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Die braune Maus

Die braune Maus

von

Paul Schier

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Ein Wohnungsinhaber.

„Aujuste, nu is ’s alle mit de Jemietlichkeit!“ knurrte Herr Anton Plinske am Frühstückstisch seiner teuren Gattin mit vor Wut hochrotem Gesicht zu. „Das vafluchte Wohnungsamt hat uns nu wirklich von unsre Feudalwohnung zwei Zimmer beschlagnahmt! Alles Schwindeln und Winseln hat uns nischt jeholfen. Da – lies den Wisch von’s Wohnungsamt. Heit’ rücken ooch bereits die ersten Zwangsmieter zur Besichtigung an. Das kann ja allerliebst werden! Stell’ dir vor, Aujuste: Jemeinsame Küchen- und Klosettbenutzung! – Das mit die Küche jeht ja schließlich noch! Aber – das Klosett! Bei meinem Darmleiden! Wo ich doch nie weiß, ob ich nich im nächsten Moment schleinigst vaduften muß und ‛ne Brille brauche, aber keene Augenbrille!“

„Anton –!“ mahnte Frau Auguste empört und führte das goldene Lorgnon vor die in Fettpolstern lagernden Äuglein, um so ihrem immer noch so entsetzlich plebejischen Gatten einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.

„Na ja doch! Hab’ dir man nich so! Wenn wir hier so janz unter uns junge Mächens sind, dann brauch’ ich doch keen Blatt vor die Futterluke zu nehmen! Iberhaupt die janze dämliche Vornehmtuerei! Mir hängt se schon zum Halse und noch wo anders raus! Hab ick dafor etwa während de Kriegsjahre mich bis zum zehnfachen Millionär eijenhändig ‚raufjeschoben‛, um nu hier seit ‛m halben Jahr wie ‛n Appelfatzke mich benehmigen zu missen?! Hol’ der Deibel den ganzen Blödsinn! Ich bin Anton Plinske aus de Kleine Hamburger Straße, und aus diesem Anton Plinske macht keen Anstandslehrer ‛ne feine Nummer – keener! Nee, dazu bin ick zu alt!“

„An – ton! An – to – nius –!“

Antonius Plinske fühlte den Blick der kleinen Schweinsäuglein und – wurde zahm.

„Wirklich Aujustchen, dazu bin ick zu alt,“ wiederholte er kleinlaut und trank die Kaffeetasse leer. „Sieh mal, ick bin ja kein Unmensch, det weeßt de ja. Ick hab’ dir hier die Siebenzimmerwohnung besorjt; ick halte dir ‛ne Köchin und ‛n Stubenmädchen; ich habe schon das neie Buch ‚Wie benehme ich mir?‛[1] halb auswendich jelernt und bemiehe mir, in Jejenwart dritter nich mehr zu balienern; ich dulde es jern, daß du oben mit de Frau Jeheimrat vakehrst, obwohl mir der Mann wie ‛n entsprungener Zögling aus ne Irrenanstalt vorkommt; ich lasse Hildchen Musikstunden und weiß Jott noch was for andre Stunden jeben; ick saje keen Wort mehr dazu, daß der Junge sich zum Flimmeronkel ausbilden läßt. Also – ich bin ‛n Lamm in allens, nur in eens nich: Wenn wir beede unter uns sind, Aujuste, denn will ick nich Antonius Plinske sein, sondern Anton – An – ton Plinske! Und det is doch wahrhaftij ‛n bescheidner Wunsch, zumal jetzt, wo ick in die persönliche Freiheit noch insofern immer mehr beschränkt werden, als ick nich mal das Klosett benutzen kann, wann’s mir und meene Einjeweide paßt, sondern wo ick mir nach die Darmtätigkeit der Zwangsmitbewohner einrichten muß –“

„Anton!“

„Jut – jut, Olle, – schrei man so beschwörend Anton! ‛s wird schon noch der Moment kommen, wo auch du jerade det Bedürfnis vaspierst, dir zu ‛ne kleene Andachtsiebung hinter die Tür von ‛s Badezimmer zurückzuziehen! Und – denn findest de sie von innen variejelt, und eine Stimme ruft dir zu: ‚For ‛ne halbe Stunde besetzt!‛ – Na – denn wird dir ooch die Erkenntnis uffdämmern, wat es heeßt, wenn man nich mal mehr Herr über sein eijenes WC is!“

„Entsetzlich!“ stöhnte Frau Auguste. „Das ist nun eine Unterhaltung am Kaffeetisch! Immer nur Klosett – Klosett – Klosett! Antonius, siehst du denn gar nicht ein, daß derartiges höchst unfein ist?!“

„Einsehn – einsehn?! Wat heeßt einsehn?! Wovon soll ick mir denn hier unterhalten? Etwa über Sachen, von die ick nischt vastehe? Ick bin keene so anpassungsfähige Natur wie du! Ick bin heilfroh, wenn ick den ollen Dusel von Jeheimrat wieder los bin, der mir jeden Tag ‛n anderes Buch mitbringt, um – meinen ‚jeistigen Horizont‛ zu erweitern. Ich bin –“

Das Stubenmädchen war eingetreten und reichte Frau Auguste auf silbernem Teller zwei Visitenkarten.

„Ich habe die Herrschaften in den Salon geführt, gnädige Frau,“ erklärte die schnippisches Anna mit übertriebenem Respekt vor ihrer Gnädigen.

„Gut. Die Herrschaften sollen sich gedulden. Anna, legen Sie mir das Lilaseidene zurecht –“

Anna verschwand.

Und Frau Plinske las den Aufdruck der beiden Karten mit erhobener Stimme vor:

Graf Stanislaus Viktor Snobowitzki

Mitglied der polnischen W.G.M.-Kommission

und

Gräfin Anastasia Xenia Snobowitzki

geb. Gräfin Mistosersky

Antonius, und hier auf der Rückseite der Karte des Grafen steht noch mit Bleistift:

Bitte die beiden vom Wohnungsamt beschlagnahmten Zimmer besichtigen zu dürfen.

„Ah!“ rief Antonius Plinske. „Ah – det sind also schon die ersten Anwärter uff mein WC! – Na – ick wird’ diesen Jrafen sofort fragen, ob er etwa ooch mit ‛n Darm nich janz in Ordnung –“

„Anton –! Das wirst du nicht! Du wirst überhaupt nichts fragen! Du wirst hier bleiben, und ich werde mit den Herrschaften allein verhandeln –“

„Nee, Aujustchen, – det jiebts nich! Die Leite, die ick in meine vier Klosettwände aufnehme, die beseh’ ick mir und zwar sehr jenau! Der ‚Jraf‛ imponiert mir den Dreck wat, und nu noch jar ‛n polnischer Jraf von die Wiedergutmachungskommission! Am liebsten schmiß ich den Kerl samt seine jeborene Mistferkel –“

„Antonius –!“

„– die Treppe runter! Diese Pollacken hab’ ick im Magen! Die muß jeder Deutsche im Magen haben. Det sind ja so die ‚französische Kulturnation‛ des Ostens. Jeh’ also und zieh’ dir um, Aujuste. Ich bleibe im Hausrock. Ausjerechnet det Lilaseidene willst de for die Banditen anlejen! Aujuste – das Lilaseidene –!“

„Das ist meine Sache, Antonius!“

Damit rauschte Frau Auguste hinaus. Sie rauschte wirklich, denn sie trug nur noch Seide.

Antonius aber ging zum Likörschrank und goß drei ausgewachsene Kognäker hinter die Binde, murmelte dazu:

„Ick werd’ die pollacksche Jesellschaft schon rausekeln –! So wahr ick Präsident von ‛n Skatsklub ‚Schneider Schwarz‛ bin!“

 

 

2. Kapitel

Die Mieter.

Im Salon saßen Graf und Gräfin dicht nebeneinander auf dem Brokatsofa:

„Du, mir ist nicht ganz wohl bei alledem,“ flüsterte die blonde Gattin, die am Kinn ein kleines Muttermal in Gestalt eines winzigen Mäuschens hatte.

Oh – dieses braune Mäuschen wirkte reizend! Es paßte so ganz zu der eigenartigen Schönheit der Frau Gräfin, deren große, dunkle Augen untermalt waren, um den Blick noch feuriger erscheinen zu lassen.

Der Herr Graf, ein sehr eleganter Kavalier mit weißen Gamaschen über den Lackstiefeln und einem beängstigend hohen Kragen, zuckte die Achseln.

„Die Geschichte ist total ungefährlich, Xenia,“ flüsterte er zurück. „Du kennst mich ja. Ich lasse mich nie auf gewagte Sachen ein. – Ich habe alles so tadellos vorbereitet, daß wir in aller Seelenruhe hier arbeiten können. – Dieser Plinske war noch vor zwei Jahren biederer Sattlermeister. Jetzt versteuert er zehn Millionen. Der Kerl soll als Geschäftsmann ein Genie sein. Mit ihm werden wir vorsichtig umgehen müssen. Die Frau Plinske ist desto harmloser. Die zwanzigjährige Tochter ist ein unverdorbenes Ding, das leider jetzt von der Mutter auf ‚Vornehmheit‛ dressiert wird. Der Sohn Benno, siebenundzwanzig Jahre, will Kinoschauspieler werden. Das ist für uns die Hauptsache.“

Der Graf lächelte und zeigte dabei tadellose Goldkronen im Mund.

Gräfin Xenia seufzte leise.

„Ich hätte doch lieber bei der alten Warnbühler bleiben sollen, Viktor. Ich – ich – habe Angst!“

„Blech! – Angst! Wovor denn?! Dieses Hundeleben war doch wirklich nicht mehr auszuhalten! – Pst – man kommt!“

Ja – man kam, – nämlich Anton Plinske!

Und – wie kam er! Im braunen Samtjackett, mit rotbraunen Morgenschuhen und der linken Hand in der Hosentasche.

Trat ein, nickte dem Paar zu.

„Morjen, meine Herrschaften –“

Der Herr Graf erhob sich, klemmte das Monokel ein, kam um den Tisch herum.

