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Mein Bruder Simisatto

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Mein Bruder Simisatto

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 15 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Der dreizehnte Mann.

Ich weiß, daß sie nachts wiederkommen werden. Sie hoffen darauf, daß ein einzelner Mann ein Korallenriff unmöglich tagelang verteidigen kann, sie rechnen auf meine Übermüdung, auf eine Überrumpelung, vielleicht auf eine gut gezielte Kugel.

Es sind elf farbige Burschen und Herr Fritz Linggeser, Polizeichef a. D. der freien Südseerepublik Francislan. In dem Blute dieses Dutzendpiraten kocht die Gier nach dem Inkagolde der versunkenen Insel Malmotta, von der bei Flut nur die wenigen Nordriffe übrig sind, bei Ebbe drüben im Süden noch eine schmale Felswand und davor drei Gräber.

Es sind zwölf Narren. Das Gold versank mit der Insel, aber sie glauben mir nicht.

Ich habe mit Herrn Linggeser, dessen schmieriger Tropenhelm vorhin ein paar Luftlöcher erhielt und von dem blonden Schopf lustig in die See flog, des längeren verhandelt. Der Kerl ist nicht zu überzeugen. Und nun hockt die Bande dort nach Osten zu hundert Meter weg mit ihrem großen Kriegskanu hinter dem letzten Riff und … wartet.

Komplette Narren!

Ich sage zu Men Huleb, der neben mir hinter den Randfelsen unseres Korallenwürfels liegt: „Du bist nur ein Mantelpavian, mein lieber Men, aber du hast mit deinen vier Greifhänden und mit deiner Hundeschnauze vor denen da eines voraus: Du verachtest das Gold! Eine Banane ist dir lieber als ein Goldbarren. Und dies mit Recht. – Was tun wir mit der Sippe?!“

Freund Men kratzt sich hinten wo und bringt dadurch seine Flohkolonne in Aufruhr. Er grunzt vergnügt und betrachtet ein bräunliches Opfer, das er zwischen Daumen und Zeigefinger hält, und zerbeißt es. – Ich weiß nicht, wie Flöhe schmecken. Ihm schmecken sie.

Men Huleb rekelt sich in der Sonne und schielt hinab zu den flachen Korallenriffen, die sich bei Ebbe wie eine farbige Kolonie von Pilzen, etwa Morcheln, bis zu den Gräbern hinziehen. Er möchte gern …

Er möchte gern Krebse suchen.

Doch die Flut naht bereits, und die Wogen des Pazifik umhüllen den bunten Teppich der Korallen mit grünem Gespinst und verschlucken ihn. In einer Stunde wird von den Gräbern nichts mehr zu sehen sein. Ich habe dieses Spiel des Verschwindens und Wiedererscheinens seit Tagen andächtig beobachtet, eben seit die Freunde davondampften nach Francislan und ich hier Robinson spiele auf einem Kalkwürfel von etwa 7:7 Meter Oberfläche, wovon noch drei Quadratmeter für die Tür zu der Schatzkammer abgehen.

Das Riff ist hohl, und besagte Tür ist das Einsteigeloch, der Schacht. Leitern führen hinab, und unten bildet der Schacht meine Wohnhöhle. Robinson Crusoe hatte zwar mehr Land zur Verfügung, aber ich habe als Ersatz dafür so ziemlich alles, was ein halber Kulturmensch braucht, sogar Rasierzeug und eine elegante, helle Pinasse von acht Meter Länge, gedeckt und mit sehr starkem Motor. Sollten die Kerle da drüben mich langweilen, werde ich sie so ein wenig treibjagen, – – bisher sind sie mir eine geringe Abwechslung, ein Zeitvertreib und das belebende Moment dieser Robinsonade. Ich werde abwarten, was sie fernerhin unternehmen, und sollte es zutreffen, daß sie da einen Japaner von einem Wrackstück im Norden auffischten und ihn bei sich haben als dreizehnten, dürfte die Sache für das Dutzend Strolche letzten Endes doch peinlich auslaufen. –

