Harald Harst
Aus meinem Leben
Band: 239
Erzählt von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1928 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO. 16.
Druck: P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO. 16.
1. Kapitel.
... Wenn ich hier nun in den nächsten vier Bänden die Abenteuer um die fast sagenhafte Gestalt Old Cracks schildere, so hoffe ich damit meinen Lesern und Freunden eine ganz besondere Kost bieten zu können. Es sind Erlebnisse, die so vollkommen aus dem Rahmen unserer sonstigen kleinen und großen Streifzüge in das Gebiet des Kriminellen herausfallen, daß es mir nicht leicht wird, ihnen eine ansprechende Form zu geben.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, diese vier Old-Crack-Bände erst später fertigzustellen. Aber da mich ein böser Anfall eines Rheumas, das ich mir damals in den eisigen Nächten in Alaska holte, für längere Zeit außer Gefecht gesetzt hat und mich in mein Zimmer bannt, will ich unter Hinweis auf einen Brief des Herrn Oberpostsekretärs A. G. aus C. gleich mitten in die rätselhafte Vorgeschichte hineinspringen. Herr A. G. schrieb uns, daß jener Verbrecher Karsten, dem wir unsere Insel Schluderrock verdanken und der auch unser Heim in Brand steckte und ausplünderte. die geraubten Kostbarkeiten, zumeist Andenken an indische Fürsten, vielleicht in jenem Schiffe verborgen gehabt hätte, das scheinbar auf Schluderrock strandete. Diese Annahme ist irrig. Wir hatten allen Grund, nach den Kleinodien zu suchen. Wir haben sie nicht gefunden. Als Karsten in München durch eigene Hand starb (all dies habe ich ja in früheren Bänden eingehend geschildert), nahm er das Geheimnis des Verstecks der Millionenwerte mit ins Grab.
Und doch …
Aber ich will nicht vorgreifen. — —
An einem stürmischen, kalten Januarabend hatten wir es uns in der kleinen Villa, die mein Freund Harst als Ersatz für unser Eigenheim in Dahlem gemietet hatte, in der großen Bibliothek nach Kräften gemütlich gemacht.
Dahlem ist ein Berliner Vorort. Sein Botanischer Garten ist ebenso berühmt wie sein Millionärviertel. Dahlem stößt nach Osten zu an Schmargendorf, berührt nach Westen hin die Villenkolonie Grunewald und ist fraglos der feudalste Wohnort der Umgebung Berlins.
Die Villa liegt in der Parkstraße. Sie wurde uns durch einen Agenten angeboten - mit Mobiliar, Autos, Dienerschaft für einen verhältnismäßig geringen Preis. Harald griff sofort zu. Ende Dezember zogen wir ein: Frau Auguste Harst, unsere alte Mathilde und wir beide. Der Portier, der zugleich die Zentralheizung besorgte, der Chauffeur, der Diener, die Köchin — alles waren altgediente, bewährte Leute, die seit Jahren im Dienste der alten Exzellenz gestanden hatten, deren Erben nun das Haus vorläufig an Fremde abgeben wollten. Exzellenz v. M. war früher Minister eines Kleinstaates gewesen und hatte sich nachher völlig geschichtlichen Studien gewidmet. Die Bibliothek war ein langer dreifenstriger Raum mit einem künstlichen Kamin, sechs Riesenschränken, Waffen, Geweihen, echten Teppichen und behaglichen Ledermöbeln. Sie erinnerte ein wenig an englischen Geschmack, besser an schottischen, und auf dem Schlosse unseres Freundes Lord Warbour hatten wir in einer sehr ähnlichen Bibliothek so manche anregende Stunde verlebt.
Die Parkstraße in Dahlem verdient diesen Namen mit Recht. Vor ihr zieht sich ein breiter Streifen unberührten Kiefernwaldes hin, und da die Gärten der Villen sämtlich recht groß sind, atmet man hier nur reine gesunde Luft.
In dieser Bibliothek hatten wir auch Weihnacht gefeiert. Der Christbaum stand noch zwischen den beiden rechten Fenstern auf einem Tischchen, und ich beginne nun die Old Crack-Geschichten damit, daß ich Harald dem Leser vorführe, wie er gerade die Baumleuchter mit neuen Kerzen versah und diese dann anzündete. Ich saß am Kamin, hinter dessen Glastür ein paar elektrische Birnen leuchteten und ein Holzfeuer vortäuschen sollten. — Harst war heute den Tag über auffallend schweigend gewesen, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß irgend etwas sich vorbereitete. Es war ja gerade damals in Dahlem eine Dame spurlos verschwunden, und wir hatten den in der Tat recht seltsamen Fall eingehend diskutiert. Möglich, daß Harst sich auch heute noch in Gedanken damit beschäftigte, sich vielleicht auch mit der Absicht trug, dem betreffenden Ehemann seine Dienste anzubieten.
Ich beobachtete ihn still und rauchte meine grünbraune Sumatra und nippte zuweilen an meinem Glase Burgunderpunsch. Harald zündete merkwürdigerweise, wie ich nun feststellte, nur acht Lichte an und gerade die, die sich vor dem Fenster am weitesten rechts befanden. Dieses Fenster hatte schwere Vorhänge, die geschlossen waren. Er ging jetzt zum Lichtschalter. Ein Knacken, und die Bibliothek lag im Dämmerschein der acht Wachskerzen da. Dann zog er die Vorhänge des rechten Fensters auf und sagte, indem er mir zuwinkte:
„Bitte, krieche hier zu mir hin ...“
Er hatte sich an die Wand zwischen zwei Schränke gedrückt. Als Verbindung hing zwischen diesen Schränken an einer Messingstange ein grünseidener Vorhang, der ein Skelett verbarg.
Ich bin an Überraschungen aller Art im Verkehr mit Harst gewöhnt. Für sogenannte Scherze ist er nicht zu haben. Seine eigentümliche Aufforderung mußte also dringend begründet sein. Ich sollte kriechen, damit man mich vom Fenster aus nicht sehen konnte. – Der Sessel, den ich inne hatte, stand mit der hohen Rücklehne nach dem Fenster hin. Ich glitt nach vorn auf die Knie, legte mich lang und kroch vorwärts. Dann richtete ich mich auf und drückte mich neben das Skelett in das Versteck. Der tadellos präparierte Knochenmann stand zwischen uns, und der grüne Vorhang sorgte für die nötige Dunkelheit.
Harald flüsterte: „Die Riegel der Doppelfenster hatte ich schon vorhin geöffnet.“ — Das war alles.
Ich fragte ebenso leise: „Du erwartest jemanden, für den die acht Kerzen ein Signal sind?“
„Ja.“
„Wen?“
„Das weiß ich nicht.“
Diese Antwort hatte mir die Lust zu weiteren Fragen genommen. Ich wollte mich nicht gern blamieren. Ich überlegte mir die Sache. Wenn Harald den nicht kannte, der nun durch das entriegelte Fenster erscheinen würde, mußte er einen anonymen Brief erhalten haben, in dem ein Fremder gebeten hatte, die acht Lichte als Zeichen dafür anzuzünden, daß er uns heimlich besuchen dürfe. — So dachte ich. Nachdem ich diese Schlußfolgerungen nachgeprüft hatte, raunte ich sie Harald in der felsenfesten Überzeugung zu, das Richtige getroffen zu haben. Wie sollte es auch wohl anders sein?!
Er erwiderte kurz: „Bedauere, das stimmt in keinem Punkte.“
Zu weiteren Versuchen, mein Hirn übermäßig arbeiten zu lassen, fand ich keine Zeit mehr.
Das Fenster quietschte leise, und die eindringende eiskalte Luft und das Geräusch hastiger Atemzüge belehrte mich, daß jemand eingedrungen war.
Harald hob den Vorhang und vertrat mit drei langen Schritten dem ‚Jemand‘ den Rückzug.
Ein leiser Schrei des Schrecks aus weiblicher Kehle, und ich hatte schon die Vorhänge des Fensters zugezogen und dieses wieder verriegelt.
Eine verschleierte Frau im schwarzen Sealpelz[1] war in einen Sessel gesunken und stierte uns zitternd an.
„Licht!“ sagte Harald.
Ich schaltete die Deckenbeleuchtung ein.
„Bitte, — wer sind Sie?“ fragte Harald und stand dicht vor der verstörten Fremden.
Sie entgegnete nichts
Sie begann zu weinen.
Weibertränen sind die Waffe all derer, die Zeit gewinnen wollen, sind ein Schachzug.
Harst, sonst so sehr Gentleman, griff zu und hob mit einem Ruck Schleier und Hütchen von dem blonden Bubikopf.
Aus einem leichenblassen Gesicht starrten uns dunkle verängstigte Augen an.
Frau oder Mädchen; Sie war jung und hübsch. Aber ein Zug um den Mund gab dem Gesamteindruck eine besondere Note. Diese Blonde mußte schon viel Trauriges erlebt haben.
Harald wurde noch unhöflicher. Ein zweiter Griff, und er hielt das Handtäschchen der Blonden in den Fingern, öffnete es und nahm eine Liliputrepetierpistole heraus, System Bulldogg, ließ den Patronenrahmen in die Linke gleiten und besichtigte die Waffe. Dann schob er sie in die Tasche seiner Schnürjacke, rollte einen Sessel heran und setzte sich. Ich lehnte unweit an der Kaminecke. Ich sah das reizende Profil der Blonden, sah ihre Tränen und ihre vollkommene Fassungslosigkeit, und sie hätte mir leid getan, wenn sie ohne die Liliput gekommen wäre, aber die war geladen und entsichert gewesen, und mit einer solchen Waffe pflegt man gewöhnlich Arges im Schilde zu führen. Niemand trägt eine entsicherte Repetierpistole mit sich herum, der nicht davon schnellstens Gebrauch machen will.
Harald durchsuchte das Krokodillederhandtäschchen weiter und legte auf den Rauchtisch folgendes: Ein Batisttüchlein mit handgeklöppelten Spitzen, ein Puderbüchschen, einen Lippenstift, ein Päckchen amerikanische Banknoten und eine Nagelfeile. Als er das Futter befühlte, zog er zwischen Futter und Leder noch einen Paß hervor und ein Stück Birkenrinde, das in Öl gekocht und mit einer Zeichnung versehen war. Die Alaska-Indianer pflegen sich auf diese Weise eine Art unverwüstliches Pergamentpapier herzustellen.
Er las den Paß:
„Ellen Barkam, 23 Jahre, Amerikanerin, geboren in Fort Sassawan am 5. Februar 1905 ...“ — und sagte dann:
„Was wollen Sie hier bei uns, Miß Barkam?“
Die Blonde weinte nicht mehr. Ihr Gesicht hatte sich tief gerötet, ihre Augen flammten Harald vernichtend an. Es sprach aus ihren Augen ein so wilder Haß, daß ich unwillkürlich näherkam und mit wachsender Spannung der Weiterentwicklung der Dinge harrte.
Mein Freund legte Paß und Rinde zu dem Übrigen und meinte:
„Sie wollten uns also beseitigen, Miß Barkam. — Schraut, bewache sie.“
Er stand auf und gab mir die Liliputpistole. „Ich werde die Türen abschließen. Nimm keinerlei Rücksicht, falls Miß Barkam Dummheiten macht. Ich hole den Zeugen.“
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2. Kapitel.
Ich war mit der Blonden allein.
Sie musterte mich mit unaussprechlicher Geringschätzung und sagte nach einer Weile:
„Also Sie sind Max Schraut!“
„Allerdings ...“
Sie ließ die Hände da zur Seite gleiten. Ich ahnte, was kommen würde, und meinte warnend:
„Versuchen Sie nicht, mir an die Kehle zu fliegen. Ich schlage ziemlich derb zu, falls nötig.“
Sie lachte schrill.
„Ihr seid noch weit ärgere Banditen, als ich glaubte! Oh — — wie ich euch hasse — — wie!!“ Sie wurde ganz bleich, und ihre Zähne klapperten vor ungeheurer Erregung.
Ich hielt ihr die Pistole entgegen und beschränkte mich auf ein Achselzucken.
Sie nahm sich zusammen und rief wegwerfend: „Feigling!! Ihr entgeht uns doch nicht!“
Ob sie etwa geistesgestört war?!
Ich sagte nachsichtig: „Wenn Sie je von uns gehört oder gelesen haben, Miß Barkam, werden Sie wissen, daß der Ruf meines Freundes unantastbar ist.“
„Ein Heuchler ist er, ein Dieb unter der Maske des eleganten Abenteurers!“ fuhr sie mich an. „Ein Teufel an Schlauheit dazu!! Alles war so fein eingefädelt — alles!! Und jetzt?!“
Sie biß die Zähne so fest in die Unterlippe, daß ein Tropfen Blut ihr über das Kinn rann.
Ich atmete auf. Harald kam zurück und schob vor sich her den Weihnachtsgast unseres Portiers, einen kleinen Kerl mit braunem Gesicht. —
Ich muß hier folgendes einfügen. Unser Portier hatte am Weihnachtsabend Besuch erhalten, einen Amerikaner George Steffenson, der ihm Grüße und Geld seines in Neuyork ansässigen, vor vielen Jahren nach dort ausgewanderten Bruders, überbracht hatte. Die Portierloge lag neben der Diele und ihr Fenster neben dem rechten Fenster der Bibliothek. — Der Leser wird nun alles leichter verstehen.
George Steffenson waren die Hände auf dem Rücken gefesselt und sein Gesicht war jetzt nicht braun, sondern aschfahl.
Harald drückte ihn auf einen Polstersessel und sagte zu Ellen Barkam, die den Amerikaner entgeistert betrachtete:
„Der Portier ist auch jetzt wie gestern abend total betrunken — wahrscheinlich hat er auch ein leichtes Betäubungsmittel erhalten. Gestern hatte dann Steffenson den Christbaum des Portiers angezündet, auch acht Lichte. Dann kletterten Sie durch das Fenster herein, Miß Barkam — wie heute hier, nur daß Sie sich heute irrten, — unser Baum brannte hier, und Sie glaubten, es wäre der andere. Sie hätten die Fenster sich besser einprägen sollen.“
Also so hing das alles zusammen. Nie im Leben wäre ich von selbst darauf gekommen!
Harst wandte sich an George.
