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Pension Dr. Buckmüller

 

 

Harald Harst: Aus meinem Leben

 

Band: 190

 

Pension Dr. Buckmüller

 

Erzählt von

Max Schraut (Walther Kabel)

 

1. Kapitel.

Ein Reinfall.

Der 13. Dezember … Über den Kurfürstendamm gleiten elegante Autos dahin … Der Westen Berlins erwacht zum Nachtleben. An den Palästen der Tauentzienstraße flammen Lichtreklamen auf, verkriechen sich mit ihren Buchstabenreihen wieder in das Dunkel, blinken von neuem auf … Geputzte Menschen schlendern trotz des feinen Sprühregens in dichten Scharen an grell beleuchteten Schaufenstern vorüber. Bettler, Hausierer schielen ängstlich nach gefürchteten Polizeistreifen. Reichtum, Armut, Laster, frühe Verderbtheit, bejahrte Raffiniertheit in allen Lüsten dieses rasch verrauschenden Daseins: der Jahrmarkt Berlin, der Jahrmarkt einer neuen Zeit, in der alles ausgelöscht ist, was einst trauliche Behaglichkeit und bescheidene Vergnügungssucht hieß.

Unser Auto, das wir um drei Viertel acht an der unserer Blücherstraße nächstgelegenen Haltestelle für Kraftwagen bestiegen haben, fährt über den regenfeuchten, wie Stahl schillernden Asphalt dahin und hält an der Ecke der Hardenbergstraße. Harst stößt die Tür auf, und ein Zeitungshändler mit verwittertem Gesicht und trüben, matten Augen nimmt rasch auf einem der Klappsitze Platz.

„Guten Abend, meine Herren,“ begrüßt uns Johann Borgutzki etwas nervös. „Die Herren sind pünktlich … Wir werden gerade zur richtigen Zeit dort sein …“

Er stellt die Ledertasche mit den Zeitungen auf seine Knie und nimmt mit einem „Besten Dank“ eine Zigarette aus Haralds Etui.

Unser Auto hält kurz vor dem Obersky-Haus in der Potsdamer Straße. Links von diesem Geschäftspalast liegt, umgrenzt von Straße und Zugangswegen des Kleistparkes, eine unbebaute Parzelle, auf der sieben Laubenbesitzer in idyllischer Abgeschiedenheit inmitten des Häusermeeres ihren stillen Freuden als Kleingärtner nachgehen. Zu diesen Glücklichen, die vorläufig noch ein Fleckchen freier Erde ihr eigen nennen, gehört auch Johann Borgutzki. Seine Laube, eine armselige Bude jetzt, im Sommer jedoch ein weinumranktes grünes kühles Häuschen, lehnt sich an die himmelhohe Wand des Obersky-Palastes und liegt in der Mitte zwischen drei ähnlichen Laubenhäuschen.

Borgutzki ist mittags eine halbe Stunde bei uns gewesen. Was er uns erzählt hat, bestimmte uns zu diesem abendlichen Ausflug.

Er hatte vor drei Tagen in seinem Gärtchen vormittags ein wenig Ordnung schaffen wollen, trockene Stauden ausreißen, den Rest der Erdbeeren verpflanzen und auch Grünkohl mit nach Hause nehmen. Seine Laube war stets unverschlossen. Die von innen mit Dachpappe benagelte Lattentür besaß nur eine einfache Hakenkrampe. In der Laube hatte er sich eine Art primitiven Diwan zusammengebaut. Daneben stand ein Brettertisch, und an der anderen Wand hing eine Kiste als Schränkchen, deren Deckel mit zwei Scharnieren gleichfalls nur einen Verschlußhaken hatte.

Wie er nun an jenem Vormittag nach getaner Arbeit sich eine Weile auf den mit alten Decken benagelten Ruhesitz niederließ und seine billige Zigarre qualmte, dabei draußen die Stachelbeersträucher beschaute, die in diesem gelinden Winter bereits wieder Blattknospen trieben, – wie er so mit dem Behagen des Naturfreundes sich inmitten dieses seines Fleckchens Garten König dünkte, hörte er unter dem Patentdiwan (eine wegen Wanzenüberflusses nächtlich über den Zaun beförderte Bettmatratze hatte nach gründlicher Ausräucherung den Hauptteil dieser Chaiselongue geliefert) – hörte er also unter sich ein raschelndes Geräusch, das er zunächst einer Ratte zuschrieb.

Er nahm seinen Spazierstock und fuhr damit unter das Ruhebett, stieß dabei gegen einen Kasten, der mit einem hohlen und dumpfen Ton über den Stockhieb quittierte.

Nanu – ein Kasten?! – Sein Kasten war das nicht! Unter dem Diwan lagen lediglich die Gartengeräte, Spaten, Harke, Hacke …

Borgutzki bückt sich, streicht ein Zündholz an und leuchtet.

Wirklich ein kleiner Holzkasten – sogar ein schwarz lackierter – mit goldenen Vögeln, Palmen und Tempeln auf dem Deckel …

Er zieht das Ding hervor, stellt es auf den Tisch.

Komisch – in den Deckel sind Löcher gebohrt, dicht bei dicht, und der Deckel ist verschlossen.

Mit einem Male fährt der alte Mann zurück …

Teufel – da muß ein Tier drin sein … Das Tier hat gezischt …

Und jetzt bewegt es sich, raschelt, scheuert an den Wänden, zischt wieder.

Borgutzki zieht sein Schlüsselbund aus der Tasche …

Der kleine Schlüssel paßt … Der kleine Schloßriegel springt zurück, und ganz vorsichtig hebt der Alte den Deckel – ganz wenig …

Plötzlich sieht er da zwei glitzernde Pünktchen, einen kleinen flachen grünen Schlangenkopf …

Rasch bläst er dem Reptil, das den Kopf schon ins Freie zwängt, Zigarrenrauch entgegen. Der Kopf verschwindet, und mit etwas zitternden Fingern drückt er den Deckel wieder zu, schließt den Kasten ab und überlegt.

Diese grüne Schlange in dem eleganten Kasten ist keine Ringelnatter – niemals! Noch weniger Blindschleiche oder Kreuzotter.

Er bückt sich abermals …

Man kann ja nicht wissen … Vielleicht hat der Obdachlose hier noch mehr versteckt.

Wahrhaftig – da ist ein brauner Pappkarton ganz hinten, fest umschnürt mit einer seidenen Gardinenschnur …

Raus mit dem Ding … Mal nachsehen …

Und – Wunder über Wunder! – in dem Karton liegt ein vollständiger Damenanzug: braunes Straßenkleid, Lackschuhe, Seidenstrümpfe, Wintermantel mit Pelzbesatz, brauner kleiner Hut mit Seidenbandgarnierung, Damenwäsche, ein modernes Lederhandtäschchen, darin Puderbüchse, zwei Batisttaschentücher[1], ein Fläschchen Parfüm, zwei Paar Wildlederhandschuhe, eine Börse mit neunzig Mark Inhalt und vier … Brillantringe!

Der alte Mann schlackert mit dem Kopf …

Überlegt wieder …

Hm – der Polizei den Fund melden?!

Polizei?! – Er schätzt die Herren nicht … Sie erschweren ihm sein Gewerbe so sehr … Früher hatte er am Hochbahnhof Nollendorfplatz seinen Stand. Nach dem Umbau mußte er abziehen … Jetzt am Zoo verdient er kaum halb so viel.

Nein – dieser merkwürdigen Geschichte will er zunächst mal selbst auf den Grund gehen.

Er schiebt auch den Karton wieder unter das Ruhebett. Abends muß dann seine Frau den Zeitungsverkauf übernehmen. Er selbst verbirgt sich nach Dunkelwerden in dem Anbau seiner Laube, wo er die Gießkannen, die Düngertonnen, die Stangen für die Bohnen und anderes gegen Schnee und Regen schützt.

Kurz nach acht Uhr bemerkt er denn auch eine Gestalt, die sich von den Säulenhallen des Kleistparkes her durch die hohe Hecke zwängt und tief geduckt auf die Laube zueilt.

Er hört, daß der Unbekannte, ein junger schäbig gekleideter Bursche, in der Laube sich umzieht. Er sieht durch die Ritzen der Laubenwand schwachen Lichtschein, kann den Fremden jedoch nicht genauer beobachten. Nach einer Viertelstunde verläßt eine elegante junge Dame die Laube und verschwindet durch die Hecke. – –

Johann Borgutzki sitzt am nächsten Abend wiederum auf seinem Lauscherposten. Jetzt hat er jedoch die eine Ritze erweitert.

Und – pünktlich fünf Minuten nach acht erscheint der zerlumpte Bursche abermals.

Borgutzki kann heute genau feststellen, daß der verkommene Strolch … ein junges, blondes Weib ist.

Und wieder verschwindet der seltsame Gast, nachdem er das Kostüm gewechselt hat.

Der alte Mann berät nachher mit seiner Frau. Die erinnert ihn an Harald Harst. Das sei wohl der Geeignete für diese „komische“ Sache. – So kommt er zu uns, so geschieht’s, daß wir zu dreien nun in dem Anbau der Laube stehen.

Fünf Minuten nach acht …

Tatsächlich – da ist sie wieder, die blonde Verkleidete, der junge Stromer. Die Tür der Laube knarrt leise, knarrt nochmals. Geräusche neben uns. Die Bretterwand ist ja nur dünn.

Dann ein schwacher Lichtschein …

Eine Taschenlampe liegt auf dem Brettertisch. Die Linse ist mit Seidenpapier umwickelt. – Ich sehe das Gesicht der Fremden … Schmal, bleich, schwarzes angeklebtes Schnurrbärtchen, dunkle Perücke, fettige fleckige Sportmütze, tief ins Genick gezogen – ein freches, verlebtes Gesicht, Typ Kaschemmenede! Dazu Gummikragen, knallroten Binder, löcherige, verschossene Lodenjoppe, aber … Zwirnhandschuhe!! Natürlich um die schmalen, sicherlich tadellos gepflegten Hände zu verbergen. Genau so wie das zurechtgeschminkte Gesicht fraglos in Wahrheit angenehme junge Züge aufweist. – Alles in allem eine glänzende Maske.

Die Fremde hat einen schmalen Karton mitgebracht. Der Form nach könnte er ein Mieder enthalten.

Sie nimmt nun die Taschenlampe und leuchtet unter das primitive Ruhebett, bückt sich ganz tief. Wir sehen nur noch ihren Rücken. Sie bewegt sich hin und her. Eine Glasröhre klirrt, und dann ein paar sausende, zischende Töne.

O – selbst Harald ist diesem Weibe nicht gewachsen … Selbst er hat später zugegeben, daß er diese Töne der Schlange zuschrieb.

Irrtum …!!

Mit einem Male spürt meine Nase, die trotz ihrer Winzigkeit und geringen Schönheit (Stupsfasson!) besser als die Haralds ist, einen merkwürdigen Geruch. Gleichzeitig beginnen mir die Augen zu tränen.

Und dann … reißt mich auch schon ein Taumel in einen bodenlosen Trichter hinab, der sich unter meinen Füßen geöffnet zu haben scheint.

Ich werde ohnmächtig … Und bevor mein Bewußtsein schwindet, fühle ich noch, daß jemand mir schwer gegen die Brust taumelt, Harald, vielleicht aber auch Johann Borgutzki.

Meine Betäubung dauert nicht allzulange. Das blonde Weib hat es nur darauf abgesehen gehabt, mit ihrem Schlangenkasten entwischen zu können. Sie muß doch bemerkt haben, daß Borgutzki sie in der Nacht vorher belauert hatte, und fürchtete ohne Zweifel, er könnte ihr irgendwie Ungelegenheiten bereiten.

Doch – zunächst unser Erwachen …

Wir lagen nebeneinander auf dem famosen Diwan in der Laube, ganz eng nebeneinander, und der Brettertisch war so neben diese Chaiselongue gerückt, daß ich, der nach außen hin seinen Platz hatte, nicht hinabrollen konnte.

Harald saß aufrecht da und hatte seine Taschenlampe bereits eingeschaltet, als ich zu mir kam. Mir war’s etwas wüst im Kopf, und die Kehle glich einem Reibeisen. Borgutzki hatte gleichfalls schon die Augen offen.

„Irgendein Gas hat uns erledigt,“ meinte Harald halblaut. „Ein kräftiges Weib muß es sein … Sie hat uns hier in die Laube getragen, damit wir nicht im Anbau auf der bloßen Erde uns etwa erkälteten. Deine hundertachtzig Pfund zu schleppen, mein Alter: allerhand Achtung!“

Dann krabbelte er über mich hinweg, schob den Tisch zurück und leuchtete unter den Diwan.

„Karton und Schlangenkasten sind weg …,“ meldete er gleichmütig. „Nichts hat die Fremde hier gelassen … Nun können wir ihr nachpfeifen. Das Abenteuer ist aus …“

Er erhob sich wieder und reichte dann unserem neuen Freunde Borgutzki einen Hundertmarkschein …

„Schmerzensgeld – bitte! Nehmen Sie nur. Und sagen Sie auch Ihrer Frau, daß sie unbedingt reinen Mund hält.“

Der Alte strahlte … „Weihnachtsgeld, Herr Harst! Herzlichen Dank … Und keine Sorge, wir erzählen nichts. Meine Therese ist ’ne schweigsame Natur, wenn sie auch daheim die Hosen anhat …“

Ich zog meine Uhr. Es war genau eins.

„So,“ meinte Harald, „nun möchte ich für alle Fälle noch draußen im Freien die Spuren der Frau messen … Gehen wir …“

In dem feuchten Boden fanden wir auch die Eindrücke ihrer Stiefel – zwei verschiedene Fährten, eine große, plumpe – die des „Strolches“, die nach der Laube führte, dann eine zierliche, die der Verwandelten blonden Dame – der Lackschuhe, nach der Hecke hinlaufend. Da wir draußen mit Licht arbeiten mußten, wurde der Wächter des Kleistparkes auf uns aufmerksam und rief uns von der Umfahrtstraße aus energisch an. Harst flüsterte Borgutzki etwas zu, und der rief zurück, er habe hier am Tage seinen Ehering verloren, er sei einer der Laubenbesitzer. Der Wächter kannte ihn von Ansehen, und der Zwischenfall war erledigt. Wir verließen das Grundstück durch die nach der Potsdamer Straße führende Zaunpforte, Borgutzki schloß ab, wünschte uns Gute Nacht und schlurfte vergnügt davon. Hundert Mark – heute sehr viel Geld!! Er hatte ein gutes Geschäft gemacht.

 

2. Kapitel.

Die Hand.

Harst und ich wandten uns der nahen Göbenstraße zu.

„Schade,“ meinte ich ehrlich bedauernd. „Nun können wir unter rund drei Millionen Menschen eine Unbekannte heraussuchen, falls du die Absicht hast, diese Sache weiter zu verfolgen.“

Harald knöpfte den Sportpelz zu und rieb sein Feuerzeug an, rauchte einen langen Zug aus seiner parfümierten Mirakulum und erwiderte: „Mein Alter, auf dem Tische sah ich Puderstäubchen. Die Unbekannte trug außerdem nachher Lackschuhe, als sie das Grundstück verließ. Sie hat ihr Stromerkostüm, den Schlangenkasten und den Karton mit dem Gebläse für das betäubende Gas in den großen Pappkarton gepackt und als „Dame“ sich davongemacht. Glaubst du, daß sie sich mit dem Karton weit geschleppt hat?! – Dort Ecke Göbenstraße ist eine Autohaltestelle. Wollen mal nachfragen.“

Die Fahrer der ersten drei Wagen wußten nichts von einer Dame im braunen Mantel und mit braunem Hütchen mit Seidenband. Der vierte Chauffeur aber musterte uns so eigentümlich, als Harald dieselbe Frage an ihn richtete, sagte dann mehr maulfaul:

„Nee – hab’ heut’ überhaupt keene Dame nich jehabt.“

Er log.[2]

Harald beugte sich vor … „Lieber Freund, mein Name ist Harald Harst … vielleicht haben Sie von mir schon gehört …“

Die nahe Laterne beschien das junge Gesicht des Fahrers.

„Ah – der Detektiv Harst,“ – und er erschrak sichtlich.

