von
Hans Münde
Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.
1. Kapitel
Direktor S.W. Indler und der Provinzdussel.
Ich will Ihnen heute, meine Damen und Herren, eine ganz verrückte Geschichte erzählen. Sie ist buchstäblich wahr. Ich gebe Ihnen mein – kleines Ehrenwort darauf, – das ganz kleine – hm, ja.
Kein Dichter könnte eine solche Geschichte erfinden. Ausgeschlossen! Dazu gehörte die Phantasie von zwölf Alexander Dumas auf einmal. Und Dumas ist längst tot. Sie wissen, der, der den Ewigen Juden und den Grafen von Monte Christo geschrieben hat.
Wenn wir, meine Frau und ich, in dieser Geschichte vom stubenreinen Hund ebenfalls eine bescheidene Rolle spielen, so ist das unsererseits beileibe kein sich vordrängen. Im Gegenteil – wir lassen die Welt ungern in unsere näheren Verhältnisse hineinschauen. Sie wissen, meine Herrschaften, was man unter ‚näheren Verhältnisse‛ in einer Ehe versteht: Etwas sehr Solides, Ehrbares, nämlich die Kasse, Börse oder das Portemonnaie.
Diese Geschichte hat zwei Teile. Den ersten Teil habe ich mir mühsam mit Hilfe phänomenal geistvoller Kombinationen Stück für Stück zusammengefügt und dichterisch dann ausgebaut.
Dieser erste Teil ist auch der ‚kitzlichste‛. Ich muß dabei gewisse Erwerbskreise näher beleuchten, die das Licht scheuen. Ich will das so dezent wie möglich tun. Selbstverständlich. –
Ich beginne. Ich bitte dem geneigten Leser, mich nach Berlin N., Gartenstraße 333, drei Treppen links zu begleiten. Das heißt: Falls der Leser verheiratet ist, begleitet er mich besser nicht. Er könnte sonst in Ungelegenheiten geraten, falls seine treue Ehehälfte erfährt, wo er gewesen ist.
Dort, Gartenstraße 333, drei Treppen links, wohnte im Jahre des Unheils 1917 Frau Genoveva Flick, Witwe des am 19. Februar 1914 in der Irrenanstalt Dalldorf verstorbenen Oberlandesgerichtskanzleihilfsdieners Eusebius Flick. Dieser Flick war vom achtzehnten Lebensjahr unrettbar dem Fusel verfallen. Nur sein kräftiger Körper bewahrte ihn davor, noch früher, als es schließlich wirklich geschah, an Gehirnerweichung einzugehen.
Frau Genoveva Flick war zweiunddreißig Jahre, als er derart unselig entschlief. Sie wog zweihundertdreiunddreißig Pfund, trug nie mehr ein Korsett, da eine solche Korsettnummer nicht vorrätig war, und hätte verhungern müssen, wenn sie nicht auf den Gedanken gekommen wäre, zwei von den drei Zimmern ihrer Wohnung mit voller Verpflegung zu vermieten.
Zuerst nahm sie zwei Studenten in Kost. Nachdem diese acht Wochen bei ihr gewohnt, sich stets satt gegessen und keinen Pfennig bezahlt, dagegen noch einhundertelf Mark und zehn Pfennig von ihr an barem Geld ‚erpumpt‛ hatten, schmiß sie sie raus und behielt ihre Sachen ein, nämlich ein Stiefelknecht, zwei zerrissene, ungewaschene Oberhemden, eine Nickeluhr aus dem 3-Mark-Basar und einige Bücher. Der Gesamtwert dieser ‚Sachen‛ betrug etwa eine Mark und einen Pfennig.
Genoveva hatte also mit den beiden ‚Studikern‛ ein miserables Geschäft gemacht.
Schon aus diesem miserabel Geschäft läßt sich ein Bild von Genovevas Charakter malen: gutmütig, nicht gerade schlau, aber ehrbar – höchst ehrbar!
Die Zimmer standen nun leer. Unten an der Haustür aber hing die lockende Papptafel mit dem bekannten Aufdruck.
Dann kam eine sehr elegante junge Dame zu Genoveva, stark gepuderte, stark nach Parfüm duftend. Sie wollte eins der Zimmer mieten.
Hm – Genoveva ahnte was! Das – das war – ‚so eine‛ –
Sie fragte also: „Ihr Beruf, Fräulein?“
„Ich bin Detektivin. Sie wissen doch, was das ist: ein weiblicher Detektiv. Und Detektiv heißt: Geheimagent, Spürer, Privatfahnder, Sucher –“
„Donnerwetter!“ entfuhr es Genoveva. „Ich dacht’ schon, Sie wär’n so eine – so eine von der Straße –!“
Die junge Dame zuckte hochmütig die Achseln und entnahm ihrem Handtäschchen eine Karte.
„Bitte – lesen Sie!“ sagte sie kurz.
Da stand:
Legitimation
Fräulein Ilse Himpel ist bei uns als Detektivin angestellt. Die nebenstehende Photographie stellt die p. p. Himpel dar.
S.W. Indler
Direktor der Detektei ‚Weltall‛
Berlin N, Borsigstraße 505, Gartenh. 1 Trep. 1.
Genoveva war total beruhigt. Fräulein Himpel gefiel das Zimmer so, daß sie freiwillig fünfzig Mark mehr bezahlen wollte, als Genoveva forderte.
„Mein Beruf macht es nötig,“ meinte sie, „daß ich nachts häufig wegbleibe oder aber Kollegen vom ‚Weltall‛ zu wichtigen Beratungen mitbringe. Daran müssen Sie sich gewöhnen, Frau Flick, und deshalb lege ich auch fünfzig Mark zu. Ich habe nun eine Kollegin, gleichfalls also eine Detektivin, die auch gern bei einer anständigen Frau wohnen möchte. Ich miete also auch gleich das zweite Zimmer.“
Jetzt war Genoveva schon gerissener und verlangte für Logis und Verpflegung sofort fünfzig Mark mehr, als sie hatte fordern wollen. Und wirklich; auch jetzt erklärte Ilse Himpel, sie würde noch ‛n halben Blauen ‚drauftun‛.
Die dicke Flicken war selig. Abends um sieben Uhr zogen die Kolleginnen ein. Die andere hieß Nora Schock und war pechschwarz mit Zigeunertyp; Ilse aber war blond. Sie zahlten sofort für einen Monat voraus. Und da war Genoveva noch seliger.
Die Detektei ‚Weltall‛ mußte ein Riesenunternehmen sein. Das merkte Frau Flick vom ersten Tag an. Nicht nur nachts ging es in ihrer Wohnung wie in einem Taubenschlag zu, sondern auch tagsüber erschienen so und so oft alle möglichen Herren und fragten sehr geheimnisvoll nach Fräulein Himpel oder Fräulein Schock.
Und – ein Gehalt mußten die Mädels beim ‚Weltall‛ beziehen‛ – ein Gehalt!
Geld spielte bei denen überhaupt keine Rolle. Manchmal fand Genoveva in den Betten ein Zehn- oder Zwanzigmarkstück, einmal sogar einen halb aufgeweichten Fünfzigmarkschein – im Porzellangefäß[1]!
Dann brach der Krieg aus. Was irgend als Mann und Soldat noch zu brauchen war, nahm seine Flinte und zog ins Feld. In den Straßen Berlins trippelten zumeist nur noch Damenfüßchen einher. Was dort an Männlichkeit entlangstampfte, kam für den Geschäftsbetrieb des ‚Weltall‛ und seiner Detektivinnen nicht in Betracht, war nicht mehr fähig, ein Verbrechen zu begehen.
Ja – es war eine schwere Zeit für Ilse und Nora. Es gab in Berlin so etwa dreißigtausend Detektivinnen ihrer Art, und die hatten jetzt alle nichts zu tun.
Es war schrecklich – wirklich schrecklich!
Außer diesen Damen haben aber auch die Hunde es im Krieg sehr schlecht gehabt. Als die Lebensmittelkarten und das ‚Anstehen‛ begannen, war natürlich auch das Hundefutter knapp. Viele mußten ihre vierbeinigen Lieblinge abschaffen. Die wenigsten ahnten, daß sie vielleicht sehr bald mit ihrem Karo, Schnucki, Hektor oder wie die Hündchen sonst benamset waren, ein Wiedersehen in einer Art feiern würden, die nicht erst der Krieg heraufbeschworen hatte. Hundefleischesser hat es schon in Friedenszeiten gegeben. Die ‚berühmte‛ Ziegenwurst aber, die, wenn sie ‚echt‛ gewesen, in kurzem den Ziegenbestand der ganzen Welt verbraucht hätte, soll unverbürgten, aber immer wieder auftauchenden Gerüchten heute nicht mehr zu hundert Prozent aus Ziegenfleisch, sondern zu neunundvierzig Prozent aus Hundefleisch und zu den restlichen einundfünfzig Prozent aus fleischähnlichen Dingen sich zusammensetzen, deren chemische Analyse bisher niemandem gelungen ist. –
Weshalb ich hier die Hunde als Kriegsnotleidende gleichfalls mit anführe, wird dem Leser sehr bald klar werden.
Nun – besser als Karo, Schnucki, Hektor und so weiter hatten Ilse und Nora es immer noch, denn bei Ihnen lag die Gefahr nicht vor, daß sie in die Ziegenwurst kamen. Sie mußten nur Ziegenwurst essen, und das war schon schlimm genug.
Außerdem fand aber auch die dicke Flicken keine Goldstücke mehr in den Betten. Es gab eben kein Goldgeld mehr.
Allmählich wurde dann der Geschäftsbetrieb des ‚Weltall‛ wieder reger. Die Kriegsgesellschaften schossen in Berlin‛ wie Pilze aus der Erde und sogen wie große Schwämme – nicht Wasser, sondern edle Männer auf, die dem Vaterland lieber auf dem Büroschemel als im fraglos weniger behaglichen Schützengraben dienen wollten.
