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Einer, der die Freiheit haßte …

 

 

Harald Harst

 

Band: 370

 

Einer, der die Freiheit haßte 

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1934 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

 

1. Kapitel

Elida Falk und ihr Chef.

Elida hörte die Vorschläge Dr. Gundels mit steinernem Gesicht an, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.

Doktor Robert Gundel schloß seine langen, sorgfältig überlegten Ausführungen mit den Worten: „Ich meine es nur gut mit Ihnen, Fräulein Falk. Ich muß eine der Damen meines Büros mit auf die Reise nehmen. Sagen Sie mir bitte morgen endgültig Bescheid.“

Er verneigte sich höflich und Elida war entlassen. Aber – sie ging nicht. Sie schaute den Mann mit dem dünnen schwarzen Scheitel und dem goldgefaßten Monokel nur unerwartet an und erwiderte sehr bestimmt: „Zu meinem Bedauern muß ich schon jetzt ablehnen, Herr Rechtsanwalt. Ich kann unmöglich nach Italien reisen, wenn ich über meines Verlobten Verbleib auch fernerhin im ungewissen bin.“

Dr. Gundel drehte seine Füllfeder zwischen den tadellos gepflegten Finger und zeigte nur ein schwaches Achselzucken. „Wirklich sehr bedauerlich,“ meinte er ohne sonderliche Enttäuschung. „Haben die Erkundigungen so gar keinen Erfolg gehabt?“

„Nein!“ Es klang recht kühl ablehnend und ebenso jede weitere Frage im Keim erstickend.

Dr. Gundel schaute auf und begegnete Elidas Blick. –

Er war ein sehr guter Menschenkenner, ein noch besserer Schauspieler auf der großen Bühne des Lebens und vor Gericht zur Zeit der gesuchteste Verteidiger. Seine Art, wie er die Geschworenen und sogar die Berufsrichter für einen Klienten zu Milde zu stimmen verstand, war berühmt.

Noch vor drei Jahren war er ein völlig unbekannter Anwalt mit einer wahren Hungerpraxis gewesen, und dann war der Umschwung über Nacht in wahrhaft märchenhafter Weise gekommen. Als Offizialverteidiger hatte Robert Gundel den Raubmörder Slewitzki vor den Geschworenen so glänzend herausgehauen, obwohl die Sache für den Angeklagten mehr als bedenklich stand, daß er fortan für die Unterwelt ‚der‛ Anwalt war, der ‚große‛ Gundel eben.

Er lehnte sich noch bequemer im Sessel zurück und fragte, indem er Elida mißbilligend ansah: „Weshalb wollen Sie nicht meine Unterstützung in dieser Angelegenheit in Anspruch nehmen, die ich Ihnen doch wiederholt schon anbot? Verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber in der Beziehung sind Sie mir unverständlich. Außerdem – ich bin auch darin ganz ehrlich – erwecken Sie durch diese Ablehnung nur den Eindruck, als fürchteten Sie, daß doch etwas Wahres an den unkontrollierbaren Gerüchten sein könnte, Ihr Verlobter habe sich Ihnen unter falschem Namen genähert und er hieße gar nicht so, wie er vorgab.“

In den graublauen Augen der schlanken Elida Falk glomm ein gefährliches Glitzern auf. Vorläufig kämpfte sie noch mit verbissener Energie für die Annahme, daß Harry Miller verunglückt sei, vorläufig …

„Woher wissen Sie das alles, Herr Rechtsanwalt?“ fragte sie nur.

„Durch die Detektei, die ich gelegentlich beschäftige, so auch in Ihrem Fall, Fräulein Falk.“

Elida war bleich geworden. Jetzt konnte sie doch nicht länger an sich halten. Ihre Augen weiteten sich vor Entrüstung, und ihre Stimme klang ganz fremd, als sie langsam erwiderte: „Und wer gab Ihnen ein Recht dazu?“

„Meine Stellung als Ihr Chef. Ich kann doch nicht gut die Braut eines – Hochstaplers bei mir beschäftigen!“

Der blonde schmale Kopf des jungen Mädchens sank langsam auf die Brust herab, aber – er flog wieder empor, gleichzeitig schoß eine Blutwelle über das zarte Gesicht hin, färbte es dunkelrot und drang bis zu den Stirnlöckchen empor.

„Halten Sie es für ehrenhaft, jemanden als Hochstapler hinzustellen, der sich nicht verteidigen kann?!“ meinte sie mit so klarem Vorwurf, daß Robert Gundel sich auf die Lippen biß.

„Fräulein Falk,“ entgegnete er väterlich-freundlich, „wenn jemand jedes Wort genau abwägt, und nie ins Blaue hineinredet, so bin ich es. Ich habe die Beweise, daß der Mann, der sich Ihnen als Harry Miller genähert hat, in Danzig gewohnt hat, bevor er hier nach Berlin zog und jene Agentur eröffnete.“

Gundel zog eine der Schiebladen seines Schreibtisches auf und holte ein paar Bogen Papier hervor, die mit Maschinenschrift bedeckt waren.

„Bitte, hier sind die Ergebnisse der Nachforschungen der Detektei ‚Argus‛. Lesen Sie sie in aller Stille durch, auch das, was die Detektei über die Agenturgeschäfte dieses angeblichen Miller ermittelt hat. Ich bedaure Sie von Herzen, Fräulein Falk. Sie sind aber bestimmt einem ganz gewissenlosen Betrüger in die Hände gefallen.“

Elida nahm die Blätter entgegen, als wäre es ihr Todesurteil. Ihre Wangen hatten wieder jede Spur von Farbe verloren, und ihre Lippen zuckten wie im Krampf, als sie sich nun tonlos bedankte und bat, Gundel möge ihr für den Rest des Tages freigeben, sie könne heute unmöglich weiterarbeiten.

Er reichte ihr die Hand und nickte ihr aufmunternd zu. – –

*

Zu derselben Stunde öffnete der Aufseher des Amtsgerichtsgefängnisses in dem bekannten Ostseebad Zoppot die Zelle Nr. 12 und brachte dem dort seit etwa vier Wochen in Haft sitzenden Gregor Risat das Abendessen.

Der alte Aufseher Gottlieb Melcher hatte noch nie für einen Häftling so viel menschliches Interesse gehabt, wie für diesen seltsamen Kauz von Gauner, der da in Nr. 12 gegen alle Instruktionen den ganzen Abend über Walzerlieder, Tangos und Foxtrotts besser als ein Kunstpfeifer pfiff und zuweilen sogar mit so schmelzender Stimme ernste Lieder sang, daß auch Melchers Frau dann herbeigeschlichen kam und andächtig zuhörte.

„‛n Abend, Risat!“ begrüßte er seinen Liebling und schob das Teebrett auf den kleinen Tisch. „Heute so still? Wo bleiben denn die schönen Lieder? Heute ist doch der Operettenabend, meine Frau wartet schon!“

Risat war ein hübscher junger Mensch mit freiem Blick und unverwüstlichem Humor, der ihm aus den grauen Augen strahlte, wie anderen etwa die Hinterhältigkeit.

Er saß auf der Bettkante und schaute seinen Freund und Gönner sehr ernst an. „Herr Melcher,“ sagte er traurig wie noch nie, „Sie haben mich auf dem Gewissen, nur Sie!“

„Nanu – was soll denn das nun wieder?!“ –

Der alte Mann war völlig sprachlos.

Risat seufzte. „Es ist leider so! Wenn Sie mich schlecht behandelt hätten, wäre niemals das Gewissen bei mir erwacht. Aber Sie haben es durch Ihre warme Herzensgüte und Ihre Frau durch die Leckerbissen, die Sie mir zusteckte, geweckt. – Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich hasse die Freiheit, ich will erst für all meine Vergehen büßen, bis ich wirklich …“

Melcher unterbrach ihn entsetzt. „Um Himmels willen, Risat, haben Sie denn noch etwas verbrochen?! – Ich will nichts hören – nein, nichts! Sie wollen mich nur beschwindeln und mich nachher auslachen!“

Risat hatte den Kopf ganz tief sinken lassen und etwas wie ein Schluchzen drang aus seiner Kehle hervor.

„Freund Melcher, gegen ein erwachtes Gewissen ist nicht anzukommen! Ich war es, der den Einbruch hier bei dem Herrn verübt hat und ihm die Uhr, die Ringe und die Brieftasche stahl. Sie erinnern sich, der Herr wohnte in der Südstraße bei der Witwe Köhnke, die beinahe selbst in Verdacht geriet, die Sachen entwendet zu haben. Ich bin der Dieb, und meine Beute liegt im Südpark, unter der alten Buche, unweit des Warmbades, nach der See zu. All das werde ich morgen vor dem Herr Rat zu Protokoll geben und um eine milde Strafe bitten.“

Er hielt den Kopf noch immer gesenkt, und abermals kam aus seiner Kehle ein Ton wie ein Schluchzen, so daß es dem braven Melcher ganz weich ums Herz wurde.

Schon zwei Tage drauf stand Gregor Risat wieder vor dem Zoppoter Schöffengericht und erhielt unter Zubilligung mildernder Umstände abermals nur einem Monat Gefängnis aufgebrummt.

„Ich danke dem hohen Gerichtshof,“ erklärte er nach der Urteilsverkündung. „Ich nehme die Strafe an und will sie sofort absitzen.“

Unter den Schöffen, die dieser Verhandlung beiwohnten, befand sich auch der Rentner Roderich Timm, ein Mann, der in ganz Zoppot als Sonderling bekannt war.

Timm war der Schrecken des alten Amtsgerichtsrats Steiner, des Aufsichtsrichters und Vorsitzenden des Schöffengerichts. Auch in der Verhandlung gegen Risat stellte Timm wieder allerlei Beweisanträge, die hauptsächlich die Vergangenheit des Angeklagten betrafen. Sie wurden abgelehnt, aber gegen den Protest des Rentners.

Als die Sitzung vorüber war, begab sich Timm, innerlich doch noch immer sehr erregt, was er klug zu verbergen wußte, in sein hübsches Heim zurück, das an einer auf der Höhe des nördlichen Bergabhangs gelegenen Villa bestand und schon äußerlich verriet, daß Timm im sehr guten Verhältnissen leben mußte. Er war reich, hielt sich aber nur eine Köchin, einen Diener und ein Stubenmädchen. Die beiden weiblichen Mitglieder seines Heims galten für stumm, nur der Diener Jan Jürgen besaß dafür zum Ausgleich erhöhte rednerische und geistige Fähigkeiten und war der Vertraute seines Herrn.

Kaum war Timm daheim, als er Jan Jürgen mit in sein Zimmer nahm und ihm einen langen Vortrag hielt, den der frühere Kriminalwachtmeister und jetzige Villenhausmeister, wie er sich selbst nannte, in einem Klubsessel sitzend und eine dicke Importe rauchend, anhörte und sodann sein eigenes Urteil über die Sache abgab.

„Herr Timm,“ erklärte er unter anderem respektvoll, „bedenken Sie, daß das Risiko für uns sehr groß ist. Gerade die Beiden sind dafür bekannt, daß sie stets nach besonderen Methoden arbeiten, und was dabei zum Schluß für uns herauskäme, ist gar nicht zu übersehen. Wir dürfen nie vergessen, daß wir wohl den Zoppotern mit Leichtigkeit Sand in die Augen zu streuen vermögen, nicht aber diesen Berliner Oberschnüfflern!“

„Gerade das reizt mich,“ meinte Timm darauf mit einem spöttischen Lächeln, das nur Jan Jürgen zu sehen bekam. Roderich Timm war trotz des Titels ‚Rentner‛ erst fünfunddreißig Jahre alt. Er sah weit älter aus und verunzierte sich durch eine bläuliche Brille sowie durch gesucht altmodische Kleidung und hatte nebenher soviel Eigentümlichkeiten, daß das Gerede von einem leichten ‚Gehirnknax‛ berechtigt schien.

 

 

2. Kapitel

Die Villa des Sonderlings und anderes.

Elida Falk saß am 11. September mit steinernem Gesicht bei uns in unserem Büro, berichtete ihr großes Leid und bat um unsere Unterstützung. „Harry kann kein Betrüger gewesen sein,“ betonte sie immer wieder. „Ein so sonniger und heiterer Mensch wie er, dem die Ehrlichkeit aus den frohen Augen leuchtet, ist kein Betrüger!“

Harald versprach ihr, alles zu tun, was in seinen Kräften stünde, riet ihr jedoch, das Angebot ihres Chefs anzunehmen und die Reise nach Italien nicht auszuschlagen. „Es ist nicht unbedingt nötig, Fräulein Falk, daß Sie Gundel mitteilen, Sie seien bei uns gewesen. Je weniger Leute wir einweihen, desto besser. Nur eins tun Sie bitte, schicken Sie mir telegraphisch stets kurze Berichte über den Verlauf Ihrer Reise und benutzen Sie dann diesen Abkürzungscode.“

Er reichte ihr ein Büchlein, das er nur sehr selten aus der Hand gab.

Am übernächsten Tag erhielten wir aus Zoppot folgenden Eilbrief:

Meine Herren,

ein gütiges Schicksal hat mich, der ich Junggeselle bin, mit irdischen Gütern so gesegnet, daß ich es mir erlauben darf, ausschließlich meinen Neigungen zu leben. Durch mein nicht vollendetes juristisches Studium oder durch die Lektüre der besten Kriminalromane bin ich, wenn ich so sagen darf, theoretischer Kriminalist geworden …

Ich lasse hier größere Teile des Briefes weg, da sie unwichtig sind. –

Eine praktische Bestätigung wäre nach dem über mich Gesagten schon infolge meiner Gebrechen unmöglich…

Der Fall Gregor Risat dürfte bisher nur Lokalinteresse gehabt haben und Ihnen kaum zu Ohren gedrungen sein …

Die Sache ist nun kurz die: Nachdem der Häftling Gregor Risat so genau das Versteck seiner damaligen Beute bei dem Untermieter der Witwe Köhnke bezeichnet hatte, war die Polizei natürlich sofort in den Südpark geeilt und hatte unter der Buche nachgegraben. Man fand dort das, was seinerzeit der bestohlene Kurgast namens Werner Weng als ihm abhanden gekommen gemeldet hatte, und das waren außer Schmucksachen insgesamt dreitausend Mark Bargeld.