„Nein, nicht der Detektiv Harst … Ich war einige Jahre nach Verlust meines Vermögens allerdings Privatdetektiv. Jetzt bin ich Rentner und Assessor a. D., lieber Mann, freilich nach wie vor nicht abgeneigt, Dinge aufzuklären, die mich interessieren. Vielleicht haben Sie aus den Zeitungen erfahren, daß ein sehr reicher Chemiker, zuerst mein Gegner, mir Millionen hinterlassen hat. (Er meinte Doktor Amalgi, über den ich hier ebenfalls schon mancherlei berichtet habe.) – Sie haben die erwähnte Dame heute spät abends mit Ihrem Wagen irgendwohin gebracht. Wieviel Schweigegeld hat sie Ihnen gezahlt. Ich gebe das doppelte.“

Der Chauffeur wurde verlegen … „Fünfzig Mark, Herr Harst …,“ antwortete er zögernd.

„Gut, hier sind hundert. – Erzählen Sie, aber nicht schwindeln! Vor der Polizei würden Sie ja doch die Wahrheit sagen müssen.“

„Werde ich auch vor Ihnen tun, Herr Harst … Die Dame ließ sich nach Halensee fahren bis dicht vor die Brücke. Dort stieg sie mit ihrem großen Karton aus, gab mir die fünfzig Mark und meinte, ich solle über diese Fahrt zu niemandem sprechen. – Aber heutzutage, Herr Harst, wo doch so allerlei passiert, muß man helle sein. Man weiß nie, ob man nicht vielleicht noch mehr durch eine polizeiliche Belohnung verdienen kann. Ich fuhr also zum Schein den Kurfürstendamm hinab, während die Dame über die Brücke in die Villenkolonie Grunewald einbog. Ich wendete und hatte sie bald wieder vor mir, sah, wie sie am Lunapark ein anderes Auto bestieg und die Königsallee hinabsauste. Ich hinterher – bis Hundekehle. Dort, wo jetzt so viele neue Villen gebaut sind, lohnte sie den Kollegen ab und wanderte zu Fuß weiter. Ich hatte aus Vorsicht mich nicht allzu nahe herangewagt. Und als ich dann wieder hinter ihr her wollte, war sie verschwunden. Wohin, weiß nicht. Das ist die volle Wahrheit. Es ist da eine neue Villenstraße entstanden. Möglich, daß die Dame dort eingebogen ist. Sie kann aber auch nach rechts sich gewandt haben. Wie gesagt – ich habe Pech gehabt. Ich kam zu spät.“

„Bringen Sie uns dorthin – vorwärts!“

Harald lehnte jetzt neben mir in dem bequemen Wagen und rauchte wieder, hielt die Augen geschlossen. Ich fragte:

„Was hältst du von alledem?!“

Er schwieg erst. – „Wenn ich dir meine Vermutung mitteilen wollte,“ erwiderte er sinnend, „so würdest du mich vielleicht auslachen, obwohl die grüne Schlange nach Borgutzkis Beschreibung sicherlich eine indische Peitschenschlange war, eine der giftigsten Arten der Erde …“

„Etwa – – Mordabsichten?!“

„Erraten. – Das junge Mädchen wollte und will vielleicht jemand töten …“

„Hm – – für diese Mutmaßung sind doch recht wenig Beweise vorhanden …

„Bisher ja. Wir werden stärkere Beweise sammeln müssen.“

Unser Auto bog bereits in den Henriettenplatz in Halensee ein, rollte über die Brücke.

Ich sagte nachdenklich:

„Die Blonde kam stets als Stromer. Und verließ das Grundstück als Dame, ohne den lackierten Schlangenbehälter mitzunehmen. Mithin …“

„… mithin würde Borgutzki, wenn er nicht beide Male gleich nach der Dame wieder heimgegangen wäre, vielleicht noch mehr haben beobachten können …“

„Was denn?!“

„Vielleicht kehrte die Blonde sehr bald zurück und wechselte wiederum das Kostüm, um in der Nähe des Kleistparkes mit ihrem Schlangenkasten auf eine Gelegenheit zu einem Verbrechen zu warten. Weshalb hatte sie gerade dort das Laubengrundstück als Versteck erwählt, wenn sie doch wahrscheinlich hier im Grunewald wohnt?!“

Ich sann über seine Ausführungen nach. Mir wollte es nicht recht glaubwürdig erscheinen, daß diese Unbekannte so Ernstes plante.

Dann hielt das Auto schon, kurz vor dem Restaurant Hundekehle.

Harst bezahlte den Chauffeur …

„Erwarten Sie uns am Hasensprung,“ befahl er. „Sie kennen den Promenadenweg doch?“

„Gewiß …“

Harald schritt auf die neue Villenstraße zu.

Nun – nach einer Stunde gaben wir das zwecklose Suchen auf. Harald hatte sich allerdings die Namen der Villenbesitzer notiert, da an jeder Vorgartenpforte ein Namensschild befestigt war.

Auch die andere Seite nach dem Bahndamm und dem Hundekehlensee zu hatten wir nicht außer acht gelassen. Aber was nützten uns die Namen?! – So dachte ich.

Wir gingen bis zum Hasensprung, fuhren heim. Um drei Uhr morgens saßen wir bei einem steifen Grog in Haralds Arbeitszimmer.

Harst hatte den Zettel vor, auf den er die Namen notiert hatte …

„Es ist eine Ausländerin,“ sagte er plötzlich. „Ich behaupte, Artistin … Sie war schlank, überaus kräftig, ihre Bewegungen sehr geschmeidig, ihr Parfüm das englische Modeparfüm Prince of Wales … Und gerade ihre Stärke, ihre Körperkraft deutet auf Artistin hin. – Gib doch mal die Zeitung her, mein Alter … Wollen die Programme der größeren Varietétheater prüfen.“

Und im Novemberprogramm der Skala tippte er auf einen Namen …

Aida Adia
Drahtseilakt.

„Die käme in Betracht, Max Schraut … Freilich – jetzt haben wir Dezember, und Aida Adia müßte längst anderswo engagiert sein …“

„Eine Trapezkünstlerin braucht doch nicht gerade Athletin zu sein, Harald …“

„Das nicht. Aber Miß Aidas Ballspiel mit ein Halb-Zentnergewichten war ja gerade der Trick oder das Sensationelle ihrer Nummer. – Hier steht’s in einer Besprechung des Programms der Skala:

„Miß Aida Adias Vorführungen auf dem Drahtseil bieten etwas vollkommen Neues in ihrer Art. Ganz abgesehen davon, daß diese schlanke Schönheit in Balltoilette ohne Fächer oder Balanzierstange arbeitet: sie verfügt über verblüffende Kräfte, jongliert mit schweren Gewichten wie mit Gummibällen und …“

Harst legte die Zeitung weg …

„Die Hauptsache sind die verblüffenden Kräfte,“ sagte er nochmals und gähnte ungeniert. „Morgen vormittag werden wir uns über Miß Aida Adia erkundigen, und wenn sich herausstellen sollte, daß sie für den Dezember kein Engagement angenommen hat, so werden wir ein paar Nächte lang das Pensionat Dr. Buckmüller beobachten …“

„Die letzte Villa rechts in der neuen Straße …!“ meinte ich eifrig. „Du vermutest, daß die Aida Adia dort wohnt?“

„Ja. Wenn sie es überhaupt ist. Obwohl ich beinahe mit Bestimmtheit dies annehme, da auch ihre Kunst sich zu maskieren auf eine Varietéprinzessin schließen läßt. Außerdem hat ja auch der bestochene Chauffeur betont, die Dame habe das Deutsche mit fremdem Beiklang gesprochen. – Gute Nacht jetzt, mein Alter … Wiedersehen … Mag dir die indische Peitschenschlange deine Träume nicht allzu sehr stören. Die schlimmere Schlange ist fraglos Miß Aida selbst …“

Ich ging in meine Zimmer hinüber.

Aber irgendein unklares Gefühl, daß Harald bereits noch weit mehr lediglich durch scharfsinnige Schlußfolgerungen ermittelt habe und daß er womöglich jetzt noch allein auf Abenteuer ausziehen könnte, hielt mich davon ab, mich sofort niederzulegen. Ich schaltete das Licht in meinem Wohnzimmer wieder aus und öffnete den einen Fensterladen ganz wenig (es waren Innenladen), so daß ich den Vorgarten überblicken konnte. Da das Zimmer behaglich warm war, da ich außerdem eine neue Zigarre vorhin angeraucht hatte, lehnte ich mich auf das Fensterbrett und blickte in das trübe Dunkel hinaus. Meine Rokokouhr auf dem Kaminsims schlug mit dünnem Klang zwei Schläge: halb vier morgens!

Ich wurde müde … – Nein, meine Annahme, daß Harald ohne mich noch ausfliegen würde, stimmte doch nicht … Ich hätte getrost schlafen gehen sollen …

Immerhin, ich konnte ja mal nachsehen, ob in seinem Arbeitszimmer noch Licht brannte und er vielleicht noch aufsaß und sich bei stärkstem Kaffee und Zigaretten die Nacht um die Ohren schlug, nur damit er seiner Leidenschaft für intensivstes Kombinieren in der Stille der schlafenden Großstadt frönen könne.

Ganz leise also die Tür nach dem Flur geöffnet … Ganz leise hinüber …

Ja – da war noch Licht im Zimmer … Das Schlüsselloch gab nur ein winziges Gesichtsfeld frei … Und doch genügte mir’s … Im Zimmer Rauch, als ob ein Balken brenne: Zigarettenqualm – der süßliche Duft der Mirakulum!! Bis hier draußen roch ich’s! Und ganz links sah ich die Ecke des Sofatisches. Da stand die Kaffeemaschine. Der Spiritus brannte … Und jetzt langte eine Hand, nur eine Hand, denn Arm und Leib blieben mir unsichtbar, nach dem Kränlein des Ausflußrohres, eine zweite Hand hielt eine Mokkatasse, und der braune dampfende Trank floß heraus …

Ich hatte nur Augen für die schlanke linke Hand, deren Finger an dem Kränchen ruhten …

Nur Augen für die Brillantringe, die diese Hand schmückten …

Freund Borgutzki hatte uns die vier Ringe, die er in dem Lederhandtäschchen der Fremden gefunden, genau beschrieben.

Es waren dieselben Ringe: ein breiter Marquisring, dessen äußerste Reihe von Steinen aus Smaragden bestand. Dann zwei Schlangenringe mit je zwei Köpfen und je drei wasserklaren großen Brillanten. Schließlich ein einfacher Reif, völlig aus Brillanten, in Platin gebettet.

Ja – es waren die Ringe, und es war auch eine Frauenhand …!

Ich war wie vom Donner gerührt.

Harald hatte Besuch?!

Denn – jetzt, nachdem die schmalen Hände wieder verschwunden waren, jetzt hörte ich auch murmelnde Stimmen. Aber Harsts Tür ist beiderseits gepolstert, und selbst ein Luchs würde keine Stimmen unterscheiden können, mochten die Personen im Zimmer sogar schreien.

Ich war Bildsäule – starr – –, – krumme Bildsäule, denn noch immer hatte ich das Auge am Schlüsselloch.

Wie kam die Frau, die wir suchten, jetzt mitten in der Nacht zu Harald?!

Woher war sie gekommen, – durch den Vorgarten bestimmt nicht. Ich hatte ja am Fenster gestanden?! Sie konnte nur durch den Gemüsegarten und über den Hof sich Zutritt verschafft und an Haralds Schlafzimmerfenster gepocht haben, nachdem ich mich von Harst verabschiedet hatte.

Sollte ich mich jetzt melden?! – Wenn er meine Gegenwart bei der Unterredung mit der Fremden für nötig befunden hätte, würde er mich geholt haben …

Und weil er’s nicht getan und weil dies sicherlich nicht in Rücksicht auf meine Nachtruhe unterblieben war, sondern Harald eben die Unbekannte erst einmal allein „genießen“ wollte, deshalb ärgerte ich mich, machte kehrt und zog mich grollend in meine Gemächer zurück, nahm als Schlaftrunk ein Viertel Wasserglas Kognak zu mir (große Bechergläser, bitte!) und kroch in die Falle, schlafe ein, träumte von lauter schmalen Frauenhänden mit blitzenden Brillantringen und schimmernden Fingernägeln und von Zentnergewichten, die eine verführerische Blondine im Ballkleid mit alleräußerster Stoffersparnis nach mir schleuderte.

Um halb zehn vormittags war ich dann mit meiner Toilette fertig. Es ist alter Brauch im Harstschen Hause, daß Harald und ich niemals geweckt werden, da wir eben zu unregelmäßig zu Bett gehen. Harsts Mutter und Mathilde, die Köchin, haben sich an diese Boheme-Wirtschaft längst gewöhnt. Das Frühstück steht im Eßzimmer ab sieben Uhr für uns bereit, – bis wir eben erschienen sind.

Bevor ich ins Eßzimmer gehe, klopfe ich noch bei Harald an … Öffne dann die Tür des Arbeitszimmers, pralle zurück …

Ich habe diesen Raum ja schon häufig mit Zigarettenrauch angefüllt gefunden.

So noch nie …!

Ich rufe: „Harald, hockst du etwa in der Sofaecke …?“

Eine Stimme aus dem Londoner Nebel:

„Gewiß – ich nehme gerade die zweiundfünfzigste Mirakulum … und die sechzehnte Tasse Kaffee …“

Ich reiße die Laden und die Fenster auf, auch die Kamintür.

In der Sofaecke lehnt Harald, unnatürlich bleich, schwarze Schatten unter den Augen …

Ich schließe die Fenster …

„So hast du also die ganze Nacht hier allein gesessen und gegrübelt!! Ein Leichtsinn, eine Schande!! Du solltest mal in den Spiegel sehen, wie du ausschaust, dann würdest du …“

Ich breche ab …

Denn Harald starrt mit so merkwürdig verstörter Miene vor sich hin, daß ich meine Phrasen verschlucke …

Stille …

Scheinbar wird er also tatsächlich nichts von dem Besuche erwähnen.

Und ich wieder möchte vorläufig verschweigen, daß ich „die Hand“ gesehen habe …

Da steht der große Aschbecher, die Schädeldecke eines Tigers, den Harald im Jahre 1923 in Indien erlegt hat … Schädeldecke auf goldenen Füßen, verziert mit den Zähnen der Bestie … In dieser Hirnschale liegen die zahllosen Zigarettenstummel …

Einundfünfzig müssen es sein. Denn Harald hat ja die zweiundfünfzigste gerade zwischen den gelblich verfärbten Fingern. Wahnwitz – – diese Unmenge Sargnägel in Rauch aufgehen zu lassen!! Aber – – vielleicht kann ich meinen Harst gerade durch diesen Wahnwitz hineinlegen.

Ich beginne die Stummel auf einem Zeitungsblatt in Reihen zu je zehn wie Bleisoldaten zu ordnen.

Dann zähle ich die Reihen …

Und zähle Summa Summarum einundsiebzig.

„Du hast dich verrechnet, Harald,“ sage ich doppeldeutig.

Seine müden umschatteten Augen blicken mich an …

„Es sind einundsiebzig, mein Lieber …“

„Ja …,“ meint er heiser … „Aber wozu diese Umstände?! Wenn du nur nachts hereingekommen wärst … Mir wäre dann manches erspart geblieben …“

„Du weißt …?!“

„Hältst du mich für noch unbegabter als ich es zuweilen wirklich bin?! Natürlich mußt du in der Nacht noch an meiner Tür gewesen sein … Du wolltest durch dieses Bataillon von Stummeln mir nur einen Rippenstoß versetzen, damit ich beichte …“ Seine Stimme ist ohne Klang, und sein farbloses Gesicht beginnt mich zu beunruhigen.

Ich setze mich neben ihn. „Harald, was ist denn geschehen?! Ich sah durch das Schlüsselloch zwei Frauenhände, die die Kaffeemaschine bedienten. Ich glaubte, du wolltest mit der Dame mit den vier Brillantringen allein sein.“

„Ich war … zu sehr allein mit ihr. – Jeder Mensch hat Tage, Stunden, wo seine Intelligenz versagt. – Ich will dir erzählen, was mir begegnet ist. Schau mich nicht so besorgt an … Man hatte mich betäubt, bevor man ging – man, die Frau mit den vier Ringen. – Bevor ich beginne, reiche mir ein Glas Portwein. Ich bin beinahe am Ende meiner Kräfte. Mir ist noch niemals etwas derartiges passiert wie in dieser Nacht …“

 

3. Kapitel.

Miß Geraldine Farrest.

