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Die Brillantbrosche

 

Die Brillantbrosche.

Von Walther Kabel-Halensee.

 

„Ja, mein lieber Fritz, ich weiß es aus bester Quelle. Kommerzienrat Bieler will sich heute aus den für den Redakteurposten in Betracht kommenden drei Bewerbern selbst den ihm am meisten Zusagenden auswählen. Daher hast du auch diese Einladung zum heutigen Abend erhalten. Der große Verleger und Zeitungskönig wird so Gelegenheit finden, euch drei ganz unauffällig kritisch unter die Lupe zu nehmen. Sei also vorsichtig, mein Junge..!“

Bei den letzten Worten schlüpfte mein Freund Doktor Weski in seinen Frack und zupfte dann seinen weißen Selbstbinder zurecht. Der Glückliche …! Er durfte in seiner Lage ruhig an derartige Äußerlichkeiten denken! Dagegen ich?! –

Welche Hoffnungen waren aber auch soeben in mir zerstört worden. Hoffnungen, die sich in den letzten drei Tagen sogar bis zu der Fata Morgana einer baldigen, fröhlichen Hochzeit und seligen Flitterwochen verdichtet hatten! War doch die Einladung zu Kommerzienrat Bieler von mir ganz anders aufgefaßt worden, eben als ein Beweis dafür, daß der allgewaltige Inhaber einer der größten Verlagsanstalten gerade mich für die ausgeschriebene Redakteurstelle seines neugegründeten aktuellen Wochenblattes ins Auge gefaßt habe. Und nun erfuhr ich – meine zwei heißesten Konkurrenten waren gleichfalls gebeten.

Da schreckte mich Weskis Stimme aus diesen trübseligen Gedanken auf.

„Mit dem Gesicht wirst du dem Kommerzienrat kaum imponieren!“ meinte er mit beißendem Spott. „Sicheres Auftreten, Schlagfertigkeit und Geriebenheit verlangt Bieler von seinen Mitarbeitern. Du mußt dir deine ganze Kaltblütigkeit bewahren, mußt geistreich sein wie Voltaire, schlagfertig wie Bismarck und unverfroren wie … na, wie ich selbst bin. Es gilt eben, deine beiden Nebenbuhler auszustechen, die Bieler sehr warm empfohlen sind.“

Wir saßen bei Bieler zu dreißig Personen bei der Tafel. Meine Konkurrenten waren leider gleichfalls erschienen und hatten sogar die beiden jüngeren Töchter des Zeitungsfürsten zu Tisch führen dürfen, eine Vergünstigung, bei der ich als Bräutigam natürlich nicht mehr in Frage kam. Freund Weski hatte seinen Platz neben dem ältesten Fräulein Bieler, was für mich weiter keine Überraschung bedeutete, da alle Welt schon von einer baldigen Verlobung zwischen den beiden munkelte und verschiedene, von mir beobachtete Anzeichen dieses Gerücht nur bestätigen konnten. Ich saß ziemlich „ausgebaut“ an einem Ende der Tafel zwischen zwei berühmten Operettenkomponisten, deren fast ausgelassene Fröhlichkeit nur zu sehr gegen meine fatalistische Ruhe abstach. In meiner halbverzweifelten Stimmung sprach ich den wirklich auserlesenen Weinen recht reichlich zu.

Endlich wurde die Tafel von der Hausfrau aufgehoben. Sofort schlängelte sich jetzt Freund Weski zu mir heran. Er zog mich in eine Fensternische des Salons und begann in empörtem Tone:

„Sag’ mal, Menschenkind, bist du denn wirklich völlig übergeschnappt?! Du hast ja bei Tisch allein zwei ganze Flaschen Sekt getrunken! Meinst du etwa, Bieler durch diese Unmäßigkeit imponieren zu können?“ Damit ließ er mich stehen und mischte sich wieder unter die anderen Gäste, die sich jetzt in der Mitte des Salons um den Hausherrn geschart hatten, der anscheinend irgend eine interessante Episode erzählte. Um nicht unhöflich-gleichgültig zu erscheinen, verließ ich ebenfalls die Fensternische und trat näher.

„Die Echtheit des Schmuckstückes ist unzweifelhaft,“ sagte gerade der Kommerzienrat mit seiner energischen, scharf akzentuierten Stimme. „Als ich es vor drei Monaten auf jener Auktion in Paris erstanden hatte, ließ ich es sofort von einigen mir befreundeten Kunstkennern prüfen. Sie alle bestätigten, daß es tatsächlich alte venetianische Arbeit sei, und Professor Rommler stellte dann durch langwierige Ermittlungen mit Hilfe des Wiener Staatsarchivs weiter fest, daß die französische Königin Marie Antoinette diese Brosche zwei Jahre vor ihrem furchtbaren Ende von ihrem Vater als Geburtstagsangebinde erhalten hatte. Ich habe den seltenen Schmuck also wirklich sehr billig gekauft, da die Brillanten darin allein einen Wert von zehntausend Mark repräsentieren.“

Die Brosche der Marie Antoinette wanderte nun von Hand zu Hand und wurde allgemein ihrer eigenartig schönen, altertümlichen Ausführung wegen bewundert. Eine halbe Stunde später bemächtigte sich plötzlich eine allgemeine Aufregung der Gesellschaft. Denn die peinliche Tatsache, daß die wertvolle Brillantbrosche, die die Kommerzienrätin in allzu großer Vertrauensseligkeit vorläufig auf eine Spiegelkonsole im Salon gelegt hatte, verschwunden war, ließ sich nicht länger verheimlichen. Alles machte sich auf die Suche. Man kehrte fast die ganze Wohnung um – ohne Erfolg! Das Schmuckstück war wie in den Erdboden gesunken.