„Graf Snobowitzki, – gestatten, – meine Frau –“

„Plinske heiße ich – Anton Plinske, Rentier. –

Bitte, behalten Sie Platz –“

Der Herr Graf setzte sich, und Anton tat dasselbe, nachdem er sich einen Sessel zurechtgerückt hatte.

„Sie kommen wegen der beiden Zimmer,“ begann er sofort. „Bevor ich sie Ihnen zeige, möchte ich fragen, ob Sie dieselben möbliert oder unmöbliert haben wollen.“

„Oh – mir ganz gleichgültig, verehrtester Herr Plinske,“ lächelte der Graf liebenswürdig. „Wir wollen uns da gänzlich nach Ihren Wünschen richten. Überhaupt werden wir jede nur mögliche Rücksicht nehmen. Meine Frau verzichtet zum Beispiel vollständig auf die Küchenmitbenutzung –“

Plinske machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Das spricht gar nicht mit,“ meinte er. „Verzichten Sie auf auf das Badezimmer?“

Der Graf schaute überrascht auf.

„Badezimmer?! Hm – das – das dürfte doch wohl nicht recht gehen, Herr Plinske. Sie verstehen mich; im Badezimmer befindet sich doch außer der Badeeinrichtung noch –“

„– das WC, – ganz recht! – Nicht wahr, so ‘ne Sachen muß man offen durchsprechen. Ich bin nämlich darmleidend. Ich trinke Brunnen. Und da passiert es oft, daß sich überaus plötzlich –, na, ich brauche wohl nicht deutlicher zu werden –!“

Anton hatte eigentlich deutlicher werden wollen. Aber – die Gräfin störte ihn! –

Nein – eigentlich nicht die Gräfin, aber – das braune Mäuschen, das sie so pikant machte.

Anton hatte es sofort bemerkt. Und sofort hatte er gedacht: ‚Vaflucht – das braune Mäuschen kennst du! Todsicher kennst du’s! Aber woher nur – woher?‛

Er grübelte und grübelte. Und so kam es, daß er nicht so deutlich wurde, wie er sich’s vorgenommen hatte. Er schielte auch immer wieder nach der blonden Gräfin hin.

Donner – das war ein Happen! Das war was anderes wie seine fette Auguste! Das war Rasse!

Der Graf lächelte diskret.

„Wir werden auch auf Ihr Leiden jede Rücksicht nehmen, Herr Plinske,“ meinte er. „Haben Sie sonst noch Bedenken?“

Anton ärgerte sich über sich selbst. Nun hatte er wahrhaftig die beste Gelegenheit versäumt, diese Bande rauszuekeln! Und dies nur des braunen Mäuschens wegen!

Wo – wo in aller Welt war er nur schon einem Weib begegnet, das genau so einen Leberfleck am Kinn gehabt hatte – wo nur?!

Da – die Salontür ging auf, und Frau Auguste rauschte herein.

Graf Snobowitzki eilte ihr entgegen, küßte ihr die Hand.

Und die Gräfin tat nun endlich den Mund auf und sagte in sehr gebrochenem Deutsch:

„Gnädige Frau, wirr mechten Innen behreiten megglichst wenig Unbequemlichkeiten.“

„Xenia ist geborene Ungarin,“ schaltete der Pole ein. „Ihr Name Mistoferky verrät das schon –“

Plinske grinste zwanglos. Er erinnerte sich an das ‚Mistferkel‛ und das Entsetzen seiner dicken Aujuste.

Frau Plinske nahm Platz. Der Graf überflutete sie mit einem wahren Phrasenschwall. Und der arme Antonius hatte verspielt. Als er mal eine gepfefferte Bemerkung einstreuen wollte, die sich wieder auf das WC beziehen sollte, warf ihm Auguste einen Blick zu, der einen Tiger gezähmt hätte.

Antonius schwieg also. Aber er schwor im stillen:

‚Ich wird’s euch versalzen – wartet nur!‛

Dann wurden die beiden Zimmer besichtigt. Das eine hatte einen direkten Zugang vom Treppenflur und wurde zur Zeit noch von Herrn Benno Plinske bewohnt. Der angehende Mime war jedoch nicht daheim, sondern bereits in der Kino-Schule.

Man einigte sich auf ‚möbliert wohnen‛. Plinskes hatten noch aus ihrer alten Wirtschaft Möbel genug auf dem Boden stehen. Der Damensalon sollte Schlafzimmer des gräflichen Ehepaares werden, das bereits morgen einziehen wollte.

Bei der Verabschiedung reichte die Frau Gräfin auch Anton Plinske die Hand. Sie stand nun ganz dicht vor ihm. Er starrte sie durchdringend an, grübelte schon wieder über das braune Mäuschen nach.

Sie wurde merklich verlegen, wandte sich schnell ab.

Und als sie dann mit ihrem Herrn Gemahl den Kurfürstendamm, die breite Prachtstraße des Berliner Westens, entlangschritt, sagte sie zögernd:

„Du, Viktor, – dieser Plinske – ich weiß nicht, er stierte mir so ins Gesicht. Und schon vorher schaute er immer nach dem Leberfleck hin. Ich – ich habe wieder solche Angst. – Wenn – wenn er nun die braune Maus von früher her –“

„Angsthase!“ lachte der Graf dazwischen. „Kind, das sind doch jetzt zwei Jahre her! Und ob Plinske je in Danzig gewesen ist, ist doch sehr fraglich!“

Er faßte sie unter. „Kind, nur nicht den Deubel an die Wand malen! Nur nicht! Ich will raus aus diesem Dalles! Ich fühle Riesenkräfte in mir! Nur Anfangskapital muß ich haben!“ –

Derweilen saß Antonius Plinske dort, wo er sehr oft sitzen mußte, rauchte dabei eine gute Zigarre und – dachte an das braune Mäuschen.

„Wo – wo nur?!“

Er kniff die Augen zu; er vergegenwärtigt sich das Bild des rassigen, blonden Weibes.

Alt war die nicht! Nein, – das hatte er trotz der Puderschicht feststellen können. Er schätzte auf vielleicht zweiundzwanzig Jahre. Und Augen hatte sie – und eine Figur! Donnerwetter noch eins – der Graf war zu beneiden!

Aber – aber der Leberfleck, dieser ulkige, reizende Leberfleck! Seinen Kopf hätte er gewettet: Er kannte diese winzige braune Maus schon!

Ja – und auch das Gesicht! Irgendwo in der Rumpelkammer seines Gedächtnisses lebte da eine unklare Erinnerung.

Wo nur – wo?! Und – wann – wann?! –

Da – man pochte sehr energisch gegen die Tür. Und Frau Augustes etwas schmalziges Organ meldete sich nicht minder energisch:

„Antonius, bist du etwa eingeschlafen?! Ich – ich – muß mir mal die Hände waschen –“

Antonius lachte schadenfroh.

„Siehst de, Aujustchen, – siehst de! Nu stell’ dir mal vor, der Jraf säße hier! Den kennt’st de doch nicht jut fragen, ob er injeschlummert is! Det unjehinderte WC bleibt die Hauptsache! – Aber ick beeil’ mir schon. Ick hatt’ nur so scharf an das braune Mäuschen der Jräfin jedacht. Und det lenkte mir ab –“

Frau Aujuste prallte förmlich zurück. Dann kreischte sie fast.

„Du – woran hast de jedacht?! An – an die Gräfin?! Antonius, ich sag’ dir, wenn du auf deine alten Tage noch –“

Da hörte sie drinnen das Wasser rauschen. Und somit konnte Antonius nicht verstehen, was er auf seine alten Tage nicht mehr sollte.

Und nachher hatte Frau Auguste die Sache vergessen. Denn die Geheimrätin von oben kam und wollte einen Tausendmarkschein wechseln. Da Frau Auguste jedoch so viel Kleingeld nicht in ihrer Kasse hatte, lieh sie der Geheimrätin vierhundert Mark, die diese sofort zurückgeben wollte.

Leider vergaß sie es. –

Doch davon später. Auch von dem Tausendmarkschein, der so oft erwähnt und nie gegeben wurde.

 

 

3. Kapitel

Die Oberwohner.

Benno Plinske war vor dem Krieg Buchhalter bei Pinkus & Wolfsberg, Blusenfabrik, gewesen. Im Kriege diente er als Leutnant. Und nach dem Kriege wurde er Sohn eines vielfachen Millionärs, konnte nun endlich daran denken, seine künstlerischen Talente fortzubilden.

Kino war jetzt Trumpf. Also wollte er Kinodarsteller werden – Charakterrollen, womöglich so eine Art Bassermann oder Wegener, aber mehr ins Sensationelle.

Und – er hatte wirklich Talent! Dazu sah er gut aus, besaß eine schlanke, biegsame Gestalt, sicheres Auftreten, ein schmales, hübsches Gesicht mit ein paar vergnügten Augen – ganz wie sein Herr Papa.

Als er heute gegen drei Uhr nachmittags sich zu Tisch einfand, als er hörte, daß er sein nettes Zimmer hergeben müsse, begann er wirklich auf das Wohnungsamt und das gräfliche Paar zu schimpfen.

Frau Auguste beruhigte ihn. „Ich habe schon alles mit der Geheimrätin abgemacht, Benno. Sie will das Flurzimmer ihrer Wohnung abgeben. Du wirst also in deiner Behaglichkeit in keiner Weise gestört.“

Das war Benno nun wieder lieb. Er hatte mit seinen siebenundzwanzig Jahren die Sturm- und Drangperiode bereits hinter sich.

Er war ehrgeizig. Er wollte berühmt werden. Er hatte echt Plinskesches Blut in den Adern. Und dieses Blut nährte ein Hirn, das viel natürliche Begabung für mancherlei besaß. –

Benno war kein Bummler. Er hatte inneren Gehalt. Und er liebte die Seinen.

„Mama, das war ein guter Gedanke von dir,“ sagte er jetzt. „Nur – die Geheimrätin soll mir mit ihrer Ludmilla vom Halse bleiben! Wenn sie denkt, ich lasse mich für diese höchst fragwürdige Jungfrau angeln –“

„Benno! Vergiß nicht, daß Hilde mit am Tisch sitzt.“

Die fidele Hilde lachte zwanglos.

