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Der Bund der Rächer

 

Harald Harst

 

Band: 348

 

Der Bund der Rächer

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel

Ursula, Harst und ich…

Die hier geschilderten Vorgänge spielten sich zu einer Zeit ab, als der Würger Inflation ungezählte Existenzen vernichtete und nur wenige ganz Gerissene durch den Milliarden-Wahnsinn reiche Beute errafften.

Mein Freund Harst war in den letzten Tagen sehr viel allein unterwegs gewesen, natürlich stets nachts und ohne mich von diesen nächtlichen Ausflügen zu verständigen.

Er schlief dann bis in den Mittag hinein, war zugeknöpfter denn je und erklärte lediglich, die Sache sei noch nicht spruchreif.

Die naßkalten Herbsttage erhöhten nur noch meine gereizte Stimmung. Harsts Verschlossenheit kränkte mich. Wir waren seit Jahren Kampfgefährten, und ich glaubte Anspruch darauf zu haben, in alles eingeweiht zu werden.

Aus dieser gereizten Stimmung heraus entschloß ich mich zu einem ungewöhnlichen Schritt: In der vierten Nacht folgte ich meinem Freunde heimlich, und da es wieder einmal in Strömen regnete, gelang es mir auch, unbemerkt hinter ihm zu bleiben.

So gelangte ich denn nach langem Marsche zu einem einzeln stehenden älteren Hause an der Grenze des Vorortes Zehlendorf, wo Harst blitzschnell über den morschen Bretterzaun des Grundstücks turnte und mir zunächst aus den Augen kam.

Das Haus und seine Stallungen verrieten, daß der kleine Besitz einstmals ein besserer Bauernhof gewesen war.

Ich hatte mich gleichfalls über den Zaun geschwungen und stand nun unter dem weit vorspringenden Ziegeldach in völliger Finsternis.

Das Haus zeigte nicht den geringsten Lichtschimmer, es schien unbewohnt zu sein, allerlei Geräusche trafen mein Ohr…

Der Regen knatterte auf das Ziegeldach, der Wind heulte um den spitzen Giebel, eine Wetterfahne kreischte, und eine lose Dachrinne trommelte noch mißtönender gegen die festen, verwitterten Mauern.

Vor den kleinen Fenstern waren Holzladen angebracht und von innen verschraubt.

Ich hatte bereits dreimal mit größter Vorsicht die Runde um die Baulichkeiten gemacht und war nun völlig unschlüssig, was ich weiter unternehmen sollte.

Es konnte jetzt ein Uhr nachts sein, und die Kälte und Nässe ließen mich trotz des dicken Wettermantels frösteln. Mein ganzes Vorhaben erschien zwecklos, und ich spielte bereits mit dem Gedanken, heimzukehren, als die Haustür sich öffnete, ein schwacher Lichtschein in die Finsternis fiel und die Regenschnüre wie Perlen glitzern ließ.

Hastig drückte ich mich noch tiefer in die Efeuberankung der Hauswand und beobachtete so vier gut gekleidete Männer, die sich zur Toreinfahrt begaben und einer Person, die im Hausflur unsichtbar blieb ein ernstes „Gute Nacht“ zuriefen.

Einer der vier kehrte nochmals um, der letzte.

Sehr eilig trat er unter das von Säulen getragene Schutzdach der Haustür, und die Person mit der Laterne in der Hand, von der ich nun bereits einen schwachen Schatten wahrgenommen hatte, kam ihm ebenso hastig entgegen.

Es war ein junges, überschlankes Mädchen im dunklen Hauskleid.

Das Gesicht erschien dadurch sehr widerspruchsvoll, daß unter einer Krone blonden, reichen Haares eine gefurchte, strenge Stirn lag, während die untere Gesichtshälfte trotz der Blässe der weichen Züge einen fast kindlichen Ausdruck zeigte.

„Ursula“, sagte der Mann mit dem hochgeklappten Mantelkragen und der tief in die Stirn gezogenen Mütze halblaut und eindringlich, „vielleicht gelingt es dir doch noch, aus Harst irgend etwas herauszulocken. Sein Wort wird er ja zweifellos halten und nichts verraten. Aber auch er verrät nichts. Außerdem: Sei auf der Hut vor ihm! Er wählt zuweilen eigentümliche Wege zur Erreichung seines Zieles.“

Der Regenguß hatte jäh aufgehört.

Das Mädchen Ursula, von der ich nichts wußte, begleitete den Herrn ein Stück den mit Ziegelsteinen gepflasterten Weg zur Zaunpforte hinab.

Der Flur war dunkel.

Der Name Harst wirkte wie ein Magnet.

Ich schlüpfte an der Hauswand entlang, gelangte in die Diele und bemerkte linker Hand den Lichtstreifen einer nur angelehnten Tür.

Eiligst huschte ich in das warme, helle Zimmer und lehnte die Tür wieder an.

In einem Plüschsessel neben dem mächtigen Kachelofen saß mein Freund Harald, rauchte eine Zigarette und blickte mich starr und finster an.

„Du hast hier gar nichts zu suchen, mein Alter“, sagte er leise und doch äußerst schroff.

Er schien zu horchen und fügte hinzu:

„Ich darf dir gar nichts erklären — gar nichts! Handele so, wie du handeln würdest, wenn ich nicht hier wäre oder gar nicht existierte.“

Dann starrte er wieder in die rote Glut des Ofens, dessen obere Tür offen stand, und nahm von mir keinerlei Notiz mehr.

Ich überlegte nicht lange.

Ein dicker Friesvorhang verdeckte eine schmale Türöffnung. Ich trat ein, ließ meine Taschenlampe aufblitzen und sah, daß ich mich in einem kleinen Stübchen mit schlichter Kontoreinrichtung befand.

Der Vorhang glitt herab, und gleichzeitig vernahm ich auch schon die Stimme dieser Ursula, die einen melancholischen, trotzdem energischen Klang hatte.

Ursula schloß die Tür nach der Diele und setzte sich in den zweiten Sessel vor den Ofen.

Ich hörte die Sprungfedern klirren.

Es waren altmodische Sessel.

Eine Weile schwieg das Mädchen.

Wahrscheinlich überlegte sie, wie sie Harst zum Sprechen bringen könnte.

Dann begann sie sehr langsam und bedächtig zu reden, wobei die Stimme noch trauriger wurde.

„Wir wissen, daß auf Ihr Versprechen Verlaß ist, Herr Harst…“

„Danke… Allerdings, Fräulein Gepheld…“

Ich horchte auf.

Gepheld?! Ursula Gepheld?!

Blitzartig kam mir die Erleuchtung.

Das war ja die entflohene und steckbrieflich verfolgte Sekretärin, die man mit dem Verschwinden des Dentisten Kolbe in allerengsten Zusammenhang brachte, obwohl der Fall Kolbe sehr dunkel lag!

Das Mädchen sprach weiter. Die Namen Ursula und Gepheld hatten sich mir vor Wochen fest eingeprägt.

„Herr Harst, um zwei Uhr sind Sie wieder frei… Bis dahin könnten wir doch ein wenig plaudern.“

Harst lachte leise.

„Plaudern?! Das klingt so, als ob ich hier bei Ihnen als lieber Gast erschienen wäre!“

„Nun ja, — wir… fingen Sie, wir überraschten Sie, und die Umstände erforderten einige Gewaltanwendung.“

„Ob, nicht schlecht gesagt „einige Gewaltanwendung“…! — Ihre Freunde, Fräulein Gepheld, sind sehr rücksichtslose Herren.“

„Zum Glück!“, rief sie leidenschaftlich. „Wenn Sie die Wahrheit wüßten, würden Sie das verständlich finden. — Wie kamen Sie eigentlich hierher? Das Grundstück liegt doch so einsam. Sie behaupten: Durch einen Zufall“

„Und das trifft auch bedingt zu“, lächelte Harst liebenswürdig. „Ein Zufall spielte mir einen Zettel in die Hände…“

„Das… klingt sehr unwahrscheinlich“, meinte Ursula kühl.

„Und doch ist es Tatsache. Der Zettel lag auf dem Bürgersteig, und…“

„Bitte weiter!“ drängte sie.

„… und auf dem Zettel stand getippt ganz oben als Überschrift:

Bund der Rächer.

Darunter aber der Name Ihres Jugendfreundes Arthur Monk und dessen Adresse.“

„Wie albern!“, rief das Mädchen wenig überzeugend. „Bund der Rächer! Das klingt wie der Titel eines Schauerdramas!“

„So?!“, meinte Harst sehr gedehnt. „Schauerdrama?! Und wo ist der Dentist Fritz Kolbe geblieben?! Sie waren an jenem Abend seine letzte Patientin. Nachher entdeckte man die vielen Blutflecken, Kolbe blieb verschwunden, und Sie verschwanden auch.“

… Lange düstere Pause.

„Halten Sie mich für eine Mörderin?!“

„Nein. Aber zweifellos nennen Sie und Ihre Freunde sich nicht ohne Grund ‚Bund der Rächer‘… Was allerdings ein harmloser, vielbeschäftigter Dentist wie Kolbe getan haben könnte, um Ihrer Rache anheimzufallen, begreife ich nicht.“

„Sie werden es auch nie begreifen — — zum Glück!“, sagte Ursula triumphierend. „Sie haben Ihr Wort gegeben, sich nicht weiter einzumischen und zu schweigen!“

„Gewiß, — aber unter gewissen Einschränkungen, Fräulein Gepheld. Bringt ebenfalls ein Zufall wie jener Zettel zu meiner Kenntnis, daß Fritz Kolbe ermordet und die Leiche weggeschafft wurde, so…“

Ursula unterbrach ihn stolz.

„Herr Harst, ich bin keine Mörderin. Das Blut in Kolbes Sprechzimmer rührt von dieser Wunde her, von mir! Da, sehen Sie den tiefen Schnitt am linken Oberarm? Ich werde den Ärmel noch höher emporstreifen… — So, nun sehen Sie die ganz frische Narbe. Mehr darf ich Ihnen leider nicht verraten.“

Harst schwieg.

„Glauben Sie mir nicht, daß Kolbe mich verwundet hat?“, fragte das Mädchen erregt.

„Ich glaube Ihnen alles“, entgegnete er wärmsten Tones. „Ich bedauere nur, daß Sie und Ihre Freunde mir jegliches Eingreifen unmöglich gemacht haben, denn ich bin jetzt überzeugt, daß Kolbe entflohen ist und weit mehr Grund hat, sich verborgen zu halten, als Sie… — Vorhin weigerte ich mich anzugeben, wie ich ins Haus gelangt bin. Ich will Ihnen nun als Beweis, wie sehr ich Ihnen traue, mitteilen, daß ich durch die Klappe im Fußboden dort nebenan im Kontor und durch ein Kellerfenster eingedrungen bin.“

„Ist denn eins der Kellergitter gelockert worden?“

„Ja. Durch mich, — das an der Ostseite des Hauses.“

Ursula Gepheld seufzte.

„Es müßte schön sein, Sie zum Verbündeten zu haben, Herr Harst… Leider verbieten dies die ganzen Umstände.“

„Vielleicht finden Sie einen ähnlich nützlichen Verbündeten, Fräulein Gepheld“, tröstete mein Freund liebenswürdig. „Eine Frage: Fürchten Sie sich nicht hier draußen so ganz allein auf dem fremden Grundstück?“

Sie ließ sich mit der Antwort Zeit.

„Ich kenne keine Furcht, Ich bin auch nicht allein, Herr Harst…“

Ihre Stimme klang unsicher und bewegt.

„Ich habe meine arme Mutter hier bei mir, und es trifft nicht zu, daß meine geisteskranke Mutter sich im verkrauteten Grunewaldsee(1) das Leben nahm und daß die Schlingpflanzen den Körper in der Tiefe festhalten. Nein, meine Mutter lebt in geistiger Umnachtung weiter, und… Kolbe hat dies alles verschuldet! Das ist die Wahrheit!“

Ihre Stimme war scharf und schneidend geworden…

„… Und weil es die Wahrheit ist, hat der Bund der Rächer seine Existenzberechtigung!“, fügte sie bitter hinzu.