„Mr. Steffenson, Sie haben die Geschichte hier sehr fein eingefädelt. Sie hatten in Erfahrung gebracht, daß der Portier drüben einen Bruder hat, und die fünfhundert Dollar und Ihr mangelhaftes Deutsch begünstigten Ihren Plan. Trotzdem schöpfte ich gegen Sie Verdacht, weil Sie allzu hinterlistige Rattenaugen haben und mir nach Möglichkeit auswichen. Deshalb beobachtete ich die Portierloge. Das Signal mit den acht Kerzen war gut ersonnen; Doch — heute klappte die Sache daneben. Miß Barkam eignet sich für solche Streiche nicht recht. — Wer hat Sie beide als Mörder hierher geschickt?“
Der Mann, der sich George Steffenson nannte und sicherlich ganz anders hieß, gab sich redliche Mühe, den Empörten zu spielen. Was er in seinem Kauderwelsch hervorsprudelte, war freilich so zusammenhangslos, daß es auf uns wenig Eindruck machte.
Ein Zwischenfall dann. Unser Tannenbaum war bereits welk und nadelte stark. Plötzlich inmitten Mr. Steffensons Unsinn lohte ein Zweiglein knisternd hoch, ein ganzer Ast fing Feuer, und Harald sprang zu und riß sehr geistesgegenwärtig, da es kein anderes Mittel zur Erstickung des Brandes gab, die Fenstervorhänge herab und warf sie über den lohenden Baum. Die Stange der Vorhänge polterte hinterdrein und zerschlug eine Scheibe.
Ich war vorsichtig genug, mehr auf unsere Gefangenen zu achten. Ellen Barkam war halb aus ihrem Sessel hochgeschnellt und wollte nach dem Rindenpergament greifen, sank jedoch von selbst zurück, und zu meinem maßlosen Erstaunen sah ich da an ihrem Kinn eine blutige Furche, aus der das rote Naß nun überreich auf ihren Sealpelz tropfte. Ich begriff nicht, woher diese Verletzung stammte, und als ich nun mißtrauisch den gefesselten Steffenson ins Auge faßte, erschrak ich noch mehr. Der Mann rutschte nämlich langsam mit seitlich geneigtem Kopf von seinem Stuhl. An der linken Schläfe zeigte sich ein blutiger kleiner Fleck. Wer Kopfschüsse kennt, wußte auch, daß George Steffenson erledigt war. Ich sprang zu, fing ihn auf und schleppte ihn auf den Diwan, das Rindenstück hatte ich jedoch blitzschnell in die Tasche gesteckt zu der Liliputpistole.
Harst hatte das Feuer erstickt. Dicke würzige Qualmwolken schwebten unter der Decke. Erst nachher machte sich der Gestank der mitangesengten Vorhänge unangenehm bemerkbar.
Steffenson war tot — erschossen durch das vorhanglose Fenster von draußen her, und auch Ellen Barkams Wunde war eine Kugelspur. Wäre das Mädchen nicht hochgeschnellt, um nach dem Rindenpergament zu greifen, hätten wir zwei Tote gehabt.
Ich telephonierte an die Kriminalpolizei. Wir waren nebenan in das Herrenzimmer gegangen und hatten Ellen mitgenommen und hier die Vorhänge sorgsam zugezogen. Der Schütze draußen konnte uns noch immer gefährlich werden. Ich verband dann Ellens Wunde, und sie ließ alles mit sich geschehen. Der jähe Tod Steffensons hatte ihre Nerven gelähmt. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Diwan und sah wie eine Sterbende aus.
Harald raunte mir zu, er wolle mal im Park nach Spuren suchen. Es hatte abends gegen neun Uhr eine halbe Stunde qeschneit, und der unbekannte Mörder mußte in der frischen Schneeschicht sehr deutliche Fährten zurückgelassen haben. Ich warnte den Freund, recht vorsichtig zu sein, und in meiner Sorge um ihn schaltete ich das Licht im Herrenzimmer aus und trat an eins der Fenster und blickte hinaus, sah bei dem hellen Schneelicht Harst mit seiner Taschenlampe zwischen den Kiefern und ärgerte mich über seinen Leichtsinn.
Ich mochte so kaum zwei Minuten meine Pflicht als Wächter Ellens versäumt haben. Als ich nun das Licht wieder einschaltete, erkannte ich, daß die geriebene Person mich genarrt hatte. Sie war verschwunden. Ich rannte in den Vorgarten und entdeckte auch ihre Spuren. Sie war um die Villa herumgelaufen und hatte den Obstgarten durchquert und das Gitter überklettert. Ich tat dasselbe, war nun in der Parallelstraße der Parkstraße und gewahrte gerade noch einen kleinen hellgrauen Selbstfahrer, der sich in rasendem Tempo entfernte. Da jede Verfolgung aussichtslos, kehrte ich bedrückt in den Vorgarten zurück und stieß hier auf Harald, der mich mit den Worten empfing: „Du hättest argwöhnischer sein sollen. Das Mädel spielte nur Komödie. Sie hat vielleicht bessere Nerven als wir.“
Eine Viertelstunde später war die Mordkommission da. Zum Glück hatten sich Frau Harst und Mathilde schon früh im ersten Stock zu Bett gelegt, und die Dienerschaft war bis auf den Portier und den Chauffeur, der in der Garage wohnte, beurlaubt.
Um elf Uhr wurde der Tote weggeschafft. Die Fährten im Schnee waren gemessen und photographiert worden und deuteten auf einen mittelgroßen Menschen hin, der links einen verkrüppelten Fuß hatte und hinkte ... Er hatte die beiden Schüsse aus einer modernen Luftbüchse von dem untersten Ast einer Kiefer abgegeben und mußte ein vorzüglicher Schütze sein.
Wir machten der Polizei gegenüber ganz erschöpfende Angaben und betonten, daß wir nicht wüßten, wer es zurzeit auf uns abgesehen haben könnte. Dies entsprach durchaus der Wahrheit.
Bei Steffenson wurden in einem großen ledernen Brustbeutel als einzige wichtige Dinge, abgesehen von einer Repetierpistole in seiner Schlüsseltasche und einem Fläschchen mit Chloralhydrat (Schlafmittel), zweitausend Dollar in Banknoten und ein Paß auf den Namen Joe Smith aus Neuyork gefunden.
Nachdem die Polizei sich entfernt hatte, von der der Portier einem nur kurzen Verhör über Steffenson-Smith unterzogen worden war, holten wir uns den völlig vertatterten Alten in die Bibliothek und ließen die Reste des Weihnachtsbaumes und die Brandspuren beseitigen. Der brave Mann war wohl am meisten darüber so geknickt, weil er die fünfhundert Dollar, die ja niemals von seinem Bruder stammten, wieder hatte herausgeben müssen.
„Matschke,“ sagte Harst zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter. „Sie sind hier ja nun fertig und alles ist wieder in Ordnung. auch die Vorhänge. Setzen Sie sich ... Trinken Sie ein Glas Wein mit uns. Und hier haben Sie einen Scheck über zweitausendzweihundert Mark als Ersatz für das Sündengeld Ihres feinen Gastes. Keinen Dank, Matschke. Ich liebe das nicht. Schraut, gib ihm auch eine Zigarre ... So ... — Ich möchte gern herausbekommen, wer dem Steffenson mitgeteilt haben kann, daß Sie in Neuyork einen Bruder haben, und wer über diesen so genau unterrichtet ist, daß der Betreffende dem Amerikaner so viele Einzelheiten über ihn angeben konnte. Es ist ziemlich ausgeschlossen, daß Steffenson Ihren Bruder drüben etwa zufällig kennen lernte. Er hat sicherlich alles hier erst in Erfahrung gebracht. Mit wem verkehrten Sie hier? Wer kennt Ihre Familienverhältnisse?“
Der Alte vermochte nur immer wieder zu betonen, daß er seit fünfzehn Jahren die Stellung in der Villa als Portier innehabe und ganz für sich lebe.
Harst rauchte still seine Mirakulum und fragte: „Was halten Sie von der Zofe Anna Rätsch“
„Gott ja — ein gutes Mädel, Herr Harst ... Etwas putzsüchtig ...“
„Sie hat sich einen neuen Wintermantel mit echtem Pelzbesatz, einen neuen Hut, Schuhe, ein Abendkleid und ein Handtäschchen gekauft ... Wo mag sie heute abend sein?“
„Oh — nicht weit ... Sie geht am Donnerstag immer nach Schmargendorf in den ‚Wilden Eber‘ tanzen ...“
„So so ... ‚Wilder Eber‘ ... Das sind keine achthundert Meter von hier … — Prosit Matschke ... Kriechen Sie nun in die Falle und ... schweigen Sie ... Gute Nacht.“
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3. Kapitel.
Nach einigen kleinen Veränderungen unserer leider allzu bekannten Gesichter verließen wir die Villa durch den Obstgarten über das Gitter und waren fünf Minuten drauf im Saal des bekannten Eckcafees. Der Betrieb war mäßig. So kurz nach Neujahr hatten wohl die Eber-Stammgäste allzu leere Börsen. Wir saßen in einer Ecke und beobachteten die kleine zierliche Anna Rätsch, die mit einem blonden Kavalier fünf Tische weiter Platz genommen hatte. Die beiden tanzten wenig, flüsterten desto eifriger miteinander, und es gehörte wirklich nicht viel Menschenkenntnis dazu, festzustellen, daß der Blonde in anderen Gesellschaftskreisen heimisch und Anna Rätsch ihm lediglich Mittel zu unbekanntem Zweck sein konnte. Vielleicht auch zu bereits bekanntem ... Vielleicht war՚s ein Komplice Steffensons.
Um halb eins brach das Pärchen auf. In der Parkstraße unweit unserer Villa verabschiedete sich der patente Herr, der einen kostbaren Sportpelz trug und dessen Anzug auch nicht ‚von der Stange‘ gekauft war.
Harst und ich trennten uns. Harald eilte voraus, und gerade unter einer Laterne in der Heydenstraße hatten wir den Blonden gestellt und zwischen uns.
„Guten Abend," sagte Harald in englischer Sprache. „Würden Sie uns die Ehre geben und mit uns ein Glas Wein trinken? Ich hätte Sie einiges zu fragen.“
Dabei hielt er ihm ganz eindeutig die Clementpistole unter die Nase und ich legte ihm die Hand schwer auf die Schulter.
Der Gentleman, der offenbar sofort nach dem Abschied von Anna das ihm gewohnte Monokel, mit dem er sich im ‚Wilden Eber‘ nicht hatte zeigen wollen, eingeklemmt hatte, betrachtete uns ohne jede Spur von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen und meinte nur: „Sind die Herren von der Polizei?“
„Nein, aber an dem Tode Steffensons stark interessiert — wie Sie!!“
„Er ist tot?!“ rief der Fremde weniger bestürzt als erstaunt. Und dieses Staunen war ehrlich.
„Kommen Sie mit,“ befahl Harald kurz.
Der Blonde, den ich auf etwa dreißig Jahre schätzte, nickte ebenso kurz. „Warum nicht?! Es stimmt nämlich, auch ich habe einiges Interesse für Steffenson. Immerhin: Wer sind Sie, meine Herren?“
Der Mensch war schlau und energisch. Seine Ruhe sollte unser Mißtrauen einlullen. Aber er verrechnete sich. Der Fausthieb, den er urplötzlich von unten herauf gegen Harald versuchte, um ihm die Pistole aus der Hand zu schlagen, war verfehlt. Harst hatte wohl Ähnliches erwartet, fing den Hieb mit der Linken ab und schleuderte den Mann so kräftig gegen den Laternenpfahl, daß ich Zeit fand, ihm die Arme nach hinten zu reißen. Die Armbänder schnappten zu.
„Freundchen,“ sagte Harald, „ich bin nämlich der Dienstherr der Anna Rätsch ...“
Der Blonde, dem das Monokel in den Schnee gefallen war, blinzelte uns überrascht an. „Ist das wahr? Sie sind Harst?“
„Ja ... Hier ist Ihr Monokel ... In unserer Bibliothek können Sie es wiederhaben.“
Er ging nun ganz gehorsam zwischen uns. Als wir in die Parkstraße einbogen, erklärte er von selbst:
„Ich bin Tom Warger.“
Er sagte das ungefähr so, als ob Amanullah sich vorgestellt hätte: „Ich bin der König von Afghanistan.“
Harald blickte ihn von der Seite an.
„Der Sohn von Samuel Warger aus Dawson City?“
„Ja.“
„Hm — und dann mengen Sie sich hier in so üble Geschichten, Mr. Warger, — als Erbe des reichsten Mannes von Alaska?!“
„Ich mußte!“ nickte Tom Warger. „Ich werde Ihnen das alles näher erklären, falls Sie mir vorher einiges beantworten wollen.“
„Bedingungen stellen wir, nicht Sie, Mr· Warger.“
Er schloß die Gitterpforte auf, und wir führten den Millionär Tom in die Bibliothek und ließen ihn am Kamin Platz nehmen.
„Hier starb Steffenson,“ sagte Harald. „Und von hier werden Sie ins Polizeigefängnis wandern, falls Ihre Angaben uns nicht genügen. — Schraut, entleere ihm die Taschen.“
Der Paß und manches andere machten es zweifelsfrei, daß wir Tom Warger vor uns hatten.
Harald nahm ihm die Handschellen ab und reichte ihm das Monokel.
„Glauben Sie nicht, Mr. Warger, daß mir die Millionen Ihres Vaters imponieren und ich Ihnen deshalb die Armbänder abnehme. Ihr Vater wird in Alaska der Waldschlächter genannt. Er hat die ganzen Forsten am Yukon abholzen lassen und dadurch ungeheuren Schaden angerichtet. Wenn Sie ihm gleichen, traue ich Ihnen das Schlimmste zu, aber Ihr freier Blick und manches andere an Ihnen läßt mich vermuten, daß Sie von anderem Schlage sind. — Seit wann kennen Sie die Zofe Anna Rätsch? “
„Seit heute.“
„Und erst vom ‚Wilden Eber‘ her?“
„Ja. Ich habe sie dort verschiedentlich mit diesem Lump von Steffenson gesehen. Ich wollte erfahren, was Steffenson von ihr gewollt hatte. Das Mädchen gab für tausend Mark alles preis. Steffenson hat sie über den Portier Ihrer Villa ausgehorcht, Herr Harst.“
Harald befahl mir, Anna herbeizurufen.
„Setzen Sie sich dort hinter den Vorhang neben das Skelett, Mr. Warger,“ ordnete er weiter an, als ich schon zur Tür schritt.
Ich ging nach oben, klopfte an Annas Stubentür und fand sie noch völlig angekleidet vor. Sie wurde sehr rot und verlegen, als ich ihr sagte, sie möge mit in die Bibliothek kommen, wir hätten sie etwas zu fragen.
