympathischen Harry Gorring, dessen jähe Blässe auffallen mußte. Er schaute mit verkniffenen Lippen zu Boden, seine Hände öffneten sich und ballten sich wieder in nervösem Spiel zur Faust, und einmal schien es so, als ob er, der Schweigsame, sprechen wollte. Doch er unterließ es.
Ich dachte an die Autospuren im Schnee, ich wußte ja, daß er, der als vorzüglicher Pistolenschütze bekannt war, absichtlich vorbeigeschossen hatte.
Er hatte die Reifen nicht treffen wollen! Und – er besaß ein Auto! Er hatte neben dem Stall eine neue Garage ganz aus Zement errichten lassen, mit starken eisernen Flügeltüren und Kunstschlössern. Er hatte so nebenher erklärt, sein Wagen befände sich zur Zeit in Reparatur.
Er hatte gelogen. Seine Limousine war die, von der Frau Karsten erwartet worden war. Wer jedoch hatte am Steuer des Wagens gesessen? Ein Mann‥! Ich hatte nur wenig von diesem Chauffeur gesehen, er trug Ledermütze und Autobrille…
Stellte man diesen Tatsachen die anderen gegenüber, daß die Orchideen Gorring hatten morden und sein Haus in Brand stecken wollen, dann ergaben sich schier unlösbare Widersprüche.
5. Kapitel
Das Bild mit Trauerflor.
Gorrings Gesicht hatte sich wieder gerötet, und mit liebenswürdiger Geflissenheit füllte er nun aufs Neue unsere Rotweingläser, – offenbar nur, um das peinvolle Schweigen durch irgend etwas zu unterbrechen.
Penz sagte rauh:
„Harst, die vier Verhafteten haben übereinstimmend ausgesagt, daß die ‚Königin‛ ein Weib sei. Wir haben bisher die Wahl zwischen Clarissa Solmsky und Frau Karsten…“
„Ja!“ bestätigte Harald kurz.
Penz drehte sich mit einem Ruck herum. Gorring stand gerade neben ihm.
„Weshalb wollte man Sie ermorden?! Reden Sie! Sie müssen es wissen! Machen Sie mir keine Faxen vor! Sie haben behauptet, Sie wüßten nichts von der Existenz dieser Orchideen. Ich glaube Ihnen das nicht. Sie haben uns vorhin Ihren Stellvertreter vorgeführt, den Gummimann im Sessel, den Sie mit Hilfe einer Sauerstofflasche so schnell aufblasen können. Es seien bereits zweimal Attentate auf Sie verübt worden, haben Sie als Erklärung für diese Vorsichtsmaßregel angegeben. Direktor Solmsky und Tochter kennen Sie genau, Sie waren ja zuletzt bei der ‚Meteor‛-Gesellschaft beschäftigt. Kennen Sie auch Frau Karsten persönlich? Antwort!“
Penz’ Ton klang jetzt grob brutal.
Gorring, der noch die Rotweinflasche in der Hand hielt, begegnete dem stechenden Blick des Kriminalrats mit hochmütiger Ablehnung.
„Was berechtigt Sie zu diesem scharfen Angriff?!“ meinte er eisig. „Ich habe mit Frau Karsten noch nie ein Wort gewechselt, und die Orchideen waren mir als Verbrecherorganisation bis heute vollkommen unbekannt.“
Um Gorrings Mund lagen dicke Falten… In seinen Augen schimmerte es bedrohlich. Man sah es ihm an, wie schwer es ihm wurde, sich zu beherrschen.
Penz nahm davon keinerlei Notiz.
„Das kann jeder sagen, Herr Gorring… Die Tatsache bleibt bestehen, daß diese Verbrecherkönigin, sei es, wer es sei, an Ihrer Person ein recht gefährliches Interesse nimmt. Das muß doch seine Gründe haben. Sie leben hier so weltabgeschieden, daß gerade Ihr Grundstück sehr gut früher, jetzt nicht mehr, eine ähnliche Rolle für die Orchideen gespielt haben kann wie das Haus in der Rosengasse, das ich leer fand.“
Gorrings Züge verrieten, daß er nun doch die Gewalt über sich verlor.
„Das – – ist unerhört!“ rief er in hellster Empörung. „Sie stempeln mich ja geradezu zum Hehler!! Bitte durchsuchen Sie doch mein Grundstück, und wenn Sie auch nur das Allergeringste finden, das irgendwie…“
Er brach mitten im Satz ab, denn über Penz’ wulstiges Gesicht flog ein behagliches, zufriedenes Schmunzeln.
„Sehen Sie, Herr Gorring, das war ein vernünftiges Wort! So ein bißchen durchsuchen, das wollte ich gern, aber dazu fehlte mir die vorschriftsmäßige Erlaubnis. Nun haben Sie es selbst gestattet, und das war nett von Ihnen. Ich weiß ja, daß ich nichts von Bedeutung finden werde… Desto mehr kann ich nachher für Sie eintreten. – … Sie werden Ihre Erlaubnis nicht zurückziehen!“ fuhr Penz sogleich fort. „Das weiß ich, das würde einen zu schlechten Eindruck machen… Beginnen wir also sofort, desto schneller können wir Ihrem Rotwein wieder alle Ehre antun. – Fangen wir mit Ihrem Wandsafe an… Sie haben doch natürlich einen kleinen eingemauerten Tresor… – Wo? Schließen Sie nur auf…“ –
Penz erhob sich lebhaft.
Gorring schaute seltsam hilflos zur Seite – dorthin, wo Harald äußerlich ganz unbeteiligt seine Zigarette rauchte.
„Gut, – kommen Sie…“ wandte er sich wieder an Penz und zog ein Schlüsselbund aus der Tasche, hakte einen Patentschlüssel ab und legte die anderen, die noch auf den Ring gestreift waren, auf seinen Sessel. „Mein Wandtresor befindet sich in meinem Schlafzimmer… Bitte…“
Er ging voraus.
„Na, und Sie, Harst?“ fragte Penz verwundert, da mein Freund keine Miene machte, sich ihm anzuschließen.
„Ich habe zur Zeit keinerlei Interesse für Schlafzimmer,“ lautete die höfliche Antwort. „Vielleicht nur für mein eigenes…“ – – und er gähnte herzhaft.
Kaum war die Tür nach dem Flur zugefallen, als Harald auch schon auf den Füßen stand. „Schnell, – ich habe Gorrings Wink verstanden… Da, der eine Schlüssel liegt so, daß er nach dem Schreibtisch deutet…“
Er ergriff das Schlüsselbund, eilte zum Schreibtisch und probierte den Schlüssel, der nur zur Mittelschieblade paßte. Er zog sie heraus und erklärte dabei: „Wenn du Gorrings Gesicht genau beobachtet hast, muß dir aufgefallen sein, daß er sich merklich veränderte, als ich von den Geldbeträgen sprach, die Frau Karsten postlagernd erhalten hat… – Suchen wir nach den Postabschnitten…“
Er zog die Schieblade vollends heraus.
Mein erster Blick fiel auf eine schwarz eingerahmte Photographie, die merkwürdigerweise mit einem faltigen, hauchdünnen schwarzen Tüll wie mit einem Vorhang überzogen war. Es war die uns bereits bekannte Reklamephotographie, – Filmreklame.
Auch Harald sah sie.
„Hm, – vielleicht der erste Hinweis!“ murmelte er nachdenklich. „Ah – und hier liegt ein dick gefüllter Briefumschlag: Quittungen über E. K. – – Gorring ist ein sehr ordnungsliebender Mann… – Wirklich, es sind Postabschnitte… Lassen wir auch das Bild verschwinden. Sicher ist sicher…“
Als Penz und Gorring zurückkehrten, schien Harst sanft eingenickt zu sein.
„Der Wandtresor ehrt Herrn Gorring,“ sagte Penz scherzend. „Nun möchte ich mir trotzdem mal den Schreibtisch ansehen, und nachher die schöne neue Garage.“
Penz gab sich nicht viel Mühe, und mit einer liebenswürdigen Verbeugung reichte er dem Einsiedler des Waldes die Schlüssel zurück.
„Alles tadellos in Ordnung, alles… – So, jetzt wollen wir in die Pelze schlüpfen und der Garage einen Pflichtbesuch abstatten… – Haben Sie auch dafür kein Interesse, Harst?“
„Nein. Ich will noch, wenn es irgend geht, ein paar Jahre leben…“
„Wie meinen Sie das?!“
„Genau wie ich es sage…“
„Hm, denken Sie an die Orchideen?“
„Einer Organisationen, die schätzungsweise fünfzig Leute umfaßt, jetzt nur noch vielleicht fünfundvierzig, und die so vortrefflich von der Königin Cattleya Nr. 7 geleitet wird, daß die Polizei bisher von ihrer Existenz nichts ahnte, obwohl in den letzten Monaten in Berlin und anderen Städten schwere Einbrüche und Raubüberfälle mit einem Gewinn von rund einer halben Million sich ereigneten, wird es kaum ruhig hinnehmen, daß man ihre Organisation zu zerschlagen sucht. Was man von diesen Leuten zu gewärtigen hat, zeigt uns der Mordanschlag auf Gorring und die kaltblütige Erschießung des Unbekannten, der als Laelia Nr. 9 wahrscheinlich weit mehr über die ‚Königin‛ hätte aussagen können als die vier Verhafteten der untersten Stufe.