Bevor dann noch die Polizei bei Herrn Weng, der in Berlin wohnte, angefragt und ihm gemeldet hatte, daß er sein Eigentum zurückerhalten können, war mein Hausverwalter Jürgen auf meine Veranlassung hin der hiesigen Polizei schon drei Jürgensche Nasenlängen voraus – er ist nämlich bei der Nasenverteilung unfehlbar an das Riechorgan eines alten Türken geraten – und hatte in Berlin, wohin er sich mit dem Flugzeug begab – Rückkehr auf dieselbe Art – festgestellt, daß es einen Ingenieur Werner Weng in Berlin, Spittelmarkt, überhaupt nicht gab und nie gegeben hatte, und daß auch in ganz Berlin ein solcher Herr unbekannt war.

Außerdem war Jürgen noch einen Schritt weitergegangen und hatte von sich aus noch ermittelt, daß dieser komische Bestohlene bereits drei Tage nach dem Diebstahl Zoppot verlassen hatte, und daß von ihm nie wieder irgendeine Anfrage in seiner Angelegenheit eingetroffen war, weder bei der Polizei, noch bei Frau Köhnke, seiner damaligen Wirtin.

Und noch mehr, was die Sorgfalt und Pfiffigkeit Jürgens ins allerbeste Licht rückt: Er hatte durch emsige Rundfragen bei dem Zoppoter Polizeibeamten herausgefunden, daß dieser Weng ein älterer Herr mit Vollbart und Brille gewesen und – darauf kam es an – daß dieses sein Äußeres in schroffem Gegensatz zu den Angaben über sein Alter in der polizeilichen Anmeldung gestanden habe, wo er 28 Jahre angegeben hatte.

Das wäre das Ergebnis der Ermittlungen meines treuen Jürgen.

Unter diesen Umständen habe ich mich entschlossen, der Sache aufs genaueste auf den Grund zu gehen und bitte Sie beide daher, mein unten angegebenes, für Sie auch pekuniär sehr günstiges Angebot nicht auszuschlagen. Wohnen können Sie bei mir. Kommen Sie nicht unter Ihrem Namen hierher.  Ihr sehr ergebener

Roderich Timm, Zoppot, Höhenweg Nr. 5

Das Angebot Timms war allerdings sehr verlockend. Wir trafen am folgenden Tag bei dem Rentner als alte Bekannte aus der Studienzeit ein und wurden zuerst von dem unübertrefflichen Jürgen empfangen, der auf mich allerdings einen ziemlich hinterhältigen Eindruck machte. Der sonngebräunte, stämmige und sehr wortkarge Hausmeister schien über unser Erscheinen keineswegs entzückt zu sein.

Die Villa war wunderschön gelegen und hatte einen großen Garten, der sich den steilen Abhang hinab bis zur Wiese und nach der andern Seite bis zum Hochwald erstreckte.

Timm begrüßte uns sehr erfreut. Er war ein sehr hagerer, lahmer Herr, mit Hornbrille, etwas kahlem Kopf und von grenzenloser Bescheidenheit, der für all und jedes um Entschuldigung bat. Es fehlte nur noch, daß er um Verzeihung bettelte, daß er überhaupt die Freiheit gehabt habe, auf die Welt zu kommen und die Menschen durch seine Gegenwart zu belästigen.

Das uns zugewiesene Quartier im ersten Stock der Villa bestand aus zwei Fremdenzimmern mit hübschen gefälligen Möbeln und einem Balkon, von dem aus wir die See weithin überblicken konnten. Beim gemeinsamen Frühstück warnte Timm uns eindringlich vor den Bewohnern der Nachbarvilla, die einer Witwe nebst Tochter gehörte.

„Es sind sehr neugierige und mißgünstige Menschen,“ erklärte er erbittert. „Sie machen mich schlecht, wo sie können, und streuen Gerüchte über mich aus, die jeder Grundlage entbehren. Die Tochter ist die schlimmste. Hüten Sie sich vor den Gründels!“

Hinterher besprachen wir bei einer Tasse Mokka den Fall Risat und vernahmen eine ganze Menge kleiner Einzelheiten, die recht wertvoll waren. Timm soweit einzuweihen, daß wir auch unsererseits die Karten aufdeckten, dazu bestand keine Veranlassung, das wäre auch gegen meines Freundes Prinzipien gewesen.

Roderich Timm betonte, daß seiner Ansicht nach der Gefangene von Nr. 12 noch sehr böse Dinge auf dem Kerbholz haben müsse, worin Harald ihm vollkommen beipflichtete.

Bei der weiteren Aussprache zeigte es sich, daß Timm über Privatdetektive doch recht eigentümliche Vorstellungen hatte, und daß auch seine theoretischen Kenntnisse über Kriminologie und verwandte Wissenschaften nur sehr oberflächlich waren. Für einen Mann von fünfunddreißig war er ein fast bedauernswertes Gebilde von Schrullen, Narrheiten und halbverdauten Kenntnissen über Verbrechen und Verbrechertypen. Er rauchte nicht, aber er priemte einen ganz leichten, von ihm selbst hergestellten Kautabak, der mehr Malz als Tabak enthielt, und den man getrost einem Säugling hätte geben können. Er trank nur Rotwein mit Sauerbrunnen, und es war ein Jammer, daß er den alten Jahrgang St. Emilio derart verwässerte.

Beinahe jeden Satz pflegte er einzuleiten: ‚Ich will ja niemandem meine Meinung aufdrängen, aber wenn ich mir überhaupt eine Ansicht gestatten darf, so…‛ – kurz, er war einfach das, was der Berliner mit ‚Nulpe‛ bezeichnet.

Nach dem reichlichen Mittagessen zogen wir uns zu einem Schläfchen auf unsere Zimmer zurück.

Als wir allein waren, fragte ich Harald gedämpft, denn dem Diener Jürgen traute ich es wohl zu, daß er uns behorchen könnte:

„Nun, wie gefällt er dir?“

Harald sagte ganz laut und log mithin: „Ausgezeichnet! Ein sehr kluger, feiner Kopf, der auch ohne uns alles herausgefunden hätte, was hier herauszufinden ist.“

Als er dies gesagt hatte, legte er die Finger auf die Lippen, blickte mich warnend an, deutete mit dem Daumen nach der Tür hin, und … ich sprang zu und riß sie auf.

Mit einem Schrei fuhr die hagere Köchin, die angeblich taub war, und zum Schein Besen und Schaufel in der Hand hielt, zurück und erklärte schnell gefaßt, grinsend, sie fege den Flur.

Daß ich mich in dieser zweifelhaften Umgebung nicht sehr behaglich fühlte, ist wohl zu begreifen, und daß dieses Unbehagen sich noch steigerte, als Harald im Wohnzimmer und in unserem gemeinsamen Schlafzimmer in den elektrischen Hängelampen und hinter der Tapete im ganzen acht, bitte: acht!!, schlau versteckte Mikrophone entdeckte, die natürlich nur dazu da waren, und zu belauschen, erscheint sicher erklärlich.

Aber es sollte noch besser kommen. Da wir einsahen, daß wir hier kein ungestörtes Wort miteinander sprechen könnten, begaben wir uns in den Garten, wo unter den Kiefern und Buchen, nach dem Hochwald zu, so recht einladend, zwei Hängematten festgebunden waren. Harald schnitt dazu ein sehr ironisches Gesicht und deutete verstohlen auf ein paar Drähte, die droben in den Zweigen versteckt zum Haus liefen.

Wir wählten daher einen Platz im Gras, dicht am Zaun zum Nachbargrundstück, und hatten hier kaum die ersten Worte gewechselt, als durch eine Ritze des Bretterzaunes eine helle, aber leise Stimme an unser Ohr drang:

„Herr Harst, seien Sie vorsichtig! Bei Timm sind schon drei Leute spurlos verschwunden. Es ist ein Verbrechernest!“

Wer das flüsterte, konnten wir nur erraten. Es mußte Fräulein Jessie Gründel sein, die Tochter der Witwe.

Das war ja alles in allem ein recht hübscher Anfang für unsere hiesige Tätigkeit.

Es war aber erst der Anfang.

Jedenfalls meldete sich die Dame hinter dem Zaun nicht mehr. Am unangenehmsten und überraschendsten war uns, daß sie genau wußte, wer wir waren.

Woher ‥?!

 

 

3. Kapitel

Die Sache wird bitter ernst.

Ich schlief dann wirklich im Gras ein, woran der St. Emilio Schuld war. Es war halb fünf, als Harald mich derb rüttelte und ich sofort auf die Beine sprang, denn in meine wirren Träume hinein war der äußere Eindruck eines gellenden Schreis gedrungen. Harst jagte schon mit gewaltigen Sätzen nach der Villa hin und rief mir zu:

„Das war eine Frauenstimme!!“

In der Diele fanden wir den Hausherrn und sein ganzes Personal mit bestürzten Gesichtern versammelt. „Wir haben schon alles durchsucht,“ rief uns der sehr bleiche Timm zu. „Wir fanden niemand. Und doch kam der Schrei aus der Diele hier. Therese hat ihn deutlich gehört. Sie hat nämlich Tage, an denen sie nicht so ganz taub ist – aber selten.“

Die Köchin grinste und zeigte ihre Goldplomben, und der Diener Jan Jürgen stand mit unheimlich finsterem Gesicht dabei, hatte ein Tuch um die Backe geschlungen und schien plötzlich an Zahnschmerzen zu leiden. Sein struppiges krauses Haar war durch das Tuch sehr in Unordnung geraten, und in seinen Augen loderte noch eine Wut, die er nicht verhehlen konnte

Harald schaute sich die vier nacheinander an und sagte dann zu Jan: „Ist es so schlimm? Sie sollten zum Zahnarzt gehen!“

Aber das war nur die Einleitung. Mit einem Mal packte er zu und riß dem Diener das Tuch von der Backe.

Jans linke Wange war zerkratzt, ganz frisch. Das Blut lief noch. Die Fingernägel, die sich gegen Jan zur Wehr gesetzt hatten, mußten sehr spitz gewesen sein.

Mein Freund wandte sich an unseren Klienten Timm, der jetzt noch verstörter war: „Ich werde das Haus durchsuchen, Sie bleiben alle hier und rühren sich nicht vom Fleck, oder ich werde ungemütlich!“

Da trat mit einem Mal das Stubenmädchen vor, begann zu heulen. „Ich habe geschrien. Ich wollte Jan nur ärgern. Er schnüffelt überall umher!“

Diese Anna war eine noch junge, hübsche Person und hatte dieselben niederträchtig-heimtückischen Augen wie Jan. Das war ihr einziger Fehler.

Harald musterte sie von oben bis unten und befahl mir dann, ich solle in der Diele bleiben. Er selbst verschwand nach der Küche zu, und durch die gläserne Pendeltür sah auch Timm, der Theoretiker, daß mein Freund sich in den Keller begab.

Roderich Timm sank mit einem verzweifelten Stöhnen in den nächsten Korbsessel und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, während Jan mich mit einem Blick beehrte, der mich veranlaßte, sehr eilig meine Pistole zu ziehen und den vier Herrschaften klarzumachen, daß ich notfalls auch schießen würde.

Jan Jürgen, der ebenfalls recht farblos im Gesicht geworden war, zog die Hand schnell wieder aus der Tasche. Er hatte sicherlich nach einer Waffe greifen wollen. Da die Dinge sich nun schon so weit zugespitzt hatten, befahl ich den Vieren, sich mit hochgereckten Armen an die Wand zu stellen. Sie gehorchten, aber Roderich Timm erklärte dabei: „Herr Schraut, wenn ich mir überhaupt eine eigene Meinung gestatten darf, so möchte ich betonen, daß ich gegen diese Behandlung protestiere!“

„Ich auch!“ ließ sich Jan zähneknirschend vernehmen, was mich jedoch absolut nicht rührte.

Nach reichlich zehn Minuten war Harald wieder da. Er stutzte bei dem Anblick meiner Gefangenen.

„Was soll das?“

„Jan griff in die Tasche,“ erklärte ich ärgerlich, denn Harald schien mit meinem Vorgehen nicht einverstanden zu sein, was ich nicht recht verstand.

„Jan, haben Sie eine Waffe bei sich?“ fragte Harst ganz freundlich.

„Blödsinn!“ sagte Jan ungeheuer geringschätzig. „Ihr Freund ist ein Angstmeier!“

Das war eine Frechheit, aber auch dazu blieb Harald still. Er trat an den finsteren Diener heran und durchsuchte ihn. Jan hatte nur ein Taschenmesser bei sich, und ich war der Blamierte. Der Diener feixte denn auch dementsprechend; ich war überzeugt, er hatte mich durch den Griff in die Tasche nur hineinlegen wollen.

„Jetzt glaube ich Ihnen, daß Sie geschrien haben, Anna,“ wandte Harst sich an das Stubenmädchen. „Tun Sie es aber nicht wieder, das kann, wie Sie sehen, zu bedauerlichen Mißverständnissen führen.

Der Hausherr trippelte hinkend auf uns zu und hielt dabei eine wohlgesetzte, langatmige Entschuldigungsrede, die zu einem allgemeinen Frieden führte. Daß dieser Frieden Bluff war, wußte ich. Niemand bringt einem Menschen derartige Kratzwunden bei, wenn er sich nicht in Not befindet. Die Waffe der Frau sind von jeher die Fingernägel gewesen, und ich nahm lediglich an, daß Harald in den Koffern nichts gefunden hatte und deshalb zunächst diesen versöhnlichen Ton anschlug und auf Jans Kratzwunden nicht weiter zu sprechen kam.

Gleich darauf begaben wir uns zum Amtsgericht, um dem Rat Steiner unsere Aufwartung zu machen. Timm hatte uns erklärt, der alte Herr arbeite regelmäßig bis sieben abends im Gerichtsgebäude. Unterwegs sagte Harald zu mir: „Es ist natürlich Schwindel, daß die Anna geschrien hat. Ich fand im Keller Spuren eines weiblichen Wesens, das in einem der Räume eingesperrt gewesen war. Außerdem entdeckte ich noch etwas, das ich dir nachts zeigen will.“

Zu weiteren Erklärungen war er nicht bereit und schnitt jede fernere Frage meinerseits mit der Bemerkung ab, er wüßte selbst noch nicht, was er von alledem zu halten hätte, und ich glaubte ihm, denn wir waren noch zu kurze Zeit Gäste in dem unheimlichen Haus, um uns ein abschließendes Urteil über die Leute dort bilden zu können.