Eine alte Standuhr schlug mit blechernen Schlägen die zweite Morgenstunde…

 

 

2. Kapitel

Das Aktenstück B. d. R.

„Armes Kind!“, meinte Harst voller Mitgefühl… „So jung und schon so hart vom Schicksal angepackt! — Ja, das Leben ist ungerecht… Ich glaube, Sie waren einmal ein sehr heiteres Wesen…“

„Das war ich!! Einst!!“

Es klang trostlos-bitter.

„Und jetzt, Herr Harst, sind Sie frei… Ich werde Sie hinausgeleiten… Darf ich Ihnen nicht aber noch eine Erfrischung anbieten? Ein Glas Wein? Sonst etwas?“

Er dankte und zog seinen Mantel über.

„Sollten Sie jemals Rat und Beistand brauchen, Fräulein Gepheld, so wissen Sie, wo ich zu finden bin. Ich bedauere Sie ehrlich. Ich weiß nicht, was Ihnen durch Kolbe angetan worden ist. Es muß sich aber um einen schlimmen Schurkenstreich handeln…“

„Gegen meine Mutter!“, ergänzte sie leidenschaftlich…

„So, nun können wir gehen…“

Eine Tür klappte…

Es wurde nebenan still.

Ich selbst zögerte nicht lange. Ich hatte hier nichts mehr zu suchen — vorläufig…

Ich fand die Klappe im Fußboden, fand das gelockerte Kellerfenstergitter, und als ich das Grundstück verlassen hatte und scharf ausschritt, holte ich meinen Freund auf der Hauptstraße sehr schnell ein.

Es regnete jetzt nur noch recht schwach, und schweigend gingen wir heim, sprachen nicht ein einziges Wort.

Ich mußte auf Harsts Zusage, nichts zu verraten, Rücksicht nehmen.

Zu Hause in unserem behaglichen Arbeitszimmer angelangt, bat ich meinen Freund um den Schlüssel zum kleinen Tresor.

Er hatte sich in die Sofaecke gesetzt.

„Bitte…“

Er gab mir den Schlüssel…

„Ich möchte mein Versprechen weder umgehen noch dagegen verstoßen, mein Alter. Ich ahnte nicht, daß du hinter mir her warst, mein Alter. Immerhin dürfen wir über die Dinge, so weit du sie erlauscht hast, völlig neutral disputieren, wobei ich mit meinen eigenen Ansichten möglichst zurückhalten werde.“

Ich trat an den Tresor, öffnete ihn und fand auch sehr bald ein ganz neues, dünnes Aktenstück mit der Aufschrift:

B. d. R.

Also: Bund der Rächer.

Ich setzte mich damit zu Harst an den Tisch, der jetzt die Abendzeitungen durchsah, und schlug den blauen Aktendeckel auf.

Darin waren Zettel, Notizen, Zeitungsausschnitte und ein Umschlag mit Photographien, unaufgezogen, eingeheftet.

Der erste Zettel war beschmutzt, die Maschinenschrift verlaufen, — es mußte der Zettel sein, den mein Freund auf der Straße zufällig gefunden hatte.

Bund der Rächer.

Arthur Monk, Kaufmann,

Berlin W, Pariser Straße 191.

Einer der Mörder Fritz Kolbes.

— Ich war im ersten Augenblick starr vor Staunen. Aber ich sollte mich noch weit mehr wundern.

Der zweite Zettel enthielt Bleistiftnotizen von Harst:

„Getippten Zettel ließ ein vor mir gehender Herr fallen.

Der Herr verschwand eiligst. Ich fand ihn nicht mehr.

Es liegt zweifellos Absicht vor: Ich sollte den Zettel finden und mich mit Monk beschäftigen.

Wahrscheinlich war Fritz Kolbe der Verlierer des Zettels.“

— Dann kam ein neues eingeheftetes Blatt, auch voller knapper Notizen:

„Arthur Monk, verarmt, wohnt Mansarde, Gartenhaus 191, Pariserstraße.

Dreißig Jahre. Sympathische Erscheinung.

Bin ihm nachts gefolgt.

Äußerst mißtrauischer Mensch, entschlüpfte mir.

Ich stellte fest, daß mir ein geschlossenes Auto nachfuhr.“ —

— Das vierte Blatt des Aktenstückes B. d. R. war ein Zeitungsausschnitt:

„An dem freiwilligen Tode der Geheimrätin Anna Gepheld, Witwe des Geheimen Medizinalrates Gepheld, im Grunewaldsee ist nicht zu zweifeln… Frau Gepheld, die durch den Verlust ihres Vermögens schwermüthig geworden war, ließ am Seeufer unweit des Jagdschlosses ein Handtäschchen und ihren Schirm liegen…“ (Die weiteren Angaben sind ohne Interesse für den Leser).

Das fünfte Blatt waren wieder Notizen Harsts.

„Der Selbstmord der Geheimrätin erscheint mir keineswegs erwiesen.

Ich nehme weit eher an, daß die Tochter die Mutter absichtlich verschwinden ließ, damit die Geisteskranke nicht in eine Anstalt gebracht würde.

Meine heutige nächtliche Verfolgung Arthur Monks, der übrigens ein Jugendfreund Ursula Gephelds ist, führte zum Ziel.

Es gibt einen Bund der Rächer.

Vier jüngere Herren benutzten das einsame Grundstück an der Zehlendorfer Feldmark, das allgemein ‚Die grüne Aue‘ heißt, für ihre Zusammenkünfte.

Das Grundstück gehört einem Herrn Richard Obryn, einem Freunde Monks. Obryn benutzt es selten.

Ich werde nächste Nacht dort eindringen und die Leute zu belauschen versuchen.“

— Das sechste Blatt wieder ein Zeitungsausschnitt über Fritz Kolbes Verschwinden und über Ursula Gephelds Flucht, Steckbrief und die polizeilichen Ermittlungen. (Für den Loser belanglos.)

Hiermit war das hochinteressante Aktenstück B. d. R. vorläufig abgeschlossen.

Ich wußte nun mancherlei, aber ich wußte zu wenig, um mir ein Bild des Ganzen entwerfen zu können.

Gewiß, als siebentes Blatt war noch der Umschlag mit den Photographien eingeheftet, auf den Harst geschrieben hatte:

„Amateurbilder von Schmuckstücken, die ich vorgestern Nacht in Kolbes Wohnung, gut verborgen unter einem Fensterbrett, fand.“

Mein Freund war also auch in Kolbes Wohnung eingedrungen.

Allerhand Achtung: Er hatte keine Mühe gescheut! —

Ich trug das Aktenstück wieder in den Tresor und schloß es ein.

Dann setzte ich mich zu ihm, steckte mir eine Zigarre an und sah zu, wie er aus der Kaffeemaschine die Tassen füllte.

Er schob mir eine Tasse hin und wartete, daß ich beginnen sollte.

„Also ganz neutral“, sagte ich. „Ich kenne nun das Ergebnis deiner bisherigen Ermittlungen. — — Bist du von dem geschlossenen Auto noch häufiger verfolgt worden?“

Er lachte.

„Und das nennst du ‚neutral‘, mein Alter‥?! Nein, die Frage mußt du dir schon selber beantworten…“

„Gut, ich beantworte sie mit Ja.“

Er schwieg und blickte gleichgültig zur Decke empor…

„Eine andere Frage also… — Weshalb hat der Dentist Kolbe Ursula überfallen und zu erstechen versucht?“

„Das weiß ich nicht.“

„Hm“, meinte ich gedehnt. „Ursula erklärte doch, Kolbe habe ihre Mutter auf dem Gewissen. Ob Ursula sich bei ihm behandeln ließ, um zu spionieren?“

„Zweifellos!“

Ich dachte angestrengt nach und nahm einen Schluck Kaffee.

„Harald, eine dritte Frage… Glaubst du, daß Kolbe, der für dich den getippten Zettel fallen ließ, damit du auf Monk aufmerksam würdest, hier in Berlin sich verborgen hält?“

„Ja.“

„Mithin besitzt er ein Auto, er folgte dir, er wollte, daß du ihn dorthin geleiten solltest, wo der B. d. R. tagt, von dessen Existenz er Kenntnis hat.“

Er äußerte sich hierzu nicht.

Ich fuhr fort:

„Dann hat Kolbe schon seit langem ein Doppelleben geführt. Er ist ein Verbrecher.“

Harst hob die Schultern.

„Verzeihe, — ich bin neutral…“

„Du mußt es sein, leider. Aber ich habe volle Bewegungsfreiheit, und dies werde ich gründlich ausnutzen.“ Er lächelte etwas. „Ich werde einmal ohne dich Herrn Kolbes dunkle Geheimnisse aufzudecken versuchen… Das hat immerhin den Reiz der Neuheit.“

„Ja, und den der Gefahr. Ich fürchte, Kolbe wird dich sehr bald zur Strecke bringen. Ein Bursche wie er scheut vor nichts zurück. Ich warne dich.“

Er hatte dies kaum ausgesprochen, als das Telefon schnurrte.

Ich eilte zum Schreibtisch und meldete mich.

Eine tiefe, verstellte Stimme kam durch die Leitung:

„Hier der B. d. R. — Erste und letzte Warnung: Bemühen Sie sich um nichts!! — Schluß!“

Dann wurde drüben abgehängt.

Unser Apparat spricht sehr laut an, und Harst hat gute Ohren.

„Herr Kolbe also, mein Alter! — Armer dummer Kolbe!! Wer derartige Bilder in seiner Wohnung liegen läßt, wird noch andere Schnitzer machen.“

Gleich darauf gingen wir zu Bett.

 

 

3. Kapitel

Die Fotos der Schmuckstücke.

Es war jetzt vier Uhr morgens, und natürlich konnte ich nicht einschlafen.

Meine Gedanken waren zu stark aufgerührt, ich wußte auch, daß ich jetzt eine Verantwortung trug, die vielleicht meine Kräfte übersteigen würde.

Wie sollte ich Kolbe aufspüren?! — Bestimmt hatte er lange ein Doppelleben geführt, und gerade deshalb war die Aufgabe, ihn zu finden, so schwierig. In einer Weltstadt wie Berlin haben Verbrecher es leicht, in zwei Rollen und Masken jahrelang ungestört zu leben.

Die eine Rolle, die sie spielen, ist die des ehrbaren Bürgers, der makellos einem harmlosen Beruf vor aller Augen nachgeht und der vielleicht Müller, Meier oder Schulze oder sonstwie heißt.

Diese ehrbare Rolle ist gleichsam der sicherste Schlupfwinkel, in den sie sich zurückziehen, sobald ihr zweites, weniger harmloses Dasein aufgedeckt wird.

Kein Nachbar, kein Kaufmann, kein Friseur, kein Schneider, die den ‚ehrbaren‘ Müller, Schulze oder Meier kennen, wird je auf die Vermutung kommen, dieser brave, solide Herr könnte ein Verbrecher sein. Niemand beargwöhnt ihn, niemand ahnt etwas: Der Gauner lebt in vollkommener Sicherheit weiter!

Dies ist nur in einer Millionenstadt möglich.

Dort aber ist es nicht nur möglich, sondern unzählige Male vorgekommen, und zumeist wurde der ‚ehrbare Herr‘ nur durch einen Zufall entlarvt oder — — durch eine jener zuweilen geradezu komischen Dummheiten, die auch der geriebenste Fuchs einmal begeht.

Während ich so vor mich hingrübelte, kam mir urplötzlich ein glänzender Gedanke.

Dieser Einfall machte mich noch munterer, ich erhob mich und ging zu Harst hinüber.

Er saß zu meinem Erstaunen noch immer in der Sofaecke und hatte jetzt die Aktenstücke B. d. R. vor sich liegen.

„Harald, mir ist da eine Idee zugeflogen, die außerordentlich vielversprechend erscheint.“

Er schaute mich gähnend an.