Die ‚Königin‛, die ich bestimmt für die Mörderin halte, ist entwischt, hat das Haus in der Rosengasse sofort räumen lassen und kann inzwischen die Gebäude hier eingekreist haben. Wir sind vier Männer, draußen steht Ihr Dienstauto, Penz, mit Chauffeur und einem Begleiter. Insgesamt wären wir also sechs… Der Gegner kann uns in fünffacher Übermacht umzingelt haben. Offen werden sie nicht angreifen, aber ich bin überzeugt, daß es sofort von allen Seiten knallt, wenn wir uns draußen im hellen Mondlicht zeigen. Eine sehr einfache und schnelle Probe aufs Exempel ist das Telephon. Trifft meine Vermutung zu, so ist seine oberirdisch geführte Fernsprechleitung zerschnitten worden. Herr Gorring. – Sie gestatten…“
Er hob den Telephonhörer ab, horchte eine Weile und legte ihn wieder auf die Gabel zurück. Sein Gesicht war noch ernster geworden. „Wir sind eingekreist. Gelingt es uns, etwa noch eine Stunde durchzuhalten, so hoffe ich auf das Eintreffen eines Überfallkommandos.“
„Wie, ohne daß wir die Möglichkeit haben, es herbeizurufen?!“ meinte der Kriminalrat erstaunt.
„Ja,“ sagte Harst. „Denn wir sind nicht die einzigen, die hinter den Orchideen her sind. Es gibt da noch jemanden, der diese Königin und ihre Bande beobachtet und lahmlegen möchte, und so, wie ich diese Person bisher einschätzen kann, wird sie unsere immerhin etwas bedenkliche Lage hier dem Präsidium schleunigst gemeldet haben.“
Penz starrte Harst sekundenlang fragend an. Dann tippte er sich auf die Stirn.
„Verstehe!! Frau Karsten!! – Nicht wahr?“
Harald nickte. „Es hätte wenig Sinn, lieber Penz, Sie noch länger über meine Mutmaßungen im unklaren zu lassen. Frau Karsten hat sich nur deshalb um die Stellung bei uns bemüht, um Schraut und mich auf die Orchideen aufmerksam zu machen. Sie selbst hat den Orchideen-Brief in unseren Kasten getan, wie ich bereits erwähnte. Sie bekämpft die Organisationen aus rein persönlichen Gründen, wie ich nun weiß, und da sie wenig Erfolg hatte, weckte sie unser Interesse für die Orchideen.“
Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als draußen vom Waldweg die bekannten langgezogenen Töne der Polizeihupen herüberklangen.
Penz lachte bissig.
„Wie auf Befehl – – auf die Sekunde!“
Dann eilte er hinaus.
Von den Orchideen, deren vielfache Spuren in der dünnen Schneeschicht rings um das Grundstück sichtbar waren, konnte nichts mehr entdeckt werden. Die Königin hatte ihre Leute rechtzeitig vor der Gefahr gewarnt. Fährten von sechs Motorrädern und zwei Privatwagen fanden sich auf einem entfernten Seitenweg.
6. Kapitel
Kurt Mestel, ein Mitwisser.
Es war noch dunkel, als wir vor unserem Haus gegen sieben Uhr in der Arnoldstraße anlangten. Aber Berlin war längst erwacht, und auch Frau Karsten hatte ihre häusliche Tätigkeit schon begonnen. Im Flur, in der Küche und oben im ersten Stock brannte Licht.
Als erster trat uns der blonde muntere Felix entgegen, der eine Schürze vorgebunden hatte und die Treppe fegte. –
„Ich helfe Mama, wo ich kann,“ erklärte er stolz… „Und ich kann alles. Waren Sie beruflich unterwegs, Herr Harst?“ fragte er dann mit der sensationshungrigen Neugier seiner Jahre.
„Und ob, mein Junge! Und jetzt möchten wir frühstücken…“
Es war die erste gemeinsame Mahlzeit zu vieren, es war auch die erste Gelegenheit für Harald, unserer Hausdame persönlich in der Unterhaltung kennen zu lernen.
Harst lenkte das Gespräch beim Frühstück in die Bahnen, die er hierfür vorgesehen hatte. Er brauchte auf Felix keinerlei Rücksicht zu nehmen, denn der Junge war weit über sein Alter hinaus körperlich und geistig ausgereift und verstand sicherlich auch zu schweigen.
Es wäre taktisch vollkommen verkehrt gewesen, etwa den Orchideenbrief zu erwähnen. Dies hätte Frau Karsten nur argwöhnisch gemacht. Als Harald dann darauf zu sprechen kam, tat er es mehr in scherzhaftem Ton. „Ich glaube, Sie haben sich irgendwie unbeliebt gemacht, Frau Karsten. Ein Spaßvogel zweifelhaftester Sorte hat uns einen Brief in den Kasten geworfen. Hier ist er… – Lesen Sie, – – ein schlechter Witz, diese Orchideen, ein sehr schlechter!“
„Wer hat nicht Feinde, Herr Harst?!“ meinte sie mit leichtem Achselzucken und reichte den Brief zurück. „Die Ärmsten der Armen, die wehrlos sind, haben die meisten Gegner. – Hätten Sie besondere Wünsche für das Mittagessen?“ lenkte sie dann schleunigst ab.
„Ja. Bitte um elf Uhr. Wir erwarten einen Gast, den ich in der verflossenen Nacht aus besonderen Gründen eingeladen habe. Also vielleicht vier Gänge, obwohl Herr Gorring, den Sie dem Namen nach als ehemaligen Filmstar kennen dürften, sehr anspruchslos ist.“
Auch jetzt hatte sie sich völlig in der Gewalt.
„Gorring?! Ah, ich entsinne mich… Der Sensationsdarsteller aus so und so vielen Abenteuerfilmen.“
Frau Karsten erhob sich dann plötzlich, ging zur Tür und sagte mit nur halb zurückgewandtem Kopf, um ihre Blässe zu verbergen: „Ich habe ja noch Wasser auf dem Gasherd zu stehen, entschuldigen Sie mich… – Felix, du mußt nachher sofort einkaufen gehen…“
Damit verschwand sie.
Felix räumte den Tisch ab und dann waren wir allein in unserem vielgestaltigen Büro. Wir setzten uns an den Schreibtisch, und Harald breitete vor sich die Postabschnitte aus, die aus Gorrings Schreibtisch stammten.
„Beginnen wir also hiermit… Gorrings stumme Bitte lautete, diese Abschnitte verschwinden zu lassen. Er hat an Frau Karsten im ganzen sechstausendfünfhundert Mark abgeschickt, sicherlich anonym und in der Weise, daß er sie vorher stets ebenso anonym brieflich bat, das Geld von der Post abzuholen. Alle Abschnitte sind mit der Maschine geschrieben. – Weshalb unterstützte Gorring die Witwe so reichlich‥? Weil…“
Pause…
„… weil er wahrscheinlich ihren Mann erschossen hat.“
Ich war sprachlos. Nur für Sekunden allerdings.
„Also kein Selbstmord, wie man bisher annimmt, Harald… Ein Totschlag – – aus Fahrlässigkeit! Daher auch das umflorte Bild!“
„Das trifft zum Teil zu, mein Alter. Ich argwöhne etwas anderes.“ Er packte die Abschnitte wieder in den Umschlag. „Es wird doch ein Mord gewesen sein,“ sagte er noch bedächtiger und blickte zum Fenster hinaus. „Wie prall und grell die Januarsonne scheint. Wir haben sieben Grad Wärme. Da wird auch der letzte Schnee dahinschmelzen, und es uns möglich sein, den Schauplatz zu besichtigen…“
Meines Freundes Gedankensprüngen zu folgen, ist zuweilen sehr schwer. Nun – ich habe einige Übung darin. Ich fragte: „Du hältst das umflorte Bild für den Schauplatz?“
„Ja. Der Ingenieur Karsten erschoß sich in der Nähe von Potsdam in den Sanddünen des früheren großen Exerzierplatzes. Wenigstens wurde dort seine Leiche gefunden, neben ihm einen Coltpistole, die ihm gehört hatte. Der Schuß saß im Herzen, die Oberkleider zeigten Pulverspuren, die, wie ich folgerte, hinterher durch das Abfeuern einer Patrone ohne Geschoß hervorgerufen wurden, um einen Nahschuß vorzutäuschen. – Nun zu etwas anderem.“
Zuweilen hat die kühle Erörterung von Einzelheiten, bei denen es um ein Menschenleben geht, etwas Niederdrückendes und Peinvolles an sich. Hier jedoch entfielen diese beklemmenden Nebengedanken angesichts der einfachen Tatsache, daß es galt, ein schändliches Verbrechen aufzuklären.
