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Der seltsame Milliardär

 

 

Harald Harst

 

Band: 356

 

Der seltsame Milliardär

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Max Schraut gewidmet

Wer den deutschen Wald so fühlt wie du,
Und die Stimmung der märkischen Seen dazu,
Und das Ostseegeländ’ und die trutzige Stadt
Alt-Danzig, das dich geboren hat –
Und dessen heimliche Wege man geht
Mit dem Dichter, von Regen und Sturm umweht,
Der für sich und für andere rastlos strebt,
Dessen Menschen man mit ihm liebt und erlebt,
Der Männer schildert, ganz Deutsch von Art,
Im Verbrecher selbst – menschlichen Funken gewahrt,
Der für Deutschland kämpfte als ganzer Mann,
Der ist Deutsch, wie Deutsch nur Deutsch sein kann!

Ein dankbarer Leser

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre, G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO 16

 

Vorspiel.

Nebel, Flucht und ein Schatten.

Über dem englischen Kanal lagerte das zähe, feuchte Gebräu, der Schrecken der Seefahrer …

Man sah kaum die Hand vor Augen.

Nur wenn ein Windstoß die grauen Schwaden zerriß, gewahrte man die Kreidefelsen der englischen Küste.

Zwei Schiffe schlichen mit halber Maschinenkraft durch die gefährliche Finsternis, weit voraus ein deutscher Frachtdampfer, hinter ihm ein deutscher Kreuzer.

Ihre Nebelhörner schwiegen. Wie Diebe suchten sie ihren Weg. Aber die Wachsamkeit ihrer Besatzung war größer denn je. Sie kamen weither, ein Zufall schien sie zusammengeführt zu haben.

Ihr Kurs lief außerhalb der üblichen Route. Auch das hatte seinen Grund.

In der Kapitänskajüte des Frachtdampfers saßen mehrere Leute beieinander und sprachen miteinander in kurzen, abgehackten Sätzen. Die Männer waren ernst, horchten immer wieder auf die fernen Stimmen fremder Fahrzeuge und dann warf Käpten Jochem Menzel von der Reederei Petersen, Hamburg, die halblaute Bemerkung hin:

„Das wäre so eine Gelegenheit für freche Piraten, dieser verdammte Nebel!!“

Ein Matrose trat ein, stand stramm.

„Käpten“, meldete er zaghaft, „der Kreuzer scheint uns verloren zu haben.“

Menzel zuckte die Achseln.

„Bei dem Wetter – kein Wunder!! Ich wünschte, wir wären erst in der Nordsee!“

Steuermann Fritz Menzel wagte einen Vorschlag.

„Ob wir nicht doch Signale geben, Vater?“

„Nein!! Zu gefährlich! Ihr wißt das!“

Der Matrose entfernte sich.

Die vier Männer brüteten mit ernsten Gesichtern vor sich hin.

In der Kajüte herrschte Gewitterstimmung. Der alte Jochem Menzel kaute am Mundstück seiner erloschenen Pfeife.

„Bei alledem gehen die Nerven zum Teufel!!“, murrte er verbissen.

Holger Jörnsen lachte.

„Sie – – und Nerven?!“

Der junge Petersen, der nur als Gast die abenteuerliche Fahrt mitmachte, pflichtete dem Alten nachdrücklichst bei.

„Ich kann das durchaus verstehen … Mir geht es nicht anders.“

Er war bleich und nervös. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen.

Der Dampfer schlich weiter. Seine Maschinen arbeiteten dumpf, träge Wogen klatschten gegen die Bordwände.

Der Käpten trank sein Grogglas leer.

„Ich muß auf die Brücke … Hier ersticke ich …!“

Er erhob sich schwerfällig, und zwei der Männer folgten ihn an Deck.

Langsam tappten sie zur Brücke, das Deck troff infolge des Nebels vor Nässe, und die Gestalten zerrannen zu verschleierten Klumpen.

Der in der Kajüte Zurückgebliebene wartete noch einige Minuten, wischte sich den Schweiß von der bleichen Stirn und zögerte …

Sein Gewissen sträubte sich. Aber das Gift, das ihm von Jugend an eingeimpft worden, war stärker.

Unbemerkt begab er sich nach seiner Kabine, öffnete seinen Koffer und hantierte äußerst vorsichtig mit einem Gegenstand, der das Verderben in sich trug.

Dann schlich er wie ein Verbrecher davon, zitternd vor Aufregung, abermals gepeinigt von Selbstvorwürfen …

„Ich bin ein Schurke!“, dachte er ehrlich.

Doch das, was er mit der Muttermilch eingesogen, siegte wiederum.

Er haßte Deutschland.

… Und der Dampfer suchte weiter seinen pfadlosen Weg durch das dicke Gebräu, und die Männer auf der Brücke spannten alle Sinne an, jedem Unheil auszuweichen und zuvorzukommen. –

Urplötzlich erschütterte ein gewaltiger Stoß den Frachter. Das Schiff hob sich förmlich aus den Wogen, fiel zurück, die Maschinen schwiegen, und aus den Luken taumelten verstörte Heizer hervor.

„Käpten, – – ein Riff!!“, gellten heisere Stimmen auf.

Jochem Menzel und sein Sohn stürmten nach unten.

Wasser flutete ihnen entgegen, krachend barsten die Schottentüren unter dem ungeheuren Druck des hereinflutenden Meeres.

Der Käpten brüllte seinem Sohn zu:

„Zurück, – – wir sinken!“

Alle Lichter an Bord waren erloschen. Zusehends sackte der Frachter in die Tiefe.

Es gab nichts mehr zu retten, die Boote wurden ausgeschwungen, und die Besatzung verließ das Schiff, das bereits von den Wogen überspült wurde.

Stumpfsinnig vor Grauen saß der alte Menzel im Großboot.

Er begriff nichts von dem Geschehenen, nichts …

Stumpfsinnig ruderten die Matrosen …

Hinter ihnen versank der Dampfer, – die Kessel explodierten, warfen Riesenfontänen hoch …

Dann war alles vorüber …

* * *

Jahre waren dahingegangen.

Über der Ostküste des Golfes von Mexiko mit seinen Lagunen, Uferwäldern und Inselchen brütete die stechende Sonne und gebar die Fieberdünste der sinkenden Einsamkeit …

Inmitten einer der Inseln, deren Ufer von Dornen, Kakteen und Stachellianen zu einem undurchdringlichen Wall verfilzt waren, erhob sich unter Riesenbäumen auf steiniger Anhöhe eine große Blockhütte, vor der im Schatten des weit vorspringenden Daches einige Bluthunde lagen und träge nach den Fliegen schnappten.

In einem durch trockenes Holz genährtes Feuer glühte ein langer Eisenstock. Neben der Tür lehnte ein Halbneger in malerischer mexikanischer Banditentracht und rauchte Zigaretten, die er mit flinken Fingern selber drehte.

Sein brutales, durch Narben entstelltes Gesicht war dem lodernden Feuer zugekehrt.

Dann nahm er ein paar Lederstücke, ergriff das Eisenstück und betrat die Hütte.

Auf einem plumpen Bretterstuhl saß ein Gefesselter, und zwei Kerle, ähnlichen Schlages wie der bezahlte Bandit, hielten des Gefangenen Kopf mit ihren muskulösen Pranken wie im Schraubstock fest.

„Willst du endlich die Wahrheit sagen?“, fragte der Mexikaner mit dem glühenden Eisen drohenden Tones.

Der Gefangene schwieg.

Das Eisen fuhr über seine Augen hin …

Der Schmerz entlockte ihm ein Stöhnen, nichts weiter … –

Dann kam die Nacht.

Die Tageshitze hatte Gewittergewölk herbeigelockt, über Meer und Insel lagerten Finsternis und drückende Schwüle.

Lautlos kam vom Festlande her ein Boot herbei. Der einzige Insasse, der heute zum fünften Male diese Fahrt wagte, zog die Ruder ein, und das dunkle Boot glitt zum einzigen Pfad, der durch den stachligen Gürtel führte.

Der Mann bückte sich, und die Fleischstücke flogen hierhin und dorthin. Das Knurren der Bluthunde trieb den Ruderer zurück auf den schützenden See.

Nach einer Stunde näherte er sich abermals der Insel, entsicherte seine Pistole und schlich den Pfad entlang, trat auf einen Hundekadaver und lächelte grimmig.

Unangefochten gelangte er zur Blockhütte, öffnete die Tür, horchte und hörte die Banditen schnarchen.

Der Gefangene in der Ecke auf dem Maisstrohlager erwachte. Eine Hand hielt ihm den Mund zu, der Strahl einer Laterne zeigte ihm seinen Retter.

„Du?!“, flüsterte er ungläubig.

Ein Messer glitt durch seine Fesseln, eine Freundeshand half ihm auf die Beine …

Sie bestiegen das Boot, und das ferne grelle Aufzucken von Blitzen zeigte ihnen eine weiße Jacht, die in voller Fahrt auf die Insel zuhielt.

Auch die Gefahr ging vorüber.

„Wer bezahlte die Schufte?!“, sagte der Gefangene verständnislos.

„Wenn ich das wüßte! – Ich weiß es nicht genau …“, erwiderte der andere. „Jedenfalls müssen wir ins Innere flüchten … Unsere Feinde verfügen über ein Heer von Spionen …“

„Ich danke dir“, flüsterte der Befreite gerührt.

Dann nahm die Einöde der Hochsteppen Mexikos sie schützend auf.

Inzwischen hatte die Jacht beigedreht und ein Boot ausgesetzt. Drei Herren in tadellos weißen Tropenanzügen, glatten Gesichtern und schillernden Monokeln stießen auf den ersten Hundekadaver.

Ihre Laternen schwankten hin und her.

„Verrat!“, zischte der eine.

Sie eilten weiter …

Mit Fußtritten weckten sie die halbbetrunkenen Mexikaner. Rumflaschen standen auf dem Brettertisch. Der ganze Raum stank nach Alkohol.

Die drei Europäer kannten sich kaum vor Wut.

„Hat er etwas gestanden?“, brüllte der eine … „Half auch das glühende Eisen nichts …?“

Die eingeschüchterten Mischlinge verneinten.

– Und aufs neue begann die Menschenjagd. Spione durchstreiften das Land …

In den fernen Bergen aber hausten zwei Flüchtlinge und durchwühlten das Geröll einer Höhle, in der einst ein Puma seinen Schlupfwinkel gehabt hatte …

* * *

Man sagt mit Recht, daß große Schatten ihre Ereignisse vorauswerfen.

Zwei dieser „Schatten“ habe ich hier als Vorspiel kurz skizziert.

Mitunter kann dieses „Schatten Vorauswerfen“ aber auch wörtlich zutreffen. So auch an jenem dunklen, düsteren Novemberabend, als Harst und ich bei offenen Fenstern ohne Licht hinter den Tüllvorhängen saßen und eine jener Plauderstunden genossen, die für ein Freundespaar mehr bedeuten als vielleicht jene Minuten innerer Einkehr und Selbsterkenntnis, die für den Durchschnittsmenschen so spärlich – leider! – aus dem ewig gleichmäßigen, abstumpfenden Alltagstrott sich herausschälen.

Wir hatten von vergangenen Zeiten gesprochen, wir hatten liebe Tote wieder aufleben lassen, und allmählich glitt das halblaute, pietätvolle Rückerinnern in die Gegenwart hinüber und wurde zu behutsamen kritischen Bemerkungen über unseren neuen Hausgenossen.

Harsts Zigarette, nur ein glühendes Pünktchen, beschrieb einen kurzen Bogen. Die Handbewegung mußte ich mir dazudenken. „Die Frau“, sagte er bedächtig, „könnte uns zweifellos Stoff für eine gründliche Nachprüfung der Vorgänge beim Schiffbruch des „Triton“ liefern. Aber sie will es nicht. Sie hat sich mit ihrem Lose abgefunden, und achtzehn Jahre sind ja auch eine lange Frist … – Freilich, ihrem Gatten ist übel mitgespielt worden, und ihre Verbitterung und ihre unbeugsame Härte gegen sich selbst und gegen andere erscheinen genugsam begründet. Trotzdem hat sie sich ein goldenes warmes Herz bewahrt. Wie könnte sonst ihre Enkelin ein so frisches, heiteres Mädel geworden sein?! Und doch …! Ich werde das Gefühl nicht los, daß sich hier um unser kleines Eigenheim ein Gewitter zusammenbraut, das …“

Er schwieg plötzlich.

Nur aus dem leisen Klirren der Sprungfedern des Klubsessels entnahm ich, daß er sich jäh erhoben hatte.

„Leise!!“, flüsterte er warnend. „Tritt hier neben mich … Stelle den Aschenbecher beiseite … – So, – was siehst du dort im Vorgarten, mein Alter?“

Unser Eigenheim in der Arnoldstraße ist klein und bescheiden, im Vorgarten stehen ein paar alte Kastanien, und das Licht der Straßenlaterne vor unserer Zaunpforte beleuchtete auch die drei Beete mit prächtigen Spätrosen.

„Was siehst du?!“, raunte Harst mir aufmunternd zu. „Strenge deine Augen nur ein wenig an! Es gibt wirklich etwas zu sehen!“

Gewiß … Da waren die Rosen, die im Nachtwinde sich verneigten … Da waren die ersten frühwelken Blätter, die von den herbstlich verfärbten Bäumen in unregelmäßigen Spiralen zu Boden schwebten. Da waren Fledermäuse, die lautlos dahinschossen und ganz leise zuweilen pfiffen …

Und da waren die schwarzen Schattenstriche der Stämme der Kastanien auf den hellen Kieswegen und …

Da war an dem einen breiten Schattenstreifen ein Buckel, der nicht etwa einem Auswuchs des Baumes seine Entstehung verdankte.

Nein – der Buckel bewegte sich …

Es war der Schatten des Kopfes eines Mannes, der dicht an den Stamm geschmiegt stand und uns unsichtbar blieb.

Nur der Schatten des vorgereckten Kopfes verriet seine Anwesenheit.

„Achtung!!“, flüsterte Harst von neuem.

Der Kopf verschwand …

An seiner Stelle erschien ein langer Schattenstrich, der hin und her schwankte und immer mehr sich ausreckte: Der Schatten einer dünnen Stange!