„So?! — Ich gehe jetzt schlafen… endgültig. Schließe das Aktenstück weg… — Nochmals: Gute Nacht!“

Die Tür zu seinem Schlafzimmer klappte zu.

Ich schloß das ‚B. d. R.‘ nicht weg…

Ich las Harsts neueste Notizen, und — seltsam! — ich ersah daraus, daß auch er auf denselben Gedanken gekommen war wie ich und daß er sogar über Doppelleben von Verbrechern in einer Weltstadt ähnliche Ausführungen gemacht hatte.

Ich war enttäuscht. — Ich hatte geglaubt, geradezu genial kombiniert zu haben.

Auch er hatte denselben Weg gefunden.

Mehr noch…

Ich las am Schluß:

„Die Bilder, die ich bei Kolbe versteckt fand, waren auf der Rückseite von ihm mit Bleistiftnotizen versehen worden, die er dann wieder ausradiert hat, wenn auch unzulänglich.“

Als ich dies las, fiel mir sofort ein, daß mein Freund gestern nachmittag in unserer Dunkelkammer stundenlang experimentiert hatte.

Ich schritt daher zum Tresor und suchte nach etwas ganz Bestimmtem, worauf ich durch den Ausdruck ‚unzulänglich‘ gekommen war.

In einem großen, festen Umschlag, der die Aufschrift zur Akte B. d. R. trug, entdeckte ich fotografische Vergrößerungen der ausradierten Stellen und entzifferte so unter anderem:

Anna Gepheld, Brillantarmband,

30 Steine, Platin,

Schloß mit Smaragden.

Ich war sprachlos.

Freund Harald war doch wirklich der perfekteste Komödiant! Nichts hatte er sich anmerken lassen, und dabei war diese Notiz doch ungeheuer wichtig!

Hatte etwa Fritz Kolbe zu Beginn der Inflation, als ungezählte Irre dem Rausch der Papiergeldflut unterlagen, Schmucksachen aufgekauft?!

Ich fand dann nur noch eine zweite wertvolle ähnliche Notiz, — wertvoll, weil hier eine Adresse mit zu erkennen war:

Gisela Marholz, Bismarckallee 19,

Brillantanhänger, Platin, 10 Steine.

Sollte Harst diese Gisela Marholz nicht bereits aufgesucht haben? Er hatte doch gestern gegen Abend einen längeren ‚Spaziergang‘ gemacht und meine Begleitung höflich, aber entschieden abgelehnt.

Allmählich wurde ich nun doch müde. Ich nahm sowohl das Aktenstück als auch die Vergrößerungen mit in mein Schlafzimmer, um im Bett nochmals alles gründlich nachzuprüfen.

Natürlich blieb die Wirkung nicht aus, die Müdigkeit schwand wieder, und kurz nach ein halb sechs Uhr morgens, während draußen ein neuer Platzregen niederging, vernahm ich vom Arbeitszimmer her zwei scharfe Schüsse, war im Nu aus dem Bett und legte die Akte ‚B. d. R.‘ und den Umschlag unter meine Matratze, lief nach vorn und fand das Arbeitszimmer blendend hell.

Die Krone brannte, Harald stand mit seiner Pistole vor zwei fragwürdigen Gentleman, die sehr brav die Arme hochgereckt hielten, — vor dem Tresor lag ein Sauerstoffgebläse und manches andere, das zum Knackerberuf nötig ist, — das eine Fenster war offen, war aufgesprengt samt den Fensterladen, und das Allerärgste: Harst hielt in der Linken eine Gasmaske!

Er nickte mir flüchtig zu.

„Ja, die beiden Herren wollten mich durch Gas betäuben… „, sagte er bissig. „Ich rechnete mit diesem Besuch. Nun erklärt mir mal“, wandte er sich an die Einbrecher, „wer euch bezahlt und beauftragt hat und was ihr hier holen solltet. Wenn ihr lügt, übergebe ich euch der Polizei.“

Die beiden ungebetenen Gäste wußten, daß sie zuchthausreif waren. Sie logen nicht. Aber ihre Angaben halfen uns nichts. Sie kannten ihren Auftraggeber nicht. Es sollte ein Ausländer mit fuchsigem Vollbart gewesen sein. Als Anzahlung hatte jeder fünf Dollar erhalten.

Die beiden Ganoven — und das war die Hauptsache — sollten den Tresor aufschweißen und die Fotos sowie jeden Papierwisch mitbringen, auf dem etwas von einem Bund der Rächer stünde. Ihr Geldgeber wollte sie draußen an der nächsten Straßenecke im Auto erwarten.

„Schade“, sagte Harst, „meine Alarmschüsse werden den edlen Herrn verscheucht haben. — Verschwindet und dankt Gott, daß ich heute meinen nachsichtigen Tag habe. Eure Werkzeuge bleiben hier.“

Die beiden verdufteten im Umsehen.

„Eigentlich hätte ich sie noch belohnen sollen“, meinte Harald gut gelaunt. „Denn jetzt habe ich meinerseits allen Grund, dem Herrn Fritz Kolbe auf den Pelz zu rücken. Ein Mensch, der bei mir einbrechen läßt und Giftgas verwendet, fällt nicht unter meine Schweigepflicht und mein Versprechen, untätig zu bleiben.“

Er schloß das Fenster, brachte auch den Fensterladen in Ordnung und pfiff dabei leise vor sich hin.

„Hole die Akten B. d. R. und die Vergrößerungen“, bat er dann.

Wir setzten uns dicht nebeneinander, und obwohl er auch jetzt den Fall ‚Gepheld‘ ausschaltete, hatte er mir doch über Gisela Marholz genug zu berichten.

„Eine Waise, total verarmt, einst Villenbesitzerin. Wohnt jetzt in der Chauffeurwohnung des feudalen Grundstücks und verdient ihren Lebensunterhalt durch Abschriften und Ausarbeitung von Horoskopen. Ich war bei ihr, natürlich nicht als Harst, bestellte drei Horoskope und blieb eine Stunde. Gisela konnte über Fritz Kolbe sehr wenig aussagen… Ich mußte ja auch sehr vorsichtig fragen. Sie war bei ihm in Behandlung und lobte ihn über den grünen Klee.“

„Ist das alles?!“, meinte ich bitter enttäuscht.

„Nicht ganz, mein Alter… Als ich mich verabschiedete, ließ ich einfließen, daß ich echten Schmuck sehr gut bezahlen würde, falls sie also in Not sei, — ich würde sie nicht betrügen. — Antwort? Ein trauriges Lächeln… Die meisten Schmucksachen, die sie von ihrer Mutter geerbt habe, seien sehr gute Imitationen gewesen…“

Harst blickte mich sehr scharf an.

Er erwartete eine Bemerkung meinerseits.

Ich erklärte nur: „Dann hat Fritz Kolbe ihr wohl die ‚Imitationen‘ für ein Spottgeld abgekauft?“

„Nein! Er hat sie nur aufrichtig bedauert, als selbst der große Brillantanhänger, der mal 25000 Goldmark wert war, als klägliche Nachahmung sich herausstellte.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Daraus werde ich wirklich nicht klug!“

„Was nicht ist, kann werden“, tröstete er. „Wir werden Herrn Kolbe schon aufspüren. Es gibt nun viel Arbeit. Aus allen Dentisten Berlins den richtigen herauszusuchen, ist eine zeitraubende Aufgabe… ‚Lux‘ wird uns dabei helfen, — Gute Nacht…“

‚Lux‘ war das Detektivinstitut, das für uns neben ‚Argus‘ die Grobarbeiten erledigte.

 

 

4. Kapitel.

Das beschabte Handtäschchen.

Alle die Herren, die sich mit dem Entfernen, Reparieren und Füllen von Zähnen beruflich beschäftigen, sind mir außerordentlich sympathisch… Sie können zu wahren Wohltätern werden. Nichts ist ja nervenzermürbender als Zahnschmerzen.

In jedem Beruf gibt es Abgerutschte, moralisch Entgleiste, und Fritz Kolbe, der in der Potsdamer Straße sich fragwürdig betätigt hatte, mußte ein ganz Schlimmer gewesen sein.

Dies und anderes ging mir mittags, durch den Kopf, als ich mich vor dem Spiegel rasierte.

Unter anderem überlegte ich mir auch, daß dieser Kolbe trotz aller Pfiffigkeit, die er bei seinen Gaunereien entwickelt haben mochte, sonst nicht gerade eine Leuchte sein könnte.

Er hatte einen Zettel fallen lassen, um Harst auf den B. d. R. und auf Arthur Monk aufmerksam zu machen, er wußte, daß ein B. d. R. existierte, aber er konnte nicht dahinterkommen, wo dieser Bund tagte, und da hatte er Harst auf diese Fährte geleitet, war ihm gefolgt und — — ohne Erfolg.

Als ich dann mit meinem Freunde das recht verspätete Frühstück einnahm, warf ich die Frage hin, woher Kolbe von der Existenz des B. d. R. etwas erfahren haben könnte.

Harst zuckte die Achseln.

„Bedauere, mein Alter, — die Frage fällt unter die Schweigepflicht.“

Das traf zu, und daher erklärte ich mit aller Bestimmtheit:

„Der Bund wird ihm irgendwie gedroht haben. Dann kam der etwas lustige Zwischenfall mit Ursula Gepheld, und Kolbe zog sich nach dem Messerstich in sein zweites Ich zurück,“

Harst sagte nichts.

Der Spätherbst hatte sich heute einen Scherz geleistet und spielte Frühling. Nach der scheußlichen Nacht ein wahres Wunder…

Eines der Fenster stand offen, und die Geräusche der stillen Straße drangen in langen Pausen bis zu uns herein.

„Die Jagd nach Kolbe ist in vollem Gange“, teilte ich meinem Freunde beiläufig mit, als er zur Zigarette griff. „Fünf Angestellte vom Argus und sechs vom Lux sind, ausgerüstet mit Fotos des Herrn Fritz Kolbe bereits unterwegs.“

Kurze Pause…

Nachsatz: „Es wird nichts dabei herauskommen. Ich fürchte, Kolbe wird nicht so dumm gewesen sein, denselben Beruf als „zweites Ich“ auszuüben, obwohl Anzeichen dafür vorliegen, daß irgendwo in dieser schönen Stadt Berlin noch ein zweiter Geier in ähnlicher Weise auf Beute ausgeht.“

Dabei nahm er eine Morgenzeitung vom Sofa und las vor:

Entwurzelte Existenzen. Die einst so berühmte Romanschriftstellerin Thekla von Linden, die durch die Inflation völlig verarmt ist, wurde heute nacht von einer Polizeistreife in einer leeren Laube der Laubenkolonie ‚Falkenhorst‘ im Norden Berlins schwerkrank und vollkommen entkräftet aufgefunden und in ein Krankenhaus geschafft, wo sie bei ihrer Vernehmung angab, sie hätte sich aus Verzweiflung dem Trunke ergeben, da selbst ihr allerletztes Wertstück sich als unecht herausgestellt habe, als sie es schließlich doch veräußern wollte.“

Harst legte die Zeitung weg.

„Die Linden wohnte zuletzt in Berlin-Pankow, mein Alter. Es ist kaum anzunehmen, daß Herr Kolbe in diesem Falle seine geschickten Finger mit im Spiele hatte. — Wie wäre es, wenn wir einmal die Laubenkolonie Falkenhorst besuchten?“

Er erhob sich, trat ans Fenster, beugte sich hinaus und musterte die wenigen Passanten. — Er fürchtete Spione.

Eine Taxe brachte uns nach vielen Umwegen ans Ziel.

Wir haben gerade in Laubenkolonien die seltsamsten Abenteuer erlebt und wissen, wie man die Kleinsiedler zu behandeln hat.