„Den Täter, der schuldlos ist, kennen wir, es ist Harry John Eduard Gorring,“ sprach Harald weiter. „Aber den Anstifter zu diesem Mord, dessen nähere Umstände uns noch verborgen sind, sollen wir erst herausfinden. Gorrings letzter Film hieß ‚Die Königin der Orchideen‛. Nach dem ‚Selbstmord‛ des stellungslosen Ingenieurs Karl Karsten wurde die Verbrecherorganisation der Orchideen gegründet. Durch wen? Wer ist diese ‚Königin‛‥?“
„Klarissa Solmsky‥! – Wer sonst?! Wir sahen sie aus ihres Vaters Villa schlüpfen, sie verschwand in dem Haus der Rosengasse, das Penz nachher leer vorfand. Ihr Vater züchtet Orchideen, Sie schickte ihm den Brief mit dem Wortlaut ‚Bemühen Sie sich in keiner Weise weiter um Frau Karsten, sonst werden Sie die Orchideen kennen lernen und ein bestimmter Mord wird die Öffentlichkeit beschäftigen‛. – Dieser Brief wurde getippt, damit Siegfried Solmsky nicht etwa Verdacht gegen seine Tochter schöpfte.“
„Mag sein. Schalten wir dies vorläufig aus… Die nächste Frage wäre: Wo und wie weit ist Frau Karsten mit der Organisation und den Gepflogenheiten der ‚Orchideenkönigin‛ vertraut geworden, daß sie uns den Brief in den Kasten werfen konnte, den ersten der beiden Orchideen-Briefe, von denen wir Kenntnis erhielten?“
„Durch ihren Aufenthalt in der Villa Solmsky. Sehr einfach! Clarissa ist angeblich ihre Freundin… Frau Karsten hat eben spioniert und das mit Erfolg,“ erwiderte ich.
„Ja, und hat auf Solmskys Schreibmaschine den uns zugedachten Brief getippt, den der andere, den Solmsky erhielt, war auf derselben Maschine geschrieben, das sah ich. Und nun, mein Alter, ruf dir einmal einige Einzelheiten des von uns belauschten Gesprächs zwischen Vater und Tochter ins Gedächtnis zurück. Erstens: Solmsky behauptete, er hätte den Drohbrief verbrannt. Das war gelogen. Ich fand ihn nachher. – Weshalb log er? Weil er Clarissa tatsächlich nicht traut. – Zweitens: Die beiden sprachen über die ‚ungeklärte Geschichte von damals‛… Diese Bezeichnung für den Mord fiel von Seiten des Mädchens. Ihr Vater entgegnete: ‚Ja, ich fürchte, daß die Orchideen darauf anspielen,‛ oder so ähnlich. Und er fügte hinzu: „Wir hätten damals nichts verheimlichen sollen. Die Person, die sich hinter den Orchideen verbirgt, muß einer der Eingeweihten sein.‛ Und dann – gib acht! – erwiderte Clarissa, es gäbe nur fünf ‚Eingeweihte‛, und sie meinte damit: Ihren Vater, sich selbst, den erschossenen Karl Karsten und die Filmschauspieler Gorring und Kurt Mestel.
Mithin waren nur diese fünf bei der Filmaufnahme zugegen, und von diesen fünf Personen leben nur noch vier, wie bereits erwähnt, und Kurt Mestel wurde von Solmsky ein sehr schlechtes Charakterzeugnis ausgestellt. – Drittens: Vater und Tochter verließen hierauf die Villa, um auf Clarissas Vorschlag im Gewächshaus nachzusehen, ob eine Laelia-Orchideenblüte fehle. Ich tat meinerseits auf Grund dieses äußerst wichtigen Gesprächs den Ausspruch, einer traue dem anderen nicht, denn den Eindruck hatte ich gewonnen: Solmsky beargwöhnte sein Kind, und sein Kind beargwöhnte ihn! – Es wurde noch mehr angedeutet, wir wollen uns jetzt jedoch mit der Frage einmal beschäftigen: Was hatte Karl Karsten bei der Filmaufnahme zu tun, was hatte er dort überhaupt zu suchen. War er nur zufälliger Zuschauer aus Neugier oder lag ein bestimmter Anlaß für seine Anwesenheit vor? – Dieses wäre noch aufzuklären. Und nun kämen wir zu der Person Kurt Mestels. Benutzen wir die Vormittagstunden, ihn aufzusuchen. Gerade jetzt dürfte er noch daheim sein. Er wohnt in der Nähe von Solmskys als Untermieter. Fahren wir sofort zu ihm.“
Ein älteres vertrocknetes Männchen öffnete uns.
„Herr Mestel?! Sind Sie Bekannte von ihm?!“ fragte er eigentümlich heiser.
„Ja…“
„Dann muß ich Ihnen leider mitteilen, daß Herr Mestel in der verflossenen Nacht tödlich verunglückt ist. Er wurde von einem Privatauto überfahren, das hinterher entfloh…“
Harald betrachtete das Männlein prüfend.
„Mithin würden Sie Mestels Zimmer weiter vermieten? Können wir es uns einmal ansehen‥?“
„Das hätte keinen Zweck mehr. Es ist schon vermietet…“
„So?! Das ging ja sehr schnell.“
„Ja, ich hatte Glück. Fräulein Solmsky, die Tochter des reichen Filmfabrikanten, hat es für einen Bekannten für zwei Monate im voraus bezahlt.“
„So, Fräulein Solmsky… Und sie sah es sich an?“
„Ja…“
„Und sie blieb darin eine Weile allein?“
Das Männlein wurde stutzig. „Sie stellen eigentümliche Fragen, Herr…“
„… Herr … Harst,“ flüsterte Harald leise. „Kennen Sie meinen Namen? Nun gut, dann gewähren Sie uns eine kurze Unterredung.“
Bei diesem Verhör, denn es war ein Verhör, kam folgendes heraus: Der Vermieter, ein früherer Schauspieler – und schon deshalb ein Menschenkenner – hatte um halb acht Uhr morgens durch einen telephonischen Anruf von der Polizeiwache den Tod Mestels erfahren. Kurze Zeit darauf erschien Fräulein Solmsky, die dem Männlein vom Sehen gut bekannt war. Ihr gegenüber hegte er nicht die geringsten Bedenken, sie in Mestels Zimmer sich selbst zu überlassen und ihr aus einem Zigarrenladen eine bestimmte Sorte Zigaretten zu holen. –
Auf diese Weise konnte Clarissa Solmsky also reichlich zehn Minuten in dem Zimmer ganz nach Belieben sich umsehen.
Und sie hatte dies gründlich und schnell getan, wie Harald nun dem etwas verstörten Mimen bewies, indem er den Schreibtisch, eine Truhe und den Kleiderschrank aufschloß: Alles war durchwühlt worden, das mußte auch ein Neuling erkennen.
„Schweigen Sie!“ gebot Harald dem alten Herrn. „Sie hören noch von uns.“
Als wir unten auf der Straße wieder unsere Taxe bestiegen, befahl Harald: „Zur Polizeiwache, Chauffeur.“
Auf der Wache wußte keine Seele etwas von einem Autounglück oder gar von dem Tod Kurt Mestels.
„Entschuldigen Sie, dann hat man uns eben gefoppt,“ meinte Harald lächelnd.
Draußen in der Taxe lächelte er nicht mehr.
„Zur Villa Solmsky, Chauffeur‥!“
7. Kapitel
Gorrings Fluch und Frau Karstens Migräne.
„Das gnädige Fräulein ist vor einer Stunde abgereist,“ gab uns der Hauswart zwar höflich, aber doch mit einem gewissen Mißtrauen Bescheid.
„Wohin?“ fragte Harst geradezu. „Ich möchte Ihnen sofort erklären, lieber Mann, daß sie über diese Dinge den Mund zu halten haben, sonst rückt Ihnen die Polizei auf den Pelz. Ich heiße Harst, und der Name ist manchen Leuten eine nachdrückliche Warnung.“
„Nach … nach dem Sommerhaus des Herrn Direktors in Moorlake an der Havel,“ stotterte der plötzlich sehr dienstbeflissene Villenhüter.
„Fanden Sie, daß das gnädige Fräulein verändert war – irgendwie?“
Der Hauswart nickte. „Sehr verändert, Herr Harst, weiß Gott… So aufgeregt habe ich Fräulein Clarissa noch nie gesehen. Ganz blaß war sie, und als sie mir Lebewohl sagte, meinte sie halb weinend, – ich bin nämlich schon fünf Jahre hier bei Solmskys… Sie meinte, ich solle den Daumen kneifen, daß alles gut abgeht… Und dann kletterte sie in ihr Auto, setzte sich ans Steuer und fuhr davon.“
Harst blickte zu Boden. Die Sonne hatte hier in dem Vorort doch noch nicht allen Schnee weggeschmolzen. Auch ich fand die Autospuren in dem zusammengefegten Schnee.
„Es ist ein anderes Reifenmuster,“ flüsterte ich Harald zu.