Es waren dies sämtlich Männer mit Geld und mit jenen verbrecherischen Neigungen, die für unsere Detektivinnen in Betracht kamen.
Das Geschäft blühte wieder. Aber – so wie vor dem Krieg war’s doch nicht mehr. Das Angebot war zu groß. Konkurrenzfirmen entstanden, die viele Damen engagierten, die früher ganz andere Dinge getrieben hatten.
Der Direktor Indler vom ‚Weltall‛ ging daher auch stets mit ernstem Gesicht, aber noch immer in Lackschuhen, weißen Gamaschen und Zylinder einher.
Am Tage der Kriegserklärung hatte er das ungeheuere Pech gehabt, sich mit einem Beil derart in die linke Hand zu hauen, daß deren Finger absolut steif blieben, als die Hand verheilt war. Indler, ein schlauer Herr mit blassem Gesicht, über der Nase zusammengewachsenen Augenbrauen und einer in die Stirn gekämmten Schmalzlocke, hatte – angeblich – Tränen des Schmerzes geweint, weil er nun nicht auch mit seiner Flinte ins Feld ziehen konnte.
Er tröstete sich jedoch bald, zumal die bewußten Finger dann nur noch total steif waren, wenn die bisherigen ‚Drückeberger‛ wieder mal militärärztlich ‚durchgesiebt‛ wurden.
So kam der Winter 1917 heran.
An einem düsteren Novembertag saß Herr Willi Indler in seinem Bureau auf dem Schreibtisch, schlenkerte mit den Beinen und hörte der blonden Ilse zu, die zu ihm als einzige seiner weiblichen Angestellten in vertrauteren Beziehungen stand. Er hätte es nie wagen dürfen, ähnliche zarte Bande auch mit anderen anzuknüpfen. Ilse war eifersüchtiger als eine reiche, häßliche Frau, die einen armen, hübschen Mann geheiratet hat; Ilse hätte ihm aus Eifersucht nicht etwa die Augen ausgekratzt; keine Rede davon. Nein – sie besaß andere ‚Zuverlässigkeitsmittel‛.
Hören wir, was der bedauernswerte Direktor soeben an Unerhörtem von Ilse zu hören bekam.
Ilse saß auf dem Sofa. Sehr malerisch. Wie sie saß, darf ich hier nicht näher beschreiben. Jedenfalls so, daß ein heimlicher Beobachter sich gleich gesagt hätte: Der mit der Schmalzlocke und die junge, schöne Dame müssen verheiratet sein!
„Du – das sag’ ich dir, Willi,“ so sprach Ilse, „wenn du noch ‛n einzijet Mal mit Jrete int Cafée ‚Steuer‛ jehst, dann – dann zeij’ ich dich an – von wejen unsere Detektei, wo du doch nur dir für die Legitimationskarten jeden Monat fünfzig Märker jeben läßt, damit die Mächens vor die Polente sicher sind. Und auch von wejen deine linke Klaue, wo du die Finger vor jeder ärztliche Untersuchung künstlich aufquellen und blau werden läßt.
Und wenn ich auch mit reinschliddere – is mich janz egal! Bist du mir untreu, dann – dann sollst du mich kennen lernen –“
„Aber – aber Ilseken!“ lachte der Direktor. „Ilseken, du bist ja vadreht! Ich schwöre dir, daß –“
„Laß den Bleedsinn,“ meinte Ilse ärgerlich. „Wenn ich für jeden Meineid, den du schon geleistet hast, jetzt ‛n Pfund Butter hätte, könnt’ ich ‛n Butterjeschäft uffmachen –“
„Ilseken – sei doch friedlich –“ der Direktor sprang vom Tisch und setzte sich neben seine Hauptdetektivin auf das Sofa.
„Ilseken,“ meinte er, nachdem er sie an sich gedrückt und geküßt hatte, „hast de ‛n Wunsch? Alles sollst de haben – alles, wat nicht über tausend Märker kostet –“
„Du – wirklich?“ Und schwupp – Ilse saß ihm auf dem Schoß. „Du – verkohlst de mich auch nich? Wirklich – bis zu tausend Märker? – Mensch, Willi – so ville Jeld hast de ja jar nich –“
Er lächelte stolz.
„Hast du ‛ne Ahnung! Jestern kam so ‛n Dussel aus de Provinz hier ins Bureau. Der Kerl hatte draußen det Schild jesehen mit ‚Detektei Weltall‛. Er war nämlich hier in die Borsigstraße von eene janz Jerissene jeheerij ausjefloht worden. Uhr, Brieftasche, Papiere – allents wej! An det Jeld und die Uhr lag ihm nischt. Aber die Papiere wollte er wieder haben. Er war mit die janz Jerissene in’t Absteijequartier bei die olle Kramuschken jewesen.
Und er versprach mir zweitausend Märker, wenn ich ihm, ohne Uffsehen zu errejen, die Papiere wieder besorjte. Na – die Schohse war nu nich schwer bei meine weitläufje Beziehungen. Die Kramuschke trat ich ordentlich auf die Hühneroogen, und da hat se mir die Adresse von die Raffinierte anjejeben. ‛s war so eene Jelejenheitsdiebin. Der Provinzdussel kriegte also seine Papiere, ich kriegte von det Mächen fünfhundert Emmchen Schweijejeld und vom Dussel det Honorar.
Siehst de – so hab’ ick meine ersten zweitausendfünfhundert Märker ehrlich vadient – janz ehrlich – als Detekteidirektor. Der Dussel war überjlücklich. ‛s ist ‛n Koofmich aus Pommern, – so eener, der jetzt schon sein Milliönchen vadient hat, wie er mir anvertraute. Noch vor Weihnachten kommt er wieder nach Berlin. Und da – da werd’n wir ihm so ‛n bißken das Fell über die Ohren ziehn, Ilseken, wir beede! Und nu paß mal auf, wie –!“
Für Ilse hatte diese lebendige Schilderung ihres Freundes auffallend wenig Interesse gehabt. Für ehrliche Geschäfte so geringen Umfangs war sie nicht. Ihr Grundsatz lautete: ‚Wenn schon – denn schon!‛ –
Sie hatte auf eine größere, unehrlichere Summe gehofft. Dann hätte sie Willi eben mehr als tausend Mark abschmeicheln können. So aber, da war diese Spende schon groß genug und bewies auch seine unerschütterliche Liebe zu ihr. Wer von zweitausendfünfhundert Mark tausend abgibt, muß den nehmenden Teil lieb haben – das stand außer Zweifel. –
Dies war die in Ilses Kreisen übliche Logik.
Willi Indler war enttäuscht. Ilse fand seine Leistungen als Detektiv also durchaus nicht so glänzend, wie er gedacht hatte. Sie schwieg ja dazu! Glaubte sie ihm etwa nicht?
„Ilse,“ fügte er daher im Biedermannston hinzu, „mein Ehrenwort – ick hab’ nur zweitausendfünfhundert dabei vadient. Wie is ‛s nu mit deinem Wunsch?“
„Ich möcht’ ‛n Hund haben,“ sagte sie kurz.
Der Leser wird erstaunt sein. –
Einen Hund wünschte Ilse sich? Kein Kleid, keine seidenen Unterröcke, keinen Ring? –
Das ist ja ein ganz seltsames Weib, wird der uneingeweihte Leser denken.
Der eingeweihte dagegen nickt verständnisvoll. ‚Aha – stimmt ja! Diese Art von Detektivinnen ist meist tierlieb!‛
Ganz recht – und Ilse war es auch. Ein Hund war schon lange ihrer Sehnsüchte fernes Ziel. Denn natürlich sollte es ein echtes Hündchen sein, keine Promenadenmischung, die im Alter von drei Monaten ein Dackel zu werden verspricht, und mit zwei Jahren zum Fleischerhund wird.
Echte Hunde sind teuer. 1917 waren sie sehr teuer. Das lag an den Ziegenwurstfabriken. Man versteht: große Nachfrage, besser riesige Nachfrage nach leidlich gut genährten Hunden; im Verhältnis dazu geringes Angebot, also – gehöriges ‚Anziehen‛ der Preise!
„Ich habe schon in der Züchterei Krahna nachgefragt,“ fuhr Ilseken fort. „Ein kleiner schwarzer Spitz kostet achthundert Mark. –
Gib mir das Geld, Willi –“
„Nee, Ilseken, wir wollen’s morjen zusammen jleich abschicken. Das is sicherer, weeßt de. Du könnt’st dir die Sache überlejen und det Jeld vernaschen. Dann hast de jar nischt davon –“ –
Ilseken wollte nun ihrerseits noch sicherer gehen. „Willi, wir senden’s noch heute telegraphisch hin,“ meinte sie. „Du könnt’st das Jeld heute nacht versaufen, und dann hab’ ich jar nischt davon.“
Herr Direktor S.W. Indler nahm dieses Mißtrauensvotum nicht übel. Er kannte sich ja, und Ilseken kannte ihn fast noch besser.
„Du bist ‛n schlauet Aas,“ nickte er sogar anerkennend. „Jut – jehn wir die Depesche und det scheene Jeld absenden. Achthundert Märker für ‛n Hund! Unglaublich! Ich hätt’ dir doch auch einen klauen können! Im Westen jibt’s so hibsche Hundchens –“
„Nee – ‛n jeklauten will ick nich. Der bangt sich dann und winselten nur.“ –
So kam es, daß Ilse zu einem Hund kam, der drei Tage drauf ankam – mit einer Begleitkarte, daß er männlichen Geschlechts, stubenrein und ein halbes Jahr alt sei und Fritz heiße. –
Worauf es ankam, das war das ‚Stubenreine‛! Denn Genoveva Flick war sehr sauber, liebte keine Tiere und hatte gleich erklärt: ‚Wenn der Köter hier in die Wohnung sein Geschäftchen verrichtet, muß er wieder wej!‛
So begannen denn Ilses Leidenszeit.