Nun — sie versuchte dann gar nicht erst zu leugnen. Sie weinte und gestand sofort ein, sie habe Steffenson am fünfzehnten Dezember auf der Straße kennengelernt, er habe ihr verschiedentlich Geld geschenkt und sie sei sich nicht bewußt gewesen, etwas Unrechtes zu tun.
„Und als Steffenson dann hier bei Matschke als Gast erschien?!“ sagte Harald streng.
„Mein lieber Himmel, — er brachte Matschke doch Geld mit,“ meinte sie arglos.
„Heute haben Sie dann einen anderen Amerikaner kennengelernt, Anna. Was wollte der von Ihnen?“
„Er fragte nur nach Steffenson ... Und ... und da ... da begann ich doch Angst zu bekommen, aber erst zu Hause, als ich mir alles nochmals so richtig überlegte ...“
„Gut, gehen Sie schlafen. Ich glaube Ihnen. Seien Sie jedoch nie wieder so vertrauensselig. Steffenson hat Sie ausgehorcht. Erst dann, als er genug über Matschke wußte, trat er hier als Freund von Matschkes Bruder auf.“
Anna machte ein ziemlich törichtes Gesicht, knickste und verschwand.
Tom Warger kam aus seinem Versteck hervor. Harald holte eine Flasche Burgunder und drei Gläser, und wir machten es uns gemütlich. Warger hatte sein Monokel eingeklemmt und meinte: „Sie sind sehr liebenswürdig ... Leider muß ich Sie enttäuschen, denn ich werde Ihnen niemals erklären, weshalb ich nach Europa gekommen bin.“
„Weil Sie Ihren Vater schonen möchten ...“ nickte Harst.
„Nein!“
„Nein?! Dann ... lieben Sie Ellen Barkam!“ erklärte Harald sehr laut.
Das wirkte.
Tom fuhr hoch. Kerzengerade stand er da und stierte Harald aus wilden Augen an.
„Wie ... wie kommen Sie auf Ellen Barkam?!“ rief er in einer Erregung, die gegen seine bisherige Ruhe eindrucksvoll abstach.
Harald blickte ihn prüfend an. Dann reichte er ihm die Hand. „Mr. Warger, betrachten Sie uns fernerhin als Ihre Verbündeten. Ich ahne hier einen dunklen schweren Liebesroman. — Setzen Sie sich. Wer ist Ellen?“
„Die Pflegetochter eines Mannes, der der Todfeind meines Vaters ist. In Alaska nennt man ihn allgemein Old Crack, den Goldsucher. Wer er ist, weiß so recht niemand. Er haust da auf seiner Renntierfarm auf einem entlegenen Hochplateau der südlichen Tanana-Berge[2] inmitten einer Horde ihm treu ergebener Eskimos. Ihm gehört ein Gebiet, das so groß ist wie vielleicht ein Achtel Deutschlands, und — alles Übrige über ihn fällt unter die Bezeichnung ‚soll‘. Er soll neunzig Jahre alt sein, dazu unermeßlich reich, soll verschiedene Mordanschläge gegen meinen Vater veranlaßt haben, weil dieser ihm einen Teil seiner Riesenfarm streitig machte, ... soll ... soll! Ich habe ihn nie gesehen. Er kommt nie nach Dawson City, er ...“
„Und Ellen Barkam?“
„Oh, er hat sie als kleines Kind halb erfroren neben den Leichen ihrer Eltern aufgefunden, er ließ sie in San Franzisko erziehen und dort lernte ich Ellen kennen. Aber sie erfuhr kaum, wer ich war, als sie mich fernerhin mied. Ich hatte mich ihr unter anderem Namen genähert, ich liebte sie auf den ersten Blick, ich bin sehr unglücklich darüber, daß sie ... mich haßt ... meines Vaters wegen. Ich habe sie dann drei Jahre nicht gesehen, aber nie vergessen. Anfang Dezember vergangenen Jahres schickte mich mein Vater geschäftlich nach Neuyork. Zufällig traf ich Ellen dort ... und folgte ihr heimlich hierher nach Berlin. Wir reisten auf demselben Dampfer, ich nahm eine Kabine zweiter Kajüte, sie benutzte eine Luxuskabine. Aber dieser Steffenson oder besser Joe Smith war andauernd wie ein bissiger Köter in ihrer Nähe, und so verschob ich denn die geplante Annäherung für später. Hier in Berlin stiegen die beiden in einer Pension am Kurfürstendamm ab, und Joe Smith begann sich an Anna Rätsch heranzumachen, während Ellen kaum das Pensionat verließ. Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen.“
Er war sehr niedergeschlagen, der verliebte Tom, und es fiel Harald recht schwer, ihm nun vorsichtig beizubringen, daß Ellen Barkam zweifellos uns beide hatte ermorden wollen.
Tom Warger wurde immer bleicher, je mehr Einzelheiten Harald berichtete.
„Das ... ist unmöglich!!“ rief er. „Ellen eine Mörderin?! Niemals!! Überhaupt, Herr Harst, — — begreifen denn Sie diese Widersprüche?! Wer hat Joe Smith erschossen, wer wollte auch Ellen erschießen?! Ich werde verrückt über alledem!!“
Liebende finde ich, werden sehr leicht verrückt, sehr leicht. Und leider geht das immer mit einer starken Blindheit Hand in Hand. Hier sprachen ja die Tatsachen nur zu deutlich: In Ellens Augen hatte ein solcher Haß gegen uns geflackert, daß dies im Verein mit der entsicherten Liliputpistole vollauf genügte, ganz abgesehen von ihrer schlauen Flucht!
So allmählich schien auch der arme Tom dies einzusehen. Er saß wie ein Häuflein Unglück da und raffte sich erst auf, als Harald vorschlug: „Fahren wir nach dem Pensionat.“
Wir fuhren. Der Pförtner des feudalen Fremdenheims erklärte uns, Miß Barkam sei vor drei Stunden abgereist. Sie habe nur einen kleinen Koffer mitgenommen.
Harft befahl darauf dem Chauffeur: „Flughafen Tempelhof[3]!“
Es war halb zwei morgens. als wir hier feststellten, daß Ellen mit einem eigens gemieteten Flugzeug nach Hamburg unterwegs sei.
Harald sagte da: „Wir müssen die Polizei benachrichtigen. Es geht nicht anders.“
Vom Präsidium aus wurde der Hamburger Flugplatz angerufen. Der Doppeldecker hätte dort bereits eingetroffen sein müssen. Aber dies war nicht der Fall. Wir warteten noch zwei Stunden. Immer wieder wurde in Hamburg angefragt. Dann bat Harst, doch einmal in Bremen nachzufragen. — Ja, dort war die Maschine gelandet.
Nun begann der Fernsprecher noch intensiver zu arbeiten. Die Bremer Polizei wurde verständigt.
Ich möchte gleich bemerken: Nach zwei Tagen war noch immer keine Spur von Ellen Barkam zu finden. Inzwischen hatte Tom Warger bei uns in der Parkstraße Quartier bezogen. Der arme Bursche war kein angenehmer Gast, denn er quälte uns andauernd, ihn nach Dawson zu begleiten und aufzuklären, weshalb Ellen eigentlich in so verdächtiger Weise bei uns eingedrungen sei.
Eine Reise nach Dawson ist nun kein Katzensprung. Harald hoffte noch immer, man würde Ellen erwischen, denn gerade durch ihre Wunde am Kinn mußte sie ja überall auffallen. Man erwischte sie nicht. Sie war in Bremen geradezu unheimlich schnell verschwunden. Unterwegs nach Hamburg hatte sie den Flugzeugführer gebeten, sie doch lieber nach Bremen zu bringen und hatte dafür weitere fünfhundert Mark bezahlt. Sie hatte einen sehr dichten Schleier getragen und sich für eine verheiratete Frau ausgegeben. — Doch all dies ist ziemlich nebensächlich. Wichtig allein ist: Wir standen in der Tat vor einem vollkommenen Rätsel! Was hatten wir mit Old Crack oder seiner Pflegetochter zu tun?! Nichts, gar nichts! Wir waren nie in Alaska gewesen, wir hatten die Namen Old Crack und Ellen Barkam nie gehört. Wie also konnte diese Ellen hier nach Berlin kommen und so merkwürdig sich benehmen, milde ausgedrückt! Wollte man schon den Gedanken ausschalten, sie habe uns erschienen wollen: Was konnte sie dann beabsichtigt haben?! Und — wer in aller Welt war jener Mann mit dem verkrüppelten Fuß, der dann Joe Smith alias Steffenson niedergeknallt und Ellen beinahe auch gemeuchelt hatte?!
Die ganze Geschichte war vollständig undurchsichtig.
Man mochte selbst die verwegensten Schlußfolgerungen aufstellen: Sie hatten weder Hand noch Fuß!
So war denn also der zweite Abend nach jener Unheilsstunde gekommen, in der Ellen durch das Fenster eingedrungen war. Wieder war’s nach zehn Uhr, und wir saßen mit Tom wieder vor dem Kamin in der Bibliothek und … schwiegen uns aus, denn zu reden gab es wirklich nichts mehr.
Da läutete nebenan das Telephon. Wir drei eilten hin. Wir waren schon ein wenig nervös geworden.
Endlich ein Lichtblick!! Kommissar Doktor Lücke teilte uns mit, daß ein älterer Amerikaner namens Edward Bark in Dover gestern eine Privatjacht gemietet und mit ihr nach Neuyork abgedampft sei. Der Mann habe eine ungeheure Summe als Miete für die schnelle Jacht bezahlt, auch sonst seien die ganzen Begleitumstände so verdächtig, daß man nur annehmen könne Edward Bark sei die verkleidete Ellen Barkam gewesen. Bark habe Vollbart gehabt und sehr heiser gesprochen, sei nur in blauer Brille aufgetreten und habe es sehr eilig gehabt. Der Eigentümer der Jacht wieder gehöre zu den fragwürdigen Leuten, die durch Alkoholschmuggel nach Amerika bereits reich geworden.
Harst dankte Lücke und sagte zu uns:
„Sie ist’s! Ich kann euch nun ja auch mitteilen, das ich gefürchtet habe, Ellen sei in Bremen von dem Krüppel beseitigt worden. — Morgen reisen wir.“
„Gott sei Dank!“ rief Tom, und dann studierten wir die Schiffsfahrpläne.
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4. Kapitel.
Es ist heute fast schon in Vergessenheit geraten, daß dieses ungeheure Gebiet der Halbinsel Alaska bis 1867 Russland gehörte. Als die Vereinigten Staaten in diesem Jahre für 7200000 Dollar Alaska von Russland erwarben und gleichzeitig die Grenze nach Kanada hin reguliert wurde, ahnten die Russen nicht, daß dreißig Jahre später aus dieser Eis-, Wald- und Felswildnis für rund 100 Millionen Dollar allein Waschgold exportiert werden würde, ganz abgesehen von den anderen Reichtümern an Erzen wie Kupfer, Silber, Zinn, ferner Steinkohlen, Holz und — — die Lachse nicht zu vergessen! Der Lachsfang allein bringt heute noch jährlich rund eine Million ein. Freilich — die Zeiten, wo der Goldsucher in Alaska und dem dicht benachbarten kanadischen Klondike eine Rolle spielte — und welche!!, die sind gewesen. Der Goldrausch verebbte hier ebenso schnell wie in dem südlicheren Kalifornien. Nur daß die ungezählten Scharen von Goldgräbern in Alaska nicht verödete, wie Pilze aus der Erde geschossene Städte zurückließen, sondern in der Tat Bahnbrecher eines zielbewußten industriellen Aufstiegs wurden und das wilde Goldsuchertreiben allmählich überging in einen vernünftigen Bergbau — mäßigen Gewinn der Bodenschätze und eine durch staatliche Maßnahmen weise gebremste Ausnutzung der sonstigen Reichtümer dieses Landes, das heute bereits einen gut organisierten Touristenverkehr besitzt, Eisenbahnen und Luxushotels und natürlich auch das mehr als fragwürdige Alkoholverbot.
Trotzdem: Alaska wird stets ein abenteuerliches Land bleiben. Die sogenannten Segnungen der Kultur werden dort nie zu solchen krankhaften Treibhauspflanzen hochschießen wie etwa auf Hawai, den Philippinen, Kuba und Florida. Dafür sorgt schon die Natur. Ein Land, das nur sechs Monate schneefrei ist, läßt alle ungesunden Auswüchse erfrieren. Außerhalb der Eisenbahnlinien, der wenigen Städte und größeren Siedlungen ist Alaska noch wie der Traum einer Knabenphantasie nach reichlicher Lektüre von Abenteuergeschichten. — —
Sieben Tage bis Montreal in Kanada, zwei Tage mit der kanadischen Pazifikbahn quer durch Nordamerika nach Vancouver[4], von da wieder zwei Tage bis Sitka auf einem raschen eleganten Dampfer und wir waren in Tom Wargers engerer Heimat, in Alaska. Schon auf diesem Dampfer kannten wir uns nicht mehr. Das erforderten die Umstände. Wir beide reisten als deutsche Ingenieure unter den Namen Hort und Schrimm. In Sitka, wo tote Saison war, trennten sich unsere Wege überhaupt. Wir hatten verabredet, uns in Nuklukahjet an der Einmündung des Tanana in der Yukon wieder zu treffen. Tom hatte nämlich in Sitka ein Bündel Briefe seines empörten Vaters vorgefunden, der diese Europareise seines einzigen Erben aufs schärfste mißbilligte und seinem Sprößling allerlei Aufträge erteilte. die ihn zwangen, eine andere Reiseroute zu wählen.
Wäre ich Reiseschriftsteller, so könnte ich hier dem Leser manch’ ergötzlich Geschichtchen über Winterfahrten in Alaska berichten. Ich muß mich jedoch auf das beschränken, was unbedingt mit zum Thema gehört.
Wieder waren zehn Tage dahin, und das eingeschneite und eingefrorene Städtchen Nuklukahjet erlebte eine seltene Sensation: Zwei verrückte deutsche Ingenieure wollten durchaus jetzt anfangs Februar mit Hundeschlitten in den Tanana-Bergen braune Bären jagen.
Wir waren im ‚Hotel‘ Wilson abgestiegen, wir hatten schnell mit den Honoratioren Freundschaft geschlossen, wir wurden gewarnt, wir spielten weiter die reichen Deutschen mit dem Jagdfimmel, wir markierten einen Spleen, wie ihn kein Engländer haben kann, wir horchten die ahnungslosen Leutchen aus, wir mieteten zwei erfahrene Eskimojäger und zwei Schlitten mit je acht Hunden und besorgten alles Nötige.
