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Die Piraten-Jolly und ihre Getreuen

 

Tropenglut und Leidenschaft

Eine Reihe einzigartiger tropischer Erzählungen

 

Die Piraten-Jolly und ihre Getreuen

 

Kapitel 18 – 26

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

Infolge Behinderung des Schriftstellers Herrn Eugen Forst (Gino F. v. Moellwitz) ist dieser Roman von befreundeter Seite[1] beendet worden.

Der Verlag

 

 

18. Kapitel.

Ein Opfer der Liebe.

Jolly eilt durch die Straßen der Sündenstadt. Das Blut wallt ihr fieberheiß durch die Adern. Sie ist viel zu klug, um nicht zu erkennen, daß sie und Yon, der Geliebte, einem hinterhältigen Anschlag zum Opfer gefallen sind.

Die Heimtücke des Schwarzen Admirals hat ihr einen bösen Streich gespielt.

Und Yon, der Recke, der Aufrechte, der Mann ohne Furcht und Tadel, ist in die Falle gegangen, weil er zwar ein Bukanier ist, aber dennoch an Treue und Brüderschaft glaubte.

Jolly lacht wie eine Irrsinnige vor sich hin, daß Schrei und Widerhall gar grausig erklingen und ein Rabe, der auf niederem Dachfirst hockt, mit krächzenden Lauten auffliegt und flügelschlagend weiter irrt, dem dunkelblauen Firmament entgegen.

Die kühle Luft tut Jolly wohl. Sie sammelt endlich ihre wirren Gedanken und nunmehr kreisen die letzten Ereignisse in ihrem Köpfchen. Soll sie sich verloren geben, soll sie diesem grausamen und hinterhältigsten aller Küstenbrüder zu Willen sein, um den Geliebten zu retten?

Gibt es keinen anderen Ausweg, wenigstens einen, der jenem nicht den Triumph gönnt, Sieger geblieben zu sein in diesem gemeinen verräterischem Spiel, in dem er den besten seiner Kämpfer schmachvoll hintergangen und ihn den Schergen in die Hände gespielt hat?

Sie ist in der Heimat bekannt wegen ihrer Klugheit und Schlagfertigkeit. Man kennt bei Hofe und in den Kreisen der Oberen die kluge Lady Morleigh, die nie um eine Antwort verlegen war, wenn es galt, einen Überklugen oder Frechen abblitzen zu lassen.

Noch zwei Stunden hat sie Zeit, dann wird der haßbare, der blutrünstigste unter den Küstenbrüdern seine Rechte an ihr geltend machen wollen. Er wird ihr sagen, daß Yon, der Wiking, verloren ist, daß er vielleicht im dunklen Verließ die Martern und Scheußlichkeiten der ungesetzlichen Gerichtsbarkeit zu kosten bekommen wird, weil er sich erkühnte, dem Schwarzen Admiral, dem Kampfgenossen in vielen heißen mörderischen Schlachten, den Gehorsam zu verweigern, ihm das Liebchen vorzuenthalten, auf das jener sein sinnliches Auge geworfen hat.

Doch nichts fällt ihr ein, ihr Hirn ist ausgebrannt wie ein Krater, die Sinne haben nichts mehr zu vermelden, sie versagen, in diesem klugen Köpfchen ist für nüchterne und kühle Erwägungen vorläufig kein Raum.

Und wieder füllt das Lachen des Irrsinns die Gasse an, prallen die Töne des verzweiflungsvollen Schmerzes und krankhaften Überreiztseins an den Häusermauern ab und steigen hinauf in die müdschwere stickende Nachtluft.

Da steht wie aus der Erde gewachsen, umflossen vom Schatten einer düsteren hohen Mauer mit einem Hintergrunde aus Türmen und Burgmauern, mit Schießscharten und Geschützlöchern, aus denen die Schlünde mächtiger Kanonen lugen, ein Wächter mit wallendem Krempenhut, auf dem kühn die Adlerfeder und sonstiger in der Nacht schwer erkennbarer Prunk sich bemerkbar macht.

Er hat die schwere Schloßflinte vor sich aufgestellt und schaut aus muntern Augen dreist auf sie hernieder.

„Ei, ei, wohin, Milchbart, so spät in der Nacht?“ fragt er lachend.

„Seid Ihr ein Bukanier? Doch nein“, widerspricht er sich selbst. „Seid ja noch ein halbes Knäblein, wenngleich Ihr Dolch und Degen tragt wie der mächtigste Flibustier.“

Jolly schreckt hoch. Sie greift unwillkürlich nach dem Dolch, doch plötzlich kommt ihr ein Gedanke. „Wen bewacht Ihr hier, wessen Haus ist das?“ fragte sie geschäftsmäßig, als sei sie hergekommen zu wichtigem Tun.

„Ihr seid wahrhaftig fremd, junger Krieger, sonst wäre es Euch nicht unbekannt, daß hier Se. Herrlichkeit der hochedle Lord und Gouverneur von Jamaica, Lord Modyford, das Szepter über König Karls wertvolle Kolonie schwingt?“

Jolly jauchzt innerlich auf. Sie hat einen kühnen Gedanken gefaßt. Es gilt, diesen simplen Wächter hinter das Licht zu führen und das, deucht sie, könnte nicht allzu schwierig sein.

Sie wirft sich in die Brust, gibt sich die Haltung eines Gebieters, was ihr auch zu glauben ist.

„Das Wasser der Geschwätzigkeit lauft Euch im Munde zusammen“, versetzt sie in gutmütigem Spott. „Wahrlich, Se. Herrlichkeit der Gouverneur dürfte wenig erbaut davon sein, daß ein Krieger der äußeren Gestalt nach, aber ansonsten ein altes geschwätziges Weibsbild die Pforte seines ehernen Bungalows bewacht.

Im übrigen dürft Ihr mir die Ehre bezeugen, die mir gebühret als Abgesandter Harry Morgans, des Schwarzen Admirals.“

Der Wächter hat zuerst betroffen, dann beschämt und ängstlich den Ausführungen dieses jungen bewaffneten Kriegers, von dem er nicht wußte, was er aus ihm machen sollte, gelauscht.

Jetzt stammelt er in äußerster Verlegenheit: „Wenn es so ist, hoher Herr, dann verzeiht, daß mir die Zunge durchgegangen ist. Wenn ich Euch einen Fingerzeig geben kann, dann will ich Euch gern zu Diensten sein.“

Jolly lächelt.

„Nichts für ungut, den Fingerzeig habt Ihr mir bereits gegeben.“

„Wieso?“ kommt es befremdlich aus dem Munde des Wächters.

„Ich suchte das Kastell, die Burg des Gouverneurs. Ihr habt es mir verraten.“

Der Mann ist wieder mißtrauisch geworden.

„Wenn Euch die Stadt bekannt ist, so müßt Ihr zugleich wissen, wo Se. Herrlichkeit der Gouverneur residiert?“

„Mit nichten, lieber Freund. Jetzt gebt den Weg frei, denn wichtige Dinge habe ich zu berichten, ich muß Se. Herrlichkeit sofort sprechen.“

„Oh – jetzt zur Nachtzeit?“

„Schweigt, es ist nicht Eures Standes, einen Honorablen der hohen britischen Kaste anzuzweifeln. Ich müßte denn Beschwerde gegen Euch bei dem Gouverneur führen. Ihr wißt, daß zwanzig Stockschläge, gewürzt durch sonstige inquisitorische Erfindungen, das Mindeste sind, was Ihr zu erwarten habt.“

Der Wächter steht hilflos, er weiß nicht, wie er sich zu verhalten hat.

„Ihr stürzt mich ins Unglück, Sir“, sagte er betreten.

„Nein, das Gegenteil ist der Fall. Se. Herrlichkeit wird Euch Dank wissen, denn die Kunde, die ich ihm bringe, ist hunderttausend Pfund wert, die er verliert, wenn ich ihn nicht jetzt im Augenblick zu sprechen bekomme.

Jolly greift hochmütig in das Wams und bringt eine große glänzende Münze zum Vorschein.

„Ist dieses Zeichen, das ein geheimes Bündnis zwischen dem Schwarzen Admiral und Sir Modyford beweist, Euch bekannt? Soll ich Euch noch, trotzdem es wider strengen Befehl geschieht, sagen, daß morgen die Flotte des Schwarzen Admirals den Hafen verläßt, und daß ich mit geheimen Orders ausgestattet bin, die – ah – jetzt ist es genug des sündhaften Spiels“, unterbricht sich Jolly. Der Zorn flammt in ihrem zarten Gesichtchen auf, die Augen blitzen drohend.

Sie greift nach der schweren Pistole, die über dem ledernen Koller neben dem ziselierten Dolche steckt.

„Ich werde durch einen Schuß die Aufmerksamkeit des Lords herausfordern, wenn Ihr jetzt nicht den Platz frei gebt. Ich will nicht Euer Unglück, aber ich muß meine Pflicht erfüllen. Tue ich nicht, wie der Schwarze Admiral mir befohlen hat, dann hänge ich morgen früh an einer Raa der „Neun Knoten“, neben dem Jolly Roger. Ihr aber könnt im unterirdischen Verließ darüber nachdenken, wann Eure Todesstunde gekommen ist. Vermutlich dürften kaum zwei oder drei Monde darüber hingehen.“

Der Wächter schwitzt Blut.

„So geht denn, aber alle Verantwortung kommt über Euch“, sagt der Mann dumpf.

Eine hoheitsvolle Geste und Jolly schreitet, nur mit Mühe ihren Triumph verbergend, durch das weite Tor über den mächtigen Hof, dessen Hintergrund der Mond soeben mit bleichem Licht übergießt. Zackig und unheimlich wächst das riesige Kastell aus dem Boden und zeugt so von der Allmacht des Mannes, der in seinem Innern lebt.

Sie macht sich auf weitere Widerstände gefaßt und preßt die zarten schön geschwungenen Lippen fest aufeinander. Es ist eine Entschlossenheit und ein Widerstand in ihr, den niemand zu beugen vermag. Sie spielt um ihr Leben, aber was gilt ihr dies noch?

Sie denkt nur an den Geliebten, an Yon, den Wiking, der im Verließ von Fort Charles in Ketten schmachtet, und der durch die Hinterhältigkeit des Schwarzen Admirals der Vernichtung anheimgegeben werden soll.

Ihr Plan ist fertig. Sie scheut sich nicht, an seiner Statt den Tod zu erleiden, aber er soll frei sein, er soll auf die Bonaventura zurückkehren.

Sie sieht einen matt erleuchteten Eingang. Das Herz klopft ihr zum Zerspringen. „Hilf mir, Maria, das Werk der Rache zu vollbringen“, stammelt sie vor sich hin, während ihr Fuß in dicken orientalischen Teppichen versinkt.

Sie erreicht unangefochten den ersten Stock. Trara und Singsang tönt ihr von irgendwo entgegen. Sie geht in der Richtung weiter und steht vor einer mächtigen nur angelehnten Flügeltür still.

Ein schwitzender Mann mit einem mächtigen Bratenstück kommt den Gang daher. Sie öffnet ihm die Tür und tritt vor ihm ein. Jolly bleibt an der Tür, geblendet vom Festesglanz, stehen, denn Se. Herrlichkeit Lord Modyford hat hohe Gäste.

Die Honorablen der Stadt sind versammelt und schwere Humpen gehen von Mund zu Mund und dazwischen sitzen tief dekollettierte Weibsbilder, die aus andern Kreisen stammen, und die dazu da sind, die hohen Herren zur Lustigkeit und Sinneslust anzufeuern.

Man stutzt und aller Augen wandern zur Tür. Der Gouverneur, angetan mit den Insignien der hohen englischen Admiralität, wird aufmerksam. Er wendet sich zu einem der Diener, die in langer Kette hinter den Gästen stehen und spricht zu ihm. Jolly erwartet den Mann, der auf sie zukommt. Wird ihr Plan gelingen?

Der Mann steht vor ihr. Sie öffnet die Augen wieder, die sie einen Moment geschlossen hat, als der Diener das Wort an sie richtet. Er geht zurück zum Gouverneur.

„Sir, der Mann behauptet, Euch unter vier Augen in wichtiger Mission sprechen zu müssen“, berichtet er.

Der Gouverneur erhebt sich, er steht nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Sein schmales Gesicht mit dem über der hohen Stirn gelichteten Haar ist vom Trunk gerötet. Er ergreift den Stab, das Szepter seiner Würde und kommt heran.

„Was habt Ihr mir zu sagen?“ spricht er, während seine Augen prüfend das feine zarte Gesicht mustern. Fürwahr, es könnte ein Weib sein, fliegt es ihm durch den Sinn.

Jolly lächelt.

„Mylord, ein Wort unter vier Augen, wenn es verstattet ist“, sagt sie und der Koller spannt sich unter dem wogenden Atemzug ihrer fraulichen Brust.

Der Gouverneur ist nicht blind. Er weiß mit einem Male, daß sich unter kriegerischer Kleidung ein Weib verbirgt, ein zartes, ein schönes Weib. Seine Augen zucken lüstern über sie hin.

„Kommt“, befiehlt er, seine Gedanken und seine Sinnlichkeit verbergend. Jolly folgt ihm. Sie stehen sich in einem Prunkgemach, das einem Saal gleicht, gegenüber.

Er stützt sich schwer auf die mächtige inmitten des Raumes stehende Schreibbank, die ringsum in Schnitzereien britischer Embleme prangt.

„Mylord, Erbarmen für Yon, den Wiking, den Ihr gefangen gesetzt habt. Er ist unschuldig, nur Heimtücke und Verrat seiner Küstenbrüder haben ihn zu Fall gebracht“, stößt Jolly mit angstzitterndem Herzen hervor und sinkt vor ihm auf die Knie.