2. Kapitel
Ein Frühstück bei Ilse.
Fritz war ein reizendes Tierchen. Die Echtheit sah ihm jeder an, wer was davon verstand. Er hatte nur ein etwas schiefes Hinterbeinchen. Aber das fiel kaum auf.
Er war reizend. Nur – stubenrein war er nicht. Die Beweise seiner durchaus normalen flüssigeren und festeren Verdauungstätigkeit fand Ilse schon nach der ersten Nacht auf dem Teppich. Ein Kollege war gerade zu einer dringenden Besprechung da gewesen und hatte mit dem nur mit dem Strumpf bekleideten Fuß morgens etwas Weiches breitgetreten, wollte Fritzchen deshalb verprügeln und schied in Unfrieden von Ilse, die ihr Fritzchen nicht prügeln ließ
Ilse beseitigte die Spuren dieser Hundeanwesenheit auf das sorgfältigste. Heute merkte also die Flicken noch nichts.
Mittags kaufte Ilse für alle Fälle ein Scheuertuch, eine Müllschippe und einen Handfeger. Diese Mittel zur Verheimlichung von Fritzchens mangelhafter Erziehung versteckte sie im Kleiderschrank.
Sonst wäre die ehemals so dicke Genoveva argwöhnisch geworden. Genoveva war der Krieg nämlich glänzend bekommen. Sie konnte wieder ein Korsett tragen und war beweglicher denn je.
Aber auf die Dauer ließ sich Fritzchens Vorliebe für den Teppich doch nicht verheimlichen. Die nassen Stellen trockneten nicht so leicht. Und – Ilse konnte Genoveva doch nicht jeden Morgen vorlügen, daß sie aus Unachtsamkeit Wasser vergossen habe.
Kurz: Der Kampf mit Fritzchen begann. Die Flicken wollte, daß er verkauft würde; Ilse wollte ihn behalten.
Hätte man den kleinen, schwarzen Übeltäter gefragt, was er wollte, dann hätte er gesagt: ‚Schickt mich nach Krahna zurück! Es ist mir hier zu unruhig. Ich werde nervös. Und – wie soll ich stubenrein sein, wenn ich kaum je an die frische Luft komme?! Ilse bildet sich ein, es genüge, wenn ich abends an drei Laternenpfählen das Beinchen hebe. Sie kennt eben die Hundeeigenheiten nicht. Sie schließt von sich auf uns Hunde. Das ist verkehrt. Wir müssen mindestens zwölf Laternenpfähle, zehn Hausecken, acht Anschlagsäulen und sieben Haustürschwellen eingehend auf den Geruch hin prüfen, bis wir fertig sind. Dann sind wir auch stubenrein. Ich will also in die Züchterei zurück. Der ganze Betrieb hier sagt mir nicht zu. Tausend Herren kann kein Mensch dienen. Und ungefähr so viel verkehrten bei Ilse.‛ –
Aber – wie so oft bei wichtigen Entscheidungen wurde gerade die Hauptperson nicht befragt. –
Der Kampf ging weiter. Die schlanke Flicken drohte mit Kündigung. Der Direktor verwichste Fritzchen ein paarmal, stupste ihn mit der Nase in das Nasse und hoffte, ihn auf die Art stubenrein zu machen. –
Ilse heulte viel. Sie wollte von der Flicken sich nicht trennen. Aber auch nicht von dem schwarzen Spitzchen.
Sie kaufte einen Teppich und ließ Genoveva den anderen entfernen. Nun erledigte Fritzchen also auf Ilses Teppich die laufenden Geschäfte.
Doch – auch dieser geniale Einfall half nur für kurze Zeit. Genoveva behauptete, es – ‚stinke bereits in der ganzen Wohnung‛.
Da kaufte Ilse einen Ballon Tannennadelduft, und nun roch’s wie im Fichtenwald.
Aber – auch nicht lange. Genoveva meinte, der ‚andere‛ Geruch herrsche vor; der Köter müsse wej! Sonst würde sie ihn verjiften.
Es gab einen Mordskrach des ‚Verjiftens‛ wegen. Ilse war der Flicken an Mundwerk ungeheuer überlegen. Genoveva kam da nicht mit. Ilse kündigte, und die Flicken füllte einen ganzen Bogen mit all den Beleidigungen, die Ilses schönem Mund entquollen waren. Denn sie wollte sich diese Blütenlese von Kraftausdrücken nicht gefallen lassen; das Gericht sollte entscheiden, ob sie wirklich das alles war, was da auf dem Bogen stand: olle Schachtel, altes Reff, dämliches Luder, Puffmutter, verrückte Schraube – und so weiter und so weiter. –
So lagen die Dinge, als Herr Emil Stuffke, Kolonialwaren und Weinniederlage, sich abermals zu einer Geschäftsreise nach Berlin rüstete
Emil Stuffke war nämlich der Provinzdussel, der jetzt für den Direktor des ‚Weltall‛ die innigsten Freundschaftsgefühle hegte.
Seine Rüstungen zur Reise bestanden in der Hauptsache darin, daß er heimlich von der Bankfiliale sich dreitausend Mark holte.
Heimlich – ohne Wissen seines netten Frauchens, mit der er erst zwei Jahre verheiratet war. Da hätte also die Liebe und Treue eigentlich noch recht stark sein müssen.
Aber – Emil Stuffke waren nun mal so veranlagt, so für kleine Seitenhopser.
Seine Grete ahnte nichts davon. Gewiß – etwas ‚komisch‛ war es ihr doch vorgekommen, daß ihm im November in Berlin Uhr, Brieftasche und sogar die Brillantkrawattennadel von Taschendieben gestohlen sein sollten. Aber – sie vertraute ihrem Emil ja so sehr. Sie hatte ihn sehr lieb. Und Liebe ist bekanntlich blind.
Emil hatte sein Gretchen auch lieb. Er war alles in allem ein guter Kerl. Nur eben in dem einen Punkte konnte er sich auch nach der Heirat nicht umkrempeln: Er mußte sich mal austollen – in jenen Kreisen, wo das Geld so leicht durch die Finger rollt.
Er hatte mit fünfunddreißig Jahren geheiratet, im Kriege. Er selbst brauchte ja nicht mit; er hinkte etwas. Doch – dies war ein Geburtsfehler; dies war nicht so wie Direktor S.W. Indlers linker Hand. Nein – das Hinken war durchaus einwandfrei. –
Emil war, weil er eben hinkte, argwöhnisch gewesen. Als Kaufmann galt er als ‚gute Partie‛, obwohl er vor dem Krieg stark mit Sorgen zu kämpfen gehabt hatte – sogar sehr. Und daran waren seine Reisen nach Berlin Schuld gewesen. Sonntags war er stets ‚gen Berlin gerutscht‛.
Und das kostete mehr, als er verdiente. –
Dann hatte er sein Gretchen kennen gelernt. Und – da war er plötzlich nicht mehr argwöhnisch. Ihre braunen Rehaugen waren so ehrlich, blickten so frei. Die würde ihn nicht aus Berechnung nehmen.
Und – daher nahm er sie. Und von dem Tage an zog auch das Glück bei ihm ein. Er begann Geschäfte zu riskieren – Geschäfte! Und doch – er hatte stets Dusel, dieser Provinzdussel, wie der Mann vom ‚Weltall‛ ihn bezeichnet hatte. –
Jetzt also wollte er wieder gen Berlin. Und sein Rüstzeug waren die dreitausend Mark. Gretchen erklärte er, er nehme nur tausend mit. –
Dann saß er in D-Zug und dampfte ab.
Donner – diesmal wurde es im Sündenbabel ganz besonders vergnügt werden! Direktor Indler hatte ihm ja versprochen, ihm Stätten zu zeigen, die nur Eingeweihte zu sehen kriegten, Stätten, wogegen Pariser Nachtlokale Nonnenklöster wären!
Nach Ankunft in Berlin suchte er sofort seinen neuen Intimus auf. Am Hause Borsigstraße 505 prankte noch immer das Emailleschild mit der schwindelhaften Firma
Weltall – Detektei
Und im Gartenhaus in der Zweizimmerwohnung, von deren Räumen einer Bureau, Wohn- und Arbeitsstube des Herrn Direktors und der andere dessen Schlafzimmer war, lauerte Herr S.W. Indler bereits voller Ungeduld auf das Erscheinen des Provinzdussels, der sich ja bei ihm durch Depesche angemeldet hatte.
Die Begrüßung war außerordentlich herzlich. Emil Stuffke erklärte dann, er könne leider nur zwei Tage bleiben – aber dafür könnten sie auch jeden Tag zweitausend Emmchen verpulvern.
Worauf der Herr Direktor innerlich sehr enttäuscht war. Wie – sollte dieser Emil wirklich nur Viertausend bei sich haben?! Das wäre dann ja kaum irgendwie lohnend. –
So dachte er. Laut aber klang das Lied anders.
„Donnerwetter, pro Tag zwei Braune. Damit kann man sich abends schon son paar Stunden amüsieren –“
Dann fiel Indlers Blick auf Emil Stuffkes dicken, kleinen Finger. Dort sprühte und funkelte ein Brillantring. Donnerwetter – der war ‚nicht von ohne!‛
Aber Indler ließ sich nichts anmerken. Er trug ja selbst sehr kostbare Ringe – freilich nur erstklassige Simili! Also durfte ihm dieser Ring da mit dem fast bohnengroßen Stein auf keinen Fall imponieren. Das hätte den Proviantdussel vielleicht später argwöhnisch gemacht, wenn – der Ring nicht mehr da war, das heißt, nicht mehr an Stuffkes Finger. Willi Indler war ja ein Mann von schnellen Entschlüssen. Viertausend Mark – eine Lappalie! Aber der Brilliant – der war jetzt mindestens seine Fünfzehntausend wert und mußte daher, koste es, was es wolle, den Besitzer wechseln.