Er leerte das große Glas Portwein auf einen Zug … Schloß eine Weile die Augen und stützte die Stirn in die linke Hand. Der Ärmel seiner Hausjoppe und die Manschette des Oberhemdes sanken herab, und ich sah an seinem Handgelenk drei blutrünstige Streifen …

„Du bist gefesselt gewesen, Harald?“ rief ich ehrlich entsetzt.

Er nickte … „Auch geknebelt …,“ öffnete die Augen wieder …

„Höre also … Du warst kaum etwa fünf Minuten in deinen Zimmern, als es an das Fenster meines Schlafzimmers klopfte. Ich wollte gerade den Schlips abbinden. Ich schalte das Licht aus, nehme die Clement in die Rechte und löse den Verschluß der Fensterladen. So erkenne ich denn dicht vor der unteren Scheibe undeutlich einen braunen Hut mit Seidenband, einen dicht verschleierten Kopf und den Oberteil eines Wintermantels mit hochgeklapptem Pelzkragen.

Die Unbekannte, schießt es mir durch den Kopf …

Sie macht mir mit der behandschuhten Hand ein Zeichen. Ich öffne das Fenster, immer noch auf allerlei Heimtücke vorbereitet.

„Darf ich Sie um eine kurze Unterredung bitten, Herr Harst?“ fragt die Frau mit merklich englischem Akzent.

„Bitte …“

Sie klettert ins Zimmer …

Ich habe meine Nachttischlampe eingeschaltet …

„Sie werden es mir den ganzen Umständen nach nicht verargen, wenn ich ein wenig vorsichtig bin,“ erkläre ich durchaus höflich. „Sie erlauben, daß ich Ihre Manteltaschen auf Waffen untersuche … Auch die weiten Ärmel Ihres Mantels …“

„Aber natürlich, Herr Harst … Ich verarge Ihnen nichts.“

Ich tue es. Sie ist ungefährlich, – – glaube ich.

Ich bitte sie näherzutreten.

Sie setzt sich in den einen Klubsessel, ohne den Schleier hochzuschlagen. Sie zittert. Ihre Hände flattern im Schoße.

Sie wirft einen verlangenden Blick auf die Kaffeemaschine auf dem Teetisch …

Ich begreife …

„Darf ich Ihnen eine Tasse Mokka anbieten?“

„O – sehr gern … Ich friere … Ich habe eine halbe Stunde zögernd auf Ihrem Hofe gestanden …“

Während ich alles Nötige auf den Sofatisch setze, lasse ich sie nicht aus den Augen. Ihr Mantel, ihr Hut, ihr Handtäschchen triefen vor Nässe … Der Schleier ist so dicht, daß ich nur verschwommen die schmalen blassen Züge der Frau aus Borgutzkis Laube erkenne.

Ich zünde den Spiritus an, fülle den gemahlenen Kaffee in den Behälter der Maschine und setze mich wieder, lege trotz allem die Clement entsichert vor mich hin.

Die Frau, deren blonder Bubikopf in eine wundervolle Nackenlinie ausläuft, hat den Pelzkragen herabgeschlagen und streift nun langsam die Handschuhe ab.

Ich sehe die vier Ringe und rieche das englische Modeparfüm …

Die Frau schweigt …

Bis ich frage: „Sie wünschen, Miß Aida Adia?“

Sie schüttelt den Kopf …

„Falsch, Herr Harst. Ich bin nicht Aida Adia? – oder wie der Name sonst lautet. Mein Name tut auch nichts zur Sache …“

„Sie wünschen?“ – und ich schiebe ihr den Zigarettenkasten hin, bediene mich selbst, bewundere ihre schmalen Hände.

„Herr Harst, Sie sollen mir helfen …“ – Ein trockenes Schluchzen dringt aus ihrem verschleierten Munde hervor.

„Helfen?! – Weshalb haben Sie denn nicht in der Laube am Kleistpark sich etwas weniger verfänglich benommen?! Sie hatten Schraut, Borgutzki und mich betäubt … Sie haben dann fraglos in meiner Brieftasche meinen Ausweis gefunden, wußten also, daß ich Harst war, daß mein Freund Schraut mit dabei … Weshalb die schlaue Flucht im Auto?! Weshalb brachten Sie Ihr Anliegen nicht sofort vor, nachdem wir wieder zu uns gekommen wären?!“

Sie blickte mich lange an … „Borgutzki war mir im Wege, Herr Harst …“

Die Kaffeemaschine zischt … klappt um …

Die Frau beugt sich vor und füllt unsere Tassen …“

„Ja – das beobachtete ich,“ werfe ich ein …

Harald lächelt eigentümlich … „Wenn du Einlaß begehrt hättest, wäre alles anders geworden, denn da … war’s noch Zeit. – Höre weiter … Die Frau nimmt zwei Stückchen Zucker, ein wenig von der kondensierten Milch und trinkt in kleinen Schlucken, nachdem sie den Schleier bis zur Nasenspitze hochgeschlagen hat … Ich trinke gleichfalls. Ahnungslos. Ja – man hat eben seine Stunden geistiger Minderwertigkeit. Wenn ich die Frau schärfer beobachtet hätte, als sie meine Tasse füllte, würde ich wohl trotz der Taschenspielergewandtheit, mit der sie mir das Kügelchen in die Tasse gleiten ließ, ihr das Spiel verdorben haben. So aber – – ich trank … Und nahm die Mirakulum wieder zur Hand … Fühlte, daß diese Hand mir schwerer und schwerer wurde, fühlte plötzlich im ganzen Körper eine unheimliche eisige Kälte, die vom Magen in alle Körperteile ausstrahlte. Ich kam mir vor wie ein Erfrorener. Mein Hirn funktionierte, meine Glieder waren starr, mein ganzer Körper kalte Natur. Selbst den Kopf konnte ich nicht bewegen, selbst die Augen nicht, die stier auf die Frau gerichtet waren.

Ein ironisches Lachen gellte über ihre Lippen …

Dann stand sie auf, verschloß die Flurtür, setzte sich wieder.

„Herr Harst, kennen Sie Frizidin?“

Ich mühe mich ab, einen Laut hervorzubringen … Unmöglich! – Ja, ich kenne Frizidin. Der englische Chemiker Donnay hat es erfunden. Ein Betäubungsmittel, Wirkung – – wie bei mir!

„Herr Harst, das Frizidin wird Sie nicht lange in diesem Zustande belassen … Das Kügelchen war nur klein. Nach zehn Minuten können Sie sich wieder bewegen … Ich muß daher genau so vorsichtig sein wie Sie …“

Sie … fesselt mich mit weichem Eisendraht, läßt mir nur die Rechte frei, die Linke bindet sie mir an dem Schenkel fest … Dann legt sie meine Pistole vor sich hin, nimmt einen bereits fertigen Knebel aus ihrem Täschchen, preßt ihn mir in den Mund und bindet ihn mir im Genick fest, setzt sich wieder, raucht, trinkt, wartet, schaut zuweilen auf ihre goldene Armbanduhr …

Ich merke, daß das Kältegefühl weicht, daß ich die Finger bewegen kann, daß meine Nackenmuskeln wieder gehorchen, daß dann auch langsam meine anderen Glieder normal werden.

Sie beobachtet mich, schiebt mir jetzt einen Zettel und einen Bleistift hin. – Ich will noch erwähnen, mein Alter, daß auch meine rechte Hand mir so an die Brust gefesselt war, daß ich nur eine sehr beschränkte Bewegungsfreiheit hatte.

Sie … raucht unausgesetzt … Meine Mirakulum scheinen ihr zu schmecken …

Dann – in ganz anderem Tone: „Herr Harst, Sie werden mir jetzt wahrheitsgemäß auf meine Fragen entweder durch Kopfbewegungen oder schriftlich antworten. Die erste Lüge kostet Ihnen das Leben.“

Das war kurz und klar, mein Alter. Noch klarer ihr Tun. Sie nimmt meine Pistole, umwickelt sie dort mit der Seidendecke …

„Ein Schuß würde so kaum gehört werden, Herr Harst … – Also richten Sie sich danach …“ Sie behält die Clement in der Hand … „Was hat Borgutzki beobachtet?“

Was sollte ich anfangen?! – Ich schreibe … Von dem Karton, dem Lackkasten, der Schlange – alles …

Sie liest … Fragt weiter: „Was taten Sie, nachdem ich Sie drei betäubt hatte?“

Ich … schreibe.

Sie sinnt vor sich hin …

Dann entnimmt sie ihrem Handtäschchen einen Gummiball mit einem dünnen Glasrohr …

Ehe ich noch recht weiß, was sie beabsichtigt, hat sie mir das Gas schon ins Gesicht geblasen … Ich verliere das Bewußtsein, erwache um halb sechs morgens, bin nicht mehr gefesselt, finde im Schlafzimmer den einen Fensterflügel offen.

Die Frau ist auf und davon. Und ich schleppe mich wieder hin in die Sofaecke, grüble, rauche, grüble, trinke Kaffee, Kaffee … Kaffee …

Grüble … Was sollte dieser Besuch des Weibes, der mir jetzt wie ein böser Traum erscheint?! – – So, mein Alter, und nun gehe ich zu Bett … Sage meiner Mutter, daß ich noch bis nachmittags drei Uhr Ruhe brauche.“

Ich helfe ihm auf die Beine und bringe ihn zu Bett. Er gleicht einem Schwerkranken … –

Und dann sitze ich am Frühstückstisch. Frau Harst ist in der Stadt. Mathilde mault, weil ich so spät erschienen bin. Und während ich mit meinem gesegneten Appetit den leckeren Dingen meiner Frühstückstafel zuspreche, rufe ich mir all das ins Gedächtnis zurück, was Harald mir erzählt hat.

Ja – was wollte das blonde Weib bei uns?! Nur feststellen, ob wir bereits zu viel von ihren Geheimnissen wüßten?!

Schließlich greife ich nach den Morgenzeitungen …

Genfer Beratungen … Nobelpreis für Briand, Chamberlain und Stresemann … Ich blättere schnell weiter … Mordprozeß Donner … Interessanter … Spritschiebungen – große Aufregung!! Als ob Schiebungen was Neues wären! – Dann – ein Stutzen …

„Heute nacht halb zwei verstarb unerwartet in der Villa ihres Onkels im Grunewald Miß Geraldine Farrest, die noch kürzlich unter ihrem Künstlernamen Aida Adia in der Skala als Drahtseilkünstlerin aufgetreten war. Der eiligst herbeigerufene Arzt Dr. Steiner konnte nur den bereits eingetretenen Tod durch Herzlähmung feststellen. Miß Farrest, deren Mutter eine Deutsche war, litt schon längere Zeit an einer Herzmuskelentzündung, die ihr auch nach ihrem letzten Engagement in der Skala ein neues Auftreten unmöglich machte.“

 

4. Kapitel.

Bei Doktor Buckmüller.

Ich ließ die Zeitung sinken. – Aida Adia in der vergangenen Nacht halb zwei Uhr gestorben! – Das war der sicherste Beweis, daß Harald einem Trugschluß zum Opfer gefallen war. Die blonde Frau aus der Laube, die Frau mit den vier Ringen, konnte gar nicht die Varietékünstlerin gewesen sein, hatte es ja auch Harald gegenüber abgestritten.

Um halb zwei war Aida Adia verschieden. Ein Arzt hatte sofort den eingetretenen Tod festgestellt. Wie sollte dieselbe Aida da eine Stunde später Harst so energisch ausgehorcht haben?!

Miß Aida Adia mußte nun vollends aus diesem dunklen Spiel gestrichen werden. Sie hatte keinen Teil daran gehabt.

Ich wurde immer nachdenklicher. Das Frühstück schmeckte mir nicht mehr.

Miß Geraldine Farrest war halbe Engländerin, hatte im Grunewald in der Villa ihres Onkels gewohnt …

Wie hieß der Onkel? Wo lag die Villa? –

Und ich erhob mich … Stand am Telephon, rief die Redaktion der Tagespost an. Meldete mich als Harald Harst. Das genügte.

Der Onkel hieß Doktor Paul Buckmüller, die Villa, gleichzeitig vornehmes Fremdenheim, lag in der neuen Waldstraße dicht bei Hundekehle. – Ich dankte für die Auskunft und hängte ab, kehrte an den Frühstückstisch zurück und goß mir einen Kognak ein – zweietagig …

Also Onkel Buckmüller! – Und Harst hatte vermutet, Aida Adia wohne bei Buckmüller. Sie hatte auch dort gewohnt. Nun war sie tot …

Merkwürdig – – merkwürdig …!

Ich rauchte mir eine Zigarre an und ging in den Gemüsegarten, wo ich morgens regelmäßig in unserer Tannenlaube, geschützt vor den Blicken von Witzbolden und Neugierigen, meine schwedische Entfettungsgymnastik treibe. Dieses idyllische Plätzchen ist genau wie unsere Gartenwege mit feinstem Kies beschüttet, und selbst die unfreundlichen Regentage hatten den sauberen Wegen nichts anhaben können. Hier und dort standen wohl ein paar Wasserpfützen, doch denen konnte man ja unschwer ausweichen – am Tage, wie jetzt.

Nachts freilich war’s damit schlechter bestellt, und das hatte auch die Frau mit den vier Ringen, die große Unbekannte, am eigenen Leibe erfahren, denn sie war dreimal auf dem Hauptwege in solche Pfützen geraten, wie mir die Spuren zeigten.

Die Spuren …! – Ich vergaß plötzlich die Entfettungskur. Da waren neben einer Wasserlache, wo der vom Regen sauber gespülte Kies eine schwache Lehmschicht abgesetzt hatte, zwei Fährten von zierlichen Damenschuhen tief und klar eingedrückt.

Ich hatte nachts auf dem Laubengrundstück die anderen Spuren gesehen, hatte Harald beim Abzeichnen und Messen geholfen – die anderen Spuren, die der Aida Adia nach Haralds Ansicht.

Ich wollte jene und diese hier in unserem Gemüsegarten vergleichen. Ich wußte, daß Harst das Blatt Papier in seinen Schreibtisch eingeschlossen hatte, ging nun leise in sein Arbeitszimmer und nahm die Schreibtischschlüssel aus dem Versteck, wo sie immer liegen, öffnete das Seitenfach …

Hinter mir da Haralds Stimme: „das Blatt liegt links oben, mein Alter …“

Ich drehte mich um. Harst stand in der Schlafzimmertür im Bademantel, das Haar noch naß, – offenbar soeben der Badewanne entstiegen. „Ich konnte nicht schlafen,“ fügte er wie entschuldigend hinzu. „Das Bad hat mir sehr gut getan. Ich sah dich vom Garten her über den Hof kommen. Du hast im Garten Spuren der Frau mit den Ringen gefunden und willst prüfen, ob meine nächtliche Gegnerin auch wirklich die Frau aus der Laube war. Weshalb das?! Sie war’s … Oder zweifelst du daran.“

„Allerdings … Deine Aida Adia heißt in Wahrheit Miß Geraldine Farrest und ist in dieser Nacht um halb zwei laut Zeitungsbericht an Herzlähmung gestorben.“

Seine noch etwas matten Augen weiteten sich. „Ah – – Herzlähmung! – Und wo wohnte sie?“

Ich berichtete Einzelheiten, auch von meinem Telephongespräch mit dem Lokalredakteur.

„Also Doktor Paul Buckmüller heißt der Onkel … Und die Mutter war Deutsche, nur der Vater Engländer,“ murmelte er vor sich hin … „Geraldine Farrest … Farrest … Der Name stößt mir auf … Farrest …! Mein Gedächtnis läßt mich heute im Stich … Farrest!“ Und lebhafter: „Warte, ich ziehe mich an … In fünf Minuten bin ich auch mit dem Rasieren fertig … Mathilde soll mir das Frühstück hierher bringen. Ich habe Hunger …“

Nach fünf Minuten hatte er auch zwei Eier und drei Lachsbrötchen vertilgt, dazu vier Tassen Kaffee. Dann ein Kognak als Magenabschluß, und nun die unvermeidliche Zigarette …

Wir gingen mit dem Blatt Papier in den Garten. Ein Vergleich der abgezeichneten und genau nachgemessenen Spur mit der Fährte in der Lehmschicht ergab eine vollkommene Übereinstimmung beider.