„Ein Angelstock aus Bambus, fünfteilig!“, zischelte Harst … „Also ein Dieb, der nach bewährtem Rezept mit Hilfe des Angelstockes eine leichte Strickleiter mit einem Haken an unserem kleinen Balkon befestigen will … – Uns gilt dieser Besuch nicht, er gilt der Frau Kapitän. Warten wir ab …“

Ich schrak leicht zusammen.

Hinter mir begann die Standuhr Mitternacht zu schlagen.

Und diese infame Standuhr ist wie ein Barometer.

Bei trockenem Wetter, wenn das Gehäuse nicht verquollen ist, schlägt sie ihre Gongtöne weich und mild und nachhallend. Hat es geregnet, klingt der Schlag blechern, billig, schundig …

Es ist eine merkwürdige Uhr.

Der Gauner da draußen mußte die Uhr hören, und wenn der Bursche nur ein Quäntchen Verstand besaß, mußte er sich sagen, daß unsere Hochparterrefenster offenstanden und wir somit noch nicht zu Bett gegangen waren.

Der Kerl hatte Heu im Schädel.

Er huschte jetzt tief gebückt mit seiner Angelrute hinter der Kastanie hervor und verschwand nach links um die Hausecke.

Harst sagte halblaut: „Eine Frechheit!! Und eine Dummheit!! Trotzdem, – mein Vorgefühl hat mich nicht getäuscht … Wir bekommen Arbeit … Wir wollen den Herrn zunächst nicht stören. Bevor er seine Strickleiter befestigt hat und über den Balkon in das Zimmer eingedrungen ist, können wir unsere Hausschuhe mit soliderem Schuhwerk vertauschen und die Mäntel anziehen …“

Für gewöhnlich berechnet Harst die Zeit, die ein solcher nächtlicher Gast für seine Vorbereitungen nötig hat, sehr richtig und irrt sich kaum um Sekunden.

Diesmal sollten wir eine arge Enttäuschung erleben.

Als wir die Haustür lautlos geöffnet hatten und nun gleichfalls um die Hausecke nach links huschten, war unter dem Balkon weder von einer Strickleiter noch von einem Angelstock, geschweige denn von dem Diebe etwas zu sehen.

Harst meinte ärgerlich: „Ausgekniffen!! Der Kerl ist durch irgend etwas verscheucht worden. In vier Minuten erledigt niemand einen Einbruch. – Hole doch mal vom Hofe die Gartenleiter, mein Alter …“

Er lehnte die Leiter dann an den Balkon, kletterte nach oben, betrat den Balkon und kehrte sehr bald zurück.

„Die Frau Kapitän schnarcht wie ein Kürassier“, sagte er belustigt. „Kein Wunder, daß der Gauner Angst bekam! Er hat wahrscheinlich geglaubt, du schliefest dort oben. Leute mit Fettansatz schnarchen stets.“

„Danke!! Sehr liebenswürdig! Aber den Fettansatz bei der Frau Kapitän mußt du mir erst mal zeigen!“

„Oh, sie wird sich bei uns schon herausfuttern, mein Alter … – Tragen wir die Leiter wieder weg. Jedenfalls sind wir gewarnt …“

Daß dieses nächtliche Vorspiel zu der geheimnisvollen Persönlichkeit eines sehr seltsamen Milliardärs überleiten sollte, ahnten wir beide nicht.

 

1. Kapitel.

Was Herr Jörnsen beobachtete …

Unsere Junggesellenwohnung hatte durch den Tod der Mutter meines Freundes und durch das kurz darauf erlebte Ableben unserer treuen Köchin Mathilde einen völlig veränderten Zuschnitt erhalten. Der beständige Wechsel unserer Hausangestellten, die sich niemals mit einer so ungeregelten Lebensführung, wie sie uns nun einmal aufgezwungen war, auf die Dauer abfinden konnten, bestimmte meinen Freund schließlich dazu, sich an unsere dankbare Verehrerin Frau Doktor Gerda Mallison, geborene Gerd, zu wenden, die meinen Lesern durch den „Dieb, der nie etwas stahl“ in bester Erinnerung sein dürfte.

Auf diese Weise kamen die Frau verwitwete Schiffskapitän Emma Menzel und deren Enkelin Ingeborg Menzel in unser Haus. Der erste Eindruck, den wir von der hageren, grauhaarigen und verschlossenen Frau Emma erhielten, war nicht gerade ermutigend. Die dürre Dame erklärte uns bei der entscheidenden Unterredung mit verbitterter Offenheit, ihr Mann habe sich das Leben genommen, nachdem sein Dampfer bei Nacht und Nebel im Kanal auf vorgelagerte Klippen aufgelaufen und ihm wegen angeblicher Nachlässigkeit im Dienst das Patent und die Pension entzogen worden seien. Ihr einziger Sohn wieder habe die Schande nicht ertragen können, sei in die Fremde gezogen und in Mexiko verschollen. Er war nach kurzer Ehe ohnedies durch die Geburt Ingeborgs Witwer geworden und hatte auch diesen Schicksalsschlag nie verwinden können. Das alles lag nun etwa achtzehn Jahre zurück, und seit siebzehn Jahren hatte man von dem Steuermann Fritz Menzel nichts gehört. Frau Menzel war damals von Hamburg nach Berlin gezogen, hatte eine kleine Plättstube eröffnet, sich mit ihrer Enkelin bisher schlecht und recht über Wasser gehalten und es sogar fertig gebracht, Ingeborg eine gute Erziehung zuteil werden lassen. Freilich hatte Ingeborg nachher, um eine Arbeitskraft zu sparen, in der Plätterei mithelfen müssen.

Was wir auf diese Weise über die beiden Frauen erfuhren, hätte meinen Freund auch ohne Inges flehende Blicke dazu bestimmt, dieser energischen Lebenskämpferin Emma Menzel als Hausdame, Köchin und Empfangsdame unser Heim und unser leibliches Wohl anzuvertrauen.

Am 1. September hielten unsere neuen Hausgenossen ihren Einzug, wurden droben im ersten Stock untergebracht, führten eine Riesenkiste mit Andenken an Kapitän Jochem Menzels Seereisen mit sich, und bereits am nächsten Tage hatten Harald und ich einen leicht verdorbenen Magen, da das Abendessen – Aal grün – uns so vortrefflich mundete, daß wir etwas zu leichtfertig in der Berechnung der zuträglichen Menge Aal grün gewesen waren. Dafür gab es dann am 2. September nur Salat und ein Spiegelei zum Mittagessen, als allerschönste Zukost aber Inges übermütige Blauaugen und vergnügtes Geplapper.

Drei Tage darauf hieß Inge bei uns nur noch „Sonnenscheinchen“ und Frau Emma (ganz insgeheim) … „der Nachtschatten“. – Sogar Harst hatte vor der dürren Dame Respekt bekommen. Was sie anordnete, hatte Hand und Fuß, und was sie kochte, war für meine Anlage zum Bäuchlein fast verhängnisvoll.

So kam denn der mir unvergeßliche zwölfte September heran. Sonnenscheinchens lustiges Geträller erklang bereits am hellen Morgen, und als Großmutter Emma beim gemeinsamen Frühstück warnend betonte, daß all die Vöglein, die schon so früh sängen, abends die Katze hole, nahmen wir auch diesen Weisheitsspruch des Nachtschattens genau wie ihren übrigen Vorrat an ähnlichen volkstümlichen „Dämpfern“ nur als den üblichen Ausfluß ihrer durchaus berechtigten schwerblütigen Lebensauffassung hin.

Zu jener Zeit herrschte bei uns Geschäftsflaute. Harst gab sich mit chemischen Experimenten ab, und ich sah meinen Vorrat an Manuskripten daraufhin durch, was sich am besten zur Veröffentlichung eignete.

Vormittags um zehn läutete es an der Vorgartentür. Inge säuberte gerade die Spätrosen von Blattläusen, ihr blondes Haar mit dem gegen alle Mode zum Kranz geschlungenen dicken Zopf und den kecken Stirnlöckchen leuchtete im Sonnenschein, und die große Wirtschaftsschürze, die sich fest um ihre gertenschlanke Gestalt schmiegte, verlieh ihr etwas so hausfraulich-würdiges, daß der Fremde – ich hörte es vom offenen Fenster aus – sie höflich fragte, ob sie vielleicht Frau Harst sei.

Inge lachte silberhell …

„Nein … Bewahre …! Ich bin hier nur das Mädchen für alles, bin Sekretärin, Hausangestellte, Gärtnerin, Empfangsfräulein … – Bitte, treten Sie näher …“

Der Fremde stellte sich uns als Ingenieur Holger Jörnsen vor. Er war ein sonngebräunter Mann schwer bestimmbaren Alters, bartlos, hager, sehr bedächtig in Sprache und Bewegungen und äußerst sorgfältig gekleidet. Ein kaum bemerkbares Faltennetz um Augen und Mundwinkel sowie die leicht angegrauten Schläfen bei sonst sehr vollem dunklen Scheitel ließen ebenfalls keinen Rückschluß auf sein Alter zu. Sein Deutsch war einwandfrei, wenn auch etwas gesucht in der Ausdrucksweise, am hervorstechendsten aber waren die fast wimperlosen Augen, die in ihrer Starrheit des Blickes an schlechte Glasaugen einer Puppe erinnerten.

„Ein etwas eigentümliches Anliegen führt mich zu Ihnen, Herr Harst“, erklärte er, nachdem er kurz erwähnt hatte, daß er den größten Teil seines Lebens im Auslande zugebracht habe. „Es handelt sich nicht um einen Kriminalfall, sondern nur um sehr sonderbare Beobachtungen meinerseits, für die ich keine Deutung zu finden vermag. Selbstverständlich will ich Ihre gewiß kostbare Zeit nicht ohne entsprechendes Honorar in Anspruch nehmen, zumal die Beobachtung der betreffenden Personen Ihnen viel Mühe bereiten dürfte. Die Leute sind überaus vorsichtig und mißtrauisch, und wenn ich es mir nicht leisten könnte, für einen … sagen wir … zwecklosen Zeitvertreib etwas zu opfern, wäre ich nicht zu Ihnen gekommen.“

Mein Freund, der langatmige Einleitungen nicht liebt, kennt ein probates Mittel, derartige Klienten, die ihren Bericht so etwa bei der Arche Noah und der großen Sintflut beginnen, zu strafferer Kürze aufzumuntern? Er gähnt diskret!

Dies tat er auch jetzt. Herr Holger Jörnsen hüstelte, schwieg und platzte dann heraus: „Um Sie nicht zu langweilen, Herr Harst, – folgendes erlebte ich vorgestern und gestern. Ich wohne, wenn ich nach Berlin komme, stets bei meiner Schwester, die in der Inselgasse in Berlin SO dicht an der Spree die erste Etage eines älteren Hauses mit Aussicht nach dem Wasser seit vielen Jahren innehat. Vorgestern abend zog bekanntlich ein sehr schweres Gewitter über den Südosten Berlins hinweg. Ich stand am Fenster, und beim Aufflammen eines Blitzes bemerkte ich auf dem Flusse ein Boot mit drei Männern, die gerade einen gefüllten Gegenstand – es kann ein gefüllter Sack gewesen sein – versenkten. Der nächste Blitz, der unmittelbar folgte, zeigte mir dasselbe Boot und ein zweites mit zwei Insassen, die offensichtlich auf die drei anderen Leute Jagd machten, wobei sie nach dem Kai hin mit einer roten Laterne Signale gaben. Der dann plötzlich einsetzende Regen entzog mir die Weiterentwicklung der Geschehnisse, und erst gestern abend, wieder gegen elf Uhr, beobachtete ich etwa an derselben Stelle, wo die drei Männer den Sack oder was es sonst war ins Wasser geworfen hatten, wiederum ein Boot mit drei Leuten, von denen der eine ruderte, während die anderen zweifellos mit einer sogenannten Schleppharke, wie sie von den Bernsteinfischern an der Samlandküste benutzt wird, den Flußgrund absuchen. Es regnete gestern leicht, und infolge des Temperatursturzes lagerten auch dünne Nebel über der Spree, so daß ich Genaueres nicht unterscheiden konnte. Jedenfalls stellten die Leute nach einer halben Stunde ihre Bemühungen ein und landeten am Bollwerk dicht vor meinem Fenster. Leider konnte ich nicht feststellen, was der, der nun ausstieg, auf dem Rücken trug. Nur das sah ich genau, er betrat das Nebenhaus Nr. 2, ein ganz altes schmales Gebäude, in dem sich im Erdgeschoß eine kleine Plätterei befindet. Heute früh erfuhr ich von meiner Schwester, daß diese Plättstube unlängst in andere Hände übergegangen ist und daß die Vorbesitzerin sehr viel mit Seeleuten zu tun gehabt haben soll, – den Gerüchten nach ist ihr Sohn verschollen und sie suchte durch Bekannte oder Verwandte etwas über dessen Verbleib zu ermitteln. Da ich nun den Verdacht hege, daß die beiden feindlichen Parteien in den beiden Booten etwas Gesetzwidriges begangen haben könnten, möchte ich diese Dinge restlos aufklären lassen. Ich bin durch Zufall Zeuge des Versenkens des großen Gegenstandes im Flusse und gestern Zeuge der Anstrengungen der drei Männer gewesen, den Gegenstand wieder herauszuholen, und ich halte mich für verpflichtet, diese Geschehnisse durch Sie und Ihren Freund nachzuprüfen, obwohl ich wie gesagt keinerlei festen Anhaltspunkt dafür habe, daß die drei Leute etwa eine Leiche verschwinden lassen wollten.“

Nun war er endlich mit seinem Bericht fertig.

Er blickte Harst noch starrer und noch erwartungsvoller an und schien bestimmt damit zu rechnen, daß seine Erzählung auf uns Eindruck gemacht haben müßte.

Ich selbst wußte nicht recht, was ich davon halten sollte.

Harsts vollkommen gleichgültige Miene konnte mich freilich nicht täuschen. Ich kenne ihn.

Herr Jörnsen kennt ihn weniger.