Vor einem netten Häuschen, Puppenformat, wusch eine ältere Frau eifrig Bettbezüge. Harsts untrügliche Menschenkenntnis fand sofort einen Anknüpfungspunkt. Gerade Frauen haben es gern, von Zeitungsreportern vernommen zu werden. Ebenfalls tat ein papierner Händedruck ebenfalls seine Schuldigkeit. Die redselige Witwe führte uns zu der Wohnlaube, in der ‚die feine Dame‘ in der verflossenen Nacht ‚geschnappt‘ worden war.

Da die meisten Laubenbesitzer bereits ihre Winterbehausungen bezogen hatten, blieben wir unbeobachtet. Harst schickte die Frau an ihren Waschzuber zurück und lehnte sich gegen den Zaun des kleinen, baumreichen Grundstücks und betrachtete den Hauptweg, der zu dem grüngestrichenen Häuschen durch welke Blumenbeete führte.

In dem noch immer aufgeweichten Boden waren genau die Spuren der Polizeibeamten zu erkennen, die hier das bejahrte Fräulein von Linden noch rechtzeitig aufgefunden hatten.

„Warum zögerst du?“, fragte ich nach einer Weile.

„Hm… Ich möchte noch einige Zeit am Leben bleiben.“

Ich blickte ihn verblüfft an.

„Wie meinst du das?!“

„Nun, ich sehe verschiedenes, was mir nicht gefällt. Nachdem Herr Kolbe so unverfroren war, bei uns einbrechen zu lassen, dürfte er jetzt versuchen, uns von allen künftigen Zahnschmerzen durch eine Radikalkur zu befreien. Aber ein Dummkopf bleibt er trotzdem…“

Ich betrachtete mir nun das Häuschen, den Garten und den Hauptweg sehr genau.

Ich fand nichts Verdächtiges.

Harst meinte nachsichtig:

„Eine Glockenschnur, deren eines Ende gerissen ist und von den Baumästen schräg herab über der Eingangstür baumelt, behagt mir nicht.“

Der Klingeldraht hing herab, das stimmte.

Ich fügte von selbst hinzu:

„Sieh mal, wenn dieses Drahtende schon nachts dort dicht vor der Tür fast bis zur Erde hinab gehangen hätte, würde es der Kranken hinderlich gewesen sein und sie hätten es unbedingt beseitigt. Die Frau erzählte uns ja vorhin, die ‚feine Dame‘ sei auf einer Bahre weggebracht worden. Dort sind auch noch die Eindrücke der Füße der Tragbahre dicht vor der Tür zu erkennen.“

Er hatte auch darin recht.

Und auch ich wurde jetzt argwöhnisch.

Harst sagte nichts weiter, öffnete die unverschlossene Zauntür und schritt sehr vorsichtig auf das Häuschen zu, indem er immer wieder in die Obstbaumäste emporspähte, die das Dach weit überragten.

Er blieb stehen und pfiff leise vor sich hin.

„Da haben wir es ja, mein Alter… Dieser Draht lief einst vom Zaunpfosten zum Häuschen und betätigte eine einfache Zugglocke. Die Glocke ist dicht unter dem Dach angebracht, wie du siehst. Auch dort baumelt noch ein Endchen Draht. Aber das andere Ende des langen Drahtstücks dort oben läuft durch den Schornstein in das Häuschen hinein. — Herr Fritz Kolbe hat so spekuliert: Wir finden die Zeitungsnotiz und wir könnten daraufhin hierher kommen. Wahrscheinlich ahnt er, daß ich seine verbrecherische Tätigkeit längst durchschaut habe. Ich holte ja die Fotos aus seiner Wohnung. Er wollte sie auch holen, aber — — ich war ihm zuvorgekommen. Nun hofft er auf den harmlosen Glockendraht…“

So knapp sich Harst auszudrücken pflegt: Verständlich bleibt er stets. Man muß nur seine Gedankensprünge mitmachen können.

„Also ein Explosivkörper“, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, das macht zu viel Lärm… Giftgas wirkt ebenso prompt. — Bleibe, wo du bist, und überlasse mir das andere.“

Er trat dicht an das herabhängende Drahtende heran, reckte den linken Arm hoch, hob den Draht oben empor und zerschnitt ihn, ohne ihn straff zu spannen.

Dann öffnete er die Laubentür, die nur eingeklinkt war, schaute hinein, ließ die Tür offen und näherte sich der Stelle, wo der Herd stand.

Ich sah, daß das durch den Schornstein laufende Drahtende in dem eisernen Herd verschwand.

Er zerschnitt auch dort die teuflische Klingelschnur mit derselben Vorsicht, hob die Herdringe heraus und leuchtete mit der Taschenlampe in den verrosteten Herd hinein, winkte mir mit dem Kopfe zu, und gleich darauf hatten wir eine der berüchtigten kleinen Stahlflaschen mit sogenanntem Syphonverschluß unschädlich gemacht.

„Armer hoffnungsvoller Kolbe!“, meinte Harst ironisch. „Der mißglückte Anschlag hat ihm wieder eine Stange Geld gekostet!“

Dann begann er die Laube, die nur aus einem einzigen Wohnraum mit zwei eisernen Betten und äußerst bescheidenem Mobiliar bestand, sehr sorgfältig zu durchsuchen.

Das eine Bett hatte offenbar die unglückliche Schriftstellerin benutzt. Es lagen dort alte Wolldecken, ein Kissen und halb unter dem Bett eine leere Schnapsflasche. —

Immer wieder, wenn ich meinen Freund bei derartigen Anlässen beobachten darf, empfinde ich dieselbe Freude und Genugtuung über sein ganz systematisches Vorgehen.

Neben dem Bett am Kopfende hing ein Stückchen loser Tapete herab.

Er fand etwas: Ein Wandversteck, — das Häuschen war doppelwandig, und hinter der Tapete war ein Kasten eingebaut!

Ich trat näher. Dieser primitive Tresor enthielt nichts als ein paar zerlesene Bücher, ein paar Gartenscheren, kleineres Handwerkszeug und — — ein einstmals sehr elegantes Handtäschchen.

In diesem beschabten Krokodilledertäschchen lagen ein Spiegel, eine Puderdose, zwei Zigaretten und einige zerdrückte Papiere, die Harst sofort zu sich steckte.

Plötzlich — wir standen mit dem Rücken nach der offenen Tür hin — verdunkelte sich der Eingang, ein Schatten glitt über die Dielen, und als wir uns umdrehten, sahen wir einen greisen, schmächtigen, gut gekleideten Herrn mit seltsam blassen, verwitterten Zügen und blinzelnden Augen vor uns stehen.

Der Fremde, unter dessen Schlapphut eine schlohweiße Künstlermähne fast bis zu den Schultern fiel, verbeugte sich knapp.

„Mein Name ist Brux“, stellte er sich vor. „Ich bin ein Bruder des Besitzers dieser Laube hier…“

Seine tiefe Stimme hatte einen angenehmen Klang.

„Was suchen die Herren hier?“, fügte er ebenso gemessen hinzu.

 

 

5. Kapitel.

Brux, der Unheimliche.

Der greise Herr mit dem Künstlerkopf machte auf mich einen ganz eigenartigen Eindruck.

In Worten läßt sich dieser Eindruck schwer beschreiben.

Vielleicht genügt es, wenn ich sage: Er hatte etwas nicht näher zu Bezeichnendes, geradezu Unheimliches an sich.

Es war, als hätten wir ein Gespenst vor uns.

Mein Freund entgegnete ausweichend:

„Verzeihen Sie, daß wir hier eingedrungen sind, Herr Brux… Wir sind Zeitungsberichterstatter…“

Da lächelte er ein wenig. „So?!“ Und wurde sofort wieder ernst. „Also sind Sie Thekla Linders wegen gekommen?“

„Ja.“

„Auf die Zeitungsnotiz hin?“

Harst nickte nur.

Brux schaute auf das Handtäschchen.

„Arme Thekla!“, murmelte er plötzlich wie geistesabwesend. „Dein Geburtstag damals — ein wundervolles Fest… So viel Rosen…!! Ich rieche ihren Duft noch immer…“

Was er weiter und noch leiser vor sich hin sprach, verstanden wir nicht.

Harst spielte mit dem billigen Puderdöschen, öffnete es und fand es bis obenan mit gelbrosigem Puder gefüllt, den er mit dem Zeigefinger umrührte, so daß eine Menge Staub in seine flache Hand fiel.

Plötzlich hielt er einen Ring in den Fingern, blies den Puder, der daran haftete, weg, und der Ring enthüllte seinen Wert: Ein Platinring mit drei großen Brillanten, — ein Damenring für einen sehr dünnen Finger.

Ich betrachtete den unheimlichen Brux, dessen Augen mit einem Male ganz weit geöffnet waren.

„Theklas Ring…“, flüsterte er… „Thekla kannte diesen Zufluchtsort… Ich dachte mir gleich, daß sie hier ein Dach gesucht das sie schützte…“

Harst sagte ebenso leise:

„Sie kennen die Ärmste also genauer?“

Aber er erhielt keine Antwort.

Brux war in eigentümliche Stumpfheit verfallen, nahm Harst den Ring aus den Fingern und säuberte das Wertstück mit seinem Taschentuch, kratzte dann mit den Fingernägeln an dem Ringe, der aus Platin zu bestehen schien, und zog eine große Lupe aus der Tasche und prüfte die Steine.

Seine Bewegungen waren gemessen, ohne jede Hast, — mit einem Seufzer reichte er Harst den Ring zurück‥:

„Imitation‥!“

Aber so, wie er dieses eine Wort hervorstieß, wirkte es wie ein wilder Fluch.

Die bisherige Abgeklärtheit war wie weggewischt, aus den Augen loderten Flammen der Empörung und Wut…

Jählings ging dieser Anfall vorüber.

„Arme, arme Thekla“, flüsterte der unheimliche Greis von neuem, starrte vor sich hin, schob dann den linken Mantel- und Rockärmel hoch und streichelte zerstreut sein linkes Handgelenk…

„Es… gibt… einen Roman von Sudermann aus des Dichters bester Zeit… Von Sudermann — ja, — — er war betitelt‥: ‚Es war…‘ — Es… war!! Ein schöner Titel, ein Titel auch für mich: Es war… einmal!“

Dann faßte er leicht an die Hutkrempe…

„Ich muß mich verabschieden, meine Herren… Würden Sie den Ring mir überlassen‥? Für jeden anderen ist er wertlos…“

„Bitte…“

Der Greis verneigte sich, drehte sich um und schritt langsam von dannen.

Mein Freund schaute ihm nach.

„Also… Brux… — Gut, wir sind hier fertig. Wickele die Stahlflasche in alte Zeitungen ein… Beeile dich, mein Alter… Brux ist sehr leichtsinnig.“

Wir verließen das Haus, folgten Brux und kamen über unbebautes Gelände, auf dem hohe Müllberge lagen, Büsche wucherten und ein paar alte Eichen trutzig in den sonnenklaren Herbsthimmel ragten.

Es war ein wenig begangener Feldweg, und er lief auf die ersten Häuser der Vorstadt zu.

Harst schlug ein schnelleres Tempo ein. Plötzlich begann er zu laufen, riß im Laufen seine Pistole aus der Tasche und brüllte aus voller Lunge:

„Herr Brux, — — hinwerfen — — hinwerfen!“

Da erblickte ich links neben dem Wege hinter einem Müllberg einen Mann, der jäh sich aufrichtete und dann in langen Sätzen davonstürmte.

Neben dem Feldweg lief ein neuerer Fahrweg hin, — ein Auto hielt dort, der Flüchtling sprang hinein und sauste der Vorstadt zu, war im Nu verschwunden…

Atemlos langte ich neben Harst und dem alten Herrn an.

„Was riefen Sie?“, fragte der Unheimliche ohne viel Interesse.

„Oh, ich wollte Ihnen nur auch dieses Handtäschchen als Andenken an Thekla Linden anbieten… Bitte…“

Brux lächelte schwach.

„Sehr liebenswürdig… Ich danke Ihnen… Ich nehme es gern… sehr…“

Er schob es in seine innere Manteltasche.