Am 4. Februar vormittags elf Uhr, als das sogenannte Tageslicht gerade genügte dreißig Schritt weit zu sehen, sausten wir in unseren Schlitten davon. Zu Ehren unseres Wagnisses brannte man Feuerwerk ab, und ein Dutzend anderer Schlitten gab uns noch eine Stunde das Geleit, bis ein heftiges Schneetreiben begann und die Herrschaften schleunigst umkehrten.
Rulat und Ischko[5], unsere Eskimos, die leidlich englisch sprachen, machten lange Gesichter und rieten in einer nahen Hütte aus Torfziegeln das Ende des Schneesturms abzuwarten. Rulat sagte: „Große Wind abends drehen wird, dann kein Schnee mehr und sehr hell. Jetzt wir erfrieren draußen.“
Es waren zwölf Grad Kälte, und es war nicht die Hand vor Augen zu sehen. Der Mann hatte recht. Also los — suchen wir die Torfhütte.
Von Nuklukahjet zieht sich genau nach Osten eine endlose Niederung hin, im Sommer ein Paradies der Vögel und eine Fundstelle tadellosen Torfes. Jetzt war alles Schnee, Schnee, kahle Büsche, kahle Bäume, dunkle, verschneite Kiefern. Wir fanden die Hütte, und nach einer Stunde hatten wir’s warm und behaglich und lagen in unseren Pelzsäcken um das Feuer herum und ließen den geschwätzigen Rulat erzählen. Er war kein reinblütiger Eskimo mehr. In seinen Adern rollte wohl so mancher Tropfen Europäerblut, und was er erzählte, ward durch Haralds eingestreute Fragen unmerklich immer wieder auf Renntierfarmen gelenkt und schließlich auch auf Mr. Samuel Warger aus Dawson City und seinen Todfeind Old Crack.
Bisher hatten wir auch in Nuklukahjet sorgfältig vermieden, gerade diesen Namen auch nur zu erwähnen. Unsere neuen Freunde aus dem Hotel Wilson dort hatten nie über Old Crack gesprochen, desto mehr über Samuel Warger, den ‚Würger‘, den Waldschlächter. —
Rulat und Ischko schauten Harst verdutzt an. Rulat fragte: „Woher kennen Sie Old Crack, Mr. Hort?“
„Ich kenne ihn nicht. Auf dem Dampfer nach Sitka sprachen einige Herren über ihn. Der eine meinte, in der Nähe von Cracks Farm sollen sich reiche Kupferlager befinden. „Wie du weißt, Rulat: Wir sind Ingenieure. Was du bisher nicht weißt: Wir wollen zu Crack und ihm die Mine abkaufen. Das haben wir natürlich in Nuklukahjet verschwiegen, zumal noch jemand dasselbe Geschäft im Auge hatte.“
Fabelhaft wie Harst so hartgesotten schwindeln kann!
Aber hier machte das einen unerwarteten Eindruck. Rulat und Ischko begannen in ihrer Sprache miteinander sehr erregt zu palawern, und dabei warfen sie uns merkwürdige Blicke zu, vergaßen sogar den Schnaps und die Zigarre und ereiferten sich immer mehr. Wir verstanden kein Wort. Die neben uns liegenden Hunde auch nicht. Es war sehr ungemütlich. Dann erklärte Rulat:
„Herr, wir kehren um.“
Harald schien etwas Ähnliches erwartet zu haben.
„Ihr habt Angst vor Crack?“ meinte er lächelnd. „Was kostet es, eure Angst zu bannen. Genügen hundert Dollar für jeden?“
Rulat sagte und hob die Hand wie zum Schwur: „Herr, nicht für tausend.“
„So ... so ... — Wißt ihr auch, daß Samuel Warger seinen Prozeß um einen Teil der Farm Old Cracks gewonnen hat und daß Warger mit Polizei Old Crack verjagen wird?“
Was sollte das nun wieder?! Das war doch blanker Schwindel.
Rulat zuckte die Achseln. „Crack läßt sich nicht verjagen, Herr.“
„Aber er ahnt noch nichts, und wir wollen ihn warnen, das ist’s! Wir haben’s in Sitka erfahren, und Warger bereitet alles in größter Heimlichkeit vor.“
Rulat und Ischko begannen wieder in ihrer Sprache eifrigst zu debattieren. Ischko schien unter diesen Umständen geneigt zu sein das Risiko eines Besuchs bei Old Crack auf sich zu nehmen. Rulat war offenbar noch immer von einer geradezu unbegreiflichen Angst befallen. Aber Ischko siegte und erklärte: „Herr, gebt jedem zweihundert, und wir bringen euch bis zu dem verlassenen Fort Mac Kinlay. Von dort habt ihr nur noch eine Tagesreise bis zu Old Crack, von da kehren wir mit dem einen Schlitten um.“
Komisch, diese Furcht vor Old Crack! — Harald sagte zu mir auf deutsch: „Mein Alter, dahinter steckt mehr als wir ahnen! Ich werde jedem zweihundertfünfzig geben, und dann werden sie reden.“
Er tat’s. Für die Eskimojäger war das ein kleines Vermögen. Sie grinsten zufrieden, und die Vereinbarung wurde durch Handschlag besiegelt.
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5. Kapitel.
Inzwischen war unser Essen fertig geworden. Während der Mahlzeit fragte Harald, ob Old Crack verheiratet sei.
Rulat lachte. „Herr, Old Crack ist seit zwei Jahren gelähmt und wird immer im Rollstuhl gefahren. Er war nie verheiratet. Vielleicht ganz früher mal. Er ist hundert Jahre alt.“
„Aber er soll doch eine Tochter haben, sagten die Herren auf dem Dampfer.“
Rulat nickte. „Es ist nicht sein Kind, Herr. Er hat es gefunden. Es ist gestorben.“
„Wann?“
„Nicht lange her, Herr ...“
„Wo?“
„Drüben in Europa ...“
Diese Antwort setzte uns beide gleicherweise in Erstaunen. Wußten etwa Rulat und Ischko von Ellen Barkams Europareise?! Wußten sie mehr als wir?! Wir hatten ja von der Jacht, die Ellen gemietet, nichts mehr gehört. Wir hatten aber angenommen, daß Ellen irgendwo an der amerikanischen Küste heimlich gelandet war.
„Was machte sie denn in Europa?" forschte Harald weiter und kaute zähes Renntierfleisch.
Rulat tauschte wieder mit Ischko einen besonderen Blick aus und erwiderte:
„Weiß nicht, Herr.“
Er log ganz offenbar.
„Mein lieber Freund Rulat,“ sagte Harst da und zog eine Fünfzigdollarnote hervor und hielt sie ihm hin, „vielleicht klebst du dir dies an die Stirn, und dein Gedächtnis wird geschärft werden.“
Rulat zauderte. Die Habgier siegte. Er riß Harst die Banknote aus der Hand und meinte:
„Old Crack hat viele Feinde.“
„Das heißt also: Ellen Barkam war in Europa, um mit einem Feinde Old Cracks abzurechnen.“
Rulat rülpste und schwieg diplomatisch. Dafür rief Ischko dann. „Fünfzig Dollar, Herr ... Vielleicht fällt mir auch etwas ein.“
„Aha!! Bitte, lieber Ischko. — Also — was hast du noch zu ergänzen?“
„Ellen sollte machen stumm Tom, den Sohn des Würgers. Aber du wirst schweigen, Herr.“
Um die Torfhütte fauchte der Schneesturm. Durch das Moosdach rieselten feine Schneekaskaden. Die mit Fellen bespannte Tür, über die wir noch eine Wolldecke gebreitet hatten, klapperte andauernd. Der stinkende Qualm des Torffeuers lag in dicken Wolken unter der flachen Decke. Die Hunde kratzten sich fortwährend, und auch wir waren nicht mehr flohfrei.
Ischkos Angaben entlockten Harst ein leises Lächeln. Er sagte: „Also hat wohl Tom Warger Ellen Barkam getötet?“
„Vielleicht, Herr ...“
„Woher wißt ihr das alles? Kennt ihr Old Crack so genau?“
Rulat erwiderte sehr hastig: „Wir haben Verwandte unter seinen Leuten, Herr.“
„Ja, wir haben Verwandte dort.“ log Ischko ebenso eilig. „Sie waren vor fünf Tagen in Nuklukahjet.“
„Wie lange braucht man von Nuklukahjet mit Hundeschlitten zu Cracks Farm?“ wollte Harald wissen.
Rulat überlegte. „Bei gut Wetter vier Tage, Herr“
„Und wenn man ohne längeren Aufenthalt die Reise macht?“
Rulat überlegte wieder und flüsterte Ischko etwas zu. Dieser erwiderte dann: „Herr, vier Tage ist der kürzeste Termin.“
Auch jetzt logen sie wieder. Weshalb wohl?! — Ich sagte zu Harald auf deutsch:
„Du, die Kerle kommen mir immer verdächtiger vor! Ich glaube, wir haben hier zwei Böcke zu Gärtnern gemacht!“
Harst lachte, als ob ich soeben den besten Witz vom Stapel gelassen hätte. Dann reichte er Rulat den Whiskybecher. „Da trinke! Das alles ist uns im Grunde sehr gleichgültig. Die Hauptsache bleibt, daß wir nur zu Old Crack gelangen Er wird uns sehr freundlich empfangen, denn er kann sich nun auf den Würger vorbereiten, und wenn’s drauf ankommt, helfen wir ihm auch, denn schießen können wir, allerdings — — wir schießen meist vorbei!“
Nach einer halben Stunde und einem durchaus harmlosen Gespräch über Jagd und Gewehre und einer zweiten Flasche Whisky schliefen die beiden Plattnasen wie die Murmeltiere. Ihr anfängliches Mißtrauen, dass unser Interesse für Ellen Barkam verfänglicher Art sein könnte, schien gewichen, und unsere Unterhaltung war zuletzt recht vergnügt gewesen. Betrunkene Eskimos sind witziger als ein Berliner Würstchenhändler.
Harald beobachtete die Schlafenden eine Weile, dann stand er auf, streifte seinen Pelzsack ab, reckte sich, kratzte sich an verschiedenen Stellen und ging in die Ecke der Hütte, wo die beiden Schlitten an der Wand lehnten. Sie waren Eigentum Rulats und ganz moderne Hundeschlitten etwa in Bootsform, innen mit Renntierfilz gepolstert und mit festen Buchenkufen und starken Eisenbeschlägen. Er winkte mir, und dann hob er von dem einen Schlitten, in dem er mit Rulat gesessen hatte, oben die Filzschicht ab und zog ein Taschentüchlein hervor mit allerfeinsten handgeklöppelten Spitzen. Er hielt es mir unter die Nase. Ich roch dasselbe Parfüm wie an dem Tüchlein aus Ellens Handtäschchen, und es war auch genau dasselbe Taschentuch.
„Lieber Alter, Rulat und Ischko waren, als wir sie mieteten, soeben erst von einem mehrtägigen Jagdausflug zurückgekommen. Natürlich waren sie bei Crack und haben Ellen Barkam hingebracht. Dieses Taschentuch steckt hier noch nicht lange zwischen Filz und Holz. Die beiden kennen also Crack sehr gut, und wir werden uns danach richten. — Jetzt wollen wir schlafen.“ Er steckte das Tüchlein in die Tasche.
Ich fragte etwas scheu: „Tom hat die Verabredung nicht eingehalten, obwohl wir zwei Tage länger auf ihn gewartet haben, vielleicht lebt er gar nicht mehr?!“
Harald schaute mich seltsam an. „Hast du denn den Ring auch bemerkt?!“
„Welchen Ring?“
Er deutete auf den anderen Schlitten.
„Du hast darauf gesessen. Hebe mal die Filzschicht auf. Du besinnst dich wohl auf Toms Schlangenring am kleinen Finger.“
Dann hielt ich den Ring zwischen den Fingern. Ja, ich hatte darauf gesessen, und doch hatte Harst ihn entdeckt.
„Tom ist bei Crack als Gefangener,“ erklärte ich. „Er hat den Ring unter den Filz geschoben in der Hoffnung, wir könnten ihn finden und so erraten, daß er bei seinem Eintreffen in Nuklukahjet abgefaßt und gefesselt weggeschleppt wurde — zu Old Crack. Er hat die Schlittenreise gemeinsam mit dem Mädchen gemacht, das er liebt und das ihn vielleicht verraten hat.“
„Allerdings. — Gib mir den Ring, mein Alter. Ich denke, wir werden bei Old Crack keine sehr angenehmen Stunden verleben. — Gute Nacht.“
Um acht Uhr abends gab es Windstille, klaren Himmel und Nordlichtbeleuchtung. Wir brachen auf, und die Hunde rasten wie besessen davon.
Am nächsten Abend erreichten wir die Vorberge und passierten den zugefrorenen Kinley-Fluß. Auf einer Anhöhe am Nordufer lag das verlassene Fort: Drei Blockhäuser, von Steinwällen umgeben, alles tief eingeschneit. Mühsam bahnten wir uns einen Weg zu der einen Balkenhütte, die noch am besten erhalten war.
Als das Feuer brannte, wollten unsere Führer sofort wieder heimwärts aufbrechen Sie hatten die Hunde von dem einen Schlitten gar nicht abgeschirrt.
Harald sagte zu Rulat: „Lieber Freund, ihr beide werdet uns hier erwarten, und damit ihr nicht etwa auf die Idee kommt, euch in der Richtung zu irren und uns zu Old Crack vorauszueilen, werde ich beide Schlitten nehmen. Ich lasse euch eine Waffe zurück, ebenso genügend Proviant. Zu Fuß werdet ihr nicht wagen uns zu folgen, und tut ihr es doch, so bekommt ihr eine Kugel. — Macht den zweiten Schlitten wieder fertig. Mein Freund und ich haben es eilig.“
Er hielt dabei seine Remingtonbüchse lose im Arm und fügte lächelnd hinzu:· „Ihr wollt doch noch länger leben? Also kneift nicht etwa beim Anschirren der Hunde aus!! Ihr habt ja gestern gesehen, daß ich den Hasen im Fahren mit der Kugel erlegte. Wir schießen — und treffen immer.“
Rulat und Ischkos Gesichter spiegelten ein ungeheures Entsetzen wider. Sie fielen plötzlich in die Knie und winselten so allerhand, woraus deutlich hervorging, daß sie Old Crack noch weit mehr fürchteten, als wir angenommen hatten. Sie gaben sogar zu, daß sie uns den Weg von hier zu Cracks Farm ganz falsch beschrieben hätten und daß wir so niemals ans Ziel gelangt wären.