Eins stand jedoch fest: Dieser merkwürdige Kriminaltheoretiker und sein Personal waren auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden und hatten uns aus noch nicht erkennbaren unlauteren Absichten nach Zoppot gelockt. So faßte ich die Gesamtlage auf.

Wie Harst darüber dachte, sollte ich erst weit später erfahren.

Rat Steiner war ein sehr liebenswürdiger Herr, der uns mit aller Zuvorkommenheit empfing und uns Platz zu nehmen bat. Als er hörte, daß Timm uns hierher gerufen hatte, lächelte er nachsichtig. „Ah, der Sherlock Holmes von Zoppot!! Reiche Leute verfallen doch auf die absonderlichsten Dinge!“

Bevor Harald ihn dann einweihte und erklärte, daß Risat bestimmt mit dem scheinbar verschwundenen Henry Miller identisch sei, bat er den Rat, unsere Anwesenheit hier zu verschweigen und all das, was ihm mitgeteilt wurde, als Dienstgeheimnis zu betrachten.

Rat Steiner war wie begreiflich zunächst etwas verwirrt über die Wichtigkeit des Gefangenen von Nr. 12 und wollte meinen Freund folglich mit Fragen überfallen.

„Verzeihung, Herr Rat! Würden Sie die Witwe Köhnke, bei der der angebliche Ingenieur Weng wohnte, holen lassen. Und zwar mit einer Taxe, die ich bezahle. Es eilt!“

Damit schnitt Harald zunächst weitere Fragen ab.

Bis zum Erscheinen der Frau Köhnke sprachen wir über Risats Benehmen als Häftling und über den alten Aufseher Melcher und dessen Frau.

Dann erschien die Köhnke. Sie war sich offenbar ihrer Wichtigkeit voll bewußt und wollte nun auf ihre Art die Unterhaltung führen. Harst schnitt ihr einfach das Wort ab und zeigte ihr eine Photographie Millers, die uns Elida Falk überlassen hatte. „Ist das der Ingenieur Weng, Frau Köhnke? Den Vollbart müssen Sie sich allerdings hinzudenken.“

„Ja, das ist er!“ rief die Frau sofort. Sie hatte nicht einen Augenblick gezögert, und ihre Bekundung war daher zweifelsfrei.

Als wir wieder allein waren, sagte Steiner erstaunt: „Dieser Miller, oder wie er sonst heißen mag, hat also die Sachen unter der Buche vergraben, um je nach seinem Wunsch sich erneut bestrafen zu lassen und seine Haft hier nach Belieben zu verlängern?“

„Zweifellos! Könnte ich ihn einmal sehen?“

„Gewiß. Er hat ja jetzt gerade sein Ausgang. Er spazieren im Gefängnishof umher und – singt. Das dürfte er natürlich nicht, aber –“ der Rat hob die Schultern – „aber bei einem Mann, der sich sonst so tadellos führt, drückt man eben ein Auge zu – oder beide. Kommen Sie, meine Herren! Wir werden ihn sehen und hören, ohne daß er und sieht.“

„Auf das Hören kommt es mir am meisten an,“ erklärte Harald halb scherzend.

Wir drei standen an einem der Fenster des Gefängnisses und schauten in den kleinen Hof hinab. Risat/Miller spazierte unter Melchers Aufsicht im Kreis umher und sang unausgesetzt Walzerlieder und Schlager, und er sang gut – nur schien er sich die Texte selbst gedichtet zu haben. Er machte einen vergnügten Eindruck und sah sogar in seiner Gefangenenkluft sehr nett aus.

Nachher saßen wir wieder im Dienstzimmer des Rates Steiner, und Harald erklärte diesem: „Wir müssen die Geschichte nun künstlich vorwärtstreiben. Der Fall Miller dürfte wirklich international werden, das heißt, es handelt sich wahrscheinlich um die Spur einer ganzen Bande, die wir hier zunächst in der Person des Risat aufgestöbert haben.“

Harsts Vorschläge fanden ein williges Ohr.

 

 

4. Kapitel

Die erste Nacht in der Villa Timm.

Am Abend desselben Tages betrat der alte Melcher gegen sieben Uhr wie stets die Zelle von Nr. 12 und brachte seinem einstigen Freund das Abendbrot – seinem einstigen Freund, denn mit der Freundschaft war es nun aus, nachdem der Herr Rat ihm erklärt hatte, der Risat müsse ein ganz schwerer Junge sein.

„Hier ist Ihr Abendessen,“ sagte Melcher dienstlich. „Hören Sie mit dem verdammten Pfeifen auf! Verstehen Sie mich!“

„Nanu, Vater Melcher, heute so kratzbürstig?! Welches Läuschen ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?“

Melcher schnauzte noch grimmiger, aber so recht aus dem Herzen kam es ihm nicht: „Ich bitte mir den nötigen Respekt aus!“

„Hm, sind Sie leicht angesäuselt?!“ lautete Risats Frage.

„Maul halten!! Hier ist außerdem die Verfügung, daß Sie morgen entlassen werden – Strafaufschub!“

Risat, der noch eben gelächelt hatte, wurde sehr ernst.

„Strafaufschub?! – Ich weigere mich! Ich habe nichts beantragt und …“

Dann schlug er mit einem Mal beide Hände vor das Gesicht und stöhnte verzweifelt.

„Vater Melcher! Vater Melcher! Mein Gewissen regt sich. Ich muß mir alles von der Seele reden!“

Gottlieb Melcher, der ja bereits wußte, was es mit diesen Geständnissen und dieser Reue auf sich hatte, der aber andererseits vom alten Herrn Rat sehr genaue Verhaltensmaßregeln empfangen hatte, fragte mit mäßigem Interesse:

„Haben Sie denn noch was ausgefressen?!“

„Ja – leider!“

Risat saß noch immer mit den Händen vor dem Gesicht auf der Bettkante.

„Ich … ich war es, der am 28. Juli dieses Jahres im Familienbad aus der Nebenkabine dem dicken Herrn die Uhr, die Börse und die Hosen stahl. Nachher konnte ich die Hosen doch nicht anziehen, da sie mir viel zu weit waren. Ich habe die Sachen … aus Reue versteckt!“

Zwischen seinen Fingern dran wieder ein Schluchzen hervor, aber heute war Vater Melcher hellhöriger und schrie ihn wütend an:

„Infamer Kerl, Sie lachen ja!!“

„Das sind Verzweiflungstöne,“ flüsterte Risat und fügte allzu eifrig hinzu: „Also die Sachen von dem dicken Herrn liegen –“ – er zögerte nun doch – „liegen, liegen … liegen …“

„Vaflucht, wo liegen sie denn?!“

„Ich schäme mich … Sie liegen in … in … in der … der …“

Melcher riß der Geduldsfaden. Er merkte, der Lump spielte ja nur wieder Theater.

„Also, wo liegt der Kram?!“

„Draußen an der Nordwestecke der Gefängnishofmauer … In der Erde, ein halb Meter tief … eingewickelt in einen alten Gummimantel.“

„Sie … Sie … sind …“ – aber was Risat nun für Melcher war, sprach dieser nicht aus, sondern stürzte hinaus, warf die Zellentür zu, eilte nach vorn und meldete dem Herrn Rat und uns, was der Kerl nun eingestanden hatte.

Wir begaben uns sofort an die Nordwestecke der Mauer. Melcher grub in dem Kartoffelacker nach und holte auch wirklich ein großes Paket hervor.

Dann rief der Rat die Polizei an und erkundigte sich, ob am 28. Juli dieses Jahres ein Diebstahl im Familienbad gemeldet worden sei.

Antwort: Ja, – aber nur schriftlich von dem Bestohlenen, nur schriftlich, direkt an die Polizei, nicht an den Bademeister.

Der Rat ließ die Anzeige sofort herbeischaffen und wir sahen so, daß es sich um eine getippte Anzeige mit einer völlig unleserlichen Unterschrift handelte.

Harald erklärte darauf: „Sie besinnen sich, Herr Rat, daß Frau Köhnke betonte, ihr Mieter Weng habe sehr viel auf einer Reiseschreibmaschine geschrieben. Außerdem ist hier in der Anzeige noch etwas unbedingt sehr vielsagend: Die Unterschrift des Anzeigenden ist nicht nur gänzlich unleserlich, sondern es fehlt auch jede Adresse. Mithin ist gar nicht daran zu zweifeln, daß Gregor Risat auch dies ‚Verbrechen‛ vorbereitet hatte, um jederzeit seine Haft verlängern zu können, ganz wie es ihm beliebt, wobei er wieder so vorsichtig gewesen ist, wieder nur eine Straftat zu konstruieren, die ihn moralisch nicht zu sehr belastet.“

Da sich Melcher, der Aufseher, inzwischen wieder entfernt hatte, konnten wir mit dem Rat ganz offen sprechen, und dies war hier ja auch nötig.

„Wir wollen uns die Gesamtvorgänge nochmals kurz vor Augen führen,“ begann Harst. „Hier in Zoppot stiehlt ein Mann in einem Delikatessengeschäft eine Wurst von der Auslage und dazu eine Büchse Hummer. Der Bursche wird dabei ertappt und verhaftet, schützt Hunger vor und erhält vier Wochen Gefängnis, da er sich dem Beamten gegenüber bei der Verhaftung frech benommen hat – aus Verzweiflung, sagt er. Wenige Tage vor der Verhaftung dieses Menschen,“ fuhr Harald fort, „dessen Papiere auf den Namen eines Mechanikers Gregor Risat lauten und in Ordnung zu sein scheinen, verreist aus Berlin der Agent Harry Miller, der dort im Hause Spittelmarkt 16 ein Geschäft betrieben hatte, und mit der Stenotypistin Elida Falk verlobt ist, der er erklärte, er müsse nach Ostpreußen reisen. Da sie von ihm keinerlei Nachricht erhält, wird sie ängstlich. Inzwischen hat schon ihr Chef, der bekannte Strafverteidiger Dr. Robert Gundel, von sich aus durch die Detektei ‚Argus‛, mit deren Chef ich wieder befreundet bin, Nachforschungen anstellen lassen. Erfolg: Es gibt keinen Miller. Miller hat seine Braut belogen und hat außerdem in Königsberg drei Herren um größere Beträge begaunert, aber diese weigern sich – und den Punkt habe ich bisher verschwiegen – gegen Miller vorzugehen und behaupten hinterher, sie hätten sich geirrt, sie seien doch nicht geschädigt worden.“

Wir sahen uns an.

„Dann kommt,“ setzte Harst seine Rede vor, „Fräulein Falk zu uns und ich rate ihr, mit Gundel getrost abzureisen, sie solle mir aber über den Verlauf der Reise immer Nachricht geben. –

Nunmehr tritt Herr Timm, Zoppots Sherlock Holmes, auf den Plan und schreibt uns den langen Brief mit Einzelheiten über Risats zweites ‚Verbrechen‛.

Wir weisen nach, daß es konstruiert ist, und zwar von ihm selbst, ebenso, daß nun sein drittes Verbrechen auch nur vorbereitet ist, um weiter hier im Gefängnis bleiben zu können.

Ehrlich gestanden, Herr Rat,“ sprach Harald nun offen aus, „mir sind doch schon die seltsamsten Dinge unter die Finger gekommen, aber daß jemand so verfährt dieser Risat, das setzt doch allen die Krone auf! Halten wir uns vor Augen, wie schlau er seine ‚Verbrechen‛ vorbereitet, immer so, daß er niemanden schädigt. Denken wir ferner daran, daß er bestimmt als Agent in Berlin Betrügereien verübt zu haben scheint, daß aber die Geschädigten hinterher leugnen, geschädigt worden zu sein. Der Phantasie eines Romanschreibers würde das alle Ehre machen!“

„Allerdings!“ lächelte der Rat. „Es ist romanhaft, nur … daß ich als alter Richter eben weiß, daß das Leben die tollsten und unwahrscheinlichen Dinge zusammendichtet. – Was soll nun werden, Herr Harst?“

„Das muß sehr genau überlegt werden, Herr Rat. Ich möchte Ihnen zunächst einmal meine Ansicht über die Beweggründe dieses seltsamen Treibens des Miller/Risat entwickeln. Darüber, daß der Mann weit mehr auf dem Kerbholz haben könnte, als einer von uns ahnt, und daß er sich hier nur in der Stille des kleinen Gefängnisses verstecken will, sprachen wir bereits. Ich erkläre jetzt schon: Diese Annahme können wir streichen, sie ist falsch, wie ich nun herausgefunden habe. Wie, das werde ich zu gelegenerer Zeit auseinandersetzen.

Wir kämen,“ entwickelte er weiter, „zur Möglichkeit Nummer Zwei, die schon weit einleuchtender ausschaut: Miller/Risat ist ein Kriminalbeamter, der sich hier hat einsperren lassen, um ein Verbrechen aufzudecken, dessen einer Mittäter oder der Täter allein hier bei Ihnen … sitzt! Nummer drei wäre folgendes: Risat hat hier bei Ihnen einen Freund, also einen anderen Gefangenen, den er aushorchen möchte, oder den er gar befreien will. Ist hier in letzter Zeit ein bedeutenderes Verbrechen verübt worden? – Das möchte ich gern wissen.“

Der Rat pfiff plötzlich leise durch die Zähne. „Wo hatte ich nur meine Gedanken!“ rief er. „Natürlich haben wir hier eine große Sache gehabt, die aber nicht in die Zeitungen kam, weil es sich um die Spielbank handelte, einen Einbruch in der Kassenraum, bei dem den Dieben rund 200000 Mark in die Hände fielen. Die Täter wurden nie ermittelt, das heißt bisher nicht. – Die Geschichte passierte im Juni, genau in der Nacht vom 21. zum 22. Juni. Die Bande hatte sogar ein Sportflugzeug zur Hand. In diesem Zusammenhang ist jedoch überhaupt keine Verhaftung erfolgt.“

Harst war aufgesprungen. „Oh, das hätte ich früher wissen sollen! – Rufen Sie Melcher sofort hierher. Er soll die Listen der Gefangenen mitbringen und …“

Die Tür flog auf.