Harst sagte dazu: „Ich gestehe meinen Irrtum ein. Es kann nicht Aida Adia gewesen sein, die mich nachts durch das Frizidin überrumpelte. Und dennoch …“

Er schwieg, starrte auf den Kiesweg, kniff die Augen klein und fuhr dann fort:

„Wir werden zu Doktor Buckmüller fahren, mein Alter. Ich werde nun mal den Verdacht nicht los, daß … – Doch davon später. Ziehen wir uns an …“

Im Auto, das uns nach der Villenkolonie Grunewald hinausbrachte, war er stumm wie ein Fisch. Nur ein einziges Mal griff er aus tiefen Gedanken heraus impulsiv nach meiner Hand und preßte sie, daß ich fast aufschrie … sagte:

„Ah – – Herzlähmung …! Wir werden ja sehen!!“

In der Villa Buckmüller führte uns ein niedliches Zöfchen in den Empfangssalon. Wir hatten Doktor Buckmüller unsere Karten hineingeschickt, und die Zofe erklärte, der Herr Doktor würde sofort erscheinen.

Buckmüller trat ein. War ein schlanker, graubärtiger Herr mit einem Künstlerkopf, trug das graue Kopfhaar glatt zurückgestrichen, ging ein wenig schwerfällig, als ob er Rückenmarker sei. Der schwarze Rock, die schwarze Krawatte und der Trauerflor am linken Unterärmel bewiesen, daß er seiner Nichte wegen bereits Trauer angelegt hatte. – Er begrüßte uns mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme gemessen-liebenswürdig, fragte sofort nach unserem Anliegen … „Ich habe wenig Zeit, meine Herren … Ein Trauerfall in meiner Familie nimmt mich stark in Anspruch …“

Harald erwiderte, daß wir bereits durch die Zeitungen von dem Tode Miß Farrests erfahren hätten. Wir sprachen Buckmüller unser Beileid aus, und dann erklärte Harst, weshalb wir es für unsere Pflicht hielten, ihm von unseren letzten Ergebnissen Mitteilung zu machen.

Buckmüller hörte zunächst ohne besonderes Interesse zu. Erst als Harald erwähnte, weshalb er die Blonde mit den vier Ringen für Aida Adia gehalten habe, wurde der Doktor aufmerksamer, schüttelte wiederholt den Kopf und meinte dann, diese Vermutung Haralds sei gänzlich unzutreffend, denn Geraldine habe seit Tagen ihres Herzleidens wegen das Bett hüten müssen, wie Doktor Steiner es angeordnet habe.

Harst fragte hierauf, ob Miß Farrest vielleicht eine Zwillingsschwester oder eine Schwester habe. – „Nein, nur einen Bruder,“ lautete die von einem leichten Seufzer begleitete Antwort. „Einen um zehn Jahre älteren Bruder, der leider zu den Entgleisten gehört, Herr Harst. Mein Neffe Joe ist wegen Hochstapeleien hier in Berlin vor einem Jahr zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt worden und verbüßt diese in Plötzensee. Ich habe mich von ihm völlig lossagen müssen, denn auch mich hat er … bestohlen.“

Harald nickte … „Also deshalb kam mir der Name Farrest so bekannt vor … Joe Farrest war oder ist der Diamantenbetrüger, der dem Juwelier Simson Unter den Linden unechte Steine aufzuschwatzen wußte, nachdem er ihm echte zur Prüfung vorgelegt hatte …“

Buckmüller bejahte kurz. Und sagte darauf ehrlich, daß wir schon entschuldigen müßten, wenn er uns verabschiede … „Diese Angelegenheit mit der Dame mit den vier Ringen geht mich nichts an, Herr Harst, so merkwürdig sie auch sein mag. Geraldine hat niemals vier Ringe, wie Sie sie mir soeben beschrieben haben, besessen. Gewiß, blondes Haar hatte sie. Das ist aber wohl ohne jede Bedeutung gegenüber der Tatsache, daß meine Nichte seit einer Woche das Bett hütete. – Verzeihen Sie, ich muß jetzt nach dem Krematorium fahren. Wir haben Geraldine heute in aller Frühe bereits nach der Kapelle geschafft, meiner Pensionäre wegen. Ich bin Arzt, meine Herren, und wenn ich meine Villa als Pensionat ausgebe, so geschieht es lediglich meiner Kranken wegen, die zumeist zu jenen Unglücklichen gehören, bei denen völliger Zusammenbruch auch die Funktionen des Gehirns gestört hat. Solche Kranken haben eine wahre Angst vor Sanatorien. Bringen die Verwandten sie dagegen in ein harmloses Pensionat, so geben die Ärmsten sich zufrieden.“

Sein kluges gütiges Gesicht hatte einen fast schwermütigen Ausdruck angenommen. – Er erhob sich. Wir verabschiedeten uns, wechselten mit ihm noch einen kräftigen Händedruck und verließen den Salon, dessen gedämpftes Licht und braune Tapeten im Verein mit den dunklen Möbeln so angenehm beruhigend wirkten.

Im Flur nahm uns die Zofe in Empfang. Wir bestiegen wieder unser Auto. – Wir hätten uns diesen Besuch sparen können, wie ich jetzt Harald gegenüber betonte.

Das Auto rollte die Königsallee entlang.

Harst erwiderte merklich ironisch:

„Sparen können?! – Wir werden diesen Doktor Paul Buckmüller nicht zum letzten Male gesehen haben! – Sahst du seine Schnürschuhe?“

„Natürlich … – Hegst du etwa gegen ihn …“

„Sahst du, daß er merklich schleppend ging?“

„Ja … – Was soll das alles?“

„Sahst du, daß er sich mit dem Rücken gegen die Fenster mit den dichten gelben Stores gesetzt hatte?“

„Ja – – aber so erkläre mir doch, was …“

„Wir fahren nach Plötzensee …!“

Und er drückte auf den Gummiball, öffnete das kleine Fenster und rief hinaus: „Chauffeur – Strafanstalt Plötzensee.“ – Dann sprach er keinen Ton mehr, rauchte und blickte zum Türfenster hinaus.

 

5. Kapitel.

„Nicht trinken!! Gefahr!!“

Verdacht gegen Buckmüller?! überlegte ich mir. Weshalb erschien Harald dieser freundliche alte Herr irgendwie fragwürdig – weshalb?! – Buckmüllers Schnürschuhe, sein Gang? – Die Schuhe waren sehr breit gewesen, mit Lackspitzen, der Gang eben der von Rückenmarkkranken. Und daß er mit dem Rücken nach den Fenstern hin Platz genommen hatte – ein Zufall! – Ich begriff Harald nicht recht. Hatte er sich wirklich so stark in seine Idee verrannt, Aida Adia sei die Frau aus der Laube?! Ein Unding!! – Doch – warum diese Fahrt nach Plötzensee?! Wollte er Joe Farrest sprechen …?!

Unser Auto bog in die Putlitzstraße ein … Jagte über die Eisenbahnbrücke …

Dann die Gebäude der bekannten Strafanstalt.

Im Bureau empfing man uns sehr höflich. Harst fragt nach Joe Farrest …

Der Gefängnisdirektor hebt die Schultern …

„Leider vor vierzehn Tagen entflohen, Herr Harst … Ein gefährlicher Bursche … Wissen Sie etwas über seinen jetzigen Aufenthalt?“

„Nein … Ich erinnerte mich nur gelesen zu haben, daß er entwichen ist. – Besuchte ihn seine Schwester zuweilen?“

„Ah – die in der verflossenen Nacht verstorbene Trapezkünstlerin … Ja, einmal war sie hier, Ende November, als sie noch im Wintergarten auftrat.“

„Haben Sie eine Photographie von Joe Farrest, Herr Direktor?“

„Gewiß … Ich lasse Ihnen das Album sofort holen.“

Die Photographie zeigte uns einen Menschen mit rundem, gedunsenem Gesicht, kleinen Schweinsäuglein und niederer Stirn. – Mit seiner Schwester Geraldine, betonte der Direktor, habe Joe auch nicht die geringste Ähnlichkeit. – „Sind Sie Joe wirklich nicht auf der Spur, Herr Harst?“ fügte er hinzu. „Farrest hat noch zwei Jahre abzusitzen. Und …“ –

„Sie hören noch von mir, Herr Direktor. Wir haben es eilig. Verbindlichsten Dank …“ –

„Chauffeur, Skala-Theater, Lutherstraße,“ befahl er draußen dem Chauffeur.

Und wieder schwieg er sich mit einer Hartnäckigkeit aus, die mich empören mußte. Nur als wir vor der Skala hielten, sagte er: „Wetten, mein Alter, daß du sehr erstaunt sein wirst …“

Bissig erwiderte ich: „Irrtum deinerseits. Wir werden im Direktionsbureau der Skala vielleicht noch Reklamephotographien vorfinden und so feststellen, daß die Frau aus der Laube, die Blonde mit den vier Ringen, doch Geraldine Farrest gewesen ist! So ganz auf den Kopf gefallen bin ich denn doch nicht, lieber Harald! Ich habe jetzt Zeit genug gehabt, all die scheinbaren Widersprüche zu prüfen. Aida Adia war die Frau, deren Frizidin du Stunden später schlucktest, war eben eine andere Person. Die Aida hat ihr Krankenzimmer im Einverständnis mit Doktor Buckmüller verlassen, vielleicht um mit ihrem flüchtigen Bruder zusammenzutreffen. Buckmüller log eben. Er hat seinen ungeratenen Neffen doch heimlich unterstützt.“

„Bravo! – – Also hinein ins Direktionsbureau!“

War das Ironie von Harald?!

Zwei Photos wurden uns vorgelegt. Eins hätte genügt. Die Blonde mit den vier Ringen glich Zug für Zug der nunmehr verstorbenen Aida Adia. – Der äußerst zuvorkommende Direktor der Skala, uns kein Fremder mehr, erklärte dann auf Haralds Frage, Miß Farrest habe Ringe von der Form, wie Harst beschrieben, nie getragen, dagegen andere sehr wertvolle besessen, ebenso ein Brillantkollier und Ohrringe … „Was bei dem Berufe ihres Vaters kein Wunder ist,“ fügte er hinzu. „Miß Farrest hat mir selbst erzählt, ihr Vater sei Farmer in Südafrika und nachher Diamantensucher gewesen. Bei einem Ritt in die Kalahariwüste, den er zwecks Entdeckung neuer Fundstellen unternahm, kam er ums Leben. Seine Witwe zog mit ihrem Töchterchen und ihrem Sohne nach London …“

Mehr konnte uns auch der Skala-Direktor nicht berichten.

Und abermals führte uns das Auto davon – abermals in die Grunewaldkolonie.

Wieder hielt das Auto. Jetzt vor Parkstraße 52, wo Doktor Steiner wohnte, in dem wir nun einen jüngeren, sehr eleganten und sehr zugeknöpften Herrn kennen lernten, auf den der Name Harst absolut keinen Eindruck machte. – Die kleine Villa, deren Einrichtung, der uns öffnende Diener, – alles roch geradezu nach Geld, weniger nach großer Praxis. Dieser Steiner als Arzt – – nein! Ein Arzt muß denn doch weniger „in Vornehmheit machen“ als dieser Steiner, der entweder selbst sehr vermögend oder in der Wahl seiner Gattin überaus vorsichtig gewesen war. – Der Diener, der genau wie sein Herr einen Ladestock verschluckt zu haben schien und dessen angegrauter Franz Joseph-Bart zu diesem steif-würdevollen, eigentlich sogar etwas herablassenden Benehmen wenig paßte, hatte uns in ein überaus feudales, dabei aber ebenso geschmackvolles Herrenzimmer geführt. – Wir saßen in weichen Saffianklubsesseln[3], und Doktor Steiner erklärte nun auf Haralds Frage in stark ablehnendem Tone, daß er seine ärztliche Schweigepflicht verletzen würde, wenn er uns über Krankheit und Tod Miß Farrests Auskunft geben wollte … „Es sei denn, Herr Harst, Sie erbrächten mir den Beweis, daß Sie ein Verbrechen im Zusammenhang mit diesem Todesfall vermuten oder …“

Das Telephon auf dem Schreibtisch schlug an …

„Entschuldigen Sie, meine Herren …“ – Steiner nahm den Hörer, meldete sich … „Gewiß, gnädige Frau … gewiß … Ich komme sofort …,“ legte den Hörer auf die Stützen und wandte sich an uns. „Ich muß eiligst zu einem Patienten, meine Herren … Wenn Sie mich vielleicht begleiten wollen … Unterwegs können wir ja noch besprechen, was vielleicht noch zu erwägen oder zu erörtern wäre.“

Als wir drei die Villa verlassen hatten, lohnte Harald unseren Chauffeur, der mit dem Auto noch draußen wartete, schnell ab und kam Steiner und mir dann nachgeeilt. Der Kraftwagen fuhr davon. Der junge Arzt blieb plötzlich stehen:

„Es wäre mir doch angenehmer, meine Herren, Sie würden in meinem Hause meine Rückkehr erwarten,“ sagte er überaus höflich. „Ich denke soeben daran, daß ich hier drei Villen weiter noch schnell einen anderen Patienten besuchen kann. – Bitte, läuten Sie nur wieder … Und lassen Sie sich von meinem Diener Zigarren, Zigaretten und etwas Alkoholisches vorsetzen. Bei diesem Grippenwetter kann ein Schluck Malaga – ich habe da noch ein paar Flaschen von 1918 – nichts schaden. Wiedersehen, meine Herren … Also bitte ganz zwanglos … Betrachten Sie mein Haus als das Ihrige …“ Er war mit einem Male wie ausgewechselt … Ich wußte wirklich nicht, was ich davon halten sollte …

Harst spielte jetzt den Offiziellen. „Alles sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Doktor … Wenn Sie mir aber jede Auskunft verweigern, so …“

„O – – wir werden schon miteinander einig werden, verehrter Herr Harst … – Wiedersehen … Und vergessen Sie den Malaga nicht …“

Er eilte weiter. Wir machten kehrt. Harald läutete an der Gartenpforte. Schnarrend sprang der vom Hause her elektrisch betätigte Riegel zurück, und in der Flügeltür der Villa erschien der steifleinene Diener, führte uns, nachdem er uns Pelze, Hüte und Stöcke abgenommen hatte, in das Herrenzimmer und fragte, ob der Herr Doktor noch besondere Anweisungen gegeben habe.

„Zigarren, Zigaretten, Malaga 1918,“ erwiderte Harald mit unmerklichem Lächeln über diesen Popanz von Diener.

Der machte eine äußerst abgemessene Verbeugung und verschwand.

Ich hatte mich tief in den weichen Riesensaffianklubsessel hineingeschmiegt und bewunderte die kostbaren Gemälde, Skulpturen, Bronzen und Waffen.

Der Diener erschien im Nu mit einem großen Teebrett … Ordnete Zigarren- und Zigarettenkistchen im Halbkreise vor uns, zündete das Spiritusflämmchen an und füllte die Gläser … Ein köstlicher Duft entstieg dem trefflichen Weine.

Harst nahm eine Zigarette … Ich eine Zigarre. Der Diener hielt uns das Lämpchen hin … Mir zuerst, beugte sich dabei tief herab.

Ich traute meinen Ohren nicht, als er mir zuraunte:

„Nicht trinken!! Gefahr!!“

Und ich beobachtete, daß er’s bei Harald genau so machte.

Dann verneigte er sich und ließ uns wieder allein.

Ich wußte jetzt: Wir saßen hier in einer feudalen Falle!

Wie Schuppen fiel’s mir von den Augen … Steiner hatte es vorhin nur darauf abgesehen gehabt, unser Auto zu entfernen. Der Chauffeur sollte, falls wir verschwanden und die Polizei uns suchte, aussagen müssen, daß wir die Villa Steiner zusammen mit dem Doktor verlassen hätten. So konnte auf Steiner keinerlei Verdacht fallen, zumal sein Haus hier in der stillen Parkstraße kein Gegenüber hatte und niemand gesehen haben konnte, daß wir die Villa nochmals betraten …

Feudale Falle …!!

Aber – – der Diener?!

Harst blies eine Rauchwolke über den Tisch … „Famoses Kraut, mein Alter …“

Und wie ein Hauch hinterher.

„Joe Farrest!!“

Ich starrte ihn fassungslos an.

 

 

Vier Tote

 

1. Kapitel.

Alter Malaga.