„Dürfen wir uns Ihnen anschließen, Herr Brux?“

„Nein… Ich… liebe die Menschen nicht…“

„Und fürchten Sie die Menschen nicht?“

„Nein — nicht mehr…“

„Sahen Sie den Flüchtling, der im Auto entkam‥?“

„Ich bemerkte ihn schon vor Minuten. Glauben Sie, daß er mir… auflauerte?“

„Ja, bestimmt!“, erklärte Harst mit allem Nachdruck.

Brux lächelte wieder.

„Ich wußte es… Er wollte schießen… Er will es immer… — Seien Sie außer Sorge, meine Herren. Mir geschieht nichts… Ich empfehle mich Ihnen.“

Er schritt weiter. In einiger Entfernung faßte er in die Tasche, holte eine Brille mit dunklen Gläsern hervor, setzte sie auf und vertauschte seinen schwarzen Schlapphut gegen eine große, weiße Reisemütze.

Harst merkte, wie verblüfft ich war.

Brux bog bereits in die erste bebaute Straße ein.

„Wer war das?!“, fragte ich unsicher.

„Der Attentäter war Fritz Kolbe“, erwiderte mein Freund sehr ernst.

„Und Brux? Etwa ein Detektiv?“

Harst verneinte.

„Brux ist nicht so geisteskrank, wie ich befürchtete.“

„Geisteskrank?!“

„Brux ist eine Frau, mein Alter, vielleicht für den Detektivberuf befähigt…“

Ich fand kaum mehr Worte, mein Staunen auszudrücken.

„Tatsächlich? Eine Frau?“

„Ja… Es war die Geheimrätin Anna Gepheld, die Totgesagte, die Geisteskranke, — — Ursulas Mutter und Thekla Lindens beste Freundin…“

Ich atmete ein paarmal ganz tief.

Dann erst ebbte die Erregung ab.

Ich sagte zweifelnd: „Ursula läßt ihre Mutter auf die Straße?! Läßt sie frei herumgehen?!“

Auch wir schritten nun den Häusern zu.

„Ja. Frau Geheime Medizinalrat Gepheld war ehedem Schauspielerin, und Ursula weiß genau, daß ihre Mutter nur dann einen Anfall bekommt, wenn sie Schmucksachen, Imitationen, sieht… Was den Umständen nach verständlich ist.“

„Des Armbandes wegen?“

„Gewiß… — Hast du nicht darauf geachtet, wie schmale Hände ‚Brux‘ hatte? Wie ‚Brux‘ sich das linke Handgelenk rieb? — An dem Gelenk saß einmal ein überaus kostbares Armband… — Es ist Frau Anna Gepheld.“

Ich mußte dies alles geistig erst verdauen.

Während der Heimfahrt machte Harst nur eine einzige unvermittelte Bemerkung. Er sagte nachdenklich:

„Natürlich gehört sie mit zum Bund der Rächer. Vielleicht ist sie sogar dessen Gründerin. Der Bund will Fritz Kolbe bestrafen — ohne mich, und die Strafe dürfte sehr hart ausfallen. Nun gibt es ein Wettrennen zwischen uns und den anderen. Beide Parteien suchen Kolbe. Ich hoffe, wir werden gewinnen, mein Alter…“

 

 

6. Kapitel.

Die Rechnung und Heinz Ritter.

… Wenn in Kriminalromanen mit Ausdrücken wie ‚genial‘, ‚kombinieren‘, ‚Problem‘ und ähnlichen, angewandt auf den Alleswisser Detektiv, die Seiten gespickt werden, lächelt jeder halbwegs vernünftige Mensch.

Harst ist kein Alleswisser.

Er ist ein Geheimniskrämer mit kleinen Schrullen und Schwächen.

Als wir jetzt daheim die Papiere aus dem Handtäschchen Thekla Lindens glätteten und prüften, stießen wir auf lauter… unbezahlte Rechnungen.

Eine unbezahlte Rechnung ist kläglich prosaisch.

Nur eine bezahlte ist ein Dokument.

Aber unter diesen beschmutzten zerknitterten Wischen lag eine einzelne, von der das obere Stück und das untere fehlten.

Diese Rechnung sah so aus:

Da das obere und untere Stück fehlte, war nicht festzustellen, wo Thekla Linden behandelt und ob sie die Rechnung bezahlt hatte.

Harst widmete diesem zweifelhaften Fund endlose Zeit, überlegte, rauchte, betrachtete die kopf- und fußlose Rechnung und schwieg beharrlich.

Dann warf er die Frage hin:

„Wer schnitt mit einer Schere die fehlenden Papierstücke weg?!“

Ich begnügte mich mit einem Achselzucken.

„Thekla Linden?“, meinte er etwas zweifelnd.

Ich hüllte mich in vorsichtiges Schweigen.

Und dann kam sozusagen die Explosion.

„Weißt du, mein Alter, was ich annehme? — — Zunächst mache ich dich darauf aufmerksam, daß die Rechnung mit Schreibmaschine ausgefüllt ist, nicht mit der Hand und mit Tinte. Also ist der Unbekannte, der ‚Behandelnde‘, ein sehr vorsichtiger Mann… Er will seine Handschrift nicht jeden sehen lassen…“

„Und weiter?!“

„Der Behandelnde, behaupte ich, ist der Gesuchte, ist das ‚zweite Ich‘ von Fritz Kolbe.“

„So‥?!“

Trotz meiner Zweifel spürte ich, daß Harst auf der richtigen Fährte war, und dies erregte mich mehr, als ich es mir anmerken ließ.

„Fällt dir an der Rechnung nichts auf?“, meinte er sehr gedehnt,

„Nein.“

„Bedauerlich… — Der Behandelnde, also Kolbes zweites Ich, hatte nur nachmittags von 5 bis 7 Sprechstunden, Sonntags 9-10. — Das fällt mir noch auf, und das ist mir Beweis genug, daß die Rechnung von ‚Kolbe‘ herrührt, ferner, daß er auch als sein ‚zweites Ich‘ als Dentist, Zahntechniker, Zahnheilkundiger oder…“

… Pause…

„… oder Zahnarzt tätig war und ist. Ich glaube, er wird Zahnarzt sein. Die Preise in der Rechnung sprechen dafür. Der Zahntechniker Fritz Kolbe, Potsdamer Straße 311, muß demnach nur vormittags Sprechstunden abgehalten haben und Sonntags gar keine, und dies stimmt auch. Sein großes Schild ist ja noch immer neben der Haustür von Potsdamer Straße 311 befestigt, ich habe es gelesen, und ich stutzte sofort, daß er als Sprechstunden 9 bis 3 angegeben hatte.“

Das waren allerdings Beweise, denen man volle Stichhaltigkeit zubilligen mußte.

Harst schaute mich prüfend an.

„Überzeugt, mein Alter?“

„Ja. Selbst der Unbefangenste muß zugeben, daß bisher alles dafür sprach, daß diese Rechnung von Kolbes ‚zweitem Ich‘ herrührt.“

„Nun gut“, nickte Harst, „vielleicht finden wir auch noch einen ganz unumstößlichen Beweis hierfür.“

Er sagte das in so eigentümlichem Tone, daß ich aufhorchte.

„Wodurch, Harald?“

„Warten wir die Spätabendzeitungen ab. Kolbe hat bereits in seiner Angst vor Entdeckung Dummheiten gemacht, er wird noch mehr Unüberlegtheiten begehen. Eine Riesendummheit war doch zum Beispiel das in der Wohnlaube versuchte Giftgasattentat, die zweite vielleicht noch größere vom heutigen Tage war sein gleichfalls mißglückter Versuch, Frau Gepheld auf dem Feldweg zu erschießen. Ich fürchte, du bist dir über die Bedeutung dieses Vorfalles noch nicht klar geworden.“

Das traf wohl zu. Ich erwartete seine weiteren Schlußfolgerungen mit solcher Spannung, daß ich meine Zigarre weglegte. Sie schmeckte mir nicht mehr.

Harst dagegen nahm eine neue Zigarette. Er war jetzt erst so richtig in jenes Feuer geraten, in dem sein Hirn die blendendsten Funken sprüht.

„Theoretische Erörterungen können langweilig sein“, meinte er äußerst lebhaft, „Hier dürfte dies nicht zutreffen. Ich will mich auch ganz kurz fassen. — Der Vorfall auf dem Feldweg beweist folgendes: Kolbe hat das Laubengelände gut verkleidet beobachtet, um festzustellen, ob sein Anschlag auf uns gelingen würde. Dabei muß ‚Brux‘, also Frau Gepheld, so dicht an ihm vorübergekommen sein, daß er ‚Brux‘ erkannte, und deshalb lauerte er ihr auf. Ich glaube nun, daß er folgende Dummheit begehen wird. Er weiß nicht, wo Frau Gepheld, die ‚Selbstmörderin‘, sich verborgen hält und wird auch heute ihr Versteck in der ‚Grünen Aue‘ nicht durch Verfolgung der Geisteskranken ermittelt haben. Leute seines Schlages, erfüllt von steter Furcht vor Entdeckung, wenden sich gern als Denunzianten an die Presse, um einen Gegner kaltzustellen.“

Nun verstand ich ihn.

„Deshalb also erwähntest du die Spätabendzeitungen!“

„Ja, deshalb…“

Hiermit hatte unser Gespräch vorläufig ein Ende.

Nach dem Mittagessen — es war inzwischen fünf Uhr und draußen dunkel geworden, beschäftigte sich Harst lange Zeit mit fotografischen Versuchen. Ich sollte inzwischen den Fall Gepheld kurz skizziert zu Papier bringen.

Während ich noch am Schreibtisch saß, läutete es, und ich hatte das Vergnügen, Herrn Zahntechniker Heinz Ritter kennenzulernen.

Er war ein sehr liebenswürdiger jüngerer Mann von gewandtem sicheren Auftreten und trug mir einen ‚Fall‘ vor, der mich in begreifliche Erregung versetzte.

Äußerlich blieb ich ruhig und ohne viel Anteilnahme.

Ritter unterbreitete mir folgendes:

(Der Leser wird daraus unschwer von sich aus sofort die richtigen Schlüsse ziehen.)

„Ich übe meine Praxis am Winterfeldtplatz aus und war mit dem nun angeblich ermordeten oder verschleppten Kolbe oberflächlich bekannt, da er mich zuweilen bei schwierigen Kieferbehandlungen hinzuzog. Sie werden von diesem Kolbe gehört haben, Herr Schraut…“

„Ja, ich entsinne mich jetzt…“

„Fritz Kolbe, ein älterer Mann, hat nun eines Tages versucht, mir wohlhabendere Patienten gleichsam abzukaufen. Er bot mir viel Geld dafür, ich lehnte schroff ab, und die Beziehungen zwischen uns hörten auf. — Vor Ihnen kann ich getrost auch schwerere Verdächtigungen aussprechen. Ich halte Kolbe für einen Verbrecher — rein gefühlsmäßig. Die dunkle Angelegenheit seines Verschwindens, in die ein Fräulein Ursula Gepheld, zur Zeit flüchtig und unbekannten Aufenthalts, verwickelt sein soll, ist bestimmt sehr unsauber, milde ausgedrückt. Würden Sie und Herr Harst nun für mich diesen Fall nachprüfen?“

„Sehr gern… Wir haben zur Zeit gar nichts zu tun.“

Er blickte mich merkwürdig an, hüstelte und erklärte, er sei gerne bereit, einen Vorschuß zu zahlen, sogar in Devisen.

Absichtlich ging ich hierauf ein und er legte zwanzig englische Pfund in Fünfpfundnoten auf den Tisch und erhielt Quittung und verabschiedete sich.

Als Harst gleich darauf eintrat, erklärte ich ihm triumphierend, nun sei uns ein weiteres Mitglied des B. d. R. bekannt.