Harald klopfte dem verstörten Rulat auf die Schulter und holte aus der Innentasche seiner Lederweste das Rindenpergament mit der Zeichnung hervor.
„Da, Rulat, — dies hier ist der Weg!“
Der dicke Eskimo heulte laut auf.
Aber es half alles nichts. Wir fuhren gleich darauf in die sternenklare Nacht hinaus. Wir hatten aber Rulat und Ischko versprochen, Crack zu verschweigen, daß wir von Rulat die Schlitten gemietet hätten. Wir wollten erklären, wir hätten die Reise ganz ohne Führer zurückgelegt.
Mit den Hunden wurden wir tadellos fertig. Wir haften auch das gelernt. Nach Mitternacht rasteten wir in einer Höhle am Steilufer des Kinley-Flusses, auf dessen Eisdecke wir rasch vorwärtsgekommen waren. — Diese Rast muß ich genauer schildern.
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Old Cracks Farm.
1. Kapitel.
Die Höhle war niedrig, aber sehr tief, und der Eingang war durch Schnee so verweht gewesen, daß wir die Grotte nie bemerkt hätten, wenn nicht eine deutliche breite Wildspur an einer Seite des Eingangs uns aufgefallen wäre. Ein Luchs hatte hier sein Quartier, und die Knochen und Schädel in der Höhle, nicht minder der Gestank zeigten an, daß der Hausherr zurzeit nur unterwegs und sehr bald zurückkehren könne. Eine Luchsfährte ist nun so charakteristisch, daß wir sofort gewußt hatten, wen wir hier ausquartierten.
Während Harald eine Balsamtanne[6] mit dem Beil fällte, und die Äste als Brennholz abschlug, schirrte ich die Hunde aus, ließ ihnen aber die Halsriemen, da wir fürchten mußten, sie wurden uns auskneifen.
Das Feuer brannte. Wir hatten die Hunde im tiefsten Winkel angebunden, für uns eine Steinmauer errichtet und eine Decke ausgespannt, um die grimme Kälte etwas abzuhalten. Den Luchs brauchten wir nicht zu fürchten. Der würde sofort umkehren, wenn er seine Höhle besetzt fand.
Es war eine unglaublich kalte Nacht. Wir befanden uns hier sicherlich schon in tausend Meter Höhe, und ich schätzte das kühle Lüftchen auf etwa zwanzig Grad Réaumur[7].
Wir hatten dann gerade die Hunde gefüttert und uns unsere Zigarren angesteckt und warteten auf den Tee, als der Leithund meines Schlittens, mit dem ich mich sehr angefreundet hatte und der als einziger frei neben mir lag, plötzlich knurrte und emporsprang. Im Nu hatten wir die Büchsen zur Hand.
„Der Luchs“ flüsterte ich.
Aber es war nur ein indianischer Fallensteller, ein Mischling, der nun bescheiden nähertrat und fragte, ob er sich bei uns etwas erwärmen dürfe. Er trug seine Schneeschuhe in der Linken, in der Rechten eine Doppelbüchse und über dem Rücken fünf frische Sumpfotterfelle. Es war ein starker, großer Mann, dessen selbstgenähte Pelztracht mit bunten Perlen verziert war. Seine Mütze bestand aus einem Silberfuchs, und der Schweif hing ihm bis in den halben Rücken hinab.
Er setzte sich und bekam sofort einen Becher Tee mit Whisky. Sein braunes, bartloses, fettiges Gesicht verriet schon durch die Nasenform und die hellen Augen, daß sein Vater ein Europäer gewesen. Nachher erzählte er, er hieße Mac Dormit, seine Mutter sei eine Tlinkit[8]-Indianerin, sein Vater ein Norweger. Beide lebten noch in der Stadt Nome. Er habe seine Blockhütte weiter nördlich im Gebirge und käme soeben von einem Pirschgang. Seine Otternfallen habe er unweit in einem Sumpfe verteilt.
Der Mann machte einen vorzüglichen Eindruck, war absolut nicht neugierig, beschabte seine Felle und rauchte mit Behagen zwei Zigarren.
Harald erklärte ihm dann, wer wir seien: Ingenieure, die zu Old Crack wollten, einer Kupfermine wegen.
Da legte der Mischling sein Messer weg und sagte ernst: „Kehren Sie um, meine Herren, auf jeden Fall!“
„Weshalb, Mr. Mac Dormit?“
„Weil Crack keinen Fremden auf seinem Gebiet duldet — keinen! Unlängst noch wagte ich es, in einer Ecke seiner Ländereien einen Bär zu schießen. Am Tage drauf schickte er vier seiner Leute, ließ das Fell holen und mir bestellen, das nächste Mal bekäme ich eine Kugel. Wie er es erfahren, daß ich den Bär geschossen hatte, weiß ich nicht, aber —·eins weiß ich: Crack erfährt alles, alles! Er muß überall seine Spione haben. Er ist gelähmt, ja, — aber in seinem Renntierschlitten legt er unglaubliche Strecken zurück, und stets hat er eine Leibgarde von zehn Kerlen bei sich, die sicherlich jeder schon zehn Leute ermordet haben.“
Harald reichte Mac die dritte Zigarre.
„Sie scheinen ja über ihn genau unterrichtet zu sein.“
„Zu gut,“ nickte der Fallensteller. „Aber ich rede nie darüber. Nur wo ich warnen kann, warne ich. Crack ist der Herr der Tanana-Berge. Die Polizei lacht er aus. Wer will ihm etwas nachweisen. Seine Farmgebäude liegen inmitten einer weiten Hochebene wie eine Festung aus steilen Felsen. Er hat vielleicht fünfzig Hirten, die seine Renntierherden bewachen und für ihn durchs Feuer gehen. Ihm ist nicht beizukommen. Seitdem er gelähmt ist, ist er noch wilder als früher. Gehen Sie nicht zu ihm. Es täte mir leid um Sie beide. Sie würden nie wieder auftauchen.“
„Na na!!“ lachte Harald. „Wir sind keine Angsthasen, Mister Dormit.“
„Ich habe Sie gewarnt. — Ich danke Ihnen für alles ...“
Er brach auf. „Meine Frau und meine Kinder würden sich ängstigen, wäre ich morgens nicht daheim. Ich habe eine Norwegerin geheiratet, und wir sind sehr glücklich. Noch drei Jahre, dann haben wir genug gespart und können nach dem Süden ziehen.“
„Halt — eine Frage noch,“ bat Harald. „Kennen Sie Ellen Barkam?“
Er nickte. „Die ist noch schlimmer als ihr Pflegevater. Das Renntierschlachten besorgt sie immer persönlich. Sie schneidet den Tieren die Kehle durch und stößt ihnen das Messer ins Herz. Sie stößt nie vorbei.“
Harald wollte Mac eine Hundertdollarnote schenken. „Nehmen Sie nur ... Wir haben es dazu ...“
Aber er fuhr zurück. als ob das Geld Gift sei.
„Niemals!! — Gute Nacht!“ Und dann schritt er davon.
Wir schauten uns verblüfft an. Harald meinte: „Man sieht, es gibt Leute, gegenüber denen die Wohltätigkeit nicht angebracht ist. Wir haben ihn beleidigt.“
„Scheint so.“ Aber es war da etwas in Haralds Ton gewesen, das mir nicht recht verständlich. Auch glaubte ich ein ironisches Zucken um seine Mundwinkel bemerkt zu haben. Ich fragte, indem ich Buruwat, meinem vierbeinigen Freunde, den zottigen Kopf streichelte: „Hältst du etwa Mac Dormit für einen Spion Cracks? “
„Es kann sein — kann, mein Alter. Crack kann bereits von unserer Anwesenheit hier in Alaska Kenntnis haben — — kann. Mir ist da eine Vermutung gekommen, die zu phantastisch ist, um ihr weiter nachzugehen. Besinnst du dich, daß Tom Warger erklärte, er habe Old Crack noch nie gesehen, und daß er ein andermal erwähnte, nur wenige Leute kennen Crack persönlich?“
„Gewiß. Und deine Vermutung?“
Er warf neue Äste in die Glut und setzte sich und zog den Pelzsack über die Beine.
„Ich glaube,“ erwiderte er sinnend, „es gibt gar keinen Old Crack.“
Ich war sprachlos. „Wie meinst du das?“
Aber er antwortete nicht, sondern holte das Rindenpergament hervor und vertiefte sich in die Einzelheiten der Geländeskizze, die zweifellos ein Lageplan der Farm Old Cracks war. Es gab da blaue, rote und weiße Linien und punktierte Striche. die scheinbar wirr durcheinander liefen. Die Tanana-Berge die sich vom Yukon bis hinab zur kanadischen Grenze ziehen, waren in der üblichen Art gestrichelt angedeutet, das Plateau war rot umgrenzt, die Gebäude der Farm durch weiße Striche angedeutet und das Übrige unverständlich.
Ich war durch Mac Dormits Besuch sehr munter geworden und wollte mich draußen im Freien etwas bewegen, zog die Pelzkappe über die Ohren und nahm Buruwat und die Büchse für alle Fälle mit.
„Wohin?“ rief Harald mir nach.
„Sehen, nach welcher Richtung Dormits Spuren verlaufen.“
„Sei vorsichtig.“
Ich war schon draußen.
Am Himmel standen bunte Nordlichter. Vor mir türmte sich das Gebirge auf, weiß und schwarz wie ein Scherenschnitt. Weiß der Schnee. schwarz die Tannenwälder der Abhänge.
Ich konnte Dormits breite Schneeschuhspur bequem erkennen. Er hatte sich eine Strecke flußaufwärts auf einen Eisblock gesetzt und seine kanadischen Skis angeschnallt. Ich folgte der Fährte bis zu einem Nebenflüßchen. Hier bog die Spur nach links ab. Der Hund sprang mir vergnügt voraus. In seiner Begleitung fühlte ich mich vollkommen sicher. Diese Alaskahunde, eine Mischung zwischen Eskimohund und kanadischem Wolfshund, sind zumeist riesenstarke Tiere mit außerordentlich feiner Nase. Da ihre Besitzer sie recht roh behandeln, sind sie für gute Worte und etwas Liebe erstaunlich dankbar. Buruwat war ein Prachttier. Ich habe stets Glück bei Hunden gehabt und dieses Leittier war schnell mein Liebling geworden. So wanderten wir beide denn das Nebenflüßchen aufwärts. Der Pulverschnee glitzerte, und die einzigen Geräusche waren das ferne Heulen einer jagenden Wolfsmeute und das gelegentliche Poltern[9] von Schneemassen, die von den Ästen der Tannen herabglitten. Zu beiden Seiten des Flüßchens war Steilufer und Hochwald. So mochten wir etwa eine Stunde gewandert sein, als ein Wasserfall hörbar wurde. Noch zwei Biegungen. und ich sah die Niagarafälle im Winter in verkleinertem Maßstabe vor mir. Eiszapfen hingen tief in die stürzenden Wassermassen hinab, Eiszapfen ragten aus dem Gischt empor. Es war ein wundervoller Anblick. Hier wandte sich die Fährte nach links, und droben auf dem Ufer entdeckte ich dicht neben dem Wasserfall ein großes Tellereisen, das angekettet und mit dünnen Tannenästen belegt war. Als Köder lag ein hart gefrorener Lachs darauf, der mit Draht festgebunden war. Ich sah, daß Mac Dormit hier offenbar soeben erst ein Tier, sicher eine Sumpfotter, aus dem Tellereisen genommen und abgehäutet hatte. Da seine Fährte im Walde immer dieselbe Richtung beibehielt, kehrte ich um. Jedenfalls war er nicht direkt zu Crack geeilt, und vielleicht war er auch gar kein Spion Cracks und wir taten ihm Unrecht mit unserem Verdacht.
Als wir uns der Grotte näherten, hinkte Buruwat stark. Das hatte jedoch nichts zu bedeuten, weil er sicherlich nur wieder Eisklümpchen zwischen den Zehen hatte, die sich in lockerem Schnee infolge der Wärme der Pfoten sehr leicht bilden. Ich kratzte ihm die Eisstückchen heraus, und die Sache war wieder in Ordnung. Gibt man hierauf nicht acht, so können böse Entzündungen entstehen. Das beste Mittel gegen diese Eisbildung ist starkes Einfetten der Pfoten.
Da ich annahm, daß Harald vielleicht schon schliefe, packte ich den Hund beim Halsriemen und betrat recht leise die Höhle.
Neben dem Feuer gewahrte ich einen Mann, der kniete und in der Hand ein Messer hielt. Ich erschrak. Es war ein Fremder mit blondem Vollbart und einer dicken, blauroten Nase. Harst lag mehr im Schatten. Ich sah nur seinen Pelzsack. Über seinem Kopf war eine Decke geworfen.
Der Mann hatte uns nicht gehört. Ich sprang zu, bekam ihn am Halse zu packen und warf ihn vornüber und würgte ihn mit aller Kraft. Er wehrte sich verzweifelt. Mein Griff um seine Kehle war jedoch zu fest. Ich ließ mich nicht abwerfen. Es war ein stummer, beklemmender Kampf. Schonung war hier gänzlich unangebracht. Meine Muskeln und Nerven zitterten. Der Kerl bäumte sich immer wieder hoch. Sein Messer hatte er fallen lassen. Es war bis zum Holzgriff blutig, und der Gedanke, der Schurke könnte Harst ermordet haben, erstickte jedes Mitleid in mir. Ich krallte die Hände noch fester, ich grub die Nägel in seine Kehle ein, und endlich ward er schlapp und lag still. Trotzdem blieb ich mißtrauisch, riß ihm die Arme auf den Rücken und griff nach einem Riemen und fesselte ihn. Keuchend erhob ich mich.
Buruwat saß neben dem Feuer und schaute mich aus seinen großen braunen Augen merkwürdig an. Seine Teilnahmslosigkeit wunderte mich. Ich riß nun die Decke von Haralds Kopf und — — prallte zurück. Der Schlafsack war leer. Eine entsetzliche Ahnung kam mir. Ich drehte den Bewußtlosen rasch um, und — — es war Harst, der sich inzwischen maskiert hatte.
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2. Kapitel.