Da sprach Harald ganz laut auch schon weiter …

„Wir wollen auf Doktor Steiner warten, mein Alter. Es erscheint mir denn doch allzu unhöflich, in einem fremden Hause, in dem wir zum ersten Male weilen, ohne den Hausherrn solch ein Getränk zu proben …“

Solch ein Getränk!! – Er hatte ohne merkliche Lautsteigerung diese Sätze vorgebracht, hatte dem „Getränk“ jedes schmückende Beiwort versagt … Man konnte es sich ganz nach eigener Wahl hinzudenken … Etwa „wundervoll“, „kostbar“ oder … „vergiftet“!! Und letzteres würde wohl zutreffen: vergiftet!

Daß seine Worte, die eine Unhöflichkeit, eine Verletzung der feineren Anstandsregeln hervorhoben, weniger für mich als für einen geheimen Lauscher bestimmt waren, bedurfte weiter keiner Erörterung zwischen uns, und sei’s auch nur durch Zeichen. Es war klar, daß man uns beobachtete, daß dieser Raum bewacht wurde. Da war ja auch gleich links neben uns an der Wand ein seltener Kaschmirteppich an einer Messingstange vor einer unsichtbaren Tür befestigt. Möglich, daß die Tür ausgehoben war, daß hinter dem dicken Gewebe jemand lauerte.

Harst rauchte scheinbar mit größtem Genuß seine Zigarette und musterte das Zimmer. Sein Blick blieb an der Waffensammlung rechts von der verhüllten Tür haften …

„Doktor Steiner muß in Indien gewesen sein, mein Alter,“ sagte er weit angeregter. „Da sehe ich ein geschnitztes Blasrohr von den Andamanen, den ledernen Pfeilbeutel, – dort ein breites indisches Hauschwert mit vergoldeter Klinge und Griff aus Achat …“

Mit einem Male jenseits der Portiere leichte Schritte …

Der Kaschmirteppich wird zurückgeschlagen. Eine aschblonde, schlanke Frau in kostbarem Hauskleid tritt ein, neigt leicht den Kopf …

„Mein Mann wird hoffentlich sehr bald zurück sein,“ erklärt Frau Doktor Steiner mit weicher, müder Stimme.

Wir haben uns erhoben … Stellen uns vor …

Die Gnädige wechselt mit uns einige Phrasen, die sich auf Harsts internationale Berühmtheit beziehen. Dann bittet sie uns, nebenan in die Bibliothek zu kommen … „Ein Angestellter des Elektrizitätswerks will hier die Krone nachsehen. Es ist daran etwas nicht in Ordnung …“

Sie hebt den Vorhang (durch den sie uns natürlich belauscht hat) und läßt uns in die ebenso feudal und geschmackvoll eingerichtete Bibliothek eintreten, in der auch ein kleines Billard steht. Wir drei nehmen in einer Ecke in hochlehnigen altertümlichen Armsesseln um ein türkisches Tischchen Platz.

Eine Unterhaltung über die milde Witterung …

Nebenan spricht die Zofe mit einem Manne mit Baßstimme, bringt dann unsere Weingläser, die Flasche Malaga, Zigarren und Zigaretten, auch für die Gnädige ein Glas, füllt es, verschwindet.

Frau Doktor Steiner sitzt sehr steif da, kokettiert mit ihren schönen Händen und prächtigen Ringen, trinkt uns zu.

Ich schiele nach Harald hin …

Der – zu meinem Erstaunen:

„Ihr Wohl, gnädige Frau …“

Nimmt einen langen Zug …

Ich, etwas verwirrt und ängstlich, desgleichen …

Ist Harald toll, daß er die Warnung mißachtet?!

Er hält sein Glas noch in der Hand, schaut liebevoll hinein …

„Ein wunderbarer Wein, gnädige Frau …“

„Nur sehr schwer, Herr Harst … – Wollten Sie meinen Mann eigentlich in Ihrer Eigenschaft als Detektiv sprechen?“

„Detektiv?! – Das eigentlich nicht, gnädige Frau: Ihr Herr Gemahl hat in der verflossenen Nacht Miß Geraldine Farrest kurz nach Ihrem Tode gesehen, und mich interessiert es, ob dieser Tod zweifelsfrei durch Herzlähmung erfolgt ist.“

Sie nickt. „Oskar ist Hausarzt bei seinem Kollegen Buckmüller, der ja leider nicht mehr praktizieren darf. Er hatte da vor Jahren – Doktor Buckmüller meine ich – einer Patientin durch ein Versehen, das schließlich entschuldbar ist, eine zu starke Dosis Chloroform gegeben … Man bestrafte ihn … – Oskar wußte längst, daß die arme Aida Adia, so lautete ja ihr Künstlername – nur noch kurze Zeit zu leben hatte … – Hegen Sie hinsichtlich dieses Todesfalles irgendeinen Verdacht?“

„Keineswegs … Ich bin da nur in eine wirklich als mysteriös zu bezeichnende Sache hineinverwickelt worden, bei der mir Aida Adia eine unklare Rolle zu spielen schien – schien! Halb und halb hat sich diese meine Annahme bereits als Irrtum herausgestellt.“

Er trank langsam und stellte das Glas auf den Silberuntersatz.

Ich saß wie auf Kohlen … – Vergifteter Wein?! Unmöglich! Frau Steiner hatte ja aus derselben Flasche getrunken. Und es war dieselbe Flasche. Sie war nicht etwa vertauscht worden, wozu ja unser Platzwechsel die beste Gelegenheit geboten hätte … Ich hatte mir das bräunliche mit Stockflecken bedeckte Schildchen der Flasche vorhin genau angesehen. Es war dieselbe Flasche. Und in so kurzer Zeit hätte man den Inhalt kaum weggießen und durch harmlosen Malaga ergänzen können.

Weshalb also die Warnung des Dieners, in dem Harald Joe Farrest vermutete?!

Die Tür nach dem Flur geht auf …

Doktor Oskar Steiners schlanke Gestalt erscheint. Er begrüßt uns liebenswürdig, küßt seiner müden Schönheit von Frau galant die Hand, setzt sich …

„Meine Patienten sind Hypochonder,“ meint er halb ärgerlich, halb scherzend. „Nun – ein Arzt muß auch Hypochonder als Kranke betrachten …“

Dann wendet er sich an Harald …

„Herr Harst, jetzt können wir in Ruhe alles erledigen …,“ meint er.

„Nicht mehr nötig, Herr Doktor … Ihre Frau Gemahlin war bereits so liebenswürdig, mir zu erklären, daß Sie Miß Farrest schon längere Zeit behandelt haben. Im übrigen waren meine schwachen Zweifel an der Todesursache bei Miß Farrest auch lediglich darauf zurückzuführen, daß ich in der vergangenen Nacht in meinem Hause ein etwas unangenehmes Abenteuer mit einer Dame hatte, die ich für Aida Adia hielt. Als diese Fremde bei mir erschien, lebte Miß Farrest nicht mehr …“

„Sie starb kurz nach halb zwei …,“ erklärte Steiner leise. „Armes, junges Ding, – sie war nicht zu retten …“

Frau Doktor Steiner, noch immer völlig steifer Automat, fragte zögernd:

„Würden Sie es mir verargen, Herr Harst, wenn ich Sie bäte, mir Ihr nächtliches Erlebnis zu erzählen? – Unsereiner, der lediglich den öden Gesellschaftstrubel mitmacht, lechzt förmlich danach, einmal aus dem Munde eines Mannes wie Sie, dem das Alltägliche ein Greuel, eines jener doch stets aufregenden Abenteuer zu hören, die dem Durchschnittssterblichen stets fremd bleiben werden … – Aber bitte, – wollen Sie nicht eine von diesen Zigaretten versuchen, meine Herren … Meine Lieblingssorte …“

Harald nahm mit Dank an … Ich konnte nicht gut ablehnen, obwohl ich das Gefühl nicht los wurde, wir befänden uns hier in einer Mörderhöhle. Diese Frau, dieser zugehörige Gatte, – beide kamen mir wie hinterlistige Katzen vor, die grausam mit zwei Mäuslein in einem großen Käfig spielen und jeden Augenblick die nadelscharfen Krallen zeigen können …

Harst erzählte mit blendendem Humor von der Frau mit den vier Ringen, von dem Frizidinkügelchen, von der Fesselung mit Eisendraht, und schließlich auch von Herrn Borgutzki und der Laube, dem Schlangenkasten, dem Karton, von unserer Nachtfahrt nach der neuen Villenstraße …

Nichts verschwieg er – nur unsere heutigen Besuche in Plötzensee und bei dem Skala-Direktor.

Seine Offenheit verblüffte mich zunächst. Dann aber sagte ich mir, daß er wohl seine guten Gründe dafür haben würde, das Ehepaar Steiner scheinbar ins Vertrauen zu ziehen.

Schließlich bat er die beiden sehr eindringlich um strengste Verschwiegenheit …

„Wenn ich Ihnen, gnädige Frau, so rückhaltlos einen Einblick in diese mysteriöse Angelegenheit gewährt habe, so rechne ich auch darauf, daß Sie und Ihr Herr Gemahl zu niemandem hierüber irgendwie sich äußern, da ich entschlossen bin, diesen Dingen auf den Grund zu gehen …“

Bald darauf verabschiedeten wir uns.

Den Diener bekamen wir nicht mehr zu Gesicht, nur den Elektrizitätsarbeiter sahen wir im Flur seine Geräte zusammenpacken.

So schlenderten wir denn nun die Parkstraße entlang. Harst redete wie ein Wasserfall – von allem möglichen, nur nicht von dem Ehepaar Steiner und dem Diener. Bis mir die Geschichte denn doch zu bunt wurde.

„Hör’ endlich auf …!“ platzte ich heraus. „Was geht mich der verkorkste Baustil dieser Villen an?! – Wie kamst du auf Joe Farrest, und was sollte dessen zwecklose Warnung?! Der Monteur, der die Krone im Herrenzimmer in Ordnung brachte, war doch der beste Beweis, daß Frau Steiner uns nicht etwa nur deshalb in die Bibliothek führte, um die Flasche zu vertauschen und …“

Wir bogen gerade in die Bismarckallee ein …

„Harmloses Gemüt!!“

Ich blieb stehen …

„Du meinst …?!“

„Ich meine, daß der Diener bestimmt Joe Farrest war, daß ich mich auf mein Personengedächtnis, selbst nur nach einer Photographie, verlassen kann und daß Joe Farrest zur Zeit entweder schon tot oder zum mindesten aktionsunfähig ist, – daß die aschblonde Gnädige trotz Joes Vorsicht die Warnung merkte und daher den Monteur auftauchen ließ … Die gefüllten Gläser, die die Zofe in die Bibliothek brachte, waren inzwischen mit unschädlichem Malaga aufs neue gefüllt worden – oder besser: es waren Gläser derselben Art, nur – der Wein stand in beiden Gläsern etwas höher als vordem … Der geschliffene oberste Kreis der Gläser war für mich das Merkzeichen gewesen. Schon als die Gnädige eintrat, prüfte ich die Höhe der Füllung mit den Augen … Und die Flasche war natürlich gleichfalls vertauscht worden. Meine Bemerkung, wir wollten nicht unhöflich sein und Steiners Rückkehr erwarten, hatte eben den Ausschlag gegeben. Die Gnädige war sofort im Bilde und rettete ihren feinen Herrn Gemahl vor der peinlichen Situation, von uns gezwungen zu werden, gleichfalls den … Giftbecher zu leeren. Der Monteur gehört genau so mit zu der Bande wie die Zofe … Übrigens kommt der Kerl mit seiner Werkzeugtasche und seinem Rade hinter uns drein … – Der arme Joe Farrest hat eben Pech gehabt – trotz der tadellosen Verkleidung und trotz seiner Schlauheit … Ist er tot, so können wir ihn nur noch rächen. Ist er nur betäubt oder sonstwie kaltgestellt worden, so haben wir noch Zeit … – Ich denke, mein Alter, du überschaust jetzt die Sache …, nur – schaue dich nicht um. Ich habe diese Verbrecher durch meine Offenheit in Sicherheit gewiegt … Ich werde es noch mehr tun … Kehrt also …!“

Wir kamen so an dem Monteur vorüber, einem älteren bärtigen Menschen mit Brille und roter Branntweinnase …

Mir hatten Harsts Eröffnungen völlig die Rede verschlagen. Erst kurz vor der Villa Steiner fragte ich:

„Du wolltest sie noch mehr in Sicherheit wiegen?! Wie das?!“

 

2. Kapitel.

Die Zille.

Ja – wie das?!

Antwort blieb aus … Aus dem redefreudigen Harald war mit einem Male wieder ein sehr zugeknöpfter Harst geworden.

Er läutete an der Gitterpforte. Die Zofe ließ uns ein, führte uns ins Herrenzimmer. Wir hatten nicht abgelegt. Steiner erschien sofort. Harald bat der nochmaligen Störung wegen um Entschuldigung …

„Ich wollte Ihnen nur noch etwas mitteilen, Herr Doktor, was mir soeben in der Bismarckallee wieder einfiel … Es betrifft Ihren alten Diener. – Haben Sie ihn schon lange?“

Wir hatten nicht Platz genommen. Steiner kam mir etwas zerstreut und nervös vor …

„Ja – der Diener … Ob ich ihn schon lange habe? – Nein, erst … ja … erst zwölf Tage … – Verzeihung, weshalb fragen Sie nach James Bargoor, Herr Harst?“

„Weil ich Sie …“

Harald stockte …

Ich hörte draußen das Rattern eines Automotors … Das Geräusch entfernte sich schnell …

„Weil ich Sie vor diesem Diener warnen möchte, Herr Doktor,“ beendete Harald den Satz. „Der Mensch gefiel mir nicht. Ein Diener, der die Frechheit hat, Gästen seines Herrn zuzuflüstern, der Wein tauge nichts, ist mir noch nicht vorgekommen.“

„Unerhört!“ rief Steiner. „Der Mensch fliegt noch heute hinaus … Es ist ein Engländer, der sich auf meine Zeitungsannonce hin meldete und tadellose Zeugnisse vorlegte. Leider hat meine Frau ihn vorhin zu Gerson geschickt. Er soll ein Kleid abholen. – Ist es denn wirklich Tatsache, daß James diese … diese unbegreifliche Frechheit sich herausnahm?!“

„Ich habe gute Ohren, Herr Doktor,“ lächelte Harald. „Vielleicht geben Sie mir telephonisch Bescheid, wie James sich verteidigt hat. Sollte er leugnen, so …“

„Er fliegt!“ rief Steiner etwas zu theatralisch …

Dann waren wir wieder in der Parkstraße …

Waren noch nicht fünf Schritte gegangen, als Harald sagte:

„Nun haben sie Joe im Auto weggeschafft … Also wird er von Gerson nicht zurückkehren … Schlaue Bande … Ein harter Kampf …“

Mir leuchtete es durchaus ein, daß diese Kombinationen Haralds stimmten … Ich fragte nur:

„Steiner steht mit Buckmüller im Bunde?“

„Zweifellos …“

„Und Miß Farrests Tod?“

„Ein Mord, vielleicht der vierte in der Pension Buckmüller …“

„Der … vierte?! Vier … Morde …?! Das … das … ist …“

„… ist sehr wahrscheinlich, mein Alter. Ein Mörderkonsortium arbeitet hier mit satanischer Gerissenheit …“

Ich schob mir den Hut aus der Stirn. Mir war siedend heiß geworden …

„Wie kommst du auf vier Morde?! Woher außer Aida Adia noch drei Tote?!“

„Du hättest nur wie ich heute vormittag die Zeitungen der letzten sieben Monate zu durchblättern brauchen … Ich konnte nicht schlafen. Das weißt du. Da nahm ich mir die gesammelten Zeitungen vor, fand im Mai dieses Jahres den Tod der Schwester Doktor Buckmüllers angezeigt, die bei ihrem Bruder gewohnt hatte, also Frau Anna Farrest, Geraldines Mutter – am 12. Mai. – Am 15. Juli wieder gab Buckmüller das Ableben Fräulein Emilie Lindners, seiner „langjährigen Freundin“ bekannt, und am 19. September das seiner „langjährigen Mitbewohnerin“, der Frau Anastasia Bastini, einer Italienerin. Diese drei Frauen starben „unerwartet, nach kurzem Leiden“, – vielleicht auch Herzlähmung!!“

Seine Stimme klang drohend …

„Vielleicht – – durch einen Biß der Peitschenschlange, mein Alter … Wenn solch ein kleines Reptil einen Menschen etwa in die Kopfhaut beißt, wo die Verfärbung der Haut nachher durch die Haare verdeckt wird, kann jeder Arzt nur auf Herzlähmung schließen, könnte nur eine Sektion die Wahrheit enthüllen. Und da Steiner Hausarzt bei dem vorbestraften Kollegen Buckmüller ist, war die Gefahr einer Entdeckung der Untaten äußerst gering …“

„Und … und … warum diese Morde?“

Harald erwiderte prompt: „Diese Morde sind vorläufig bloßer Verdacht … Wird der Verdacht bestätigt, so spielt natürlich Geld das Motiv, was sonst?!“

„Auch bei Geraldine Farrest und … und ihrer Mutter?! – Harald, bedenke: ein Bruder, der die Schwester tötet und dann die Nichte?! Undenkbar!!“

Ein hartes Auflachen …

„Ich meine, du hast bereits in noch tiefere Abgründe menschlicher Seelen geschaut! Vielleicht gibt es bei den Farrests etwas zu erben, vielleicht waren die anderen Opfer ohne Verwandtschaft und reich. – Auto … halt … – Chauffeur, Blücherstraße, Schmargendorf.“

Wir stiegen ein.