Daher fragte er, als mein Freund stumm wie ein Fisch blieb und die matten Fliegen beobachtete, die um den Kronleuchter summten: „Halten Sie es für möglich, daß es sich um eine Leiche in einem Sack und um ein Verbrechen handelt, Herr Harst?“

Harst senkte den Kopf und schaute den Ingenieur zerstreut an.

„Es ist ein Verbrechen, ich weiß es …“, erklärte er leise, aber sehr bestimmt.

Jörnsen konnte eine Bewegung höchster Überraschung nicht unterdrücken. Er packte mit den Händen die Ecken der Lehne seines weichen Klubsessels, preßte mit seinen langen, muskulösen Fingern das Leder zu zwei dicken Falten zusammen und rief kopfschüttelnd aus:

„Wie, Sie wissen es …?! Woher denn?!“

„Aus dem Polizeibericht …“

Jörnsen behielt den Mund offen.

„Polizei…bericht?!“, wiederholte er verständnislos.

„Ja! Ich empfehle Ihnen, die heutige Morgenausgabe der Berliner Börsenwarte zu lesen. Das Blatt ist außerordentlich vielseitig. Um die Abonnenten für die entsetzliche Öde der Börsenmeldungen zu entschädigen, bringt es im Unterhaltungsteil in ganz witziger Form oder als Kurzgeschichten Polizeiberichte über alle möglichen Vorkommnisse. Heute früh finden Sie in der Börsenwarte die Meldung, daß die Kriminalpolizei in aller Stille einen Sack mit einer männlichen Leiche aus der Spree geborgen hat. Die Zeitung berichtet weiter, daß kurz vor Redaktionsschluß noch die Nachricht einlief, der Tote sei aus der Leichenhalle eines hiesigen Friedhofes gestohlen und der Sarg mit Steinen gefüllt worden. Der Verdacht liegt nahe, daß es sich um gewerbsmäßige Leichendiebe handelte, die mit Medizinern und Anatomiedienern in Verbindung stehen, so meint das Blatt. Daß die Diebe sich dieses Toten wieder entledigten, mag seinen Grund darin haben, daß der Einbruch in die Friedhofskapelle so frühzeitig entdeckt wurde. Ich kann Ihnen also nur den Rat geben, Herr Jörnsen, Ihre Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. Für mich hat die Angelegenheit wirklich keinerlei Interesse.“

Der Ingenieur nickte beipflichtend. „Ich werde Ihren Rat befolgen und Ihnen Nachricht zukommen lassen, was die Kriminalpolizei unternommen hat.“

„Sehr liebenswürdig … Bemühen Sie sich jedoch nicht zwecklos. Die Zeitungen werden darüber ohnedies Meldungen bringen, und mir ist die Sache auch gänzlich gleichgültig.“

Herr Holger Jörnsen empfahl sich mit merklicher Zurückhaltung. Meines Freundes scheinbare Uninteressiertheit hatte ihn verstimmt und von seinem Standpunkt aus enttäuscht.

 

2. Kapitel.

Der Golddampfer.

Wir schauten ihm durch die Tüllvorhänge des einen Fensters nach, wie er sehr langsam mit gesenktem Kopf zur Gartenpforte schritt. Seine bisher sehr straffe Haltung hatte etwas Schlaffes, Bedrücktes. Der Mann machte den Eindruck, als ob ihn sehr unangenehme Gedanken beschäftigten.

Unversehens trat da hinter der Veteranin unserer Vorgartenkastanien Ingeborg hervor und nickte ihm harmlos-freundlich zu. Jörnsen erschrak über das unerwartete Auftauchen, blieb stehen und betrachtete unser Sonnenscheinchen aus seinen etwas unheimlich-starren Augen so eingehend, als ob er sich Inges Bild für immer einprägen wollte. In diesem wortlosen scharfen Mustern der schlanken Gestalt und der frischen Züge Inge Menzels lag eine vielleicht unbewußte Unverschämtheit. Dann grüßte er hastig und verlegen, trat auf die Straße hinaus und bestieg eine in einiger Entfernung haltende Limousine, einen sehr großen neuen Privatwagen.

Harst sagte halblaut, ohne das Wort direkt an mich zu richten: „Jörnsen ist ein ungeschickter Lügner. Entweder hat er sich seine Geschichte aus den Fingern gesogen, nur um hier bei uns spionieren zu können, oder er hatte bereits den Artikel in der Börsenwarte gelesen. Sein Besuch galt nicht uns, sondern Frau Menzel und Inge.“

„Zu der Schlußfolgerung bin ich nun ebenfalls gelangt“, erklärte ich aus ehrlicher Überzeugung heraus. „Daß er die Plätterei und die Vorbesitzerin und deren verschollenen Sohn unnötigerweise erwähnte, stieß mir sofort auf. Ich glaubte zunächst, es läge hier ein bloßer Zufall vor, daß Frau Menzel gerade Inselgasse 2 bisher gewohnt hat, also neben Jörnsens Schwester.“

Harst setzte sich in den Schreibtischsessel, legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und blickte zu mir empor. Sein schmales Gesicht hatte jenen völlig geistesabwesenden Ausdruck, der bei ihm stets angestrengteste Gedankenarbeit verrät. Eine Weile schwieg er. Dann sagte er sehr lebhaft und erhob sich schnell: „Fragen wir Frau Menzel. Vielleicht kennt sie den Namen Holger Jörnsen als den eines Bekannten ihres Sohnes Fritz, des angeblich verschollenen Steuermanns.“

Frau Emma säuberte droben im ersten Stock ihr eigenes und Inges Zimmer. Sie hatte ihre Möbel, an denen ihr pietätvolles Herz hing, mitgebracht und ebenso pietätvoll aus ihrem Zimmer mit Hilfe der Reiseandenken ihres Mannes ein wahres Museum hergerichtet. Als wir eintraten, stand die hagere Frau mit dem grauen Scheitel und den trotz aller Verbitterung zumeist so schmerzlich-gütigen Augen vor der einen Wanddekoration, deren Mitte eines jener chinesischen Schränkchen mit zahllosen Schiebfächern und Türchen bildete, die, wenn sie wirklich noch aus der Zeit der chinesischen Hausindustrie stammen, außerordentlich wertvoll sind. Echter Lack und echte Goldauflagen sind seit vier Jahrzehnten selten geworden. Die fabrikmäßige Herstellung derartiger Gegenstände für den Fremdenverkehr und für den Export hat unglaublichen Ramsch auf den Markt geworfen.

Frau Menzels Blässe fiel uns sofort auf. Gewiß, Inges Großmutter war stets etwas farblos und bleich. Die zahlreichen Jahre, die sie über das Plätteisen gebeugt zugebracht hatte, waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

Harst ging schnell auf sie zu. Der beste Beweis dafür, wie exakt sein Hirn allzeit arbeitet, war seine hastige Frage: „Sind Sie bestohlen worden, liebe Frau Menzel?“

„Ja …“, erwiderte die Kapitänswitwe kopfschüttelnd und deutete auf die unterste und größte Schieblade des Schränkchens, die halb herausgezogen und leer war. „Hier lagen allerlei Fotografien und die Uhr, der Ring und die Ohrringe meines Mannes … Er war ja Seemann, er trug Ohrringe … Alles ist verschwunden. Dabei hat die Schieblade ein Geheimschloß, das nicht einmal Inge öffnen konnte.“

„Schlafen Sie sehr fest?“, fragte Harst und betrachtete das Schränkchen genauer.

„Das ja, Herr Harst … Ich habe einen sehr gesunden Schlaf.“

„Und Sie lassen die Balkontür offen, Sie sind an frische Luft gewöhnt?“

Sie nickte zerstreut. „Auch das trifft zu. Ich begreife nur nicht, wie ein Dieb das Geheimschloß der Schieblade öffnen konnte … Nur mein Mann und mein Sohn Fritz wußten mit dem Mechanismus Bescheid.“

„Kennen Sie einen Ingenieur Holger Jörnsen?“, meinte Harst gespannt.

Frau Menzels Kopf fuhr herum.

„Wie kommen Sie auf Jörnsen, Herr Harst …? Natürlich kenne ich ihn. Er war meines Fritz’ bester Freund und damals Obermaschinist auf dem Dampfer „Triton“, der auf die Klippen auflief und wegsackte.“

„Stehen Sie mit Jörnsen noch irgendwie in Verbindung?“

„Das sollte wohl kaum möglich sein …“, entgegnete sie düster. „Jörnsen ist tot … Vor Jahren schon ertrank er in den chinesischen Gewässern während eines Taifuns, er wurde über Bord gewaschen … Er war der einzige Mensch, der auch nach meines Mannes Selbstmord zu mir hielt und mir immerfort Briefe, Karten und etwas Geld aus allen Weltgegenden zuschickte.“

„Besaßen Sie ein Bild von ihm?“

„Mehrere …“

„Und die lagen hier in der Schieblade?“

„Ja … – Aber weshalb fragen Sie all das, Herr Harst? Wie kommen Sie auf Holger Jörnsen?“

„Lassen Sie mich nur ruhig weiterfragen, liebe Frau Menzel. – Hatte Jörnsen Geschwister?“

Unser „Nachtschatten“ lächelte selten. Jetzt lächelte sie …

„Geschwister? Die Jörnsens wohnten in Cuxhaven, und das Haus wimmelte von Kindern, ich glaube, im ganzen waren es ein Dutzend, Buben und Mädel, aber Holger war der einzige, den wir so gut kannten. Der alte Jörnsen hatte einen großen Hochseekutter und eine eigene Fischräucherei. Er ist seit Jahren tot.“

Harsts Gedankengänge waren für mich leicht zu erraten, freilich nicht lückenlos. Ich war begierig, wie er seine Fragen nun Frau Menzel gegenüber begründen würde. Ich nahm an, er würde irgendwie die Wahrheit verschleiern, aber ich täuschte mich, er berichtete über den Besuch des Fremden und über dessen Anliegen alles, was nötig war, um auch Frau Emma diesen Klienten als etwas verdächtig hinzustellen. Nur die nächtliche Vorgeschichte von gestern verschwieg er.

Eine Frau wie Emma Menzel, die des Daseins Nöte und Kämpfe so bitter ausgekostet hatte, verfügte über genügend Lebenserfahrung, Menschenkenntnis und geistige Regsamkeit, um Harsts Argwohn sofort mit allem Nachdruck zu teilen.

„Es ist richtig, daß in der Inselgasse neben uns ein Fräulein Anna Jörnsen wohnte“, erklärte sie leicht erregt. „Aber diese Jörnsen war mit den Cuxhavener Jörnsens gar nicht verwandt. Der Name Jörnsen ist ja so überaus häufig.“

Harst unterbrach sie. „Ich möchte noch etwas wissen, liebe Frau Menzel. Besaßen Sie auch ein Gruppenbild der Familie Jörnsen? Also eine Aufnahme der ganzen Familie?“

„Ja, – – doch ich betone nochmals: Persönlich kannte ich nur Holger, den Zweitältesten, den mein Fritz immer nur „Holg“ nannte … – Trotzdem kann der angebliche Jörnsen, der vorhin bei Ihnen war, keiner von den Cuxhavenern gewesen sein, denn jenes Fräulein Anna Jörnsen, das da Inselgasse Nr. 1 neben uns wohnte und unsere Kundin war, hätte doch zweifellos gelegentlich erwähnt, daß sie einen Bruder Holger besäße, der mit einem Steuermann Fritz Menzel befreundet gewesen. Demnach teile ich wie gesagt Ihren Verdacht, Herr Harst, daß der Dieb, der diese Schieblade entleerte und alles mitnahm, es wohl nur auf die Fotografien abgesehen hatte, und daß hierdurch zumindest der Anschein erweckt wird, als wären der Besucher von vorhin und der Dieb ein und dieselbe Person und als ob dieser Mann …“ – hier riß ihr der Gedankenfaden ab, und sie blickte etwas hilflos zur Seite und meinte achselzuckend: „Jetzt habe ich mich festgefahren. Mir schwebt da irgendeine Idee vor … eine neue Gedankenverbindung …“

„Vielleicht die, daß dieser Jörnsen ein sehr starkes Interesse daran gehabt haben muß, die Bilder verschwinden zu lassen, und daß er auch unbedingt gewußt haben muß, wo Sie die Fotos aufbewahrten und wie sich die Schieblade öffnen ließe … Mithin muß er auch Ihren Gatten und Ihren Sohn sehr gut gekannt haben, denn nur von diesen konnte er erfahren wie der Geheimverschluß der Schieblade funktionierte.“

Frau Emma nickte lebhaft. „Jetzt haben Sie meine Gedanken, die ich nicht recht in eine klare Form bringen konnte, lückenlos ausgesprochen, Herr Harst. Am meisten bei diesem Diebstahl ärgert mich der Verlust der Andenken an meinen Mann, die Fotografien vermisse ich nicht weiter …“

„Und doch sind sie die Hauptsache“, meinte Harst mit einem neuen prüfenden Blick auf die offene leere Schieblade. „Sagen Sie mal, Frau Menzel, was hatte der Dampfer Triton eigentlich als Fracht an Bord, als er vor achtzehn wahren unterging?“

Die hagere Frau kniff die Lippen fest zusammen und schaute zur Seite.

„Goldbarren“, flüsterte sie dann. „Nur Goldbarren in Kisten … Es war ein geheimer Transport für deutsche Großbanken. Das Gold kam aus Alaska, aus den Klondyke-Minen …“

Meines Freundes stets so beherrschte Züge verrieten bei dieser Mitteilung nur eine geringe Überraschung. Ich selbst war desto stutziger geworden. Sollte etwa der Wann mit dem Angelstock und der Strickleiter, der gestern nacht so blitzschnell durch die offene Balkontür hier in dieses Zimmer eingedrungen und wieder verschwunden war, irgendwie mit dem Verlust des Goldschiffes etwas zu tun haben?! Sollte die Vergangenheit doch wieder aufleben, und sollte Holger Jörnsen, unser Klient, wirklich der Dieb mit der Angelrute gewesen sein?!

Harsts nächste Fragen und Frau Menzels zaghafte Antworten gestalteten das Ganze noch eindrucksvoller zu einem fast phantastischen Geheimnis.

 

3. Kapitel.

Wie Petersen heimgebracht wurde.