Haralds Hals war dick geschwollen. Als ich den Freund endlich wieder ins Leben zurückgerufen hatte, krächzte er nur: „Idiot!“
Buruwat wedelte mit der langen Rute und blickte mich noch merkwürdiger an.
Eine Schneekompresse und heißer Tee brachten Harst nach drei Stunden wieder auf die Beine. Er drückte mir die Hand, und die Sache war wieder eingerenkt. Es war eben ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen gewesen. Während ich Mac Dormits Fährte verfolgt hatte, maskierte Harald sich, was ich nachher auch tun sollte. Als er sich gerade die Nase fertiggeschminkt hatte, war der Besitzer der Höhle, Herr Luchs, erschienen. Harald erschoß ihn und zog ihm den Pelzrock aus — mehr im Hintergrunde der Grotte. Er hatte gerade das Jagdmesser säubern wollen, als ich eintrat. So war die unglückliche Verwechslung zustande gekommen. —
Es war jetzt sieben Uhr morgens. Unsere Müdigkeit und auch Harsts Zustand hatten verlangt, daß wir uns niederlegten. Wir hatten während der letzten vierundzwanzig Stunden kein Auge zugetan. Trotzdem drängte Harald zum Aufbruch. Wir hatten nur zwei kleine Koffer mit, in die wir erst in Nuklukahjet doppelte Böden eingebaut hatten, unter denen wir so allerhand verbargen, was die Eskimos nicht hatten sehen sollen, auch Bärte, Perücken und sonstiges. Ich mußte mich in aller Eile ebenfalls maskieren. Mit Vollbärten und Perücken und gefärbter Haut war dann von den Ingenieuren Hort und Schrimm nicht viel übrig geblieben.
„Mac Dormit kann uns verraten,“ meinte Harst. „Wir müssen erst einen anderen Lagerplatz suchen. Ich traue ihm nicht. Ich weiß nicht, an wen er mich erinnerte, aber — ich habe ihn bestimmt schon irgendwo gesehen, vielleicht gar in Nuklukahjet im Hotel. Es gingen dort viele Pelzjäger aus und ein.“
„Wir koppelten nach kurzer Beratung die Hunde zusammen und trugen die Schlitten auf unserer alten Spur mehrere hundert Meter flußabwärts, also auf demselben Wege, den wir gekommen waren und zwar bis zur Mündungsstelle des Pictairn-Baches, der zum Ouellgebiet des berühmten „Warmen Flusses“ gehört, der als einziger Strom der Tanana-Berge selbst bei strengster Kälte nicht zufriert, da die heißen Quellen der Gilberts-Hills, eines vulkanischen Streifens der Tanana bis in die Vorberge hinabreichen und geradezu kochendes Wasser liefern. Der eisfreie, schäumende Pictairn hatte auch die Eisdecke des Kinley bis zur halben Flußbreite in großem Bogen weggeschmolzen. Wir wateten, immer die schweren Schlitten samt Gepäck auf dem Rücken, ein Stück den Pictairn aufwärts. Den Hunden machte es nichts aus, bis zum Bauche im Wasser dahin zu plantschen, und nach einer Stunde hatten wir dann die Gewißheit, jede Spur hinter uns verwischt zu haben. Hierauf kam es uns an.
Höhlen und Grotten gibt es hier überall. Wir wählten als Nachtquartier eine Grotte oberhalb eines Wasserfalles, in der das Wasser noch meterweit stand und die einen ganz niederen Eingang hatte. Während ich meinen Schlitten innen absetzte und die Karbidlaterne anzündete, war Harald mit den Hunden noch draußen geblieben. Ich holte die Hunde herein und auch Harsts Schlitten. Harald selbst erklärte mir, er wolle noch ein Stück bachaufwärts gehen. Der Wasserfall, der durch einen ganz engen, kurzen Kanon abwärts stürzte, hatte hier den Bach zu einem weiten See aufgestaut, und die kahlen, felsigen Ufer, die erst weiterhin zwischen den Bäumen wieder eine Schneeschicht aufwiesen, hatten uns in dem lehmigen Niederschlag zahllose Spuren von Renntieren gezeigt. Da das Renntier[10] in Alaska erst eingeführt worden ist und wild nicht vorkommt, konnte es sich nur um verwilderte Tiere handeln, die sicherlich aus Old Cracks Herden stammten.
Ich schleppte Moos herbei, Holz und einige angeschwemmte Stämme, ich verbarrikadierte den Höhleneingang mit Steinen bis auf einen ganz schmalen Durchschlupf und zündete ein Riesenfeuer an.
Harald kam zurück. Schweigend nahm er zwei Wolldecken und hing sie noch von innen vor die Barrikade und den Eingang und ließ nur oben eine schräge Öffnung frei, damit der Rauch abziehen konnte. Fraglos war dieses Quartier weit besser als die Höhle am Kinley-Fluß. Selbst wenn Mac Dormit uns nun verraten sollte, würde uns hier niemand finden. Wir konnten uns ausschlafen, und Haralds Gedanke, die Hunde laufen zu lassen und besser ein paar Renntiere einzufangen, war schon deshalb recht gut, weil unsere Maskerade uns nicht viel half, da die Hunde uns sofort verraten hätten, sie waren eben auf Cracks Farm zu bekannt.
Als wir nun Stiefel und Strümpfe am Feuer trockneten, sagte Harst plötzlich:
„In dem Stausee liegt ein Telephonkabel.“
„Was liegt da?“ Ich glaubte mich verhört zu haben.
„Ein gut isoliertes Kabel, das nach Nordost im Walde unter Moos und Steinen weiterläuft — zu Crack natürlich.“
„Donnerwetter! Und woher mag es kommen?“
„Die eine Station dürfte in der Nähe von Nuklukahjet zu suchten sein, vielleicht in Rulats Blockhaus, das weit vom Orte nach Osten liegt, wie du weißt, dann wird es wohl mehrere Zwischenstationen geben, und die Zentrale befindet sich in Cracks Felsenburg.“
„Wer hätte das gedacht! Das ist großzügig.“
„Ach ja, mein Alter“ nickte er. „Ich fürchte. wir werden noch Großzügigeres finden.“
Er zog trockene dicke Strümpfe an und schlüpfte in die pelzgefütterten Stiefel. Jetzt erst merkte ich, wie düster sein Gesichtsausdruck war. Ich erschrak darüber. „Hast du noch etwas gefunden?“
„Nein, aber gesehen.“
„Was denn?“
Er nahm eine Zigarette und einen glimmenden Ast und erwiderte: „Binde deinen Freund Buruwat dicht am Eingang hier innen an. Er würde jeden Fremden wittern. Tu’s nur. Es eilt. Du hast dich hier vielleicht sehr sicher gefühlt. Leider muß ich dich enttäuschen. — Binde den Hund fest und gib ihm genügend Moos als Lager.“
Er starrte in die knisternden Flammen und rauchte mit sichtlicher Zerstreutheit.
Buruwat bekam ein sehr schönes Lager. Ich musterte noch die Wolldecken vor dem Eingang. Nein — selbst ein heimtückischer Schuß war unmöglich. Außerdem hätte der Hund jeden gewittert. Gehört allerdings nicht, denn der nahe Wasserfall lärmte zu stark. Es war ein immerwährendes Brausen und Donnern, und es glich vollkommen einer Meeresbrandung.
Ich setzte mich wieder zu Harald. Er sagte ohne aufzublicken:
„Ich habe einen Mann in einen Renntierschlitten gesehen.“
Mir fiel die Zigarre aus den Fingern. Ich verfärbte mich.
„Crack?“
„Wahrscheinlich.“
„Wo denn?“
„Am Südufer des Sees, wo ein flaches Tal ganz allmählich ansteigt. Ich hatte zum Glück das Kabel, als ich mit dem Fuß dagegen stieß und es erst für eine im Wasser liegende Baumwurzel hielt, sofort genauer untersucht.
Ich bückte mich nur und griff ins Wasser, fühlte, daß es ein isoliertes dickes Kabel war und richtete mich sofort wieder auf. Ich wollte erst prüfen, ob auch wirklich kein Spion in der Nähe. Fünfzig Meter weiter öffnete sich nach rechts das verschneite Tal, und ich gewahrte einen weißbärtigen Mann in einem langen, von zwei hintereinander angeschirrten Renntieren gezogenen Schlitten. Der Schlitten raste mit unglaublicher Geschwindigkeit davon.“
Ich hob meine Zigarre auf und blieb stumm.
„Hat er dich bemerkt?“ fragte ich dann.
Harald schaute auf und schüttelte den Kopf. „Manchmal fragst du wie ein Kind. In diesen Einöden gibt es keine Zufälle.“
„Also — — ist er von Mac Dormit benachrichtigt worden und muß schon am Kinley in der Nähe gewesen sein,“ erklärte ich beklommen.
„Natürlich — Wir können unsere Bärte und Perücken wieder einstecken. Cracks Spionagensystem ist glänzend. Er muß ein großer Verbrecher sein.“
„Und wir?“
„Sind in seiner Hand, mein Alter. Ich fürchte, draußen lauern schon seine Schergen. Jeder Schritt nach draußen wird uns Kugeln eintragen.“ Er holte das Rindenpergament hervor. „Hier, überzeuge dich ... Dies ist der Pictairn-Bach, also der Ort, wo wir uns befinden. Die Grenze von Cracks Riesenfarm reicht mit dem westlichsten Zipfel bis hierher. Das haben wir nicht beachtet. Wir sind auf seinem Gebiet, und wir sind sein — genau wie der arme Tom Warger, den wir gern befreien wollten. Nun werden wir uns selbst befreien müssen. Wir sitzen in der Mausefalle.“
Ich konnte dem nicht beipflichten. „Du siehst doch wohl zu schwarz, Harald. Wie soll Crack so schnell seine Leute herbeordern.“
„Bitte — das Telephon! Und dann: Es kann irgendwo hier in der Nähe eine seiner Renntierherden untergebracht sein. Gerade die Nachbartäler des Turma-Flusses, des ‚Warmen‘, sind die Weideplätze seiner auf 80000 Stück geschätzten Renntiere. Er exportiert Unmengen Fleisch, Butter und Milch. Seine Motorbootflottille aus dem Turma soll über vierzig Fahrzeuge zählen. Es ist ein schlauer Fuchs und ein echter Yankee-Geschäftsmann. Als er vor fünfzehn Jahren dieses ungeheure Gebiet für ein Butterbrot erwarb, lachte man ihn aus. Nur einer lachte nicht: Samuel Warger, der da drüben in Dawson residiert und dem er den fetten Happen vor der Nase wegschnappte. Daher auch der endlose Prozeß zwischen beiden und die Todfeindschaft — — hm ja!!“
„Weshalb — — hm ja?!“
„Das hängt mit meiner phantastischen Vermutung zusammen, mein Alter. — Ich werde jetzt schlafen. Nach vier Stunden weckst du mich. Dann wache ich. Sobald sich etwas regt, schieße ... Gute Nacht“
Gute Nacht — — und er schlief. Aber es war nicht Nacht. Nein, es war jetzt daheim in Berlin heller Vormittag. Hier allerdings, wo das Polargebiet so unangenehm nahe, spürte man nichts von Sonne, Licht oder dergleichen. Ich ging zum Eingang, streichelte Buruwat und lüftete etwas die Wolldecke. Das Halbdunkel lastete drohend über dem Stausee und dem jenseitigen Ufer. Trotzdem erkannte ich einen Trupp von etwa dreißig Renntieren. die eifrig das frische Moos von den Felsen abnagten. Dieser wunderbare Bach, der keine Eisbildung zuließ, war ein Dorado für die ‚Klackfoots‘, wie die Eskimos hier die Renntiere nennen — der klappernden Hufe wegen.
Während ich die Klackfoots beobachtete, kam mir ein glänzender Gedanke.
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3. Kapitel.
Ich machte die Probe aufs Exempel, indem ich meinen Pelzrock über einen Kiefernast streifte und obenauf die Mütze befestigte. Als ‚Gesicht‘ lag unter der Mütze ein hellrotes buntes Taschentuch.
Ich band Buruwat seitwärts fest, lüftete mit meinem Büchsenlauf den Vorhang und hielt mich hinter der Barrikade. Kaum hatte ich die Puppe etwas vorgeschoben, als zwei Schüsse knallten — von drüben her. Ich ließ die Puppe nach hinten umsinken und den Vorhang fallen.
Ein Blick nach dem Feuer. Harald war nicht erwacht.
Ich lächelte mordgierig. Die Schufte dort im Uferwalde sollten Max Schraut kennen lernen. Wir hatten uns nicht umsonst in Südarabien mit Wüstenräubern und in der indischen Thar mit allerhand braunem Gesindel umhergetrieben.
Ich besah mir meine Puppe. Schade — der Pelzrock hatte zwei Löcher bekommen, dicht neben den regulären Knopflöchern. Die Herrschaften zielten gut.
Ich wartete. Ich spähte vorsichtig nach draußen. Die Renntiere waren in wilder Flucht auf und davon.
Nach einer Viertelstunde schob ich meine noch verbesserte Puppe, die nun sogar in der rechten ‚Hand‘ einen Ast hielt, der von weitem einer Büchse gleichen konnte, ganz langsam unter der Wolldecke unten hindurch ins Freie. Das war schwerer als vorhin. Ich setzte mich der Gefahr aus, ein Loch in die linke Hand zu bekommen.
Als die Puppe draußen halb im Wasser versank, gab’s von drüben Schnellfeuer. Sechs Schüsse, dann noch drei. Ich ließ meinen Strohmann gänzlich im Wasser versinken. Es mußte den Eindruck machen, als ob auch der zweite von uns nun erledigt sei.
Zehn Minuten passierte nichts. Dann tauchte flußaufwärts. also von links. ein langes Fellboot auf, in dem sechs Kerle knieten.
Harald schlief. Er war zu erschöpft. Die Schüsse draußen hatten ihn auch diesmal nicht geweckt·
Die sechs in dem Boot hatten keine Ruder, sondern Stoßstangen, mit denen sie das Boot in der scharfen Strömung bremsten.
Es war Zeit. Ich weckte Harald. Er fuhr hoch. Mit Worten erklärte ich ihm die Lage. Er nahm seine Remingtonbüchse, entsicherte sie und meinte: „Wir lassen sie erst landen.“
In meinen Adern kochte das Blut. Ich trank noch schnell einen Schluck Whisky.