Harst sagte sofort, als der Wagen anfuhr: „Störe mich jetzt bitte nicht. Das Diner von Ereignissen, dessen delikateste Gänge wir selbst zubereitet haben, verlangt geistige Verdauung. Außerdem muß ich mir überlegen, welche Maßregeln wir zu unserem persönlichen Schutze treffen können für den leider sehr wahrscheinlichen Fall, daß die Bande Buckmüller – Steiner uns trotz meines letzten Täuschungsversuches, sie in Sicherheit zu wiegen, dennoch mit der ihr eigenen Schlauheit uns zu beseitigen trachtet. Diese ihre Attentate würden dann fraglos an Raffiniertheit alles übertreffen, was wir bisher auf diesem Gebiet am eigenen Leibe erfahren haben. Uns wären die Hände gebunden, wollten wir nun unser Hauptaugenmerk auf eine Verhütung solcher Anschläge richten. Wir müssen volle Aktionsfreiheit haben …“

„Verschwinden wir doch wie schon so oft,“ sagte ich mit einer Hast, die wohl deutlich mein Unbehagen gegenüber diesen dunklen Schrecknissen dauernder Lebensgefahr verriet.

„Angst?! Noch besser!!“ – und Harald lehnte sich in seine Ecke und schloß die Augen. Ich war für ihn nicht mehr vorhanden.

Der Kraftwagen fuhr über den Fehrbelliner Platz …

Ich grübelte gerade über die Frage nach, wie wir am leichtesten die tote Miß Farrest genau untersuchen könnten …

Da … ein Krach … Splittern von Glas … Ein Knall.

Unser Auto flog zur Seite, riß eine Laterne um …

Stürzte in das Schaufenster eines Schuhgeschäfts …

Ein großes Glasstück hatte mir die Nase geritzt … Ich lag unter Harst … Hörte Gebrüll, Angstrufe, – wurde blutend aus dem Auto gezogen …

Auch Harald hatte eine lange Schramme. Der Chauffeur lag mit verglasten Augen auf dem Bürgersteig. Ein Schupowachtmeister und drei Herren bemühten sich um den bewußtlosen Fahrer. Dicht neben unserem halb zertrümmerten Auto lag ein zweites rotbraunes Privatauto, dessen Chauffeur, wie nachher festgestellt wurde, im letzten Moment abgesprungen und über den Zaun eines Baugeschäfts entkommen war. Dieses Auto hatte uns mit Höchstgeschwindigkeit von der Seite gerammt. Ein Wunder, daß für uns beide der Zusammenstoß so glimpflich abgelaufen war.

Harst war natürlich genau wie ich davon überzeugt, daß hier von einem bloßen Unfall keine Rede sein könne, äußerte jedoch den Polizeibeamten gegenüber in keiner Weise den Verdacht eines beabsichtigten Zusammenstoßes, der uns in ein besseres Jenseits hatte befördern sollen. – Nach einer Stunde rief uns unser Freund Kriminalkommissar Fritz Bechert vom Präsidium aus an. Er hatte bereits von unserem „Pech“ Kenntnis erhalten und sich sofort mit der Verkehrsabteilung in Verbindung gesetzt und konnte uns daher mitteilen, daß das Privatauto, das unsere Autotaxe gerammt hatte, merkwürdigerweise eine falsche Nummer geführt habe und daß der Eigentümer nicht festzustellen sei. – Harst dankte Bechert für die Anteilnahme und erklärte, die Sache sei ja für uns nicht weiter gefährlich gewesen. Die Schrammen hätten wir uns bepflastert, und gegen die Folgen des Schrecks einen großen Kognak gekippt … – Nach dieser letzten scherzhaften Bemerkung fügte er dann aber hinzu: „Noch eine Bitte, lieber Bechert … Schicken Sie sofort zwei Ihrer tüchtigsten Beamten in der Verkleidung von Schornsteinfegern in unser Haus. Der eine Beamte muß meine Größe haben, der andere die Schrauts. Beide müssen Vollbärte tragen. Schraut und ich befinden uns nämlich zur Zeit auf der Jagd nach Großwild – sehr ernste Sache. Die Beamten sollen hier bei uns Harst und Schraut spielen, während wir … verduften wollen.“

Bechert versprach alles prompt zu erledigen, und gegen vier Uhr nachmittags trafen dann auch die Herren Kaminkehrer ein, die zunächst auf dem Dache ihrer Arbeit zum Schein nachgingen. Inzwischen hatten wir beide Zeit, uns gründlich zu verwandeln. Unsere Masken glichen denen der Beamten auf ein Haar.

Gerade als wir dann als Schornsteinfeger unser Heim verlassen wollten, läutete Herr Doktor Steiner uns an und teilte uns mit, daß der Diener James Bargoor bisher nicht zurückgekehrt sei und daß er – Steiner – nur annehmen könne, James sei geflüchtet.

Geflüchtet …!! Nun, wir wußten es besser.

Harst erklärte Steiner darauf, dieser solle doch froh sein, den unzuverlässigen Menschen losgeworden zu sein … „Übrigens noch etwas, Herr Doktor …“ Und dann berichtete er von unserem Autounfall … „Unsere Verletzungen sind ja zum Glück nicht schlimm, zwingen uns aber doch, ein paar Tage das Haus zu hüten … – Ergebenste Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin …“

Es war eine unschöne Komödie, dieses ganze Telephongespräch … Es mußte sein. – –

Unsere Masken als Kaminkehrer altbewährter Trick …

Wir verließen das Haus.

Mittlerweile war es dunkel geworden. Wir gingen die Blücherstraße hinab. Wir mit unseren geschwärzten Gesichtern, unter deren dicker Rußschicht sogar die bepflasterten Wunden verschwanden, hatten Augen und Ohren überall, während daheim unsere Doppelgänger Harst und Schraut gemütlich im Warmen saßen und sich nur zuweilen als Schattenbilder auf den geschlossenen Fenstervorhängen zeigen sollten. – Augen und Ohren überall … Daß unser Haus bewacht wurde, daß auch die beiden Schornsteinfeger streng kritisch geprüft worden waren, stand bei uns fest.

Über den Fehrbelliner Platz wehte der Sturm noch rücksichtsloser. Harst trat in den Schutz der Treppe des Untergrundbahnhofes und rieb ein Zündholz für seine zerbissene Stummelpfeife an. Wenn uns jemand gefolgt war, mußte der Betreffende nun sehr bald in der Annahme, wir würden die Bahn benutzen, erscheinen. Niemand kam.

Auch meine Piep brannte nun. Wir stiegen die Treppen wieder empor. Der Regen schlug uns von neuem ins Gesicht.

„Diese Probe genügt,“ meinte Harald. „Jetzt zu Bechert. Dieses schmierige Kostüm ist zu unbequem.“

Ein Auto mit dem schwarzweißen Zickzackstreifen der Taxameter kam uns in langsamer Fahrt entgegen.

„Auto – – halt …!“

Der Chauffeur hielt, musterte uns frech …

„Wat – so dreckig wollt ihr Brieder in mein’ Wagen rinn, – nischt zu machen!“

Harst zeigte ihm einen Zwanzigmarkschein …

„Genügt das?!“

Der Mann stutzte …:

„Nu ja – meinswejen … Wohin …“

„Zum Alex …“ (Alexanderplatz. Dort liegt das Polizeipräsidium.)

Wir stiegen ein … Der Wagen rollte weiter … Die Fenster waren mit Regentropfen besät. Die Laternen und Schaufenster erschienen uns nur wie verschwommene helle Flecke.

Harst lachte zufrieden …

„So, nun bei Bechert zweite Maskerade, dann mit Bechert nach dem Krematorium in der Berliner Straße, damit wir uns die Leiche Geraldine Farrests ansehen können. Nachher Suche nach Joe Farrest …“

Das Programm war einfach, nur …

Ich fragte: „Wie willst du Joe Farrest alias James Bargoor finden?! Wie?!“

„Hm – bedenke folgendes, mein Alter … Aida Adia hat ihren Bruder vor dessen Flucht in Plötzensee besucht und ihm dabei fraglos einen Zettel zugesteckt …“

„So?! Zettel?! Bei der scharfen Überwachung?! Es ist doch stets ein Beamter dabei, wenn …“

„Gewiß … Aber wenn Geschwister sich einen Begrüßungskuß geben, wenn Geraldine im Munde eine Kugel aus Ölpapier, das mit unverwaschbarer Tinte beschrieben war, verborgen hielt und diesen Zettel beim Kusse dem Bruder in den Mund schob, so kann auch der geschärfte Blick eines Gefangenenwärters kaum etwas merken …“

„Allerdings …“

„Und wenn auf diesem Zettel zum Beispiel stand, daß Geraldine gegen Onkel Buckmüller Verdacht geschöpft habe, was den Tod der Frau Farrest, ihrer Mutter, betrifft, – wenn sie weiter bat, ihr zu helfen, Buckmüller zu überführen, – wenn sie als dritten Punkt dem Bruder ein Versteck in der Nähe von Plötzensee bezeichnet hatte, wo sie für ihn Geld und Kleider verbergen würde, – wenn sie viertens ihm riet, in der Nähe des Kleistparkes sich einzumieten, damit sie sich mit ihm, verkleidet, treffen könne, dann – – ist Aida Adias Benutzung von Borgutzkis Laube aus dem Bereich bloßer Vermutung in das klarere Licht größter Wahrscheinlichkeit gerückt. – Du siehst, ich habe meine ursprüngliche Theorie, Geraldine plane ein Verbrechen, vollständig ausgeschaltet. Diese Theorie war falsch.“

Ich konnte Harald nur beipflichten.

Er sprach schon weiter … „Nachdem Joe Farrest aus Plötzensee entkommen war, hat er es dann nach Rücksprache mit Geraldine, die auch Doktor Steiner beargwöhnte, irgendwie möglich gemacht, sich bei Steiner als James Bargoor einzuschmuggeln. Die Geschwister trafen sich dann nachts und tauschten ihre gegenseitigen Beobachtungen aus. Geraldine hatte zweifellos schon ausgespürt, daß Doktor Buckmüller, ihr Onkel, eine indische Peitschenschlange besaß, fürchtete wohl, daß auch sie dem Reptil zum Opfer fallen könnte, stahl es und versteckte es in der Laube Borgutzkis …“

Borgutzkis …!

Harst stieß dieses letzte Wort des Satzes in so kreischendem Tone hervor, schnellte gleichzeitig vom Sitze hoch – so plötzlich, daß ich den Schreck, der mich bei diesem seinem mir unverständlichen Benehmen durchzuckte, vielleicht weit stärker empfunden hätte, wenn mir die folgenden Geschehnisse dazu Zeit gelassen haben würden …

Ich merkte, daß das Auto jäh herumschwenkte, daß ein klirrender Ton die Luft durchschnitt, daß der Wagen eine steile Böschung abwärtsschoß …

Sah undeutlich den Chauffeur abspringen …

Das Auto flog durch die Luft …

Ein dumpfer Krach …

Die Scheiben splitterten …

Ein Blick nach draußen …

Der Wagen war auf dem Deck einer großen Zille[4], die gerade durch einen Schlepper auf dem Kanal am Lützowufer in Richtung der Potsdamer Brücke entlanggezogen wurde, gelandet und hatte durch sein Gewicht das Bretterdeck eingedrückt, war so zu unserem Glück nicht in den Kanal gefallen.

Doppeltes Glück: der verbrecherische Chauffeur hatte bei dem regnerischen Wetter die Zille nicht bemerkt, hatte wohl bestimmt erwartet, wir würden diesmal dem Tode nicht entgehen …!

Also – der zweite Anschlag! Und – wie teuflisch schlau inszeniert!! Ein harmloses Taxameterauto!! Ein Fahrer, der sich erst weigerte, zwei schmierige Kaminkehrer in sein Gefährt aufzunehmen! Und dann: der Kanal hatte uns verschlucken sollen! Unfehlbar wären wir ertrunken, wenn nicht eine höhere Fügung schützend eingegriffen hätte!

Harald stieß jetzt die eine Tür mit Gewalt auf … Die Schiffer der Zille empfingen uns draußen an Deck mit wüstem Schimpfen … Der Schlepper hatte gestoppt … Am Ufer sammelten sich immer mehr Neugierige an …

Kein Wunder, daß der Kahnbesitzer tobte …

„Wer wird mir den Schaden ersetzen …?! Wer wird …“

Harald fiel ihm ins Wort …

„Ich!“ Und das mit solchem Nachdruck, daß der stämmige Mann uns verwundert anstarrte …

Harst griff in die Tasche …

„Hier – mit zweihundert Mark ist das Deck tadellos auszuflicken …“

Er drückte dem Schiffer das Geld in die Hand und zog mich nach dem Steuer hin …

Im Nu saßen wir unten in dem plumpen Boot der Zille, im Nu hatte Harald es losgemacht … Wir ruderten davon – der nächsten Treppe der Kanalmauer zu …

Ein Schupowachtmeister trat vor …

Unter dem Gejohle einer Rotte halbwüchsiger Burschen führt man uns zum nächsten Polizeirevier.

 

3. Kapitel.

Der Baum der Erkenntnis.

Ein Kriminalassistent nimmt uns dort ins Gebet.

Harst holt aus seiner schwarzen Kappe seinen Ausweis hervor und flüstert dem Beamten zu:

„Entfernen Sie die anderen Leute!“

Wenige Minuten drauf bringt der Assistent uns in das Zimmer des Reviervorstandes. Eine Viertelstunde noch, – und Bechert erscheint. Drückt uns die Hand. Wir sind mit ihm allein. Harst erzählt. Freund Bechert schüttelt immer wieder den Kopf …

„Sie bleiben also dabei, daß Steiner–Buckmüller diese beiden Anschläge angezettelt haben?“ fragt er dann etwas ungläubig.

„Ja – wer sonst?! – Natürlich werden Sie der schlauen Gesellschaft nichts nachweisen können, lieber Bechert. – Ich bleibe auch dabei, daß die Bande die genannten vier Personen umgebracht hat – als letzte Geraldine Farrest, weil Buckmüller ahnte, daß sie ihm auf der Spur war … Vielleicht lebt auch Joe Farrest nicht mehr … – Aber – ich betone nochmals: wenn Sie jetzt etwa die Leiche Geraldine Farrests beschlagnahmen und Buckmüller und das Ehepaar Steiner sowie deren Zofe und Chauffeur, alles sicherlich Miteingeweihte, verhaften, so werden Sie nichts erreichen. Geraldine ist bestimmt nicht durch die Giftschlange getötet worden, sondern anderswie. An ihrem Körper werden Sie kein verdächtiges Merkmal eines gewaltsamen Todes finden, – das ist mir jetzt klar. Selbst eine Sektion wird nichts Verdächtiges zu Tage fördern. Die Bande würde niemals in dieser Weise gegen Schraut und mich vorgegangen sein, wenn sie eben nicht wüßte, daß sie sich den Rücken tadellos gedeckt haben. Was können wir denn an Tatsachen gegen sie vorbringen?! Nichts! Verdachtsgründe – gewiß! Aber Beweise?! – Die drei ersten Opfer sind eingeäschert worden, ein Mord also nicht mehr festzustellen. Und Haussuchung, Verhaftung?! – – Zwecklos!! Nur eins kann uns ans Ziel bringen: dieser Mörderbande dadurch Angst einflößen, daß … scheinbar nichts geschieht! Diese Angst wird von Stunde zu Stunde wachsen, wird schließlich Schlauheit in Verwirrung verwandeln, wird die Verbrecher zu einer Dummheit verführen!“

„Bravo, bester Harst!“ Bechert sprang vom Stuhle auf. „Was schlagen Sie vor?“

„Überwachung beider Villen durch Ihre besten Beamten – ganz unauffällig. Unsere Kriminalpolizei versteht sich darauf. Mit der Berliner Polizei zusammen werden wir diese Mördernester ausräuchern. Vielleicht entlarven wir so ein Konsortium von Verbrechern, die noch weit mehr auf dem Kerbholz haben.“

Bechert war jetzt Feuer und Flamme für diesen heimlichen Feldzug.