Der Engländer streicht gemessen seinen Bart. Er blickt auf die Frau, die sich nicht die geringste Mühe gibt, ihr Geschlecht unter der Kriegsausrüstung zu verbergen, hernieder. Um seinen Mund irrt ein seltsames Lächeln.

„Steht auf“, gebietet er. Und dann. „Wenn ich recht verstehe, Mylady, bittet Ihr für den Wiking, der einer der treuesten Knappen des Schwarzen Admirals ist?“

War, Mylord“, erwiderte Jolly, das Wörtchen scharf betonend. Und nun fließen in edler Geläufigkeit die Worte aus ihrem Munde, so Zeugnis ablegend, einesteils, daß sie die Geliebte Yons, des Wikingers, und andernteils, daß sie eine Lady aus gutem Stande ist.

Wieder streicht der Gouverneur seinen Bart. Er ist entzückt von so viel Liebreiz und Anmut. Er hat bereits die Gerüchte von des Wikingers Liebchen, das dieser wie einen Schatz hütet, vernommen.

Und nun liegt sie vor ihm am Boden und bittet für den Geliebten.

Eine lange Pause entsteht. Ein boshaftes Lächeln gleitet sodann über sein herrisches Gesicht.

„Wer sprach zu Euch von der Gefangennahme Yons, des Wiking?“ fragte er lauernd.

„Harry Morgan, der Bukanier.“

„Er sagte Euch, daß Yon, der Wiking, im unterirdischen Verließ der Fort Charles-Festung sich befindet?“

„Ja, Sir.“

Er schürzt die Lippen, es klingt hart, als er sagt: „Der Schwarze Admiral hat sich über Unbotmäßigkeit beklagt – der Wiking wird sich vor einem hohen Gericht verantworten müssen.“

„Sir – ich bitte um Gnade – um Barmherzigkeit – seid edel, wie Euer König es befiehlt.“

Sie ist auf den Knien zu ihm herangerutscht, sie umklammert seine Beine.

„Ich wüßte nicht, wie ich dazu käme, den Gerichten vorzugreifen“, spricht er hart.

„Ihr dürft es, niemand wird Euch Rechenschaft abverlangen“, fleht sie mit einer Stimme, die heißes Gewähren verspricht und sie rankt sich an ihm empor.

Da reißt er sie an sich.

„Weib, du bist eine der Schönsten, die mir je im Leben begegnet sind, und es waren deren nicht wenige“, entringt es sich seinem Munde. „Du bist die Perle von Jamaica, wert, meine Liebe und Leidenschaft zu spüren.“

Jollys Sinne sind kühl geblieben, es ist ein Spiel, wie geschickte Frauen es zu spielen wissen. Sie weiß, daß der Mann ihr gehört.

Sie macht sich frei.

„Mylord, kommt Yon, der Wiking, frei?“ sagte sie in stiller Unnahbarkeit.

Er wendet den Kopf zur Seite. Ein hohnvolles genießerisches Lächeln zeigt sich auf seinem herrischen Gesicht.

„Warum soll er nicht frei kommen, schöne Lady – wenn – –“

Sie läßt ihn nicht aussprechen. Schnell fällt sie ein: „So gebt es mir schriftlich, Sir, daß ich ihn morgen im Gefängnis aufsuchen und ihm die Kunde von seiner Befreiung überbringen kann?“

Der Gouverneur setzt sich. Er ergreift den Gänsekiel und seine Hand fliegt über ein Papier. Jolly reißt es ihm förmlich aus der Hand. Ihre Augen fliegen über die Schrift, sie triumphiert. Dann ergreift sie das gläserne Fäßlein und streut feinen Sand darüber. Das wertvolle Dokument verschwindet im Stulpenansatz ihres Stiefels.

„Bist du nun zufrieden?“ zischt eine ungeheuer erregte Stimme an ihrem Ohr und ein starker Arm reißt sie zum zweiten Male an die Brust des Gouverneurs.

Jolly schließt die Augen. Sie wünscht, daß diese Nacht erst vorüber ist und daß sie den Geliebten im Triumph aus der Festung holen kann. Das Herz zerspringt ihr fast vor Weh, aber sie hat die Genugtuung, den verhaßten Morgan hinter das Licht geführt, ihn um den Preis seiner Hinterlist gebracht zu haben.

 

19. Kapitel.

Liebe macht dumm.

Hein Gothe blinzelt in die Sonne. Er hat den Stumpf, der jetzt gut zu heilen beginnt, unter der Decke hervorgeschoben, damit er von der Sonne beschienen wird. Der obere Teil seines Körpers ruht unter dem Markisendach.

Er hat einen Palmenwedel und verscheucht von Zeit zu Zeit die lästigen Insekten, die das einzige und größte Übel dieser herrlichen Insel sind.

Er denkt an Jolly, wie es auch nicht anders sein kann. Sein kühnes Gesicht hat einen verklärten Ausdruck angenommen. Sie hat ihm gesagt, daß sie nicht mehr auf seine Dienste verzichtet, daß er immer bei ihr bleiben wird.

Sein Lächeln ist schmerzlich, denn als er sie gefragt hat: „Auch wenn Sie verheiratet sind, Jolly?“ da hat sie frohgemut mit einem übermütigen Lachen geantwortet: „Dann erst recht.“

Also wird er bei ihr bleiben, er wird hinter ihr drein hinken, wenn sie einen Mann hat und er wird immer nach ihren Diensten fragen.

Er lächelt bitter vor sich hin. „Was will ich noch mehr von ihr?“ fragt er sich. „Ist es nicht schon ein großes Glück, daß sie zeitlebens einen Krüppel um sich dulden will? Vielleicht hätte er noch nicht einmal dieses Glück gehabt, wenn er nicht mit ihr zusammen gekommen wäre?

Das Leben ist grausam, es ist hart. Vielleicht hätte er nie ein Schiff in eigene Regie bekommen, denn die Schiffahrt liegt darnieder.

Er denkt an Mortehoe-Castle und an den alten Butler Bramble. Dieser würdige Mann wird nicht mehr allzu lange seinen immerhin nicht leichten Dienst verrichten können. Vielleicht hat er, Hein Gothe, Glück und erbt seinen Posten?“ denkt der unglückliche Kapitän der Adventure, und er ballt über sein Mißgeschick die Hände.

Gestern hat sie geweint, als er sie heimlich beobachtete. Um wen mag sie geweint haben?

Und er hat Sorge um sie. Er glaubt, daß alle andern nicht in der Lage sind, sie zu beschützen. Sie hat ihm zwar versprochen, keinerlei Abenteuer mehr erleben zu wollen, aber wer bürgt ihm dafür, daß sie Wort hält?

Sie hat ihm auch gestern erzählt, wie Jolly, damalige Lady Morleigh, von Lug und Trug umgeben wurde, und wie sie, um den Geliebten zu retten, sich dem schuftigen Gouverneur hingab, um dann hinterher zu erfahren, daß ihr Opfer vergeblich gewesen war.

Hatte das sie so traurig gestimmt?

Sie hatte gewiß kein Herz, sie weinte um ihre Vorfahrin, die fast dreihundert Jahre vor ihr gelebt hatte, aber sie konnte den Mann nicht finden, zu dem sie gehörte, der für sie bestimmt war.

Hätte sie sonst solche Eskapaden sich mit dem Schnapsschmuggler erlaubt, diesem widerlichen Kerl, der eigentlich von ihm, Hein Gothe, eine Tracht Prügel bekommen müßte?

Er ballt die Hand zur Faust und schlägt auf die Eisenkante seines Bettes, daß es klirrt und knackt. Er seufzt tief auf.

„Sie ist ein Geschöpf, das alle Menschen liebt, aber nicht einen einzelnen“, spricht er vor sich hin. „Vielleicht liebt sie den Doktor?“

Er hätte noch wer weiß wie lange vor sich hingesprochen, wenn er an seiner herabhängenden Hand nicht ein warmes weiches Schnüffeln verspürt hätte.

Er öffnet die Augen und sieht Juggins vor dem Bett, er hat die Vorderpfoten auf die Bettstelle gelegt. Aber hinter ihm ist ein Schatten, und als Hein Gothe sich umwendet, sieht er auf einem Stuhle seine Herrin sitzen. Sie lächelt ihm selten weich zu, so daß er stutzt.

Doch seine jäh aufsteigende Freude geht schnell dahin, denn sie rückt näher und schlägt ein dickes Buch auf, die Chronik von Mortehoe-Castle, die der ehrenwerte Magister Bunyan in langen Jahren für die Nachkommen des berühmten Schwarzen Admirals angefertigt hat.

„Von was sprachen wir gestern, Kapitän?“ fragte sie eifrig. „War es nicht der schurkische Gouverneur, den wir uns im Gespräch vorgeknöpft hatten? Wie hieß er doch gleich?“

„Lord Modyford“, spricht Hein Gothe feindselig, fast heftig. Er möchte ihr am liebsten dieses Buch fortnehmen und zerreißen. Sie glättet mit ihren schönen weißen Händen seine Decke, und ihm ist zu Mute, als ob er einen unsichtbaren Feind erdrosseln müßte, eben jenen ränkesüchtigen und schurkischen Gouverneur.

Ihm gilt sicher ihr Kummer, oder vielmehr seinem Opfer, der damaligen Lady Morleigh.

„Goddam“, murmelt Hein Gothe, einen Augenblick vergessend, daß er nicht allein ist, vor sich hin. Aber dann schämt er sich, denn sie hat es verstanden. „Verzeihung“, spricht er demütig hinterher.

Sie lacht lustig, es hört sich an, als ob sie ihn auslacht. „Sie können auch fluchen, Kapitän Yon?“

„Was lernt man nicht alles, Miß Morgan“, spricht er mit gemachter Fröhlichkeit.

„Ich habe heute eine entzückende Entdeckung gemacht, Kapitän“, sagt sie und beugt sich über ihn, daß ihr Gesicht kaum Handbreit von dem seinen entfernt ist, und er die Schönheit ihres Ovals bewundern kann. Das Blut steigt ihm ins Gesicht, und er stöhnt vor Leid und Qual innerlich auf.

Er muß die Augen schließen und fragt mit vibrierender Stimme: „Was für eine Entdeckung, Miß Morgan?“

„Ich strich durch die Gassen des Eingeborenenviertels und stand später an einem Ruinengemäuer. Ich war entzückt, denn ich fand eine Tafel angebracht, die nicht mehr und nicht weniger verkündete, als daß es sich um die Überreste der ehemaligen Gouverneur-Festung handelte.

Leider war Juggins, den ich bei mir hatte, nicht zu bewegen, sich mir anzuschließen. Er knurrte und zeigte die Zähne, als ich in das Gemäuer eindringen wollte. Ich werde heute noch einmal hingehen und ich werde den ehemaligen Palast genau besichtigen.

Glauben Sie, Kapitän Gothe, daß ich das Gemach finde, wo die unglückliche Lady Morleigh ihre Liebesnacht mit Lord Modyford verbrachte?“

Er blickt sie traurig an.

„Warum nicht“, erwidert er bedrückt. „Vielleicht finden Sie auch die Überreste von Fort Charles, wo Yon, der Geliebte Jolanthes, hingebracht sein sollte?“

„Dies wäre herrlich“, erwidert sie vergnügt. Dann nimmt ihr Antlitz einen sinnenden Ausdruck an. Ihre Augen blicken verklärt, ja zärtlich, als sie sagt: „Aber da gehen wir hin, wenn Sie erst gehen können.“

„Wird wohl noch lange dauern“, flüstert er vor sich hin.

Er schließt die Augen und sieht nicht, wie sich ihr Mund seinem Gesicht nähert. Nur als er ihren Atem spürt, hebt er die Lider und sie schnellt erschrocken zurück.

Sie ist enttäuscht, aber auch gleichzeitig verwirrt, denn sie hat ihn küssen wollen. Dummer guter Yon, denkt sie, willst du mich denn gar nicht verstehen? Ich liebe dich doch, ich kann mich dir doch nicht an den Hals werfen? Aber scheinbar darf ich auch nicht anders zu deiner Liebe kommen, wie Yon, der Wiking, ich muß mich dir an den Hals werfen.

„Ich möchte Ihnen raten, Doktor Honeybell oder auch Thomson mitzunehmen“, berät er sie eifrig. Es ist eine gewisse Angst in ihm, die sich immer stärker bemerkbar macht.

„Dann hört die Romantik auf“, sagte sie widerspenstig.

„Ich bitte Sie darum, Miß Morgan“, fleht er und sie freut sich, weil sie in seinem Gesicht und in seinen blauen Augen diese unsagbare Angst liest.

Er faßt nach ihrer Hand. „Versprechen Sie mir, Miß Morgan, nicht allein das alte Kastell aufzusuchen“, bettelt er.

„Gut, ich will nicht nein sagen. Ich werde mir Begleitung mitnehmen.“

Nun ist er zufrieden und schließt mit einem Lächeln wieder die Augen.

„Kapitän Gothe, beantwortet mir eine Frage: von wem spracht Ihr vorhin, als Ihr glaubtet, noch allein zu sein?“ richtet sie das Wort an ihn.

Er blickt sie bestürzt an.

„Habe ich gesprochen?“ fragt er seinerseits.

Sie nickt.

„Da erwidert er: „Was wird es gewesen sein? Wahrscheinlich habe ich von dem Gouverneur gesprochen.“

„Aha, und warum seid Ihr so wütend gewesen?“ will sie wissen.