„Mama – Benno hatte ja ganz recht. Diese Ludmilla ist wirklich sehr fragwürdig,“ sagte sie schnell. „Dir fehlt der Blick dafür, Mamachen. Doch ich finde sie einfach gräßlich! Sie hat so eine unaufrichtige, süßliche Art, die geradezu abstößt. Gestern traf ich sie zum Beispiel bei Werheim. Ein Herr stieg ihr nach. Sie ließ sich ruhig ansprechen. Es war so einer mit Monokel. Und die feine Ludmilla saß dann mit ihm im Teeraum.“

„Unmöglich!“ rief Frau Auguste. „Es wird ein Bekannter von ihr gewesen sein –“

„Gott erhalte dir deine Harmlosigkeit, Mama!“ meinte Benno achselzuckend. „Diese Ludmilla von Wengern würdest du allerdings mit Freuden als Schwiegertochter begrüßen, nur – müßtest du dir dann einen anderen Sohn suchen. Wenn du also etwa hoffst, daß mein Zimmer oben bei Wengerns dazu führen könnte – und so weiter, dann – schneidest du dich!“

Antonius Plinske benagte mit Andacht seine Hühnerkeule. Ihn freute es diebisch, daß seine beiden Sprößlinge genau so dachten wie er und sich von nicht dieser Milla hatten Sand in die Augen streuen lassen.

Jedenfalls wurde diese Mittagsmahlzeit für Frau Auguste die Quelle mannigfachen Ärgers. Denn als nachher ihr lieber Antonius fragte, was die Geheimrätin vormittags denn gewollt hätte, und als so die Geschichte von dem Tausendmarkschein ans Tageslicht kam, da legte Antonius, dieser Plebejer, die Hühnerkeule auf den Teller, hielt sich die Serviette vor das Gesicht und prustete los.

Prustete, bis er ganz blaurot wurde, rief dann in Pausen:

„Tau – Tausendmarkschein! Und – gestern hat – der alte Trottel, mir auf dieselbe Art fünfhundert Mark – locker gemacht! Die Bande – die – Bande!“

Frau Auguste hatte schon das Lorgnon vor den Augen.

„An – to – nius! Ich muß doch sehr bitten – sehr! Wie kommst du dazu, Wengerns in so – so niederträchtiger Weise zu verdächtigen?! Er ist – Geheimer Oberregierungsrat a.D.! Und – adlig! Und –“

„– die Sache wird sehr bald klären,“ beendete Antonius den Satz. „Ich werde ab morgen stets für tausend Mark Kleingeld bereithalten. Ich lege es oben in meinen Schreibtisch rechts, Auguste. –

Dann – dann – wird die Banknote ja wohl gewechselt werden, die mir der alte Trottel gestern nich mal zeigte –“

Frau Auguste fauchte ihren Gatten jetzt wütend an:

„Wie kannst du nur so – so über den alten Herrn sprechen! Trottel, – das ist ja geradezu eine Beleidigung, Antonius! Das ist –“

„– im Familienkreis gesagt – nichts weiter! Und hier unter uns lasse ich mir das Maul nich zubinden, Aujuste! Der Deubel hol’ die Wengerns. Ich will in Ruhe mein Hühnerfrikassee genießen! –

Benno, erzähl’ was Neues –“

„Leicht gefordert, Papa, – schwer erfüllt! Was Neues? – Hm – ich hab’ heute in der ‚Traube‛ – wir waren gegen ein Uhr zum Frühstück dort – ein Prachtweib als gegenüber gehabt. Selbst Hennemann war glatt hin! Ein Weib mit einem reizenden Leberfleck am Kinn, der so etwa –“

„Himmel – das braune Mäuschen!“ rief Papa Plinske begeistert. „Nicht wahr, Junge, – das Weib hat ein braunes Mäuschen als Leberfleck?“

„Und ob! Und Augen dazu – Augen!“

Frau Auguste musterte ihren Antonius argwöhnisch.

„Deine Begeisterung ist mir unverständlich,“ sagte sie eisig. „Es gibt viele Frauen mit Leberflecken im Gesicht, und ich fand an diesem Muttermal der Gräfin Snobowitzki –“

„Wer, Mama, – wer?“ fragte Benno hastig. „Gräfin – Gräfin Snobowitzki?“

„Geborene ‚Mistferkel,“, trompetete Antonius vergnügt. „Aus dem schönen Ungarlande – Mistoferky, geborene Gräfin – spricht serr gebbrochen Deitsch – serr!“ –

Nach einigen Hin und Her wurde festgestellt, daß das Prachtweib in der ‚Traube‛ nur die Gräfin in Begleitung ihres Gatten gewesen sein könne.

Antonius sprach dann die prophetischen Worte:

„Kinder, wir haben wirklich das große Los mit unseren Zwangsmietern gezogen: Grafen, Polen, er ein Kavalier mit Handküssen, sie eine Schönheit, die Unheil stiften kann, – dazu monatlich vierhundert Mark Miete und die Aussicht, mit Wengerns durch Bennos Zimmer noch intimer zu werden, – Mensch, was willst de noch mehr?!“

„Deine plumpen Scherze könntest du besser unterlassen,“ erklärte Frau Auguste und läutete nach dem Mädchen. „Du hast mir das Mittag förmlich verekelt, Antonius! – Übrigens kannst du nachher sofort umziehen, Benno. Der Portier und ein Dienstmann werden deine Möbel und sonstigen Sachen hinauftragen.“ –

Oben bei Wengerns saß man auch bei Tisch. Zu fünfen. Denn der Geheimrat hatte drei Kinder: Ludmilla, die älteste; dann Friedrich-Erich, den Studenten der Jurisprudenz, und Fränzi, die Jüngste, neunzehnjährig.

Bedienung hielten Wengerns sich keine. Dazu reichte es nicht. Und das Essen war noch immer Kriegskost. Dafür kleideten sich die Damen stets nach der neuesten Mode. Der Hausherr hatte hier überhaupt nichts zu sagen – gar nichts! Die ganze Familie stand lediglich unter dem Befehl der dürren Geheimrätin, auf deren schmaler Hakennase drohend ein goldener Kneifer thronte.

Der Student war ein blasser, entnervter Jüngling, unterernährt und ganz erfüllt von dem Bewußtsein, Sohn eines Geheimrats und adlig zu sein.

Fränzi wieder stellte das praktisch-moderne Element in der Familie dar. Sie war Tippfräulein bei einem Rechtsanwalt namens Aronsohn. Ludmilla war die ‚Schönheit‛, – nur ‚die Schönheit‛, die auf den reichen Freier wartete und nebenbei in aller Heimlichkeit sich nach Kräften amüsiert.

Das Tischgespräch bei Wengerns bildete Benno Plinske.

„Ich hoffe, daß wir in vier Wochen soweit sind,“ sagte die Geheimrätin jetzt. „Frau Plinske arbeitet mit mir Hand in Hand. –

Fränzi, weshalb lächelst du?“

„Weil ich Benno Plinske anders einschätze, Mama. Ich fürchte, Milla wird eine Enttäuschung erleben. Plinske ist –“

Ludmilla lachte schneidend auf.

„Neidisch, Fränzi?!“

„Mein Gott, neidisch! Ich könnte mich jeden Tag verloben. Aronsohn ist ebenfalls Millionär, und man sieht ihm die Abstammung kaum an. Ich brauchte ihm nur ein wenig –“

„Fränzi – einen Aronsohn!“ rief der Student geringschätzig.

„Schweig’!“ fuhr ihn die Mutter an. „Er ist getauft. – Also, Fränzi, du meinst wirklich, daß –“

Fränzi nickte. „Ganz bestimmt würde er mich heiraten. Und – vielleicht nehme ich ihn wirklich. Dann müßte er aber einwilligen, daß der Papa zu uns zieht. Papa soll mal wieder aufleben, soll – nicht nur –“

Sie verschluckte den Rest des Satzes.

Eine peinliche Stille entstand. Bis Milla plötzlich sagte:

„Ich – ich werde ebenfalls Maschineschreiben lernen – für alle Fälle –“ –

Dann erhob man sich von Tisch. Und Fränzi folgte dem Vater in dessen Zimmer, umarmte ihn, küßte ihn.

„Armer Papa, du sollst heraus aus dieser Luft. Du verkümmerst hier. Du bist zu – zu gutmütig. Ich – möchte dich wieder mal froh sehen –“

„Froh?!“ meinte er bitter. „Kind, gestern mußte ich Anton Plinske anborgen. Du weißt: Tausendmarkschein! – Wie ein Hochstapler kam ich mir vor –“

Fränzi preßte die Lippen zusammen.

„Mama?“ fragte sie dann leise.

„Verlangte es,“ ergänzte er seufzend.

Sie nestelte ihre Bluse auf. Dort trug sie ihre Ersparnisse.

„Hier, Papa, – nimm und gib Plinske das Geld zurück. – So nimm doch! Bin ich nicht stets dein Liebling gewesen?“

Ihm wurden die Augen feucht. „Das bist du noch, Fränzi. Aber, mit der Heirat, Kind, das – überlegte dir ja recht sehr! Ich warne dich. Was bei einer Ehe herauskommt, bei der nur der Verstand mitspricht, habe ich zur Genüge kennen gelernt –“

 

 

4. Kapitel

Das Loch in der Tür.

Vierzehn Tage später.

Der Ausgang des Wonnemonats Mai hatte für Berlin ein wahres Prachtwetter gebracht. Nur über einem einzigen Haus der Reichshauptstadt schwebte trotzdem eine schwarze, drohende Gewitterwolke.

Und das war der Mietspalastes Ecke Kurfürstendamm und Knesebeckstraße, in dem im ersten Stock rechts Plinskes und im zweiten Wengerns wohnten, dazu noch das gräfliche Ehepaar und oben bei Geheimrats der talentvolle Buchhalter a.D. Benno, der nun bereits bei der ‚Atlanta-Film G.m.b.H.‛ ein festes Engagement gefunden hatte.

