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Die Geschichte zweier Perlenschnüre

 

Die Geschichte zweier Perlenschnüre. – Als der unglückliche König Ludwig II. von Bayern sich als Zweiundzwanzigjähriger im Frühjahr 1867 mit seiner schönen Base, der Herzogin Sophie von Bayern, verlobt hatte, schenkte er seiner Braut einen aus vierzig Perlen bestehenden Halsschmuck. Sehr bald zeigte sich jedoch, daß die Charaktere dieser beiden in ihrer äußeren Erscheinung so selten gleichwertigen Fürstenkinder zu verschieden waren, um eine eheliche Verbindung als wünschenswert erscheinen zu lassen. Dem feurigen Temperament Ludwigs, seiner hohen Begeisterung für Kunst und Wissenschaft brachte Sophie nur kühle Korrektheit und beinahe ablehnende Gleichgültigkeit entgegen. Die Verlobung wurde daher wieder gelöst. Erst auf wiederholtes Bitten Ludwigs II. verstand sich die Herzogin Sophie dazu, das wertvolle Perlenhalsband als Andenken zu behalten. Der junge König wurde nach der Trennung von ihr menschenscheuer denn je. Als Sophie sich ein Jahr darauf mit dem Herzog von Alençon vermählte, schloß Ludwig II. sich tagelang in seine Gemächer ein und schrieb an die Kaiserin Elisabeth von Österreich, eine Schwester Sophies, lange Klagebriefe. Am Vermählungstage seiner früheren Braut, am 28. September 1868, schickte er dann Elisabeth, mit der ihn eine warme Seelenfreundschaft verband, als Geschenk ein Halsband zu, das dem seiner einstigen Braut genau glich.

Der alte Spruch, daß Perlen Tränen bedeuten, hat sich in dem Geschick dieser beiden liebreizenden Frauen nur zu herb erfüllt. Mit furchtbarer Härte traf das Schicksal die Kaiserin Elisabeth. Traurig war das Ende ihres in Geistesumnachtung dahinsiechenden Vetters Ludwig, der ihr lieb gewesen. Drei Jahre später, im Winter des Jahres 1889, stand sie an der Bahre ihres einzigen Sohnes, des Kronprinzen Rudolf. Von da ab verbrachte die Kaiserin den größten Teil des Jahres auf Reisen oder in ihrer herrlichen Villa Achilleion auf Korfu. In diesem kleinen Erdenparadies ereilte sie die Schreckensnachricht, daß ihre Schwester Sophie am 4. Mai 1897 bei einem großen Basarbrande in Paris umgekommen sei.

Ein Zufall wollte es, daß die Herzogin von Alençon gerade an jenem Unglückstage das Perlenhalsband, das Geschenk ihres ersten Verlobten, getragen hatte. Die vom Feuer gänzlich geschwärzten Perlen wurden bei den Aufräumungsarbeiten noch vollzählig aufgefunden und nach einer Bestimmung im Testament der Toten ihrer Schwester Elisabeth übersandt. Die Kaiserin, die seit langem keinen Schmuck mehr trug, ließe sich jetzt zum ersten Male seit elf Jahren, seit dem Tode Ludwigs von Bayern, ihre Juwelen, die sie dem Wiener Hofjuwelier S. zur Verwahrung gegeben, wieder vorlegen, um diesen das Vermächtnis ihrer Schwester, den durch die Feuersbrunst verdorbenen Perlenschmuck, hinzuzufügen. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, daß Elisabeths Perlenhalsband gleichfalls fast wertlos geworden war. Die Perlen hatten, vielleicht weil sie lange eingeschlossen lagen, Glanz und Farbe eingebüßt, – waren erloschen.

Es bedurfte der ganzen Überredungskunst des Juwelenhändlers, um die Kaiserin zu einem Versuch zu bewegen, den einst so kostbaren Schmuckstücken wieder zu ihrer ursprünglichen Schönheit zu verhelfen. Die beiden Halsbänder sollten für längere Zeit in das Meer versenkt werden, da, wie S. erklärte, die Wissenschaft festgestellt habe, daß Perlen nur durch die Berührung mit dem Element, in dem sie geboren seien, wieder aufleben könnten. Der Juwelenhändler erbot sich, diesen Versuch persönlich zu überwachen. Aber Elisabeth wünschte die Perlenschnüre selbst dem Meere zu übergeben.

Bald darauf reiste sie nach Korfu. Und hier hat sie, wie aus den nach ihrem Tode gefundenen Aufzeichnungen hervorgeht, tatsächlich am Abend des 22. August 1898 die beiden Schmuckstücke in einem Kästchen aus Drahtgeflecht von einer vorspringenden Klippe aus in die See versenkt. Den Ort, wo dies geschehen, verriet sie nicht. Ihre Aufzeichnungen besagen nur, daß die achtzig Perlen auf felsigem Grunde ruhen, wo sie der Gefahr nicht ausgesetzt sind, vom Sande verschüttet oder von der Strömung fortgetrieben zu werden. Elisabeth selbst konnte das Kästchen nicht mehr heben. Am 10. September 1898 traf sie in Genf der Dolch eines italienischen Anarchisten.

[W. K.]