Herein stolperte der unselige, gutmütige Melcher.

„Herr Rat! Herr Rat, er ist ausgekniffen und hat den Julius Pinsch mitgenommen!“

Die Meldung stimmte leider. Julius Pinsch war ein älterer Bursche und hatte als Sorgenkind der Polizei diesmal sechs Monate wegen versuchten Einbruchs abzusitzen.

Dann verabschiedeten wir uns, um unser Heim bei dem fragwürdigen Herren Timm wieder aufzusuchen. Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Der Himmel hatte sich stark bezogen, wir hörten das Rauschen der Brandung und das Knarren der alten Bäume des Timm’schen Parkes schon von weitem. Der Kriminaltheoretiker hatte bereits mit dem Abendessen auf uns gewartet und überschüttete uns nun mit einer Unmenge von Fragen, wobei er seine sonstige Bescheidenheit ganz zu vergessen schien. Er war auffallend erregt und schaute Harst, der recht einsilbig blieb, immer wieder prüfend von der Seite an, aß selbst sehr wenig.

Zum Schluß der Mahlzeit gähnte er immer häufiger, und gleich nach Tisch begaben wir uns in unsere Zimmer nach oben, wo wir feststellten, daß die Mikrophone, also die Horchapparate, verschwunden waren.

Es war jetzt halb elf. Der zum Sturm angewachsene Wind umheulte die Villa in allen Tonarten, und der Lärm der Brandung steigerte sich von Minute zu Minute. Wir ließen trotzdem im Wohnzimmer die Balkontür offen und setzten uns nebeneinander auf das Sofa. Bei dem Lärm draußen uns zu belauschen, war schlechterdings unmöglich. Im Dunkeln warteten wir ab, bis im Haus alles zu Ruhe gegangen war. Mein Freund berichtete nun, wie versprochen, was er nachmittags, nachdem der Schrei erklungen war, in den Kellern gefunden hatte.

Ich ließ mir kein Wort entgehen. Die Person unseres seltsamen Kollegen, des Kriminaltheoretikers, erschien hiernach in immer merkwürdigerem Licht.

Erst nach Mitternacht machten wir uns auf den Weg, obwohl es zweifelhaft blieb, ob nicht zumindest der Diener Jan Jürgen doch noch auf dem Posten sein würde. Der Mann war entschieden als Gegner ernst zu nehmen.

Wir gelangten unangefochten bis in den Vorkeller. Es war hier sehr warm, der Kessel der Zentralheizung war in voller Glut. Der Abend hatte starke Abkühlung gebracht, und Herr Timm liebte die Wärme. Harald schritt direkt auf einen weiter hinten liegenden Raum zu, dessen dicke Tür nur angelehnt war. Vorhin droben im Dunkeln hatte er mir erzählt, daß in diesem Gelaß bestimmt eine Frau eingesperrt gewesen war – die Frau, die geschrien hatte, wie er annahm.

Der Kellerraum waren mit unbenutzten Möbeln bestellt, aber diese Möbel war so aufgebaut, daß man den Eindruck gewann, sie seien absichtlich hier zum Gebrauch hergebracht worden. Bett, Tisch, Korbsessel, Teppich und vieles andere gaben dem Gelaß ein wohnliches Aussehen. Als ich den Vorhang, der in der Ecke vor einer Nische hing, lüftete, sah ich eine Badewanne, einen Wäscheständer und ähnliches weiter.

Harald stand neben mir. „Ein sehr nettes Versteck für heimliche Gäste!“ flüsterte er etwas ironisch.

In demselben Augenblick schlug die Tür zu.

Ich warf mich herum und dagegen. Mein Freund tat gar nichts, lächelte nur.

Von draußen kam die tiefe Stimme des Dieners Jan: „Meine Herren, entschuldigen Sie bitte. Ich wußte nicht, daß Sie dort drinnen stecken. Uns ist leider der Schlüssel für das Patentschloß verloren gegangen. Sie müssen sich schon bis zum Morgen gedulden. Jetzt in der Nacht kann ich keinen Schlosser auftreiben. Sie finden Decken und alles übrige in dem Schrank. Verzeihen Sie. Aber es ist Ihre Schuld. In einem fremden Haus schleicht man nicht nachts in den Kellern umher. – Gute Nacht! Und langweilen Sie sich nicht!“

Dann schlug die Haupttür des Kellers donnernd zu.

 

 

4. Kapitel

Harry Miller belustigt sich.

Die Balkentür unseres Kerkers schlug nach innen. Mein Freund steckte die auf dem Tisch stehende Petroleumlampe an und begann wortlos zu meiner Verblüffung die Tür durch Möbel zu verrammeln und durch Decken zu verhängen.

„Was soll das, Harald?“

„Bitte leise! Du unterschätzt den Theoretiker Timm! Von dem können wir noch lernen.“

‚Allerdings!‛, dachte ich. ‚Eingesperrt hat er uns mit einer Gerissenheit, die alle Anerkennung verdient!‛

Harst war mit seiner Barrikade fertig. „So, nun wollen wir Herrn Timm beweisen, daß wir uns absichtlich einspunnen ließen.“ Er war bei Laune, er gebrauchte sehr selten so volkstümliche Ausdrücke wie ‚einspunnen‛.

„Auf seine Art ist Timm ein Genie,“ flüsterte er weiter. „Aber es fehlt ihm der letzte Schliff, den man nur durch Erfahrung gewinnt.“

„Absichtlich?“ fragte ich verständnislos.

„Sofort wirst du merken, weshalb ich froh bin, daß Jan so fein auf meine … Anregungen – ja, Anregungen, ist der richtige Ausdruck! – einging.“

Er winkte mir. Spontan betraten wir das Seitenkabinett, ließen den Vorhang fallen, und Harald erklärte: „Als ich nachmittags hier zum ersten Mal unten war, roch ich ein Parfüm, das ich vorher draußen neben der Hecke gespürt hatte, als die Frauenstimme uns die Warnung durch die Zaunritze zurief. Wohlgerüche sind immer sehr verräterisch, und gerade in der Kellerluft hält sich der Geruch von einer Mischung aus Divinia und Heliotrop sehr lange. – Es ist also eine Frau hier unten gewesen, und meine Vermutung wurde Gewißheit, als ich noch in dieser Nische eine Lockennadel in der leeren Wanne fand. Die Nadel war noch fettig, war also soeben erst aus einem Bubikopf in die Wanne … nicht hineingefallen, sondern fein säuberlich hineingelegt worden, damit ich sie fände, ich oder wir, das kommt ja auf eins heraus.“

Plötzlich ging mir ein Licht auf. „Man hat uns also nachts hier hinablocken wollen?“

„Gewiß doch! – Timm und Jan, die Köchin und die Anna spielten vor dir in der Diele Theater, mein lieber Alter, und du fielst prompt darauf hinein. Alles war Berechnung. Man wollte uns für diese Nacht aus dem Weg haben.“

Schon diese knappen Bemerkungen eröffneten die Aussicht auf noch dunklere Zusammenhänge. Ich begann nun Herrn Timm ganz anders einzuschätzen. Aber anderseits ärgerte ich mich über meinen Freund, der mich wieder einmal bis zum letzten Moment im Unklaren gelassen und sich heimlich ins Fäustchen gelacht hatte.

Ich sollte sehr bald noch mehr Grund zum Ärgern haben, denn Harst trat nun mit größter Selbstverständlichkeit hinter den Badeofen, der nur provisorisch aufgestellt war, und fingerte an der getünchten Wand herum, von der die Tünche allerdings überall schon abgeblättert war. Dabei sagte er gedämpft: „Timm hat sich die Villa selbst erbauen lassen, wie er betonte. Das hätte er nicht sagen sollen. Wer, wie er, so versessen auf Detektivabenteuer ist, der wird auch in sein Heim Dinge einbauen lassen, an die der Durchschnittssterbliche nicht denkt. Bitte ‥!“

Ein Teil der Mauer drehte sich, und dahinter kam ein dunkler Gang zum Vorschein. Ich folgte Harald, drückte die Mauertür zu. Wir schlichen den Stollen weiter hinab und standen in kurzem vor einem zweiten Mauerdurchlaß, dessen Umrisse sich hier deutlich abhoben. Es war die übliche Bauart derartiger Geheimtüren, das heißt, man hatte einen viereckigen Eisenrahmen, der mit starken Gelenken an der einen Seite der Türöffnung befestigt war, durch Ziegelsteine ausgefüllt. Der Türverschluß war genau so einfach, ein Riegel, beiderseits zu öffnen.

Der Richtung des Ganzen nach mußten wir uns hier in dem Keller der Nachbarvilla befinden, und das traf auch zu. Harst schob die Tür auf, wir leuchteten in den Raum hinein und stutzten sofort.

Im Nu erloschen unsere Taschenlampen, denn wir hatten Stimmen vernommen, hatten außerdem einen Vorhang gesehen, der genau wie bei Timm auch hier eine Nische abschloß. Zum Glück war die Geheimtür so gut geölt gewesen, daß sie keinerlei Geräusch verursacht hatte.

Das Stimmengewirr brach ab und eine einzelne Stimme wurde vernehmbar. Die des Herrn Jan – –

„Die hätten wir also glücklich eingesperrt!“ meldete er sehr sachlich und im Ton sehr dienstlich.

„Nehmen Sie Platz, Jan,“ ließ sich Timm hören. „Die Beratung kann nun beginnen.“

„Ich gratuliere,“ lachte eine andere Stimme, und gerade diese hatte einen recht angenehmen und übermütigen Klang. Sie konnte nur dem eifrigen Sänger aus Zelle 12 gehören.

„Nichts zu gratulieren, Herr Miller!“ wehrte Jan die Anerkennung ab. „Diese beiden Berliner sind auch nur Menschen, und eine schlau gestellte Falle verfehlt nie ihren Zweck.“

Harry Miller erwiderte darauf weit ernster: „Unterschätzen Sie die beiden nicht! Wenn wir die Sache wirklich zu einem glücklichen Ausgang bringen wollen, müssen wir alles sehr genau überlegen.“

Worauf eine Frauenstimme, nein, eine sehr weiche Mädchenstimme, beipflichtete:

„Sie haben ganz recht, Herr Miller. Nur nicht dem Fehler verfallen, Harst zu jenen Leuten zu rechnen, die lediglich einen Ruf durch Reklame sich hochzüchten, wie etwa der andere Herr. Unsere Organisation mag noch so gut arbeiten, irgendwo kann sich doch ein Fehler einschleichen, und dann … na, ich möchte dann nicht gerade Zelle 12 beziehen ‥!“

Sie lachte, und das Lachen klang äußerst melodisch. Es war bestimmt das Fräulein Jesse Gründel aus der Nachbarvilla! Mithin hatte uns Timm auch in dieser Beziehung belogen, was die bittere Feindschaft zwischen ihm und seinen Nachbarn betraf. Es war dies hier keine Vereinigung von Amateurdetektiven, sondern einfach eine Gaunerbande. Schon die nächste Bemerkung des für uns unsichtbaren Miller bewies dies:

„Reden Sie nicht immer von einer oder von unserer Organisation, Fräulein Jesse! Das erinnert an die diversen Verbrechergesellschaften, die sich der Engländer Wallace aus den Fingern gesogen hat. Wir sind denn doch etwas mehr und etwas in seiner Art noch nie Dagewesenes!“

„Freilich!“ pflichtete ihm Timm voller Stolz zu. „Und ich darf mir das Verdient zurechnen, diese unsere Gemeinschaft aufgebaut zu haben – und wie! Kein Mensch hat uns bisher mit dem Einbruch in den Kassenraum der Spielbank auch nur im Entferntesten in Verbindung gebracht!“

Jans Baß mischte sich ein. „Wir müssen nun zu einem Entschluß kommen. Verzeihen Sie, Herr Timm, aber diese Redereien sind zwecklos. – Was soll geschehen?“

Millers klingendes Lachen wurde laut. „Wozu haben wir Schraut und Harst?! Ich schlage vor, wir machen folgendes: Jan läßt die beiden nachher sofort heraus und erklärt, der Schlüssel hätte sich gefunden. Sie, Herr Timm, entschuldigen sich bei den Herren, erscheinen dazu im Schlafrock und …“

Der Theoretiker fiel ärgerlich ein: „Was ich zu tun habe, weiß ich! Sie haben ja Ihre Vorschläge vorhin gekippt, Herr Miller! Wieviel Durchschläge?“

„Vier!“

„Dann verteilen Sie sie, und nachher wird abgestimmt. Ich selbst bin für Ihre geistvollen Entwürfe. Ich hätte das nicht besser machen können. Unsere Gedanken sind sich wieder einmal begegnet!“

Papier raschelte.

Stille trat ein.

Dann wieder die süße Stimme der Jessie, die unabgekürzt Josefine hieß.

„Tadellos! Gut, auch ich bin dafür. Wenn Harst schon so viel Honorar erhält, soll er auch dafür etwas leisten. Wir müssen sicher gehen. Je mehr wir ihn in blauen Dunst einhüllen, desto ungefährlicher wird er.“

„Blauer Dunst ist sehr nett gesagt!“ lachte Miller. „Meine Hochachtung noch nachträglich, Herr Timm, daß Sie auf den Gedanken kamen, gerade Harst für uns einzuspannen! Auf diese Weise sind wir seine Klienten und nicht seine Opfer!“

Das war ja wirklich eine nette Lumpenbande, an die wir da ahnungslos geraten waren! Sie machte sich noch über uns lustig!

Die Abstimmung der Herrschaften ergab einmütig die Annahme der Vorschläge Millers.

Wir mußten in unsere Zelle zurück, denn die Leute verabschiedeten sich von Miller, der offenbar hier sein Versteck hatte.

Nachdem wir kaum die Barrikade weggeräumt hatten, erschien bei uns auch schon der üble Bursche, der Jan, in Begleitung des scheinbar sehr verschlafenen und sehr aufgeregt famosen Kriminaltheoretikers.

„Der Schlüssel hat sich gefunden,“ erklärte Timm fast weinend und drückte uns die Hände.