Ich will Fragen und Antworten als Ganzes eng zusammendrängen. – Damals, als die deutschen Großbanken in aller Stille ungeheure Mengen Goldbarren aufkauften, war die politische Einkreisung des kaiserlichen Deutschland längst beendet und der Weltkrieg nur noch eine Frage der Zeit und der günstigen Gelegenheit. Daß die Regierung bei diesem Riesengeschäft mitbeteiligt war, wenn sie auch nach außen hin nicht als miteingeweiht auftreten wollte, bewies die einfache Tatsache, daß „zufällig“ ein deutscher Kreuzer dem neuen großen Frachtdampfer Triton das Geleit gab. Als der Triton auf die Riffe lief und in wenigen Minuten wegsackte, herrschte so dicker Nebel, daß der Kreuzer den Dampfer aus den Augen verloren hatte. Später sollte der Triton ebenfalls in aller Stille gehoben werden, aber – – man fand das Wrack nicht, zumal die Seekarten dort, wo er sich den Schiffsboden aufgerissen hatte, keinerlei Klippen, Riffe oder Untiefen verzeichneten. Außerdem konnten auch weder Kapitän Jochem Menzel noch die anderen Schiffsoffiziere mit voller Bestimmtheit die Stelle angeben, wo sich das Unglück ereignet hatte, und gerade dies wurde dem Kapitän als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, Menzel hätte unbedingt die Stelle durch eine ausgeworfene Boje kennzeichnen müssen und niemals schleunigst davonrudern dürfen. Die ganze Verhandlung, bei der aus Rücksicht auf das geheime Geldgeschäft mancherlei verschwiegen wurde, hätte wohl einen anderen Ausgang genommen, wenn eben nicht das Staatsinteresse den gesamten Prozeß nachteilig überschattet hätte. –

Nachdem Harst dann noch Frau Emma gebeten hatte, über den Diebstahl zu schweigen, begaben wir uns wieder nach unten in unser keineswegs prunkvolles, sondern mehr praktisch-behagliches Büro und besprachen den Fall mit jener Gründlichkeit, ohne die eine planmäßige Weiterführung der Untersuchung der verschiedenen Vorfälle nicht möglich gewesen wäre. Harst hütete sich mit auffallender Zurückhaltung, sich auf eine bestimmte Ansicht festzulegen. Auf mich machte dieses behutsame Abwägen seiner Sätze ganz den Eindruck, als ob er inzwischen seine Meinung über den Dieb, den Ingenieur Jörnsen und über die Vorgänge auf der Spree wieder geändert, zumindest stark revidiert hätte.

Gegen elf Uhr vormittags fuhren wir nach der Friedhofskapelle, aus der nach dem Polizeibericht die Leiche gestohlen worden war. Harst hielt es für unbedingt notwendig, zu erfahren, wer der Tote gewesen.

Der Friedhofsinspektor zeigte sich äußerst zugänglich und gesprächig. „Die Geschichte stand ja in allen Zeitungen“, erklärte er erstaunt. „Ich wundere mich, Herr Harst, daß Sie nichts davon gelesen haben. Der Mann war der verrückte Milliardär, wie ihn die Angestellten der Privatpension Grotthus genannt hatten … Peter Petersen hieß er, und in das Fremdenbuch des Pensionats hatte er unter „Beruf“ Milliardär eingetragen, obwohl er keineswegs sehr reich gewesen sein kann.“

Harst machte zu diesen Mitteilungen ein geradezu betretenes Gesicht. Ihm war es peinlich, daß er nicht an diesen Petersen gedacht oder vielmehr sofort sich an die betreffenden Zeitungsmeldungen erinnert hatte, als unsere brave Frau Menzel den Namen Petersen als den des damaligen Reeders des Dampfers Triton erwähnte. –

Die Reederei Petersen war inzwischen längst eingegangen. Der alte Herr Petersen hatte sich 1920 erschossen. Die Firma existierte nicht mehr. Das hatte Frau Menzel so nebenbei eingeflochten. Sie schien die Petersens nicht zu lieben, und ohne jede Gehässigkeit hatte sie erklärt, das Schicksal habe den alten Petersen denselben traurigen Weg gehen lassen, den ihr Gatte gewählt hatte – den Freitod.

Vom Friedhof fuhren wir in derselben Taxe nach dem Südosten Berlins, wo unweit des Untergrundbahnhofes Inselstraße das Haus lag, dessen Erdgeschoß das Pensionat Grotthus einnahm.

Die Inhaberin, eine verarmte kurländerische Baronin, geleitete uns in den sogenannten Empfangssalon. Er war genau so dürftig ausgestattet, wie die Frau Baronin gekleidet war. Es handelte sich zweifellos um eines jener Pensionate, die man besser als Absteigequartier, bezeichnet.

Trotzdem hafteten der Baronin noch immer einige kärgliche Reste von Vornehmheit an. Sie war sehr liebenswürdig, sehr unbefangen, sehr selbstsicher und doch äußerst behutsam in ihren Antworten. Schon nach wenigen Minuten war ich überzeugt, daß bei dem Tode des Peter Petersen irgend etwas nicht stimmte.

Petersen war am 2. September bei Frau Grotthus mit einem mittelgroßen Koffer erschienen. Sein Paß (er kam aus dem Ausland) war in Ordnung. In diesem Paß war als Beruf „Kaufmann“ angegeben. Petersen selbst meldete sich als „Milliardär“ an und zeigte gegenüber dem Personal ein recht hochfahrendes Benehmen. Er bezahlte für vierzehn Tage im voraus und benutzte sein Zimmer sehr wenig, auch nachts blieb er häufig aus.

Über seinen Tod äußerte sich die Baronin in dürrsten Worten. „Er ist einem Herzschlag erlegen. Beim Umsinken fügte er sich einige Verletzungen zu. Das Zimmermädchen fand ihn morgens auf dem Teppich liegen, und drei meiner Dauermieter benachrichtigten die Polizei, die gleichfalls Tod durch Herzschlag feststellte.“

Mein Freund blickte die Baronin daraufhin fest an und sagte in jenem bestimmten Tone, der keinen Widerspruch duldet: „Die Polizei mag sich ja mit diesen Angaben zufrieden gegeben haben, Frau Baronin. Mich schüttelt man so leicht nicht ab. Sie verheimlichen mir etwas. Zeigen Sie mir Petersens Zimmer. Dort können wir der Wahrheit vielleicht näherkommen.“

Die arme Grotthus wurde zuerst sehr rot, dann sehr blaß, und der schüchterne Versuch, gekränkte Würde zu markieren, gelang völlig daneben. Harst war unerbittlich und unbeeinflußbar. „Frau Baronin, inzwischen haben sich Dinge ereignet, die den Verdacht rechtfertigen, daß Petersen keines natürlichen Todes gestorben ist“, sagte er offen. „Also bitte, führen Sie uns in sein Zimmer … Unsere Anwesenheit dürfte Ihnen lieber sein als die der Kriminalpolizei.“

Da gab sie nach. Halb verstört schritt sie hinaus.

„Ah, das Zimmer hat direkten Zugang vom Hausflur“, meinte Harst leise, als wir eintraten.

Es war ein großer, zweifenstriger Raum, und die Einrichtung bewies, daß es sich hier um das „Prunkappartement“ der Pension handelte.

Die Baronin verschloß auch die innere Tür und blickte sich scheu um. „Dort … lag er …“, flüsterte sie und deutete auf eine Stelle des Teppichs.

Harst hatte Mitleid mit ihr. „Setzen Sie sich doch bitte … Wir wollen Ihnen wirklich keine Ungelegenheiten bereiten. Seien Sie ganz offen, es ist das die einzige Möglichkeit, die Sache einzurenken. Was haben Sie verschwiegen, Frau Baronin?“

Sie weinte fast. „Mein Gott, wäre Petersen doch niemals in mein Haus gekommen! Herr Harst, ich habe mich ja doppelt schuldig gemacht, einmal dadurch, daß ich die drei Herren, meine Dauermieter, flehentlich bat, den verdächtigen Stoffetzen zu entfernen, und zweitens …“

„Halt“, unterbrach mein Freund sie ganz sanft. „Wie war das mit dem Stoffetzen?“

Die Baronin preßte ihr Taschentüchlein gegen die Augen. Ihr letzter Widerstand schwand dahin, und offensichtlich war es ihr eine Erleichterung, sich nun endlich diese Last von der Seele reden zu können. So hörten wir denn folgendes, und so sehr mich diese dunkle Wahrheit überraschte, genau so wenig zeigte sich mein Freund dadurch irgendwie tiefer berührt.

In der Nacht vom fünften zum sechsten September hatte die Baronin gegen zwei Uhr morgens ihr Schlafstubenfenster schließen wollen, da der Wind allzu lärmend ins Zimmer stieß. Sie hatte nur die Nachttischlampe eingeschaltet, die nur schwach leuchtete. Als sie am Fenster stand, hörte sie, daß ein Auto vor der Haustür hielt. Sie beugte sich hinaus und wurde unbemerkt Zeugin, wie der Chauffeur der großen Limousine und ein zweiter Mann den scheinbar schwer betrunkenen Petersen ins Haus brachten. Sie schöpfte jedoch keinerlei Verdacht, schloß das Fenster und erinnerte sich erst vormittags um zehn Uhr etwa an ihren seltsamen Gast, der bisher sein Frühstück nicht verlangt hatte. Immer unruhiger werdend wartete sie bis elf Uhr, dann klopfte sie, klopfte nochmals an und rief ihre drei Dauermieter, Filmschauspieler von der Edelkomparserie, herbei.

„… Die Doppeltüren waren unverschlossen, Herr Harst. Petersen lag ohne Mantel und ohne Hut mit blutiger Stirn dort auf dem Teppich. Am merkwürdigsten aber war, daß er einen schwarzen Tuchfetzen mit beiden Händen vor den Mund gepreßt hielt und daß sein Mantel und sein Hut, die er in der kritischen Nacht getragen hatte, verschwunden waren. Er besaß mehrere Mäntel und Hüte, und so konnte ich auch dies der Polizei verschweigen. Da meine Mieter sofort erklärten, hier müßte ein Verbrechen vorliegen, beschwor ich sie, den Tuchfetzen zu entfernen. Ich gebe zu, daß ich mir ihre Verschwiegenheit erkaufte, aber ich fürchtete die Scherereien mit den Behörden, die mir ohnedies nicht sehr gewogen sind. Als alleinstehende Frau hat man …“

„Schon gut, Frau Baronin“, winkte mein Freund etwas kühleren Tones ab. „Und was erklärte die Kriminalpolizei?“

„Tod durch Herzschlag“, erwiderte die Baronin verschüchtert und schuldbewußt. „Die Verletzungen an der Schläfe sollten von einem Sturz auf die zackige Kante des Ofenvorsetzers und die Hautabschürfungen und die zwei gebrochenen Rippen von einem Fall auf den Kohlenkasten vor dem Kamin herrühren. Tatsächlich war der Kohlenkasten, der mehr ein Zierstück ist, umgefallen, und drei Zacken des Ofenvorsetzers wiesen Blutspuren und einzelne Haare auf. Der Arzt stellte Herzschlag fest, und da Petersen keinerlei Verwandte besaß, wurde die Leiche durch die Behörde eingesargt. Man fand in Petersens Koffer in einem Geheimfach etwa fünftausend Mark in Devisen und in deutschem Gelde …“

Sie begann wieder leise zu weinen, denn Harsts steinernes Gesicht zeigte ihr jetzt ganz eindeutig, wie er über ihr Verhalten dachte.

 

4. Kapitel.

Der gehörnte Teufel.

„Sie haben sich unverantwortlich benommen, Frau Baronin“, sagte er, indem er nach seinem Hut griff. „Sie wußten, daß Petersen bereits tot oder doch schwer verletzt von Fremden nachts in sein Zimmer geschafft worden war, daß sein Mantel und Hut fehlten, die er damals getragen hatte, und daß ein Verbrechen vorlag. Ich finde keine Worte dafür, Ihr Schweigen hart genug zu verurteilen. – Wo ist der Tuchfetzen geblieben?“

„Den hat Herr Savigli an sich genommen, einer der drei Herren …“, schluchzte die Baronin kläglich, „Ich sehe ja ein, Herr Harst, daß ich aus Angst vor Unbequemlichkeiten sehr unrichtig gehandelt habe … Ich möchte das wieder gutmachen. Herr Savigli wollte den Tuchfetzen für alle Fälle aufheben, er ist daheim, ich werde ihn holen, falls Sie darauf Wert legen …“

„Gewiß, – bitte …“

Frau von Grotthus eilte davon.

Harst nickte mir lächelnd zu. „Ich mußte sie etwas energisch anpacken, mein Alter, sonst hätte sie uns zum Beispiel das wichtigste Beweisstück, den Tuchfetzen, vorenthalten. Ich behaupte, dieser Milliardär Peter Petersen, der sein Zimmer hier so selten benutzte, besaß noch eine zweite Wohnung und ist aus gewinnsüchtigen Absichten beseitigt worden. Er lebte noch, als seine Mörder ihn hierher schafften, er kam noch einmal zu sich, nachdem sie das Zimmer zweckentsprechend – siehe Ofenvorsetzer und Kohlenkasten – hergerichtet hatten, und im letzten Todeskampf riß er irgendwo ein Stückchen Stoff ab … Es fragt sich nur, wo …“

Er musterte die Stelle des Teppichs, wo der Tote gelegen haben sollte, sehr genau und kippte dann einen in der Nähe stehenden modernen Ripssessel um.

„Bitte …!!“, sagte er nur.

Ich beugte mich hinab. Der schwarze Stoff, mit dem die Sprungfedern des Sitzes unten überzogen waren, war zerrissen, und ein mehr als handgroßes Stück fehlte.

„Wenn jemand, der auf einem Teppich im Sterben liegt“, meinte Harst leise, „im letzten Todeskampf verzweifelt um sich greift, entwickelt er oft ungeahnte Kräfte …“

Er kniete nieder und befühlte die Sprungfedern von innen. Plötzlich schob er etwas blitzschnell in die Manteltasche, sprang empor und richtete den Sessel wieder auf.