Der Herr Direktor bat den Freund jetzt, ihn zunächst nach der Gartenstraße zu begleiten. Die rührigste seiner Detektivinnen habe heute Geburtstag. Da wolle er gratulieren gehen.
Stuffke war entzückt. Kriminalromane waren seine hauptsächlichste geistige Kost. Und nun sollte er so eine Detektivin persönlich kennen lernen, das war so recht was für ihn. Damit konnte man daheim im Kegelklub renommieren.
Also sie gingen nun zu Ilseken, die ja Bescheid wußte. Ebenso war auch die schwarze Nora eingeweiht.
Natürlich kauften sie erst noch Blumen und Konfekt, die Stuffke bezahlen durfte. Ilse und Nora hatten sich ebenso ‚natürlich‛ ganz als solide junge Damen herausgeputzt. Stuffke fand Ilse denn auch sofort entzückend. Man setzte sich an den bereits gedeckten Frühstückstisch, den Blumen und allerlei bescheidene Delikatessen zerten: Wurst, Sardinen, italienischer Salat – und so weiter. –
Außerdem standen da noch verschiedene Likörflaschen, ein Kistchen Zigarren, Zigaretten und – sogar eine Flasche Sekt in einem Nickelkühler.
Stuffke, der zunächst etwas steifleinen blieb, weil Ilse und Nora sich etwa so wie eine Gräfin bei der Schmiere zierten und ungeheuer vornehm taten, wurde bald munterer, da die Damen gleichfalls wunderbar schnell derart zwanglos sich benahmen, daß Ilse nur noch ‚Emilchen‛ sagte und sich ruhig die Hände und anderes drücken ließ.
Aber – Ilse war heute trotzdem nur halb bei der Sache. Sie lächelte – und ihr Herz blutete! Sie war eine Märtyrerin; sie heuchelte Frohsinn, und ihre Seele war schwarz vor Schmerz und wand sich in Abschiedswehen – von Fritzchen, dem leider nicht stubenreinen Hündchen.
Denn – mit Fritzchen war es aus! Definito! Für immer! Nicht etwa, daß die schlanke Genoveva ihre rohe Drohung wahrgemacht und ihn vergiftet hätte! Nein – das war doch nur eine Drohung gewesen. So roh war die Flicken nicht – trotz ihrer Tierantipathie. Aber sie war energisch. Nach dem Krach zwischen ihr und Ilse, wobei der Bogen Papier mit den vielen Verbalinjurien – zu deutsch: gemeinste Schimpfwörter – die bewußte Rolle gespielt hatte, lebte Ilse in großer Angst vor einer Beleidigungsklage. Sie fürchtete Polizei und Gericht mehr als ehrliche Arbeit.
Und das wollte bei ihr schon etwas heißen.
Diese Furcht vor der hohen Justiz sollte Fritzchen verhängnisvoll werden. Frau Genoveva und Ilse söhnten sich aus und schlossen dabei einen feierlichen Vertrag, der mit einer Flasche Mampe-Kümmel ‚begossen‛ wurde. Ilse versprach, den kleinen, schwarzen Teppichanfeuchtung und Wohnungsverpester der Züchterei zurückzusenden, und die Flicken wieder, von einer Injurienklage Abstand zu nehmen.
Das war vor vier Tagen gewesen. Ilse hatte daraufhin nach Krahna geschrieben und angefragt, ob man den Spitz zurücknehmen wolle. Es folgte umgehend Antwort: ‚Ja – man würde ihr für Fritzchen dreihundert Mark zurückzahlen; nicht einen Pfennig mehr.‛ –
Da in Berlin jetzt nur nach ‚Schlachthunden‛ Nachfrage war und Ilse ihr Fritzchen niemals dem traurigen Schicksal, zu Wurst verarbeitet zu werden, überliefert hätte, wollte sie das Spitzchen für dreihundert Mark Krahna wieder zustellen, falls der Direktor der Züchterei ihr ehrenwörtlich versicherte, daß das Hündchen nur an ihm als hundelieb bekannte Leute wieder verkauft würde. Sie telephonierte dem Direktor dieserhalb, und der gab auch das verlangte Versprechen ab. –
Heute nun, an Ilses angeblichem Geburtstag, sollte Fritzchen in seiner Versandkiste wieder nach Krahna reisen. Nachmittags um vier wollte ein Postbote, den Ilse sich zu gewissem Dank verpflichtet hatte, die Kiste abholen und befördern lassen.
Fritzchen verlebte mithin jetzt seine letzten Stunden an dieser Stätte, die für sein keusches Herz denn doch zu oft zu dringenden, wichtigen Besprechungen zwischen seiner Herrin und der ‚Kollegen‛ benutzt worden war und an der er so oft furchtbare Hundeflüche gegen die erbarmungslosen, kurzsichtigen Menschen ausgestoßen hatte, weil sie ihn nicht genügend Laternenpfähle usw. beschnuppern und ‚einsprengen‛ ließen.
Er ahnte noch nichts davon, daß die Erlösung von diesem Leiden so nahe war. Freilich – in Krahna würde es keine Leberwurststullen und sonstige Leckerbissen mehr geben. Da gab es nur Hundekuchen, – hm –was man so ‚Kuchen‛ für Hunde nennt.
Er ahnte nichts, saß neben Ilse auf dem so oft in seiner Herzensangst von ihm befleckten Teppich und erhielt von ‚Frauchen‛ dauernd Schmeckhappen. Auch Emilchen warf ihm häufig etwas zu, das er stets geschickt auffing.
Inzwischen hatte der Direktor S.W. Indler vom ‚Weltall‛ bereits Ilse und Nora kurz in seinen neuen Plan eingeweiht.
Die schwarze Nora begann dann den ‚Angriff‛, indem sie von Similibrillanten zu sprechen anfing. –
„Ich verstehe etwas von Edelsteinen, Herr Stuffke,“ erklärte sie. „Ich habe als Detektivin schon manchem Betrüger Edelsteine abgejagt und manchen Schwindel mit falschen Steinen aufgedeckt.“
Emilchen, der einen martialischen, braunen Schnurrbart hatte und wirklich recht ‚forsch‛ aussah, lächelte selbstgefällig.
„Na – dann schätzen Sie doch mal hier meinen Ring ab,“ meinte er.
Nora sah ihm anscheinend ganz verdutzt an. „Ihren Ring?! Aber der ist doch nicht echt. Das ist doch auch nur eine Imitation in Goldfassung –“
Emilchen ward puterrot.
„Wie – Imitation?! Noch schöner!“ rief er. „Ich habe vierzehntausend Mark dafür bezahlt. Der Ring ist ein altes Familienstück der jetzt so ziemlich verarmten Grafen von Stockfisch. – Es war ein Geschäft unter Ehrenmännern. Unser erster Juwelier in Trallburg hat den Stein auf zwanzigtausend Mark geschätzt. Dem Grafen sagte er nur was von vierzehntausend. – Ich hatte ihm einen Wink gegeben.“
Die Sachverständige für Edelsteine ergriff Emilchens Linke und beugte sich tief über den Ring.
„Und doch nur Simili!“ murmelte sie.
„Was – was?“ schrie Stuffke. „Simili?! Das – das wäre ja –!“
Er suchte den Ring abzustreifen, damit Nora ihn noch eingehender prüfen könnte. Doch der Ring wehrte sich. Emilchen war auch so furchtbar aufgeregt, so hastig.
Dann – hatte er ihn runter.
Aber er entglitt ihm, rollte zwischen den Tellern hin und fiel von Tisch. Das ging so schnell, daß niemand den Ausreißer hatte packen können.
Emilchen sprang auf, bückte sich – Ilse stand auf, bückte sich.
Bald suchten alle vier nach dem Ring.
Man suchte eine Viertelstunde, man suchte eine halbe Stunde.
Der Herr Direktor S.W. Indler war jetzt noch fuchswilder als Emilchen. Denn – dieses Verschwinden des Ringes hatte er ja in seinem Programm nicht vorgesehen. Nein – die Sache sollte ganz anders befingert werden. Nora sollte sich nämlich erbieten, mit dem Ring zu einem allerbesten Juwelier zu fahren, damit dieser entscheide, ob echt oder unecht. Sie sollte aber in Wahrheit nicht zu einem Juwelier, sondern zu einem dunklen Ehrenmann eilen, der den echten Stein gegen einen genau so großen falschen vertauschen würde. Und sie wollte nachher Emilchen den Ring mit dem eingefügten Similistein wieder überreichen und erklären: ‚Sie haben Recht gehabt! Der Stein ist echt.‛
Dann war Emilchen den Brillanten los, ohne daß er’s merkte.
So – sollte das Ding gedreht werden! Und nun: Spurlos weg – spurlos!
S.W. wurde immer wütender. Er hegte Verdacht gegen Nora. Er schlug vor, man solle sich durch Emilchen auch selbst genau durchsuchen lassen, damit ‚sein Freund‛ nicht etwa glaubte, er wäre hier unter die Räuber gefallen.
Emilchen, der total verstört war, führte denn auch diese Leibesvisitation auf das allergenaueste aus. Dies war immerhin eine geringe Entschädigung für den Ring.
Die beiden Detektivinnen benahmen sich sehr verständig und ließen Emilchen suchen, wo er wollte. Sie hatten beide ein völlig reines Gewissen.
Doch – auch auf diese Weise wurde man des Ringes nicht wieder habhaft.
Man begann also von neuem das Zimmer zu durchwühlen.
S.W. Indler kroch sogar auf den Ofen und leerte alle Schubladen.