Wir lauerten am Eingang. Harst mahnte, ruhig zu zielen. „Einen müssen wir lebend haben! Sollte ein Weißer dabei sein, so genügt eine Kugel in die Schulter. Das besorge ich.“
Das Boot näherte sieh behutsam. Mein Strohmann lag im seichten Wasser. Nur ein Teil der Pelzmütze ragte noch heraus.
Noch zehn Schritt. Jetzt saß das Boot fest. Das Wasser war zu flach. Drei stiegen aus. Der vorderste war ein sehr langer Kerl mit einem kurzen Bart, also entweder ein Europäer oder ein Mischling.
Zwischen den Steinen der Barrikade gab es genug Löcher für die Büchsenläufe. Milde wäre hier Selbstmord gewesen.
Sechsmal knallte es, dann trieben fünf Erledigte dem Wasserfall zu, den Langen, Dürren hatte Harst gepackt und schleppte ihn in die Höhle.
Der Kerl hatte ein Raubtiergesicht, eine ganz kurze Oberlippe und mächtige gelbe Zähne. Er war jedoch so benommen, dass er, kaum notdürftig verbunden, das Spiel verloren gab und schon bei der ersten drohenden Bewegung Harsts kreischte:
„Schonen Sie mich!! Ich will alles sagen!“
„Old Crack hat euch herbeordert. Ihr seid Hirten der nächsten Station seiner Farm.“
„Ja. Ich bin Aufseher, Mr. Harst.“
„Sie wissen also, wer wir sind?“
„Ja. Crack sagte es uns.“
„Sind noch mehr von euch draußen? “
„Nein, bestimmt nicht. Wir waren nur sechs hier auf der Station, aber Frauen und Kinder sind noch dort.“
„Weit von hier?“
„Zwei Meilen das flache Tal empor.“
„Crack hat euch telephonisch herbeigerufen?“
Der Mann erschrak.
„... Ja ...“
„Sie sehen, wir wissen alles. Wenn Sie lügen, leisten Sie den anderen fünf im Wasser Gesellschaft — Ist ein Telephonanschluß zwischen Nuklukahjet und hier vorhanden — oder zwischen diesem Bach und Ihrer Station?“
„Bis zur Station gibt es drei Anschlüsse, Mr. Harst. Der erste ...“ — er zögerte ...
„In Rulats Hütte unweit Nuklukahjet,“ ergänzte Harst.
„Ja ... Und dann der zweite in dem verlassenen Fort Mac Kinley, und der dritte in Mac Dormits Haus, das drüben tausend Meter ostwärts im Walde liegt.“
„Aha: Mac Dormit!! Nun ist alles geklärt. Rulat und Ischko haben vom Fort aus Dormit angerufen. Dormit kam zu uns und wollte uns zur Umkehr bewegen. Er benachrichtigte dann telephonisch Old Crack, und ...“
„Nein, Mr. Harst, — so kann’s nicht gewesen sein,“ verbesserte der Mann schnell. „Old Crack war gerade bei Dormit, als Rulat vom Fort aus anrief. Sonst hätte Crack nicht so schnell hier sein können. Bis zur Hauptfarm ist es noch eine Tagesreise.“
„Nun gut, — ihr sechs solltet uns umbringen ...“
„Ja ...“
„Wo ist Old Crack?“
„Nach der Hauptfarm zurückgekehrt.“
„Wie heißen Sie?“
„Sven Ohlsen, früher Norweger, Mr. Harst. Ich bin seit acht Jahren bei Crack. Wer erst einmal bei ihm, kommt nie wieder fort. Dafür sorgt er schon. Rulat und Ischko ... sind tot ... Ihre abgeschnittenen Köpfe stecken drüben im flachen Tale auf zwei kahlen Ästen einer abgestorbenen Kiefer.“ Er wurde noch bleicher. Sein abstoßendes Gesicht verzerrte sich unheimlich. „Mr. Harst, ich war ein anständiger Kerl, als ich hierher kam. Dies verfluchte Land und dieser verfluchte Crack haben mich verdorben. Wenn Sie ahnten, welche Macht der Schuft besitzt, würden Sie umkehren — — bei Gott, tun Sie es!“
Harald winkte mir. „Gib ihm einen Schluck Whisky und eine Zigarre. Beides wird ihm nicht schaden. Die Kugel hat nicht mal den Knochen gestreift, und der Verband wird jede Eiterung verhüten. — Ich glaube, Ohlsen, an Ihnen ist noch nicht alles schlecht. Wollen Sie uns begleiten?“
„Zu Crack?“
„Ja.“
„Das ist sicherer Tod, — aber meinetwegen, ich habe vieles zu sühnen, an meinem Leben liegt nichts, aber an dem Ihren, Mr. Harst. Was wollen Sie eigentlich bei ihm? Er hat mir nur gesagt, zwei deutsche Detektive wollten uns alle ins Verderben stürzen.“
„Wissen Sie nichts von Tom Warger?“
„Natürlich. Crack ist ja Samuel Wargers, des Multimillionärs, erbitterster Feind.“
„Ich meine etwas anderes. Tom ist doch Cracks Gefangener.“
Sven Ohlsens Erstaunen war ehrlich. „Das ist neu. Aber es kann schon sein.“
„Und Ellen Barkam?“
„Die ist bei Crack, das stimmt. Rulat und Ischko brachten sie vor ein paar Tagen. Ich habe Miß Ellen selbst gesprochen. Sie machten auf meiner Station kurzen halt. Ellen war sehr unglücklich und weinte viel.“
„Wie — und Tom war nicht im zweiten Schlitten?“
Da schlug Ohlsen sich gegen die Stirn. „Ach so!! Dann war er das lange Bündel, das im zweiten Schlitten lag. Ich glaubte, es sei ein neuer Teppich.“
Harald dachte eine Weile nach. „Ich werde Ihnen für alle Fälle noch etwas Chinin geben, Ohlsen,“ sagte er dann. „Wir müssen schlafen — unbedingt. Schraut und ich würden sonst sehr bald umkippen. Alaska geht an die Nerven, finde ich.“
Aber der Norweger schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Mr. Harst. Wir müssen zur Station. Ich sollte Crack melden, wenn hier alles im klaren sei. Diese Meldung muß schleunigst erfolgen, denn zwischen der Station und der Farm gibt es noch drei Anschlüsse, und Crack würde Verdacht schöpfen, wenn die Meldung zu lange auf sich warten ließe. Auf meiner Station sind wir sicher. Den Frauen verschweigen wir, was hier geschehen, und Sie beide spielen meine Gefangenen. Fürchten Sie keine Hinterlist meinerseits. Ich halte zu Ihnen, ich hasse Crack wie den Satan, und ich werde Ihnen beweisen, daß ich ...“
„Ich vertraue Ihnen, Ohlsen. — Brechen wir auf.“ —
Als wir das flache Tal hinter uns hatten. Kamen wir an die[11] erste weite Krümmung des Warmen Flusses. Auf einer Hochebene standen hier sieben Blockhäuser.
Ohlsen hatte uns zum Schein die Hände gefesselt. Er betrat eine der Hütten, wir folgten ihm, begleitet von vier Tlinkit-Indianerinnen, deren Männer jetzt vielleicht schon den Kinley abwärts schwammen. Ohlsen öffnete eine Geheimtür in der Balkenwand, und hinter dieser Tür standen das Telephon und ein kleines Schaltbrett. Er rief die nächste Station an und meldete, daß man uns beide gefangen genommen habe und daß wir nach der Farm gebracht werden würden.
Gleich darauf fuhr er mit uns davon. Den Weibern hatte er ein paar faustdicke Lügen versetzt. Sie ahnten nichts.
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4. Kapitel.
Kaum hatten wir die Station außer Sicht, als Harald Ohlsen fragte, ob es südlich von Cracks Felsenfestung in einem Tale vielleicht eine besondere große Höhle gebe.
Der Norweger bestätigte dies. „Sie meinen sicherlich das sogenannte Heiße Tal, Mr. Harst. Dort befindet sich ein halb erloschener Vulkan, der durch seine unterirdische Hitze jeden Schnee wegschmilzt. An der Nordwand des Tales liegt die Höhle. Man kann jedoch nicht hinein. da sie mit giftigen Gasen angefüllt ist. Ein paar Eskimos von Crack, die mal aus Neugierde dort eindrangen, fand man erstickt am Eingange auf.“
„Würden Sie uns ungesehen nach dem Tale bringen können?“
„Natürlich, Mr. Harst. Weshalb aber?“
„Das erkläre ich Ihnen an Ort und Stelle.“ — —
Wir hatten in einer nahen Hütte gerastet, volle acht Stunden. Als wir diese leere Schäferhütte verließen, war mindestens zwanzig Zentimeter Schnee gefallen. Unsere Fährte war also zugedeckt, und da es noch immer schneite, durften wir hoffen, daß selbst Crack nicht vorzeitig die Wahrheit erfahren würde. Wenn wir nicht auf der Farm eintrafen, mußte er annehmen, wir seien unterwegs umgekommen.
Neun Stunden später stiegen wir in finsterer Nacht in das heiße Tal hinab, ließen die Hunde dort angekoppelt zurück, ebenso die Schlitten in einem guten Versteck, nahmen nur meinen Freund Buruwat mit zum Höhleneingang nach oben und zündeten die Laterne an. Der Eingang war ein mächtiges, zackiges Felsentor. Ohlsen blieb vorsichtig zurück, aber Harald lachte und rief ihm zu, die Geschichte von den Giftgasen sei Schwindel. Er nahm dann Ellens Spitzentüchlein aus der Tasche und hielt es Buruwat unter die Nase, drückte ihm den Kopf auf den Boden und sagte: „Such’, Buruwat, such’ mein guter Hund!“
Ohlsen war sprachlos, als Buruwat an seinem langen Lederriemen sofort vorwärts schoß.
„Sie sehen, Ellen war hier.“ lächelte Harald. „Ich habe hier in der Tasche eine Zeichnung, auf der in blauer Farbe sich diese Höhle angedeutet findet. Sie dehnt sich bis zu Cracks Farm aus, und sie bildet eins der vielen Hilfsmittel, die Crack benutzt, um allgegenwärtig zu sein. — Verreist Crack häufig?“
„Nein, niemals. Er bleibt nur oft viele Wochen in seinem Hause, und dann bekommt ihn nur sein Diener zu sehen.“
Wir eilten hinter dem Hunde drein. Harst meinte ironisch: „Der Diener bekommt ihn dann auch nicht zu sehen, denn Crack ist dann eben auswärts. bester Ohlsen — Was ist das für ein Mann, der Diener?“
„Oh, ein alter brummiger Engländer namens Charlie Maxson ... eine Bestie, genau so schlimm wie Crack. Überhaupt, man begreift nicht, daß Miß Ellen mit diesen Schuften zusammen dort hausen kann. Sie ist ein nettes Mädel, wirklich, und alles, was Mac Dormit über sie erzählte, ist Lüge. Sie war stets nur der gute Engel in dieser Hölle, und ...“
„Es gibt keinen Mac Dormit,“ sagte Harald da.
Ohlsen blieb stehen. „Nanu?!“ Er lachte leise.
„Nein, Ohlsen, Mac Dormit ist nur Crack in einer Verkleidung, in einer seiner vielen Rollen und Masken.“
Der Norweger schritt nachdenklich weiter. „Hm, wenn ich’s mir jetzt so alles bedenke, Mr. Harst; Sie werden doch recht haben, denn Dormit war nie in seiner Hütte anzutreffen, nie. Das fiel mir schon lange auf. Nur — — Crack ist uralt, und Dormit ist vielleicht vierzig ...“
„Allerdings, älter kaum.“
Auch ich war verblüfft. Ich sollte noch weit kopfscheuer werden, denn Harald fügte hinzu. „Es gibt überhaupt keinen Old Crack, richtig genommen. In einer Stunde werden Sie das begreifen, Olsen.“
Das Höhlengebiet hier war von einer Ausdehnung und Schönheit, die mich geradezu begeisterte. Es gab hier unterirdische Seen, Flüsse, Teiche, wundervolle Tropfsteingebilde — Aber die Stunde war längst um, und Buruwat lief noch immer mit der Nase auf dem Boden vor uns her. Dann gelangten wir in einer engen Seitenschlucht an eine hölzerne Treppe von vierzig Stufen und vor eine verschlossene Holztür. Da kein Schlüssel steckte, hatte Harald sehr bald geöffnet. Wir kamen zu einer zweiten Treppe in einem aus Lehmziegeln gemauerten Schacht und vor eine zweite, schmale Tür. Harald winkte uns, ganz still zu sein, und horchte. Erst nach mehreren Minuten schob er den Dietrich in das Schloß, und wir standen nun in einem dunklen Zimmer, sahen aber rechts durch eine halboffene Tür einen Lichtschein. Dort … saß am Fenster in einem fast elegant eingerichteten Gemach ein Greis in einem Krankenstuhl … und schlief. Auf dem Tische brannte eine große Petroleumlampe.
„Old Crack,“ flüsterte Ohlsen scheu.
Harst, die Pistole in der Rechten, legte Crack die Hand auf die Schulter. Doch die Flasche Whisky auf dem Fensterbrett, die nur noch halb voll war und deren andere Hälfte Cracks Magen füllte, ließ den Kerl nur schläfrig die Augen öffnen. Er brummte heiser: „Schon gut. Maxson ... Ich liege hier genau so bequem wie im Bett ... Gehen Sie schlafen.“
Er schloß wieder die Augen.
„Mr. Crack,“ sagte Harst ihm ins Ohr und nicht eben leise, „ich bin’s — — Harald Harst!!“
Crack schnellte halb hoch. Seine aufgerissenen Augen quollen ihm beinahe aus dem Schädel.
„Bindet und knebelt ihn,“ befahl Harald.
Das war im Nu getan. Wir mußten uns beeilen, wieder den Rückzug anzutreten, denn nach Tom Warger wollten wir erst später suchen. Zunächst mußte Crack in Sicherheit gebracht werden.
Doch es kam anders.
Plötzlich stand in der offenen Tür zum Nebenzimmer Ellen Barkam. Sie war geisterbleich. Sie stierte uns an und atmete dann tief auf und flog auf Harald zu …
„Gott sei Dank — — die Rettung. die Erlösung!!“ jubelte sie und sank weinend in Harsts Arme.
Ich war einfach wie vor den Kopf geschlagen.