„So… so, — Heinz Ritter…“, nickte er zerstreut. „Der ‚Bund‘ wählt also den alten Trick, mich unter einem Vorwand den feinen Herrn Kolbe suchen zu lassen. Dabei wird Ritter wohl die Wahrheit gesprochen haben: Kolbe wollte ihm reiche Patienten abkaufen! Der Zweck ist mir klar. Und auch deine Annahme, Ritter gehöre zu den ‚Rächern‘, trifft natürlich zu… Doch dies alles ist im Grunde nebensächlich…“

Seine Gleichgültigkeit verletzte mich.

Zum Glück wurden gerade die Spätabendzeitungen gebracht, und ich fand so eine willkommene Ablenkung.

Schon in dem ersten Blatt, das ich eifrig durchsah, stieß ich auf die von Harst erwartete Notiz.

 

 

7. Kapitel.

Gisela Marholz‘ Besucher.

Lebt Frau Gepheld?! Heute nachmittag gegen halb vier wurde unsere Redaktion von einem Unbekannten von einem Fernsprechautomaten aus angerufen. Der Betreffende, der seinen Namen durchaus nicht nennen wollte, behauptete mit aller Bestimmtheit, er sei heute der Geheimrätin Anna Gepheld, deren Selbstmord bereits häufiger angezweifelt worden sei, auf der Straße begegnet. Er kenne die Dame persönlich sehr gut, sie sei es bestimmt gewesen, und er halte es für seine Pflicht, die Presse darauf aufmerksam zu machen, daß auch die flüchtige und steckbrieflich verfolgte Tochter Ursula wahrscheinlich noch in Berlin und mit ihrer Mutter zusammen in demselben Versteck weile. — Die Angelegenheit ist von uns sofort der Polizei gemeldet worden. Der zuständige Beamte meinte, es könnte sich hierbei auch um eine Mystifikation handeln. Wir veröffentlichen nebenstehend ein Bild der Geheimrätin und bitten unsere Leser um freundliche Mithilfe. Sollte jemand zur Sache etwas bekunden können, werden wir jede derartige Nachricht, die sich beweisen lassen muß, angemessen honorieren, da auch wir es als unsere Pflicht erachten, zur Aufklärung des Falles Gepheld beizutragen.“

Harst hatte also wieder einmal recht behalten.

Herr Fritz Kolbe hatte sich verraten, hatte uns den Beweis erbracht, daß meines Freundes Schlußfolgerungen zutrafen, von denen die wichtigste die war, daß Kolbe das ‚Versteck‘ von Mutter und Kind nicht kannte.

„Eine für uns sehr beruhigende Riesendummheit!“, meinte Harst etwas spöttisch.

Aber erst nach dem Abendessen gegen neun Uhr schlug er noch einen kleinen Spaziergang vor.

Dieser Ausflug, der mit größter Vorsicht begann, da wir ja mit Verfolgern rechnen mußten, endete in der Villenkolonie Grunewald in einer ganz stillen Straße vor einem ausgedehnten Eckgrundstück, das so dicht von Bäumen und Büschen bestanden war, daß man durch das hohe Zaungitter nur undeutliche Umrisse des Hauptgebäudes erkannte.

Diese Nacht nach dem fast allzu warmen sonnigen Tage war bitterkalt, und der klare Sternenhimmel verhieß den ersten leichten Frost.

Harst benahm sich seltsam.

Er ließ mich in der Nische einer überwölbten Nebenpforte zurück, änderte mit ein paar Griffen und durch die üblichen Mittel sein Aussehen, sackte in sich zusammen, schien kleiner zu werden und schlurfte hinkend von dannen.

Mit keinem Wort deutete er an, was er vorhätte.

Daß hier in dem Chauffeurhause die verarmte Gisela Marholz, die einstige Besitzerin eines Brillantanhängers, wohnte, konnte ich mir selbst sagen.

Vielleicht wollte er die bestellten Horoskope abholen, obwohl diese späte Stunde dazu nicht sehr geeignet war.

Die Rolle, die er mir hier zugewiesen hatte, gefiel mir wenig.

Sie glich etwa der, die ich in der gestrigen Regennacht gespielt hatte, als ich Harst nachgeschlichen und so an die ‚Grüne Aue‘ gelangt war.

Ich stand ja hier unter dem Pfortenbogen auch bereits eine halbe Stunde und verging vor Ungeduld. Schließlich nahm ich mir vor, nur noch zehn Minuten zu warten und dann zu handeln.

Die zehn Minuten waren um. Der Zeit nach war es jetzt ein Viertel elf Uhr.

Wer jene totenstillen, vornehmen Straßenzüge im Grunewald, wo einst vor zwei Jahrzehnten vielleicht noch Rehe und Hirsche in nächtlicher Nähe in sumpfigen Dickungen hausten, genau kennt, wird es begreifen, daß in der ganzen Zeit nur ein paar Menschen, aber desto mehr Autos vorübergekommen waren.

Ich umschritt die Straßenecke, — dort hinter hohen Tannen lag das Chauffeurhäuschen, aus dem ein einsames Licht entgegenblinkte. Der Eisenzaun war als Schutz in der Form möglichst unpraktisch, — ich hatte ihn im Nu überstiegen, schob mich behutsam zwischen die Tannen und horchte zunächst einmal.

Irgendwo dudelte in der Ferne bei offenem Fenster ein Grammophon…

Die Musik tat mir fast weh…

Ich hatte ja noch andere Laute vernommen…

Unmittelbar vor mir, wo ein Spätrosenbeet bisher der naturgesetzmäßigen Vernichtungskraft der nahenden kalten Jahreszeit getrotzt hatte, hörte ich tiefes Stöhnen…

Dieses Stöhnen, bis zu hellem Ächzen sich steigernd, erklang in langen Pausen.

Ein Mensch lag dort, zweifellos schwer verletzt, — lag wohl mitten in den blaßroten großen Rosen, deren wundervolle Kelche die vereinzelten Mondstrahlen durch feierliches Nicken zu grüßen schienen.

Dann hatte ich mich endlich, auf allen Vieren kriechend, so weit vorwärts geschoben, daß ich hoffte, den Stöhnenden auch erblicken zu können.

Mit einem Male erhob sich jenseits des Beetes eine Gestalt, zog eine andere mit empor, wollte sie in die Arme nehmen, emporheben…

Hierbei mußte der gesunde Mann, von dem unter dem Schlapphut wenig zu sehen war, auf einen dicken trockenen Ast getreten sein.

Der Ast zerbrach mit scharfem, hartem Krach, und der Hilfreiche fluchte leise und drehte mißtrauisch den Kopf nach dem erleuchteten Fenster hin.

Da erkannte ich auch den anderen…

Es war Heinz Ritter…

Über sein Gesicht zogen sich zwei dunkle Striche hin, — Blut… Blutfäden… Seine Schlappmütze war nach hinten gerutscht, er hatte die Augen geschlossen…

Aber all das verblaßte als nur flüchtiger Eindruck gegenüber dem jähen Aufleuchten und Aufpuffen von zwei Magnesiumlichtern, die alles ringsum in blendende Helle tauchten.

Ebenso schnell erlosch die grelle Überfülle dieser beiden Leuchtkörper, und wie ein Blitz raste an mir der andere, gesunde Mann vorüber, dessen rötlicher Vollbart bei meinem raschen Zupacken als einziges in meiner Hand blieb.

Der Fliehende war Fritz Kolbe…

Aber dieser rücksichtslose Mensch, der die Wirren der Zeit als Verbrecher schamlos ausgenutzt hatte, seine Opfer zu schröpfen, besaß die Gelenkigkeit eines Akrobaten und den sicheren Schlag eines Boxers.

Nach rückwärts stieß er zu, und seine Faust traf mein Kinn, — ich flog hintenüber, und ehe ich mich aufgerafft hatte, war es längst zu spät, die Verfolgung aufzunehmen.

Ich hörte in der Ferne den Motor eines Autos schnurren, das Geräusch erstarb, ich wußte, daß Kolbe abermals entwichen war.

Ich beugte mich über Heinz Ritters leblosen Körper, fühlte nach dem Puls, — meine Sorge um sein junges Leben war unnötig, er kam bereits wieder zu sich, und als ich nun an das erleuchtete Fenster pochen wollte, um Gisela Marholz herauszurufen, prallte ich leicht zurück.

In der offenen Tür, vom Mondlicht umflossen, stand Harst und sagte leise:

„Wie geht es Ritter?“

Mir blieb zunächst die Sprache weg.

„Er… erwachte bereits“, erwiderte ich verwirrt. „Was tust du denn hier, Harald?“

„Später‥! — Warte…“

Er nahm eine Gartenleiter, kletterte empor und nahm zwei Momentkameras, die über dem Fenster an der Wand zwischen den Kletterrosen befestigt gewesen, herab und winkte mir.

„Leise!! Ritter soll uns nicht sehen‥!“

Wir huschten davon.

Im Schutze der Tannen blickte ich zurück.

Ritter stand aufrecht, taumelte etwas…

Wir beeilten uns, die Straße zu erreichen.

Ich war vollkommen benommen von dem soeben Erlebten, und als Harst, ein gemächlicheres Tempo einschlagend, erklärte, Ritter würde sich in Giselas Zimmer erholen können und dort einen Zettel finden, fragte ich nur:

„Zettel, von wem?“

„Von mir…“

„Was heißt das?!“

„Der Zettel wird ihn über das Schicksal eines Mitgliedes des B. d. R. beruhigen…“

„Etwa über Gisela?“

„Ja…“

Ich wollte keine unnötigen Fragen stellen und überlegte mir nun mit aller Sorgfalt das Vorgefallene.

Harst sagte unvermittelt: „Das Grübeln hat in diesem Falle wenig Zweck, mein Alter… Die Dinge liegen etwas kompliziert…“

„Das heißt, du hast mir verschwiegen, daß du Gisela Marholz bei deinem ersten Besuch geraten hast, zwei Momentkameras über ihrer Tür und über dem Fenster zu montieren. Du hast also damit gerechnet, daß Kolbe sie irgendwie belästigen würde. Wahrscheinlich hast du ihr auch Geld für die Kameras und für die Magnesiumlichter und die Zündvorrichtung gegeben.“

„Ja, und ich habe die ganze Anlage auch montiert, mein Alter… Ich hatte alles Nötige schon mit, als ich zu ihr ging… letztens…“

„Da hast du mich ja schön angeschwindelt!!“

„Durchaus nicht, nur einiges für mich behalten. Über den Zweck der Anlagen ließ ich das junge Mädchen im unklaren, ich deutete lediglich an, es drohe ihr vielleicht Gefahr… Die ganze Anlage ließ sich von innen durch eine Schnur betätigen, — ein Ruck, — und…“

„Danke, so schlau bin ich auch…“ — Meine gereizte Antwort entlockte ihm nur ein versöhnliches: „Nicht gleich böse werden, mein Alter!“, — und dann fügte er in seiner oft so abgehackten Art hinzu:

„Gisela drohte auch Gefahr… Sie ist eines der Opfer Fritz Kolbes, und daß dieser Argwohn zutraf, Kolbe könnte Gisela etwas antun, bewies diese Nacht.“

Ich blieb stehen und starrte ihn an.

„Diese Nacht, Harald?!“

„Ja… Das Mädchen ist sehr unvorsichtig gewesen. Offenbar hat Kolbe an das Fenster gepocht…“

Er lachte leise…

Ich wurde ärgerlich. „Dein Lachen ist höchst unpassend‥!“, fuhr ich ihn an.

„Grobian!! Mein Lachen galt der Tatsache, daß Gisela daran gewöhnt war, daß so spät an ihr Fenster geklopft wurde. Ritter als vielbeschäftigter Dentist hat eben nur wenig Zeit, sich seiner Liebsten zu widmen… Die Sache ist doch so, daß Ritters Vater bei Giselas Vater Chauffeur und Gärtner war… — Gisela öffnete heute dem Falschen, — ich wurde Zeuge, wie Kolbe der Überraschten ein Tuch auf den Mund drückte und sie dann wegtrug in sein Auto…“

Harst erklärte auch dies so nüchtern-sachlich, daß ich keine Worte fand, dies zu rügen.