Eine schwarze Gewitterwolke! –

Hm – eigentlich war sie braun – braun wie das Mäuschen der bildhübschen Xenia, geborenen Mistferkel, wie Antonius Plinske jetzt stets noch hartnäckiger als zuvor sagte. Sprach er von der Frau Gräfin, dann ließ er das ‚geb. Mistferkel‛ nie mehr aus. Und er sprach von ihr nur noch in gereiztem Ton, ganz besonders wenn sein Benno dabei war.

Das hatte seine guten Gründe. Antonius Plinske war nicht blind. Im Gegenteil: Wie weitsichtig er war, hatte er im Krieg bewiesen! Zehn Millionen zusammenzuschieben, ohne dabei auch nur ein einziges Mal mit der Staatsanwaltschaft in nähere Berührung zu kommen, dazu gehört mehr als Scharfsinn und Scharfblick! –

So beobachtete er denn auch jetzt im Hause die Vorgänge mit kundigen Augen. Und – er hatte übergenug zu beobachten. Sein Herrenzimmer stieß an den früheren Damensalon, in dem jetzt die Gräfin Xenia wohnte. Und Antonius Plinske hatte ‚zufällig‛ oben in der Verbindungstür seines Zimmers und des gräflichen Frauengemachs ein Löchlein entdeckt, durch das man so ziemlich alles sehen konnte, was drüben vorging.

Alles!

Kein Wunder, daß Antonius mit Hilfe des Löchlein Zeuge so mancher Geschehnisse geworden war, die sein braves Blut sehr in Wallung brachten.

Denn – bereits vier Tage nach dem Einzug der Snobowitzkis hatte er gemerkt, daß bei dieser gräflichen Ehe irgend etwas nicht stimmte. Zärtlichkeiten zwischen den beiden gab es nicht. Die geb. Mistferkel schlief in ihrem Zimmer auf dem Diwan, und der Graf in dem Flurzimmer auf einem Patentschlafsofa.

Was Antonius also belauschte – wenigstens in der ersten Zeit –, bezog sich mehr auf die Schönheit der mehr oder weniger ausgezogenen Gräfin. Dann aber war etwas Neues hinzugekommen, besser ein Neuer, und zwar ausgerechnet sein Sohn Benno!

Und das eben war’s, was Antonius’ Herz so sorgenschwer machte und ihn so sehr gegen die Gräfin einnahm. –

Neun Uhr abends war’s jetzt. Frau Auguste weilte oben bei ihrer Busenfreundin, der Geheimrätin, die ihr die vierhundert Mark ‚von damals‛ noch immer nicht zurückgegeben hatte. Nur der alte Trottel war so anständig gewesen, seine Fünfhundert schon am zweiten Tag zurückzuerstatten.

Und wieder vier Tage drauf war dann der Kladderadatsch mit dem zu wechselnden Tausendmarkschein erfolgt: Frau Auguste holte das bereitliegende Kleingeld, und da war die Geheimrätin denn ganz blaß vor Schreck geworden, hatte anscheinend wie wild nach ihrem Tausendmarkschein gesucht und schließlich erklärt, sie müsse ihn auf der Treppe verloren haben.

Jedoch auch diese handgreifliche Lüge konnte Frau Augustchens Sympathie für die Regentin der Oberetage nicht abkühlen. Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß ihr Benno die Ludmilla heiraten solle, und da die Geheimrätin dasselbe anstrebte, bestand hier eine Interessengemeinschaft, bei der der eine Teil durch den Ehrgeiz, der andere durch kühle Berechnung und die Hoffnung auf einen Teil der Plinskeschen Millionen dickste Freundschaft heuchelte.

Frau Auguste war also ‚oben‛, und soeben hatte Benno sich von dem lieben Papa unter dem Vorwand verabschiedet, er habe noch eine Verabredung im ‚Cafee des Westens‛.

Hilde aber hatte ihren Theaterabend. Antonius war mithin jetzt allein, stand bei verschlossenen Türen auf einem Stuhl vor der Verbindungstür und übte sich wieder mal im Spionieren.

Da – wahrhaftig! – Jetzt flammte bei der Gräfin die elektrische Krone auf. Und Antonius gewartet so heute zum dritten Mal seinen hübschen Filius in dem trauten gräflichen Gemach.

Dieser Bengel – dieser Bengel! Und – so ein Leichtsinn –! Wenn der Graf dahinter kam?!

Na – zum Glück war dieser Flirt erst im Anfangsstadium. Wie respektvoll Benno der Gräfin die Hand küßte! Da – nun setzten sie sich wieder nebeneinander auf das kleine Sofa.

Himmel – machte der Benno verliebte Augen, wenn sie’s nicht merkte. Er verschlang sie ja förmlich mit den Blicken.

Schade, daß man hier kein Wort von dem verstehen konnte, was die beiden sprachen.

Ah – jetzt nahm er ihre Hand, streichelte sie.

Nun konnte Antonius doch etwas hören.

Gräfin Xenia hatte plötzlich laut aufgeschluchzt. Dann rief sie, und dies mit einem so verzweifelten Gesichtsausdruck und in solchem Ton, daß es unmöglich Komödie sein konnte:

„Ich verdiene Ihre Freundschaft ja gar nicht! Ich bin so – so schlecht – so sehr schlecht!“

Antonius war baff – einfach baff! Sowohl über diese merkwürdige Selbstbeschuldigung als auch darüber, daß die Gräfin plötzlich in keiner Weise mehr ‚ungarnte‛, wie es doch einer geborenen Mistoferky zukam.

Was bedeutete das alles – was nur?! Von Freundschaft redete die Gräfin?! So ein Quatsch! Das gab’s doch gar nicht zwischen einem siebenundzwanzigjährigen Mann und einem so entzückenden Weib wie dieser Xenia. Diese Art Freundschaft kannte man! Das war stets die Einleitung für bedeutend weniger harmlose Beziehungen – stets! –

Also die Freundschaft – das war nichts als eine Phrase, nichts als eine Bemäntelung der beiderseitigen wahren Absichten! Doch – was sollte es heißen, wenn diese geborene Mistferkel plötzlich so bescheiden war, zu behaupten, sie sei Bennos Freundschaft nicht wert?! Wie konnte eine Gräfin einem früheren Buchhalter und jetzigen Kinomimen gegenüber sich so erniedrigen?! –

Und – schließlich noch das fließende Deutsch, das auch nicht die Spur mehr an eine heißblütige ‚Ungorin‛ erinnerte?

Vater Plinske war wie gesagt ‚helle‛. Und – gehörig helle! Deshalb stieg jetzt auch in ihm ein unbestimmter Argwohn auf. Leider gab es nun aber dort im gräflichen Gemach so viel zu sehen, daß er diesen Gedanken nicht weiter nachhängen konnte.

Xenia schluchzte noch immer geradezu herzzerbrechend. Und Benno saß ganz dicht neben ihr, hatte sie sanft an sich gezogen und flüsterte auf sie ein, streichelte ihr die Wangen und – wirklich –, – jetzt hob sie den Kopf – ließ sich – küssen.

Und – das mußten Küsse sein – Küsse! –

Antonius überlief es ganz heiß!

Dieser Bengel – dieser Bengel! Solchen Dusel zu haben! So ein Prachtweib.

Da – Benno küßte jetzt sogar das braune Mäuschen, den reizenden Leberfleck! Und die Xenia lächelte dazu unter Tränen, lächelte so überglücklich.

Ob sie Benno wirklich liebte?! Fast schien es so!

Jetzt – ah, so ein gerissener Lump! Jetzt drehte er die elektrische Krone aus und schaltete dafür die kleine Stehlampe mit dem roten Seidenschirm ein, die auf dem Damenschreibtisch am Fenster stand.

Das mollige Licht reichte kaum bis zum Sofa hin. Antonius erkannte nur noch undeutlich die beiden Gestalten. Immerhin: Benno hielt diese verfl… Mistferkel jetzt auf dem Schoß und küßte abwechselnd den Mund und etwas tiefer – eben das braune Mäuschen.

Herr des Himmels – wenn jetzt der Graf erschien! Ob der dann an – ‚Freundschaft‛ glauben würde?!

Antonius ballte die Fäuste! Sollte er etwa dulden, daß dieser Stanislaus Viktor seinen Sohn niederknallte?! Die vafluchten Pollacken hatten ja alle so haarsträubend viel Temperament! Die fackelten nicht lange!

Vater Plinske bekam eine Heidenangst um seinen Jungen. Schnell kletterte er vom Stuhl herab, zog sich den Mantel an, stülpte einen uralten, schwarzen Schlapphut auf, suchte eine Sonnenbrille mit blauen Gläsern vom vorjährigen Sommeraufenthalt in Kolberg heraus, setzte sie auf die wenig formschöne Knollennase und stieg die Treppen hinab, begann dann vor dem Haus auf der anderen Straßenseite zu patrouillieren. Den Grafen würde er ja schon von weitem erkennen. Der trug stets Zylinder und einen ganz kurzen, hellen Paletot.

Während er hier in seines Stammhalters Interesse Posto stand, während er sich halb und halb schämte, fast wie ein Kuppelweib ein Schäferstündchen zu bewachen, fand der Zeit genug, sich nochmals das durch das Türlöchlein Beobachtete zu überlegen.

Am meisten gab ihm zu denken, daß die Gräfin jetzt nicht mehr ‚ungarnte‛. Sie spielte also allen anderen gegenüber Theater; sie ahmte dieses verdrehte ‚Deitsch‛ nur nach.

Und weiter: Weshalb hatte sie in Bennos Armen wie ein Schoßhund geheult?! Diese Tränen waren doch echt gewesen! So – so konnte doch selbst die Asta Nielsen im Film mit Hilfe von Glycerin nicht weinen! Nee – die Tränen konnten in solcher Masse nicht Krokodilstränen gewesen sein! Aber – weshalb dieses Geschluchze und Geflenne – weshalb –?!