Nichts zu machen: Der Ring schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Man stärkte sich durch Schnäpse. Hierauf fing die Treibjagd von neuem an, und abermals fand auch Leibesvisitation statt.
Wieder total negativer Erfolg. –
Emilchen wurde stiller und stiller. Er hatte was geschöpft: nämlich Verdacht gegen den Direktor und diese beiden Damen, die sich ohne Scheu ‚leibesvisitieren‛ ließen.
Aber: Was sollte er tun?! Zur Polizei gehen?! Dann hörte vielleicht sein Gretchen von diesem ‚Geburtstagsfrühstück‛! Und das durfte nicht sein. Er wollte sie nicht betrüben. Betrügen – ja! –
So halb und halb, doch nie so, daß sie was von merkte.
Er sah ein: Der Ring war futsch!
Und so verabschiedete er sich denn sehr kühl von S.W. Indler und den Damen und – kaufte sich nachmittags einen anderen, genau so aussehenden Ring mit Similisteinen für fünfhundert Mark, rieb die echt goldene Fassung mit Zahnpulver ‚matt‛, so daß der Ring getragen aussah und schwor einen furchtbaren Schwur, nie mehr sich auf solche Abenteuer einzulassen, bei denen man bestohlen wird und nachher nicht mal Anzeige erstatten kann.
Er wollte nie mehr auch nur zu einem Viertel untreu sein. Er fuhr am nächsten Mittag heim und brachte seinem Gretchen für eintausendachthundert Mark eine wundervolle Armbanduhr mit. –
Und S.W. Indler und die beiden Damen?
Ach – er tobte und drohte. Er behauptete, eine von ihnen hätte den Ring versteckt – irgendwo. Er suchte nun, – so, wie ein richtiger Detektiv suchen würde. Er schonte Ilse und Nora nicht. Sie mußten sich von ihm eine fast spezialärztliche Behandlung gefallen lassen.
Nichts zu machen: Der Ring blieb futsch.
S.W. Indler entzweite sich mit Ilse und Nora und entzog ihnen die Legitimationskarten des ‚Weltall‛, so daß sie nun durch ihren Detektivberuf sich nicht mehr herausreden konnten, wenn sie sich nachts zu viel auf der Straße umhertrieben.
Nachmittags wurde das Kistchen mit Fritzchen abgeholt. Ilse weinte steinerweichend.
Fritzchen dachte: ‚Nun bin ich nur gespannt, wohin ich jetzt verschickt werde. Na – hoffentlich zu Leuten, die mehr Verständnis für meine geschwächte Blase haben!‛ –
Und hiermit schließt der erste Teil dieser wunderbaren Geschichte.
Wer auf den zweiten nicht gespannt ist, dem ist nicht zu helfen. Der hat eben kein Verständnis für Tragikomödien, wie das wirkliche Leben sie dichtet.
3. Kapitel
Bei uns.
Und nun kommen wir in eine ganz andere, sehr solide Umgebung oder ‚Milieu‛, nämlich in mein eigenes Heim, das eines verheirateten, kinder- und geldlosen gewerbsmäßigen Verfassers von allem, was ein Verlag brauchen kann, angefangen vom ‚Kochbuch für Notleidende‛ bis hinab zum Familienroman mit durchschnittlich drei Verlobungen am Schluß. –
Wir waren nach Trallburg gezogen. Berlin war uns zu teuer geworden. Wir wohnten dort bereits ein Jahr und ahnten natürlich nichts – nichts von dem, was ich im später – ersten Teil geschildert habe.
Wir sind Hundefreunde. Unser Wolfsspitz ‚Bubi‛ war unser Kind. April 1920 begann er zu kränkeln, und im Mai starb er. –
Als sein – eigentlich müßte ich sagen ‚Kadaver‛, aber das klingt mir zu viehisch – also sein Leib der Ziegenwurst durch ein Bubis Treue und Tugenden entsprechendes Begräbnis entgangen war, als die heftigen Schmerzausbrüche meines Frauchens sich gelegt und die letzten hüpfenden Andenken an den langjährigen Gefährten durch Aufwischen der Stuben mit Lysolwasser einen wohlverdienten Tod erlitten hatten, als ein Tag kam, wo sich in unserer Reservekasse die stattliche Summe von fünfhundert Mark – ich sehe Schieber und Konsorten geringschätzig lächeln! – befand, da – zeigte mir Frauchen eine Postkarte der Hundezüchterei Krahna in Sachsen, und aus dieser Karte ging hervor, daß Frauchen heimlich angefragt hatte, was ein Wolfsspitz, stubenrein, ‚jetzt‛ koste.
Die Antwort aus Krahna lautete nun dahin, daß ‚jetzt‛ ein Wolfsspitz siebenhundert bis neunhundert Mark koste, daß man für fünfhundert Mark beim besten Willen keinen liefern könne, daß aber gerade ein schwarzer, kleiner Löwenspitz mit geringem Schönheitsfehler – etwas verbaute Hinterbeine – auf Lager und ausnahmsweise für fünfhundert Mark zu haben sei. –
‚Falls Sie auf das reizende, stubenreine Tierchen reflektieren, bitten wir um Drahtantwort‛, hieß es zum Schluß.
Wer glücklich verheiratet ist, weiß, was nun geschah. Da aber leider nicht alle Männer den Vorzug genießen, eine Frau wie meine Frau ihr eigen zu nennen, da weiter nicht alle Frauen bei der Ehelotterie einen solchen Haupttreffer gezogen haben wie zum Beispiel mich bei meiner einsichtsvollen Nachgiebig- und Gutmütigkeit ihn darstelle, damit hin ein großer Teil der Ehen nicht einen ewigen Wonnemonat Mai, sondern mehr dem wetterwendischen April gleicht, muß ich wohl etwas näher auf das eingehen, – ‚was nun geschah‛.
Ich hatte also die Karte gelesen, hatte die stumme Bitte in Frauchens Augen ebenso deutlich entziffert, hatte sofort mein Herz notwendig mit Stahl umpanzert und kühl gesagt: „Schade, daß der Löwenspitz so teuer ist, Kind. Fünfhundert Mark! Das kann sich nur der Kaufmann Emil Stuffke von der Ecke gegenüber leisten, der vor dem Krieg den Gerichtsvollzieher in Erbpacht genommen hatte und der sich jetzt ein Auto hält. Unsere Reservekasse, das weißt du ja, Kind, soll uns für den Winter ein warmes Zimmer ermöglichen.“
Worauf Frauchen seufzte und erklärte: „Du hast ganz recht, Männe.“
Das war am Vormittag.
Nachmittags beim Kaffee lag die bewußte Karte ‚zufällig‛ wieder auf dem Tisch in Nähe meiner Tasse. Frauchen fragte dann – ‚zufällig‛ kam ihr der Gedanke! – was eigentlich ein Löwenspitz sei, wie er aussehen möge – und so weiter. –
Abends war unser ‚Kinotag‛. Aber Frauchen meinte, sie verzichte jetzt auf jede Zerstreuung und wolle für einen Nachfolger Bubis sparen.
Diese mit tränenverschleierter Stimme gesprochenen Sätze durchdrangen selbst den Panzer, den ich um ein hausväterliches kohlen- und briketthungriges Herz geschnallt hatte.
Jetzt – seufzte ich!
Ich seufzte der Reservekasse nach. Und sagte zu Frauchen: „Schatz, wenn du denn den stubenreinen Löwenspitz mit dem geringen Schönheitsfehler wirklich so gern haben möchtest –“
Weiter kam ich nicht – mehr brauchte ich nicht zu sagen.
Ich bekam plötzlich einen langen, langen Kuß, bekam den Hut aufgestülpt, den Spazierstock in die Hand gedrückt und erlebte dann das Wunder, daß Frauchen in drei Minuten zum Ausgehen fix und fertig angezogen war.
Wohin Frauchen so eilig wollte? –
Auf das Postamt! –
Ich bezahlte drei Mark achtzig für eine dringende Depesche, die etwa lautete:
Bitte Löwenspitz unter Nachname als Eilgut absenden.
Am nächsten Morgen war die rosige Laune Frauchens merkwürdigerweise dahin. Ich erkundigte mich nach der Ursache dieser leisen Verstimmung.
„Ach, Männe – wir werden zu spät telegraphiert haben! Der Löwenspitz wird schon verkauft sein,“ lautete die Antwort.
Ich redete ein langes und breites zur Aufmunterung Frauchens, schwor, daß ich so eine Ahnung hätte, wir bekämen den stubenreinen Bubi-Nachfolger ganz bestimmt, und erzielte auch einen völligen Umschlag der Gemütsverfassung Frauchens. Aber abends, wo ja tiefer veranlagte Naturen mehr als am Tage zum Grübeln neigen sollen, entsprach Frauchens Gemütszustand abermals ganz dem tristen Regenwetter draußen. Wiederum mußte ich bange Zweifel zerstreuen und allerhand Schwüre leisten.
Diese wechselvolle Stimmung hielt bis zu dem Augenblick an, wo ich Frauchen am zweiten Morgen nach der 3,80 Mark-Depesche einen Brief der Züchterei zu lesen geben konnte, in dem mir die Absendung des schwarzen kleinen Spitzes mitgeteilt wurde.
Sofort kleidete sich Frauchen in vier Minuten zum Ausgehen an und kehrte nach zehn Minuten mit einem Buch für sechs Mark zurück, setzte sich in Hut und Jackett an meinem Schreibtisch und berechnete aus dem Buch, mit welchem Zug das Hunderl in unserem pommerschen Städtchen über Berlin-Stettin eintreffen könnte. Natürlich mußte ich bei dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung helfen, sonst hätte ich kein Mittag bekommen.
Wir hatten nach zwei Stunden herausgefunden, daß der Spitz nur mit dem Nachtzug von Stettin drei Uhr fünfzehn Minuten hier anlangen könnte.