Am liebsten hätte ich ihm eine gewischt! Solch ein Schwindler und Heuchler!

Wir gingen nach oben in Timms feudales Arbeitszimmer, und er bestellte, da Harald darum bat, bei Jan Kaffee und einige andere Erfrischungen. Wir setzten uns in die behagliche Klubecke, und ich war nun äußerst gespannt, was Timm uns vorschlagen würde. Harald wollte offenbar die Dinge zu einer Entscheidung treiben.

Noch bevor der Kaffee serviert wurde, rückte denn auch der hinterlistige Detektivkollege, dessen Million sicherlich zusammengestohlen war, mit seiner schlauen Geschichte heraus.

 

 

6. Kapitel

Wir sehen Julius Piusch, aber …

Daß ich jetzt den Herrn Roderich Timm sehr scharf in allem unter die Lupe nahm und jede Kleinigkeit an ihm anders bewertete als bisher, dürfte verständlich sein. Es war ja nicht das erste Mal, daß eine Gaunerbande sich unserer Hilfe bediente, um die Spuren eines Verbrechens noch mehr zu verwischen und sich vor uns dadurch zu sichern, daß sie uns eben in ihren Dienst nahm. Aber so raffiniert, wie man hier vorgegangen war, das war etwas durchaus Neues und Ungewöhnliches.

Und doch blieb ein Punkt vorläufig dunkel: Weshalb hatten die Gauner sich Millers bedient, um den alten Gefängnisgast Julius Pinsch befreien zu lassen?

Also Timm legte nun los:

„Mein sehr verehrter Herr Harst, Sie glauben gar nicht, wie tief erschrocken ich war, als Jan mir meldete, daß Sie unseligerweise gerade in den Kellerraum geraten sind und …“

„Reden Sie kurz und bündig, Herr Timm! Wenn Sie von mir etwas dazulernen wollen, dann zunächst das eine, daß man auch mit Worten sparsam umgehen soll. Mancher hat sich schon um Kopf und Kragen geredet.“

„Allerdings, allerdings! Aber meine mir angeborene Schüchternheit und …“

„Die kennen wir ja schon. Bitte, zur Sache!“

„Sofort …“ Timm hüstelte vor Verlegenheit. „Sofort! Also die Dinge liegen nun doch so, daß dieser Risat/Miller zusammen mit einem gewerbsmäßigen Dieb, dem Pinsch, ausgerückt ist und daß beide zweifellos von außen Hilfe und Unterstützung fanden.“

Er fingerte an seiner Brille herum und hüstelte noch stärker. „Ich muß hier etwas einflechten, Herr Harst, daß ich aus angeborener Bescheidenheit bisher für mich behalten habe. Also – ja – also – ich – ich – sah die beiden fliehen, konnte aber die Flucht, mit der ich gerechnet hatte, nicht mehr verhindern. Der Risat und der Pinsch waren so fix über die Mauer des Gefängnishofes hinweg, daß, zumal ein Auto sie erwartete, ich gar nichts ausrichten konnte.“

„Das glaube ich unbesehen!“ nickte Harald wieder sehr zweideutig.

Timm glotzte ihn mißtrauisch an. „Na – das freut mich! Ich fürchtete schon, daß Sie mir Vorwürfe machen würden.“

Er blickte sich im Zimmer um, als ob seine Gedanken dort in Gestalt von Fliegen umherschwirren würden, die er erst mühsam zusammensuchen müßte. „Wie Sie ja wissen, Herr Harst, hatten die Einbrecher, die den Tresor der Spielbank ausräuberten, ein Sportflugzeug zur Stelle und stiegen vom Strand aus auf. Es war ein reiner Zufall, daß ich in jener Nacht hier am Fenster stand und dies beobachtete.“

„Ah, sehr interessant, Herr Timm!“

Der schielte Harald von der Seite an und schien erneut einen Hustenanfall zu bekommen. Aber er sprach doch weiter, freilich recht unzusammenhängend.

„Solche Zufälle gibt es. Ich bin daher auch überzeugt, daß Risat und Pintsch wieder mit einem Eindecker nach Berlin unterwegs sind und daß es daher richtiger wäre, Sie würden Ihre Tätigkeit dorthin verlegen.“

Ah, also wir sollten nun von hier verschwinden!

Jetzt hatte Timm seine geistige Konzentration zurückgefunden und redete weit flüssiger. „Ich will das Geheimnis um die Person dieses Miller auf jeden Fall aufklären, was Sie verstehen werden, Herr Harst. Ich opfere gern noch weitere dreitausend Mark.“

Kunststück! – Sie hatten ja aus dem Tresor zweihunderttausend herausgeholt!

„Ich bin auch überzeugt, daß es Berliner Geldschrankknacker waren, die damals hier ein Gastspiel gaben. Mithin müßten Sie nun in Berlin Ihre Arbeit fortsetzen, und hierfür kann ich Ihnen vielleicht einen wertvollen Wink geben, der Ihnen an sich dem Inhalt nach nicht neu sein dürfte, der aber doch …“

„Meinen Sie das Haus Spittelmarkt Nr. 16?“

„Ja, ja, das wollte ich gerade erwähnen, gerade das! – Nein, wie gut Sie Gedanken anderer erraten können, Herr Harst, einfach verblüffend!“

Harald winkte ab. „Schon gut, das wissen wir alles, und Ihr Vorschlag kommt mir durchaus gelegen, nur möchte ich heute vormittag noch hier einige Erkundigungen einziehen, Herr Timm.“

„Ist das unbedingt nötig?“ entfuhr es jetzt dem etwas unvorsichtigen Kriminaltheoretiker.

Wie die Antwort Harsts gelautet hätte, sollten wir nie erfahren, denn jetzt wurde – eine Erinnerung an die Szene bei Rat Steiner – die Tür aufgerissen, und Jan stürmte leichenblaß und mit dicken Schweißperlen auf der Stirn herein, keuchte schrill und atemlos:

„Im Keller – ein – Schuß –. Ich hörte ihn – rannte nach unten –. Es liegt dort – ein – ein – Toter. – – Der – Pinsch!“

Timm flog empor.

„Tot – tot –?!“

Dann sank er wieder zurück und ächzte und stöhnte, als hätte er selbst eine Kugel in den Leib bekommen.

Auch der gänzlich verstörte Jan war in einen Stuhl gesunken und stierte uns wild an:

„Helfen Sie, Herr Harst, helfen Sie! Bei Gott, wir haben keine Ahnung, wie der Pinsch hier zu uns in den Keller geraten ist und …“ – er konnte vor Entsetzen nicht weitersprechen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

Mein Freund erhob sich. „Bleiben Sie beide hier!“ bestimmte er mit allem Nachdruck. „Wir werden tun, was wir irgend können, um jeden Verdacht gegen Sie auszuschalten, selbst wenn wir lügen oder gegen unsere bessere Überzeugung handeln müssen. Sollte einer von Ihnen uns folgen, dann sitzen Sie noch heute in Untersuchungshaft, das verspreche ich Ihnen! Richten Sie sich danach!“

Wir verließen das Arbeitszimmer des Kollegen Timm, und dort blieben nun zwei Jammerlappen zurück, die sich gegenseitig nicht anzuschauen wagten.

Harald schritt direkt auf einen anderen Kellerraum zu, der neben unserem Kerker von vorhin lag. Es war der Kokskeller, und hier fanden wir den Toten, noch in seiner Gefangenentracht, mit einem Loch in der Stirn, neben einem Kasten voller Brennholz auf.

Pinsch war von der Seite niedergeknallt worden, der Einschuß saß in der Schläfe. Er lag halb auf der Seite, und die Patronenhülse fanden wir dicht neben ihm. Sie stammte aus einer Repetierpistole.

Mein Freund beugte sich über die Leiche und deutete dann auf die linke Hand, die fest zusammengeballt war, während die andere sich in den Koks eingekrallt hatte. Er öffnete die Finger sehr vorsichtig und entnahm ihnen – ich bedaure es, hier beinahe romanhaft werden zu müssen – und entnahm ihnen einen winzigen hellen Gegenstand, den er schnell zu sich steckte, den ich aber doch als eine weiße Blume oder Blüte erkannte.

Er richtete sich wieder auf und sagte, ohne seinen Fund zu benennen: „Du magst dich gewundert haben, daß ich so geradeswegs hierher in diesen Kokskeller ging. Die Sache ist sehr einfach.“

Er wies auf das eine vergitterte Fenster und sagte noch leiser: „Als ich nach der Frau suchte, die den Schrei ausgestoßen hatte, kümmerte ich mich natürlich zuerst um die Fensterverschlüsse und die Fenstergitter. Das dort ist ohne Riegel, der abgebrochen ist, und das Gitter läßt sich komplett herausnehmen.“

Er schritt auf das Fenster zu, öffnete es und hob das nur lose eingefügte Gitter heraus. Inzwischen war es draußen bereits hell geworden, und da das Gewölk sich verzogen hatte, konnten wir, als wir in den Garten hinausgeklettert waren, in dem vom Regen aufgeweichten Boden eine Doppelspur feststellen, die von dem Kellerfenster nach links verlief, also eine Hin- und Rückspur. Sie war zwar recht undeutlich, ließ aber immerhin erkennen, daß deren Verursacher sehr schmale, lange Stiefel angehabt hatte.

Unter einem Strauch war die Fährte so deutlich, daß ich sie abzeichnen mußte, während Harald mir leuchtete.

Weiter ließ sie sich den ganzen Abhang hinab bis zur Wiese verfolgen, wo der Mann über den Stacheldrahtzaun geklettert war. An der einen Spitze des obersten Drahtes hing eine Flocke von einem farblosen, rauhen Mantelstoff.

Ich schreibe derartiges, was so sehr an die üblichen Kriminalromanspuren erinnert, nur sehr ungern nieder, aber in diesem Fall ist dagegen nichts zu machen. Die Dinge waren so, wie ich sie schildere, und sie waren auch verständlich, denn der Mörder war wirklich in größter Hast den Abhang hinabgestürzt und sein Hängenbleiben an dem spitzen Draht war durchaus natürlich.

Die Spur ließ sich auch noch auf dem Talmühlenweg ein Stück weiterverfolgen, und es war genau zu sehen, daß der Mann mit den schmalen Schuhen den Hinweg zur Villa Timm ohne Hast, den Rückweg aber laufend zurückgelegt hatte.

Als wir das Arbeitszimmer wieder betraten, wo Timm und sein vertrauter Diener noch immer ganz verstört dahockten und uns nun mit fragenden, scheuen Blicken empfingen, erklärte Harald sehr schroff und keineswegs zu Nachsicht geneigt: „Sie haben Glück gehabt, Jan! Wenigstens vorläufig. Der Mörder kam von außen!“

„Gott sei Dank!“ sagte Timm und faltete die Hände. „Es wäre auch furchtbar gewesen, wenn unsere …“ –

Dann hüstelte er scharf.

„Führen Sie den begonnenen Satz doch zu Ende!“ meinte Harald etwas sehr anzüglich. „Was wäre furchtbar gewesen?“

Timm schaute wieder hilflos im Zimmer umher und sagte dann mit einem tiefen Seufzer: „Es wäre vom Schicksal grausam gewesen, wenn ein Mann wie Jan womöglich in falschen Verdacht geraten wäre!“

„Hm ‥!!“ machte mein Freund nur, und Timm und Jan blickten schnell zu Boden.

Ich gewann den Eindruck, daß sie den Mörder kannten und froh darüber, daß er entwichen war.

 

 

7. Kapitel

Elidas Depesche und der unbegreifliche Harst.

Mein Freund rief die Polizei an und auch den Rat Steiner, der hier ja gleichzeitig Untersuchungsrichter war.

Der Tote wurde weggeschafft, ein Polizeihund, der die Fährte weiter verfolgen sollte, versagte, und um neun Uhr früh waren wir wieder in der Villa Timm mit dem Kriminaltheoretiker und seinem Personal allein.

Wie der alte Dieb Julius Pinsch in die Villa hineingelangt war, wußten nur wir und die anderen Beteiligten. Aber wir beide schwiegen, und die Gaunergesellschaft schwieg erst recht. Es bedarf nicht vieler Worte: Pinsch war natürlich zugleich mit Miller/Risat ins Haus gekommen, und dann war er wegen – sagen wir – war er als überflüssig beseitigt worden.

Als wir gerade mit Timm, der sich so langsam von dem Schreck oder dem vorgetäuschten Schreck erholt hatte, beim Kaffee saßen, traf eine Depesche für Harald ein, – die erste von Elida Falk aus Bozen.

Da sie chiffriert war, ging Harst nach oben in unser Zimmer und kehrte dann mit der auf einen Zettel geschriebenen Lösung zurück:

Bin hier allein im Hotel mit leichter Fußverletzung, hervorgerufen durch einen Nagel im Schuh, Gundel hat Partie in die Dolomiten unternommen und wird erst nach acht Tagen zurück sein. Bedaure sehr, daß ich Ihren Rat befolgte, denn die Sorge um meinen Verlobten wächst. Soeben bin ich zu dem Entschluß gelangt, abzureisen und nach Berlin zurückzukehren. Halte es hier nicht länger aus. Mein Fuß verbietet jeden Ausflug. Was soll ich hier müßig sitzen? Bis morgen abend neun Uhr Berlin Anhalter Bahnhof. – Elida Falk

Herr Timm hätte natürlich gern gewußt, von dem die Depesche gekommen war, aber zu fragen wagte er nicht, und gesagt wurde ihm nichts.

Trotzdem sollte das Telegramm noch eine Rolle spielen, denn Harst erklärte gleich darauf, er müßte in Zoppot noch einiges erledigen, gab mir die Depesche zum aufbewahren und verabschiedete sich gegen elf Uhr.

Das Stubenmädchen Anna hatte es nun sehr eilig, gleichfalls in der Stadt Einkäufe zu erledigen, nachdem ihr Timm verstohlen etwas zugeflüstert hatte. Daß sie Harst belauern sollte, war sonnenklar, und da ich dies hintertreiben wollte, lief ich ihr bis zur Pforte nach und rief sie zurück.

„Bringen Sie mir doch Zigarren mit!“ – mir fiel gerade nichts Besseres ein.