Antonius Plinske wurde schließlich ganz wirr im Kopf vor all dem Grübeln. Außerdem begann die Wache ihn zu langweilen.

Da – Himmel – da kam ja der Graf! Kein Zweifel, er war’s! Aber – er kam nicht allein!

Ah – also so trieb es dieses Ehepaar! Daher auch so gar keine Zärtlichkeiten! Jeder amüsierte sich auf eigene Faust.

Der Graf war mit seiner Begleiterin, einer Dame im hellen, langen Theatermantel, an der Ecke Kurfürstendamm in den dunklen Winkel eines Vorbaus getreten. Antonius hatte inzwischen seine Haustür aufgeschlossen und hielt sich bereit, jeden Moment hinein zu schlüpfen.

 

 

5. Kapitel

Noch ‛ne Freundschaft.

Aber Geduld – Geduld! Das Pärchen schien sich noch sehr viel zu sagen haben – sehr viel!

Antonius ging bis auf den Fahrdamm. Undeutlich erkannte er die beiden Gestalten in dem Winkel dort; sie standen recht dicht beieinander.

Jetzt – trennten sie sich. Die Dame kam auf die Haustür zu.

Antonius war mit zwei Sätzen drinnen, raste die Treppe hoch, schloß die Flurtür auf, trat ein und lehnte sie hinter sich nur an.

Er war überzeugt: Der Graf schickte das Mädel hier ins Haus – in sein Zimmer, wollte erst nach einer Weile folgen, damit es nicht auffiel.

Ein nettes Ehepaar, dieser Stanislaus Viktor und die geborene Mistferkel! Und welche Frechheit und Abgebrühtheit von dem Kerl, ein Weib in das Zimmer einzuschmuggeln, neben dem seine Frau schlief!

Ah – jetzt wurde die Nachtbeleuchtung im Treppenhaus eingeschaltet; jetzt knarrten die Stufen.

Antonius zog die Tür bis auf einen geringen Spalt zu. Sie ging nach innen auf.

Er schielte hinaus, konnte gerade den Eingang zu des Grafen Zimmer beobachten.

Nun rauschten Röcke.

Da – stieß jemand die Plinskesche Flurtür sehr kräftig auf – und schlug sie Antonius gerade gegen Kinn und Nase.

Er prallte zurück. Schaute auf.

Vor ihm stand die Dame im hellen Theatermantel, – stand seine Tochter, seine Hilde.

Sie war leicht zusammengezuckt, faßte sich aber schnell.

„Papa, habe ich dir weh getan? –

Entschuldige bitte. Ich sah, daß die Flurtür etwas offen stand –“

Antonius Plinske war’s, als ob er plötzlich zum Mitspieler in einem modernen Sittendrama geworden.

Seine Hilde – sein Kind – und dieser vafluchte, verheiratete Stanislaus Viktor!

Er packte Hilde wortlos beim Handgelenk, zog sie ins Eßzimmer.

„Wo – wo warst du heute abend?“ schnaubte er.

„Im Theater des Westens, Papa. Das weißt du doch. Graf Snobowitzki traf mich dort im Foyer und erbat sich, mich heimzubringen. Ich konnte das nicht gut ablehne –“

Antonius trat ganz dicht vor sie hin.

„Und – was tatet ihr jetzt eben dort in dem Winkel des Vorbaus – he?! Willst du deinen Vater etwa dumm machen?!“

Jetzt war die hübsche Hilde doch sehr blaß geworden. Sie senkte den Blick. Dann perlten ihr langsam zwei Tränen über die Wangen, zwei ganz dicke Tränen. Und ihnen folgten wieder zwei, nochmals zwei. Und dann legte sie ihrem Papa plötzlich die Arme um den Hals, schmiegte sich an ihn und schluchzte:

„Vati –Vati – ich bin ja so furchtbar unglücklich. Zwischen mir und dem Grafen besteht nur die reinste Seelenfreundschaft, – glaube mir! Nur Freundschaft. Er ist ja verheiratet, und ich würde doch niemals –“

Sie konnte vor Weinen nicht mehr sprechen.

‚Freundschaft – noch ‛ne Freundschaft!‛ dachte Antonius schier verzweifelt.

Aber – er glaubte seiner Hilde. Er wußte, daß sie ihn nie belog, nie!

Und – er konnte sie nicht weinen sehen! –

So sagte er:

„Geh’ jetzt zu Bett, Kind –“

Er wollte noch mehr sagen. Doch an seiner Stelle übernahm Frau Augustchens fettiges Organ von der Tür der die Fortsetzung.

„Was habt ihr beide denn?! Antonius, weshalb weint Hilde?“

Hilde tat jetzt das einzig Richtige; sie verzog ich blitzartig in ihr Zimmer, riegelte sich ein, entkleidete sich aus, zog die Bettdecke über den Kopf und es dergestalt vor, der Mutter heute nicht Rede und Antwort zu stehen.

Und ihr lieber Vati? Der dachte genau so!

„Jott – se hat Zahnschmerzen, Aujuste,“ sagte er frech und gottesfürchtig. „Und ick habe Leibschmerzen. Sojar so kräftje, daß ich schleinigst vaduften muß. Entschuldije also –“

Und mit vor den Bauch gepreßter Linker flitzte er in den Flur und auf die Tür des Badezimmers zu, frohlockte dabei:

‚Det fehlte jrad noch, daß sich meine Olle in diese Jeschichten einmischt! Dann wird die Schohse dotsicher total vermasselt –“

Er – frohlockte zu früh.

Das Badezimmer war versperrt! Es mußte jemand drin sein!

Antonius riß nochmals am Türdrücker.

Umsonst – dieser Zufluchtsort versagte heute!

Antonius war schlau. Er verhielt sich ganz still. Dann würde Auguste denken, er benutze bereits das Monokel –, das Holzmonokel! Denn Brille zu sagen, war doch Blech! Jede Brille hat zwei Einfassungen für Gläser. Und die Sitzgelegenheit, auch WC genannt, stets nur eine!

Nach ein paar Minuten schlich er dann in sein Herrenzimmer. Augustchen hatte nichts gemerkt.

Im Dunkeln kletterte er auf seinen Aussichtsturm, den Stuhl.

Ah – Stanislaus Viktor und die geborene Mistferkel saßen ja dort auf dem Sofa Hand in Hand. Dann schien also Benno das WC gepachtet zu haben; vielleicht war er vor dem Grafen dorthin geflüchtet.

Hm – zum ersten Mal saß das Paar so traulich nebeneinander! Aber – die Xenia heulte ja schon wieder! Und der Stanislaus Viktor schien zu trösten, machte sogar ein ganz zerknirschtes Gesicht.

Diese Pollackenbande – diese Heuchler!

Und jetzt hob der Graf die Rechte wie zum Schwur.

‚Wird ‛n netter Meineid sein, du Lump!‛ dachte Antonius. ‚Mein armer Benno! Dieses braune Mäuschen führt ihn hübsch an der Nase herum! – Wie sie jetzt den Kerl anhimmelt! Wie sie lächelt! Benno, du bist ein verliebtes Rindvieh! Sogar eins mit Eichenlaub und Schwertern! Morgen werd’ ich dir das in aller väterlichen Güte sagen! Dann wirst du ja wohl einsehen, daß –‘

Antonius’ Gedankenfaden riß jäh ab. Hinter ihm war die schmiedeeisernen Krone aufgeflammt.

Er flog herum – flog vom Stuhl und seiner Auguste gerade vor die Füße.

„Antonius – – An – to – nius, – was machst du dort auf dem Stuhl?“ wollte die teure Gattin wissen.

Dann kletterte sie, ohne eine Antwort abzuwarten, selbst auf den Aussichtsturm, erspähte das Löchlein in der Tür, lugte hindurch.

Drüben hatte Stanislaus Viktor sich bereits in sein Gemach zurückgezogen. Und Gräfin Xenia stand vor dem Spiegel und – hakte soeben das Mieder auf.

Auch sonst hatte sie nicht mehr viel an. Und was sie anhatte, war noch reizender als das braune Mäuschen am Kinn.

Frau Auguste zitterte – zitterte vor Wut und Eifersucht.

Im Nu war sie wieder auf ebenem Boden, reckte den rechten Arm hoch.

Aber – Antonius war verschwunden.

Er hatte Glück gehabt; jetzt war der Zugang zum sicheren Hafen frei! Jetzt hatte er sich dort eingeriegelt.

Augustchen pochte – wild und anhaltend.

„Antonius – sofort kommst du heraus!“ rief sie von draußen.

„Unmöglich!“ erklärte er. „Ich bin dringend beschäftigt –“

„Öffne – oder ich –“

Antonius feixte, hatte schon den Glockenzug errgriffen. Das Bächlein rauschte herab. Und Antonius zog immer wieder. –

Eine ganze Zigarre rauchte er noch. Dann hoffte er, daß die Luft rein sein würde. Und glücklich gelangte er in das Herrenzimmer, riegelte sich ein.

Auf dem Schreibtisch lag ein Zettel von Augustchens Hand:

Morgen lasse ich mich scheiden, Wüstling!

Er lächelte. –

Also wirklich eifersüchtig! Nun – morgen würde er die Snobowitzkis an die frische Luft setzen, und dann würde Augustchen zufrieden sein!

Den Gedanken hatte ihm das ‚Monokel‛ eingegeben. Ja – auch dort hat man manchmal geniale Einfälle! –

Er legte sich auf den Diwan und schlief auch bald ein.

 

 

6. Kapitel

Karl Poguttke aus Danzig.

Und dieser Morgen kam.

Frau Auguste war heute ausnahmsweise bereits um sieben Uhr fix und fertig angezogen. Sie wußte, daß Rechtsanwalt Aronsohn, der Chef Fränzis, dringende Klienten von acht bis neun Uhr vormittags erledigte. Und sie rechnete sich zu den dringenden Klienten.