„Behalte deine Weisheit für dich, – – entschuldige schon…“ Und mit weiterhin gesenktem Kopf fragte er den Portier: „Waren die Vorhänge im Innern des Wagens geschlossen?“
„Ja, Herr Harst…“
„Und wo befindet sich der Herr Direktor?“
„Das weiß ich nicht… Fräulein Clarissa trug mir nur auf, an ihn Grüße zu bestellen… Weiter nichts. Aber das Stubenmädchen hat mir nachher erzählt, daß der gnädige Herr schon frühmorgens in aller Stille das Haus verlassen haben müsse.“
„Danke. – Sie werden also schweigen, verstehen Sie! Kein Wort, daß ich Sie ausgehorcht habe! Gehen Sie‥!“
Als der Portier verschwunden war, bückte sich mein Freund und scharrte mit der Fußspitze den Schnee ein wenig zur Seite. Ich hatte inzwischen bereits das metallene Plättchen bemerkt, das seine Blicke bisher so stark angezogen hatte.
„Da, – das Abzeichen der Königin Cattleya Nr. 7,“ sagte er triumphierend. „Eine sehr eitle Königin, mein Alter… Sogar eine Krone fehlt nicht über der Blüte! – Fahren wir heim.“
Jetzt war er vollständig umgewandelt, er war mitteilsam wie selten, aber…
„Natürlich hat Clarissa selber den alten Schauspieler angerufen. Die geschlossenen Autovorhänge und des Mädchens Verstörtheit beweisen, daß sie jemanden in ihrem Wagen verbarg. Oder gar zwei Personen. Und das ist nicht ausgeschlossen. Alles in allem: Wir treiben der Entscheidung entgegen!“
– Im Flur meldete der blonde, frische Felix mit geheimnisvollem, respektvollstem Flüstern: „Herr Kriminalrat Penz wartet im Büro… Und ein Gesicht macht er – – wie ein Nußknacker, der auf Eisen beißt!“
Das stimmte. Noch nie hatte Penz’ so überaus charakteristisches Gesicht derart umwölkt ausgesehen, doppelt umwölkt, den er rauchte eine meiner Zigarren und winkte uns nur sehr matt mit der Hand zu…
„Wo wart ihr Grashupfer?“ fragte er drohend, ohne sich auch nur im entferntesten die Mühe zu geben, uns irgendwie zu begrüßen.
Grashupfer!! Das war so etwa die ärgste Herausforderung, die der saugrobe Penz für Leute in Bereitschaft hatte, die ihm unbequem waren.
Harald blieb vor ihm stehen. „Was ist passiert? Raus mit der Sprache!“
Penz schaute ihn von unten her geradezu feindselig an.
„Wo ist Gorring? Was habt ihr beide mit Gorring gemacht? – Harst, keinen Mätzchen! Meine Geduld ist erschöpft! Sie denken wohl, Sie könnten mich dumm machen!! Da irren Sie sich gründlich! Glauben Sie, ich hätte nachts nicht bemerkt, daß Gorring Ihnen des Schreibtisches wegen einen Wink gab?! Glauben Sie, ich hätte inzwischen nicht auch Ermittlungen angestellt?! – Gorring hat Frau Karsten Geld geschickt. Gorring hat – – und das dürfte Ihnen neu sein! – Frau Karsten sogar seine Limousine…“
„… zur Verfügung gestellt, ganz recht. Wärmen Sie hier nicht uralte Tatsachen auf! – Mit einem Wort: Gorring ist verschwunden!“
Penz sprang auf die Füße.
„Ja – mit Ihrer Hilfe – – ausgekniffen!!“ polterte er hervor.
Aber Haralds bestürztes Gesicht ließ ihn sofort einlenken.
„Oder … sollte ich mich irren?!“ meinte er merklich kleinlauter.
„Leider! – Erzählen Sie… Was ist geschehen? Schnell! Ich will Gewißheit haben!“
Penz sank in seinen Sessel zurück.
„Heiliger Brahma!! Ist er denn etwa entführt oder weggelockt worden?! Jedenfalls hat mir die draußen bei ihm zurückgelassene Wache vor zwanzig Minuten gemeldet, daß er verschwunden ist – – ohne seinen Trasso, und das will viel sagen. Sein Schlafstubenfenster stand offen, unter dem Fenster im Schnee waren seine Spuren zu sehen, und Trasso führte meine Leute bis zu einer Stelle im Wald, wo in einem Brombeerdickicht ein größeres Motorrad verborgen gelegen haben muß… Auch zwei gefüllte Benzinkannen standen dort.“
Harst lehnte sich an den Schreibtisch. „Penz, wir haben keine Ahnung, wo Gorring steckt, wir erwarteten ihn doch hier zum Mittagessen.“
„Weiß ich… Und ich wollte ihn beobachten lassen. –
Also, wo waren Sie in den letzten Stunden, Harst?“
Mein Freund hatte sich bereits wieder beruhigt, nahm eine Zigarette und rieb ein Zündholz an.
Drei lange Züge… Und dann berichtete er haargenau, daß wir zuerst bei Mestels Vermieter und dann vor der Villa Solmsky gewesen waren.
Er verschwieg nichts, gar nichts.
Penz saß mit großen Augen da, schüttelte nur immer wieder den Kopf. „Von alledem verstehe ich keinen Deut! Diese Clarissa ist ja ein viel gefährlicheres…“
„… Stopp!!“ Mein Freund sagte dies mit so eigentümlicher Betonung, daß der Kriminalrat noch verwunderter dreinschaute. „Bevor ich Ihnen meine erste Theorie von A bis Z entwickele, wollen wir eine kleine Fahrt bis Potsdam unternehmen. Wir werden dort auf dem Exerzierplatz mit seinen Sanddünen… – – Herein!!“
Es hatte zaghaft geklopft. Felix trat sehr zaghaft ein.
„Nun, mein Junge, was gibt es?“ fragte Harald freundlich.
Felix suchte nach Worten… „Mama … fühlt sich nicht wohl, Herr Harst… Sie hat alles für das Mittagessen hergerichtet… Der Braten ist nur zu wärmen, und den Tisch werde ich decken… Mama ich zu Bett gegangen… Sie hat sehr starke Migräne…“
Bei den letzten noch zaghafter vorgebrachten Sätzen wurde Felix sehr rot.
Harst betrachtete ihn prüfend.
„Das tut mir sehr leid, mein Junge… Hoffentlich ist es nichts Schlimmeres als Migräne. Im übrigen werden wir ohnedies auswärts essen… Grüße deine Mutter, sie soll sich keine Sorgen machen. Und mag dir der Braten recht gut schmecken. – Noch etwas, wurde hier bei uns angerufen, als wir unterwegs waren?“
„Ja, kurz bevor Herr Kriminalrat Penz erschien. Mama hat sich gemeldet, es war eine Bekannte von ihr, die ihr nur zu der neuen Stellung Glück wünschen wollte, – – sagte Mama. Jetzt schläft sie, und ich soll sie nicht stören und unten in der Küche bleiben.“
„Das hast du nicht nötig, mein Junge, du kannst dich hier ins Büro setzen und lesen… – Also einen freundlichen Gruß der deine Mutter. Wenn sie ein paar Stunden geschlafen hat, wird sie sich wieder besser fühlen. Auf Wiedersehen, Felix…“
Er strich ihm leicht über den blonden Scheitel und schob ihn zur Tür hinaus.
Harald schloß seinen Schreibtisch auf und zog das Reklameschild des Films ‚Die Königin der Orchideen‛ hervor, das er aus der Villa Solmsky mitgenommen hatte.
Ganz feierlich erklärte er: „Penz, Sie und wir beide haben bereits so manches verwickelte Abenteuer erlebt und schließlich doch die richtige Spur gefunden. – Ich werde dieses Bild mitnehmen. Es enthält gewisse Hinweise auf einen teuflisch schlau inszenierten Mord, der bisher als Selbstmord galt. Sie selbst haben damals im Mai des vergangenen Jahres, als Karl Karstens Leiche aufgefunden wurde, den Fall nachgeprüft und für einwandfrei gehalten, für einen Selbstmord. Aber, es war Mord! Gorring gab den tödlichen Schuß ab… Trotzdem ist er schuldlos.“
Für Sekunden blieb es totenstill im Zimmer.
Penz starrte das Bild unverwandt an.
Dann hob er langsam den mächtigen Schädel.
„Ich glaube, jetzt ist mir ein Licht aufgegangen, Harst! Die Königin der Orchideen, Cattleya 7, hat Karsten töten lassen, weil…“
„Halt!! Penz, das Ende des Satzes wäre ein Trugschluß geworden. Fahren wir nach Potsdam hinaus…“ –
Penz’ schnelles Dienstauto wartete an der nächsten Straßenecke.
8. Kapitel
Das Drehbuch des Films.