Frau von Grotthus und ein jüngerer, etwas zu geschniegelter Herr traten ein. Beide hatten rote Köpfe, waren sehr verlegen, und Savigli stotterte eine sehr lendenlahme Entschuldigung hervor, überreichte Harst ein Stück schwarzen Stoffes und war froh, als mein Freund lediglich erklärte: „Ich werde diese verfahrene Geschichte bei der Polizei in Ordnung zu bringen suchen. – Haben Sie wirklich niemandem erzählt, Herr Savigli, daß Sie und Ihre beiden Freunde und die Frau Baronin den Beamten so allerlei vorenthalten haben?! Bitte – – die Wahrheit!“

Der Filmschauspieler wurde noch betretener.

„Ich will nicht lügen, Herr Harst … Ja, ich habe darüber gesprochen …“

„Mit wem?“

„Mit einem Amerikaner, einem Impresario, der mir ein Engagement vermittelt hat. Ich bin nebenbei auch Kunstpfeifer.“

„Sie pfeifen zu viel und zu unvorsichtig, mein Lieber“, sagte Harst anzüglich. „Wie heißt der Impresario, wo lernten Sie ihn kennen und wann?“

„Vor vier Tagen in der Filmbörse, in unserem Kaffeehaus. Sein Name ist Gulliver Smith. Er setzte sich zufällig an meinen Tisch, wir kamen ins Gespräch und …“

„Schon gut. Diese Zufälle kenne ich. Herr Smith wird Ihnen sofort einen Vorschuß gegeben haben, um jedes Mißtrauen von vornherein auszuschalten … Wieviel gab er Ihnen?“

„Fünfhundert Mark …“

„Ziemlich schäbig … Und dann wird er über Tagesneuigkeiten gesprochen haben und den seltsamen Milliardär Petersen auch ganz zufällig erwähnt und Sie ausgehorcht haben, worauf Sie denn auch in der Freude Ihres Herzens prompt hereinfielen …“

„Leider“, murmelte Savigli bedrückt.

„Und als dieser Herr Smith erfuhr, daß Petersen auf dem Teppich gelegen und einen Zeugfetzen vor den Mund gepreßt hatte, hat er Ihr Übereinkommen mit der Baronin, die Polizei zu täuschen, gut geheißen …“

„So ist es“, nickte der Kunstpfeifer ängstlich.

„Trotzdem erschien Herrn Gulliver Smith die Geschichte nunmehr nicht mehr geheuer, und er und seine Helfershelfer stahlen die Leiche Petersens, versenkten sie in der Spree und wollten so eine Aufdeckung ihres Verbrechens verhindern.“

Frau von Grotthus und Savigli begriffen wohl jetzt erst so recht, was sie angerichtet hatten. Aber ihre Reue und Einsicht kamen zu spät. Harst nahm von ihren blassen, bestürzten Gesichtern keine Notiz und fuhr unbarmherzig fort: „Für die Zukunft mag Ihnen beiden dieser Vorfall eine ernste Warnung sein. Wenn nicht die Kriminalpolizei die drei Leute, die die Leiche vom Boot aus in einem Sack versenkten, beobachtet und die Leiche wieder herausgefischt hätte, würde dieser Mord vielleicht nie seine Sühne gefunden haben. – Frau Baronin, empfing Petersen jemals Besucher oder erhielt er Briefe?“

„Nie, nie …! Auf mich, machte es überhaupt den Eindruck, als hätte er dieses Zimmer nur gemietet, um hier in der Nähe jemanden zu beobachten.“

Harst blickte sie scharf an: „Wie kommen Sie auf diese Vermutung?“

„Weil er wiederholt nur für zehn Minuten fortging, zurückkehrte und nach kurzer Zeit abermals davoneilte und weil ich ihn dreimal in der nahen Inselgasse gesehen habe …“

„Unsinn!“, meinte Harst wenig höflich. „Wen sollte er beobachten?! – So, nun lassen Sie uns hier noch eine Weile allein, und wehe Ihnen, wenn Sie etwas von dem verraten, was ich Ihnen soeben mitteilte …“

Frau von Grotthus und Savigli verschwanden eiligst. Kaum war die Tür hinter ihnen von Harst verriegelt worden, als er dicht auf mich zutrat, in die Tasche faßte und mir etwas sehr Merkwürdiges unter die Augen hielt.

Es war ein aufblasbarer Teufel aus Gummi, in grellen Farben bemalt. Der Schwanz des gehörnten Teufels war das Mundstück zum Aufblasen des handgroßen Spielzeuges …

 

5. Kapitel.

Steuermann Menzel.

Harst blies das Ding prall auf, und da erst zeigte der gehörnte Teufel all seine groteske, abstoßende Häßlichkeit.

Mit kläglichem Winseln entwich die Luft, und das kleine Ungetüm schrumpfte wieder zum schlaffen bunten Beutel zusammen.

„Weshalb“, fragte Harst sehr leise, „mag wohl Peter Petersen, gebürtiger Hamburger, dieses Spielzeug mit letzter Kraft in den Spiralen des Sessels verborgen haben?“

„Vielleicht enthält das Gummiding einen Streifen Seidenpapier mit wichtigen Notizen“, erwiderte ich etwas zögernd.

Harst schüttelte den Kopf. „Da, befühle den Teufel … Er ist leer … Trotzdem kann deine Vermutung zutreffen. Irgendeinen Wert muß das häßliche Spielzeug haben. Wir werden es daheim untersuchen. Jetzt wollen wir uns hier das Zimmer recht sorgfältig ansehen. Vielleicht finden wir noch etwas.“

Aber wir fanden nichts, gar nichts …

Als wir den Zimmerschlüssel der Baronin abgegeben und nur noch Savigli gefragt hatten, wie denn Herr Gulliver Smith ausgesehen habe, verließen wir das Haus und blieben in der Nähe stehen. Harst kaufte eine Mittagszeitung und blätterte darin, zündete sich eine Zigarette an und übertrug mir die Aufgabe, ganz unauffällig nach Aufpassern mich umzutun. Er nahm an, das Haus würde dauernd beobachtet. Ich entdeckte keine verdächtige Gestalt, und nach einigen Minuten setzten wir unseren Weg fort, fanden eine leere Taxe und fuhren heim.

Harst klopfte mir im Auto nachsichtig auf die Schulter.

„Mein Alter, du hast nach Spionen dich umgeschaut, die da vielleicht als Müßiggänger sich Schaufensterauslagen ansahen. Aber die dunkle große Limousine hast du übersehen. Sie hatte Ähnlichkeit mit Herrn Holger Jörnsens seinem Auto, und wenn wir jetzt sofort, was eigentlich unsere Pflicht gewesen, zum Polizeipräsidium gefahren wären und Meldung erstattet hätten, würde der Fall Petersen wahrscheinlich durch die eilige Flucht der Schuldigen niemals geklärt oder gesühnt worden sein. Wir müssen also Holger Jörnsen gründlich zu täuschen suchen und ihm gegenüber die arglosen Durchschnittsdetektive spielen …“

Daheim angelangt, mußte ich den Gummiteufel aufblasen und mit dem Rasiermesser an den Nahtstellen aufschneiden und flach mit der bunten Seite nach unten auf ein Brett spannen, wozu ich Reißzwecken benutzte.

Harst suchte im Fernsprechverzeichnis nach Fräulein Anna Jörnsens Telefonnummer und verlangte dann „Jannowitz 1813“.

„Hier Harst … Könnte ich Fräulein Jörnsen sprechen? – So, – danke … Ich werde dann also Ihren Bruder nach einer halben Stunde nochmals anrufen.“

Er legte den Hörer weg.

„Jörnsen ist nicht daheim, mein Alter … Das war keine erschütternde Neuigkeit für uns … Ich wette, er wird sich melden – in knapp zehn Minuten. Bis dahin kann er nämlich wieder zu Hause bei seiner Schwester angelangt sein … – Nun, was macht der Gummiteufel …? Das ist saubere Arbeit … Das Ding sieht jetzt einer Fledermaus, die ein Lastauto breitgedrückt hat, zum Verwechseln ähnlich …“

„Und was versprichst du dir von dieser Fledermaus, Harald?“

Er trommelte mit den Fingerspitzen leicht auf die Tischplatte. Seine Augen waren halb geschlossen, und ein nachdenklicher, unzufriedener Zug trat in sein Gesicht.

„Ich weiß nicht recht“, meinte er zerstreut, „ich habe da plötzlich das recht peinliche Gefühl, daß wir bei diesem Fall Petersen wie Blinde im Kreise umhertappen, ohne dem Endziel näherzukommen. Alles hängt nun davon ab, ob diese Gummihaut irgendwie beschriftet ist. Ich nehme es mit Sicherheit an. Zweierlei spricht dafür. Erstens: Der sterbende Petersen verbirgt das Gummispielzeug mit letzter Kraft in den Sprungfedern des Sessels, somit muß der gehörnte Teufel eine besondere Bedeutung haben und sollte keinem Unbefugten in die Hände fallen. Zweitens: Wenn du dir das häßliche Ding ganz genau angesehen hättest, würdest du bemerkt haben, daß die Naht oder die Klebelinie sich so stark markierte, daß Petersen einmal genau wie du den Gummiteufel aufgeschnitten, aber mit einer Gummilösung wieder zugeklebt hat. – Diese beiden Tatsachen mahnen uns zu behutsamstem Vorgehen bei Sichtbarmachung einer vielleicht vorhandenen Schrift. Wir können viel verderben, wenn wir dabei falsche Mittel anwenden.“

Er beugte sich ganz tief über die prall gespannte bräunliche Gummihaut. „Mit dem bloßen Auge ist nichts zu bemerken, mein Alter … Vielleicht übernehmen wir eine zu große Verantwortung, wenn wir Experimente machen, die verhängnisvoll werden könnten. Ich möchte mir die Sache doch erst gründlich überlegen und vorher Versuche mit ähnlicher Gummihaut anstellen. Ich werde den gehörnten Teufel also in den Geldschrank einschließen. Warten wir Holger Jörnsens Besuch ab.“

Herr Jörnsen ließ auch wirklich nicht lange auf sich warten. Eine Limousine mit einem Chauffeur in Livree fuhr vor, Jörnsen stieg eiligst aus, läutete, und Frau Kapitän Menzel, die den Flur gerade säuberte, öffnete ihm.

Plötzlich hörten wir im Flur einen schrillen Schrei, dann hastiges Flüstern und unterdrücktes Weinen.

Harst stand mit vorgerecktem Kopf da und lauschte. Er warf mir einen vielsagenden Blick zu und flüsterte unzufrieden: „Wußte ich es doch!! Wir irren im Kreise umher. Der Fall liegt weit verzwickter, als es anfänglich den Anschein hatte.“

Dann klopfte es.

„Herein!“

Holger Jörnsen verneigte sich und drückte die Tür hinter sich zu. Sein gebräuntes Gesicht hatte einen ganz eigentümlichen tief bewegten Ausdruck. Seine Stimme klang unfrei und vibrierte leicht.

„Meine Schwester teilte mir mit, daß Sie mich zu sprechen wünschten, Herr Harst … Ich bin schleunigst hierher gekommen, da ich annehme, daß Sie mir Wichtiges mitzuteilen haben.“

„Allerdings. Setzen Sie sich bitte, Herr Jörnsen. Ich riet Ihnen, die Polizei von Ihren Beobachtungen zu verständigen. Haben Sie dies getan?“

„Nein …“ Jörnsen blickte Harald dabei ruhig und fest an. „Ich hatte meine Gründe, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Mir kam es auf Ihre diskrete Hilfe an, nicht auf die der Behörden.“

Harst lehnte am Schreibtisch und betrachtete durch das Fenster die vor unserem Hause haltende Limousine.

Ich hatte bereits festgestellt, daß es zwar ebenfalls ein dunkler großer Wagen war, jedoch nicht dieselbe Fabrikmarke wie der, der uns vom Pensionat Grotthus aus gefolgt war.

Mein Freund drehte langsam den Kopf und sagte zu unserem diskret vornehm gekleideten Klienten:

„Herr Fritz Menzel, Sie haben sich ja in den vielen Jahren sehr verändert, Ihre Bilder, die ich bei Ihrer Mutter sah, zeigen Sie nur mit Spitzbart und starken Augenwimpern, Ihr Gesicht war auch voller, aber jetzt, wo ich Ihre Mutter im Flur bei Ihrem Anblick aufschreien und weinen hörte und Sie selbst Ihre tiefe Gemütsbewegung nur schwer verbergen können, halte ich Sie doch für den Vater unserer lieben, vergnügten Hausgenossin Inge. Ich denke dabei auch an die Szene heute früh im Vorgarten, als Sie Inge so eingehend musterten. Mein Freund Schraut meinte, dieses Anstarren sei unverschämt gewesen. Es war die Freude des Vaters über das prächtige Gedeihen seines Kindes.“

Er hielt den Atem an. Ich wartete auf des Fremden Gegenäußerung mit unerträglicher Spannung.

Des Mannes Gesichtszüge wurden noch schmerzlicher bewegt. Er holte tief Atem.

„Ja, ich bin Fritz Menzel“, erwiderte er leise. „Ich hatte nicht geglaubt, daß meine Mutter mich wiedererkennen würde. Meine einst sehr dichten langen Augenwimpern verlor ich, als man mich mit einem glühenden Eisen zu blenden suchte …“

 

6. Kapitel.

Menzels Abenteuerroman.

Die Totenstille, die diesen Sätzen folgte, war begreiflich, war zugleich aber auch erfüllt von zahllosen unausgesprochenen Fragen.

Dann öffnete sich die Tür, und Frau Menzel, die ihren Arm wie schützend um die Schultern ihrer Enkelin gelegt hatte, trat langsam ein.

Inges Vater erhob sich. Er wollte seinem Kinde entgegeneilen, aber der harte Blick seiner Mutter bannte ihn am Platze.

„Fritz“, sagte die hagere grauhaarige Frau anklagend, „weshalb ließest du mich und dein Kind all die Jahre über deinem Verbleib im Unklaren?! Weshalb nennst du dich plötzlich Holger Jörnsen?!“

Der einstige Steuermann des Triton, der zusammen mit seinem unglücklichen Vater damals vor achtzehn Jahren den sinkenden Golddampfer verlassen hatte, sah seine strenge Mutter seltsam vorwurfsvoll an.