Unser Bahnhof liegt nun etwa vier Kilometer vor der Stadt. Nachdem wir uns bis zwei Uhr morgens durch echten Bohnenkaffee – Frauchen hatte mir sechzehn Mark für ein halbes Pfund abgeschmeichelt – wach gehalten hatten, rüsteten wir uns zum Aufbruch, nahmen Bubis Halsband und Lederleine, Schirme und Gummimänteln mit und marschierten los.
Der Himmel hatte jedoch für unsere Hundesehnsucht wenig Verständnis. Er hatte nur für kurze Zeit seine Regenschleusen geschlossen, öffnete sie nun wieder, als wir gerade den Markt überquerten und öffnete sie so, daß mir nichts anderes übrig blieb, als eine Droschke zu nehmen, die gerade an uns vorüber nach dem Bahnhof rumpelte.
Kostenpunkt: acht Mark.
Eine weitere Abkühlung unserer hundefreundlichen Herzen erfolgte durch einen Bahnbeamten, der Frauchen auf deren Fragen hin erklärte, der drei Uhr fünfzehn Minuten eintreffende Zug bringen nur Post aber keine Eilgüter mit.
Trotzdem blieben wir, lösten Bahnsteigkarten, Kostenpunkt eine Mark, und hofften auf irgend ein Wunder, das heißt, Frauchen hoffte auf die Kiste mit dem Hunderl, die man vielleicht aus Mitgefühl, damit das Tierchen nicht so lange unterwegs wäre, mitgenommen hätte.
Ich hoffte nur auf baldige Betttruhe und Nachlassen des Regens. Ersteres traf zu infolge Umwandlung des bisherigen Platzregens in einen Wolkenbruch. Wir fuhren nämlich für neun Mark heim, und daher war ich bedeutend schneller in den Federn, als wenn es nicht geregnet hätte.
Ich schlief ein, nachdem ich im Kopf zusammengerechnet hatte, was der Bubi-Ersatz bisher bar gekostet hatte, ohne daß er da war:
Brief Frauchens nach Krahna mit Rückantwort 0,80 Mk.
Depesche 3,80 Mk.
Kursbuch 6,00 Mk.
Bohnenkaffee 16,00 Mk.
Droschke 8,00 Mk.
zwei Bahnsteigkarten 1,00 Mk.
Droschke 9,00 Mk.
zusammen 44,60 Mk.
Ich träumte sehr unruhig, daß der stubenreine Löwenspitz mir sämtliche Haare vom Schädel wegfraß und daß wir seinetwegen, ohne ihn gesehen zu haben, mit dem Gerichtsvollzieher in engste Berührung kamen – so, wie der Kaufmann Stuffke an der Ecke vor dem Kriege. Als ich gerade träumte, daß ich diesen unbeliebten, siegelnden Beamten soeben hatte die Treppe emporkommen sehen und daß ich mir vorgenommen, ihm nicht zu öffnen, obwohl die Flurglocke bereits Sturm läutete, rüttelte meine Frau mich wach.
„Männe – Männe, – es klingelt! – So werde doch munter!“
Ein Blick auf das Zifferblatt verriet mir, daß es sieben Uhr morgens war. Ich kleidete mich in Windeseile sehr notdürftig an und schaute dann durch das Guckloch der Flurtür.
Nun – ich will Einzelheiten hier weglassen, will erst wieder alles eingehender schildern, sobald das Vorspiel zu der Auffindung des –
Abwarten! Geduld! –
Was wir fanden, kann selbst der nicht erraten, der noch glücklicher verheiratet ist als ich.
Der frühe Besucher war ein Postbote, der ein Kistchen, Größe fünfzig mal dreißig mal dreißig Zentimeter, unter dem Arm hatte. In dem Kistchen saß das Hunderl, das nicht als Eilgut, sondern als Eilpaket aufgegeben worden und in der verflossenen Nacht mit dem Zug drei Uhr fünfzehn Minuten eingetroffen war! Mithin hatten uns die Postbeamten, die wir auf dem Bahnsteig vor dem Postwagen des Zuges nach einer Hundekiste gleichfalls gefragt hatten, wahrscheinlich aus Bequemlichkeit, ohne genauer nachzusehen, erklärt, ein ‚Köter‛ wäre nicht dabei.
Ich schüttelte den Inhalt der Reservekasse wehmütig in die Hand des Überbringers der Sendung, legte noch zwei Mark Trinkgeld hinzu und erschien dann mit der Kiste im Schlafzimmer. –
Frauen sollen ja in vielem feinfühliger als wir Männer sein. Frauchen jedenfalls hatte schon geahnt, daß nur der erwartete neue Liebling mich so lange aufgehalten haben könne. Sie war leidlich angekleidet, als ich eintrat, jubelte wie ein Kind und öffnete dann eigenhändig den Gitterdeckel des Kistchens.
Na – der Löwenspitz war wirklich ein reizendes Tierchen, ganz wie die Postkarte versprochen hatte. Mit einem eleganten Satz entfloh er seinen engen Behälter, rannte winselnd hin und her, schnappte nach der Hand Frauchens, die ihn streicheln wollte, winselte weiter und zeigte eine Unruhe, die wir von unserem absolut stubenreinen Bubi her schon kannten und die hier bei dem Bubi-Ersatz nach einer Eisenbahnfahrt von achtzehn Stunden durchaus erklärlich war.
„Laß ihn für alle Fälle in die Küche,“ meinte Frauchen. „Wir müssen sofort mit ihm spazieren gehen.“
Frauchen war durch den kleinen schwarzen Kerl, dessen X-Hinterbeine – der Schönheitsfehler – kaum auffielen, zunächst etwas enttäuscht worden, da er sich nicht einmal hatte streicheln lassen. Beim Beenden der Morgentoilette tröstete Frauchen sich aber schnell und erklärte: „Wir sind ja auch ganz fremd!“
Eine Bemerkung, die als Entschuldigung für den neuen Bubi durchaus zutreffend war.
Das Hunderl hatte nun also die Küche zu seiner freien Verfügung. Dienstboten halten wir nicht. Frauchen bewies abermals eine jongleurhafte Gewandtheit im Ankleiden, so daß wir nach zehn Minuten gemeinsam in die Küche gehen konnten, um ‚Puppchen‛ – so sollte der neue Bubi heißen – an die Leine zu nehmen und zum ersten Mal auszuführen.
4. Kapitel
Ein halber Liter Rizinus.
Ich bitte nun sehr zu entschuldigen, wenn meine Geschichte jetzt wieder etwas heikel wird ich will mir alle Mühe geben, dieses Heikle durch vorsichtige Andeutungen der Ereignisse und der fragwürdigen Dinge nach Möglichkeit abzuschwächen.
Also: Puppchen hatte bereits aus sich selbst heraus dafür gesorgt, daß die Dringlichkeit eines Ganges auf die für Hunde zu allerlei Verrichtungen freigegebene Straße nicht mehr so groß war als vorhin. Er hatte die Beine des Küchentisches, die Herd- und Schrankecken offenbar mit Laternenpfählen und Hausecken verwechselt und die Küche mit verschiedenen Seen verziert.
Aber: nur das! Größere Geschäfte hatte er sich doch noch aufgespart.
Frauchen meinte: „Das kann passieren. Er ist ja so lange unterwegs gewesen –“
Wir führten ihn also aus. Dem natürlichen Lauf der Dinge nach hätte Puppchen nun doch im Freien auch die ‚größeren‛ Geschäfte erledigen müssen. Aber es schien da bei ihm irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Er nahm zwar die zweckentsprechende Haltung ein und versuchte es, stöhnte und ächzte, – doch ohne Erfolg.
„Verstopfung!“ sagte ich würdevoll. „Verstopfung infolge der neunzehn Stunden Bahnfahrt. Wir müssen ihm Bewegung verschaffen. Dann wird – sich alles finden –“
Wir rannten drei Stunden spazieren. Puppchens Darm versagte.
Da kriegte es Frauchen mit der Angst. „Er wird sterben, Männe,“ schluchzte sie.
„Unsinn – Rizinusöl wird er saufen –“
Wir gingen nach der Apotheke und kauften ein halb Liter Rizinusöl. Zu Hause wollten wir es Puppchen einflößen. Aber – er trank es so – von selbst. Er schmeckte ihm. Komischer Geschmack! –
Und – ehe wir’s uns versahen, hatte er aus dem Schüsselchen alles Rizinusöl restlos ausgeleckt – restlos.
„Das kann gut werden!“ sagte ich. „Nach zehn Minuten wollen wir nur wieder mit ihm an die Luft hinaus – sonst –“
Wir führten ihn also abermals im Park umher. Wieder zwei Stunden.
Das Rizinusöl half nichts. Es war sicher noch Ersatzrizinus.
Wir waren beide nun schon halbtot vor Müdigkeit. Wir kehrten heim. Frauchen wärmte die Kohlrüben vom Tag vorher. Kohlrüben halten sich bei uns stets sehr lange, weil wir sie – so gerne essen. Dann setzten wir uns zu Tisch.
Puppchen blieb in der Küche.
Und als Frauchen dann den Tisch abräumte und in die Küche ging, da – hörte ich sie rufen:
„Männe – komm’ schnell! Es hat gewirkt!“
Ich ahnte schon! Und tatsächlich: Mitten in der Küche hatte der stubenreine Hund seinen hinteren Gefühlen in einem geradezu ungeheuerlichen Maß freien Lauf gelassen.
Frauchen hielt sich die Nase zu und jubelte dabei:
„Männe – er ist wieder gesund!“
Ich aber ergriff die Kohlenschaufel und wollte das Beweismaterial für die Güte des Rizinusöls in den Mülleimer befördern. Bei der dritten Ladung aber – als ich gerade die noch vorhandenen Restbestände auf die Kohlenschaufel schieben wollte! –, da sank mir der Arm gelähmt herunter und ich stierte zu Boden wie hypnotisiert.