Die ‚Meteor-Film-A.-G.‛ war stets nur eine Firma, die sich damit begnügte, zugkräftige Reißer für die kleinen Kinos und für die Provinz zu kurbeln – und dabei nach Möglichkeit Geld zu sparen. Sogar das neue Verfahren, Szenen mit künstlichem Hintergrund zu drehen und doch den Eindruck echter Aufnahmen an Ort und Stelle hervorzurufen, das bekannte Schüfftan-Verfahren[2], war Siegfried Solmsky stets zu teuer gewesen. Sein erfinderischer Kopf half sich auf andere Weise. Er zauberte tropische Landschaften mit allergeringsten Kosten hervor, – und über all diese Dinge sprach Harald, während das Auto gen Potsdam sauste, wo auch die ‚Meteor-Film-A.-G.‛ in einem früheren Exerzierhaus ein sehr billiges Atelier- und Geschäftsgebäude gefunden hatte.
Vor diesem bescheidenen Glashaus hielt unser Wagen.
Der Pförtner bedeutete uns, die Firma habe den Betrieb vorläufig eingestellt, in den Büros arbeite nur der Prokurist.
Dieser Herr mit den wirren schwarzen Locken und dem anmaßenden Benehmen all dieser Jüngling vom Kurbelfach wurde kriecherischste Liebenswürdigkeit, als Penz ihm seinen Dienstausweis hinhielt.
„Sie werden jede Frage Herrn Harsts wahrheitsgetreu beantworten, Herr… – Wir heißen Sie doch gleich?“
„Menetti, Herr Kriminalrat, – – Emanuele Menetti…“
„Quatsch! Ihren richtigen Namen will ich wissen. Menetti klingt ja ganz dekorativ, aber… – Also?!“
Der Prokurist grinste verlegen und nannte seinen richtigen Namen.
Das klang anders.
Harst begann das Verhör.
„Ihre Firma hat im Mai des Vorjahres einen Film ‚Die Königin der Orchideen‛ gedreht, und…“
„Ganz recht, ganz recht, einen sublimen Film, der…“
„Zum Teufel, lassen Sie mich ausreden! Ich will wissen, wer das Drehbuch verfaßt hat.“
„Das Drehbuch? Der Herr Direktor selbst, sehr zu dienen…“
„So, Solmsky?! Und der Ingenieur Karl Karsten?“
Der Prokurist versuchte, eine klare Antwort zu umgehen.
„Ach so, Herr Karsten‥! Der war nur technischer Beirat und … ja … Schauspieler auf Probe. Ich dürfte darüber eigentlich nicht sprechen, denn das sind Geschäftsgeheimnisse, von denen nicht einmal Frau Karsten etwas erfahren sollte. Es ging Herrn Karsten pekuniär sehr schlecht, und er bemühte sich, irgendwie Geld zu verdienen, wobei ihm Herr Direktor Solmsky nach Möglichkeit half.“
Harst sagte kalt: „Ihre Geschäftsgeheimnisse sind hiermit nicht erschöpft. In den Zeitungen war aus Anlaß des Selbstmordes Karstens zu lesen, daß er sich auch in Mittelamerika als Orchideensucher betätigt hatte, da reiche Liebhaber für seltene Orchideen bis zu zehntausend Mark zahlen. Die Idee zu dem Film dürfte von ihm stammen, wahrscheinlich auch als Drehbuch… – Nun, wie ist es damit?!“
Der ölige Prokurist katzbuckelte. „Es mag sein. Ich weiß es nicht. Ich entsinne mich nur, daß Fräulein Solmsky, die hier bei der Firma viel zu sagen hat, direkt verbot, Herrn Karstens Namen mit dem Film, der ein glänzendes Geschäft verhieß, in Verbindung zu bringen. Ich glaube auch, es gab zwischen dem Herrn Generaldirektor und Herrn Karsten einige Differenzen…“
„Wohl der Honorarfrage wegen?“
„Ja… Nach dem mündlichen Vertrag hatte Karsten erst nach Fertigstellung des Films Honorar zu beanspruchen, und…“
„… er wurde mit kleinsten Summen vorläufig abgespeist, – – ich bin im Bilde! Geben Sie nur ruhig zu, daß die Firma schon damals vor dem Ruin stand und daß deshalb an allen Ecken und Enden gespart wurde.“
Der Prokurist nickte schwach.
Harald begnügte sich mit einer letzten Frage.
„Die Einnahmen aus dem Film halfen dann die Krise überwinden, nicht wahr?“
„Ich … muß es annehmen. Herr Direktor Solmsky und Fräulein Clarissa gewähren mir seit Monaten keinen Einblick in die Abrechnungen.“
„Danke, das genügt. Penz, wir können gehen… Wollen Sie nur noch diesem Herrn und dem Pförtner nahelegen, unseren Besuch hier zu verschweigen.“
Penz legte es ihnen nahe, und wie!! Die beiden bekamen eine Gänsehaut.
Bis zum Exerzierplatz war es nicht mehr weit. Penz blieb stumm, Harst blieb stumm. Er ließ das Auto auf einem Seitenweg im Wald halten, und dann näherten wir uns, von dem noch immer sehr schweigsamen Kriminalrat geführt, der Stelle zwischen den Sandhügeln, wo Karl Karsten sich erschossen haben sollte. Jedenfalls waren seine Leiche und die amerikanische Pistole, ein Andenken an seine Orchideensucherzeit, dort gefunden worden.
Mein Freund schenkte dem Ort sehr wenig Beachtung. Penz erklärte die Lage des Toten, der hier bereits vierundzwanzig Stunden gelegen hatte, bevor Spaziergänger ihn entdeckten, und war höchst unwillig, als Harst kaum hinhörte, sondern mit der bewußten Photographie in der Hand scharf nach allen Seiten Umschau hielt.
„Was suchen Sie eigentlich?!“ meinte Penz wütend.
„Den Baum hier…“ und Harald tippte auf das Bild in seiner Hand.
„Das ist ja eine Palme oder so was Ähnliches,“ sagte der Kriminalrat verständnislos.
„Das ist eine einzeln stehende Kiefer, Penz, von der man die Äste abgesägt hat, um den Baum als Palme zu frisieren… – Kommen Sie, ich glaube die Stelle gefunden zu haben.“
Wir gingen auf eine Talmulde zwischen den mit Gestrüpp nur spärlich bewachsenen Sandhügeln zu… Die Entfernung bis dahin betrug vielleicht tausend Meter.
Harst blieb stehen. „Ja, es stimmt, es ist der Platz… Dort sehen Sie die Kiefer, neben der saßen John, der Orchideenzüchter, und seine Begleiter, die von Eingeborenen – nach dem Filmtext – verfolgt wurden und bereits ihre Pferde bis auf eins eingebüßt hatten.“
Penz war überrascht.
„Kennen Sie denn den Inhalt des Films?!“
„Ja. Ich arbeite stets gründlich. Schon gestern war ich auf der Filmprüfstelle und ließ mir die Angaben des Inhalts und den Auszug aus dem Drehbuch zeigen. – Danach war die Lage der beiden Orchideensucher folgende: John, der Held der Geschichte, der von Gorring dargestellt wurde, und sein Kamerad, der ihn einer schönen Indianerin wegen insgeheim haßte, waren auf ihrer Flucht gänzlich erschöpft bis in dieses Tal gelangt. Johns Begleiter bemerkte hinter einem Busch eine Gestalt und forderte John auf, den Kerl niederzuschießen… – Einzelheiten erübrigen sich… John, also Gorring, feuerte, und der Mann, der den Verfolger spielte, brach tot zusammen…“
Penz war ganz still.
„Dieser Mann wurde von Karsten gespielt, – es war nur eine Art Probeaufnahme. Im Drehbuch steht als Titel für das Bild:
John zielte mit größter Ruhe, während sein Begleiter dazu heimlich lächelte, denn er wußte, daß der Verfolger der Bruder der schönen Indianerin war, den er beseitigen wollte – – durch John…
Der Kamerad Johns wurde von Kurt Mestel dargestellt, demselben Mestel, der nun zum Säufer herabgesunken ist, zum Spieler und Morphinisten und den die Königin Cattleya ermorden wollte … genau wie Gorring, um die Mitwisser stumm zu machen.“
Penz hustete. „Hm – alles sehr schön, lieber Harst… Nur, ob dies hier tatsächlich die richtige Stelle ist?!“
„Ja. Betrachten Sie die kahle Kiefer, betrachten Sie das Gelände dahinter und vergleichen Sie es mit dieser Photographie… Die Geländebildung stimmt genau, und die ‚Palme‛, – das ist eben die Kiefer, um die der sorgsame Direktor Solmsky, der diese Szene selbst kurbelte, mit Draht einen rauhen Faserstoff befestigt hatte. Schauen Sie die Palme auf dem Bild ganz genau an… Man sieht nach links ein Stück des Befestigungsdrahtes hervorragen, – – so liederlich hatte Solmsky den Baum maskiert…“
„Ich sehe es. Sie haben recht. Und bei der Probeaufnahme hier geschah also folgendes: Gorring glaubte eine nur mit Platzpatronen geladene Waffe in den Händen zu haben. In Wahrheit hatte Clarissa eine scharfe Patrone eingeschmuggelt, und Karsten fiel nach dem Schuß tot um.“
„Das ist zum Teil richtig,“ erklärte Harald und blickte seitwärts durch das kahle Gestrüpp nach dem Wald hin. „Nur zum Teil, lieber Penz… Wir wollen jetzt aber von hier verschwinden, denn ich sehe Frau Karsten und Gorring von dorther erscheinen… Ducken Sie sich‥! Schnell, dort hinter den kleinen Sandhügel… Wir dürfen nicht bemerkt werden…“ –
Etwas außer Atem lagen wir nun in unseren Pelzen auf dem winterharten Boden.