Ich schaute ihr nach wie sie im Trab davoneilte. Aber mit einem Mal mäßigte sie ihr Tempo, was mir sofort verdächtig erschien. Sollte etwa Jan oder die Köchin inzwischen durch den anderen Ausgang den Park verlassen haben? Nun, das war leicht festzustellen. Es war die Köchin gewesen, die angeblich genau so stumm sein sollte wie die Anna.

Herr Timm wurde sehr rot, als ich ihm unverblümt erklärte, daß seine Spione mit Harst wenig Glück haben würden.

Er schwieg dazu und machte nur ein recht beklommenes Gesicht.

So war ich denn mit diesen beiden gefährlichen Kumpanen, dem Timm und dem Jan, allein im Hause. Ich hatte für alle Fälle meine entsicherte Pistole in die Jackentasche gesteckt und behielt Timm dauernd im Auge, zumal er mich heimlich in einer Weise fixierte, als wollte er mir jede Sekunde an die Gurgel springen.

Seine Gegenwart wurde mir so unheimlich, daß ich wieder in den Park ging und mich an derselben Stelle ins Gras legte, wo wir schon einmal gelegen hatten, also dich neben dem Zaun zum Nachbargrundstück.

Ich hatte hier noch keine fünf Minuten den Schlaf mit aller Gewalt zu verscheuchen gesucht, als Fräulein Jessie Gründel von nebenan sich meldete.

„Herr Schraut! Herr Schraut!“

„Ja, was gibt es denn? Wer sind Sie?“

Auch ich kann schwindeln!!

„Ich bin Jessie Gründel! Herr Schraut, ich warne Sie nochmals vor Timm. Ich glaube fast, er ist etwas ganz anderes als er zu sein vorgibt.“

Das stimmte.

„So ‥?!“ meinte ich ebenso leise. „Wie kommen Sie denn zu diesem Verdacht?!“

„Ich habe Augen!“

Stimmte. Sogar sehr schöne Augen, wie ich nun durch die Zaunritze feststellte.

Jessie hatte ein Körbchen frischgepflückter Pflaumen im Schoß – und war sehr hübsch. Ein Jammer wirklich, daß sie in einer Zelle nicht mehr Pflaumen pflücken können würde.

Sie reichte mir einige durch den Zaun, aß auch selbst und fuhr fort:

„Daß bei Timm mal etwas sehr Ernstes geschehen würde, sah ich seit langem voraus. Ich behaupte, er – er – ist – Einbrecher!“

Die frischen Pflaumen waren ausgezeichnet.

„Nanu – wie kommen Sie zu einem so schweren Verdacht, Fräulein Gründel?“

„Dja … wenn man Augen hat! In Timms Villa verkehren nachts die seltsamsten Leute!“

Stimmte. Sie selbst verkehrte ja dort und gehörte mit zur Chawruse! (Chawruse gleich Gaunerbande – ein Ausdruck aus dem Verbrecheridiom.)

Ich wollte ihr nun doch einen kleinen Schreck einjagen und erwiderte:

„Das haben wir, Harst und ich, auch schon bemerkt!!“

„Sooo? Wann denn?“

„Morgens, als die Polizei hier war. Wir rechnen die Polizei unter die seltsamen Leute!“

„Ach, Sie machen sich ja über mich lustig! Leben Sie wohl, Sie werden schon noch an meine Warnungen denken!“

Dann ging sie davon, und ich wurde mit einem Mal sehr müde.

Unnatürlichen müde. Ein böser Argwohn stieg in mir auf. Sollten etwa die Pflaumen präpariert gewesen sein? Und sollte auch dieser Streich zwischen Jessie und Timm verabredet worden sein?!

Ich wollte die Probe machen. Ich streckte mich lange aus und legte den Kopf auf die Unterarme. Es war eine Qual, den Schlaf abzuwehren, aber ich war so wütend, daß die Wut es mir erleichterte, meinen Plan durchzuführen.

Ich bin stets ein guter Schnarcher gewesen, auch als Kunstschnarcher.

Schon nach etwa zehn Minuten näherte sich Herr Timm, erkennbar an dem Duft seines Kautabaks. Er schlich herbei wie ein Kater, der mausen will, und er wollte auch mausen. Er beugte sich über mich und faßte mir in die Jackentasche.

„Herr im Himmel!“ kreischte er, denn mein Griff nach seinem Handgelenk war keineswegs sanft. Zu seinem Pech hatte er die Depesche noch zwischen den Fingern.

„Ich fürchtete, Sie wären tot, Herr Schraut,“ stammelte der Kriminaltheoretiker entsetzt. „Ich wollte nur nach Ihrem Herzen fühlen. Der Papierwisch geriet mir rein zufällig zwischen die Finger.“

Da ich nun nicht wußte, ob Harald es billigen würde, wenn ich unsere Beziehungen zu Timm und Konsorten mit einem Gewaltakt beendete, tat ich so, als schenke ich seinem plumpen Schwindel Glauben.

„Wie Sie sehen, lebe ich! Geben Sie die Depesche wieder her. Der Inhalt dürfte Sie kaum interessieren. – Die Pflaumen des Fräulein Effie sind gut,“ fügte ich niederträchtigerweise hinzu und erreichte, daß er abermals blutrot wurde.

In all seiner Verlegenheit und Verlogenheit setzte er sich zu mir.

„Ich werde hier allerdings mein Rheuma verärgern,“ meinte er. „Aber ich möchte doch einmal Ihre persönliche Ansicht über all diese Dinge hören, Herr Schraut.“

Aushorchen wollte er mich also! –

‚Nur zu‛, dachte ich – –

Und ich sagte: „Bitte, worüber denn?“

„Sehen Sie, lieber Herr Schraut, ich selbst bin der Meinung, daß sowohl dieser Einbruch hier in Zoppot, als auch alle die großen Einbrüche in Berlin in den letzten drei Jahren von einer sehr straff organisierten und von einem einzelnen geleiteten Bande ausgeführt wurden. Die verblüffende Sorgfalt der Vorbereitungen der Bande für jeden der Einbrüche lassen eine Intelligenz erkennen, die weit über dem Durchschnitt steht.“

„Unweigerlich richtig! Das hat Harst auch der Berliner Polizei gegenüber erklärt, die ihn durch unseren Freund, den Kriminalkommissar Bechert, auffordern ließ, die Bande aufzuspüren. Aber Sie kennen ja Harsts Vorurteil gegen sogenannte alltägliche Fälle. Er lehnte ab.“

„Was sehr zu bedauern ist,“ sagte Timm mit frommem Augenaufschlag. „Außerordentlich zu bedauern. Ich habe ausgerechnet, daß die Bande bisher Werte von insgesamt rund einer Million in die Hände gefallen sind.“

„Ja – soviel besitzen auch Sie an Vermögen,“ meinte ich harmlos.

Nachdem ich ihm diesen Hieb versetzt hatte, kam er auf das Thema ‚große Gaunergesellschaft‛ nicht mehr zurück, erhob sich seines Rheumas wegen und verduftete, um sicherlich Jan Bericht zu erstatten.

Nun schlief ich wirklich ein, bis Harald mich gegen ein Uhr weckte.

„Aufstehen! Es gibt wilde Ente zu Mittag, du Faultier!“

„Hm, du scheinst ja in sehr vergnügter Stimmung zu sein! Hast du Frühschoppen gemacht?“

„Auch das! Nebenher habe ich die Fremdenbücher der Hotels durchgesehen und darin einen lieben Namen gefunden.“

Ich stand auf und reckte mich.

„Welchen Namen?“

„Rate mal!“

„Harry Miller etwa?“

„Ausnahmsweise hast du richtig geraten, mein Alter! Ja, Harry Miller wohnte im ‚Kasinohotel‛ an dem Tag, als die Tresore der Spielbank geplündert wurden! – Fabelhaft frech!“

Nach kurzer Pause fügte er noch hinzu: „Und das Allerschönste dabei ist, daß der Hoteldirektor mir bestätigte, daß Miller von Zimmer 11 aus Berlin gekommen war und sehr viel Geld ausgab, sehr viel. Ja, Einbrüche sind lohnender als unser Geschäft, mein lieber Alter!“

Dann betraten wir die Villa, und Harald begrüßte Timm mit den herzlichen Worten: „Wie soll ich es Ihnen nur danken, daß sie so besorgt um mein Leben waren, mir die Anna und die Köchin nachzuschicken! Zu aufmerksam von Ihnen!“

Roderich Timm zeigte seinen roten Kopf und stammelte etwas von „Sehr gern geschehen!“.

Da legte ihm Harst die Hand auf die Schulter und meinte wahrhaft gerührt: „Freund Timm, ich verdankte Ihrer Vorsicht mein Leben!!“

Timm stotterte kopfschüttelnd: „Bei Ihnen weiß man nie, was ehrlich gemeint ist und was nicht! Sie sind ein völlig unbegreiflicher Mensch, Herr Harst.“

„In diesem besonderen Fall nicht! Sie haben mir das Leben gerettet. Anna ist klüger als klug. Als in der Seestraße von einem Neubau ein Ziegelstein herabfiel, rief sie mir rechtzeitig eine Warnung zu, und ich sprang zur Seite. Ich habe Anna fünfzig Mark geschenkt. Der, dem ich in Ziegelstein zu verdanken hatte, glich so ungefähr Ihrem getreuen Jan.“

Timm stierte zur Zimmerdecke empor. „Jan hat sich nicht aus dem Haus gerührt Herr Harst. Jan war …“

„Vielleicht hat er einen verkommenen Zwillingsbruder. Aber jetzt wollen wir uns über die Wildenten hermachen! Ich habe den allerbesten Appetit mitgebracht, und dies ist ja auch hier unsere Henkersmahlzeit! Um fünf steigt unser Flugzeug auf.“

 

 

8. Kapitel

Spittelmarkt Nr. 16.

Das schmale, uralte Haus am Spittelmarkt mit seinen noch schmaleren Höfen, die bis zum linken Spreearm hinabreichen, sollte mit einem Mal aus seinem Märchenschlaf erwachen und sich wieder jung fühlen wie einst. Jahrhunderte waren über sein spitzes Dach hinweggezogen und hatten ihre Spuren in Form und Gestalt von Flechten und Moosen darauf zurückgelassen. Generationen von Menschen hatten in den drei Stockwerken gehaust. Schließlich war der unglückselige Eigentümer der Spittelmarktbaracke, wie die Umwohner sie nannten, froh, daß der Agent Harry Miller für ein Spottgeld die erste Etage übernahm und auf eigene Kosten renovierte.

Doch auch mit der Herrlichkeit der Agentur hatte es nicht lange gedauert.

Eines Tages war Harry Miller verreist und nicht zurückgekehrt. Nur seine Wirtschafterin hauste noch in einem Hinterstübchen und bezahlte – der Wirt war selig – die Miete weiter und behauptete steif und fest, ihr Herr sei ein ehrlicher Mensch und würde bestimmt sich wieder einfinden, wenn es an der Zeit sei, wie die alte Frau sich ausdrückte, die nötigenfalls sehr energisch werden konnte und auch sehr redegewandt und zweifellos gebildet war.

Sie nannte sich Frau Witwe Reinke, Emma Reinke, und sie behauptete, ihre Papiere seien ihr während der Unruhen in Westpreußen verloren gegangen.

An einem sehr regnerischen Septemberabend stand Frau Reinke, in einen Gummimantel und ein großes Tuch gehüllt, in dem Hauseingang und wartete auf ihre Gäste.

Emma Reinke war groß und hager, hatte frische Züge und lebhafte, kluge Augen. Wenn ein besonders heftiger Regenguß herniederprasselte, dann lächelte sie nur. Ihr tat das Wetter nichts, sie war vom Lande und nicht verweichlicht.

Berlin haßte sie. Diese Stadt voller Unruhe und voller schlechter Menschen, die einer den anderen bestahlen oder aussogen oder gar niederträchtig einander verdächtigten, war ihr ein Dorn im Auge. Niemals wäre sie hierher gezogen, wenn sie nicht eine so dankbare, verständige und pfiffige Seele gewesen wäre. Ja, auch pfiffig war sie. Sie besaß jene kultivierte Bauernschlauheit, die oft mehr wert ist, als etwa große Gelehrsamkeit. Sogar gelehrt war sie, doch das verbarg sie nach Kräften.

Die nahe Kirchenuhr schlug zehn. Über den hell erleuchteten Spittelmarkt peitschten die Regenschnüre hin, und überall standen große Wasserpfützen.

Eine Autotaxe kam herbei und hielt zwei Häuser weiter.

Eine verschleierte Dame, die etwas hinkte, stieg aus und flüchtete vor dem Regen zu der Frau in dem tiefen Hauseingang.

„Wer?“ fragte Emma Reinke mißtrauisch.

„Harst!“ flüsterte die Dame und drückte sich tiefer in den Schutz des Eingangs.

Noch zwei Herren stiegen aus, kamen mit Koffern herbei, und die Taxe rumpelte wieder davon.

Frau Reinke öffnete die Tür und ließ alle drei ein.

„Kein Licht machen,“ sagte der eine Herr.

Im Dunkeln schlichen sie die ausgetretenen Stufen empor und betraten die Wohnung des verschwundenen Harry Miller.

Alle Fenster waren dicht verhängt. Elida Falk stützte sich ihres lahmen Fußes wegen schwer auf meinen Arm

„Ich bin zum ersten Mal hier, Herr Schraut.“ –

Sie blickte sich neugierig um und wundert sich, wie gemütlich ihr Verlobter es sich gemacht hatte. Sie war voller Zuversicht, denn Harald hatte ihr zu meinem maßlosen Erstaunen in der Taxe erklärt, sie dürfe sich freuen, sie würde ihren Bräutigam sehr bald wiedersehen.

Die drei Wohnräume lagen nach hinten hinaus. Aus der Küche duftete es nach Braten und Gemüse. In Millers Arbeitszimmer nahmen wir Platz. Elida saß zwischen uns auf dem großen Sofa und erzählte von ihrer Reise und der freundschaftlichen Fürsorge Dr. Gundels für ihre Person.

„Und wie war das mit dem Schuh?“ fragte Harald so nebenbei, mehr aus Höflichkeit wohl.