„Ich hatte eine heilige Mission übernommen, Mutter“, erklärte er schlicht. „Du weißt, daß unser Name mit dem schweren Makel eines Verdachts behaftet war. Du kennst die niederträchtigen Gerüchte, die meinen Vater, unseren Vater in den Tod trieben. Das Wrack des Triton wurde nie gefunden, und böse Zungen behaupteten, wir hätten uns an dem Golde bereichert, das heißt also, Vater und ich hätten das Wrack geplündert und nachher gesprengt. Die Menschen besitzen ja eine besondere Fertigkeit darin, alles zu Ungunsten anderer auszuwerten. Ich war als Taucher ausgebildet, – als Taucher sollte ich das Wrack geleert haben. All das ist Lüge, Verleumdung. Aber ich ahnte, daß es bei dem Unfall nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Meine Frau starb, – das gab den Ausschlag. Ich ging scheinbar in die Fremde, nach Mexiko. Die Schuldigen sollten sich in Sicherheit wiegen. Aber sie waren vorsichtig. Sie fingen mich … Sieben Jahre hielten sie mich gefangen. Dann entfloh ich und begann ihnen nachzuspüren. Glaubst du, ich habe mich nicht nach meinem Kinde und nach dir gesehnt in all meiner Einsamkeit? Glaubst du, es wurde mir leicht, euch beiden nicht einmal Geldsendungen zukommen zu lassen, da ich eure Not kannte? Aber der Spione und Feinde waren zu viele … Sollte ich mein Leben aufs Spiel setzen, nachdem diese erbarmungslosen Schurken mir bereits fast das Augenlicht geraubt hatten? – Ich hatte eine Mission, Mutter … Der Name Menzel und damit der meines Kindes sollten rein werden von jeglichem Verdacht. Du bist hart geworden … Ich auch. Ich verstehe dich, Mutter. Aber ich konnte nicht anders handeln, das wirst du später begreifen.“

Bisher hatte unser Sonnenscheinchen den wiedererstandenen Vater nur immerfort aus tränenumflorten Augen mit versteckter sehnender Zärtlichkeit angeschaut, jetzt riß sie sich aus der Umklammerung der Großmutter los und flüchtete mit einem freudigen Aufschluchzen an ihres Vaters Brust.

Harst zog mich schnell ins Nebenzimmer.

Wir beide waren bei dieser Wiedersehensszene überflüssig. Wir gingen nach hinten in den kleinen Hof hinab, und hier, wo unser Hühnervolk uns lustig umgackerte und unsere zahmen Kaninchen ihre Nasen zutraulich an unseren Beinen rieben, sagte mein Freund mit jener monotonen Stimme, deren Klangfarbe gleichfalls ein Zeichen stärkster geistiger Konzentration ist, mit hellseherischer Bestimmtheit: „Ich wette, mein Alter, daß Fritz Menzel seine Gegner nicht einmal kennt. Das mag dir höchst unwahrscheinlich klingen, aber seine Andeutungen weisen darauf hin, daß er selbst noch im Dunkeln tappt, und wenn du dir seinen Bericht über seine nächtlichen Beobachtungen ins Gedächtnis zurückrufst, ferner auch sein Anliegen an uns, das durchaus ernst gemeint war, wie wir nun wissen, dann mußt du mir beipflichten.“

„Und weshalb nennt er sich hier Holger Jörnsen?!“, warf ich nachdenklich ein. „Weshalb wohnt er bei Anna Jörnsen?!“

„Das sind Fragen, die er uns sehr bald beantworten wird. Ich glaube nicht, daß der echte Holger Jörnsen tot ist … Es sei denn, daß Peter Petersen, der Tote, um den sich jetzt alles dreht, gar nicht der Sohn des ehemaligen Reeders Petersen aus Hamburg ist …“

Er zuckte etwas hilflos die Achseln. „Ein schwieriger Fall, mein Alter … sehr schwierig. Wenn ein kriminelles Problem bis in eine Vergangenheit, die achtzehn Jahre zurückliegt, hinübergreift, dann sind die Fährten längst verweht, dann richtet nur der eiskalte logische Verstand etwas aus – – nur! – Oh – – Sonnenscheinchen, – – nun, kleine blonde Inge, wir gratulieren herzlichst zu dem wiedergefundenen Vater!“

Das junge ranke Mädel stand uns mit ernstestem Gesichtchen gegenüber.

„Herr Harst, in den ersten Freudenrausch fiel so mancher bittere Tropfen“, sagte sie leise und bekümmert. „Vater möchte Sie sprechen … Es ist alles so … ungeklärt, so widerspruchsvoll … Vater meint, wenn Sie nicht helfen, kann er seine Bemühungen als zwecklos aufgeben …“

„Er kennt also seine Feinde nicht?“

„Nein … Das ist es ja, er kämpft all die Jahre gegen Gespenster, wie er sich ausdrückt … Kommen Sie bitte, es drängt ihn, sich Ihnen anzuvertrauen …“

Fritz Menzel saß uns gegenüber, und wir hörten seine Geschichte wortlos mit an. Es war der Dornenpfad eines zähen Charakters und ein Abenteuerroman, mit dem man einen ganzen Band füllen könnte.

Ich beschränke mich auf das zum besten Verständnis Notwendigste. – Menzels Verdacht, daß ein sorgfältig geplanter Anschlag auf den Golddampfer stattgefunden hätte, stützte sich auf zwei unumstößliche Tatsachen: Die Stelle im Kanal unweit der englischen Küste, wo der Triton im Nebel urplötzlich auf ein Riff aufgelaufen zu sein schien, war in Wirklichkeit frei von allen Untiefen. Zweitens: Der starke Stoß, den der Dampfer erhielt und der den Schiffsboden aufriß, so daß sofort ungeheure Wassermengen hineinfluteten und sogar die Schottentüren durch den Wasserdruck gesprengt wurden, konnte auch eine Explosion gewesen sein. Menzel vermutete, daß eine Höllenmaschine, die im Kielraum sich entlud, das Unheil herbeigeführt habe. Als er dann nach seines Vaters und seiner Gattin Tode Hamburg auf einem nach Mexiko bestimmten Dampfer verließ, merkte er schon in London, wo das Schiff seine Ladung ergänzte, daß er beständig beobachtet wurde. Er zog es daher vor, die Reise fortzusetzen, obwohl es seine Absicht gewesen, zunächst in England zu bleiben, und hier seine Ermittlungen zu beginnen. Aber selbst in Mexiko spürte er überall diese geheime Überwachung, er begab sich daher ins Innere des Landes, arbeitete auf einer deutschen Hazienda und hoffte, soviel Geld zurücklegen zu können, daß er nach einiger Zeit abermals seine Ermittlungen in England aufnehmen könnte. Über anderthalb Jahre hielt er sich auf diese Weise verborgen, korrespondierte mit seiner Mutter nur durch Vermittlung eines in Mexiko-Stadt wohnenden Freundes, dann wurde er eines Nachts von Maskierten überfallen und im Auto verschleppt und sieben Jahre auf einer Insel im Golf von Mexiko gefangen gehalten. Seine Wächter waren mexikanische Banditen, die von einem Unbekannten bezahlt wurden. Man folterte ihn, um aus ihm herauszupressen, weshalb er Hamburg verlassen hätte und wie er über den Untergang der Triton dächte. Die Schurken raubten ihm fast das Augenlicht. Er blieb dabei, daß er aus Schmerz um den Verlust seiner Frau nur Hamburg verlassen hätte. Er verriet nichts von seinen Absichten und Vermutungen, und endlich gelang ihm eine wahrhaft tollkühne Flucht mit Hilfe seines Freundes Holger Jörnsen, der in selbstloser Treue keine Mühe gescheut hatte, seinen Verbleib auszukundschaften.

Menzel, nur noch ein Skelett und durch Fieber und schlechte Ernährung an den Rand des Grabes gebracht, brauchte ein volles Jahr, die Folgen seiner Haft zu überwinden, und diese endlosen Monate, die die Freunde als Jäger und Fallensteller in den Hochsteppen Nordmexikos verlebten, bescherten ihnen zufällig die notwendigen Barmittel, den Kampf gegen die selbst Holger Jörnsen unbekannten Gegner späterhin mit Nachdruck aufzunehmen. – Ich lasse nun Fritz Menzel weitererzählen …

 

7. Kapitel.

Und nochmals das Lackschränkchen.

„… Bei einem wochenlangen Ausflug nach der Sierra Madre schweißte Holger einen Puma an, der in eine Felsenhöhle flüchtete. In dieser Grotte fanden wir eine Goldader, bauten sie mit primitivsten Mitteln ab und gewannen etwa fünf Zentner Goldkörner. Mit einer Maultierkarawane begaben wir uns abermals neun Monate später nach dem Hafenort Alcante am Pacific, verkauften das Gold, erwarben einen Motorschoner und segelten nach Hongkong. Wir traten als Mexikaner auf, spielten die ehrbaren Frachtschiffer und hatten inzwischen Holgers Schwester Anna, Holgers Liebling, ins Vertrauen gezogen. Sie mußte in Berlin neben der Plätterei meiner Mutter Wohnung nehmen und dort achtgeben, ob etwa auch meine Mutter überwacht würde. In Hongkong erreichte uns Annas Antwortbrief. Unsere Annahme, daß auch meine Mutter von Spionen umgeben sei, wurde durch Anna Jörnsen bestätigt. Es war mir daher unmöglich, meine Mutter und mein Kind durch Geld zu unterstützen, wir wollten uns auf keinen Fall abermals die brutale Meute auf den Hals hetzen lassen. Wir erkannten immer deutlicher, daß der Triton von Leuten versenkt, ausgeplündert und nachher gesprengt worden war, die nicht nur über unbegrenzte Geldmittel, sondern auch über die heimliche Unterstützung amtlicher Stellen verfügten.

In Hongkong blieben wir mehrere Monate, ließen zum Schein den Motorschoner ins Dock bringen und gaben Anna Jörnsen durch Radiodepeschen, die stets chiffriert waren, genaueste Verhaltungsmaßregeln … Endlich stachen wir wieder in See, gerieten im Gelben Meer in einen Taifun, und hier traf mich der härteste Schlag: Holger wurde über Bord gespült, eine Rettung war unmöglich, zumal wir selbst Mühe hatten, nicht auf die Riffe der winzigen Inselgruppe der Hai-Wu-Eilande geworfen zu werden. Der Hauptmast knickte, ich wurde von einer Spiere getroffen, die Besatzung meuterte und legte mich mit einer schweren Kopfverletzung irgendwo an der südchinesischen Küste bewußtlos auf den Strand.

Ich war ein Bettler geworden, chinesische Fischer pflegten mich gesund, schließlich geriet ich französischen Werbern in die Hände und wurde in die Fremdenlegion eingereiht, verpflichtete mich halb freiwillig für fünf Jahre, nur um wieder ein wenig Geld zu sparen und aufs Neue als Ungenannter irgendwo unterzutauchen, denn – dies ist das Wichtigste – die Meuterei auf unserem Schoner hatte mir eindeutig bewiesen, daß unsere Mannschaft auf fremden Befehl gearbeitet hatte!“

Fritz Menzels scharfe Züge zeigten jetzt einen Ausdruck unverständlichen Hasses. Seine Stimme wurde heiser und unbeherrscht, denn die Erinnerung an all das, was man an ihm verbrochen, brachte selbst sein kühles Blut zur Siedehitze.

„… Meine Hoffnung, in der Fremdenlegion ein sicheres Versteck gefunden zu haben, war trügerisch gewesen. Die fast allmächtige Hand, deren Krallenfinger ich nun seit so vielen Jahren spürte, machte sich auch in der hinterindischen französischen Kolonie bemerkbar. Ich wurde eines geringfügigen Vergehens wegen sehr schwer bestraft, und nur ein Glückszufall verschaffte mir nach Jahren die Freiheit zurück. Ich entfloh, wurde Matrose, gelangte auf Umwegen nach Deutschland und hier nach Berlin, wo Anna Jörnsen, die mich insgeheim stets geliebt hatte, mir einen frohen Empfang bereitete. Zum Glück hatten Holger und ich schon von Hongkong aus an Anna eine größere Geldsumme überwiesen, ich kaufte hier ein Auto, nahm mir einen zuverlässigen Chauffeur, lebte aber ganz zurückgezogen und benutzte Holgers Papiere als meine eigenen und trat als Holger Jörnsen auf. Meine Absicht ging dahin, festzustellen, ob die Überwachung meiner Mutter, die in den letzten Jahren eingestellt worden war, von neuem beginnen würde. Nur deshalb beobachtete ich alle Vorgänge in der Inselgasse aufs allerschärfste, nur deshalb traf es sich, daß ich Zeuge jener Versenkung der Leiche Petersens wurde und daß ich nunmehr einen Anlaß hatte, Ihre Hilfe, Herr Harst, zu erbitten und endlich mein Kind aus nächster Nähe wiederzusehen und zu sprechen. – Hiermit, Herr Harst, wäre mein Bericht beendet. Zusammenfassend betone ich nochmals, daß ich heute genau so wenig weiß, wer den Triton versenkt hat und wer meine Feinde sind, wie vor achtzehn Jahren.“

Er holte tief Atem, zwang sich zur Ruhe und fügte noch hinzu: „Bedenken Sie: Achtzehn Jahre bin ich ein gehetztes Wild! Unglaubliches habe ich erlitten! Mein Herz ist steinhart geworden. Ich habe denen, die mich foltern ließen, die kein Mittel scheuten, mich unauffällig aus dem Wege zu räumen, Rache geschworen, und ich werde diesen Schwur halten. Ich frage Sie beide: Wollen Sie mir beistehen? Wollen Sie mit Ihrer Erfahrung und Ihrer speziellen Kenntnis krimineller Zusammenhänge meine Verbündete werden? Ich betone gleichzeitig auch die Gefahren, denen Sie sich aussetzen, denn die Gegner sind allmächtig und …“ – er starrte finster vor sich hin – „bereits wieder hinter mir her. – – Bitte!!“

Er riß ein Papier aus der Tasche. „Da haben Sie den Beweis! Heute früh erhielt ich diese polizeiliche Vorladung …: Wegen unrichtiger Angaben bei der polizeilichen Anmeldung … und so weiter! Mithin bin ich denunziert worden!“

Er sprang auf.