„Und das ließest du zu?!“, rief ich empört.

„Ja…“

Nun hatte, meine Geduld doch ein Ende…

 

 

8. Kapitel.

Der Schlupfwinkel Fritz Kolbes.

„Das ist ja unerhört!“, brauste ich auf…

„Mag sein… Du wirst mein Tun sehr bald gerechtfertigt finden. — Taxe, — — halt‥!“

Die leere Autotaxe hielt.

„Steige ein… — Chauffeur, — nach Pankow, Kanalstraße Ecke Rautendeleingasse…“

„Bitte…“

Der Wagen ruckte an, und Harst reichte mir sein Zigarettenetui.

„Bediene dich nur… Und falls du noch zweifelst, ob meine Handlungsweise zu entschuldigen sei, möchte ich dir nur eins sagen: Kolbe hat Gisela entführt, um von ihr das Geständnis zu erpressen, wo Frau Gepheld und Ursula sich verborgen halten. Vielleicht — und darauf kommt es mir an — verspricht er ihr auch eine hohe Geldsumme für diese Angaben, und wenn das Mädchen klug ist, belügt sie ihn, nimmt das Geld, und wir erfahren, wo Kolbes ‚zweites Ich‘ seine Beute versteckt hält…“

Ich nahm eine Zigarette.

„Entschuldige“, meinte ich etwas zerknirscht. „So allerdings gewinnen die Dinge ein anderes Aussehen!“

Er gab mir Feuer.

„Man soll nie vorschnell urteilen, mein Alter…“

„Kennst du denn Kolbes ‚zweites Ich‘?“ fragte ich ohne Umschweife.

„Ja, seit heute abend sechs Uhr fünfundvierzig Minuten…“

„Woher?“

„Durch Druckerschwärze…“

„Und wie nennt er sich in Pankow?“

„Das wirst du schon sehen…“

„Mithin möchtest du deine Trümpfe noch nicht aufdecken?“

„Nein‥!“

Ich rauchte und dachte nach.

Dann sagte ich vorsichtig:

„Du hast also, nachdem Kolbe das Mädchen in sein Auto getragen hatte, in Giselas Zimmer dich aufgehalten.“

„Im Flur…“

„Und Kolbe kehrte nochmals zurück?“

„Natürlich… Er wollte doch Giselas Zimmer durchsuchen.“

„Und als er zurückkehrte, schlug er den inzwischen erschienenen Heinz Ritter nieder…“

„Ja. Und wollte auch ihn mitnehmen…“

„Du hast also gewartet, bis der günstigste Moment da war, Kolbe bei Magnesiumlicht zu knipsen?“

„Das stimmt… Aber auch Ritter wollte mit auf die Platte. So erlangte ich den sichersten Beweis für Kolbes Gewalttätigkeit.“

„Hast du Giselas Zimmer durchsucht?“

„Überflüssige Frage!“

„Du fandest auch etwas?“

„Gewiß… In meiner Tasche stecken außer den drei Horoskopen, die bereits fertig im Umschlag auf dem Schreibtisch lagen, verschiedene Sitzungsprotokolle des B. d. R.“

Ich mußte erst wieder Ordnung in meine Gedanken bringen.

So vieles stürmte hier auf mich ein. Der Fall ‚Bund der Rächer‘ war ja in den Hauptlinien klar zu übersehen, aber das Beiwerk war buntschillernd wie zahllose Opale.

„Hast du diese ‚Sitzungsprotokolle‘ gelesen?“, fragte ich nach geraumer Weile.

„Noch nicht ganz, nur überflogen… Übrigens waren sie sehr gut versteckt. Gisela ist zweifellos ein kluges Mädchen…“

Gute Verstecke gibt es dir gegenüber kaum“, meinte ich aus ehrlicher Überzeugung heraus.

„Da magst du recht haben. Das Versteck war glänzend. Die Protokolle lagen nämlich in einer Zeitung, die nur einmal gefaltet war, oben auf dem Piano, und auf den Zeitungen stand eine Vase — wie zufällig — mit Rosen, mit entblätterten Rosen… Dort würde ich nicht gesucht haben, wenn ich nicht an die hübsche Geschichte von dem gestohlenen Brief gedacht hätte, den der Dieb — bestes Versteck — offen in einen Zeitungshalter steckte. Du besinnst dich, der Verfasser ist Edgar Allan Poe, und…, — hallo, sind wir schon am Ziel?!“

Die Taxe hielt, und der Chauffeur rief uns zu:

„Kanalstraße, meine Herren!“

Harst bezahlte ihm, gab ihm noch einen Vorschuß und bat ihn, an dieser Stelle auf uns zu warten.

Kanalstraße? — Ich schaute mich um…

Es mußte das allerälteste Viertel sein…

Die Straße enthielt nur windschiefe Häuser, sämtlich abbruchreif, einige Schuppen und Lagerplätze.

Kein Mensch war zu sehen…

Und dann erst — wie poetisch! — die Rautendeleingasse.

Armer Dichter der ‚Versunkenen Glockel!‘

Ausgerechnet… Rautendelein!

Wenn schon die Kanalstraße den Eindruck des Abgestorbenen gemacht hatte, — — diese Gasse?!

… Niedrige Wohnbaracken, finstere Höfe, eingestürzte Wohnruinen, zwei Kellerspelunken mit lärmenden Gästen…

Kalt und glanzlos lag das Mondlicht auf dem elenden Pflaster, auf den jämmerlichen Ziegeldächern und den leeren Stellen: Müllberge stanken hier gen Himmel!

„Kennst du etwa diese Gegend?“, fragte ich Harst mit einigem Mißtrauen.

„Nein… Nur vom Stadtplan her… Ich weiß aber, daß drüben parallel zur Rautendeleingasse eine neuere Straße sich hinzieht… — Folge mir nur.“

Er bog in einen Hof ein, auf dem verrottete Möbelwagen-Ruinen standen.

Sein Ortssinn siegte auch hier.

Über die unmöglichsten Hindernisse gelangten wir an einen hohen Zaun.

Jenseits dieses Zaunes begann eine andere Welt.

Hohe Bäume eines gutgepflegten großen Gartens reckten ihre Äste in den klaren Sternenhimmel empor…

Ein zierlicher Glaspavillon leuchtete, — dunkle, gut geschnittene Buchsbaumhecken zogen ihre Striche durch verwelkte Blumenbeete…

„Vielleicht sind wir hier auf der richtigen Fährte“, flüsterte Harst, als wir dem villenartigen Hause zuhuschten, das an der neuen Parallelstraße lag und das zu dem Grundstück gehörte.

Lautlos, immer im Schatten bleibend, erreichten wir die Treppe der Terrasse, deren Marmorgeländer und Marmorfiguren gleichfalls für den Reichtum des Besitzers sprachen.

Hohe, englische Fenster, vier an der Zahl, bildeten gleichzeitig die Türen zum Innern des Hauses.

Hinter keinem Fenster schimmerte Licht.

Tot, leblos, aber doch in stiller Vornehmheit lag das zweistöckige Gebäude da…

Harst, der die beiden Momentkameras dem Chauffeur in Verwahrung gegeben hatte, ließ mich hier auf der Terrasse zurück, war jedoch sehr bald wieder bei mir und flüsterte:

„Es ist sein Haus‥!“

Inzwischen hatte ich den weiteren Weg für uns freigemacht.

Wir gelangten durch das Fenster am weitesten links in einen Salon, der schlicht, geschmackvoll und doch kostbar eingerichtet war.

Unsere Taschenlampen durften wir nur für Sekunden aufleuchten lassen, — ich wurde das unheimliche Gefühl nicht los, daß wir hier blindlings in eine Falle hineintappten.

Harst ging auch bei der Besichtigung der Erdgeschoßräume mit einer Behutsamkeit vor, die fast übertrieben schien.

Als wir in den vorderen Flur, der in eine Diele mündete, nach reichlichen zehn Minuten gelangt waren, spürten wir ‚Arztgeruch‘…

Erst hier…

Also lagen Kolbes Sprech- und Wartezimmer und Behandlungsräume, wenn solche vorhanden, nach vorn heraus.

Wir öffneten eine kleine, gepolsterte Tür, die gut geölt war.

Das lange, schmale Zimmer enthielt lediglich einen Diwan und eine Menge elektrischer Heilapparate.

Eine zweite Tür, dem Flureingang gegenüber, brachte uns genau so geräuschlos in eine kleine Bibliothek, deren Wandschränke nur mit ärztlicher Literatur gefüllt waren.

Hier fanden wir noch zwei Türen vor.

Die eine war gepolstert, die andere dunkles Eichenholz.

Harst lauschte…

Auch ich hörte Stimmen.

Hinter der Eichentür wurde gesprochen, es war jedoch nichts zu verstehen.

Wir unterschieden nur eine Männer- und eine helle Frauenstimme.

„Gisela ist erwacht… Sie war betäubt. Kolbe mag ihr ein Gegenmittel gereicht haben“, sagte mein Freund ganz leise.

Dann bückte er sich und beleuchtete das Schlüsselloch der Eichentür.

„Ein Vorhang“, meldete er…

Er legte die Hand auf den Drücker, und mit jenem kurzen Druck, der genau richtig bemessen sein muß, damit jedes Geräusch vermieden wird, schaffte er auch dieses Hindernis ohne mißtönendes Quietschen aus dem Wege.

Jetzt verstanden wir Worte — jedes Wort…

Die dicken Türvorhänge, übrigens echte Teppiche, dampften das vor uns geführte Gespräch nur wenig.

 

 

9. Kapitel

Doktor Bolk bietet Geld.

„Für mich bleibt die Hauptsache“, erklang eine tiefe ruhige Stimme, „daß Sie nicht wissen, wo Sie sich befinden…“ —

„Oh, das wird sich ermitteln lassen“, rief Gisela Marholz kampflustig.

„Nein, das wird sich nie ermitteln lassen“, entgegnete Kolbe zuversichtlich. „Nehmen Sie doch Berlin an, Fräulein Marholz… Mein Anerbieten ist…“

„… Nur ein neuer Schurkenstreich!“, unterbrach sie ihn in wilder Empörung.

„Bitte, bleiben wir höflich!“

Kolbe sprach kalt und drohend.

„Ich muß erfahren, wo Frau Gepheld und Ursula sich verborgen halten, und…“

„Suchen Sie sie!!“

„… und ich wiederhole: Sie bekommen von mir sofort 25000 Goldmark in englischen Banknoten ausgezahlt, wenn…“

Abermals unterbrach sie ihn.

„So?! Da muß Ihnen Ursula, die Sie töten wollten, die sie in den Oberarm stachen, ja ungeheuer viel wert sein, Herr Fritz Kolbe! Lieben Sie sie etwa?!“

„Vielleicht…“

„Und dann suchten Sie sie zu ermorden?! Ein merkwürdiger Verehrer!“

Kolbe lachte leise. Es klang nicht unangenehm.

Er schien belustigt zu sein.

„Ursula kam als Spionin zu mir, Fräulein Marholz. Sie wollte gewisse Fotos stehlen. Es ist eigentümlich: Ich, ein reifer, vielseitig gebildeter Mann verliebte mich in dem Augenblick in sie, als sie mir eine Pistole vor die Stirn hielt und bewies, daß sie genau soviel Mut besaß wie Sie…“

„Danke. Ihre Schmeicheleien beleidigen mich…“

„Ist das Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit?“

„Ja!!“

„Das bedauere ich außerordentlich…“

Schwüle Pause…

„Ich möchte darauf hinweisen, daß mein Personal nicht im Hause wohnt, Fräulein Marholz, daß Sie hier also ganz umsonst um Hilfe rufen würden…“

„Was soll das?!“

Man merkte, daß Gisela ängstlich wurde.

„Es gibt in der Medizin gewisse Mittel“, erklärte Kolbe eisig, „die die Widerstandskraft selbst der charakterfestesten Personen derart lähmt, daß…“

„… Wollen Sie etwa…“

„… Ich werde!! Und dann werden Sie doch alles verraten und… kein Geld erhalten… nichts! Überlegen Sie sich das!“

Sie schwieg lange Zeit.