Frauchen mahnte: „So beeile dich doch, Männer! Sonst passiert ‚ihm‛ nochmals was –!“
Dann – dann hatte auch sie bemerkt, was ich schon längst bemerkt hatte.
„Himmel!“ rief sie, „Himmel – ein Ring!“
„Stimmt – ein Ring!“ sagte ich.
Gleich darauf lag unter dem Wasserleitungshahn im Becken ein Ring und wurde durch einen fingerdicken Wasserstrahl minutenlang einem Reinigungsbad unterzogen. Dann nahm ich den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger. Es war ein glatter, dicker Goldreif mit einem klaren, farblosen Stein, der in der Sonne in allen Farben sprühte.
„Natürlich ein Similistein,“ meinte Frauchen zögernd.
„Wer weiß –!“ –
Nun – der Juwelier Loewy wußte es. –
„Wollen Sie den Ring verkaufen?“ fragte er mich. „Ich gebe Ihnen,“ – lange Pause, sehr vielsagend! – „dreitausend Mark dafür.“
„Bedaure, es ist ein – Andenken,“ erklärte ich und verließ den Laden, traf auf der Straße mit Frauchen zusammen und flüsterte:
„Schatz, – der Versucher ist bei uns eingezogen! Der Stein ist echt! Loewy hat dreitausend Mark für den Ring geboten, also ist dieser bestimmt zehntausend Mark wert!“
„Himmel!“ stöhnte mein Frauchen und drückte mir den Arm. „Du – was nun?!“
Ich schwieg. Ich überlegte, wie der Ring wohl in Puppchens Magen gelangt sein könnte. –
Da gab es die verschiedensten Möglichkeiten. Wenn man berufsmäßiger Erfinder phantasiereicher Geschichten ist, fällt einem das Ersinnen der unglaublichsten Zusammenhänge zwischen einem Brillantring und einem Hund nicht schwer.
Ich schwieg zu lange für Frauchens Ungeduld.
„Was nun, Männe –!“
Das war schon ein sehr ungeduldiger Ton.
„Hm – es fragt sich, ob hier ein Fund im Sinne des Gesetzes vorliegt,“ meinte ich grübelnd. „Ich denke da an die bekannte Streitfrage, wem eine Perle gehört, die ein Gast in einem Restaurant in einer Auster findet, – ob dem Gast, oder dem Wirt, oder dem Händler, von dem der Wirt die Austern gekauft hat, oder aber dem Fischer, der die Austern aus der Tiefe hervorgeholt hat. Soweit ich mich entsinne, hatte das Gericht eine solche Perle dem Gast zugesprochen.“
„Also würde auch uns der Ring gehören!“ rief Frauchen sofort.
„Gestatte, unser Fall liegt doch wohl anders. Die Perle ist ein natürliches Erzeugnis der Austernmuschel. Daß ein Brillantring im Magen eines Hundes entstehen könnte, ist wohl ausgeschlossen. Nein, Puppchen hat den Ring verschluckt und zwar in der Hundezüchterei, jedenfalls vor seiner Absendung nach hier.“
Ich seufzte.
„Es hilft nichts, Schatz. Wir müssen den Fund melden. Ich würde keine ruhige Minute mehr haben, wenn wir –“
Neben mir ein noch kläglicherer Seufzer als der meine es gewesen. Dann die Worte:
„Ach Männe, – was hätten wir uns alles für die zehntausend Mark kaufen können! – Du hast ganz recht, wir müssen ehrlich bleiben!“
Aber – wie verflucht schwer es ist, ehrlich zu bleiben, das sollte ich jetzt merken. Ich sann und sann. Schließlich entschied ich mich dafür, dem Rechtsanwalt Haberland den Fall vorzutragen. Ich bezahlte fünfundvierzig Mark achtzig Pfennig Honorar und erhielt den Rat:
‚Behalten Sie den Ring in Verwahrung und reichen Sie der Polizei einen Bericht ein.‛
So tat ich. –
Den Ring hatten wir also noch. Aber – er gehörte nicht uns! Wir mußten abwarten, was die hohe Behörde in ihrer Weisheit dazu sagen würde.
Und – nun begann mein Leiden.
Morgens begann es mit Frauchens Frage: „Ach, Männe, ob wir ihn wohl werden abliefern müssen?“
Am Tage hörte ich dieselbe Frage etwa zwanzigmal. Und abends schlief Frauchen sozusagen mit ihr auf den Lippen ein.
Inzwischen hatte Puppchen sich schnell an uns gewöhnt. Er war jetzt absolut stubenrein. Wir gewannen ihn von Tag zu Tag mehr lieb.
Dann – es war zwei Wochen später – sprach uns mal Herr Emil Stuffke an. Die Ringgeschichte war in ganz Trallburg bekannt geworden.
Mein Name wurde durch keinen Roman bisher berühmt: Durch ein halb Liter Rizinusöl wurde er es – wenigstens in Trallburg.
Man staunte uns an. Wir waren ja die Besitzer eines Hündchens, das nicht gerade Dukaten, aber Brillantringe ‚machte‛.
Also: der Millionär von der Ecke, Herr Stuffke, sprach uns an.
„Ein reizendes Tierchen,“ meinte er und streichelte Puppchen. „Heißt der Hund vielleicht Fritzchen?“
„Puppchen,“ erklärte Frauchen. „Fritzchen ist doch kein Hundename –“
Herr Stuffke starrte Puppchen sinnend an. Sein Verhalten kam mir eigentümlich vor. Wie kam er gerade auf Fritzchen?! Merkwürdig! –
Und – wie er Puppchen fixierte. Genau so wie jemand, in dem Erinnerungen wach geworden sind.
„Würden Sie mir vielleicht mal den Brillantring zeigen?“ fragte er nun. „Man – man interessiert sich doch für Wertsachen, die auf so seltsame Weise ans Tageslicht gekommen sind –“
Der Zufall wollte es, daß gerade jetzt Emils Frau, das hübsche Gretchen, auftauchte. Frauchen hatte sich nun mit Gretchen in letzter Zeit angefreundet. Gretchen hatte so etwas Frisches, Natürliches, was von den ‚Damen‛ der Trallburger ‚oberen Hundert‛ – eigentlich heißt es ja ‚oberen Zehntausend‛, aber Trallburg hat nur zehntausend Einwohner – nicht behauptet werden konnte, da unter diesen eine immer vornehmer als der andere sein wollte, was mit der Zeit ziemlich lächerlich und so leise als Brechreiz wirkt.
Da geschah nun etwas Unerwartetes. Beim Anblick seiner Frau begann Herr Stuffke plötzlich krampfhaft von dem wundervollen Wetter zu sprechen, ging dann zu den Schweinepreisen über und litt so, was seine Bitte wegen der Ringbesichtigung betraf, mit einem Mal an totalem Gedächtnisschwund.
Leser, merkst du was?!
Nun – ich merkte was! Hier stimmte etwas nicht.
Frau Gretchen sprach mit Frauchen über die neueste Mode. Natürlich – worüber sonst? Wir Männer sprachen jetzt von den hohen Preisen für Zigarren.
Dann flüsterte Stuffke – etwa wie ein Verbrecher, der einem Kollegen heimlich einen Wink geben will:
„Erwähnen Sie bitte nichts von dem Ring meiner Frau gegenüber –“
Aha! Hier war also was oberfaul – für beide Teile, für Stuffke und für uns! Was für Stuffke oberfaul war, ahnte ich nur ganz, ganz dunkel. Für uns aber handeltes es sich hier um den Ring, den Stuffke vielleicht kannte – irgendwie, irgendwoher. Mithin konnte Stuffke uns einen bösen Streich durch all unser Hoffen machen.
Und das war gewiß oberfaul.
Emil Stuffke wurde dergestalt ein Schrecknis für uns. Als wir, Frauchen und ich, allein waren, erzählte ich ihr, was Stuffke geflüstert hatte und was ich so ganz entfernt nun vermutete.
„Ach, Männe, wir werden mit dem Ring herausrücken müssen,“ klagte Frauchen, nahm Puppchen auf den Schoß und herzte ihn. Früher hatte sie mich auf den Schoß genommen.
Jetzt hat Puppchen die ‚Vorhand‛, wie die Skatspieler sagen. –
Und dann fragte sie Puppchen:
„Wann und wo hast du den Ring verschluckt, mein Liebling?“
Puppchen wußte es ja, winselte, bellte leise. Doch seine Sprache blieb uns unverständlich.
Meine Leiden waren jetzt noch größer. Frauchen quälte mich mit einem neuen Schreckgespenst: Emil Stuffke!
5. Kapitel
Der Talisman der Treue.
Wieder vergingen acht Tage. Nichts geschah. Gar nichts. Die hohe Behörde hatte sich bisher total ausgeschwiegen.
Dann kam – ausgerechnet an einem Feiertag! – der Bote von der Polizei mit einem amtlichen Schreiben.
Es lautete folgendermaßen (Ich bitte es nicht als Muster formschönen Satzbaus zu benutzen):
Nachdem in Ihrer Angelegenheit, betreffend einen von einem Hund zu Tage geförderten Brillantring, wobei einen halben Liter Rizinusöl infolge Darmverstopfung verwandt worden sein soll, sowohl bei der Hundezüchterei Krahna als auch bei der Vorbesitzerin des Hundes, der Prostituierten Ilse Anna Helene Himpel, Berlin N, Gartenstraße 333, drei Treppen bei Witwe Genoveva Flick, Nachfrage hinsichtlich der Möglichkeit eines bei genannten in Frage kommenden eventuellen Ringbesitzern stattgehabten Verlustes eines Brillantringes gehalten worden ist, und nachdem die obigen Personen p.p. erklärt haben, ihnen sei nichts von dem Verschwinden eines Ringes zu Ohren gekommen, nachdem ferner der hiesige Kreistierarzt als Gutachter dahin sich geäußert hat, daß ein Ring sehr wohl jahrelang in einem Hundemagen sich festsetzen könne, – da somit die Möglichkeit vorhanden ist, daß der betreffende Ring durch einen Zufall von dem jetzt in Ihrem Besitz befindlichen Hund bereits als junger Hund verschluckt sein kann, – das schließlich der frühere Eigentümer nach diesseitiger Ansicht nicht mehr zu ermitteln ist –
Hier machte ich beim Vorlesen eine Atempause, denn mir war die Puste ausgegangen.