Die Erregung riß ihn hoch.

„Herr Harst, der ehrliche deutsche Name Menzel, seit Generationen der Name braver Seeleute, ist entehrt worden, meinen Vater trieb man zum Selbstmord, meine Mutter und mein Kind mußten in dürftigen Verhältnissen sich durchs Leben schlagen, meinen Freund Holger und mich wollte man vernichten! Herr Harst, ich allein richte nichts aus! Helfen Sie mir!“

Harst streckte ihm die Hand hin. „Selbstverständlich helfen wir Ihnen! – Nehmen Sie wieder Platz … Ihre Geschichte muß die stärkste Anteilnahme wecken. Noch nie begegnete mir ein Mann, dem eine Bande von Verbrechern derart zugesetzt hat wie Ihnen. Achtzehn Jahre Verfolgung, Leid, Gefahren, Entbehrungen, – – auch mein Blut empört sich über solche Heimtücke. Und doch, mein lieber Landsmann, müssen wir mit kalter, klarster, durch keinerlei Empfindungen beeinflußten Verstandesarbeit diesen Kampf weiterführen. Ja, – Sie sind denunziert worden, Ihre Feinde sind in Berlin, und diese Feinde haben … Angst vor Ihnen! Zweifellos wissen Sie irgend etwas, das den Schurken gefährlich werden kann. Zweifellos sind Sie selbst sich darüber nicht ganz im klaren, wie leicht Sie die ermitteln können, die Sie vernichten möchten … Das ist es, lieber Menzel: Sie haben Waffen gegen Ihre Feinde in Händen, von denen Sie nichts ahnen!“

Menzel blickte Harst kopfschüttelnd an. „Ich wüßte nicht, worin diese Waffen bestehen sollten, Herr Harst.“

„Das werden wir herausbringen …“ – Es hatte geklopft, Frau Anna Menzel trat ein und bat uns zu Tisch. Es war inzwischen drei Uhr nachmittags geworden.

Während wir fünf im Eßzimmer dem bescheidenen Festmahl alle Ehre antaten und der alte Rotwein Blond-Inges strahlende Augen noch glänzender färbte, erzählte Harst, wie wir den nächtlichen Dieb der Fotografien beobachtet hatten.

„Liebe Freunde“, erklärte er im Anschluß hieran, „dieser schnelle Diebstahl beweist für mich folgendes. Der Unbekannte mit dem Angelstock und der Strickleiter hatte es nur auf die Fotografien abgesehen, er kannte das chinesische Schränkchen und den Geheimverschluß der Schieblade, und diese Bilder enthielten eben einen Hinweis auf Ihre Feinde, lieber Menzel … Deshalb wurden sie gestohlen.“

Er wandte sich Frau Menzel zu. „Bitte, teilen Sie mir genau mit, was diese Bilder darstellten und wer sich auf den Gruppenaufnahmen befand. Rufen Sie sich alles, was die Fotografien angeht, genau ins Gedächtnis zurück, – auch Sie, Fräulein Inge!“

Nach einigem Hin und Her von Fragen und Antworten zwischen Großmutter und Enkelin fiel der Name Peter Petersen …

Menzel legte klirrend Gabel und Messer auf den Teller. Er war ganz bleich geworden.

„Herr Harst, das ist unmöglich!“, rief er heiser. „Gewiß, Petersen ist der Tote, davon habe ich mich heute früh überzeugt, sein Bild hängt im Polizeipräsidium …“

„Nun also … – War Peter Petersen damals mit an Bord der Triton?“

„Ja … ja, – – als Passagier, als Sohn des Reeders Georg Petersen, dem ja der Dampfer gehörte …, – zu seinem Vergnügen machte er die Reise mit …“

„Kannte er das Lackschränkchen?“

„Gewiß. Mein Vater hatte dem alten Petersen genau dasselbe Schränkchen aus China mitgebracht …“

Urplötzlich wurde der festlich gedeckte Tisch in unserem Zimmer zur Anklagebank. Unsichtbare Beschuldigte wurden gleichsam durch die unerbittliche Logik meines Freundes herbeizitiert, und was bis dahin dunkelstes Geheimnis gewesen, erhob sich aus der Finsternis zum grellen Lichte unumstößlicher Schlußfolgerungen.

„Es tut nie gut, wenn ein Deutscher eine Ausländerin heiratet, die einem Volke angehört, von dem Deutschland stets insgeheim gehaßt wurde“, schloß Harst seine Ausführungen. „Das fremde Blut solcher Nationen vergiftet ganze Familien … Am allertragischsten und am allerverhängnisvollsten zeigt sich dies für unser Volk an den standesgemäßen Ehen regierender Fürstenhäuser. Ein Bismarck kämpfte gegen diese Überfremdung, und im Weltkrieg geschah noch weit Ärgeres: Der Landesverrat, der Hochverrat wurde von den nächsten Angehörigen regierender Häuser betrieben! – Der Fall „Triton“ ist nur ein neuer Beweis für die Notwendigkeit eines Gesetzes, solche Ehen zu verbieten. Eine Französin, eine Engländerin, eine Dänin, eine Belgierin kann durch eine Ehe nie eine Deutsche werden, sie wird stets so weiterempfinden, wie sie es mit der Muttermilch eingesogen hat, und niemand kann ihr das zum Vorwurf machen, denn auch wir würden eine Deutsche verachten, die ihr Nationalgefühl etwa durch eine Heirat von sich wirft wie ein unmodernes Kleid!“

 

8. Kapitel.

Der Fluch des Goldes.

In einer Villa im vornehmsten westlichen Vorort Berlins, die unlängst an eine Frau Lydia Elsen möbliert vermietet worden war, saßen am Abend dieses ereignisreichen Septembertages vier Personen um den Prunkkamin des großen Salons und unterhielten sich mit vorsichtig gedämpften Stimmen über Dinge, die zu gefährlicher Natur waren, als daß auch nur ein einziges lautes Wort davon in die Öffentlichkeit dringen durfte.

Die Villa gehörte einem jener Millionenbetrüger, die trotz allerbester Beziehungen zu höchsten Stellen doch schließlich mit der Staatsanwaltschaft Bekanntschaft gemacht, und nach Preisgabe einer Kaution die sicheren Berge der Schweiz aufgesucht hatten. (Meine Geschichte spielt zur Zeit der ersten Prozesse gegen diese schamlosen Aussauger.)

Die Mieterin der Villa und ihre drei Neffen Albert, Arthur und Berty Elsen zeigten in Gesichtsschnitt, Gestalt und sogar in den feineren Einzelheiten ihres Benehmens und der sparsamen Gesten eine verblüffende Ähnlichkeit und Gleichmäßigkeit. Für geschärfte, erfahrene Blicke waren dies unzweideutige Anzeichen einer Ahnenreihe, der die Blutauffrischung durch Heiraten außerhalb eines eng begrenzten Kreises fehlte. Diese verschiedenartigen Merkmale von Degeneration traten bei den drei Männern noch stärker hervor. Sie waren bis zu den wie eingemauert in den Augenwinkeln sitzenden Eingläsern die typischen Vertreter des Hochadels eines Landes, das in der Politik niemals irgendwelche Skrupel gekannt oder auch nur die bescheidensten Anforderungen an Anstand und Rücksichtnahme als im Völkerleben unerläßliche Gegenseitigkeitsverpflichtung anerkannt hat.

Die Geschichte des gräflichen Hauses Elsen-Elsenhoop war gekennzeichnet durch Verschwendungssucht, Schwinden der Familiengüter, reiche Heiraten und ärgste Bloßstellung einzelner Mitglieder. Frau Lydia Gräfin Elsen hatte erst einen deutschen Großindustriellen mit ihrer aristokratischen Hand beglückt, sich jedoch von ihm nach dem unglücklichen Kriegsausgang schleunigst scheiden lassen.

Albert Elsen hatte soeben, indem er frische Holzscheite in den Kamin warf, unwillig geäußert: „Ihr nehmt die Sache zu leicht … Daß „er“ nun gerade mit dem Menschen sich zusammengetan hat, erfordert allergrößte Wachsamkeit.“

Sein jüngerer Bruder Arthur meinte wegwerfend: „Zaubern kann auch dieser Herr nicht. Bisher ist Menzel vollkommen ahnungslos. Die einzige Gefahr war das da …!“ Er zeigte auf einen Stoß Fotografien, die auf dem Tischchen unweit des Kamins lagen.

Die weißhaarige Frau, die steif wie ein Stock in ihrem Sessel saß und deren Züge ein unerträgliches Maß von Hochmut und Anmaßung zeigten, sagte schneidend: „Dieser Diebstahl war ein böser taktischer Fehler von dir, lieber Arthur, ich betone dies nochmals.“

Arthur Elsen-Elsenhoop lächelte gelangweilt. „Den ärgeren Fehler hat Berty begangen … Peters Autounfall durfte niemals in so umständlicher Weise … hm … sagen wir … fortgesponnen werden.“

Die Gräfin führte ihr Lorgnon langsam an die Augen und musterte ihre Neffen nacheinander mit eigentümlicher Eindringlichkeit. „War es ein Unfall …?“, meinte sie zweifelnd, indem sie jedes Wort argwöhnisch reckte und dadurch dieser halben Frage und halben Behauptung eine besondere Bedeutung gab.

Albert Elsen erwiderte schroff: „Wenn du es wünschest, können wir ja Trauer um den teuren Vetter anlegen, sobald du selbst mit gutem Beispiel vorangehst!“ Der unglaubliche Zynismus dieser Sätze veranlaßte die Gräfin lediglich zu der matten Zurückweisung: „Du benimmst dich wie ein Plebejer!“

Der älteste Elsen-Elsenhoop schleuderte seine Zigarette in die Kaminglut. „Meine Nerven beginnen zu streiken …! Ich sehe weiter als ihr alle. An diesem verwünschten Golde haftet ein Fluch. Was hat es uns beschert?! Etwa ein sorgloses Dasein?! Nein, nur eine immerwährende Angst vor Entdeckung, eine ewige Hetzjagd, eine demütigende Gemeinschaft mit erkauften Schurken und jetzt schließlich noch das Allerschlimmste: Harst als Verfolger!! Unterschätzt diesen Mann nicht! Mir gefällt es zum Beispiel gar nicht, daß Svendsen, der immerhin der zuverlässigste unserer Leute war, seit heute nachmittag verschwunden ist. Wo steckt der Bursche? Er sollte Savigli aushorchen – als Impresario Smith, Gulliver Smith … Auch das war deine Idee, Berty. Du hast nichts als Dummheiten angestellt.“

Berty, der jüngste, aber auch der verlebteste, glättete grinsend seinen dünnen Scheitel und zeigte all seine blendend weißen Vorderzähne unter den hochgezogenen, etwas wulstigen Lippen. „Wenn man eine Sache übernimmt, die brenzlich aussieht“, sagte er hochfahrend, „muß man sie auch in demselben Sinne zuendeführen, mein lieber Albert. Savigli kann uns abermals viel nützen.“

„Also war es doch … kein Unfall“, meinte die Gräfin leise und zog den bunten Seidenschal fester um die Schultern.

Niemand antwortete ihr. Die drückende Stille wurde nur ausgefüllt durch das Knistern und Knallen der Buchenscheite.

Die Gräfin Lydia betrachtete abermals ihre Neffen mit scheuer Eindringlichkeit und rückte fröstelnd ihren Sessel näher an den Kamin heran. Sie wagte nichts mehr zu fragen. Sie hatte ja auch die entsetzliche Wahrheit geahnt.

Albert Elsen erhob sich. „Die Bilder müssen verschwinden! Ich … fürchte mich!“ Ein feindseliger Blick streifte die weißhaarige elegante Frau. Er nahm die Fotografien und warf sie in den Kamin, nur drei behielt er in der Hand und besichtigte sie eingehend. Es waren Gruppenaufnahmen. „Wie jung waren wir damals!“, sagte er bitter. „Und wie rein war unser Gewissen, – falls wir überhaupt ein Gewissen haben, wir Elsens, was ich bezweifele. Adel, Hochadel …!! Wie blutiger Hohn klingt es! Adel verpflichtet. Wir haben nie Pflichten gekannt. Wir haben nur das Nichtstuerdasein unserer Vorfahren fortsetzen wollen, und als du uns den Tipp mit dem Goldschiff gabst, Tante Lydia, kam bei uns das Seeräuberblut zum Durchbruch.“ Er sprach es mit rücksichtsloser Brutalität.

Dann schleuderte er auch die letzten drei Bilder in die Flammen …

 

9. Kapitel.

Das Geständnis …

Savigli war außerordentlich überrascht gewesen, als er den angeblichen Impresario Gulliver Smith gegen alles Erwarten nochmals in seinem Stammkaffee auftauchen und auf seinen Tisch zusteuern sah. Nachdem sie sich dann eine halbe Stunde über alle möglichen Dinge flüsternd unterhalten hatten, kam es Savigli sehr gelegen, daß ein Bekannter ihn abseits winkte.

„Entschuldigen Sie mich, Herr Smith … Ein Kollege …“, – und dieser Kollege gab ihm endlich die gewünschte Gelegenheit, heimlich in der Telefonzelle zu verschwinden.

Bei uns in der Arnoldstraße schnurrte der Apparat auf Haralds Schreibtisch gerade in dem Augenblick, als nun auch Fritz Menzel und ich uns über die straff gespannte Gummihaut des gefärbten Teufels beugten, auf der jetzt in blassem Rot klare Schriftzüge zu erkennen waren.

Peter Petersens Geständnis erschütterte uns beide genau so, wie es Harst zu einigen wichtigen Bemerkungen veranlaßt hatte.

Berlin, 2. Sept. 192…

Ich, Peter Petersen, einziges Kind des verstorbenen Reeders Georg Petersen, habe dieses elende Dasein jetzt endlich satt. Gewissensbisse werden mich zum Selbstmord treiben, falls nicht meine Mitschuldigen mir diesen letzten Entschluß von sich aus erleichtern oder ihm vorgreifen.