Ein Beamter trat ein, der Kriminalassistent … Meldete:

„Die Autotaxe ist heute nachmittag vier Uhr von einem Manne, der einen falschen Namen und Adresse dem Verkäufer angab, gekauft und gleich mitgenommen worden. Der Mann nannte sich Meinke, hatte einen Führerschein, der offenbar gefälscht war, trug rötlichen Vollbart, Brille und Chauffeurtracht. Er bezahlte sofort bar, alles Hundertmarkscheine, die jetzt als Fälschungen erkannt sind. Das Auto und die Zille liegen hinter der Potsdamer Brücke am Ufer zu unserer Verfügung.“

Harald lächelte … „Prompt gearbeitet, Herr Assistent. Das muß man Ihnen lassen …“ Und zu Bechert: „Sie sehen – wieder ein Griff in die Luft! Wieder aber trotzdem ein neues Moment: Falschgeld!! Auch das noch! – Und nun her mit Waschwasser und Seife und zwei Uniformen für mich und Schraut …!“ –

Sieben Uhr abends … Harst und ich haben die Revierwache einzeln in Abständen von fünf Minuten verlassen und uns auf Umwegen in Becherts Wohnung begeben. Diesmal ist uns bestimmt niemand nachgeschlichen. Bei Bechert verwandeln wir uns in brave, schlichte ältere Herren. Becherts Wirtschafterin ist genau instruiert. Er selbst noch im Präsidium. Die Wirtschafterin trägt das Abendessen auf. Wir essen, weil wir bei Kräften bleiben wollen. Schmecken tut’s uns nicht. Dieser zweite Anschlag ist uns denn doch arg auf die Nerven gefallen …

Um acht erscheint Fritz Bechert …

„Alles erledigt … Der Chef hat Professor Stratz nach dem Krematorium geschickt. Die Leiche der Tänzerin wird in aller Stille untersucht werden. Darauf bestand der Chef.“

„Vielleicht doch richtig,“ nickte Harald „Wann ist der Gerichtsarzt aufgebrochen?“

„Noch nicht … Um neun wollte Stratz …“

„Dann rufen wir ihn noch an … Er soll die Leiche photographieren … Ich möchte die Bilder sehen …“

Bechert schaut Harald prüfend an …

„Glauben Sie etwa, daß …“

„… daß vielleicht Geraldine Farrest noch lebt?! – O – es war nur ein flüchtiger Gedanke … Vielleicht braucht die Bande die lebende Geraldine nötiger als die Tote …“

„Ich verstehe Sie nicht, Harst … – Sie meinen, daß …“

„… eine andere weibliche Person, die tatsächlich an Herzmuskelentzündung litt und an Herzschwäche verstarb, anstelle der Tänzerin verbrannt werden soll, – ja – – vielleicht … Natürlich eine Frau, die mit Geraldine Ähnlichkeit hat …“

Um halb neun verlassen wir Becherts Haus, stehen nun in der noch recht belebten Königstraße, blicken mißtrauisch jedem Passanten nach, gehen langsam weiter …

Wir haben die rechten Hände in der Manteltasche, die Clementpistolen entsichert. So hat Harald es gewollt.

Durch stille Nebenstraßen erreichen wir die Linden. Wir haben nichts von Verfolgern gemerkt. An der Schloßbrücke zündet Harald sich eine Zigarette an. In der Nähe stehen drei Herren. Auch sie spüren plötzlich Rauchhunger … Zündhölzer flackern auf …

Verabredetes Signal: die drei sind unsere Leibwache. Hier sollten sie uns erwarten, – drei der erprobtesten Leute vom „Alex“ …

Wir beide nehmen ein Auto …

„Chauffeur, Parkstraße, Grunewald …“

Unsere Leibwache folgt in drei anderen Autos – jeder einzeln …

Harst läßt die Türfenster herab …

„Sicher ist sicher,“ meint er … Und legt seine Pistole in den Schoß, blickt zum Fenster hinaus …

Unser Auto biegt aus der Lützowstraße in den Lützowplatz ein.

Da – – schlägt etwas hart gegen mein Knie – von links her …

Ich fahre herum … Erblicke noch schattenhaft einen davonjagenden Radler …

Harald hat sich ebenso blitzschnell gebückt, schleudert etwas nach rechts aus dem Auto auf den Rasen …

Keine Sekunde zu früh …

Mit ohrbetäubendem Knall platzt die Handgranate unschädlich auf der nassen Rasenfläche, reißt ein Loch …

Passanten flüchten … Frauenstimmen kreischen …

Harst reißt das Fensterchen auf …

„Chauffeur, dem Radler nach!! Polizei!!“

Der begreift sofort …

Zum Nollendorfplatz geht die Jagd … Hier wirft der Radler seine Maschine in die Anlagen, verschwindet im Hochbahnhof. Ihn dort suchen?! Das wäre umsonst. Wenn der Kerl sich vorher eine Fahrkarte besorgt hat, kann er spurlos verduften.

Harst befiehlt dem Chauffeur „Weiter – Grunewald!“

Unsere Leibgarde bleibt hinter uns …

Harst raucht, spricht kein Wort …

Meine Nerven sind im hellsten Aufruhr …

Das dritte Attentat in wenigen Stunden …

Und – wiederum sind wir also beobachtet worden!!

Was will Harald in der Parkstraße?! – Es ist ja doch unmöglich, diesen Spionen zu entgehen!

Als wir über die Halenseer Brücke fahren, öffnet Harst wieder das Fensterchen …

„Chauffeur – Polizeiwache!“

Hubertusallee …

Ich beuge mich zum Fenster hinaus. Das erste Auto unserer Leibgarde ist kaum fünfzig Meter hinter uns …

Daß hier ein neuer Anschlag versucht wird – unmöglich! Hier gibt es kein Weltstadtgetriebe, keine Reihen von Kraftwagen und Fußgängern. Hier herrscht die würdige Einsamkeit gediegener Wohlhabenheit.

Dann hält der Wagen.

„Warten!“ – und wir betreten die Diensträume der Wache.

Nun sitzen wir mit dem liebenswürdigen Herrn beieinander, der uns erklärt, das Präsidium habe ihn ins Vertrauen gezogen … „Die beiden Villen sind umstellt, Herr Harst. Die Beamten, die dazu verwendet wurden, kennen sich auf alle Kniffe und Schliche aus. Motorräder stehen bereit. Kein Mensch aus einer dieser Villen tut mehr auch nur einen einzigen Schritt.“

„Was halten Sie persönlich von Doktor Steiner, Herr Hauptmann?“

„Ich … ich … – ehrlich gesagt! – ich traue ihm nicht das geringste Schlechte zu. Bisher weiß ich ja auch freilich nicht, was man ihm vorwirft …“

„Sie kennen Steiner also näher … – Interessiert er sich für Technik, vielleicht für Radio?“

„Absolut nicht. Ich bin mit im Vorstande der Ortsgruppe des Radiovereins, habe sowohl Steiner wie Buckmüller wiederholt aufgefordert, sich doch ebenfalls …“

„Beide lehnten also ab …“

„O – beide sind Gegner des Rundfunks, Herr Harst, verspotten sogar die Begeisterung anderer und …“

„Danke, Herr Hauptmann … – Im Vertrauen: dann ist es nur sehr merkwürdig, daß ich sowohl bei Steiner als auch bei Buckmüller in je einer sehr hohen Kiefer dicht am Hause unauffällige Drahtgebilde bemerkt habe, die lediglich sehr schlau angelegte sogenannte Korbantennen sein können. Ich pflege alles zu sehen … alles … Und wenn Sie mir nun gesagt hätten, die beiden Leute seien eifrige Radiofreunde, so würde für mich jetzt nicht dieser … Baum der Erkenntnis gewachsen sein, Herr Hauptmann. – Damit Sie mich vollständig verstehen: es liegt begründeter Verdacht vor, daß Steiner und Buckmüller die Hauptmacher einer Mörderbande sind. – Bitte – es ist so … Glauben Sie mir nur … Natürlich müssen Leute wie diese beiden, die getrennt wohnen und doch infolge ihrer verbrecherischen Gemeinschaft ein Mittel zu rascher, heimlicher Verständigung nötig haben, auf das Telephon verzichten. Da ist dann eben die Annahme gegeben, daß sie vielleicht mit … Kurzwellensendern arbeiten, heute ja der modernste Zweig des Rundfunkwesens …“

Der Reviervorstand hatte plötzlich eine hastige Handbewegung gemacht …

„Herr Gott, Herr Harst …, – nun wird mir so manches klar!“ rief er in einer Erregung, die geradezu ansteckend wirkte. „Ich beschäftige mich selbst sehr intensiv mit den kurzen Wellen, wohne hier in der Nähe im vierten Stock und habe schon wiederholt auf Wellenlänge 50 sehr klare, aber mir unverständliche Telegraphiesignale abgelauscht – Morsezeichen, die nach einem Geheimkode zusammengestellt sein mußten. Die Signale waren so laut, daß ich …“

„Schon gut, Herr Hauptmann … Würden Sie Schraut und mich mit sich nach Hause nehmen, damit wir drei einmal so etwas auf Wellenfang gehen können? – – Ich bin überzeugt, daß, wenn meine Vermutung zutrifft, unsere Herren Gegner in dieser Nacht recht eifrig funken werden … Die drei mißglückten Attentate auf uns verlangen doch eine Aussprache zwischen den Anstiftern, und, wenn nicht alles trügt, wird dieses Konsortium außer den beiden Villen auch noch eine dritte Filiale in der Nähe haben, wo jetzt vielleicht Geraldine und Joe ihrer Befreiung durch uns entgegenschmachten … – Fragen Sie bitte nichts weiter, Herr Hauptmann … Es wird sich alles klären – – sehr bald, hoffe ich.“

 

4. Kapitel.

Nur Zahlen …

Der liebenswürdige Herr Reviervorstand und wir beide wanderten durch die einsamen abendlichen Straßen – schweigend, gedankenvoll. Bis der Polizeioffizier herausplatzte: „Es ist dies das erste wirklich sensationelle Erlebnis während meiner Dienstzeit, Herr Harst …“

„Ein sehr lohnendes Erlebnis,“ nickte Harst. „Man erweist der Menschheit einen großen Dienst, wenn man ein derartiges Mördernest aushebt. – Nicht wahr, – Sie wissen doch, daß im Juli und September dieses Jahres bei Buckmüller, der übrigens vorbestraft ist, zwei Pensionäre starben?“

„Gewiß … Zwei Damen, die Doktor Buckmüller schwärmerisch verehrten, alleinstehende Damen, deren Vermögen dem von Buckmüller gegründeten Kinderhort zufiel …“

Harst blieb stehen. Wir waren soeben in den Promenadenweg eingebogen, den ich hier schon einmal erwähnt habe, den sogenannten Hasensprung, der mit seinen Rotdornbäumen im Sommer so überaus poetisch wirkt … – „Kinderhort?“ fragte er. „Das ist mir neu … Wo liegt denn dieser Kinderhort?“

„In Alt-Schmargendorf … Ein altes Landhaus in großem Garten. Zuerst hatte Buckmüller es nur gepachtet. Dann kaufte er es, da ihm das Vermögen des Fräulein Lindner, der im Juli verstorbenen Dame, dies gestattete. Es sind dort etwa dreißig Waisen untergebracht, und gerade weil Buckmüller so selbstlos für diese Ärmsten eingetreten ist, will es mir noch immer nicht in den Kopf, daß er …“

Harst war weiter gegangen, war jetzt wieder stehengeblieben. – Der Hasensprung senkt sich zuerst bis zu der unlängst erneuerten Brücke zwischen den beiden Seen hinab und steigt dann wieder steil an. – Der Hauptmann verstummte … – „Was gibt’s, Herr Harst?“ meinte er ebenfalls ein wenig nervös.

Harald antwortete nicht. Blickte starr nach der Brücke hin, deren Steingeländer die Figuren von Hasen in Sandstein zeigt. – Dann zog er langsam die Clement aus der rechten Manteltasche. „Lassen Sie mich vorangehen,“ sagte er so bestimmt, daß der Polizeioffizier ärgerlich auflachte … „Bitte doch sehr, Herr Harst, – es ist mein Beruf, mich …“

„Sie sind verheiratet, Herr Hauptmann …“

Harst schritt vorwärts. Die nächste Laterne zeichnete einen scharf abgegrenzten Lichtbogen auf die feuchte Erde. Als Harald diesen Lichtkreis betrat, machte er auch sofort einen kurzen Sprung nach dem efeuumrankten rechten Zaungitter hin. In demselben Moment fast feuerte er auch. – Diese letzten Ereignisse hatten sich so rasch hintereinander abgespielt, daß der Hauptmann und ich kaum recht zur Besinnung kamen. Harst stürmte jetzt vorwärts, in langen Sätzen, wie ein Leopard, der in der Steppe hinter einer Herde abgehetzter Gazellen dahinjagt. Wir beide folgten ebenso rasch. Und kamen doch alle drei zu spät. Harald horchte angestrengt von der rechten Seite der Brücke in die Finsternis hinein, die über dem die beiden Seen verbindenden Kanal lagerte. Wir vernahmen eilige Ruderschläge, die immer leiser wurden …

„Nummer vier,“ meinte Harald und deutete auf seine linke Schulter. – Der Stoff des Mantels war zerfetzt. „Eine Luftbüchse,“ fügte er hinzu. „Jede Verfolgung des Mordbuben wäre aussichtslos … Die kurzen Wellen sind mir auch wichtiger.“

Zehn Minuten drauf saßen wir in des Hauptmanns Herrenzimmer vor dem Kurzwellenempfänger, jeder mit einem Hörer über den Kopf. Harst hatte einen Bogen Papier und Bleistift vor sich liegen. In der Mitte des Tisches aber stand das, was mir zur Zeit das liebste war: eine Flasche vorzüglichen Kognaks und drei langstielige Gläser. –

Der Hauptmann hatte seinen selbstgebauten Apparat nach einigen Versuchen genau auf Welle 50 eingestellt. Nichts war zu hören – nichts. Nur das übliche Rauschen im Hörer und das ganz leise Tüt-Tüt-Tüt irgendeines Telegraphiesenders auf einer benachbarten Welle. – Hin und wieder wechselten wir ein paar Worte, rauchten und lauschten … lauschten … – Es wurde elf Uhr … Harst hatte gerade nach der Uhr gesehen. Und … im selben Moment in meinem Hörer ein rasend schnelles Ticken, sehr laut, wie das Hämmern eines Metallstäbchens gegen eine Eisenplatte. Ich schrak zusammen. Harald nahm den Bleistift zur Hand. Der Hauptmann sagte: „So beginnt es immer …“

Und dann begannen die Morsezeichen – – nur Zahlen … nichts als Zahlen … – Harst schrieb – schrieb … Der Bogen füllte sich – nur Zahlen … – Nach fünf Minuten Stille … Und dann ein ebenso schnelles Ticken, nur ein anderer Ton, etwas, etwas leiser, zweifellos ein anderer Sender … Dann von neuem Zahlen … Der Bleistift fliegt über das Papier. Ich beginne wieder vor Nervosität zu schwitzen. – Was wird bei alledem herauskommen – – was wohl?!

Plötzlich schweigt der Sender. – Wir warten – eine halbe Stunde. Ich habe mir den sechsten Kognak genehmigt und die dritte Zigarre. – Harst wendet sich an den Hauptmann. „Bitte telephonieren Sie an das Präsidium, daß die Abzüge der Photographien, die Professor Stratz von der toten Tänzerin aufgenommen hat, sofort und schleunigst hier zu Ihnen geschickt werden. – Dann … werden wir den großen Schlag wagen. Ich hoffe, diese beiden Depeschen werden genügen.“

Der Polizeioffizier erlaubt sich die zweifelnde Bemerkung: „Es sind doch nur Zahlen, Herr Harst, und da es sich doch fraglos um eine Geheimschrift handelt, deren Schlüssel keiner der … Verbrecher preisgeben wird, so …“

„Keine Sorge,“ – und Harst deutet auf das Telephon. –

Um halb zwölf sind die noch feuchten, aber sehr scharfen Blitzlichtaufnahmen zur Stelle. – Geraldine Farrest – kein Zweifel. Friedlich, mit gefalteten Händen ruht sie im Sarge … – Arme Tänzerin!