Worauf Frauchen mir das Schreiben aus der Hand riß und es zerriß; ich die Stücke aufsammelte, ordnete, wieder zusammenklebte und fortfuhr:
– nicht mehr zu ermitteln ist, – da endlich nach der Ansicht des hiesigen Rechtsanwalts Haberland der Ring demjenigen unter diesen Umständen gehört, der ihn mit Hilfe abführender Mittel wieder in die Erscheinung treten ließ und dadurch in seinen Besitz brachte, dürften Sie sich als Eigentümer des betreffenden Brillantringes betrachten, nachdem Sie diesseits entstandene Kosten mit insgesamt dreihundertfünfundachtzig Mark fünfunddreißig Pfennig bezahlt haben.
Trallburg, den 2. Juni 1920
Schlummerbacher
Polizeikommissar
Ich ließ das Schreiben sinken.
Frauchen und ich sahen uns an. –
Der Leser hat sicher erwartet, Frauchen würde mir um den Hals fliegen.
Er vergißt die dreihundertfünfundachtzig Mark fünfunddreißig Pfennig.
Unser Kassenbestand betrug zur Zeit elf Mark fünfzehn Pfennig. Außerdem besaß ich noch fünf Briefmarken á 10 Pfennig. Gegenstände, die wir hätten versetzen können, existierten bei uns nicht. In nächster Zeit hatte ich auch Honorar nicht zu erwarten.
Also – mußte der Ring vorläufig noch herrenlos bleiben. Und das ging uns beiden so nahe, daß wir uns über den Musterbrief der hohen Behörde auch nicht die Spur freuen konnten. –
Denn – wer hätte uns hier in Trallburg eine solche Riesensumme geborgt?! Keine Seele!
Da strahlte Frauchens Gesicht plötzlich auf.
„Maxe!“ sagte sie leise. „Du kannst an Maxe telegraphieren, Männe. Der hat stets eine offene Hand gehabt, wenn –“
Max Kleemann[2] war mein Verleger, mein Brotherr, meine Amme – oder wie Sie es sonst nennen wollen, verehrter Leser.
Ja – das war ein Gedanke! –
Ich griff zum Hut. Frauchen suchte die elf Mark fünfzehn Pfennig zusammen und dann raste ich zur Post, depeschierte:
Bitte vierhundert Mark Vorschuß. Wie folgt –
Ich hatte am Postschalter ziemlich lange warten müssen. Als ich nach Hause kam, fand ich die Wohnung leer. Auf meinem Schreibtisch lag ein Zettel von Frauchen:
Männe, ich bin noch auf einen zweiten, noch besseren Gedanken gekommen. Bevor Maxe die Depesche hat und bevor wir dann das Geld haben, können Tage vergehen. Ich werde Frau Stuffke bitten, mir vierhundert Mark zu leihen. Sie tut es sicher. Dann bezahle ich sofort bei der Polizei die dreihundertfünfundachtzig Mark fünfunddreißig Pfennig, und der Ring ist definitiv unser. Puppchen habe ich mitgenommen. –
Einen langen Kuß –
Ich hegte gelinde Zweifel, ob Gretchen Stuffke so leichtsinnig sein und vierhundert Mark an so wenig ‚sichere‛ Leute hergeben würde. Aber – möglich war’s ja.
Da – es läutete. Ich ging öffnen.
Emil Stuffke!
‚Aha,‛ dachte ich, ‚der kommt wegen der vierhundert Mark! Vielleicht wünscht er irgend etwas Schriftliches darüber auch von mir.‛
Ich bat Stuffke, Platz zu nehmen. Er war sichtlich verlegen.
„Hm – ja, Ihre Gattin war da soeben bei meiner Frau,“ begann er. „Gretchen hat es mir nachher erzählt. Sie hat Ihrer Gattin die – die kleine Gefälligkeit sehr gern getan. Ihre Gattin hat mir mitgeteilt, wozu sie das Geld braucht, hm, ja. Die Ring-Eigentumsfrage ist nun also erledigt. Er gehört Ihnen – hm ja. – Könnte ich ihn nicht mal sehen?“
Stuffkes ganzes Verhalten erschien mir abermals sehr merkwürdig. Aber ich hatte keinen Grund, ihm die Bitte abzuschlagen.
Ich holte den Ring aus dem Schlafzimmer. Wir hatten ihn in einem Stiefel meiner zweiten Garnitur versteckt – vorn in der Spitze in Watte, denn diesen Stiefel hätte selbst ein Stromer nicht mehr gestohlen – wegen der Luftlöcher in den Sohlen.
Emil schaute den Ring lange – sehr lange an.
„Wollen Sie ihn verkaufen?“ fragte er dann und seufzte tief.
„Allerdings – wir müssen!“
„So, so.“
Er seufzte noch tiefer.
„Was wollen Sie dafür haben?“
„Juwelier Loewy wollte dreitausend Mark geben, also wird er zehntausend wert sein.“
Zum dritten Mal seufzte Emil. „Wenn Sie mir versprechen, zu niemandem darüber zu reden, dann – dann kaufe ich den Ring,“ erklärte er nun. „Hm – ja –, er soll mich nämlich stets warnend an eine Zeit erinnern, wo ich – hm ja – wo ich als Ehemann – manchmal kolossale – Dämlichkeiten beging. Also er soll für mich so ‛ne Art Treue-Talisman werden –“
Er faßte in die Tasche, zählte mir zehn Braune hin, zog den Brillantring, den er am kleinen Finger trug ab und legte ihn auf die Banknoten, steckte ‚meinen‛ Ring an den Finger und sagte:
„So – den Ring da können Sie behalten – als Andenken. Der Stein ist nämlich nicht echt –“
Wie liebkosend streichelte er nun den echten Ring.
„Die zehntausend Mark ist mir dieser Talisman wert,“ meinte er leise. „Ich lebe jetzt mit meinem Gretchen so sehr glücklich – wirklich, sehr glücklich. – Hm ja – kann ich mal den Brief von der Polizei lesen?“
Ich gab ihm das wunderschöne Schreiben.
Er las, murmelte:
„Prostituierte –! – So ‛ne verlogene Bande. Müssen sich ja gesagt haben, daß der Köter den Ring für ‛ne Wurstpelle hielt, danach schnappte und ihn verschlang. – Na – Gretchen soll nie was davon erfahren.“
Ich habe vorzügliche Ohren! Ich verstand jedes Wort. Und aus diesem Gemurmel, dem Polizeischreiben und so weiter stellte ich mir dann den ersten Teil dieser Geschichte zusammen.
Emil Stuffke verabschiedete sich nun, drückte mir die Hand und sagte: „Die vierhundert Mark sind auch erledigt. Ich werde Sie meinem Gretchen geben und so tun, als kämen sie von Ihnen. Der Ring ist mir selbst zehntausendvierhundert wert.“ –
Dann kam Frauchen heim. Als sie die Banknoten und den Ring sah, war sie einfach platt!
Ich ließ sie eine Weile zappeln. Dann vertraute ich ihr alles an.
Und sie?! –
Sie setzte sich mir auf den Schoß, küßte mich, weinte ein bißchen und – vertraute auch mir etwas an: daß wir nach sechs Monaten zwei Kinderlein haben würden: ein vier– und ein zweibeiniges, und daß sie der Kosten für den Empfang des zweibeinigen wegen sich schon so furchtbare Sorgen gemacht hätte. Aber jetzt hätten wir doch die zehntausend Mark. Und nun erst könnte sie so recht froh und glücklich sein.
Da küßte ich sie. Und wir nahmen Puppchen und streichelten ihn. –
Ich bin jetzt begeisterter Rizinusöl-Anhänger. Ich empfehle jedem dieses sanfte Mittel. Vielleicht hat auch mal ein Mensch einen Ring verschluckt. Wer kann wissen. –
Am nächsten Morgen kamen von Maxe Kleemann fünfhundert Mark telegraphisch an – gleich fünfhundert! Ich schrieb ihm dann die Sache ganz eingehend; und er schrieb mir:
‚Verarbeiten Sie’s!‛ –
Das hieß: als Stoff für eine Geschichte!
Hier ist diese Geschichte. –
Als Maxe Kleemann sie gelesen hatte, dachte er: ‚Ich kann doch meinen Mitarbeiter nicht in zerrissenen Stiebeln umherlaufen lassen!‛
Und – erhöhte das Honorar! –
Und all das haben wir einem stubenreinen Hund zu verdanken!
Ja ja – es geht im Leben manchmal recht merkwürdig zu. Hätte Puppchen damals nicht den Ring weggeschnappt, als dieser von Tisch rollte, dann wäre Emilchen vielleicht heute noch ein eifriger ‚Berlinfahrer‛, und wir wären ganz arme Ludersch. –
Ich glaube, ich habe nicht zu viel versprochen gehabt: Es ist eine ganz verrückte Geschichte.
Nochmals mein Ehrenwort darauf, daß sie buchstäblich wahr ist, – natürlich das kleine Ehrenwort, das – ganz kleine, kleiner noch als Puppchen, der – stubenrein Hund.
Anmerkungen:
[1] sic.: Nachttöpfchen
[2] sic: Max Lehmann