Da wir das dicke Teppichgewebe der Vorhänge nicht mit dem Messer zerschneiden konnten (es hätte zu viel Geräusch gemacht), sahen wir nichts von den Vorgängen in Kolbes Sprechzimmer.

Daß es sein Sprechzimmer war, bewies der Geruch…

Wir warteten ungeduldig auf Giselas Antwort.

Plötzlich erklärte sie halb schluchzend:

„Sie… Sie sind ein Teufel… Ich fürchte Sie. Ich weiß, ich werde mich hinterher selbst verachten, weil ich meine Freundin verraten habe…“

Ihr Weinen verstärkte sich…

„Wo also?“, fragte Kolbe schmeichelnd…

„Oh, — wenn ich schon so… feige bin, dann will ich mir meinen Verrat auch bezahlen lassen… Erst das Geld… Bitte… — erst das Geld!“

Ihr Anfall von Schwäche war bereits wieder vorüber.

Kolbe mußte dies bemerken.

Er fürchtete wohl, daß sie sich eines anderen besinnen könnte.

„Ich vertraue Ihnen, wenn Sie mir beim Andenken Ihrer Eltern schwören, mir die Wahrheit zu sagen. Schwören Sie!“

„Gut, — ich schwöre. Aber ich verlange vorher das Geld, und dann will ich Ihnen draußen auf der Straße in der Nähe, eines Polizeibeamten den Ort nennen, — denn ich traue Ihnen nicht!“

„Sehr vorsichtig… sehr… — Trotzdem bin ich einverstanden, nur eine Gegenbedingung stelle ich: Wir fahren in meinem Auto in einen anderen Stadtteil, und Sie bleiben mit verbundenen Augen so lange im Auto sitzen, bis…“

„Das alles ist zu entsetzlich, um es noch länger auszuspinnen!“, rief Gisela halb verzweifelt.

„Ich werde mir die Augen verbinden lassen, und…“

„Danke, wir sind einig“, sagte Kolbe ganz geschäftsmäßig.

„Entschuldigen Sie mich einige Minuten… Jeder Fluchtversuch wäre zwecklos… Ich habe mein Geld nebenan…“

Harst wagte jetzt sehr viel, als er die Vorhänge auseinander schob…

Aber Kolbe entfernte sich nach links, dort mußte das Wartezimmer liegen.

Er drückte die Tür hinter sich zu, kehrte sehr bald zurück und — jetzt schaute auch ich durch die schmale Ritze — reichte Gisela mit einer Verbeugung einen Umschlag…

„Bitte, zählen Sie… Es sind 25000 Goldmark in…“

Sie blickte nur flüchtig in den gelblichen Umschlag und stopfte diesen in ihre Bluse.

Dann erhob sie sich.

„Gehen wir also, Herr Doktor Friedrich Bolk, praktischer Arzt und Zahnarzt“, rief sie in wildem Triumph…

Der Mann mit der Hornbrille im weißen Arztkittel fuhr leicht zurück.

„Ja — — Doktor Bolk!“, sagte Gisela hohnlachend. „Sie hätten von Ihrem Schreibtisch auch dieses Rezeptformular entfernen sollen… Es war zwischen diese Zeitungen geraten! Und die Pistole aus der Schieblade habe ich auch‥! Ich weiß mit Waffen umzugehen… Sie ist entsichert, und — — ich knalle Sie nieder, erbarmungslos!!“

Das Mädel hatte Schneid…

Nur…

Doktor Bolk lachte schallend…

„Mein liebes törichtes Kind, eine Pistole ohne Patronen im Patronenrahmen ist nicht einmal als Zigarrenanzünder zu benutzen! — Ich hasse auch derartige Wildwestszenen, und…“

Sie hatte sich täuschen lassen…

Sie schaute ihn enttäuscht und verwirrt an.

Plötzlich sprang er zu, — er war flink, gewandt, und das Ringen um die Waffe dauerte nur Sekunden.

Ich wunderte mich, daß Harald nicht eingriff, — er hatte wohl seine Gründe dafür.

Erschöpft sank Gisela in den Sessel zurück und preßte beide Hände vor das Gesicht, während ihr schlanker Leib von wildem, lautlosem Schluchzen hin und her geworfen wurde.

Auch den Umschlag mit dem Gelde hatte Doktor Bolk ihr entrissen, und ohne sich weiter um sie zu kümmern, betrat er wieder das Nebenzimmer, ließ die Tür sorglos offen, und — — Harst huschte vorwärts, ich folgte, — wir beobachteten Bolk, wie er im Wartezimmer eine der Röhren des Heizkörpers unter dem Fenster heraushob…

Das war sein Tresor…

 

 

10. Kapitel

Die letzten Fragen.

Harst zog mich wieder hinter die Vorhänge.

Gisela hatte nicht einmal gemerkt, daß wir an ihr vorübergeschlichen waren.

Bolk setzte sich an den Schreibtisch.

„Fräulein Marholz, die Dinge liegen nun etwas anders, nachdem Sie meinen wahren Namen und Beruf und Wohnung durch das Rezeptformular entdeckt haben. Ich bedauere, Sie nicht freilassen zu dürfen, und ich werde die gewisse Injektion, die…“

Harst und ich schnellten herum.

Ein Lichtschein hatte uns getroffen…

Vier Männer standen vor uns, — der eine war Heinz Ritter, der zweite die verkleidete Frau Gepheld, — die beiden anderen kannten wir nicht.

Ritter, der eine Blendlaterne trug, legte den Finger auf die Lippen…

„Still, meine Herren“, flüsterte er heiser vor Erregung, „ich bin Ihnen beiden gefolgt und habe dann meine Freunde herbeigerufen… Jetzt rechnen wir mit Kolbe ab…“

Im Nu hatte man uns beiseite geschoben, im Nu waren die vier im Sprechzimmer, umringten den totenbleichen Feigling, der von diesen Gegnern keine Schonung zu erwarten hatte.

Doktor Bolk hatte trotz all seiner grauenvollen Furcht nur Augen für Frau Anna Gepheld…

Entsetzt blickte er auf deren schmale, weiße, welke Hand, die er einst, als noch ein Brillantarmband das Handgelenk schmückte, vielleicht so begehrlich betrachtet hatte.

Das Stimmengewirr der Gegner Bolks ward übertönt durch Harsts energischen Anruf:

„Keine Mißhandlungen bitte! — Ich weiß jetzt alles, was ich wissen wollte, — bis auf eine Kleinigkeit…“

Ritter war es, der gleichfalls die anderen zur Ruhe ermahnte.

„Laßt Herrn Harst reden! Ihm haben wir es zu danken, daß Kolbe-Bolk gefunden wurde…“

Er hatte Gisela emporgerichtet und hielt sie an seiner Seite fest. Eng umschlungen standen sie da, — selig, daß sie sich wiederhatten…

Auch die Geheimrätin zeigte sich sehr gefaßt und erklärte äußerst liebenswürdig, — ihre Geisteskrankheit konnte kaum gefährlich sein:

„Herr Harst, die Hauptfrage wäre die: Wie fanden Sie Bolk in dieser Millionenstadt heraus?“

„Sehr einfach war es“, erwiderte mein Freund in seiner oft nur zu knappen Art. „In dem Handtäschchen Ihrer Freundin Thekla Linden lagen zerknitterte Rechnungen, darunter auch die eines Zahntechnikers oder besser Zahnarztes, wie ich vermutete. Von dieser Rechnung fehlten oben und unten ein abgeschnittenes Stück, so daß der Name des Zahnarztes gleichfalls fehlte. In der Hoffnung, daß diese Formulare sich einst beim Druck verschoben haben könnten, so daß auf der Rückseite der mir vorliegenden Rechnung die frische Druckerschwärze einen Abdruck des Kopfes des Formulars hervorgerufen haben mochte, vergrößerte ich die Rückseite fotografisch und wandte auch noch andere Methoden an. Der Versuch gelang. So fand ich Doktor Bolks Namen und Adresse, und die Ähnlichkeit der Namen Bolk und Kolbe — es fehlt nur das e bei Bolk und die Buchstaben sind umgestellt — gaben mir die Gewißheit, den richtigen entdeckt zu haben.“

Er wandte sich nunmehr dem Arzte zu.

„Sowohl als Kolbe wie als Bolk haben Sie Ihre Patientinnen und Patienten äußerst raffiniert bestohlen. Wenn Sie die Ärmsten behandelten, fotografierten Sie deren Schmucksachen. Gerade während der Inflation trugen viele Ängstliche ihren Schmuck stets bei sich. Nach den Fotos stellten Sie Imitationen her — Sie dürften auch ein sehr geschickter Goldarbeiter sein! — betäubten dann Ihren Patienten, tauschten den Schmuck aus, behielten den echten für sich und überließen die Ärmsten der entsetzlichen Enttäuschung, nachher nur über Similischmuck zu verfügen…“

Bolk saß mit hängendem Kopf da…

Er widersprach nicht.

„Doktor Bolk, da ich auch Ihren Tresor entdeckt habe, werden die Geschädigten, so auch Fräulein Thekla Linden, wahrscheinlich voll entschädigt werden können…“

Jetzt schnellte Bolk empor.

„Meinen Tresor?! Sie — — haben ihn…“

„Ja, — die eine Röhre des Heizkörpers ist eine Attrappe(2)…“

Bolk fiel wieder zurück…

„Also — — alles umsonst gewesen — — alles!“ stöhnte er… „Verwünschte Geldgier, — — ich…“

„Schweigen Sie!! — Nur eins erklären sie mir noch… Wie kam es, daß bei der Rechnung, die ich bei Thekla Linden fand, die Stücke weggeschnitten waren?“

Bolk erwiderte matt:

„Das muß sie selbst getan haben… Sie hat die Rechnung nie bezahlt und sie schuldet mir noch sechzig Mark, die…“

„Lump, Halsabschneider!!“, brüllte ihn einer der uns unbekannten ‚Rächer‘ an. „Ich wünschte, man könnte dich sechzig Jahre ins Zuchthaus stecken!!“

— Nun, das Gericht hat Doktor Bolk immerhin für sechs Jahre hinter schwedische Gardinen geschickt.

Als wir beide nach dieser erfolgreichen und ereignisreichen Nacht daheim noch bei einer Tasse Mokka beieinandersaßen und den Fall B. d. R. nochmals erörterten, reichte mir Harst auch die vier Sitzungsprotokolle des B. d. R., dessen Streben, Ziel und Zweck es war, Fritz Kolbe aufzustöbern und ihn härter zu bestrafen, als das Gesetz dies tun würde.

Diese Protokolle waren mit Schreibmaschine geschrieben und höchst eigenartige Dokumente.

Aus gewissen Gründen haben wir sie verbrannt.

Es stand so manches darin, was die Behörden nicht gebilligt hätten.

Seit einiger Zeit verkehrt bei uns hartgesottenen Junggesellen eine weißhaarige feingeistige Frau: Thekla Linden.

Zuweilen bringt sie auch ihre Freundin Anna Gepheld mit, die nun fast völlig genesen ist.

Harst, der sogenannte ‚schwere‘ Gespräche bevorzugt, schätzt unsere beiden weißhaarigen Freundinnen noch mehr, als ich es tue.

Mir sind die beiden jungen Ehepaare mit ihrem Frohsinn lieber… —

Ich glaube, dies dürfte ein Inflationskriminalfall sein, an dem niemand Anstoß nehmen wird…

Die Billionenfluten des Papiergeldes von damals sind inzwischen in die Öfen gewandert oder zum Tapezieren stiller Kämmerlein benutzt worden.

Immerhin: Auch ich war damals Billionär…

Heute?

… Heute ist‘s nur noch eine Mär… ein toller Traum…

 

 

Nächster Band:

Der Liftboy vom Atlantik.

 

 

Anmerkungen:

(1) Vorlage Grunewald-See

(2) Vorlage: Atrappe