Heute ist es zwischen mir und meinen Verführern, denn ich bin ein Verführter, zu einer Aussprache gekommen, die die letzten Verbindungen zwischen uns zerriß. Wenn ich trotzdem diese Menschen schone, die mir fremder als fremd sind, so hat dies Gründe, die ich hier nicht anführen darf – – nicht darf, weil ich jemanden gleichzeitig preisgeben müßte, der, grauenvolle Tatsache, Anspruch auf jede, jede Rücksicht hat.

Ich bin von Kindheit an, obwohl Deutscher, in Haß gegen Deutschland aufgezogen worden. Man hat mir diesen Haß eingeimpft, man hat mein Kinderherz mit diesem Haß vergiftet … Derselbe Haß machte mich vor achtzehn Jahren zum willfährigen Werkzeug von bösartigen Nichtstuern.

Ich gestehe hier, daß ich den Dampfer Triton, Kapitän Jochem Menzel, durch eine Höllenmaschine im Kanal vor achtzehn Jahren zum Sinken brachte und daß ich mit dabei half, die Goldbarren zu bergen und das Wrack zu sprengen.

Da ich mich innerlich längst von meinen Mitschuldigen losgesagt und mich von ihnen getrennt habe, schrieb ich mich hier in Berlin in der Pension Grotthus mit voller Absicht als „Milliardär“ ein und mietete eine zweite Wohnung unter dem Namen Peters am Fehrbelliner Platz. In dieser Wohnung, die meine Mitschuldigen und jetzigen Verfolger bisher nicht aufgespürt haben, liegt der Überrest meines Beuteanteils von damals unter einem von mir hergestellten Versteck im Schlafzimmer. Außerdem habe ich für alle Fälle (also für den Fall, daß man mich beseitigt) in meinem Herrenzimmer dort über dem Schreibtisch genau dasselbe Geständnis wie dieses in derselben Art – als harmloses Spielzeug – angebracht und meine dortige Wirtin, eine feine alte Dame, gebeten, das Teufelchen mit einem versiegelten Brief der Polizei zu übergeben, falls ich vierzehn Tage lang nichts von mir hören ließe.

Ich betone nochmals, daß ich ein Opfer unseliger Verhältnisse geworden bin und meine Tat genau so bitter bereue wie meine spätere Beteiligung an den vielfachen Anschlägen, die meine Mitschuldigen aus Furcht gegen den Steuermann Fritz Menzel anzettelten.

Peter Petersen.

(Fehrbelliner Platz 19 bei Frau Geheimrat Köster.)

Harst hatte inzwischen mit Savigli telefoniert und dem Filmschauspieler die Weisung gegeben, den angeblichen Gulliver Smith in dem Kaffeehaus noch zurückzuhalten, nötigenfalls durch eine erdichtete Erzählung über unser Eingreifen und unsere Tätigkeit im Pensionat Grotthus.

Fritz Menzel, der bisher nicht so recht davon überzeugt gewesen, daß meines Freundes Schlußfolgerungen wortwörtlich stimmen könnten, da er bei seiner Charakterveranlagung einen solchen moralischen Tiefstand für undenkbar hielt, saß nun vollkommen verstört in seinem Sessel und murmelte nur immer wieder:

„Wie ist so etwas möglich!!, – – wie ist so etwas möglich!“

Harst hob den Hörer von neuem von der Gabel und rief das Polizeipräsidium an. Der Leiter der Kriminalabteilung versprach, sofort zu uns zu kommen und auch „Gulliver Smith“ sofort in aller Stille verhaften zu lassen.

Gegen sieben Uhr erschien Oberregierungsrat Kloppmann, der nicht gerade zu unseren Gönnern gehörte, bei uns und brachte zwei seiner Kommissare mit.

Die Begrüßung fiel etwas sehr förmlich aus.

„Herr Harst, Ihre Andeutungen am Telefon, daß Peter Petersen absichtlich von einem Auto überfahren wurde“, erklärte er sofort, „kamen mir zuerst etwas unglaubwürdig vor. Inzwischen hatten wir jedoch den Toten nochmals durch unsere Ärzte genau untersuchen lassen, und diesen Bericht über den neuen Befund las ich gerade, als ihr Anruf erfolgte. Man hat nun in der Schläfenwunde Petersen Steinsplitterchen entdeckt, und diese sowie die Rippenbrüche haben meine Zweifel doch erheblich abgeschwächt.“

Harst reichte ihm schweigend das Brett mit dem straff gespannten Gummiteufel: Petersens Geständnis, das er bei sich getragen hatte, als die Elsens ihn für tot in sein Zimmer schafften.

Der Oberregierungsrat las, las nochmals. Sein Gesichtsausdruck wurde immer steinerner und drohender …

„Herr Harst, – wer sind diese Mitschuldigen Petersens?“, rief er halb befehlend. „Ich möchte die ganze Wahrheit wissen!“

„Die Mitschuldigen“, erwiderte mein Freund düsteren Tones, „sind Petersens Mutter und deren drei Neffen …“

Der Beamte fuhr hoch. „Was sagen Sie da?! Das ist ja unmöglich …! Eine geborene Gräfin Elsen und …“

„Gestatten Sie, ich will Ihnen den ganzen Fall des seltsamen Milliardärs mit allen Einzelheiten schildern. Eingangs möchte ich bemerken, daß Peter Petersen sich im Pensionat Grotthus in bitterer Selbstironie und um seine Mitschuldigen zu ärgern, als „Milliardär“ anmeldete …“

Was er den gespannt lauschenden Herren der Polizei dann vortrug, kennt der Leser. Nur einige Sätze Harsts will ich hier wörtlich wiedergeben.

„… Der Hauptfehler der Elsens war der Diebstahl der Fotografien. Als Frau Menzel mir mittags erzählte, nachdem sie scharf nachgedacht hatte, wer alles auf den Gruppenbildern mit aufgenommen war, daß auf drei Fotos auch die Verwandten des Reedereibesitzers Georg Petersen, die ausländischen Verwandten, neben ihrem Manne und den Petersens zu sehen gewesen, da hatte ich die Bestätigung meines Argwohns erhalten, der in mir sofort aufgestiegen war, als ich mich mit Peter Petersens Eltern näher beschäftigte … – Die zweite Unvorsichtigkeit dieser vornehmen Verbrecher war der Raub der Leiche Petersens aus der Friedhofskapelle, die dritte die Benutzung des Chauffeurs Svendsen als Spion … – Wenn Sie Svendsen mitgebracht haben, lassen Sie ihn nachher vorführen …“

Der Chef der Kriminalpolizei war jetzt sehr still geworden. Er saß da und strich sich nachdenklich über die Stirn.

„Gerade jetzt können wir eine politische Verstimmung mit jenem Staate, zu dessen Hochadel die Elsens gehören, wenig brauchen“, meinte er zögernd. „Ich darf in dieser Sache nichts ohne die höchsten Regierungsstellen unternehmen. Gewiß, das Beweismaterial, das Sie zusammengetragen haben, Herr Harst, ist einwandfrei überzeugend, das gebe ich zu. Aber … nun, – – ich gebe Ihnen Nachricht, was die Regierung beschließt. Vorläufig besten Dank …“

 

10. Kapitel.

Hohe Politik und Gerechtigkeit.

Wir drei waren wieder allein. Fritz Menzel schritt mit finsterem Gesicht auf und ab. Harst schwieg.

Menzel blieb vor Harst stehen.

„Nun, was wird werden?!“, fragte er dumpf. „Soll der ehrliche deutsche Name einer alten Seefahrerfamilie auch fernerhin mit diesem Makel behaftet bleiben?! Sollten etwa politische Rücksichten über die Gerechtigkeit triumphieren?!“

Mein Freund hob etwas die Schultern.

„Lieber Menzel, es gibt Politiker fast aller Richtungen, die sich auf den Standpunkt stellen, daß den politischen Zielen alles geopfert werden darf, alles: Ehrgefühl, Ehrlichkeit, Menschenleben, – – auch das, was Sie Gerechtigkeit nennen. Es gibt viele solche Zwitterwesen mit so angefaulten Moralbegriffen in den allerhöchsten Staatsstellungen. Wie wäre es sonst möglich, daß Dinge totgeschwiegen werden, die einfach als Volksbetrug himmelschreiend sind! Man sagt: Eine Hand wäscht die andere. Heute müßte man sagen: Eine klebrige Hand macht die andere klebrig. Die Korruption zerfrißt als große Eiterbeule alle, alle einstigen strengen Anschauungen von der Unantastbarkeit der Ehrbegriffe. – Ich kann Ihnen genau voraussagen, was Oberregierungsrat Klappmann uns morgen mitteilen wird: Frau Lydia Elsen und ihre drei Neffen seien nachts im Flugzeug heimgekehrt, und die Beweise genügten doch nicht ganz, ein Auslieferungsverfahren zu beantragen oder gar die deutsche Öffentlichkeit und das Ausland mit diesen ungeklärten Dingen zu behelligen. Kurz: Die Geschichte wird totgeschwiegen werden wie unzählige andere, und uns wird man einen sehr eindeutigen Wink geben, gleichfalls gefälligst den Mund zu halten, sonst … ja, sonst könnte „im Staatsinteresse“ … und so weiter …“

Menzel reckte sich höher und schüttelte totenblaß die geballten Fäuste.

„Und – – und das wollen Sie als Deutscher dulden, Herr Harst?! Der arme Petersen ist ermordet worden, mein Vater ist gleichfalls …“

„Still!“, winkte Harald beschwichtigend ab. „Wer sagt Ihnen denn, daß ich nicht die Mittel und Wege kenne, diese kaltherzigen Schurken, Frau Lydia mit einbegriffen, trotz allem zu bestrafen …?! Allerdings, – wir müssen die Sache etwas geschickt anfangen … und … sofort handeln … – Geben Sie acht, lieber Menzel … Ich spiele nicht gern Henker, auch nicht indirekt, aber ich werde auch niemals untätig zusehen, wie diese vornehmen Piraten etwa gewarnt werden und in aller Stille ihnen die Flucht erleichtert wird …“

Er ging zum Schreibtisch und rief die von uns zumeist für nebensächliche Dienste benutzte Detektei Argus an. – „Hier Harst … – N’ Abend, Helmer … Schicken Sie sofort fünf Leute nach der Villenkolonie Dahlem hinaus, Miquelstraße 12 … Die fünf sollen sich so postieren, daß sie auffallen müssen … – Wann können Ihre Leute dort sein? – Gut, in einer Stunde.“ –

Neun Uhr abends … Ein hohler Regenwind heulte um die Villa der in der Schweiz wohlgeborgenen Herrn Bernhard Karty …

Frau Lydia Elsen und ihre ebenso schweigsamen Neffen saßen wieder um den warmen Kamin und nippten an ihren Teetassen und rauchten.

„Svendsen ist noch nicht zurückgekehrt“, sagte Albert Elsen dumpf.

Niemand antwortete.

Die Angst hockte zwischen den Schuldigen und schien als unsichtbares Gespenst Kälte auszustrahlen …

Frau Lydia erschauerte.

„Ihr habt Peter … ermordet …“, sagte sie tonlos. „Und Peter … war immerhin mein Sohn …“

Ihre Augen starrten ins Leere …

Niemand antwortete …

Das faltige hochmütige Antlitz der weißhaarigen Frau verfärbte sich immer mehr.

Müde, gebrochen erhob sie sich.

„Ihr … habt ihn … ermordet“, wiederholte sie noch tonloser … „Ich … hasse euch! Ja, – – es ist Haß …! Vielleicht der Haß, den die gemeinsame Schuld gebiert …“

Schleppenden Schrittes, trotzdem steif aufgerichtet und den Kopf etwas zurückgeworfen, ging sie zu der Tür …

An der Tür drehte sie sich nochmals um.

„An dem Golde haftet ein Fluch …“, sprach sie ins Leere hinein … „Wir Elsens trugen diesen Fluch schon vorher im Blute … Er heißt: Genußgier und Arbeitsscheu! Den Fluch übernahmen wir als klägliche Tradition von Geschlecht zu Geschlecht … Wir sind die letzten Elsens … – – Zum Glück! – – Lebt wohl!“

Sie wollte die Hand auf den Türdrücker legen.

Das Telefon schnurrte.

Albert Elsen eilte zum Tische …

„Hier Villa Karty …“

„Sagen Sie besser: Hier einer der Elsens …! Hier ist Harst … Ihr Chauffeur Svendsen wurde verhaftet, als er mit Savigli als Gulliver Smith über ein Engagement für das Jenseits verhandelte. Peter Petersen hat übrigens ein schriftliches Geständnis hinterlassen … Ich fürchte, die Kriminalpolizei hat Ihre Villa bereits umstellt … – Das wäre alles, – Schluß!“

Albert Elsen legte mit verzerrtem Lächeln den Hörer wieder weg. –

„Ja – – Schluß!!“, wiederholte er achselzuckend, trat ans Fenster, schlug die Vorhänge zurück und blickte auf die Straße hinab … Fünf Leute schritten dort in weiten Abständen hin und her …

„Wer rief an?“, fragte Frau Elsen ganz laut.

„Harst …!“

„Das ahnte ich … – Und die Villa ist bereits umkreist?“

„Ja … Gulliver Smith rät zu einem Engagement für das Jenseits“, witzelte Albert Elsen kaltblütig …

Frau Lydia verlieh den Salon … – –

* * *

„Nachdem die Gräfin Lydia Elsen und ihre drei Neffen den Tod einer Verhaftung vorgezogen hatten, besteht für die Polizei kein Hinderungsgrund mehr, die Öffentlichkeit mit einer äußerst seltsamen, achtzehn Jahre zurückliegenden …“ – und so weiter …

Dies lasen wir in den Morgenzeitungen.

Der Name Menzel war wieder fleckenlos wie einst, und unser Sonnenscheinchen schmückte jede Woche ein einsames Grab draußen auf dem Riesenfriedhof, wo das vergiftete Herz Peter Petersens den Tag des jüngsten Gerichts ohne Furcht erwarten darf … –

Der seltsame Milliardär hinterließ mir nichts als ein grellbuntes, gehörntes Gummiteufelchen, dessen Naht ich wieder zugeklebt habe. Aber dieses Spielzeug enthält einen tiefen, ernsten Sinn …

Wer Ohren hat, zu hören, der hat gehört.

 

Nächster Band:

Die roten Pantöffelchen.