„Wie immer, Herr Harst! Eigene Nachlässigkeit! Ein Nagel war durch die Einlegesohle gedrungen. Erst merkte ich nichts, und dann, als wir gerade mit Gundel zum Kolle wanderten und mit der Drahtseilbahn hinauffahren wollten, spürte ich das Stechen, der Fuß schwoll an und ich mußte sogar einen Arzt holen lassen. Der Nagel war wohl rostig gewesen, zum Glück blieb die Blutvergiftung ungefährlich, und ich redete Gundel sehr dringend zu, die Tour durch die Dolomiten allein zu machen.“

Dann kam Frau Reinke mit einem Riesenteebrett und baute vor uns allerlei leckere Dinge auf, setzte sich mit an den Tisch und bemutterte uns drei auf eine rührende Art, wobei sie die besten Happen für Elida bereithielt.

„Sie verwöhnen mich, liebe Frau Reinke,“ wehrte das junge Mädchen lächelnd ab.

„Na, der Herr Miller wird Sie wohl noch mehr verwöhnt haben! Sie verdienen es. Wer so treu ist wie Sie, der …“ – aber sie beendete den Satz nicht, sondern horchte wieder nach oben und schüttelte den grauen Kopf. – –

„Dort wohnt doch niemand, und ich glaube heute immer wieder Schritte zu hören!“ sagte sie mehr zu sich selbst. „Möglich, daß es der Regen macht. Wie es draußen auch gießt! Das reine Unwetter. Gut, daß wir hier im Trockenen sitzen.“

Harst hatte den Kopf zurückgelegt und horchte nun gleichfalls.

„Es sind Schritte,“ meinte er achselzuckend. „Nachher werden Schraut und ich einmal nach oben gehen und nachschauen.“

„Es können Ratten sein,“ sagte Frau Reinke gleichgültig. „Manchmal rumoren sie ganz arg. Schrecklich sieht es dort oben aus. Verfaulte Dielen, und alle Tapeten hängen von den Wänden. Und ein Geruch dazu!! Schlimmer als in den Hinterhäusern, wo nur die Stromern nächtigen.“

Dann fragte Elida die gesprächige alten Frau: „Ich wundere mich, daß Harry mir nie von Ihnen etwas erzählt hat?“

„Oh, Sie müssen sich über gar nichts wundern, liebes Kind! Hier, nehmen Sie nur noch einmal Speise. Und Herr Schraut ist so liebenswürdig und zieht die zweite Flasche Rotwein auf.“

Frau Reinke spielte die fürsorgliche Wirtin in der Vollendung.

Dann erklärte sie doch auf Elidas letzte Bemerkung hin: „Ich bin ja auch zu Herrn Miller erst am Tage seiner Abreise als Wirtschafterin gekommen. Kennen tun wir uns allerdings schon länger, sehr lange sogar.“

Sie lächelte unmerklich, und ihre Augen schimmerten voller Zärtlichkeit. „Er gab mir reichlich Geld und meinte zu mir: ‚Mutter Reinke, es ist möglich, daß ich sehr lange wegbleibe und nicht schreiben kann. Auch an meine Braut nicht. Aber das dürfen Sie niemandem anvertrauen, auch Elida nicht. Wenn ich mich nicht melde, tun Sie ganz so, als wären auch Sie meinetwegen sehr in Sorge.‛ – Ja, so lauteten seine Anweisungen, und ich habe sie getreulich befolgt. Gewiß, manchmal fiel es mir schwer, besonders wenn ich Sie, Fräulein Elida, unten auf der Straße vor dem Haus stehen sah. Aber Befehl ist Befehl. Ich wußte ja, worum es ging.“

Elida Falk starrte sie sprachlos an.

„Wie, Sie wissen, weshalb Harry …“

Die alte Frau winkte schnell ab. „Nein, nein, mißverstehen Sie mich nicht! Ich ahnte nur, worum es gehen könnte, denn wenn ich die volle Wahrheit gewußt hätte, würde ich es nie ihm gestattet haben, da zu viel Gefahr dabei war.“

Elida und ich machten jetzt die gleichen erstaunten und fast bestürzten Gesichter. Aber weitere Fragen blieben zwecklos, und dann forderte Harald mich auch schon auf, ihn zu begleiten. Wir wollten mal oben uns umsehen, es war ja doch möglich, daß droben ein paar Obdachlose sich eingeschlichen hatten.

Hier muß ich nun von mir aus eine Bemerkung einflechten. Ich begann mir darüber klar zu werden, daß mein Freund mich mehr denn je im ungewissen über alle unsere Erlebnisse und deren Auswertung gelassen hatte, und als wir nun gar hier oben anstatt von Ratten von unserem Freunde Bechert empfangen wurden und Bechert sofort sagte:

„Harst, aus Ihrer Depesche wird kein Mensch schlau!“ da ging mir ein immer stärkeres Licht auf, und ich stieß Harald in die Rippen, meinte nur: „Du bist ein ganz infamer Schwindler!“

„Stimmt,“ gab er kaltschnäuzig zu. „Hauptsache: Wir kriegen sie!!“

„Wen?“ flüsterte Bechert ungläubig.

„Die große Einbrecherbande, deren Führer ich in Zoppot endgültig entlarvt habe!“

Bechert staunte Bauklötze. „Ist das wahr?“

„Auf Ehre, aber nicht auf meine, sondern auf die des Herrn Roderich Timm! Dieser Timm ist der beste Liebhaberdetektiv, den die Welt bald kennen lernen wird. Der Mann ist eine Zierde der Privatkriminalisten.“

Wir standen während dieser Unterhaltung in einem mit stickiger Luft angespülten Zimmer, und ich sah im Hintergrund im Dunkeln noch mehrere Gestalten.

„Wieviel Mann haben Sie bereit?“ fragte Harald ohne jeden Übergang.

„Dreißig – genau wie Sie es wollten und genau an den Plätzen, die Sie mir gleichfalls telegraphierten.“

„Dann hoffe ich nur, daß die Kerle es mit der Angst bekommen und aus Angst wieder eine Dummheit machen, wie die in Zoppot, als sie Ihren Spitzel, den Julius Pinsch, ermordeten. Jetzt werden sie uns an den Kragen wollen, und gerade das will ich, wenn es auch etwas aufregend werden kann.“

„Daraus werde der Deubel schlau!“ murrte Bechert.

 

 

9. Kapitel

Der Mann mit dem sechsten Sinn.

Der Mann mit dem sechsten Sinn hatte sich, während wir droben bei Bechert waren, in Begleitung seines Adjutanten Jan Jürgen bei unseren Damen in Millers Arbeitszimmer eingefunden. Das war für mich die erste Überraschung.

Roderich Timm begrüßte uns mit einiger Verlegenheit und erklärte bescheidener denn je: „Ich wollte zu gern das Ende der Affäre miterleben, Herr Harst. Das Sonderflugzeug hat ja eine Menge Geld gekostet, wenn es aber um mein Steckenpferd geht, ist mir nichts zu teuer.“

Mein Freund reichte den beiden die Hand und erwiderte mit einem leichten Kopfschütteln: „Sie sind wirklich der Mann mit dem sechsten Sinn, Herr Timm. Wir haben Sie denn das nun wieder herausgefunden, daß wir hier zu finden seien?“

Der Theoretiker rieb sich schüchtern die Hände. „Herr Harst, Sie schmeicheln mir. Es waren alles Schlußfolgerungen, jedoch keineswegs sichere.“

Mein Freund setzte sich. Frau Reinke und Elida waren durch das Auftauchen der beiden Männer aus Zoppot keineswegs überrascht worden, wie aus ihrem ganzen Verhalten hervorging. Sie saßen Hand in Hand da, und auch diese Vertrautheit wunderte mich. Es machte den Eindruck, als ob Frau Reinke zumindest mit dem Erscheinen Timms gerechnet hatte.

Harst Augen wanderten jetzt unablässig zwischen den einzelnen Personen hin und her. Er schien über irgend etwas nachzugrübeln und außerdem auch auf die Geräusche im Haus zu achten, die allerdings des Unwetters nur sehr verschwommen blieben. Das alte Gebäude ächzte unter dem Anprall der Sturmstöße, und die feuchte Luft ließ das ausgedörrte Gebälk dauernd knistern und knarren. Zuweilen hagelte es, und wenn die Eiskörner dann gegen die Fensterscheiben knatterten, erstickten sie jeden anderen Ton, sogar das Heulen und Winseln in dem geheizten Kachelofen.

Es war so recht eine Nacht, wie sie für dunkle Unternehmungen geeignet ist, leider aber in diesem Fall für uns oder für mich ohne vielverheißende Aussichten auf große Erfolge ich wußte wirklich nicht, wo die herkommen sollten, nachdem Timm nebst Anhang sich als Niete erwiesen hatte.

Die Stille der unter uns hier im Zimmer Versammelten wirkte allmählich peinvoll. Am gleichgültigsten außer Harst war entschieden Herr Timm. Jan Jürgen saß mit recht finsterem Gesichte da und lächelte nur, wenn er Frau Reinke anblickte. Zweifellos bestand zwischen diesen unerwarteten Gästen und der Haushälterin Millers ein geheimes Einverständnis.

Und wo war Harry Miller selbst? –

Diese Frage legte ich mir immer wieder vor. Daß er ebenfalls in Berlin weilte, merkte ich schon an Elidas blanken Augen und an ihrem innigen Sichanschmiegen an die hagere alte Frau, die ihr bestimmt inzwischen irgendeine günstige Botschaft mitgeteilt hatte, vielleicht erst nach Timms Erscheinen.

Um meine eigene Nervosität niederzukämpfen, sog ich krampfhaft an meiner erloschenen Zigarre. Die Minuten schlichen. Es lag eine unklare Spannung in der Luft, die sich beständig steigerte. Es mußte und es würde etwas geschehen, aber was?! Ob der Mann mit dem sechsten Sinn wirklich besser informiert war, als ich? War seine Ruhe nicht erstaunlich gegenüber seiner sonstigen Fahrigkeit? Wo nahm er die Nerven her, so stumm dazusitzen und Frau Reinke verstohlen zuzulächeln? Ich blamierte mich ja mit meiner schlecht verhehlten Unrast!

Die Kirchenuhr draußen schlug zwölf. Einzelne Schläge verwehte der Sturm. Ich schaute auf meine Armbanduhr – es war Mitternacht.

Der letzte Schlag war verhallt. Harst erhob sich plötzlich und schritt zum Schreibtisch, der zwischen den Fenstern stand. Die Nickelteile eines Fernsprechers blinkten dort. Er hob den Hörer ab und verlangte aus dem Gedächtnis eine Nummer. Ich sah, wie Elida Falk erstaunt den Kopf mit einem Ruck zur Seite drehte und zu Harst hinüberstarrte. In ihrem Gesicht malte sich deutlich eine ungläubige Erwartung. Dann meldete sich Harald. Er hatte Anschluß bekommen.

„Hier Harst! Sie haben meine Depesche also erhalten. Würde es Ihnen allzu unbequem sein, sich hierher zu bemühen? … Ja, Spittelmarkt 16, – wo sonst?! … Gewiß, meine Bitte ist bei dem Wetter etwas … sagen wir … etwas anmaßend. Die Sache hätte ja auch bis morgen Zeit, aber ich habe ‚ihn‛ eben hier und … – also gut, in einer halben Stunde … Danke … Schluß!“

Er legte den Hörer weg und kehrte langsam und nachdenklich zum Tisch zurück. Sein Blick haftete auf Timm.

„Wissen Sie, mit wem ich sprach?“ fragte er den Theoretiker.

Der nickte … „Ja, mit den größten Schurken, der je die Welt genarrt und die Menschen betrogen hat,“ sagte Timm mit ganz ungewöhnlicher Schärfe.

Zum ersten Mal bemerkte ich in seinem so wenig tatkräftigen Gesicht einen völlig fremden Zug. Das war nicht mehr der Roderich Timm, der alle Welt wegen seines Vorhandenseins um Entschuldigung zu bitten schien, das war ein gänzlich anderer Mensch, der nun die Maske fallen ließ und in demselben energischen Ton hinzufügte: „Er muß ja kommen, oder er gesteht sein schlechtes Gewissen ein! Seine allerletzte Chance ist die Lüge – und die Frechheit!“

„Und sein Anhang!“ ergänzte Harst und schaute Timm noch prüfender an.

„Glauben Sie, daß er derartiges noch wagt?!“ meinte der Rentner und Amateurkriminalist achselzuckend. „Und wenn wirklich, mir soll es recht sein. Ich habe auch diese Möglichkeit berücksichtigt und …“

Die Tür nach dem Flur hatte sich geöffnet. Zusammen mit einer Wolke kalter, muffiger Luft traten schnell fünf Männer ein, die sämtlich dunkle Taschentücher vor die Gesichter gebunden hatten. Hinter ihnen waren noch einige ähnliche Burschen sichtbar – ein großangelegter Überfall also.

Wenn mein Freund vorhin angedeutet hatte, daß diese Nacht ihre Gefahren für uns in sich berge, – es stimmte schon. Die Kerle sahen ganz so aus, als wollten sie die Geschichte sehr kurz und endgültig erledigen. Es waren alles Leute von der Kehrseite des Lebens, verspielte Naturen, Feinde der Ordnung und Nutznießer einer günstigen Gelegenheit.

Einen Augenblick zögerten die fünf … Sie musterten uns … Sie schienen ihre Opfer auszuwählen. Ihre rechten Hände waren in die Taschen ihrer triefenden Mäntel geschoben.

Seltsamerweise war Timm es, der zuerst sprach, und zwar mit unerschütterlicher Ruhe und doch mit einer eindringlichen Betonung.

„Hier gibt es für euch nichts zu holen, als Zuchthaus oder Kugeln … Der, der euch herbestellte, wird euch schmählich im Stich lassen. Das Haus steckt von oben bis unten voller Polizei. Stellt euch dort an die Wand und wartet! Euer Chef wird sofort erscheinen, und dann könnt ihr ihn so kennenlernen, wie er in Wahrheit ist.“

Schon während seiner letzten Worte war auf der Treppe ein Poltern und ein unterdrückter Aufschrei zu hören gewesen. Jetzt knarrte die Tür des großen Aktenschrankes rechts neben uns … Ein matt glänzendes Rohr wurde sichtbar, und eine tiefe Stimme warnte: „Hände hoch!! An die Wand mit euch!!“

Die Leute waren viel zu verblüfft und zu entsetzt über diese Entwicklung der Dinge, um auch nur an Widerstand zu denken. Sie gehorchten. Die im Flur Verbliebenen drängten ins Zimmer und standen nun gleichfalls mit ihren bunten Masken wie Fastnachtsschächer* an der Wand uns gegenüber … Im Flur waren Becherts Beamte sichtbar, aber nur er selbst trat ein und setzte sich zu uns.