„Wußten Sie, daß die Karsten und Gorring hier auftauchen würden?“ fragte Penz keuchend.
„Ich vermutete es… Gorring hat sich mit Frau Karsten telephonisch verabredet, er wollte beichten, dann entfloh er aus dem Haus und benutzte sein verstecktes Motorrad. Der Telephonanruf, von dem Felix uns erzählte, kam von Gorring. Frau Karsten wieder spielte daraufhin die Kranke, um von uns nicht belästigt zu werden… – Dort erscheinen die beiden ja…“
Wir rührten uns nicht. Langsam näherten sich die schlanke, pikante Frau und der ebenso ernste Gorring. Vor dem Baum blieben sie stehen. An diesem windstillen klaren Wintertag war jedes Wort zu verstehen, das sie sprachen, zumal beide innerlich sehr erregt sein mußten, sich hier allein glaubten und ihre Stimmen nicht dämpften.
9. Kapitel
Reue? Furcht? Kindesliebe ‥!
Gorring schaute die Frau schuldbewußt bittend an.
„Ich war feige, zu feige, mit der Wahrheit hervorzutreten… Ich nahm auf Clarissa Solmsky Rücksicht, die, als das Unglück geschehen war, sich weinend und gänzlich verzweifelt in den Sand warf und fast Schreikrämpfe bekam… Ihr Vater wieder flehte mich auf Knien an, das Geschehene zu vertuschen, Zeugen des Vorfalls waren nicht zugegen, und wir trugen ihren toten Gatten dort hinüber an die Stelle, wo er nachher gefunden wurde…“
Frau Karsten blieb eine Weile stumm.
„Sie glaubten also zuerst auch an einen unglücklichen Zufall betreffs der scharfen Patrone?“ fragte sie mit blassen Lippen.
„Ja. Die Bedenken stiegen erst nach einiger Zeit in mir auf. Verschiedenes trug dazu bei, diese Zweifel zu wecken. Ich will jetzt ganz ehrlich sein, gnädige Frau. Clarissa hatte mich seit Monaten nicht darüber im Zweifel gelassen, daß sie mich liebte. Ich selbst empfand nichts für sie, ich habe ja nie für moderne Mädchen vom Schlage einer Clarissa etwas übrig gehabt. Meine Gleichgültigkeit ihr gegenüber mag sie verletzt haben. Sie ist sehr temperamentvoll, solche Frauen hassen dann blindlings… Ich nahm einen Racheakt Clarissas an, obwohl manches dagegen sprach…“
„Sehr vieles!“ meinte Frau Karsten mit Betonung. „Jedenfalls zogen Sie sich in Ihre Einsamkeit zurück und schickten mir den ersten anonymen Brief und das erste Geld.“
„Das Geld, das Sie nie angerührt haben, sondern bei der Bank einzahlten,“ sagte Gorring bitter. „Ich wollte Sie doch nicht darben lassen… Ich bin reich… Und ich fühle mich schuldig.“
Sie schüttelte leicht den Kopf.
„Schuldig sind Sie nicht… Sie sind ein guter Mensch, Herr Gorring. Aus Ihren anonymen Briefen sprach so viel warmes Mitgefühl, obwohl Sie sich auf Andeutungen beschränken…“
„Ich hatte Clarissa Solmsky mein Wort gegeben zu schweigen und mitzuhelfen, die Sache zu vertuschen,“ meinte Gorring mit erhobener Stimme. „Ich hatte mich täuschen lassen… Es war kein unglücklicher Zufall, es war Absicht gewesen. Ihr Gatte sollte sterben… Warum, – – ich weiß es nicht… – Ich tappe noch heute hierüber im Dunkeln – leider.“
Frau Karsten hatte sich an die kahle Kiefer gelehnt.
„Auch ich finde mich in diesen dunklen Dingen nicht zurecht, Herr Gorring. Ich hatte anfänglich keinerlei Argwohn, daß mein Mann nicht selbst Hand an sich gelegt haben könnte. Wir waren uns ganz fremd geworden, Karl und ich… Er ertrug die ärmlichen Verhältnisse nicht, er war mürrisch, heftig, und zuletzt sprachen wir kaum mehr ein Wort miteinander. Ich ahnte nicht, daß er zu Solmsky in geschäftliche Beziehungen geraten war. Sogar Clarissa verschwieg mir dies, obwohl wir doch oberflächlich befreundet waren – sehr oberflächlich… – Und dann kamen Ihre Briefe und das Geld, dann grübelte ich immerfort darüber nach, wer der Spender sein mochte… Auf den Postanweisungen stand als Absender in Maschinenschrift stets ‚G. Büßer, Berlin‛. Allmählich wurde ich mißtrauisch gegen die Solmskys, allmählich verdichteten sich meine Gedanken zu dem Verdacht, mein Mann könnte das Opfer eines Verbrechens geworden sein, und dieser Verdacht nahm bestimmte Formen an, als ich unter seinen Papieren ein paar Manuskriptblätter über den Film ‚Königin der Orchideen‛ fand und Solmsky mich auszuhorchen suchte, ob ich wüßte, wodurch mein Mann in letzter Zeit ein wenig Geld verdient hatte. Dann nahm ich sein Anerbieten an und zog zu ihm in die Kellerwohnung. Es war ein schwerer Entschluß für mich, denn Solmsky… – doch darüber möchte ich nicht sprechen, es ist zu gemein und häßlich…“
Gorring fragte gepreßt: „Wurde er Ihnen gegenüber zudringlich?“
Sie senkte schnell den Kopf.
„Lassen wir das…“ Ihre Stimme klang sehr hart. „Vater und Tochter ahnten nicht, daß sie eine Spionin bei sich aufgenommen hatten, sogar eine sehr rücksichtslose und energische Spionin, die oft genug nachts auf der Lauer lag und Clarissa heimlich folgte… – In einer dieser Nächte merkte ich, daß auch Sie die Villa beobachteten… Drei Tage später…“ – sie lächelte müde und doch gütig – „erhielt ich von dem ‚Büßer‛ einen neuen Brief, in dem er mir seine Limousine zur Verfügung stellte. Falls ich sie benutzen wollte, sollte ich eine bestimmte Telephonnummer anrufen. Es war die Nummer des schweigsamen Chauffeurs, Herr Gorring…“
„Ja, die meines Burschen vom Krieg her, gnädige Frau. Auf ihn konnte ich mich verlassen, wir hatten zwei Jahre nebeneinander in den Schlammlöchern der Champagne gelegen und wurden gleichzeitig verwundet. Er heißt…“
„… Anton Roth, ich weiß es… – Erst mit Hilfe Ihres Autos konnte ich Clarissa auf den Fersen bleiben und feststellen, daß das Ziel ihrer nächtlichen Fahrten stets das alte Haus in der Rosengasse in Charlottenburg war. Dieser Erfolg machte mich noch kühner. Ich drang einmal über den Hof in das Haus ein und wurde Zeugin einer Versammlung der ‚Orchideen‛ in der oberen Wohnung. Allerdings hörte ich nicht viel, die Umstände waren dafür zu ungünstig. Immerhin bekam ich die Orchideenkönigin zu Gesicht, sah ihre seltsame Seidenmaske und vernahm ihre verstellte Stimme…“
Gorring fragte gespannt: „Merkten Sie, gnädige Frau, daß es sich um eine Verbrecherorganisation handelte?“
„Ich konnte es nur vermuten. Allerdings gab mir ein Fund zu denken, den ich in der folgenden Nacht in derselben Wohnung machte. Es war eine mit Maschine geschriebene Liste von ‚Orchideen‛, die der Wohnungsinhaber, der den Orchideennamen ‚Laelia 9‛ trug, auf dem Tisch hatte liegen lassen.