Der dumpfe Druck, der nach dem Geschehenen auf allen lastete, ließ sich durch künstliche Mittel nicht beheben. Der weitere Verlauf des Abends litt sehr merklich unter dieser allgemeinen Verstimmung, und bereits nach etwa einer Stunde begann man langsam aufzubrechen. –

Weski forderte mich, nachdem wir die Bielersche Villa verlassen hatten, in etwas geheimnisvoller Weise auf, noch mit in seine Wohnung zu kommen. Er hätte mir Wichtiges mitzuteilen. Als wir dann in seinem Arbeitszimmer an dem runden Ecktischchen saßen, langte er in die Brusttasche seines Fracks und legte einen kleinen, in ein Stück Zeitung eingewickelten Gegenstand vor mich hin.

Vorsichtig entfernte ich das Papier von dem kleinen Päckchen. Wer konnte es mir verargen, daß ich gleich darauf entsetzt in die Höhe fuhr. Hielt ich doch nichts anderes in der Hand als die Brillantbrosche der Kommerzienrätin.

„Heinz,“ stotterte ich. „Heinz, was hast du getan …?! Du also hast dieses Schmuckstück ge…“ Ganz fassungslos starrte ich den Freund an. Was sollte ich nur von alledem halten –? Weski ein Dieb? – Unmöglich! Aber wozu konnte er nur …? –

„Mein lieber Junge,“ meinte er da plötzlich in väterlichem Tone, „höre und staune! Ich stahl die Brosche, um dir zu helfen!“

„Um – mir – zu – helfen –?“

„Ganz recht, nur aus dem Grunde! – Sieh mal, lieber Fritz, du verfügst ja über mancherlei ganz schätzenswerte Fähigkeiten. Nur eines geht dir völlig ab. Das, was der moderne Amerikaner mit „smartneß“ bezeichnet, eben jene geriebene, rücksichtslose Schlauheit, die beim Streben nach einem bestimmten Ziele vor keinem Mittel zurückschreckt. Und diese „smartneß“ hättest gerade du in deiner Lage sehr, sehr gut brauchen können. Besonders am heutigen Abend, wo alles für dich darauf ankam, bei Bieler Eindruck zu schinden, wie man zu sagen pflegt.“ Er machte eine kleine Pause und fuhr dann langsam fort: „Höre nun genau hin, was ich dir weiter zu sagen habe. Ich bereue es schon aus tiefstem Herzen, die Brosche gestohlen zu haben, und will sie daher der Eigentümerin möglichst bald wieder zustellen, ohne daß ich mich jedoch – und das ist wohl leicht zu verstehen – als Täter zu erkennen geben möchte.“

Da erst ging mir ein Licht auf. Ich begriff alles. Und die Bitte, die Freund Weski mir dann vortrug, versprach ich in dankbarer Freude wörtlich zu erfüllen. Als wir uns trennten, meinte er noch, mir ermutigend auf die Schulter klopfend:

„Die Sache hat gar keine Gefahr für dich, lieber Fritz, das siehst du doch ein. Außerdem werde ich wahrscheinlich sehr bald in der Lage sein, dem Kommerzienrat ein offenes Geständnis ablegen zu können.“

Am nächsten Morgen gegen neun Uhr machte ich mich auf den Weg nach der Bielerschen Villa und ließ mich bei dem Kommerzienrat melden.

„Herrn Kommerzienrat, ich habe Sie im Auftrage einer Person aufgesucht, der ich ehrenwörtlich versprochen habe, ihren Namen unter keinen Umständen zu nennen. Diese betreffende Person hat sich gestern in einer Anwandlung von unverantwortlichem Leichtsinn an fremdem Eigentum vergriffen, und zwar geschah dies in Ihrem Hause.“

„Es handelt sich um die Brosche meiner Frau?!“ Freudig erstaunt griff er danach, und dann streckte er mir dankbar die Hand entgegen und sagte, erleichtert aufatmend: „Sie haben mir soeben eine sehr, sehr große Freunde bereitet. Denn diese Brosche war mir gerade ihrer historischen Vergangenheit wegen unendlich viel wert. Und wie glücklich wird erst meine Frau sein! Kommen Sie bitte mit. Meine Damen sitzen auf der Gartenterrasse beim Kaffee. Sie müssen meiner Gattin selbst den Schmuck in die Hände legen.“

Als ich dann nach einer guten Stunde die Bielersche Villa wieder verließ, warf ich mich in den nächsten Taxameter und fuhr zu Freund Weski. „Wir haben gesiegt,“ jubelte ich. Und dann erzählte ich, in welch’ zuvorkommender Weise ich bei Bielers behandelt worden war. „Und als die liebenswürdigen Menschen mich endlich fortließen, Heinz, da nahm der Kommerzienrat, diese Perle von einem Manne, mich bei Seite und sagte mit festem Händedruck „Am ersten August können Sie Ihren Redakteurposten antreten,“ weiter nichts! –

Und nun, Heinz, nun wird Hochzeit gefeiert, nun bin ich ja nicht mehr – literarischer Buschklepper. Und alles durch dich, durch deine – deine –“

„Sag ruhig, „smartneß“, ich verdiene die Anerkennung wirklich so’n bißchen!“ –

Nebenbei – der Kommerzienrat hat dann acht Tage später, als Freund Weski sich mit Magda Bieler verlobte, den wahren Sachverhalt jenes Diebstahls von seinem neuen Schwiegersohne selbst erfahren.