Die verflossene Nacht hatte ihre eifersüchtige Wut eher noch verstärkt als abgeschwächt. Antonius war nicht im ehelichen Schlafgemach erschienen, hatte vielmehr in dem Zimmer mit dem verruchten Ausguckloch geschlafen! Gerade dort – dort, wo er sich jederzeit davon überzeugen konnte, welche Art von Unterwäsche dieses – dieses leider so blendend schön gewachsene Weib, diese geborene Mistoferky, trug.

Nein – Auguste wollte ernst machen! Die Scheidung war keine leere Drohung gewesen. Aronsohn sollte ja nach Fränzi von Wengerns Schilderung ein wahres Genie sein; er wurde Antonius schon diese Gräfin mit dem braunen Leberfleck versalzen – sogar gründlich! –

Um halb acht wollte Frau Auguste dann nach der Dorotheenstraße fahren, wo das getaufte Genie sein Büro hatte.

Aber – es gab noch eine kleine Verzögerung. Ein Depeschenbote brachte ein Telegramm für Antonius.

Auguste öffnete es.

Komme auf drei Tage nach dort. Kannst du mich aufnehmen? Treffe mit Frühzug ein.

Karl Poguttke

Augustchen vergaß für Minuten vor Entsetzen Aronsohn und die Scheidung, die Gräfin und das Löchlein in der Tür.

Karl Poguttke aus Danzig! Ausgerechnet der! Ausgerechnet dieser Duzfreund ihres Mannes, der gleichfalls Millionen verdient, aber sich nicht im geringsten an diesen Millionen, was Benehmen anbetraf, emporgerankt hatte!

Auguste dachte mit Grausen daran, daß Geheimrats diesen Plebejer in Reinkultur bei ihnen vielleicht kennen lernen würden! Das konnte ja reizend werden, wenn Poguttke seine Witze erzählte und seine berüchtigten Redensarten vom Stapel ließ!

Da – endlich fiel der völlig Niedergeschmetterten ein, daß es ihr jetzt ja eigentlich ganz gleichgültig sein könne, was für Freunde Antonius hätte! Ganz gleichgültig!

Sie wollte sich ja scheiden lassen.

Und der Gedanke gab ihr die Fassung zurück. Sie legte die Depesche auf den Frühstückstisch neben ihres Gatten Kaffeetasse und fuhr dann mit der Straßenbahn zu Aronsohn. –

Siegfried Aronsohn, Doktor juris, war soeben im Bureau angelangt. Wie immer fand er Fränzi bereits anwesend! Er diktierte ihr morgens stets noch ein paar eilige Schriftsätze.

Heute wollte es damit aber nicht recht gehen. Er war so sehr zerstreut.

Ja – wenn er nur Mut gehabt hätte! Den Mut, Fränzi zu sagen: ‚Ich liebe dich – werde mein Weib!‛ –

Doch – er getraute sich nicht. Sie hieß von Wengern, und ihre Mutter war eine geborene Baronesse. Und er – hieß Siegfried Aronsohn! Wenigstens hatte er bis gestern so geheißen. Jetzt war die beantragte Namensänderung genehmigt. Und vom 1. Juni ab war er dann auch nicht mehr Rechtsanwalt, sondern Syndikus des großen Film-Konzerns.

Trotz alledem: Er fand den Mut nicht! Ihn bangte vor der Entscheidung!

Wenn Fränzi nun ‚nein‛ sagte?! Dann – dann verlor er sie für immer.

Da – ein rettender Gedanke.

„Neue Zeile,“ diktierte er. „Schreiben Sie, Fräulein von Wengern. Also: Ich heiße jetzt Siegfried Saro, bin ab 1. Juni Syndikus und biete Ihnen hiermit meine Hand zum Lebensbund an. Ich liebe Sie, Fränzi! Das wissen Sie. Und daß ich ein anständiger Kerl bin, wissen Sie auch –“

Fränzi waren die Arme in den Schoß gesunken.

Er lehnte am Fenster, wartete.

Plötzlich schrillte die Flurglocke.

Siegfried Saro murmelte einen Fluch vor sich hin und – ließ Frau Auguste ein. Sie begrüßte Fränzi, die dann sofort verschwand.

Nun trug die so unerwartet Erschienene ihren Fall vor.

„Nicht wahr – das genügt doch wohl zu einer Scheidung?“ fragte sie zum Schluß.

Der Rechtsanwalt konnte sich nicht mehr beherrschen. Diese Störung – dieses verrückte Weib!

Er schlug mit der Faust auf den Tisch.

„So Scheidung?!“ rief er. „Nicht mal zu ‛ner Gardinenpredigt genügt das! Was hatte Ihr Gatte denn getan – he?! – Kann er dasselbe nicht in unzähligen Theaterstücken und Filmen sehen?! Was macht es heutzutage aus, wenn man eine Frau im Negligee oder – in gar nichts vor sich hat?! Und – sind Sie nicht fast dreißig Jahre glücklich verheiratet gewesen?! Da wollen Sie einer solchen Lappalie wegen gleich zum Richter laufen?! Sie irren sich in mir, gnädige Frau! Derartige Fälle vertrete ich nicht! Die Ehe ist etwas Heiliges, und eines kleinen Loches in einer Tür wegen –“

Frau Auguste weinte.

Und sagte dann zögernd: „Eigentlich haben Sie recht. – Ich – ich war nur so – so –“

Er geleitete sie hinaus. „Wünsche freudige Versöhnung, gnädige Frau –“

Er hätte sie aufhängen, massakrieren können! Gerade im weihevollsten Moment war dieses Weib erschienen. Nun würde Fränzi sich die Sache reiflich überlegt haben; nun würde auch der Saro und der Syndikus nicht mehr ziehen!

Er betrat sein Zimmer wieder. –

Ah – an der Schreibmaschine saß Fränzi und – tippte, nahm nun den Bogen heraus, reichte ihn ihm, schaute zur Seite.

Da stand:

Dem Manne, dem die Ehe etwas Heiliges ist, will ich gern fürs Leben angehören –

Der Bogen flatterte zur Erde.

„Fränzi – wirklich, wirklich?!“

Er hatte ihre Hände ergriffen.

Sie lächelte ihn an.

„Wirklich!“ sagte sie leise. „Ich achte und – liebe Sie! Das genügt zum Glück – zum wahren Glück –“

„Fränzi!“

Er riß sie an sich, küßte sie.

Und ihre Küsse waren dann für ihn wie eine Offenbarung. Wenn er noch gezweifelt hatte, ob sie in ihm nicht doch nur ‚die gute Partie‛ nehme – ihre Lippen verscheuchten derartige Gedanken. Die Küsse predigten Liebe und bräutliches Begehren, verrieten ein heißes Temperament.

Nachher sagte Fränzi lachend: „Du – nicht mehr auf Frau Auguste Plinske schelten. Ich hörte nebenan die Predigt, die du ihr hieltest! Und – das gefielen mir, das paßte so ganz zu dem, was ich bisher von dir kannte –“

Antonius erwachte. Jemand donnerte an die Tür. Jemand brüllte:

„Mensch, Anton, effne deine Kemenate! Hier steht dein Freund Karl – Karl Poguttke aus ‛n Freistaat Danzig!“

Antonius schob die Riegel zurück.

„Karl – ne, is det ‛ne Freude! Hier – ran an meine Busento!“

Sie umarmten sich.–

Dann schaute der dicke Poguttke sich um, grinste.

„Ah – du hast hier jenächtigt, hast Stunk mit deine Olle jehabt! Kenn’ das!“

Er warf den Mantel und den Hut auf den Diwan.

„Anton, zu allererscht muß ich mal deine Kanalisationsjelejen– heit frequentierte. Zeig’ mir ‛n Weg dorthin. Aber bißchen dalli. ‛s hat Eile –“

„Komm’! Aber bleib’ da nicht wohnen, Karl. Ick trinke Brunnen – vastehst de – Brunnen! Und morgens –“

„Jut – jut, – ich bin nich for Dauersitzungen.“

Und Poguttke verschwand hinter der bewußten Tür, vergaß aber, abzuriegeln.

Und – als er dann gerade den stillen Ort wieder verlassen wollte, trat jemand anders ein – eine Dame im Morgenrock – eine sehr schöne Dame.

Sie prallte zurück.

Denn „Dunnerkiel – die braune Maus!“ war es dem Dicken entfahren.

Da war sie aber schon entwischt.

Und Karl Poguttke feixte diabolisch, als er nun wieder ins Herrenhaus kam.

„Anton!“ Er schlug ihm knallend vor den Bauch. „Anton – du bist ja ‛n janz vafluchter Jenießer. Du! Also deswejen hast de dir mit deine Olle veruneinigt – der braunen Maus wejen! –

Mensch, wo hast de denn die aufjejabelt? Und – wat sagen denn deine Kinder zu dies Techtelmechtel?!“

Antonius Plinske stierte Poguttke ganz entgeistert an.

„Was – was meinst du eigentlich?! Braune Maus – Techtelmechtel?!“

„Du – hab’ dir nich! Denkst de, ich kenn’ die keusche braune Maus nich wieder? Die aus ‛n ‚Austern-Keller‛ in Danzig?! Mensch – vor zwei Jahren – das war noch so ‛n Lebchen! Wat?! Das Mädel hat ja damals die janze Stadt doll jemacht. Und du hast se damals immer so anjehimmelt – so –“

Da war Antonius Plinske endlich ein Licht aufgegangen. Nun wußte er, woher er die braune Maus kannte! Geschäftsreisen nach Danzig – ‚Austern-Keller‛ – und die keusche Hebe[2] dort, der gegenüber niemand frech zu werden wagte.

Also das – das war die Gräfin Xenia, geborene Mistferkel – das!

Antonius mußte sich setzen.

„Karl,“ stammelte er. „Karl – du bist jrade zur rechten Zeit hier aufjetaucht! Mensch, das Weib, das braune Mäuschen, wohnt hier bei uns als Jräfin Snobowitzki mit ihrem Jatten, – stell’ dir vor, als Jräfin!“

„Hat man Worte! Jräfin gleich! Na amende hat se sich wirklich ‛n Grafen jeangelt! Kannst de wissen?! ‛n patentes Frauenzimmer ist’s ja. Und – ihre Tugend war jradezu unheimlich. Daran prallten selbst braune Lappen ab. Ich spreche aus Erfahrung –“

„Jeheiratet?!“ lachte Antonius rachsüchtig. „Keene Spur! Als geborene Jräfin aus Ungarn gab se sich hier aus! Jeheiratet?! Nich die Spur! Janz ins Jejenteil! Meinen Benno hat se ooch kapern wollen! Schwindler sind’s! Hochstapler!“

Frau Auguste war in der Tür erschienen.