Die Liste sah ganz harmlos aus. Obenan stand:
Cattleya 7, Königin der Orchideen
Dann folgten weitere Orchideennamen, so auch Laelia 9, dieser an zweiter Stelle.“
„Der Mann ist tot…“ erklärte Gorring vorsichtig. „Erschrecken Sie bitte nicht, gnädige Frau, Sie wissen noch nichts davon, er wurde von der Königin erschossen, nachdem Harst ihn und andere Bundesgenossen festgenommen hatte.“
„Mich erschreckt nichts mehr,“ meinte sie schlicht. „Ich habe es vermutet. Ich vermute sogar, daß Sie ihre Autoreifen nicht beschädigen wollten. Ich war ja in dem Wagen. Nachher rief ich das Überfallkommando zu Hilfe, als ich merkte, daß die Königin Ihr Grundstück einkreisen ließ. – Hiermit bin ich nun aber bereits auf die allerletzten Vorgänge zu sprechen gekommen. Ich hätte nur noch ergänzend hinzuzufügen, daß ich aus kluger Berechnung die Anstellung bei Harst zu erhalten suchte und daß ich ihm einen Orchideen-Brief in den Briefkasten warf, um ihn auf das Geheimnis um den Tod meines Mannes und auch die Organisation aufmerksam zu machen, nachdem weder Sie noch ich mit unseren Bemühungen einen wesentlichen Erfolg aufzuweisen hatten. Gewiß,“ beendete sie ihren trotz des Ernstes der ganzen Sachlage teilweise mit neckischem, lebensfrohem Humor vorgetragenen Sätze, „Sie haben nun gebeichtet, und das ehrt Sie… Geahnt habe ich längst, daß Sie wohl einen sehr triftigen Grund dafür haben mußten, mir durch Geld helfen zu wollen und eigens für mich das Auto anzuschaffen, denn Sie benutzen es ja kaum. Sie haben auch keinerlei Schuld auf sich geladen, nicht einmal durch das Verschweigen des wahren Herganges. Sie wurden ja von Clarissa bewußt getäuscht… Aber…“ – sie hatte ihm freimütig die Hand hingestreckt, die er schnell ergriff, „obwohl nun zwischen uns alles geklärt ist, muß ich eins betonen: Den Schuldigen kennen wir nicht! Sie mögen wohl an Clarissa denken, und sehr, sehr viel wäre gegen sie vorzubringen.“
Sie schaute ihn mit nachdenklichem Ernst an, und wie die beiden sich da in der klaren Helle der Wintersonne sich gegenüberstanden, Hand in Hand, wie erprobte treue Freunde, hätte niemand vermuten können, um welche bitterernste Fragen es hier ging.
„Genau wie ich Ihnen nichts nachtragen kann, Herr Gorring,“ meinte die schlanke Frau mit den so überraschend jugendlichen Zügen, „ebenso verpflichtet mich mein Gerechtigkeitsgefühl dazu, für Clarissa einzutreten.“
Sie entzog Gorring ganz sacht ihre Hand und erhob etwas den Kopf. „Sie sind erstaunt, ich sehe es Ihnen an… Clarissa ist kein schlechter Mensch, – sie kann nicht schlecht sein! Ich begreife die Widersprüche in ihrem Charakter nicht, sie ist oft genug unten in meiner Wohnung in der Villa Solmsky gewesen, sie hat mich beschenkt, sie hat mir Geld aufzudrängen gesucht, in den letzten Monaten weinte sie geradezu verzweifelt, ohne über die Gründe ihres Schmerzes zu sprechen. Nur etwas betonte sie immer wieder: Sie hätte nicht ein Plätzchen, wo sie nicht ihren Tränen ungestört freien Lauf lassen könnte, und nicht eine einzige verstehende, mitfühlende Seele! – Und das alles war niemals bewußte Heuchelei, – es kann Reue gewesen sein, – – ich weiß es nicht… Jedenfalls brachten mich Clarissas Besuche und ihr wirklich hemmungsloser Schmerz in einen quälenden Gewissenszwiespalt. Was sollte ich ihr erwidern, wie sollte ich sie trösten?! Ich mißtraute ihr ja, ich hatte die Beweise, daß sie eine Organisation ins Leben gerufen hatte, die vor nichts zurückschreckte! – – War es Reue, Herr Gorring? Das wollte ich Sie nun fragen… Sie kennen das Mädchen ja…“
Harry John Gorring erwiderte bestimmt: „Es war – – Angst! Herzzerfressende, zermürbende, fast alle Hemmungen lösende Angst! – Reue?! Nein, gnädige Frau, – auch ich will ehrlich sein, ich will und darf nur milde über andere urteilen: Doch hier muß ich verurteilen! Ja, ich kenne Clarissa. Sie ist ein sehr kluger, fast leidenschaftlicher und äußerst energischer Charakter. Sie ist keine jener Halbnaturen, die vor allerletzten Konsequenzen stets zurückschrecken. Was sie getan hat, alles, geschah aus klarer Überlegung heraus: Sie mag der Furcht vor einer Enthüllung ihrer gefährlichen Streiche zugänglich sein, niemals der echten Reue.“
Etwas ganz Unerwartetes geschah da. Erna Karsten, blaß vor Erregung, legte Gorring beide Hände in einer wundervoll plastischen Geste auf die Schultern und schaute ihn fest an.
„Mein junger Freund, – ich darf Sie wohl so nennen, denn mit meinen vierunddreißig Jahren bin ich Ihnen gegenüber eine alte Frau…“
Sie stockte…
Der Einsiedler des Waldes lächelte. „Für wie alt halten Sie mich denn?! Ich bin vierzig, ich habe bereits leicht ergraute Schläfen, meine frischen gebräunten Züge verleiten zu Trugschlüssen.“
Frau Karsten stieg die brennende Röte bis zur Stirn empor.
„Und ich hielt Sie für kaum dreißig,“ stammelte sie verlegen, trat schnell zurück und ließ die Hände von seinen Schultern gleiten. „Es stand doch auch in den Zeitungen, Herr Gorring‥!“ suchte sie sich zu verteidigen.
„Die Zeitungen?! – Reklame ist es! Ein Filmstar muß jung sein, je jünger, desto besser. – Aber lassen wir das. Was wollten Sie nun sagen? Es muß etwas gewesen sein, das Sie bis ins Innerste packte, Sie waren ganz blaß geworden.“
Die schlanke Frau blickte rührend-verschüchtert zu Boden.
„Was ich Ihnen vorhalten wollte? Ich finde jetzt nur schwer die richtigen Worte… Ich wollte als die Ältere auf meine größere Lebenserfahrung mich berufen und nochmals für Clarissa eine Lanze brechen… Ja, das wollte ich. Sie haben sehr hart geurteilt, Herr Gorring, wirklich…“ Sie hatte ihre Unsicherheit nun wieder abgestreift, warf den Kopf mit jäher Bewegung in den Nacken und fügte hinzu: „Es war Reue, nicht Furcht! Wir Frauen haben für Gefühlsregungen, die wir persönlich mit beobachten, doch wohl ein feineres Verständnis. Und weil ich Clarissa noch vor fünf Tagen bei mir in all ihrer Verzweiflung gesehen habe, kann ich auch nicht glauben, daß sie etwa die Orchidee mit dem Namen Laelia 9 erschossen hat… – Dazu ist sie nicht fähig!“
Gorring betrachtete sie mitleidig. „Sie besitzen jene echt frauliche unendliche Güte, die alles entschuldigen möchte. – Was Sie nicht wissen, verehrteste Freundin, muß ich nun nachholen: Auf mich selbst wurden drei Anschläge versucht – drei! Und selbst ein so nüchterner, klarer Kopf wie Harst hat betont, diese Mordversuche kämen auf das Konto der Orchideenkönigin. – Glauben Sie immer noch an – – Reue?!“
Sowohl Frau Karsten als auch Harry Gorring waren von diesem Meinungsstreit viel zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie auf ihre Umgebung viel geachtet hätten.
Harst hatte sich erhoben, und Penz und ich mit ihm.
Mein Freund war mit ein paar langen Schritten neben dem Paar, das erschrocken auseinanderfuhr. Nun stand er zwischen ihnen, verbeugte sich und meinte entschuldigend: „Ihre Unterredung zu belauschen, konnte nur Gewinn bringen … für alle Teile. Verzeihen Sie also unsere Indiskretion. Sie werden sie uns verzeihen, wenn ich zu Ihrer beiden Beruhigung erklärte, daß Sie, was Clarissa Solmskys Gemütszustand angeht, alle beide unrecht haben. Bei Clarissa handelt es sich weder um Äußerungen der Furcht noch der Reue… Nein, etwas ganz anderes trieb das Mädchen in seiner Seelennot zu Ihnen, Frau Karsten. Es war…“
Und dann folgte ein Wort, dessen Begriffsfülle das Allerreinste mit in sich schließt, das aus einer jungen Menschenseele jäh emporschießen kann mit aller Kraft der Urtriebe, wie die frische Saat nach einem Gewitterregen…
10. Kapitel
Eistreiben auf der Havel.
Um die Blockhausvilla Solmskys am Havelufer heulte der Schneesturm. Gegen Abend hatte sich der Himmel bewölkt, und um sechs Uhr war ein Unwetter eingesetzt, dessen Toben das seltsame Mädchen vor dem geöffneten, glutheißen Ofen des Speisezimmers so und so oft zusammenschrecken ließ.