„Fliehen wir!“ schluchzte Ellen ... „Soeben ist draußen das Alarmsignal ertönt und in wenigen Minuten sind dreißig gut bewaffnete Tlinkits und Eskimos hier … Schnell — ich zeige Ihnen einen geheimen Weg — — durch eine Höhle ... nur schnell …“
Harald packte Crack und wir liefen durch die Geheimtür in den Schacht. warfen die Tür hinter uns zu und hasteten weiter. Ellen war immer voran, aber wir kannten den Weg, und als wir nach einer wilden Jagd das Heiße Tal erreichten, waren wir in Sicherheit. Hier im Freien waren wir nicht zu überrumpeln. Wir spannten die Hunde vor die Schlitten, und im Galopp ging’s nach Osten — bis zum Ufer des warmen eisfreien Turma, wo wir in einer Höhle, die Ellen uns zeigte, einen Eindecker vorfanden.
Vor der Höhle gab es eine weite ebene Fläche, eine vorzügliche Startbahn. Kaum hatten wir das Flugzeug jedoch ins Freie gerollt, als die eine Tragfläche wie von selbst durchknickte. Wir sahen, daß sie absichtlich beschädigt war.
„Baut ein Floß,“ sagte Harst „Angeschwemmte Bäume gibt’s dort in der Bucht genug. — Miß Ellen, wo ist Tom?“
Sie schaute ihn verwundert an.
„Tom ist entflohen ... Wissen Sie das nicht, Mister Harst?“
„Und das ist die Wahrheit?“
„Ich liebe Tom. Mr. Harst. Ich habe ihm ja zur Flucht verholfen. Er muß längst in Dawson City bei seinem Vater sein.“
Mit den Verspannungsdrähten des Eindeckers banden wir die Baumstämme zusammen. Das Flugzeug wurde dann auf das Floß gerollt und befestigt. Der Motor und der Propeller sollten unserem Fahrzeug größere Geschwindigkeit geben. Wir schifften uns ein. Nur Buruwat durfte mit. Wir stießen vom Ufer ab. Leider versagte der Motor. Wir hatten noch keine zweihundert Meter zurückgelegt, als aus den Uferbüschen Schüsse knallten. Wir warfen uns nieder, nur der arme Ohlsen taumelte mit einem Kopfschuß ins Wasser und tauchte nicht wieder auf. Dank der reißenden Strömung kamen wir rasch vorwärts und außer Schußweite, und achtzehn Stunden später konnten wir unweit einer kleinen Station der Bahn nach Dawson landen und den nächsten Zug bis dorthin benutzen.
Allerdings: Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß der Mann, den wir als Gefangenen mitgenommen, nicht Old Crack war. sondern der meisterhaft als Old Crack herausgeputzte Diener Charlie Maxson.
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5. Kapitel.
Der amerikanische Polizeichef der Grenzstation hatte uns bis Dawson begleitet, Maxson war hier, weil er offenbar im Einverständnis mit Crack gehandelt hatte, ins Gefängnis gesteckt worden, und nachdem wir uns gründlich ausgeschlafen hatten, fand am Vormittag im Zimmer des kanadischen Polizeiinspektors Mr. Lyne in Gegenwart Ellens, Tom und Samuel Wargers Maxsons Vernehmung statt.
Tom hatte Ellen nur durch eine Verbeugung begrüßt, uns derb die Hände geschüttelt und uns dann seinem Vater vorgestellt, einen dicken, stattlichen Herrn mit grauem Spitzbart, Hornbrille und Glatze.
Samuel Warger wird in den nächsten Bänden der Geschichten von Old Crack noch eine bedeutsame Rolle spielen.
Er machte auf mich keinen schlechten Eindruck, war sehr höflich, sehr gemessen, hatte tadellose Manieren und ... schnitt nur Ellen vollständig. Sie war Luft für ihn.
Maxson, jetzt ohne falschen Bart und Perücke, hatte auf dem Floß und überhaupt bisher auf keine Frage geantwortet. Jetzt erklärte er mit größter Frechheit folgendes:
Er wisse nichts von den Geheimnissen Old Cracks. Dieser habe ihn damals betrunken gemacht und in den Krankenstuhl gesetzt. Wenn er in seiner Betrunkenheit dann vor uns etwas hingeredet habe, als ob er Crack sei so könne man ihm das nicht verübeln. Er sei eben ein Opfer der Schurkerei seines Herrn, dem er den Tod und die Hölle wünsche.
Wir alle waren starr über diese Frechheit. Aber Maxson blieb bei seiner Behauptung, und nichts konnte ihn in die Enge treiben.
Als Harst ihm vorhielt, Crack habe doch offenbar die Lähmung nur vorgetäuscht und sei ein jüngerer Mann und habe auch ‚Mac Dormit‘ gespielt, den es gar nicht gebe, nickte Maxson freimütig. „Ja, das ist alles richtig ...“
Harald wurde noch energischer.
„Maxson, Sie räumen also ein gewußt zu haben, dass der echte Old Crack längst tot ist und daß ein Schwindler seine Rolle übernahm. Wer ist dieser Gauner?“
Unsere Gesichter wurden immer verblüffter.
„Ich weiß es nicht, Mr. Harst. Wirklich nicht. Die Sache kam so. Es mag fünf Jahre her sein, als ich eines Morgens in meines Herrn Arbeitszimmer auf der Farm einen Mann vorfand, der äußerlich etwas Old Crack glich. Der Mann hielt mir eine Pistole vor die Stirn und schob mich in Cracks Schlafzimmer. Dort lag der echte Crack tot im Bett. — Der Mann sagte: „Maxson, Crack ist an Herzschlag gestorben. Ich bin sein Sohn. Er war verheiratet. Hier sind seine Papiere. Prüfen Sie sie.“ Die Urkunden bezeugten, daß John Crack im Jahre 1891 in San Franzisko mit einem Mädchen namens Anna Hilmer die Ehe geschlossen hatte. 1902 war ein Sohn geboren und John Crack getauft worden. — Cracks Sohn, der nun als Old Crack maskiert vor mir stand, erklärte weiter „Mein Vater hat mich hergerufen. Daß er seit langem kränkelte, wissen Sie. Ich habe mich seit Wochen heimlich hier in der Nähe aufgehalten, und ich war jeden Tag mit meinem Vater zusammen. Hier hat er ein Schreiben aufgesetzt, daß es sein Wunsch ist, daß ich für ihn weiter als Old Crack auftrete.“ — Ich las auch dieses Schreiben, Mr. Harst, und es war Old Cracks Schrift und alles hatte seine Richtigkeit. So habe ich denn geholfen, diesen Betrug durchzuführen, der kein Betrug war, denn nur der Sohn John Crack übernahm das Erbe des Vaters Old Crack. — Mehr weiß ich nicht. Es ist die Wahrheit.“
Harald blickte Ellen an.
„Und was sagen Sie dazu, Miß Barkam?“
Ellen erwiderte ruhig: „Maxson mag recht haben. Vor fünf Jahren war ich ja im Pensionat in San Franzisko. Als ich dann nach dreijähriger Abwesenheit nach der Tanana-Farm zurückkehrte, fand ich meinen Pflegevater allerdings sehr verändert vor. Er mied mich fast ängstlich.“
„Und — weshalb fuhren Sie nach Berlin und kamen zu uns in die Villa in der Parkstraße in Dahlem?“
Sie errötete. Aber sie schaute Harald ehrlich an. „Ich will auch dies nun aufklären. Mein Pflegevater — ich glaubte ja, es sei noch immer der echte Old Crack — erzählte mir im November des vergangenen Jahres, daß Sie, Mr. Harst, von ihm Papiere besäßen, die ihm sehr gefährlich werden könnten. Er verlangte von mir, daß ich aus Dankbarkeit zusammen mit Joe Smith, seinem Freunde, den Versuch machen solle, Ihnen die Papiere zu stehlen, die Sie immer bei sich trügen.“
“Halt — eine Zwischenfrage an Maxson — Maxson, kennen Sie Joe Smith?“
„Gewiß. Er kam etwa im Oktober verflossenen Jahres auf die Farm und tat ganz so, als ob er dort der Herr sei. Crack und er kannten sich wohl von früher her. Aber Crack der Jüngere war durch den Besuch keineswegs entzückt. Ich glaube, er wünschte Joe Smith in die Hölle. Dann reisten Joe und Miß Ellen eines Tages ab. Auch das stimmt.“
Harald blinzelte Tom und mir zu und meinte: „Begreift ihr?! — Wenn nicht, wird euch gleich ein Licht aufgehen. — Sagen Sie mal, Maxson, Crack der Sohn war wohl heimlich sehr oft und sehr lange abwesend?“
„Ja. Manchmal Monate. Dann mußte ich so tun, als ob er krank sei und niemand sehen wolle. Diese Komödie war ja nicht schwer, da das Haus, das Old Crack bewohnte, auf dem einen steilen Felsen liegt und die anderen Gebäude auf dem zweiten, größeren und nur eine Holzbrücke beide Felsen verbindet. Crack konnte durch die Höhle jederzeit weg und auch wieder ungesehen zurückkehren.“
„War er Dezember und Januar abwesend, und traf er nicht erst kurz vor Ellen auf der Farm ein?“
„Ja, Mr. Harst. Nur zwei Tage vor Ellen.“
„Besaß er eine moderne Luftbüchse?“
„Auch das stimmt. Und er hat sich mit ihr tadellos eingeschossen gehabt.“
Harald wandte sich an Tom und mich. Wir saßen nebeneinander.
„Nun ist die Geschichte klar ... Dieser Joe Smith war Crack unbequem, denn Crack der Jüngere war ein Schwindler und niemals Old Cracks Sohn. All die Papiere hat er gefälscht gehabt, und das wußte Joe Smith. Um diesen zu ermorden, entwarf der Schwindler einen großzügigen Plan und schickte Ellen und Joe unter einem Vorwand nach Berlin, reiste ihnen nach und erschoß Joe Smith in meiner Bibliothek, wollte auch Ellen erschießen, die ihm ebenso lästig war. Er war also der Mann mit der Luftbüchse und dem verkrüppelten Fuß, — scheinbar verkrüppelten Fuß. Nachher ließ er Tom in Nuklukahjet abfangen und nach der Farm bringen, wo Ellen Tom zur Flucht verhalf, — was Ihnen wohl schon bekannt ist, Mister Warger,“ wandte er sich an Toms Vater ... „Sie haben Ellen bisher für eine Verbrecherin gehalten. Sie ist nur eine arme Betrogene, die aus Dankbarkeit gar nicht existierende Papiere an sich bringen wollte.“
Warger sagte mit seinem dröhnenden Baß: „Miß Ellen, Sie sind mir als Schwiegertochter willkommen.“ Das war alles.
Aber Tom und Ellen jauchzten fröhlich auf und flogen sich in die Arme. — —
Eine Stunde später fuhren wir wieder gen Westen zur Tanana-Farm. Wir hatten zwanzig Polizeibeamte mit. Aber der Mann, der den Old Crack gespielt hatte, war über alle Berge.
In einem Geheimfach des Schreibtisches Old Cracks fand Harst ein Testament, das vor einem Notar in Nuklukahjet aufgesetzt war. Dieses Testament des echten Old Crack, das bereits 1920 niedergeschrieben war, hatte der alte Sonderling ausgerechnet seinem Todfeind Samuel Warger zum Erben bestimmt und Ellen nur ein Legat von einer halben Million Dollar vermacht.
Diese zweifellos echte und rechtsgültige Urkunde soll die Überleitung zur zweiten Old Crack-Geschichte bilden, zu „Old Cracks wahres Gesicht“, — denn Harald hat den Schwindler schließlich doch entdeckt! — Ich bin überzeugt, daß die Leser sehnlich wünschen, der Verlag möchte doch diese vier Crack-Abenteuer in Abständen von acht Tagen herausgeben. Vielleicht tut’s der Verlag. Die folgenden drei Bande werden nämlich noch weit spannender ausfallen, und es wird sich zeigen, daß Haralds ‚phantastische Vermutung‘ den Nagel aus den Kopf getroffen hat. Eins will ich hier schon verraten: Der unechte Crack, der große Schwindler und brutale Mörder war mit dabei, als Tom seine Ellen zum ersten Male vor so viel Zeugen küßte — bei Polizeiinspektor Lyne in Dawson City.
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Anmerkungen:
[1] Ein Sealpelz oder auch Sealfell ist ein Kleidungsstück aus der Haut einer Pelzrobbe, (siehe: Sealfell.)
[2] Das Yukon-Tanana Upland ist ein Hochland in Alaska, dessen 600 bis 1300 m hohen Gebirgszüge sich über 610 km vom Yukon in Kanada bis in die Mitte von Alaska erstreckt; Tanana ist darin eine Kleinstadt am Yukon-Kuskokwim-Delta, siehe: Tanana.
[3] Der Flughafen Berlin Tempelhof bestand als Linienverkehrsflughafen von 1923 bis 2008. Ab dem 01.11.2008 wurde er entwidmet; anschließend sind Park- und Vergnügungsflächen. Vergleiche: Tempelhofflughafen.
[4] In der Vorlage steht der Name dieser Stadt mit "Vonkouver", diese (veraltete???) Bezeichnung geändert in: "Vancouver".
[5] Im Originaltext heißt der zweite Eskimo mal "Ischka", ein anderes Mal "Ischko", eineitlich auf Ischko geändert.
[6] Die Balsamtanne ist ein Kieferngewächs, das im nördlichen Amerika vorkommt und in der Holzproduktion Verwendung findet, vergl.: Balsamtanne.
[7] „Réaumur“, R, ist eine veraltete Maßeinheit zur Messung der Temperatur. 20° Réaumur entsprichet ca. 25° Celsius. Hier ist wohl -25°C oder auch 20°R Kälte gemeint.
[8] In der Vorlage benennt der Autor den Indianerstamm "Tlinkit"; die richtige Schreibweise des historisch zu den mächtigsten und kriegerischsten indigenen Völkern der Nordwestküstenkultur zählenden Stammes lautet aber "Tlingit"(Tlingit).
[9] In der Vorlage steht: "Polster". In "Poltern" korrigiert.
[10] "Renntier" ist die veraltete Form von "Rentier". Ein rennthier heiszts, weil es entsetzlich rennet. Allerdings wurde das Ren(n)tier nicht in Alaska eingeführt, sondern kommt sehr wohl wild vor. In Nordamerika heißt es Karibu.
Ein "Rentier" hingegen war um 1930 eine Person, die von regelmäßigen Zahlungen aus in Aktien oder Anleihen angelegtem Kapital, der Vermietung von Immobilien oder der Verpachtung von Land lebt.
[11] In der Vorlage steht "der", berichtigt in "die".