„Warum?“ Er ballt wieder die Hände. „Weil ich wünschte, daß ich diesen schurkischen Lord zwischen den Fingern gehabt hätte.“

„Was wäre dann geschehen?“

Er sieht sie groß an. „Ich hätte ihn getötet, diesen Hund.“

„Oh, man könnte sich vor Ihnen fürchten, Yon.“ Aber sie lächelt hinterher spitzbübisch, was er nicht sieht.

Wie lange will sie mich noch quälen? denkt er.

„Und warum hätten Sie ihn getötet, Yon?“ will sie weiter wissen.

„Nun, weil er – weil sich der Unhold an Jolanthe vergangen hat.“

„Und weil Sie wahrscheinlich gedacht haben, daß ich die unglückliche Jolanthe sein könnte?“

Er antwortet nicht.

„Kapitän Gothe, ich frage Sie noch einmal feierlich, ob es sich so verhält?“ drängt sie in ihn.

„Wenn Sie es wissen wollen, dann ja – ich mag keine Schuftereien.“

Es ist still geworden. Juggins liegt in der Sonne und schnappt langweilig Fliegen. Aber da es ihm zu viel wird, läßt er sie vor der Nase herumsummen und knurrt mitunter wütend.

Jolly hat sich zurückgelehnt. Der Sonnenschirm wippt in ihrer Hand auf und nieder. Sie sieht von hinten her auf Hein Gothe herab. Er hat die Augen geschlossen und will anscheinend nichts mehr hören und sehen. Es dauert nicht mehr lange, da schläft er. Seine Brust hebt und senkt sich in tiefen Atemzügen.

Da steht Jolly leise auf. Juggins wedelt mit der Rute und blinzelt zu ihr hin, als ob er sagen will: Sei doch nicht so zaghaft, er schläft ja.

Du hast recht, denkt Jolly und diesmal beugt sie sich viel tiefer als sonst über den Schläfer und nun sieht sie seine Lippen ganz dicht vor sich. Immer tiefer beugt sie sich herab und dann küßt sie diesen Mund, der so wenig von Liebe zu wissen scheint und nach dessen Berührung sie schon lange dürstet.

Erschrocken öffnet Hein Gothe die Augen und er sieht noch, wie ein weißes Kleid, lustig im warmen Winde wehend, um die Ecke verschwindet und wie ein ulkiges vierbeiniges Individuum hinterher prescht.

„Jolly!“ erklingt ein Jubelruf, aber Hein hört nur ein lautes glückliches Lachen, das ihm Seligkeit des Himmels zu verkünden scheint.

 

20. Kapitel.

Abenteuer in der Ruine.

Tony Cometta und seine getreuen Vasallen lustwandeln in der Nähe des Hafens und freuen sich anscheinend nach Art artiger und wohlerzogener Gentlemen an der Vegetation des schattigen Strandes, wo die Kokospalmen und die Blauholzbäume angenehmen Schatten spenden.

Hoch über ihnen flattert auf silbernem Schild das Sankt Georgs-Kreuz, das Wahrzeichen von Jamaica.

„Morgen kommt sie“, sagt Tony Cometta zu seinen beiden bullenhaften Schutzengeln, die ihn daraufhin verständnislos anblicken.

Sie folgen dem Blick ihres Chefs und nicken, denn sie sehen, wie er die Adventure mit halb zusammengebissenen Augen mustert und denken sich ihr Teil.

„Ihr seid Esel“, spricht Cometta weiter. „Damit will ich nichts mehr zu tun haben und wenn noch einmal einer davon spricht, dann rauhe ich ihm das Kinn an, verstanden?“

„Well, Boß“, sagt Tim und Bart knurrt etwas ähnliches, denn vernünftig sprechen ist ihre schwache Seite. Sie finden es überhaupt verdammt langweilig ohne Gefahr, ohne Gangsterkampf und Schießerei.

„Packt euch“, sagt Tony Cometta bissig, als er auf der Promenade einen Gent heranschlendern sieht, mit dem er ein Wörtchen zu sprechen hat. Die beiden verschwinden. Der Gent ist der edle Godolphin, der Vetter Jollys. Er ist wie ein überflüssiges Anhängsel von Jamaica, denn er ist überall und nirgends. Man braucht ihn nicht zu suchen, er ist immer da. Es scheint, als ob beider Gedanken zu einander hinstreben nach dem schönen Grundsatze: Gleiche Seelen finden sich zu Wasser und zu Lande.

Hochmütig und liebenswürdig zugleich grüßt Mr. Godolphin den ungeschlachten Cometta. Er blickt ihn lächelnd an. Das empört Tony, den Schnapsschmuggler, und er sagt grimmig:

„Ursache, zum Lachen?“

„Warum nicht“, erwidert der Engländer. „Ich freue mich immer, wenn ich einen guten Bekannten sehe.“

Tony Cometta murmelt einen wilden Fluch. „Habt mich schön hereingelegt“, knurrt er.

„Sie scherzen, Mr. Cometta“, versetzt der andere. „Das habt Ihr doch wohl mit mir gemacht? Ich habe euch tausend Dollar gezahlt, dafür sollte Lady Morgan – hm – wie war es doch gleich?“

Der schurkische Vetter Jollys sprach seine Schlechtigkeiten nicht gern aus, er verschluckte seine weitere Rede in einem Räuspern.

„Der Teufel soll Ihre Lady Morgan holen“, schimpft Tony Cometta.

„Damit wäre ich einverstanden“, sagt Vetter Godolphin trocken und reicht dem Schnapsschmuggler sein Etui mit Zigaretten hin. Während er auch Feuer gibt, setzt er bedeutungsvoll hinzu: „Wenn wir uns auf dieser Basis finden könnten, stände einem Kompagniegeschäft nichts im Wege.“

„All right, schießen Sie los“, fordert Cometta den Engländer auf.

Und Vetter Godolphin beginnt mit gesetzter Rede. Er spricht wie ein Buch, er zeigt, daß er ein gebildeter Mann ist, mit einem Herz voll Schurkerei und einer Seele voll Schuftigkeit.

Zuletzt ist Tony Cometta begeistert, er klopft diesem Manne auf die Schulter und beide lustwandeln unter den Fächerpalmen, während vom Meer herüber eine schwache Brise weht, die ihnen um die Nase fächelt.

Aus dem gegenseitigen Verständnis der beiderseitigen schurkischen Seelen kann man erraten, daß die Vorbedingungen zu einem ernsten Bündnis erneut geschaffen sind, auch ohne die vielen All rights und sonstigen Beteuerungen.

Ein Händedruck besiegelt den Vertrag und Cometta schlendert wieder zu seinen beiden Beschützern hin, die sich links und rechts im Weitergehen postieren.

„Boys, es ist Geld zu verdienen, schöne und viele Dollars“, redet Cometta auf sie ein und einer, es ist der tüchtige Tim, ribbelt sich die Boxernase, während Bart breit und behaglich grinst.

Inzwischen raucht Vetter Godolphin eine Zigarette nach der andern und er trinkt die würzige Luft, als sei er eigens hergekommen, um die landschaftlichen Reize Jamaicas kennenzulernen und nicht in Schurkerei zu machen.

Bald stößt ein Boot drüben von der Adventure ab und der knatternde Motor wirft eine Welle weißen Gischt auf. Es wird an der Mole angelegt und heraus springt leichtfüßig Jolly. Sie sprich mit Joshuah, dem Neger, ein paar Worte, er lächelt und freut sich.

„Joshuah wenden viel gut gehorchen, Joshuah werden schöne Missis im Hotel aufsuchen.“

Jolly geht in Gedanken versunken dahin. Sie hört plötzlich neben sich Schritte und runzelt die Stirn. Sie hat große Eile, denn sie muß zu Yon-Hein, dem Geliebten, sie muß das herrliche Spiel fortsetzen, muß ihm heute sagen, wie sie ihn liebt. Und da tritt dieser unangenehme Vetter ihr in den Weg.

Sie fragt schroff: „Was willst du, Vetter Godolphin?“

Er sieht sie bittend an und seine Stimme klingt gedrückt, als er beginnt: „Verzeih, Jolly, aber es bedrückt mich, daß du mir in Feindschaft gegenüberstehst. Ich soll bald nach Hause kommen, denn meine Eltern haben mir geschrieben. Viele Grüße von meinem Vater und meiner Mutter soll ich dir bestellen, und auch von Tante Flavia.“

Jolly blickt ihn gleichmütig an. „Danke“, sagt sie gleichgültig und setzt mit Hast hinzu:

„Morgen oder übermorgen. Ich wollte dich nur noch einmal sprechen. Will auch heute noch die Umgebung von Kingston und Fort Royal ansehen. Habe da ein paar herrliche Winkel entdeckt, etwas, was dich auch interessieren wird. Vor allem das alte Kastell aus der Zeit, als dein Vorfahre, der Schwarze Admiral, hier hauste. Es wäre etwas für dich, um deinen Wissensschatz zu bereichern.“

Sie blieb stehen.

„Du kennst das Kastell?“ fragt sie zögernd.

„Gewiß, es sind herrliche moosbewachsene Winkel und dunkle geheimnisvolle Gänge dort. Man kann sich an Hand einer Karte alles zurechtdenken.“

„Wann fährst du dorthin?“ fragt sie.

„Ich habe heute nachmittag den Wagen bestellt – wenn du dich mir anschließen willst?“

„Wann können wir zurück sein?“

Er denkt nach.

„In spätestens einer Stunde, Jolly.“

Sie wirft noch einen prüfenden Blick über ihn hin, dann sagt sie kurz entschlossen zu und geht an seiner Seite weiter.

Bald steht ein Wagen vor ihnen, ein Mulatte spielt den Schofför. Er putzt eifrig an dem alten Kasten herum, als die Herrschaften erscheinen.

Dann rast er durch die Stadt und hält sich an einem Waldwege, wo die Lianen wie Ketten von den Bäumen hängen. Alte zerfallene Hütten wechseln mit reizenden Bungalows ab. Dann kommt die staubige Landstraße und mit einem Male zeigt sich die malerische Ruine.

„So, wir sind angelangt“, sagt Vetter Godolphin. „Du wartest hier auf uns“, bestimmt er dem Schofför gegenüber. Der Mulatte kaut an einer Banane herum und nickt gleichgültig. Es kam ja so oft vor, daß englische Herrschaften die Ruine besichtigten.

Er döst vor sich hin, während Vetter Godolphin mit Jolly in einem der dunklen Gänge verschwindet. Einmal horcht der Mulatte auf, glaubt er doch einen Hilfeschrei vernommen zu haben. Doch er beruhigt sich, denn es bleibt hinterher alles still.

Als es ihm zu lange dauert, geht er hinüber, schimpft dabei und dann ruft er laut. Aber es meldet sich niemand. Es wird ihm unheimlich und dann betritt er mit ängstlichen Augen einen dunklen Winkel. Aber er stößt gegen einen weichen Körper und ist entsetzt, weil er einen gefesselten Mann am Boden liegen sieht, der ihn hilflos anstarrt.

Da rennt der Mulatte schreiend und wimmernd davon, schwingt sich in sein Vehikel und rast nach der Stadt zurück.

 

21. Kapitel.

Verräterspiel.

Die Nacht ist vorüber.

Lord Modyford spielt nachdenklich mit dem Briefmesser auf seinem Schreibtische. Er hat den Blick auf die Tür geheftet, die sich an der einen Wand zeigt.

Dort ist sein Schlafgemach. Er zeigt ein schurkisches Lächeln, denn alle diese Herren zu damaliger Zeit spielten nur nach außen hin den vornehmen unnahbaren Gebieter. Innerlich sind sie morsch und ihre Moral gleicht denen verkommener Nigger, die nicht würdig sind, ihren Stiefelabsatz zu küssen.

Lord Modyford macht keine Ausnahme. Er freut sich auf eine Teufelei nach vollbrachter toller Liebesnacht. Er hat die Augen halb geschlossen und hält oft gähnend die Hand vor den Mund.

Er sehnt sich nach seinem erfrischenden Bad, denn auch Sinnlichkeit und übergroßer Genuß am Leben hinterlassen grausame Spuren. Nur die Mittel des Medicus verscheuchen hinterher die Schwäche, die in den Gliedern steckt.

Da macht sich ein Geräusch bemerkbar. Die Tür hat sich geöffnet und ein leichter Schritt kommt auf ihn zu.

„Ah, wünsche wohl geruht zu haben, Lady“, sagt er und sie horcht bei dem hohnvollen Klange seiner Stimme auf. Ein rascher Blick streift ihn.

„Warum sagen Sie mir das?“ spricht sie bebend. Die Hand fährt nach dem Dolch, doch Lord Modyford spielt mit dem schweren schußbereiten silberbeschlagenen Schießeisen, das neben ihm liegt.

„Yon, der Wiking, ist bereits frei“, sagt er und beugt sich vor, sie aus grauen starren Augen höhnisch anblickend.

Jolly faßt sich ans Herz.

„Frei?“ Sie blickt ihn mißtrauisch an. „Warum schon frei, warum habt Ihr mir nicht das Glück gegönnt – ihn aus dem Kerker zu holen?“

„Weil – weil – ich muß Euch ein Geständnis machen, schöne Lady“, bricht er ab. „Yon, der Wiking, war gar nicht in der Festung – ich habe ihn seit Jahr und Tag nicht gesehen. Aber wenn solch schöne Frau kommt und einem liebebedürftigen Manne Avancen macht, dann wäre es eine Kränkung, wenn man sich kalt und unnahbar stellen wollte. Madame, Sie sind zum Lieben geboren – Sie werden es noch weit bringen. Grüßen Sie Harry Morgan, meinen Freund, und sagen Sie ihm, daß er mir einen großen Dienst erwiesen hat.“

Jolly ist alles Blut aus dem Gesicht gewichen. Jetzt starrt sie den Mann mit tödlichem Haß an. Sie ist zum Sprunge bereit. Keuchend geht ihr Atem. Aber dann löst sich die innere Spannung und sie schluchzt verzweifelt auf.