Clarissa saß im Dunkeln da. Nur das Licht des Ofenfeuers umspielte ihr müdes Gesicht. Vor ihr auf dem Tischchen standen eine Flasche Portwein aus Solmskys geheimem Weinkeller und ein halb gefülltes Glas. Das Zimmer enthielt fast nichts an Möbeln, da der Direktor stets im Herbst die wertvollsten Sachen nach der Stadt schaffen ließ. Wiederholt blickte die Einsame auf ihre Armbanduhr…
Wenn bis halb acht, so hatte sie es sich vorgenommen, niemand sie hier suchte, wollte sie ihr Werk vollbringen und der Königin zur Flucht verhelfen. Sie tat nicht halb.
Abermals trank sie das Glas leer. Ihre Hände zitterten leicht. Die Gedanken schweiften zwölf Stunden zurück. Es war … grauenvoll gewesen, diese endliche Gewißheit!! Obwohl für sie keine vollkommene Überraschung. Die ‚Königin‛ hatte ja eine Vergangenheit hinter sich, die sie befähigte, Frauenrollen in der Vollendung zu spielen. Auch Figur, Stimme, Bewegungen unterstützten die Maskerade, und eine Perücke in der Kupferfarbe ihres eigenen Haares war leicht zu beschaffen gewesen. –
Vergangenheit: Varieteekünstler, Damenimitator, Filmschauspieler und dann … der Sprung aufwärts, abwärts!
Und doch: All das trat zurück vor der wirklich grauenvollen Tatsache, daß die ‚Königin‛ sich nicht gescheut hatte, ihre, Clarissas, Person zu kopieren! –
Jedes andere Mädchen hätte hiernach alle weiteren Regungen in sich erstickt. Aber gerade sie besaß Verständnis für die Beichte des Unseligen, der ihr gegenüber seine Schuld mit übergroßer Leidenschaft für Erna Karsten begründet hatte.
Vor etwa zwölf Stunden… Da hatte sie einen neuen Mord verhindert, da hatte sie zuerst ‚Die Königin‛ mit kalter Entschlossenheit durch eine präparierte Zigarette betäubt und nachher den anderen, an dem es nicht viel zu betäuben gab…
Und jetzt wartete sie – wartete – fürchtete nur die Einmischung eines Mannes: Harst! –
Sie erbleichte noch tiefer, wenn sie an seine Findigkeit dachte. Und doch hoffte sie… Die Uhrzeiger krochen vorwärts. Sie erhob sich, reckte sich, trank noch ein Glas des schweren Weins, nahm eine Laterne und stieg in den zementierten Keller hinab. Vor einem großen Wandschrank, der nur leere Einmachgläser enthielt, blieb sie stehen, zog die ganzen Zwischenbretter samt der Rückwand heraus und schwang sie wie eine Tür zur Seite. Dahinter grinste nur die kahle, fleckige Mauer.
So schien es. Clarissa tastete mit der Hand hinein, das Mauerstück drehte sich nach innen, und das Mädchen betrat den gut versteckten Weinkeller. Das Laternenlicht blitzte über zwei Lagerstätten und zwei schlafende Gestalten hin. Die eine war eine Frau mit Kupferhaar im langen dunklen Mantel, leicht geschminkt.
Clarissa beugte sich über Sie… Sie entkorkte eine Flasche mit lauwarmem, ganz starkem Kaffee, um den Betäubten ins Leben zurückzurufen.
Urplötzlich schnellten zwei Arme hoch, ein stummes Ringen begann, dann ein Schlag, ein Stöhnen, und die Gestalt glitt davon, versperrte die Tür und eilte nach oben, hob im Herrenzimmer den Telephonhörer von der Gabel und verlangte eine bestimmte Nummer. Die Befehle Cattleyas waren kurz, klangen harmlos und sollten ihr die Flucht gegen alle Zufälle sichern.
– Unweit des Blockhauses im Wald kauerten in einem derben Zelt mehrere Personen. Eine halb verhüllte Laterne beleuchtete bekannte Gesichter‥.
– Inmitten des kleinen Kreises stand ein tragbares Telephon, eine Abhörvorrichtung. Um drei Viertel acht surrte der Apparat, Harst ergriff den Hörer, lauschte scharf und legte ihn wieder weg.
„Penz,“ sagte er schlicht, „es wird Zeit… Die Orchideen kommen… Lassen Sie Ihre Leute das Blockhaus umstellen, nur die Flußfront bleibt offen, von dort her wird die Bande erscheinen.“
Die Havel führte infolge der Schneeschmelze Hochwasser, die Eisrinde war geborsten, Eisschollen trieben stromab und polterten knirschend gegeneinander.
Gegen halb neun arbeitete sich ein großes Motorboot, dem ein kleineres folgte, bis zur Anlegebrücke des Blockhauses ohne Lichter vorwärts, und eine Menge Gestalten huschten durch den Flockenfall dem Haus zu. Die Haustür ging auf. In der Diele stand die ‚Königin‛, nur matt beleuchtet, vor dem Gesicht die bunte Seidenmaske, die einer Orchideenblüte glich. –
„Durchsucht die Umgebung, – verteilt euch nach allen Seiten!“ flüsterte die herrische Stimme.
Die Gestalten tauchten im Flockenwirbel unter… Cattleya löschte die Laterne aus und horchte, trat mehr ins Freie und lief geduckt der Brücke zu. Unter dem langen Krimmermantel trug sie die Banknotenpakete, die ganze Bundeskasse. Sie erreichte die Brücke, sprang in das kleinere der Boote, wollte den Motor anwerfen.
„Halt!!“ –
Ein Handscheinwerfer funkte auf, – – nochmals: „Halt! Hier Kriminalpolizei! Ergeben Sie sich, Solmsky!“
Penz’ Stimme übertönte das Heulen der Windstöße. „Wir wissen alles! Ihre Firma war ruiniert… Ihre wahnwitzige Leidenschaft für Frau Karsten kam hinzu… Sie mordeten Ihren Gatten, Sie wurden Einbrecher und Räuber… Ergeben Sie sich!“
Siegfried Solmsky lachte unter der Maske – – schrill, höhnisch. Dann ein Sprung über Bord, – wilde Sätze von Scholle zu Scholle, – – ein letzter Schrei, und das gierige Eis schloß die eben sich öffnende Stelle wieder…
„Ertrunken – – aus!“ sagte Penz dumpf. „Vielleicht das beste Ende so!!“ –
Clarissa fand ihre Besinnung zurück, erhob sich, kniete nieder, ertastete die Laterne, zündete sie an und flöste Kurt Mestel den noch in der Flasche verbliebenen Kaffee ein. Auch Mestel erwachte, blickte wild um sich…
„Wo bin ich?! – Sie hier, Fräulein Clarissa? Wo sind wir?“
Draußen rumorte es an der einen Kellerwand. Dann schwang das Mauerstück nach innen, und Harald drängte Frau Karsten vorwärts.
„Hier ist Frauengüte am Platz,“ flüsterte er.
Erna Karsten schritt auf Clarissa zu, nahm sie wortlos in die Arme, weinte… Auch ihre Nerven versagten. Aber ihr gelang es trotzdem, das unglückliche Mädchen tröstend zu beruhigen.
Um elf Uhr hatten wir noch einen Gast droben in Frau Ernas Zimmer: Clarissa, die Waise!
Wir selbst, Gorring, Penz und Mestel saßen im Büro und besprachen nochmals den vollen Erfolg dieser Nacht. Die Orchideen waren in Haft, und Penz stellte schließlich nur noch eine Frage:
„Lieber Harst, seit wann wußten Sie, daß Siegfried Solmsky die Cattleya war?“
„Seit jener Nacht, in der Schraut und ich der ‚Königin‛ bis zur Rosengasse folgten. Ich hatte ja vorher Vater und Tochter in der Villa beim Schachspiel beobachtet, sie hatten die gleiche Größe, sie sahen sich sehr ähnlich, nur Solmsky hatte natürlich größere Füße. Als die ‚Königin‛ damals die Stuben zum Nebeneingang des Hauses in der Rosengasse emporstieg, musterte ich ihre Schuhe… – Da wußte ich Bescheid: Es war ein verkleideter Mann, – – Solmsky‥!“
Gorring beugte sich etwas vor. „Und der Orchideen-Brief, von dem Solmsky seiner Tochter erzählte und den Sie fanden?“
„Bluff! Den hatte er selbst geschrieben, um Clarissas Mißtrauen zu zerstreuen.“
Gorring nickte zerstreut und hüstelte. „Ich hätte noch eine Bitte, Harst…“
„Weiß schon!! Sie möchten Frau Karsten, Clarissa und Felix zu sich in Ihre gesünderen Wäldern nehmen… – Wir haben eben Pech mit unseren Hausdamen…“
Er lächelte heiter. „Großes Pech… Sie heiraten alle‥!“
Gorring senkte schnell den Kopf und wurde sehr rot… –
Den Schluß kann der Leser sich hinzudenken, der gehört mehr in einen Liebesroman hinein, und das Thema liegt mir nicht, ich bin Junggeselle…“
Fußnoten:
[1] urspr. ein Lammfell, heute ein Wollgewebe
[2] Benannt nach Eugen Schüfftan