Die Flurtür wurde wieder geschlossen.

Roderich Timm lächelte unmerklich.

 

 

10. Kapitel

Die allerletzte Chance …

In einem vornehm ausgestatteten Büro saß ein Herr und legte soeben den Hörer des Tischtelephons auf die Stützen zurück. Er war in einen dunklen Abendanzug gekleidet und sah etwas blaß aus. Seine Finger spielten nervös mit einer Füllfeder. Er überlegte kurz und erhob sich, schaltete das Licht aus und begab sich in das kleine Nebenzimmer, das er zumeist als Schlafraum benutzte, wenn die Arbeit oder andere Umstände ihn von seiner eleganten Privatwohnung fernhielten.

Auch hier in dem Nebenraum begnügte er sich mit dem matten Licht der Straßenlaternen. Er steckte verschiedene Dinge in seinen weiten, fleckigen Ulster, den er inzwischen übergezogen hatte, und öffnete dann eine schmale Tür, die auf eine Seitentreppe mündete. Nachdem er minutenlang gehorcht hatte, versperrte er die Tür hinter sich und schlich die Treppe hinab, die auf den Hof des großen Bürohauses mündete. Er schob den Schlüssel in das Schloß der Hoftür und zögerte: Die Tür war unverschlossen!

Er stand im Dunkeln, und ein unangenehmes Gefühl der Unsicherheit überkam ihn. Die Finsternis um ihn her war so drückend, daß er kaum zu atmen wagte. Dann fuhr er jäh herum und blinzelte völlig geblendet in die grelle Lichtflut, die ihn plötzlich umspielte.

Er erkannte hinter sich zwei Männer, von denen der eine nun mit eigentümlich gepreßter Stimme erklärte: „Mein Name ist Harry Miller … Es hätte wenig Zweck, wenn Sie fliehen wollten, Dr. Gundel!!“

Gundel lachte fast übermütig. „Ich – fliehen – weshalb –?! Ihre Braut wird sich freuen, daß sie wieder aufgetaucht sind –. Kommen Sie nur mit –. Ich weiß, wo sie sich befindet –“

„Ich auch!“ meinte Miller, und der zweite Mann fügte hinzu: „Kriminalassistent Wrobel. Unser Auto wartet. Bitte, durch die Vordertür! Wozu die Umstände?!“

Gundel nickte. „Ich wollte meinen Wagen aus der Garage holen. Aber, wenn Sie einen zur Stelle haben, mir schon recht.“

Die drei stiegen ein, und das Polizeiauto rollte davon. Im Innern war das Licht eingeschaltet, und Gundel wandte sich nach einer Weile an Miller.

Wo haben Sie nun eigentlich gesteckt, sie geheimnisvoller Mensch?!“

„Ich bin weder geheimnisvoll, noch heiße ich Miller. Meinen wahren Namen erfahren Sie nachher in Gegenwart meines Wohltäters, des Herrn Timm aus Zoppot.“

„Timm ‥? Wer ist denn das?“ fragte Gundel kopfschüttelnd.

Aber er erhielt keine Antwort. Als er sich nun eine Zigarette anstecken und in die Tasche fassen wollte, sagte der Beamte streng: „Hände auf die Schenkel!! Die Späße kennen wir!“

Das Auto hielt vor Nummer 16.

Als Gundel mit seinen Begleitern eintrat, flog Elida empor und an Millers Brust. Gundel sah die an der Wand stehenden Männer und schüttelte wiederum den Kopf. „Herr Bechert,“ sagte er belustigt zu dem ihm persönlich bekannten Kriminalkommissar, „was soll das eigentlich?!“

Er nahm sein goldgefaßtes Monokel aus dem Auge und säuberte es von den Regentropfen.

„Setzen Sie sich!“ befahl Bechert dienstlich und deutete auf einen Stuhl neben der Reihe der bereits Verhafteten.

„Wenn Sie es wünschen, bitte!“ –

Die zehn Unterweltler musterten ihn finster. Sie hatten die Taschentücher von den Gesichtern entfernen müssen und hielten nun die Arme über der Brust verschränkt.

„Ihre Garde erhofft von Ihnen einige erlösende Worte,“ sagte Bechert ernst.

„Meine Garde?! Verzeihung, soll das ein schlechter Scherz sein?!“ Und Gundel schlug die Beine lässig übereinander.

„Er hat uns bezahlt und herbestellt …“ grollte der eine der Verhafteten wütend. „Wir sollen nun wohl allein die Suppe ausfressen?! Das könnte Ihnen so passen, Gundel!!“

„Zum Lösen von Rätseln ist die Stunde kaum geeignet,“ meinte der achselzuckend.

„Harst, bitte, Bericht!“

Becherts Stimme klang noch schärfer.

Das Brautpaar saß nebeneinander, rechts von Miller Frau Reinke, die er gleichfalls mit einem langen Kuß begrüßt hatte.

„Die Dinge liegen einfacher, als man denkt,“ begann Harst. „Die Vorgeschichte reicht Jahre zurück. In der Nähe von Danzig, auf jetzt polnischem Gebiet, besaßen die Reinkes ein kleines Gut. Der Vater starb, der einzige Sohn Heinz stand auf der schwarzen Liste und mußte schuldlos auswandern. Seine Mutter hörte jahrelang nichts von Heinz. Sie konnte das Gut nicht halten und fiel einer Ausbeuterbande in die Hände, an deren Spitze ein Gerichtsassessor stand. Er betrug sie um den Kaufpreis, ohne daß ihm etwas anzuhaben gewesen wäre, und zufällig nur lernte sie in Danzig meinen neuen Freund Timm kennen, der sich sofort aus reiner Herzensgüte ihrer Sache annahm. Die Angelegenheit kam nun in Fluß, denn Timm ist ein Mann von so ausgeprägtem Redlichkeitsgefühl und so scharfem Verstand, daß die Zoppoter nicht ahnen, was sie an diesem Mitbürger haben. Ich kann Einzelheiten übergehen. Der ganze Plan zur Entlarvung des Schuldigen stammte von Timm, ebenso das dazu nötige Geld. Er hatte durch Jan ermittelt, daß der Betrüger mittlerweile ein sehr bekannter Strafverteidiger durch allerlei üble Reklametricks geworden war, unter denen die Verteidigung des Raubmörders Slewitzki der gemeinste war, denn das Belastungsmaterial gegen diesen hatte der Anwalt anonym selbst geliefert und konnte daher die Anklage nachher leicht zerpflücken. Weiter fand Timm heraus, daß derselbe Betrüger offenbar der Führer einer Einbrecherbande sein müßte, die Berlin seit langem beunruhigt. Direkte Beweise hierfür fehlten ihm jedoch. Da entschloß sich Timm, den Heinz Reinke nach Berlin gehen zu lassen. Heinz trat hier als Agent Harry Miller auf, lernte Elida Falk kennen, für die der Schuldige sich selbst interessierte, und verschwand nachdem in Zoppot der große Einbruch verübt war, bei dem, wie Timm vermutete, Julius Pinsch die Örtlichkeit ausbaldowert hatte. Um nun gegen den Betrüger Gundel sichere Beweise zu sammeln, ferner, um den Pinsch auszuhorchen, ließ Heinz sich in Zoppot einsperren, deshalb wurde er der Mann, der die Freiheit haßte. Sein ihm von Timm bis ins einzelne vorgeschriebener Plan glückte. Durch den Gesang machte er den Pinsch auf sich aufmerksam und durch die selbstgedichteten Texte der Lieder gab er Pinsch alle notwendigen Nachrichten. Inzwischen hatte Timm eingesehen, daß es ratsam sei, doch einen erfahrenen Detektiv hinzuzuziehen. So kamen Schraut und ich in die Sache hinein. Timm weihte uns absichtlich nicht völlig ein, um mich nicht voreingenommen zu machen. Erst allmählich fand ich heraus, wie die verworrenen Dinge zusammenhingen, zumal ich schon in Berlin geargwöhnt hatte, daß Gundel der Führer der Einbrecherkolonne sein dürfte. Was in Zoppot geschah, ist bekannt oder wird später genauer erläutert werden. Ich hebe nur ein paar Punkte hervor:

Fräulein Jessie Gründel, Timms Nachbarin, gehörte mit zu der Detektivgruppe des klugen Timm. Sie warf mir einen Zettel über den Zaun, als Schraut schlief, ich solle Timm doch von dieser Schrulle heilen, er sei ein so lieber Mensch, daß er seine Zeit wirklich nutzbringender verwerten könne. Nun, in diesem Punkte kann ich ihr nicht beipflichten, denn Timm hat Großes geleistet. Sein feinster Schachzug war, wie er mich dazu bewog, ihn und die Seinen zu belauschen. Das wollte er nämlich, er wollte uns nicht nur einsperren, wie Schraut sich einreden ließ. Dann folgte die Ermordung des Pinsch. Wir verfolgten die Spuren, wir maßen sie, und da ich die Maße von Gundels Schuhen bereits besaß, wußte ich mit ziemlicher Bestimmtheit, wer der Mörder einzig und allein sein konnte. Ich stellte fest, daß Gundel in den Tagen des großen Einbruchs in Zoppot im ‚Kasino-Hotel‛ gewohnt hatte. Ich sollte durch einen Ziegelstein getötet werden. Gundel warf ihn, ich erblickte auf dem Gerüst nur einen bärtigen Kopf, aber der Bart war falsch. Ich verschickte dann mehrere Depeschen, darunter eine nach Bozen, drahtlos mit Rückantwort, die hier an Frau Reinke zu richten war. Gundel war nicht in die Dolomiten, sondern nach Zoppot gereist, da seine Spione ihm unsere Abfahrt dorthin gemeldet hatten. Denn Sohlennagel in Elidas Schuh hat er selbst gelockert und vergiftet, um Elida in Bozen festzuhalten. Er ermordete Pinsch, er schleuderte den Ziegelstein, er kehrte nach Berlin zurück und fand eine Depesche von mir in seinem Büro vor, die ihm nicht nachgeschickt werden sollte. Ich hatte lediglich depeschiert:

Elida hier. Erwarten Sie morgen abend zwölf Uhr meinen Anruf von Millers Wohnung aus.

Auch die Falle klappte zu. Gundel war beunruhigt. Er merkte, daß ich ihm dicht auf der Spur war. Er bestellte die schlimmsten seiner Bande hierher, um zu retten, was noch zu retten sein könnte – durch mehrere Morde! Wir sollten für immer stumm gemacht werden. Wenn Sie, lieber Bechert, Gundel nun durchsuchen, werden Sie bei ihm all sein Geld vorfinden, dazu falsche Pässe und anderes. Nach meinem Anruf vorhin wollte er sicherlich flüchten. – Ich kann schließen, alles weitere wird die Untersuchung ergeben. Ich möchte nur nochmals Timms große Fähigkeiten hervorheben. Es wäre schade, wenn ein so rühriger Geist nicht für die Allgemeinheit nützlich verwertet werden könnte.“

Roderich Timm lächelte plötzlich strahlend und ein wenig schalkhaft.

„Das geht leider nicht, lieber Herr Harst! Ich werde mich nützlich machen – als Ehemann. Ich habe mich mit Jessie verlobt, sie hat mir aber das Versprechen abgenommen, nur wirklich noch Theoretiker zu bleiben, denn sie ist um mein Leben sehr besorgt, obwohl ich mich recht gut zu schützen vermag.“

Das letzte sprach er mit erhobener Stimme und sprang empor. Urplötzlich hatte er eine Pistole in der Hand und rief Gundel drohend zu: „Hände aus der Tasche!! Augenblicklich!!“

Zwei Schüsse knallten fast gleichzeitig, der Timms um eine Sekunde früher. Gundel hatte durch die Tasche hindurch auf seinen Gegenüber gefeuert, aber die Kugel schlug in die Decke ein, da Timms Schuß ihm die Finger zerfetzt hatte.

Als wir beide dann in unserem bescheidenen Heim noch in derselben Nacht den Fall auf unsere Art gründlich durchsprachen, fragte ich Harald: „Die drei Herren, die Miller, der Agent, in Königsberg betrogen haben sollte, waren natürlich Freunde Timms?“

Harst nickte nur. Dann erklärte er noch:

„Ich hatte meine Freude an dem Fall des Mannes, der die Freiheit haßte. Timm und Gundel waren ziemlich gleichwertige Gegner. Nur daß Gundel die Dummheit beging, eine Tour durch die Dolomiten vorzuschützen, wo die Leitungen schon vor Tagen gemeldet hatten, daß im Dolomitengebiet starker Schneefall, Sturm und strenge Kälte herrschten. Wer unternimmt bei solchem Wetter Bergtouren?! Also ein typischer Fall von Verbrecherdummheit!“

„Du denkst an Gildas Depesche aus Bozen?“

„Ja! Als wir die Depesche in Zoppot erhielten, wußte ich, daß Gundel uns über den Weg laufen würde. – So, nun wollen wir schlafen gehen. Morgen, oder besser heute, haben wir Gäste. Und wenn zwei Brautpaare dabei sind, müssen wir uns schon etwas anstrengen und den Empfang festlich gestalten. Du könntest eigentlich für Timm eine kleine Überraschung vorbereiten. Vielleicht besorgst du – hm, ja, was nur – es soll doch eine Anerkennung für seine Verdienste werden – also was nur?“

„Famos!!“ rief ich. „Eine Idee!! Ich habe noch einen Durchschlag des Vorabdrucks der nächsten Harstbandes da. Ich werde die Blätter sauber in eine Ledermappe binden.“

„Nanu?! Wie soll der Band denn heißen?“

„Der nächste Band trägt den Titel, den Timm als Ehrenbezeichnung verdient: Der Bluffer,

 

 

Anmerkung:

* Schächer, bibl. für Räuber, Mörder