„Schuft“, schleudert sie ihm entgegen, dann wendet sie sich ab und verläßt das Zimmer.

* * *

Yon, der Wiking, ist auf dem Wege zum Gouverneur, der ihn durch einen Offizier zu sich führen läßt. Geschickt bugsieren die Ruderer die Schaluppe durch die Freibeuter- Armada.

Oft trifft ein Gruß aus der Höhe Yon, den Wiking, der mit gleichgültigem Gesicht vor sich hinblickt. Er weiß, wem er diesen Ruf des Gouverneurs zu verdanken hat. Sein Gesicht ist finster und er wirft noch einmal einen Blick nach der Bonaventura zurück, wo seine wackeren Gesellen an der Reling stehen und ihm zuwinken.

„Brave Burschen“, murmelt der Bukanier vor sich hin. Dann rafft er sich auf. Stolz sind seine energischen Züge und seine Hand ballt sich zur Faust wie im Kampfe. Er wäre imstande, einen Stier zu Boden zu schlagen.

„Was will der Gouverneur von mir?“ fragt er sich verächtlich. „Wenn er den Einflüsterungen Morgans Gehör gegeben hat, dann möchte ich wissen, wie er dazu kommt, mich verhören zu wollen? Ich kann ihm nichts weiter sagen, als daß Pyle ohne meinen Willen einen Schuß abgegeben hat.“

Er versinkt in Gedanken. Jolly kommt ihm im Geiste vor die Augen.

Er beißt die Zähne zusammen. Morgan wird ihn immer hassen, solange Jolly bei ihm ist. Und doch, trotz der Gefahr, will er zu ihr halten, es sei denn, daß sie sich freiwillig von ihm lossagt.

Er schreckt hoch, denn er hört eine ihm nur zu wohl bekannte Stimme aus der Höhe. Hoch oben beugt sich Morgan über die Reling seines Schiffes und winkt ihm zu.

„Du gehst zum Gouverneur, Yon?“ will er wissen. Yon wirft ihm einen wenig freundlichen, beinahe finsteren Blick zu und nickt.

„Komm vorerst einmal herauf, Yon, ich habe mit dir einige dienstliche Dinge zu besprechen, es betrifft die Bonaventura.“

Yon zögert, er blickte den Abgesandten des Gouverneurs fragend an.

Dieser nickt gewährend, worauf sich Yon schwerfällig erhebt. Er klettert gewandt an der Strickleiter hoch, die man ihm zuwirft.

Oben wird er von dem ersten Maat empfangen, der ihn nach der Kajüte des Kapitäns führen will. Yon will zurück, eine innere Stimme warnt ihn. Aber der Trotz zwingt ihn, dieser Stimme kein Gehör zu schenken. Er faßt nur prüfend nach seinem Schwert und nach den Pistolen, die ihn ringsum in der Körpermitte schmücken.

Er schreitet zwischen den beiden Treppen in dem dunklen Gange dahin, schreckt aber plötzlich zurück, als eine schwere Tür geöffnet wird und wohl ein Dutzend Freibeuter sich auf ihn werfen. Man hat ihm keinen Spielraum gelassen. Es ist alles blitzschnell geschehen. Seine Waffen hat man ihm im Augenblick genommen und dann ringt sich ein Knäuel der stärksten Männer am Boden.

Yon erliegt gegen eine zwölffache Übermacht nach heftigem Ringen. Er hat Ketten an Armen und Beinen und man wirft ihn in das dunkle Loch, in dem die Angreifer sich versteckt hatten.

Zwei Wachen stehen vor dem Loch und hören die Wutschreie und das Rasseln der Ketten, daß ihnen Angst und bange wird. Man kennt den Wiking. Er ist wie ein Stier im Kampfe, er schmettert alles nieder. Wehe wenn er frei kommt und Rache üben sollte.

Fast eine Stunde tobt Yon im Schiffskerker und brüllt, daß man ihm die Freiheit geben soll, aber niemand kümmert sich um ihn. Der Schwarze Admiral ist an Deck erschienen und gibt dem angeblichen Leutnant, der vom Gouverneur geschickt sein soll, einen Wink. Ein Beutel mit Goldstücken fliegt in die Schaluppe hinab. Es ist der Lohn für die hinterlistige Täuschung des gekauften Helfers.

Lange schreitet der Admiral auf den Schiffsplanken auf und ab. Er weiß, was er will. Es gilt, die schöne Jolly von der Bonaventura zu locken. Es wird ihm gelingen. Wenn sie das Schiff verläßt, um ihren Geliebten zu suchen, dann ist seine Stunde gekommen.

Mag sich Yon inzwischen den harten Schädel an den Balken seines Gefängnisses einrennen.

Der Schwarze Admiral weiß, daß er sich viele Führer seiner Armada zu Feinden macht, aber er hat die Macht, er fürchtet sie nicht, denn keiner ist unter ihnen, der das Kommando so zu führen versteht. Er hat sie erst zusammengezogen zu einer großen Freibeuterflotte, sie bedeuten nur geschlossen eine gewaltige Macht.

Und man weiß auch, daß ein großer Raubzug demnächst stattfinden soll. Man will nach dem Festland hinüber, Morgan hat in letzter Zeit viel mit Spähern unterhandelt. Es ist vorläufig noch sein Geheimnis, wohin der Raubzug führen soll, denn auch unter den Freibeutern gibt es Verräter.

Aber man raunt sich zu, daß es nach Panama, nach der Goldküste geht.

Aber warum macht Morgan sich Yon, den Wiking, den besten seiner Flotte, zum Feind? Man versteht es nicht, aber man gehorcht.

Trotzdem fliegt manch mißtrauischer und besorgter Blick hinüber zur Bonaventura, die erst in den letzten Tagen mit einem starken Blechpanzer umgeben worden ist. Keiner versteht es so wie der Wiking, sein Schiff zu armieren. Er hat viel Pulver und Blei auf dem Schiff, es wird in den freien Stunden immer Munition gegossen.

Siebzig handfeste, mit dem Teufel im Bunde stehende Burschen stehen ihrem Führer zur Seite. Wenn sie erfahren, daß ihr Führer in einen Hinterhalt gelockt worden ist, wer kennt da das Ende? Die Bonaventura ist das schnellste Schiff der Freibeuterflotte, es ist imstande, schnell zu verschwinden. Man zeigt besorgte Gesichter.

Gegen Abend verläßt der Admiral das Schiff. Er hat Anweisung gegeben, die Bonaventura zu beobachten. Vor allen Dingen soll man sich vergewissern, wenn ein Boot abstößt, wer sich darin befindet.

Es ist geschehen, man stellt fest, daß Yons Geliebte an Land geht. Aber die Bonaventura ist jetzt wie ein gefesselter Löwe. Die Kanoniere Morgans auf „Neun Knoten“ stehen an den Geschützen; sie haben Befehl, zu schießen, wenn das Schiff sich verdächtig macht.

Aber auf der Bonaventura denkt man nicht an solche Dinge. Allerdings, wenn man wüßte, was dem Kapitän geschehen ist, dann …

So läuft Jolly dem Schwarzen Admiral in die Hände. Er triumphiert, als sie ihn wieder verlassen hat und erwartet sie in zwei Stunden.

Doch sein Grimm erstickt vor aufsteigender Wut, als er vergeblich auf ihr Erscheinen wartet. Nichtsahnend sitzt er in der Schenke und läßt sich Summen und Geschmeide im Spiel abnehmen, bis er die Fäuste auf den Tisch schmettert und hinaustaumelt.

Seine Getreuen sind um ihn, sie haben ihn draußen erwartet. Er geht zum Hafen. Eine Gestalt taucht auf.

„Zu vermelden, Admiral, daß das Dinghi noch am Ufer liegt“, berichtet der Mann.

Der Schwarze Admiral ist überrascht, sein Zorn verraucht.

„Das Dinghi noch nicht zur Bonaventura zurückgekehrt?“ spricht er nachdenklich vor sich hin. Seine Augen gehen im Kreise. Dann spricht er mit dem Manne und begibt sich zur „Neun Knoten“, seinem Flaggschiff, hinüber. Er bleibt, auf Deck angelangt, stehen, lauscht in die Nacht hinaus. Irgendwo in einer Ecke würfeln ein halbes Dutzend Freibeuter um Silberlinge.

Eine Kerze steht auf der Bordwand und zeichnet gespenstische Schatten, die über das Deck irren, die an der Wand einer Kabine hängen bleiben und aufs Meer hinaus flattern. Morgans Blick geht hinüber zur Bonaventura, die mit einem einzelnen Raaenlicht wie ein schlafendes Ungeheuer vor Anker liegt.

Dann sucht er die Tür auf, hinter welcher Yon, der Wiking liegt. Bosheit und Furcht zeigt sich in seinem Blick. Er kennt die unheimliche Stärke des Wiking, er möchte nicht mit ihm kämpfen.

Achselzuckend geht er in eine Kajüte und fällt wie ein gefüllter Sack in den weichen Pfühl.

Der Tag graut, fern im Osten zeigen sich violette Streifen, die in ihrer düsteren Zartheit der farbigen Robe einer schönen Frau ähneln. Wolkengebilde zerreißen und stürzen, scheinbar von hellem Licht getroffen, in die Flut. Das Tagesgestirn bricht sich sieghaft Bahn und bald steigt der glühend heiße Sonnenball zum Himmel empor, Lichtfluten und Goldgefunkel über die wunderbare Insel und den weiten endlosen Meeresspiegel streuend.

Nicht lange mehr, da schüttelt eine derbe Faust den Schwarzen Admiral, so daß er erschrocken hochfährt und nach der Pistole greift.

„Keine Gefahr, Admiral“, spricht der Mann, der ihn geweckt hat. „Die Frau ist da.“

Ein Triumphgelächter kommt aus dem Munde des Freibeuters, und er ist mit einem Satz von seinem Lager hoch.

Die Tür öffnet sich und Jolly tritt herein. Ihr Blick ist starr – seltsam durchbohrend.

Der Schwarze Admiral deutet auf einen Sessel. Doch Jolly bleibt stehen. Ihr Blick wird dem Freibeuter geradezu unheimlich.

„Warum habt Ihr mich belogen, Morgan?“ spricht Jolly mit dumpfer, durch nichts bewegter Stimme.

Morgan stutzt. Er macht ein verlegenes Gesicht.

„Wer sagt Euch, schönste Frau mit dem flinken Degen, daß ich nicht die Wahrheit gesagt habe?“ fragte er mit spöttischer Freundlichkeit.

Jolly wendet sich ab. Sie sagt kein Wort. Es ist, als ob sie nach innen auf den Klang einer Stimme lauscht. „Wo ist Yon?“ fragt sie und ihre Hand zuckt nervös, als ob sie nach dem Dolch fassen will.

Morgan lacht heiter.

„Wie, das wißt Ihr nicht?“ lügt er dreist. „Könnt ihn Euch betrachten, wenn der Tag weiter fortgeschritten ist, Ihr werdet ihn an Deck seines Schiffes beobachten können.“

Sie seufzt tief auf. Zweifel scheinen sie zu befallen. Sie glaubt ihm nicht. Er will sie zu sich heranziehen, da stößt sie ihn zurück. Ungeachtet seines finsteren Antlitzes und seiner drohend blitzenden Augen greift sie nach dem Dolche.

„Ich bleibe hier, aber ich töte mich, wenn Ihr es wagen solltet, mir Gewalt anzutun, das schwöre ich Euch. Nun wählet, Morgan.“

Er kocht vor Wut und es scheint, als ob er ihre Drohung mißachten wolle. Doch als er einen Schritt auf sie zutritt, da setzt sie den breiten scharfen Dolch auf die Stelle, wo sich das Herz befindet.

Er weicht mit wildem Fluch zurück und verläßt die Prunkkajüte. Draußen steht er vor Yon, des Wiking, Gefängnis. Er horcht und stellt fest, daß die Ketten rasseln. Morgan geht zu seinen Leuten. Sie versammeln sich um ihn und er spricht zu ihnen.

Man öffnet das dunkle Loch und zieht Yon heraus. Er läßt sich ruhig die Fesseln abnehmen. Dann dehnt er seine Glieder. Als er ohne Waffen steht, fragt er heiser: „Wo ist Morgan?“

Man zuckt die Achseln. „Drüben in der Stadt, beim Gouverneur, er ist zu Gaste geladen.“

Yon blickt lange grübelnd vor sich hin. Dann klettert er über Bord und läßt sich an der Strickleiter herab. Bald ist er drüben auf der Bonaventura und wird jubelnd von seinen Leuten empfangen.

Um die Mittagsstunde steht Jolly an Deck und hält Ausguck. Sie sieht die Männer an Bord der Bonaventura und zwischen ihnen steht aufrecht Yon, der Geliebte. Ein Seufzer der Erleichterung kommt aus ihrem Munde.

 

22. Kapitel.

Der verzweifelte Vetter.

Ungeheure Aufregung herrscht in ganz Kingston. Seit Jahr und Tag ist etwas ähnliches nicht vorgekommen. Draußen beim ehemaligen Kastell, das von Molchen, Kröten und ungefährlichen Schlangen bewohnt wird, hat ein Überfall auf Menschen stattgefunden.