„Von wem redest du, Antonius?“ rief sie. „Etwa von der –“

„– braunen Maus!“ ergänzte Poguttke und eilte auf die Frau des Freundes zu. „Morgen liebe Frau Plinske, – morgen, wie steht’s! Na, Sie sind ja ordentlich jung jeworden – Tatsache! Und mit det Weibstick hat’s seine Richtigkeit: Die waren mal Kellneuse in Danzig. Aber so wat janz Rares, so eene ‚Rühr’ mich nich an!‛ Und nu spielt se hier die Jräfin – da is’s Ende von weg!“

Augustchen strahlte. – Jung sollte sie geworden sein. Und – die Xenia einer Hochstaplerin!

Sie reichte ihrem Antonius die Hand.

„Vertragen wir uns wieder. – Aber – das Ehepaar muß ziehen – sofort!“

„Und ob!“ nickte er. „Aujustchen – los denn! Karl Poguttke kommt mit! Die Bande wird sich wundern!“

 

 

7. Kapitel

Das große Geschäft.

Antonius steuerte auf die Tür zu – auf die falsche, nämlich auf die bewußte Verbindungstür. So eilig hatte er’s damit, die Snobowitzkis hinauszuekeln.

„Antonius!“ rief Augustchen, als er schon die Hand auf dem Drücker hatte.

„Himmel – bin ick in Jedanken!“ meinte er. „Entschuldje man, Aujustchen, diesmal hatte ich keinerlei Nebenabsichten, die sich auf det Löchlein bezogen –“

Poguttke hörte als smarter Geschäftsmann das Gras wachsen. Also war ihm auch das Löchlein nicht entgangen. Er fragte, was es damit auf sich habe. Und als Frau Auguste ihn aufgeklärt hatte, wobei sie ihrem Antonius ein paar kräftige Nadelstiche – bildlich ausgedrückt – versetzt hatte, kletterte Karl ohne weiteres auf den Aussichtsturm.

Aber – er behauptete dann, es gebe da nischt zu sehen, reinweg gar nischt!

Noch nie hatte er so frech gelogen – noch nie!

Er kletterte wieder herab. Sein Gesicht war sehr – sehr nachdenklich geworden. Der Deubel sollte aus alledem schlau werden. Da hatte doch eben ein sehr patenter Kerl mit Monokel die Hilde Plinske drüben in den Armen gehabt und geküßt. Und sie – sie war damit offenbar sehr einverstanden gewesen! –

Er kannte doch die Hilde. Sie war ja sein Patchen! Aber – das hatte er ihr doch nicht zugetraut! Der patente Kerl konnte ja nur dieser Hochstapler-Graf gewesen sein!

Hm – ob es da nicht besser war, wenn er den großen ‚Rausschmiß‛ etwas verzögerte? Vielleicht waren der Graf und Hildchen mit der Knutscherei bald fertig. Es war ja gar nicht auszudenken, wenn Plinskes ihre Tochter dort drüben überraschten.

Karl Poguttke war ein Mann von schnellen Entschlüssen.

„Kinder,“ sagte er gemütlich, „ich hab’ einen Bärenhunger. Könnten wir nicht erst frühstücken? So mit leerem Magen einem Hochstaplerpärchen auf ‛n Leib rücken, das jeht jejen meine Jesundheitsprinzipien. Een voller Bauch studiert nich gern, heeßt’s im Sprichwort. Aber: Een voller Bauch sieht allens allens mit versöhnlichere Augen an und läßt sich nich so leicht zu wörtliche oder tätliche Beleidigungen hinreißen. Nicht wahr, liebe Frau Aujuste, darin jeben Sie mir doch recht? – Allens in Ruhe!“

Augustchen sah das ein. So setzte man sich denn ins Speisezimmer. Das Stubenmädchen brachte den Kaffee.

„Wo nur Hildchen steckt?“ meinte Papa Plinske. „Und auch Bennos Tasse ist noch unbenutzt. Een janz verrickter Morjen is das! – Hm – du scheinst ja schon jefrühstückt zu haben, Aujuste? Du mußt denn ja mächtig früh aus die Federn rausjekrabbelt sin –“

Augustchen wurde rot. Sie dachte an Aronsohn. Karl Poguttke merkte, daß hier ein heikles Thema angeschnitten worden war und begann schnell eine Geschichte von der braunen Maus zu erzählen – eine Geschichte, die deren Tugendhaftigkeit in das beste Licht rückte.

„Schade um det Mächen,“ meinte er zum Schluß. „Man erzählte sich damals in Danzig, sie soll so von besserer Herkunft sein – aus so ‛ne verkrachte baltische Adelsfamilie. Aber die Wahrheit war nich rauszukriejen –“

„Ganz interessant,“ warf Frau Auguste ein. –

Ein paar Räume weiter, nämlich im Flurzimmer des Grafen Stanislaus Viktor, war es noch weit interessanter.

Da saß man jetzt ebenfalls am Kaffeetisch und zwar zu vieren, oder besser: zu zwei mal zweien! Denn hier hatten sich Hilde und der Graf und Benno und die braune Maus so gesetzt, daß sie jederzeit dem anderen Teil beweisen konnten, wie unendlich lieb man sich hatte.

Hilde war trotz des Glücksschimmers in den Augen etwas ängstlich. Zuweilen seufzte sie verstohlen auf. Doch Benno war desto hundeschnäuziger. Einmal sagte er, um das Schwesterlein zu beruhigen:

„Ich kenne doch Papa – und kenne die Mama noch besser! Die Sache wird schon klappen!“ –

Und ein Stockwerk höher ging es heute ebenfalls sehr lebhaft zu. Soeben war Ludmilla, die ‚wartende Schönheit‛ ins Eßzimmer gestürzt und hatte triumphierend gerufen:

„Mama – ich habe doch recht! – Ich war beim Portier. Als ich die Treppe hinaufging, hörte ich hinter der Tür des Grafen sprechen. Ich habe ganz deutlich Bennos und Hildes Stimme erkannt. Also bestehen doch irgendwelche dunklen Beziehungen zwischen den Plinskeschen Kindern und diesen Gaunern –“

Der Geheimrat, der sonst nie etwas zu sagen wagte, erklärte jetzt empört:

„Milla – du hast an der Tür gehorcht! Schämst du dich nicht!“

Frau von Wengern war einfach sprachlos.

„Was – was geht denn dich das an?!“ fuhr sie auf. „Die Kartoffeln warten schon darauf, geschält zu werden. Und der Ofen im Wohnzimmer ist auch noch zu heizen.“

Dann wandte sie sich an Milla. „Das paßt ja ausgezeichnet, Kind. Ich werde sofort Frau Plinske einen Wink geben. Dann – platzt die Bombe!“

„Das – das wirst du nicht tun!“

Der Geheimrat war ganz blaß geworden. „Dieses Intrigenspiel dulde ich nicht! Es ist unser unwürdig. Denkt ihr denn, den Benno Plinske durch solche Mittel einfangen zu können?“

Er lachte schrill auf. „Der Mensch ist ja viel zu klug, um euch auf den Leim zu gehen. Ist es wirklich mit uns schon so weit gekommen, daß wir –“

Die Geheimrätin hatte sich erhoben, war dicht vor ihren Gemahl hingetreten. Der Kneifer zitterte auf ihrer Nase.

„Schweig’! – Ich denke, du hast in der Küche zu tun!“

Das war alles, was sie sagte. Aber sie begleitete es mit einem Blick, der auch heute seine Wirkung nicht verfehlte. Es gab da eben in der Vergangenheit des Geheimrats einen winzigen, dunklen Fleck, etwas, das nur einem Mann als schuldig erscheinen konnte, der in so starren Grundsätzen erzogen worden war wie Herr von Wengern.

Und dieser winzige, dunkle Fleck, den er sich selbst nie verziehen hatte, war es gewesen, der seiner Gattin diese völlige Herrschaft über ihn verschafft hatte. Dieses ‚Schweig!‛ und diesen Blick kannte er. In dem Blick lag stets eine grenzenlose Geringschätzung. Und das war dann wie ein Peitschenhieb, der den aufbegehrenden Sklaven wieder zum Gehorsam zwang.

Heute jedoch sollte zum ersten Mal seit Jahren diese eheliche Szene, der Ludmilla mit völliger Gleichgültigkeit beiwohnte, einen ungewohnten Abschluß finden. –

Den neben dem Eßzimmer liegenden Salon, dessen Verbindungstür nur durch Portieren verschlossen war, hatte vorhin das neugebackene Brautpaar, Fränzi und der Rechtsanwalt betreten. Fränzi war mit Hilfe ihres Flurschlüssels unbemerkt in die Wohnung gelangt.

Sie hatte die Eltern, hauptsächlich aber den Vater, überraschen wollen. Ihren Verlobten hatte sie bereits in die in ihrem Elternhaus bestehenden so unerquicklichen Verhältnisse offen eingeweiht.

Siegfried Saro hatte nun soeben hier eine Probe von der Behandlungsart erhalten, die der herzensgute Geheimrat sich gefallen lassen mußte.

Er war es, der Fränzi nun sehr energisch durch die Portieren ins Nebenzimmer schob.

Fränzi zog ihren Bräutigam hinter sich her. Ludmilla gewahrte das Paar zuerst, rief nun in spitzem Ton:

„Ah – also wirklich!“

Das bezog sich auf die Verlobung, auf den – getauften Juden.

Fränzi führte Saro vor den Vater.