Professor Dr. Stratz hat einen Zettel mitgeschickt: „Äußere Verletzungen nicht vorhanden, auch nicht auf der Kopfhaut. Halte Vergiftung oder Tod durch Schlangenbiß für ausgeschlossen.“

Harst hat dem Kriminalbeamten, der die Bilder brachte, einen kurzen Brief für den Chef der Kriminalpolizei mitgegeben, und gebeten, sofort das Kinderheim „Gnadenhaus“ (diesen netten Namen hatte Doktor Buckmüller gewählt) zu umstellen und aufs genaueste zu durchsuchen, auch die Stallungen und den Garten, weil dort fraglos zum mindesten Joe Farrest verborgengehalten würde.

 

5. Kapitel.

„Erbe“, Wörterbuch.

Ein halb eins … Dünner Regen mit Schneeflocken vermischt rieselt herab. Wir drei und Bechert, den wir an der Ecke Parkstraße (als Straßenbahnschaffner, wie vereinbart) getroffen haben, stehen vor der dunklen Villa Steiner. Um Garten und Haus sind jetzt vierzehn Beamte verteilt. Vier Polizeihunde mit dabei. Den besten, Ajax, hat Bechert jetzt an der Leine. – Harst läutet an der Pforte – – nochmals – – nochmals …

Endlich werden im Hochparterre zwei Fenster hell … Dann geht die Tür der Villa auf. Die Lampe über dem Eingang wird eingeschaltet …

Steiner im Schlafrock und warmen Schuhen steht oben auf der Treppe … Wir vier und der Hund kommen die Granitstufen empor.

Bechert faßt an die Schaffnermütze, zeigt seinen Ausweis.

„Kriminalkommissar Bechert … Hier die Herren Harst, Schraut und Polizeihauptmann Dircks … – Wir haben Sie einiges zu fragen, Herr Doktor …“

Steiner, der bisher höflich gelächelt hat, fragt kühl …

„Also dienstlich, Herr Kommissar … – Bitte …“

Harst sagt – noch eisiger als Bechert: „Sie haben doch noch die Sachen des heute verschwundenen Dieners James Bargoor hier … Führen Sie uns in das Zimmer des Dieners.“

Steiner nickt zwanglos. „Sehr gern … – Immerhin gestatten die Herren eine Frage … Was soll dies alles?“

„Bitte – in das Dienerzimmer!“ und Harsts Stimme klingt ungewöhnlich scharf …

Es geht zwei Treppen empor, bis in die Mansarde. Hier vier Stübchen. Aus dem, das James bewohnt hat, sucht Harald ein getragenes Hemd hervor. Bechert wickelt es in eine Zeitung und übergibt’s einem der Kriminalbeamten.

„Es soll im Kinderheim „Gnadenhaus“ die Nachsuche erleichtern,“ erklärte Harald. „Auch dort sind Polizeihunde bereit, Herr Doktor …“

Da verläßt Steiner zum ersten Male die bisherige Kaltschnäuzigkeit. Er wechselt die Farbe.

Harst abermals: „Besitzen Sie eine Radioanlage?“

Der Doktor hat sich von dem ersten Schreck noch nicht erholt, stammelt ein schwaches … „Nein …!“

„Nun, wir werden suchen … – und finden … – Die hohe Kiefer, die in der Krone ein Korbgespinst dünner Drähte trägt, die kaum zu sehen sind, steht zwischen Haus und Garage. Gehen wir in die Garage …“

Steiner preßt die Lippen zusammen … Ein blödes Lächeln … Und er stößt hervor: „Nun gut, ich besitze einen Kurzwellensender und -empfänger …“ – Sein Gesicht ist wie versteinert …

Bechert befiehlt schneidend: „Ihre Hände – – gehorchen Sie!“ Und die Stahlbänder schnappen zu … –

In der Garage, im Stübchen des abwesenden Chauffeurs, zeigt uns Steiner einen in die Wand unsichtbar eingebauten Schrank. Dort befinden sich die Radioapparate, die Antennen- und Erdzuleitung …

Harst zieht den Bogen mit den Zahlen hervor … „Sie haben heute nacht telegraphiert, Herr Steiner …?“

„Nein …!“ quält der Mann hervor … Aber jetzt ist er plötzlich wieder Herr seiner selbst. „Ich habe nicht telegraphiert …!!“ ruft er. „Ich protestiere gegen diese …“

Harald hat sich in dem Stübchen umgeblickt …

Da stehen auf einem Wandbrett Bücher aller Art … Auch ein „Erbe, Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung“ liegt oben auf der Bücherreihe. Als Harst danach greift, verstummt Steiner …

„Nur Zahlen …,“ meint Harald … „Aber Zahlen, die immer zu je zwei zusammengehören, wie ich sehr bald merkte … Die erste Zahl, dachte ich mir, gibt wahrscheinlich die Seite an, die zweite das Wort auf dieser Seite … – Hier als erstes Zahlenpaar 152 und 27 … Sehen wir nach … – Hier Seite 152 im Erbe, und das 27. Wort dieser Seite ist J, der Buchstabe J, – er beginnt mit 27 gerade … – So, nun das weitere …“ Und er setzt sich an den Tisch, blättert, schreibt, blättert …

Steiner ist aschfahl geworden …

Endlose Minuten …

Dann liest Harald vor:

J. und G. müssen sofort anderswohin geschafft werden. – H. auf Polizeiwache hier. Bisherig Versuche gegen ihn fehlgeschlagen. – B. jetzt mit Luft nochmals Versuch. Fraglos Gefahr. Treffpunkt drei morgens wie immer.

Harald blickt Steiner fest an … „Das ist Ihre Depesche an Buckmüller. Und sie lautet ergänzt: „Joe und Geraldine müssen sofort anderswohin geschafft werden. Harst auf Polizeiwache hier. Bisherige Attentate gegen Harst fehlgeschlagen. – B. (das dürfte Ihr Chauffeur sein, Herr Steiner) wird jetzt mit Luftbüchse nochmals Attentatsversuch unternehmen – – und so weiter.“ – Und nun Buckmüllers Antwort:

„Werde nicht kommen. Haus umstellt. Werde Otto anrufen. J. u. G. am besten Bad nehmen lassen. – Keine Angst. Keinerlei Beweise gegen uns, wenn J. u. G. gründlich gebadet sind …“

– Was sagen Sie hierzu, Herr Steiner?! Joe und Geraldine sollten also … ertränkt werden! – Wollen Sie jetzt vielleicht ein Geständnis ablegen?“

Steiner lacht. Ein entstelltes Lachen, bei dem mir das Mark in den Knochen gefriert. Das Lachen eines Menschen, dessen Gedanken sich unter der Last eines unumstößlichen Beweismaterials zu verwirren beginnen.

Bechert mischt sich ein. „Geben Sie sich doch weiter keine Mühe, bester Harst. Die Dinge liegen ja vollkommen klar …“ – Er öffnet das Fenster, ruft in den Hof hinab: „Wernicke, die Insassen der Villa sofort verhaften … alle! – Sind die Autos zur Stelle? – Gut, dann abtransportieren … Steiner nehmen wir mit nach dem „Gnadenhaus“.“

Im Flur der Villa sehe ich dann die Gnädige mit den Mandelaugen zum letzten Male, auch die niedliche Zofe und die grauhaarige Köchin. Nur der Chauffeur B. (Bork heißt er, Wilhelm Bork) wurde erst am nächsten Tage im Zuge nach Hamburg abgefaßt.

Um es gleich zu erwähnen: die Gnädige ist eine frühere Filmstatistin, die Zofe aber ihre Schwester, die Köchin jedoch die Mutter der Geschwister, eine Witwe Bork, wegen Kuppelei vorbestraft, Wilhelm, der Chauffeur, ihr ältester Sohn. –

Steiner sitzt eng eingepfercht zwischen uns in dem Polizeiauto. Niemand spricht ein Wort. Meine Gedanken jagen dem rasch dahingleitenden Auto voraus … Was werden wir in dem Kinderheim vorfinden?! Weshalb haben diese kaltblütigen Mörder die Geschwister Farrest bisher geschont?! Wer war die Frau, die Harald durch das Frizidin mattsetzte? Wer ist die Tote, die für Geraldine ausgegeben wurde? Was war’s mit der Giftschlange, welche Rolle spielte das kleine gefährliche Reptil bei alledem?! – Zahllose Fragen harren noch der Erledigung. Und trotzdem verspüre ich nichts mehr von störender Unruhe in den Nerven. Bechert hatte ja recht: die Dinge liegen insofern vollkommen klar, als diese Verbrecherbande überführt ist.

Das Auto biegt in einen Feldweg ein … Hält vor der Einfahrt eines neuen hohen Bretterzaunes. Vor dem Torweg zwei Kriminalbeamte …

Bechert fragt … Der eine meldet kurz: „Herr Kommissar Lüder hat die Geschwister Farrest soeben aufgefunden – im Garten, im Keller einer Holzlaube … Diana spürte die Gesuchten mit Hilfe des Hemdes auf.“

Das alte plumpe Gebäude ist hell erleuchtet.

Unten im Erdgeschoß linker Hand, im Speisesaal der Pfleglinge, sitzen Doktor Lüder, die Geschwister und der ehrwürdige Hausvater des Waisenheims, – – trotz aller Ehrwürdigkeit mit Handschellen: Doktor Buckmüllers Bruder, wie Lüder jetzt mit ironischer Schärfe erklärt.

Geraldine und Joe sind vollständig erschöpft, durchfroren, kaum fähig zu sprechen. Man hat sie in Decken gehüllt. Ein Beamter bringt jetzt heißen Tee. Durch die Tür lugen verschüchtert vier Frauen herein: das Hauspersonal, das nicht im entferntesten geahnt hat, daß der gütige Doktor Buckmüller und sein frommer Bruder mit Menschenleben gespielt, Menschenleben vernichtet haben.

Der heiße Tee erfrischt die Geschwister.

Geraldines Wangen bekommen Farbe. Ihre matten Augen leuchten auf, schauen den in sich zusammengesunken dasitzenden frommen Hausvater des „Gnadenhauses“ voller Verachtung an.

Oskar Steiner steht mit gesenktem Kopf in seinem eleganten Pelz dabei, noch immer ein verzerrtes Lächeln auf den Lippen …

Harst wendet sich an die Tänzerin …

„Fräulein Farrest, sind Sie jetzt kräftig genug, uns mitzuteilen, weshalb Ihr Onkel Doktor Buckmüller Sie und Ihren Bruder hier eingekerkert hat? Vielleicht habe ich in dieser Hinsicht das Richtige bereits erraten. Ihr Vater war Diamantensucher, kam in der Kalahariwüste ums Leben. Er wird damals nicht allein in die Sandwüste eingedrungen sein. Vielleicht hat einer der Schwarzen, die ihn begleitet haben mögen, Ihrer Mutter einen letzten Gruß überbracht und gleichzeitig …“

„… ja, gleichzeitig einen Beutel mit Edelsteinen, Herr Harst … Diese Steine, selten schöne Exemplare, im Werte von Millionen, wurden meiner Mutter jedoch gleich nach der Ankunft in London gestohlen. Meine Mutter, seelisch durch den Tod meines Vaters völlig niedergebrochen, zeigte den Diebstahl nicht einmal an. Ihr Bruder Paul Buckmüller hat nun an diesen Diebstahl niemals geglaubt, sondern vermutete, [wir][5] hielten die Steine verborgen. Als meine Mutter dann hier bei Buckmüller im Mai dieses Jahres verstarb, tauchte der Verdacht in mir auf, daß dieser Tod kein natürlicher gewesen sein könnte. Ich wurde im November noch mißtrauischer, als ich bei Buckmüller eine indische Peitschenschlange fand und er auch immer wieder auf die Edelsteine zu sprechen kam. Es war ihm nicht auszureden, daß die Diamanten gestohlen worden waren. Ich durchschaute ihn immer mehr, besonders, als ich erfuhr, daß er es verstanden hatte, die beiden alten Damen Fräulein Lindner und Frau Bastini zur Errichtung von Testamenten zu seinen Gunsten zu bewegen – scheinbar zu Gunsten des Waisenheims, aber Buckmüller besaß doch die freie Verfügung über diese Millionenvermögen. Außerdem hatte er ja auch seinen Neffen Oskar Steiner, der in Wahrheit nur Zahntechniker ist, mit Hilfe gefälschter ärztlicher Diplome vor einem Jahr in der Grunewaldkolonie als Arzt auftauchen lassen. Ich hatte Steiner bisher nicht gekannt. – Beide sind Menschen, die an krankhafter Geldgier leiden, die nicht einsehen wollten, daß ich wohl kaum … Seiltänzerin und der leichtsinnige Joe erst recht nicht Hochstapler geworden wäre, wenn wir wirklich Millionenwerte an Diamanten besessen hätten. In der Villa Buckmüllers begann ich sehr bald für mein Leben zu fürchten, nachdem ich die Schlange zweimal in meinem Zimmer gefunden hatte. Ich nahm sie daher mit in die Laube, half Joe bei seiner Flucht aus Plötzensee, damit er mir helfen solle, Mutters Tod aufzuklären. Er wurde Diener bei Steiner. Wir trafen uns nachts heimlich in der Stadt. Aber Steiners Chauffeur Bork entdeckte unsere Zusammenkünfte, und als ich damals heimkehrte, wurde ich von Buckmüller und Steiner betäubt und hierher geschafft – ebenso Joe. Man suchte nun von uns das Geständnis, wo die Steine verborgen seien, durch Todesdrohungen zu erpressen, Herr Harst … ohne Ihr Eingreifen wären wir …“

Harald rief Steiner zu:

„Wer ist die Tote? Reden Sie jetzt!! Wen schickten Sie in der Nacht mit dem Frizidin zu mir?“

Keine Antwort …

Aber Hausvater Buckmüller war nun zu der Einsicht gelangt, daß er für seine Person retten müßte, was noch zu retten war …

„Herr Harst, Steiners Schwägerin, die Zofe, betäubte sie … Wir wollten erfahren, wie weit Sie die Dinge bereits durchschauten. Die Tote ist eine Patientin Steiners aus Zehlendorf, eine Waise. Sie starb tatsächlich infolge eines Herzleidens. Ich selbst habe keinen Teil an der Ermordung der Frau Farrest, meiner Schwester, und an der Beseitigung der beiden anderen alten Damen. Mein Bruder und Steiner töteten sie durch Schlangenbiß in die Kopfhaut …“

Ich … hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten vor Abscheu und Grauen … Welche Bestien, welche blinde Geldgier!! Welch unfaßbare Verruchtheit!! – –

Daß Doktor Buckmüller und Steiner später zum Tode verurteilt wurden, daß die anderen Mitschuldigen für lange Jahre ins Zuchthaus wanderten, – daß Geraldine Farrest als Aida Adia wieder eine der gesuchtesten Varieténummern ist und ihr Bruder Joe begnadigt wurde, das alles hat der Leser wohl aus den Zeitungen erfahren. – Das Waisenheim „Gnadenhaus“ ist jetzt in eine große Wohltätigkeitsanstalt verwandelt worden, die beiden Grunewaldvillen gehören achtbaren Leuten, und Harst und ich haben die vier Attentate längst vergessen, zumal „Die Schildkröte am Halensee“, der ich demnächst meine Feder weihen will, eigentlich noch weit spannendere Momente brachte als der Fall Buckmüller–Steiner.

 

 

Anmerkungen:

  1. Batist ist ein dicht gewebter leichter, sehr feinfädriger Stoff.
  2. In der Vorlage um eine Zeile nach unten verrutscht
  3. Der Klubsessel ist ein typisches Art Déco-Möbel der 1920er Jahre; Saffian ist ein feines und weiches Leder.
  4. Die Zille bezeichnet ein flachbodiges Wasserfahrzeug.
  5. Die Vorlage ist hier unleserlich, das fehlende Wort „wir“ ergänzt .