Der Mulattenschofför ist nach der Stadt zurückgekehrt und hat sich zähneklappernd, vor Angst kaum das Notwendigste hervorbringend, bei der Polizei gemeldet. Derselbe Inspektor Simmons, der damals mit dem Polizeiboot die Adventure verfolgte und sie in den Hafen zurückholte, begibt sich sofort mit mehreren Beamten seines Stabes nach der Überfallstelle hinaus.

Man schilt den Mulattenschofför einen Esel, aber andrerseits ist man ganz zufrieden, daß er den gefesselten Mann an Ort und Stelle liegen gelassen hat. Es sind inzwischen ungefähr zwanzig Minuten verflossen, und als man wieder bei der Ruine anlangt, liegt der Mann noch immer am Boden. Er scheint bewußtlos zu sein, denn er rührt sich nicht. Oder ist er vielleicht tot?

Inspektor Simmons hat, unterwegs mißtrauisch geworden, den Mulatten ausgefragt. Es könnte möglich sein, daß sich dieser im Komplott mit irgend welchen dunklen Mächten verbunden hat, um einen Teil der Beute abzubekommen. Aber dem Manne leuchtet die bleiche Furcht so aus den Augen, daß man ihm alles glaubt, was er erzählt.

Inspektor Simmons denkt: Nein, dieser armselige Bursche hat gewiß nichts mit dem Überfall zu tun. Der Mulatte hat auch keine verdächtigen Menschen in der Nähe gesehen. Er ist vollkommen erschüttert, schüttelt immerfort ratlos den Kopf und stöhnt. Wenn er zuviel gefragt wird, gibt er Angstrufe von sich.

Man dringt in die Ruine ein und findet gleich vornan den gefesselten Mann. Arme und Beine sind mit dicken Stricken umwickelt. Er kann sich kaum rühren, in seinem Munde steckt ein Knebel.

Der Polizeiinspektor schüttelt ihn, aber der Mann gibt keinerlei Lebenszeichen von sich. Seltsamerweise kann man jedoch auch keine Wunden an seinem Körper entdecken. Inspektor Simmons bückt sich und will sich überzeugen, ob die Stricke fest gebunden sind, denn er hat begründeten Verdacht, daß es sich um einen Scheinüberfall hier handelt.

Simmons hat den Engländer erkannt, der sich schon längere Zeit auf der Insel befindet, und dessen Tun und Treiben man heimlich beobachtete.

Aber der Beamte kann nichts Verdächtiges an der Fesselung feststellen. Diese ist mit viel Sachkenntnis ausgeführt worden, ein Beweis, daß die Räuber ihr Handwerk verstanden.

Er äußert sich auch darüber, indem er zu seinen Begleitern sagt: „Wer das gemacht hat, versteht ohne Zweifel sein Fach“. Aber er läßt dabei keinen Blick von dem am Boden liegenden Mann.

Er stellt auf einmal fest, daß dieser mit den Augenlidern blinzelt.

Man schneidet dem Mann die Fesseln durch. Während einer der Beamten zurückbleibt, dringt der Inspektor mit seinen übrigen Leuten in dem Gang weiter vor. Man stellt einen Ort fest, der sich kaum einige Meter weiter befindet, wo scheinbar ein kurzer Kampf stattgefunden hat. Dann verfolgt man den Gang weiter, und plötzlich sieht man die Spuren eines Wagens, der an der andern Seite der Ruine gestanden hat.

Es wird festgestellt, daß die Spur in das Innere führt. Der Inspektor kehrt mit seinen Leuten wieder nach der Stelle zurück, wo man den Gefesselten gefunden hat. Inzwischen ist Mr. Godolphin Dibble wieder zu sich gekommen. Er sitzt auf einem Stein und starrt verstört vor sich hin. Es hat den Anschein, als ob er vollkommen abwesend ist, daß er gar nicht weiß, wo er sich befindet.

Der Inspektor legt ihm die Hand auf die Schulter und fragt mit gutmütigem Spott: „Nun, Mr. Dibble, ist es denn so schlimm gewesen, daß Sie immer noch nicht zu sich kommen können?“

Der Engländer horcht auf. Er scheint die Worte des Inspektors gar nicht verstanden zu haben. Da schreit jener ihn wütend an:

„Was ist vorgefallen, Mr. Dibble? So verstellen Sie sich doch nicht, es ist ja gar nicht so schlimm mit Ihnen, wie Sie uns weismachen wollen?“

Der Engländer blickt ihn ganz abwesend an, er zuckt die Achseln und murmelt: „Ich weiß nicht – oh, mein Kopf – wo bin ich eigentlich?“

Er greift sich an den Hinterkopf und stöhnt, anscheinend vor Schmerzen, tief auf.

„So lassen Sie doch einmal sehen, Mr. Dibble“, spricht der Inspektor ernst und befühlt dieselbe Stelle des Hinterkopfes. Er fühlt, drückt und schüttelt den Kopf. Dann setzt er sich dem Opfer gegenüber, zündet sich eine Zigarette an und wartet, bis Godolphin vollkommen zu sich kommt.

Mit einem Male stöhnt Jollys Vetter verzweifelt auf. Und dann kommt ein Schrei aus seinem Munde.

„Wo ist – – Miß Morgan – meine Kusine?“ bricht es aus ihm hervor.

Der Inspektor blickt ihn durchdringend an. „Ah – Sie sind mit der Dame, der Besitzerin der Adventure, hier gewesen, Mr. Dibble?“ fragt er mit geheimnisvollem Lächeln.

Godolphin hält sich den Kopf, indem er die Hände fest an die Schläfen preßt. Er ächzt und stöhnt und erwidert verzweifelt:

„Es ist schrecklich, oh, was wird mit meiner armen Kusine geschehen, wird man sie vielleicht ermorden?“

Er sieht sich entsetzt um. „Hat man vielleicht schon – ihre Leiche gefunden? Ich wäre der unglücklichste Mensch unter der Sonne“, setzt er in unsagbarer Angst hinzu.

Der Inspektor schürzt spöttisch die Lippen und wirft den Rest der Zigarette von sich. Er kann nicht hindern, daß er immer noch von Mißtrauen erfüllt ist. Das Gebaren des Mannes kommt ihm nicht echt vor. „Warum sollte man sie getötet haben?“ erwidert er rauh. Dann stellt er sich dicht vor Jollys Vetter auf, und sein Ton klingt außerordentlich ironisch.

„Wenn ich alles glaube, Mr. Dibble“, spricht er, „aber Ihre Kusine ist auf keinen Fall tot. Viel eher glaube ich an einen Erpressungsversuch. Denn wenn ich nicht irre, ist die Lady doch wohl sehr reich?“

Ein durchdringender Blick mustert den Engländer, aber Godolphin hört in seinem Schmerze und seiner Verzweiflung nicht den spöttischen Ton heraus, oder er achtet absichtlich nicht darauf.

Er stöhnt und jammert fortwährend verzweifelt vor sich hin. Es scheint fast, als ob sein Geist verwirrt ist.

Inspektor Simmons herrscht ihn böse an. „Nun hören Sie einmal auf zu stöhnen und zu klagen, Mr. Dibble“, ermahnt er ihn streng. „Sind Sie in der Lage, uns zu begleiten? Sonst bleiben Sie zurück, denn es hat keinen Zwecke daß Sie uns unterwegs, anstatt uns aufzuklären, mit Ihren jammervollen Klagen belästigen.“

„Wohin wollen Sie?“ fragt Godolphin und blickt den Inspektor scheu von der Seite an.

Jener lacht auf. „Haha, wohin wohl? Sie stellen merkwürdige Fragen. Wir haben eine Spur gefunden, die wir verfolgen müssen.“

Und da stellt Inspektor Simmons etwas fest. Zuckt nicht ein rasches Erschrecken über das blasse Gesicht des jungen Mannes? Oder täuscht er sich?

„Ich werde Sie natürlich begleiten, wenn es sich um eine Spur handelt“, versichert Mr. Dibble, „denn ich brenne darauf, zu erfahren, was man mit meiner Kusine angestellt hat.“

„Recht so“, pflichtet der Inspektor bei, aber er tauscht mit seinen Begleitern einen raschen, bedeutungsvollen Blick.

Godolphin hinkt zu dem Wagen. Auch die Beamten nehmen darin Platz, bis auf einen, der bei der Ruine zurückbleiben muß.

Dann verfolgt man die Spur jenseits des Kastells. Es ist fast eine halbe Stunde Fahrt. Die Straße zieht sich in unregelmäßigen Windungen am Strande entlang. Oft taucht die blaue Wasserfläche auf, um bald wieder zu verschwinden, wenn sich ein größeres Besitztum, ein Palmenhain, ein Zuckerrohrfeld oder ein grüner Hügel dazwischenschiebt.

Inspektor Simmons hat inzwischen während der Fahrt mit Mr. Dibble ein umfangreiches Verhör angestellt. Er erfährt, wie er seine Kusine Jolanthe Morgan im Hafen getroffen hat, als er ihr einen Besuch auf dem Schiffe abstatten wollte.

„Sie äußerte mir gegenüber den Wunsch, das alte Kastell zu besichtigen“, erzählt er dem Inspektor.

Simmons blickt ihn scharf an. „Verzeihung“, unterbricht er ihn, „ist der Wunsch, die Ruine zu besichtigen, von Ihnen ausgegangen, oder hat Miß Morgan ihn zuerst geäußert?“

Godolphin scheint einen Augenblick nachzudenken, dann sagt er:

„Wenn ich mich recht besinne, hat Miß Morgan zuerst davon gesprochen. Ich war natürlich sofort einverstanden und bestellte den Wagen.“

„Was gibts?“ wendet sich der Inspektor an den Mulatten, der soeben angehalten hat. Einer der Beamten öffnet die Tür und klettert hinaus.

„Die Spur ist zu Ende“, berichtet er. Inspektor Simmons erwidert ärgerlich:

„Das ist ja Unsinn, der Weg führt doch weiter, und links und rechts sind Gräben, der Wagen kann doch nicht in der Luft verschwunden sein.“

Er begibt sich hinaus und betrachtet aufmerksam das Ende der Spur. Dann dringt er mit zwei seiner Beamten in den Dschungel zur Linken ein. Als sie ein paar Schritte in dem unwegsamen Dickicht vorgedrungen sind, kommandiert er: „Die Sixhouters heraus, denn man weiß nicht, was einem hier im Urwald begegnen kann.“

So dringen sie rasch vorwärts und finden auch bald die Wagenspur wieder. Es ist ein sumpfiges Gelände, der Wagen ist an einzelnen Stellen bis zu den Achsen in den Morast eingesunken.

Als sich der Dschungel lichtet, erblicken sie eine Landzunge, die sich einen halben Kilometer weit ins Meer hinausstreckt. Ein Felsen bildet die Spitze. Jäh fällt am Ende der Landzunge die Wand fünfzig Meter tief ins Meer. Die Männer bleiben entsetzt stehen, sie wissen, daß es hier unheimlich tief ist, und es besteht auch kein Zweifel darüber, daß man den Wagen von hier aus ins Meer hinabstürzte.

Simmons gewinnt zuerst seine Fassung wieder. Achselzuckend sagt er:

„Bah, das will nichts heißen. Diese Feststellung läßt in mir im Gegenteil die Überzeugung aufkommen, daß Miß Morgan lebt, daß man den Wagen nur hier hinabgestürzt hat, um die weitere Spur zu verwischen.“

Die Männer blicken sich um. Draußen im Hafen liegen viele Schiffe. Der Hafen selbst ist ungefähr drei Kilometer von der Landzunge entfernt.

Schweigend kehren die Beamten nach der Straße zurück, wo der Wagen auf sie wartet.

Selbstverständlich bestürmt Godolphin Dibble die Beamten mit aufgeregten, angstvollen Fragen. Inspektor Simmons erstattet in trockenen Worten Bericht. Er erzählt, daß der Wagen ins Meer gestürzt ist, und daß man erst feststellen wird, ob Miß Morgan bei dem Sturz ihr Leben eingebüßt hat.

Godolphin preßt, nachdem er den Inspektor mit entsetzten Blicken angestarrt hat, aufstöhnend die Hände vor das Gesicht:

„Ah, ich ahne, daß man sie getötet hat“, bricht es jammernd aus ihm hervor.

„Das ahne ich auch“, murmelt der Inspektor ergrimmt, aber es irrt dabei ein geheimnisvolles Lächeln um seinen Mund.

 

23. Kapitel.

Beratung.

Hein Gothe erwartet mit Ungeduld Jolly. Er ist ja so glücklich, und die Welt erscheint ihm so herrlich, daß er sich kaum zu lassen weiß.

Seit einer Stunde summt er Seemannslieder vor sich hin, und es fehlt nicht viel, so hätte er sie laut hinausgeschmettert.

Seit gestern weiß er, daß Jolly ihn liebt, denn sie hat ihn ja geküßt. Und als er sie mit seinen Blicken verfolgte, als er hinter ihr dreinrief, da lachte sie so herzerfrischend, und ihre Stimme klang wie der reine Ton eines Silberglöckchens.

Er richtet sich vor Übermut hoch und macht Gehversuche. Er hüpft wie ein Kranich auf einem Bein an der Wand entlang und freut sich darüber, daß er dieses Kunststück fertig bekommt.

Dann kehrt er wieder nach dem Lager zurück und setzt sich auf den Rand. Er tastet an seinen Armen entlang, und fühlt, wie stark er ist.