„Papa, Rechtsanwalt Dr. Saro hat heute um meine Hand angehalten. – Wir sind einig.“

Saro verbeugte sich. „Herr Geheimrat, ich bitte um Ihre Einwilligung zu –“

Inzwischen hatte auch die Geheimrätin sich wieder gefaßt und sich auch blitzschnell in die neue Situation hineingefunden.

„Mein lieber Herr Rechtsanwalt,“ fiel sie Saro ins Wort, „wollen Sie uns wirklich unser Nesthäkchen entführen?!“ –

Wie immer gedachte sie auch jetzt den Grafen völlig bei Seite zu drängen.

Saro war in Berlin groß geworden. Er kannte Menschen und Lebensverhältnisse. Er war nicht auf den Mund gefallen, war durch nichts zu verblüffen.

Der Geheimrat schaute etwas hilflos auf Fränzi. Er wollte sprechen. Aber die Rührung schnürte ihm die Kehle zu. Während Fränzi ihn jetzt umarmte und küßte, wandte Saro sich an die Geheimrätin.

„Gnädige Frau, es handelt sich hier um eine doppelte Entführung. Fränzi hat den Wunsch geäußert, daß mein Herr Schwiegervater zu seiner Erholung sofort mein Sommerhaus in Blinkenwerder beziehen soll. Ihnen wird ja selbst viel daran liegen, daß Ihr Herr Gemahl in Gottes freier Natur seine angegriffenen Großstadtnerven wieder etwas stählt. Sie werden sich also fraglos sehr gern in Zukunft ohne Ihren Gatten behelfen.“

Das war deutlich. Das besagte zur Genüge, daß Fränzis Verlobter die Verhältnisse hier kannte.

Die Geheimrätin lächelte säuerlich. Sie wollte es mit diesem Schwiegersohn nicht verderben.

„Oh – wie freue ich mich in meines guten Mannes Interesse,“ meinte sie und reichte Saro die Hand. –

Damit war bei Wengerns ein für alle Mal mit der Tyrannenherrschaft Schluß gemacht. Saro war stets höflich. Aber herzlich war er nur zu seinem Schwiegervater. Seine Höflichkeit hatte eine Art, die keinen Widerspruch duldete.

Ludmilla und der Herr Studiosus v. Wengern spöttelten nur insgeheim über den ‚getauften‛ Schwager.

Drei Wochen drauf war die Hochzeit, die Saro mit seinem Geld ausrichtete. Auch Plinskes waren geladen, – Plinskes nebst …

Aber dieses ‚nebst‛ bedarf noch einer näheren Erläuterung. –

Karl Poguttke wischte sich Mund und Schnurrbart mit der Kaffeeserviette, meinte:

„So, Kinder, nu kann’s losjehn. Die beeden Kognäker als Magenschluß haben mir so die richt’je kampfesfrohe Stimmung jejeben. Also – vorwärts – rin ins Vajniejen!“

Man erhob sich vom Kaffeetisch. Aber – das ‚Vajniejen‛ sollte sich anderswo abspielen, als man gedacht hatte.

Das Stubenmädchen trat ein.

„Der Herr Graf und die Frau Gräfin möchten die Herrschaften sprechen,“ richtete die schnippische Anna aus, „sie sitzen im Salon –“

Antonius schaute erst seine Auguste und dann Freund Poguttke an.

„Wie jerufen!“ brummte Karl Poguttke. „Also denn in ‛n Salon – Marsch! Und – steck’ ‛n anderes Jesicht uf, Anton! Mensch, ick jloobe, du hast doch son bißken Bammel –“

Auguste lachte hart auf. „Dafür habe ich desto mehr Mut und –Wut,“ sagte sie und ging voran.

Dann kam zunächst die Vorstellung Karl Poguttkes.

„Herr Großkaufmann Poguttke aus Danzig – Graf und Gräfin Snobowitzki,“ erledigte Augustchen die Sache sehr kurz.

Karl Poguttke neigte nur wenig den Kopf, feixte Gräfin Xenia vertraulich an und platzte dann sofort heraus:

„Herr Jott – die braune Maus! – Nee, ich kann mich gar nicht irren! Ich muß Sie kennen, Frau Gräfin – aus dem ‚Austern-Keller‛ auf ‛m langen Markt in Danzig.“

Die braune Maus errötete etwas, erwiderte jedoch ohne Scheu:

„Sie haben recht, Herr Poguttke. Damals lebte meine Mutter noch. Wir wären verhungert, wenn ich nicht jene für mich allerdings in vielem recht erniedrigende Stellung angenommen hätte. Viktor war noch zu jener Zeit als Gefangener in Sibirien.“

Poguttke hatte ein mitfühlendes Herz. Diese schlichten Worte gingen ihm nahe.

„Hm – man hat Sie in Danzig ja kaum belästigt, Frau Gräfin,“ meinte er. Und dann stieß er Antonius aufmuntern in die Rippen.

„Ick will mir nich einmengeln. Red’ du!“ flüsterte er.

Doch der kam nicht dazu. Der Graf stand da, hatte sich leicht auf die Rückenlehne des einen Sessels gestützt und – er begann nun:

„Wir sind Ihnen, Herr und Frau Plinske, einige Erklärungen schuldig. – Zunächst: Xenia ist meine Schwester! Wir heißen auch nicht Snobowitzki, sondern von Grallborg, – Baron Viktor von Grallborg und Baronesse Xenia von Grallborg. Wir sind Deutschbalten, haben durch den Krieg alles verloren. – Unser Vater wurde erschossen. Mich schleppte man nach Sibirien. Xenia und unsere Mutter flüchteten nach Danzig. Nach dem Tod der Mutter wurde Xenia Gesellschafterin bei einer älteren Dame. Vor drei Monaten langte ich dann hier in Deutschland an. Ich suchte mich durch Schriftstellerei zu ernähren. So kam’s, daß ich auch Filmstücke verfaßte und mit Filmgesellschaften in Beziehungen trat. Ich wollte gern irgendwo Regisseur werden. Ich hatte auch andere großzügige Pläne. Mir fehlte es jedoch an Kapital, sie zu verwirklichen. Durch Zufall wurde ich auf Ihren Sohn Benno aufmerksam, dem man allgemein eine Zukunft voraussagt. Ich erfuhr, daß Sie, Herr Plinske, sehr wohlhabend sind. So faßte ich den Entschluß, Ihnen Gelegenheit zu geben, mich näher kennen zu lernen. Ich hoffte Sie allmählich für meine Ideen zu gewinnen. Benno, dem ich bis dahin fremd war, wurde bald mein Verbündeter. Ebenso – Ihre Tochter Hilde. – Graf Snobowitzki existiert wirklich. Ihm als Mitglied der polnischen W.G.M.-Kommission war es ein Leichtes, mir diese Wohnung zu besorgen. Er ist ein alter Herr und Freund meines Vaters. Um Scherereien mit dem Wohnungsamt zu vermeiden, gestattete er, daß Xenia und ich hier als Graf und Gräfin Snobowitzki auftraten. Meine Schwester hat sich inzwischen für den Film ausbilden lassen und – hm ja – hat sich außerdem mit Benno verlobt –“

„Aha!“ trompetete Antonius. „Aha – ick bejreife! Daher also det Jeknutsche –“

„An – to – nius!“

Augustchen warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Baron Grallborg lächelte. „Ja – daher auch die Tränen! Xenia fürchtete, Benno könnte sich von ihr lossagen, wenn er die Geschichte von der – braunen Maus aus dem ‚Austern-Keller‛ erfuhr. – Aber – Benno tat das gerade Gegenteil: auch die braune Maus blieb seine Verlobte, und die Liebe wurde noch größer, falls das überhaupt noch möglich war.“

Der ‚Hochstapler–Graf‛ machte eine kurze Pause, trat dann einen Schritt vor.

„Herr und Frau Plinske, gleichzeitig gestatte ich mir, Sie um die Hand Ihrer Tochter Hilde zu bitten –“

„Dunnerkiel!“ lachte Karl Poguttke vergnügt. „Doppelt jenäht hält besser!“

„Außerdem,“ fuhr der Baron fort „mache ich Ihnen, Herr Plinske, den Vorschlag, das Gebäude der verkrachten Filmgesellschaft ‚Teutonia‛ zu kaufen. Benno wünscht dasselbe. Xenia und Benno sollen die Hauptdarsteller der neuen Filmgesellschaft werden, ich der Oberregisseur und Sie geschäftsführender Direktor. – Sie können Ihr Geld gar nicht besser anlegen. Wenn ich Ihnen erst meine Ideen entwickelt haben werde, wie wir die Konkurrenz aus dem Felde schlagen können, werden Sie das selbst einsehen –“

Benno und Hilde hatten hinter der Tür gelauscht, tauchten nun im entscheidenden Moment auf. Sie brauchten gar nicht mehr zu bitten. Augustchen imponierten Schwiegersohn und Schwiegertochter so sehr, daß sie plötzlich zu weinen begann und erst den Baron und dann die braune Maus in die Arme schloß.

Nachmittags um ein Uhr mußte man Karl Poguttke zu Bett bringen. Er hatte sich bei dem Verlobungssekt die Nase gehörig begossen. Auch Antonius hatte den Zungentatterich und war ganz verliebt in sein neues Schwiegertöchterchen, nannte sie stets nur ‚mein braunes Mauseken‛ und dachte auch nicht die Spur mehr an die andere, selbsterfundene Benennung – an ‚die geborene Mistferkel‛. –

Auf Fränzi Wengerns Hochzeit tanzten auch die beiden Plinskeschen Brautpaare. Und Frau Auguste saß stolz dabei, schaute zu und ließ sich ‚Frau Direktor‛ titulieren, denn ihr Antonius war ja jetzt wirklich leibhaftiger Direktor der wiedererstandenen ‚Teutonia‛, die dann als ersten Film mit größtem Erfolg ‚Die braune Maus‛ herausbrachte.

Und das war nichts anderes als die Geschichte, die ich hier soeben erzählt habe.

 

 

Anmerkungen:

[1] W. v. Neuhof (d.i. Walther Kabel) „Wie benehme ich mich“; Verlag moderner Lektüre; Berlin 1921

[2] griech.: Göttin der Jugend