Mit einem Male erscheint die Schwester, die ihn während der ganzen Zeit gepflegt hat. Sie bleibt entsetzt stehen und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Er aber lacht sie ausgelassen wie ein großer Junge an. Er hüpft ihr entgegen, indem er sich mit der einen Hand wie vorher gegen die Mauer stützt.

„Liebe Schwester, besorgen Sie mir einen Stock, damit ich mich an das Gehen gewöhnen kann“, bittet er. Doch sie schüttelt besorgt den Kopf.

„Was wird der Doktor dazu sagen?“ spricht sie ängstlich. Hein Gothe läßt sich jedoch nicht beirren, und weiter hüpft er auf der Veranda, die Wand als Stütze benutzend, auf und ab, bis er eine halbe Stunde später ermattet auf dem Bettrand niedersinkt.

Mit der Zeit wird er ungeduldig.

„Wo bleibt sie nur?“ fragt er sich mehrere Male. Seine Blicke schweifen nach der Ecke hin, nach dem Vorsprung, von wo sie immer erscheint.

In Gedanken macht er bereits Pläne für die Zukunft. Er betrachtet sein Bein. Nicht mehr allzu lange will er in Kingston bleiben. Bald will er wieder auf die Adventure zurückkehren. Er sehnt sich nach Seeluft, nach dem Blick über das weite, große Meer. Und er will sich selbst vorläufig einen Stelzfuß zimmern, es soll ein ganz geschickter, raffinierter, hölzerner Ersatz werden, den er an dem Beinstumpf befestigen will.

Er malt sich in seinem Übermut aus, daß er noch besser als andere auf den Beinen sein wird, und daß er vielleicht den Stumpen aus Holz als Waffe benutzen kann. Und dazwischen bricht wieder der Jubel in ihm durch.

„Jolly, meine kleine Piratenbraut“, ruft er frohlockend aus. „All mein Mißgeschick mußte sein“, sagt er zu sich „denn sonst wäre es mir nie gelungen, die Herrliche, die Wunderbare zu erobern.“

Es ist fast Abend geworden, die Sonne versinkt im Meer. Da kommt jemand; er glaubt, daß es die so sehnlichst erwartete Geliebte ist.

„Endlich“, flüstert er vor sich hin, und er freut sich schon darauf, wie Juggins, das häßliche Hundeungetüm, um die Ecke der Veranda sausen wird, um mit einem Satze auf sein Bett zu springen.

Aber seine Freude ist verfrüht, denn um die Ecke biegt nicht die Erwartete, sondern Doktor Honeybell, der Schiffsarzt.

Hein Gothe ist außerordentlich enttäuscht, er betrachtet kritisch den Näherkommenden.

„Hallo, was gibt es, Doktor?“ fragt er, als der junge Arzt herangekommen ist.

Hein blickt ihn mißtrauisch an, und große Unruhe befällt ihn, denn Doktor Honeybell macht ein tiefernstes Gesicht. Er sucht zunächst der Frage auszuweichen.

„Warum sind Sie auf, Kapitän?“ fragt er seinerseits vorwurfsvoll.

Doch Hein Gothe fährt mit der Hand durch die Luft.

„Doktor Honeybell, keinen Firlefanz“, spricht er rauh und gebieterisch. Er meint, er müsse an diesen wenigen Worten ersticken.

„Was soll – das bedeuten?“ preßt er weiter hervor, „wo ist – Jolly – Miß Morgan?“ verbessert er hinterher.

Dr. Honeybell weiß nicht, was er antworten soll. Da packt der andere ihn am Rock und zieht ihn ans Bett heran.

Dr. Honeybell vermag sich nicht gegen die Kraft dieser starken Faust zu wehren. Er muß ihr gehorchen, und so stammelt er:

„Miß Morgan – ist fort – sie ist verschwunden – spurlos – man weiß nichts von ihr.“

Hein läßt den Doktor los, er glaubt nicht recht zu hören. In seinen Augen leuchtet es wie Irrsinn auf, so daß jener ein paar Schritte erschrocken zurücktaumelt.

Doch Hein Gothe faßt sich ebenso schnell. Er sammelt seine Gedanken, und dann kommt es gebieterisch aus seinem Munde:

„Doktor, ich muß alles wissen, erzählen Sie mir schnell, was geschehen ist.“

Und Dr. Honeybell berichtet alles das, was er selbst weiß.

Er war mit Inspektor Simmons zusammen, und dieser hat ihn über die Tatsachen ausgeklärt.

Dann, als er zu Ende ist, schluchzt der junge Doktor in Gram und Schmerz auf, so daß Hein Gothe sehend wird. Er ahnt, daß es mehr ist als Sympathie, was der Schiffsarzt für Jolly empfindet.

„Was glauben Sie?“ fragt Hein nach langer Pause.

„Ich fürchte – man hat sie getötet“, flüstert der Schiffsarzt.

Doch der Kapitän der Adventure schüttelt wild den Kopf.

„Es ist Unsinn, was Sie sagen“, fährt er auf, „es ist das Dümmste, was man sich denken kann.“

Da irrt ein Hoffnungsschimmer über das Gesicht des Arztes.

„Die Polizei ist an der Arbeit“, berichtet er, „man versucht die Stelle im Meere ausfindig zu machen, wo der Wagen liegen kann, aber bis jetzt ist noch nichts darüber bekannt geworden.“

Hein Gothe zuckt verächtlich die Schultern. Es hat den Anschein, als ob er aus dem Bett hochspringen will. Er scheint nicht an sein Bein zu denken. Doch der junge Arzt drückt ihn wieder in die Kissen zurück.

„Und was habt ihr unternommen?“ fragt der Kapitän finster grollend. „Ich meine Sie, Doktor, Pyle und Thomson?“

„Die beiden sind unterwegs nach der Unfallstelle, Kapitän, sie werden bald hier angelangt sein.“

Hein Gothe murmelt finster vor sich hin: „Es ist nichts weiter, als ein heimtückischer Anschlag, hinter dem dieser Vetter Godolphin steckt.“

Dr. Honeybell erwidert zögernd. „Glauben Sie das wirklich, Kapitän?“

„Sie vielleicht nicht, Doktor?“ herrscht Hein Gothe den jungen Arzt wütend an.

Dann lacht er schneidend auf: „Denken Sie vielleicht, daß der Herr, der ihr Vetter ist, nach Jamaica gekommen ist, um Bananen zu essen oder sich die linde Luft um die Nase wehen zu lassen?“

Dann setzt er nachdenklich hinzu: „Sagen Sie mal Doktor, was wissen Sie eigentlich über Cometta, den Alkoholschmuggler, und seine beiden Beschützer?“

„Nichts“, versetzt der Schiffsarzt, und er blickt scheu zu Boden, als ob er sich schuldig fühle.

Der Kapitän der Adventure lacht grimmig auf.

„Dachte ich es mir doch gleich“, kommt es aus seinem Munde. „Holen Sie das Versäumte nach, Doktor, Joshuah soll sich sofort erkundigen, haben Sie mich verstanden?“

Dr. Honeybell ist froh, daß er sich entfernen darf. Hein Gothe befindet sich wieder in schrecklicher Aufregung, als er allein ist. Er ist am Verzweifeln. Es ist das Furchtbarste für ihn, daß er seine Glieder nicht so gebrauchen kann, wie er will.

Wieder erhebt er sich aus dem Bett und stelzt auf der Veranda umher. Und dann wird es dunkel. Die herrliche Nacht von Jamaica bricht herein. Die Lichter drüben im Hafen flammen an Bord der Schiffe auf, und bald erscheint der Mond in großer, silberner Scheibe am Sternenhimmel.

Betäubende Blütendüfte dringen zu ihm herauf. Doch Hein Gothe merkt von alledem nichts. „Jolly – meine liebe Jolly – meine Piratenbraut“, murmelt er in Angst und Verzweiflung, zugleich auch in Glück und Wonne vor sich hin.

Dann, es ist schon sehr spät, taucht eine massige Gestalt auf.

Es ist Joshuah, der Neger. Der Kapitän der Adventure kennt das Wesen des Schwarzen, er weiß, daß der Mann etwas zu berichten hat, und er soll sich auch nicht getäuscht haben.

„Master Kapitän – Joshuah – sehr viel erfahren“, berichtet er eifrig. „Tony Cometta hier in Kingston, Tim und Bart fort – weg – verschwunden.“

„Ha“, fuhr Hein Gothe wie ein gereizter Löwe hoch, „da liegt der Hase im Pfeffer, da müssen wir den Hebel ansetzen. Noch etwas, Joshuah?“ fragt er den Neger weiter.

Dem Braven stürzen die Tränen aus den Augen und er schluchzt: „Nichts weiter, Master Kapitän.“

„Dann gebe ich dir den Rat, Joshuah, weiter nachzuspüren. Vor allen Dingen erkundige dich, was heute für Schiffe den Hafen verlassen haben.“

Er blickt geradeaus, und die See tanzt im Scheine des Mondlichtes in leichten Wellen vor ihm. Weit im Hintergrunde sieht er ein dunkles Schiff. Es ist eine bauchige Prahm. Mit geblähten Segeln schleicht sie geheimnisvoll über den Meeresspiegel. Sie nimmt den Kurs auf den Kanal von Jamaica. Anscheinend handelt es sich um ein Küstenschiff, das zu irgend welchen Ausbesserungen an den Hafenanlagen als Arbeitsschiff in Dienst gestellt worden ist.

Hein Gothe hat keine Ahnung, daß dieses scheinbar schwerfällige Arbeitsschiff unheimliche Mengen Jamaica-Rum geladen hat, und daß es nach den Unionstaaten unterwegs ist. Er ahnt ferner nicht, daß die Prahm ein Juwel an Bord hat, eine junge, bildschöne Dame, die verzweifelt mit geballten Händen gegen die schweren Holzwände ihres Gefängnisses schlägt, und die doch bald einsehen muß, daß niemand ihr Hilfe bringt, daß sie einem Schurkenstreiche zum Opfer gefallen ist, und daß ihr Geschick unter Umständen ein furchtbares werden wird, denn sie ist in die Gewalt des Mannes gefallen, den sie zu überlisten geglaubt hat, nämlich des Alkohol-Schmugglers Tony Cometta, des gefürchteten Gangster-Führers.

 

24. Kapitel.

Freibeuter-Romantik.

Der größte Freibeuterzug, der sich die Vernichtung der Stadt Panama zur Aufgabe gemacht hat, ist geglückt. Mit weit über dreißig Schiffen ist Harry Morgans Flibustierflotte aufgebrochen. Man hat den wilden Bukaniern Schätze über Schätze versprochen, und der Schwarze Admiral wußte, daß er sein Wort halten konnte.

Fast zweitausend Mann waren auf den Schiffen verteilt, um an dem Beutezug, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte, teilzunehmen. Galeerensträflinge, Mörder, Straßenräuber, entrechtete Nigger, Mischlinge und entlaufene Sklaven, im buchstäblichen Sinne der Abschaum der Menschheit, ist dem Schwarzen Admiral unterstellt.

Er weiß, daß er mit diesen Truppen seiner Armada einen schweren Stand haben wird, aber er fürchtet sich nicht.

Nur einen fürchtet er. Es ist Yon, der Wiking.

Alle Führer der stolzen Freibeuterflotte sind auf Morgans Flaggschiff, den „Neun Knoten“, versammelt. Auch Yon befindet sich unter ihnen. Harry Morgan, der Schwarze Admiral, reicht jedem einzelnen die Hand. Als er vor dem Kapitän der Bonaventura steht, blickt dieser ihn starr an. Es ist, als ob sein Blick aus Dolchspitzen besteht.

Der Schwarze Admiral wendet sich zur Seite. Er kann diesen Blick nicht ertragen. Die Führer begeben sich auf ihre Schiffe, und nach langer Fahrt landet man an der Küste von Panama.

Die beiden Forts am Eingang des Hafens werden dem Erdboden gleichgemacht und dann beginnt der Marsch durch Steppe und Urwald auf die Stadt Panama.

In höllischer Glut brennt die Sonne vom Himmel, alles dörrt in der Hitze. So marschiert man den Spaniern entgegen, die vor der Stadt den wilden Freibeutern einen Kampf liefern wollen.

Die Bukanier stutzen, als sie die Übermacht der Feinde erblicken; es scheint, als ob die Spanier die Freibeuter mit der Macht ihrer Zahl erdrücken wollen. Doch da geht Yon, der Wiking, mit seiner wilden Schar vor. Er will die Entscheidung herbeiführen. Mit seiner gefürchteten Streitaxt drängt er gegen die Feinde an, die bestürzt solchen Mutes und solcher Todesverachtung zurückweichen.

Es dauert nicht lange, so löst sich alles in wilder Flucht auf. Auch Jolly nimmt am Kampfe teil. Sie hat Morgan gebeten, an seiner Seite fechten zu dürfen. Aber sie wird von ihm getrennt, und plötzlich erblickt sie während des mörderischen Kampfes einen großen, reichgekleideten Spanier.

Jolly stutzt, ihre Augen spähen scharf hinüber, und dann erkennt sie ihn.

„Don Gudolfino“, klingt es hell und jauchzend über die Kampfesschar dahin, und nun stürmt sie vor. Den Degen in der geballten Faust stürzt sie dem Spanier, dem ihr ganzer Haß gilt, entgegen.

Der edle Don ist von einer Anzahl seiner Getreuen umringt. Man stellt sich dem verkleideten, mutigen Mädchen entgegen. Don Gudolfino hat sie jetzt erblickt, und er ruft höhnisch:

„Ha, das Freibeuterliebchen!“

Er will sich vordrängen, doch es trennt ihn die Schar der eigenen Kämpfer vor ihr. Erst nach einigen Sekunden öffnet sich die Kette, und beide stehen sich gegenüber. Stoß auf Stoß, Hieb auf Hieb folgt, Jolly dringt im Eifer des Kampfes zu weit vor, und auf einmal steht sie isoliert da.

Zu allem Unglück stolpert sie über einen Stein und stürzt in die Knie. Don Gudolfino, der spanische Edelmann, jubelt wild auf. Schon hebt er den Degen zum Todesstoß, doch da erkennt Morgan, der Schwarze Admiral, der ganz in der Nähe in wütenden Streichen gegen die Feinde vorgeht, die Gefahr, in der Jolly schwebt.

Er hebt die Pistole; bevor der Spanier den Todesstoß ausführen kann, sinkt er, von Morgans Schuß in den Kopf getroffen, zu Boden.

Es ist jetzt kein Halten mehr. Die Bukaniere sind wie irrsinnig vor Gier nach den Schätzen der reichen Stadt. Es hebt ein furchtbares Morden und Plündern an. Panama wird vollständig ausgeraubt und dem Erdboden gleichgemacht. Was nicht geflohen ist, was sich nicht in die anliegenden Wälder zurückgezogen hat, wird getötet.

Dann braust ein Flammenmeer über die unglückliche Stadt dahin, und die rote Glut leuchtet anklagend zum nächtlichen Himmel empor, während die raublustigen Bukaniere mit reichlicher Beute beladen durch die Steppe nach ihren Schiffen zurückkehren.

Es ist der größte Raubzug, den der Schwarze Admiral unternommen hat, der ihm aber auch die größten Verluste einbrachte.

Als sie wieder auf dem Schiffe angelangt sind, erfährt Jolly, daß Yon, der Wiking, bei dem mörderischen Kampfe den Tod gefunden hat.

– – –

Auf der Themse ankert das stolze Kriegsschiff „King Karl“. An Deck desselben steht ein Mann in reichgekleideter Tracht. Finster läßt er seine dunklen Augen über den Hafen dahingleiten. Stolz und herrisch steht er da, trotzdem er an Händen und Füßen mit eisernen Ketten belastet ist.

Jetzt muß er über einen Landungssteg, er wird von mehreren Seesoldaten bewacht. So geleitet man ihn in Londons furchtbares Gefängnis, den Tower.

Hier brütet Harry Morgan, der Schwarze Admiral, finster vor sich hin. Er denkt darüber nach, ob sein Leben in diesen feuchten, unheimlichen dicken Mauern enden soll, oder ob es sich noch abenteuerlicher gestalten wird, als bisher.

Sein Geist aber weilt in Kingston, der Hafenstadt von Jamaica, wo er die Genossen seiner blutigen Taten zurücklassen mußte. Dort befinden sich auch seine unermeßlichen Schätze, die er auf seinen Raubzügen erbeutet hat.

Als er von seinem Siegeszuge von Panama in seinen Schlupfwinkel zurückkehrte, lockte man ihn auf ein englisches Kriegsschiff und legte ihn in Ketten. Trotzdem sein Vorgehen gegen die Spanier die Sympathie der Engländer fand, sollte er sich wegen seines räuberischen Zuges gegen die Stadt Panama vor den englischen Richtern verantworten.

Spanien hatte protestiert, ja, es drohte, als alle papierenen Proteste nichts halfen, mit der Vernichtung der englischen Flotte. Zuletzt verlangte man den Kopf des Schwarzen Admirals.

Am Hofe des Königs schmunzelt man niederträchtig über das Verlangen der Spanier, denn schon längst ist man nicht mehr in der Lage, den Drohungen den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Es ist offenes Geheimnis, daß Harry Morgan am englischen Hofe viele Gönner und heimliche Bewunderer hat. Man ist ihm außerordentlich wohl gesinnt. Daher liegt man auch dem König in den Ohren, nicht allzu hart gegen den vermeintlichen Sünder vorzugehen, ja, man legt dem König nahe, ihm die Freiheit zu schenken.

Morgan wird dem König vorgeführt, und siehe da, sich gewandt vor dem britischen König verbeugend, legt der Schwarze Admiral ihm in wohlziemender Rede einige Millionen seines Reichtums zu Füßen, die er angeblich für England im Kriege den verhaßten Spaniern abgenommen hat.

Der König ist ebenso überrascht als erfreut.

Er befindet sich, wie alle Fürsten zu damaliger Zeit, in dauernden Geldnöten. Harry Morgan ist der Held des Tages, und zum Danke für das große Geschenk wird der Schwarze Admiral anstatt, daß er ins Gefängnis wandert, zum englischen Ritter geschlagen.

Im Gefolge des Königs befindet sich eine reizende, schlanke Edeldame, bei deren Anblick Harry Morgan unwillkürlich stutzt.

Er glaubt zu träumen, doch als er schärfer hinblickt, weiß er, daß es kein Irrtum ist. Da tritt sie zu ihm hin und reicht ihm mit bezauberndem Lächeln die Hand.

„Siehe da, ein alter Bekannter“, sagt sie leutselig, „ich glaube, wir hatten das Vergnügen, Sir Morgan, uns in Kingston auf Jamaica kennenzulernen?“

Die Umstehenden horchen auf, es gehen abenteuerliche Gerüchte über Lady Morleigh um. Man möchte wissen, was Wahres daran ist.

Der Schwarze Admiral erwidert gewandt: „Ich entsinne mich, hochedle Lady Morleigh.“ Es klingt ebenso respektvoll als bescheiden.

Plaudernd durchschreiten sie den Saal, und später stehen sie im nächtlichen Garten des Königsschlosses.

Er sieht sich hastig um, ob sie allein sind, und dann, als er sich überzeugt hat, daß sich kein Lauscher in der Nähe befindet, herrscht er sie finster an.

„Wie kommst du hierher?“

Da erwidert sie ruhig: „Ich hörte von deiner Festnahme, Harry, bestieg das nächste Schiff, das nach Europa fuhr, und war zwei Tage früher hier als du. Begreifst du nicht, daß ich für dich sprechen mußte? Ich mußte doch für dich Stimmung machen.“

Lange blickt der Schwarze Admiral sie an. Dann sagt er in einem Tone, wie es sich einer Lady gegenüber gehört:

„Ich bitte um Eure Hand, Lady Morleigh; wollet Ihr mir die Gunst erweisen, zeitlebens meinem Hause, das ich noch bauen werde, als Gattin vorzustehen?“

Stolz, mit einem Neigen des schönen blonden Kopfes, erwidert sie:

„Diese Gunst sei Euch gewähret, Harry Morgan.“

So trat der Schwarze Admiral, der gefürchtete Bukanier aller Zeiten, der Schrecken der westindischen Küsten und Meere, mit seinem Bukanierliebchen vor den Altar und empfing vom englischen Bischof den Segen zu einem ehrsamen Ehebunde.

Er baute sich Schloß Mortehoe-Castle und stieg so hoch in der Gunst seines Königs, daß dieser ihn später als Gouverneur nach Jamaica schickte.

 

25. Kapitel.

Der neue Kapitän.

Ganz früh am andern Morgen tauchen Pyle, Thomson und der junge Schiffsarzt im Hospital auf.

Hein Gothe stutzt, als er sie kommen sieht. Es ist ihnen anzumerken, daß sich etwas sehr Unangenehmes von großer Bedeutung ereignet hat. Er soll denn auch nicht lange im Unklaren bleiben.

Thomson erzählt mit rauher Stimme: „Käptn, wir sind unserer Stellungen entsetzt. Ich, Pyle und Dr. Honeybell.“

Hein Gothe blickt die drei Männer verständnislos an. Er schüttelt den Kopf und weiß nicht, was er dazu sagen soll. Thomson klärt ihn, wobei er hart auflacht, weiter auf.

„Wir haben einen neuen Herrn bekommen – weiß der Himmel, wie er das angestellt hat. Er hat uns ein Dokument vorgezeigt, daß er berechtigt ist, das Eigentum seiner Kusine, der hochgeborenen Miß Jolanthe Morgan, zu schützen. Es wird ihm in dem Dokument gerichtlicherseits vollkommene Bewegungsfreiheit bescheinigt.

Ich denke mir die Sache so! Er hat ein Kabeltelegramm mit England gewechselt, worauf das Londoner Gericht den Gouverneur angewiesen hat, ihm vorläufig alle Rechte eines Kapitäns der Adventure einzuräumen. Er ist gestern abend sehr spät an Bord erschienen und hat von dem Schiff Besitz ergriffen.

Er schläft in Ihrer Kajüte, Kapitän, einer von uns wollte Sie benachrichtigen, aber es war schon zu spät. Er hat uns gleichzeitig gestern abend eröffnet, daß wir unseres Kontraktes enthoben sind. Die Löhne werden uns heute auf längere Zeit ausgezahlt.

Es wird wohl kaum etwas zu machen sein, denn das Dokument ist echt, es trägt die Unterschrift des Gouverneurs und seinen Stempel.

Wir haben uns daher heute morgen in aller Frühe auf den Weg gemacht, um Ihren Rat einzuholen.“

Die Brust des Kapitäns hebt und senkt sich schwer während dieser Rede. Die Zornesader schwillt ihm auf der Stirn, so daß es aussieht, als ob sie zerspringen will.

Die breite Brust hebt und senkt sich wie ein Blasebalg. Aber als er hierauf spricht, geschieht es jedoch in beherrschtem Tone.

„Was ist mit Joshuah, was hat er herausbekommen?“ fragt Hein Gothe, von einem zum andern blickend.

„Wir wissen nichts, Käptn“, erwidert der junge Arzt. „Joshuah ist bisher noch nicht zurückgekehrt.“

Der, von dem die Rede ist, wird mit einem Male sichtbar. Er biegt um die Ecke und kommt atemlos heran.

Sein schöner, weißer Matrosenanzug, den er sich erst vor zwei Tagen zugelegt hat, und auf den er so stolz ist, zeigt überall schmutzige Stellen.

Die drei Männer weichen unwillkürlich von ihm zurück, denn Joshuah verbreitet einen üblen Schnapsgeruch.

„Joshuah, du Schwein, du bist ja sternhagelbetrunken“, schreit Hein Gothe ihn wütend an, um dann mit Achselzucken hinzuzusetzen:

„Da schickt man diesen Kerl, im Vertrauen auf seine Intelligenz und Nüchternheit, in wichtigem Auftrage fort, um ihn zwölf Stunden später als besoffenen Nigger wiederzusehen.“

Doch Joshuah ist durchaus nicht gekränkt. Er grinst im Gegenteil, wie es Hein Gothe und auch den andern Männern deucht, ganz unverschämt.

„Master Kapitän sollen sehr viel gut zufrieden mit braven Joshuah sein“, bringt er endlich hervor. Dabei faßt er sich mit beiden Händen an den Bauch und schüttelt ihn. Behaglich schmunzelnd versichert er:

„Joshuah viel Branntwein trinken müssen sehr viel Rum, brrr, nicht gut, viel trinken, aber Schiffer haben Joshuah viel Schnaps gegeben. Großes, schweres Schiff mit Alkohol von Cometta gestern abend nach Amerika in See gegangen. Tim und Bart an Bord, und eine andere Fracht, viel geheimnisvolle Fracht, großes Bündel, lang und schwer, mir Schiffer erzählen beim Trinken. Arbeiter am Hafen gesehen, wie langes, schweres Bündel auf Alkoholschiff hinaufgehoben ist. Gewiß und wahrhaftig, Master Kapitän, alles haben Joshuah in dieser Nacht gehört. Daher viel Schnaps trinken, Joshuah hat Bauch voll Rum und Schnaps.“

Hein hätte den halb betrunkenen Joshuah am liebsten umarmt.

„Wenn das wahr ist, Joshuah, dann werde ich dich fürstlich belohnen“, ruft er aus.

Dann wendet er sich an die drei Männer, die den Schwarzen wohlgefällig anblicken.

„Vorwärts, helft mir, ich muß auf die Adventure zurück, und ich möchte den sehen, der mir mein Schiff streitig machen will.“

Mit triumphierendem Lächeln spricht er schon weiter:

„Ich habe nämlich noch rechtsgültigere Besitzrechte, als dieser schuftige Mr. Dibble. Es steht nämlich in meinem Vertrag, daß ich, wenn Miß Morgan sterben, oder wenn ihr ein Unglück zustoßen sollte, die Adventure solange als Eigentum betrachten darf, bis unsere junge Herrin wieder auftaucht. Ist sie tot, dann gehört das Schiff mir, dagegen kann auch kein Gouverneur und kein Gericht ankämpfen.“

Strahlendes Lächeln erscheint auf allen Gesichtern, doch dann spricht Dr. Honeybell in ernstem Tone:

„Aber Sie wollen doch nicht in diesem Zustande das Hospital …“

„Still“, unterbricht Hein Gothe den jungen besorgten Arzt.

„He, Joshuah, komm her“, wendet er sich an den Schwarzen, „du bist zwar betrunken, aber immerhin vertraue ich mich dir an.“

Der Schwarze scheint zu wissen, um was es sich handelt. Er tritt ans Bett und hält seinen Rücken hin. Und nun umklammert Kapitän Gothe den Hals des Negers und läßt sich so, gefolgt von den drei Männern, aus dem Hospital tragen.

„Master Kapitän eine leichte Last für Joshuah, wenn auch Bauch voll Rum“, grinst der Schwarze.

Unten fährt ein Wagen vor.

„Zum Gouverneur!“ ruft Hein Gothe dem Schofför zu. „Erwartet mich am Hafen!“ befiehlt er seinen Getreuen, und schon verschwindet der Wagen.

Thomson und Pyle blicken sich an. Ersterer sagt:

„Weißt du, worauf ich mich freue? Und worauf ich außerordentlich neugierig bin? Auf die Begegnung zwischen dem alten und dem neuen Kapitän. Ich glaube, wir amüsieren uns köstlich.“

„Joshuah sich sehr viel freuen“, mischt sich der Schwarze ein, und er hüpft von einem Bein auf das andere.

Eine halbe Stunde später taucht der Wagen wieder auf. Die Männer von der Adventure brauchen nicht viel zu fragen. An dem strahlenden Gesichtsausdruck ihres jungen Kapitäns erkennen sie, daß er Erfolg gehabt hat.

Joshuah trägt den Kapitän vorsichtig die Treppen hinab und setzt ihn in der Schaluppe auf eine Bank.

Das schlanke Boot durchschneidet, vom Motor getrieben, elegant die Flut. Einige Minuten später legt es an der Adventure an, und das Fallreep wird herabgelassen.

Es ist etwas schwierig, den Kapitän an Bord der Adventure zu bringen, doch es gelingt. Hein Gothe prustet und stöhnt, als er oben an Deck angelangt ist. Die Mannschaft beglückwünscht ihn, soweit sie sich an Deck befindet. Da taucht plötzlich Mr. Dibble im Hintergrunde auf. Er hat das Monokel ins Auge geklemmt und stolziert hochmütig wie der Storch im Salat als neugebackenes Schiffsoberhaupt auf und ab.

Er ist so verblüfft, daß das Glas aus seinem Auge fällt und er ganz verdattert dasteht.

Dann kommt er heran und spielt den Entrüsteten. „Ich bin laut Befehl des Gouverneurs jetzt auf der Adventure der Herr“, spricht er provozierend, „ich muß Sie also bitten, Mr. Gothe, das Schiff sofort zu verlassen.“

Hein Gothe blinzelt seinen Leuten vergnügt zu …

„Schnell ein Seil“, gebietet er, und bevor der Engländer weiß, was geschehen soll, legt man ihm eine Schlinge um den Leib, trotzdem er sich heftig sträubt.

„So, Mr. Dibble, jetzt werden Sie zeigen, ob Sie schwimmen können“, höhnt Hein Gothe. Es gibt gegen seine Kraft kein Widerstreben. Er packt mit nerviger Faust den Engländer am Rockkragen, zieht ihn trotz seines Beinstumpfes an die Reling, und nun wirft er ihn mit einem Schwung darüber hinweg ins Meer.

Mr. Dibble landet in mächtigem Bogen im Wasser. Man beobachtet ihn von oben, wie er untertaucht, schnell wieder hochkommt und mit mächtigen Stößen nach dem Lande hinüberschwimmt.

Da schneidet man auf Befehl des Kapitäns die Leine durch, und lange ergötzen sich die Zuschauer an dem Anblick des flüchtenden Engländers. Erst als er von einem anderen Fahrzeug aufgenommen wird, hallt Hein Gothes mächtige Stimme über Deck.

Die Maschinen beginnen zu arbeiten, und die Adventure setzt sich in Bewegung.

Sie neigt sich leicht zur Seite wie ein Albatroß, wenn er zum Fluge ansetzt.

Kühn und flink durchschneidet sie die Wellen, während mittschiffs unter Deck die Kolben der Maschinen rhythmisch hin und her jagen, und die beiden mächtigen Schrauben sich im Wasser drehen.

Hein Gothe hofft, in zwei Tagen das Schmugglerschiff einzuholen, und dann – ? –

Seine Augen blitzen, sie sagen alles, wenn sein Mund auch schweigt.

 

26. Kapitel.

Wikingblut.

Jolly Morgan weiß nicht, was mit ihr geschehen ist. Sie erwacht mit rasendem Kopfweh, und es währt geraume Zeit, bis sie sich zurechtfindet, bis sie feststellt, daß sie sich auf einem Schiff befindet, und daß dieses in Fahrt ist.

Sie liegt in einem einfachen Bett in fester Kajüte. Über sich sieht sie ein Fenster. Stufen führen zu einer Tür hinauf, sie kennt diese armseligen Schifferkähne, die sehr große Lasten mit kleinen Maschinen und ungenügenden Segeln langsam dahinschleppen.

Sie schreit auf, springt hoch, eilt die Treppe hinauf und schlägt mit geballten Händen gegen die Tür. Dabei ruft sie fortwährend um Hilfe.

Doch niemand kommt, nur einmal ist ein hohnvolles Gelächter draußen zu hören.

Da weiß sie, daß es keinen Zweck hat, sich gegen das Schicksal aufzulehnen, und sie ergibt sich dumpf darein.

Das Schlimmste ist, daß sie nichts hören und sehen kann. Eine schwere Maschine stampft monoton irgendwo und macht die Schiffswände erzittern.

Es ist zum Verzweifeln, und es dauert lange, bis sie sich ermannt.

Mit trüben Lächeln denkt sie an ihren berühmten Vorfahren, den Schwarzen Admiral. Dann fragt sie sich, wie sie hierhergekommen ist.

Es ist kaum daran zu zweifeln, daß ihr Vetter ein Komplott gegen sie angezettelt hat. „Oh, was für ein abscheulicher Mensch ist er doch“, spricht sie schluchzend vor sich hin

Eine große Angst befällt sie, denn sie weiß nicht, was man mit ihr vorhat. Das Blut erstarrt ihr fast in den Adern, als sie daran denkt, daß man sie vielleicht verschwinden lassen will, um die Erbschaft anzutreten.

Oder will man ein Lösegeld für ihre Freilassung erpressen? Steckt Tony Cometta, der Alkoholschmuggler dahinter?

Doch was hat alles Grübeln für einen Zweck? Es bleibt ihr nichts weiter übrig, als sich mit den Tatsachen vorläufig abzufinden.

Oh, wie grausam ist das alles. Gestern nachmittag, bevor sie die Fahrt nach der Ruine antrat, hatte sie die Absicht, sich nach dem Hospital zu begeben.

Hein Gothe sollte erfahren, daß sie ihn liebte, daß der Kuß am Tage vorher nur ein flüchtiges Vorspiel gewesen war, daß er, Yon, der starke Wiking, ihr Herz bezwungen hatte.

Und nun dieses traurige Ende? Der Geliebte lag hilflos im Hospital, und wahrscheinlich kümmerte sich niemand um ihn.

Sie weinte, so sehr sie sich auch als Nachkomme des Schwarzen Admirals dieser Tränen schämt.

Aber bald wußte sie bestimmt, daß sie einem Komplott zum Opfer gefallen war, denn Tim, einer der ständigen Begleiter Comettas, taucht oben an der Luke auf.

Er grinst sie hohnvoll an und fragt, ob sie irgend welche Wünsche habe.

„Mein innigster Wunsch ist, Ihre gemeine Fratze nicht mehr sehen zu müssen“, erwidert sie, von heiligem Zorn erfaßt.

Der Mann verschwindet, wobei er einen lästerlichen Fluch ausstößt.

Eintönige Stunden folgen und machen Jolly das Leben zur Hölle. Die Kabine ist so klein, daß sie sich kaum drei Schritte hin- und herbewegen kann. Zudem herrscht eine stickige, schwüle Luft in dem kleinen Raume.

In der zweiten Nacht darf sie sich einige Zeit an Deck des Schiffes begeben. Sie nimmt auf einem Liegestuhl Platz und blickt in den Sternenhimmel hinauf.

Es meldet sich merkwürdigerweise weniger das Gefühl der Angst in ihr. Sie lebt in dem Bewußtsein, daß bald ein Wunder geschehen muß.

Am Morgen, als der Tag graut, schreckt eine rauhe Stimme sie hoch. Sie muß wieder in ihr Gefängnis hinab.

Fern im Osten meldet sich der Tag. Anscheinend ist die Küste nicht allzu weit. Jolly glaubt einen grauen Nebelstreifen in der Ferne zu sehen, als sie wieder in ihr Gefängnis hinabgeht. Es sieht bald so aus, als ob sie um die Insel herum fahren.

Und wieder folgen Tag und Nacht. Dann geschieht das Wunder, auf das sie gewartet hat. Es befinden sich sechs Männer an Bord des Prahms. Sie eilen hurtig auf dem Deck hin und her, und Jolly hört in ihrem Versteck aufgeregte Worte.

Das Herz klopft ihr heftig in der Brust, sie kauert sich auf der Treppe nieder und horcht, und dann vernimmt sie ein Wort, das einen ungeheuren Jubel in ihr auslöst. Dieses Wort heißt: Adventure.

Aber dann stockt plötzlich ihr Herzschlag, und tiefe Trauer zieht durch ihr Gemüt.

„Yon“, murmelt sie mit wehzuckendem Munde, „man ist ohne ihn abgefahren, man hat ihn in Kingston zurückgelassen?“

„Aber es ging ja nicht anders“, tröstet sie sich hinterher, „er ist ja krank, er muß erst ganz genesen.“

Sie horcht mit angehaltenem Atem. Was war das? Sie vernimmt eine Stimme, die in tiefem gewaltigen Klange bis zu ihr hinabdringt.

„Yon“, flüstert sie mit einem unsagbarem zitterndem Glück.

Sie hört weiter.

„Beidrehen, oder bei Gott, wir bohren euch in den Grund!“ hört sie wieder die Stimme des Geliebten. Offenbar benutzt er ein Sprachrohr. Aber Jolly weiß, daß sie sich nicht getäuscht hat, daß es ihr Yon, ihr Wiking, ist.

Dann gibt es einen scharfen Ruck, es scheint, als ob hundert Füße plötzlich auf Deck des Prahms herumtrampeln. Dann taucht jemand an ihrer Tür auf. Sie wird geöffnet und ein breites, schwarzes, grinsendes Gesicht erscheint.

„Hier sein Joshuah, gute schöne Missi!“ ruft der Schwarze mit strahlendem Gesicht aus. Die Tränen rollen ihm vor Freude über die schwarzen Wangen.

Behende eilt Jolly hinauf. Sie sieht im Hintergrunde sechs Männer stehen und unter ihnen zähneknirschend die beiden Beschützer des ehemaligen Schmugglerkönigs Tim und Bart.

Die Adventure liegt dicht neben dem Schmugglerschiff. Zehn Mann, unter ihnen Pyle und Thomson, befinden sich auf dem Schmugglerschiff.

Gemächlich wird das Schnapsschiff verlassen. Einer nach dem andern klettert auf die Adventure zurück. Oben an der Reling stehen mehrere Matrosen und halten mit Revolvern und Flinten die Banditen in Schach.

Als Jolly das Fallreep erklommen hat, taucht ein braunes, kühnes Gesicht vor ihr auf. Unwillkürlich läßt sie den Blick an der Gestalt Hein Gothes herabgleiten, und sie sieht einen sonderbar geformten Holzstumpf an dem kranken Bein.

Von hinten wird sie mit wütendem Geheul überfallen. Es ist Juggins, der sich vor Freude nicht halten kann.

Heißes, jubelndes Glück läßt Hein Gothes Antlitz aufleuchten.

„Jolly – du meine angebetete Piratenbraut“, flüstert er ihr ins Ohr, während seine Arme sich um sie schlingen.

„Yon, du mein Wiking, du mein einziger Mann“, jubelt sie und legt den blonden Lockenkopf an seine Brust.

Die Mützen der Matrosen fliegen in die Luft, und ein dreifaches Hurra löst sich von den Lippen, während die Adventure sich vom Prahm löst.

Dr. Honeybell, der die Tätigkeit des Funkers mit ausübt, setzt die Behörden von Kingston sofort in Kenntnis, was geschehen ist. Er teilt mit, daß ein gewisser Tony Cometta, der amerikanische Schmugglerkönig, im Verein mit Godolphin Dibble die ehrenhafte Miß Jolanthe Morgan entführt hat.

Cometta wird gerade in dem Augenblick gefaßt, als er in ein Boot springen und sich auf ein abfahrendes Schiff begeben will. Er hat sich später mit Godolphin Dibble gemeinsam vor dem Richter wegen Menschenraub zu verantworten.

Und da wir nicht mehr zur Zeit des Schwarzen Admirals leben, so sehen die beiden in Kürze schweren Freiheitsstrafen entgegen.

– – –

Irgendwo an der Küste von Jamaica landet die Adventure, und ein Priester wird in der Schaluppe an Bord des Schiffes geholt.

Ihm folgt der Standesbeamte, und dann werden Hein Gothe und Jolly Morgan getraut.

Es findet ein mehrere Tage währendes Hochzeitsfest auf der Adventure statt. Dann durchkreuzt das nachgebildete Admiralschiff die Weltmeere von Westen nach Osten und von Süden nach Norden, bis endlich eines Tages, es sind zwei Jahre verflossen, Mortehoe-Castle aufgesucht wird.

Das junge Paar landet in Morgans Schloß, zum Jubel Tante Flavias, die inzwischen, nachdem sie die Schurkerei ihres Neffen Godolphin erfahren, mit ihrer Verwandtschaft gebrochen hat.

Und hier, in Mortehoe-Castle, wächst jetzt ein neues Geschlecht heran, denn Yon, der Wiking, und Jolanthe, die von ihm gebändigte Nachfahrin des großen Freibeuters Harry Morgan, bürgen für eine stolze und kühne Nachkommenschaft.

 

Ende.

 

 

Anmerkung:

  1. Hierbei handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Walther Kabel, welcher als W. v. Neuhof an der Reihe mitgewirkt hat und auch als Co-Autor von Moellwitz beim Roman Der Tempel der Kala Bagh angegeben ist.