Es sind Stunden vergangen seitdem. Der Abend ist angebrochen, die Flut hatte mit dem feurigsten Farbenspiel des Sonnenuntergangs ihren Höchststand erreicht, und die Dunkelheit kroch rasch über den Ozean wie stets – lauernd und unmerklich auf Katzenpfötchen. – Ich sitze unten in meiner Grotte an dem Klapptisch und schreibe bei Karbidlicht, während oben auf unserem Felsen Men Huleb wacht und mich schützt. Es ist auf ihn unbedingt Verlaß, er weiß eine Pistole abzufeuern, und wenn er auch nicht gerade hervorragend zielt, so genügt doch der Knall als Alarmsignal, und im Nu bin ich dann die beiden Leitern empor und kann mit der Repetierbüchse eingreifen.

Ich hatte mich soeben eine Weile im Stuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen und mir jüngste Erinnerungen zurückzurufen gestattet. Ich darf dies unbeschadet tun, denn von meinem eigensten Ich hängt nichts an diesen krausen, blutigen Dingen, die mit dem abermaligen Untertauchen Malmottas zusammenhingen.

Links auf der Tischecke steht mein Rasierspiegel, und als ich aufschaute, blickte ich mich selber an in dem blanken Glase, das gerade groß genug ist, mit seinem Nickelrand meinen Kopf einzurahmen.

Ich nickte mir selbst zu und sprach erstaunt:

„Olaf Karl, das graue Haar an deinen Schläfen paßt sehr wenig zu deinem blonden Scheitel und zu dem jungen, frischen Gesicht, an dem vielleicht nur die harten Falten um Mund und Kinn stören. Jedes dieser Fältchen weiter oben in den Augen erscheint unsichtbar verbunden mit den Wülsten der Mundpartie, und alle haben sie ihre besondere Geschichte und scheinen aus ganz winzigen aneinander gereihten Namen zu bestehen, – und diese Namen sind mein Leben.“ – Jedes Dasein hat Abschnitte, Unterabteilungen, Aktenstücke, an jedem hängt ein Namensschildchen. Unser Leben ist Perlenschnur aus den Namen und Schicksalen anderer, an jeder Lebensschnur heißen die ersten Perlen wohl Vater und Mutter – und dann vielleicht der Name der Amme, eines Bruders, einer Schwester … – Betrachte ich diese meine Perlenreihe, so glänzt als schönste „Mutter“ und als wertvollste „Coy Cala“ und als liebste „Jane“. Dann sind da noch neben vielen blanken eine Anzahl erblindete, häßliche, aber auch sie möchte ich nicht missen, denn – viel Feind, viel Ehr’, sagt man.

Dieser Jämmerling da draußen im Kriegskanu der Francislaner, dieser schuftige Herr Linggeser wird nicht einmal erblindete Perle werden. Der Kerl verriet seinen Wohltäter, den alten König-Vater Pierre, und sein Dank für Pierres Gnade und Großmut ist nun dieser Beutezug nach diesem Riff!!

Armer Teufel! Gold?! Hier?!

Bleipillen, Bleibohnen …

Das ja!

Mehr nicht.

– Der dreizehnte Mann im Kanu will mir nicht aus dem Kopf. Ein Japaner?! Hier in dem abgelegensten Teile der Südsee dicht am Äquator?! Wenn’s noch ein Chinese gewesen wäre, – die kleinen Schacherer sind ja überall zu finden. Außerdem erging sich Herr Linggeser in so eigentümlichen Andeutungen über diesen seinen Gefangenen, gerade so, als ob er da aus den Wellen weiß Gott was für ein großes Tier aufgefischt hätte. Ich möchte nur wissen, ob Japans bedeutende Männer ausgerechnet hier in der Südsee zum Zeitvertreib auf Wrackstücken spazieren fahren. Der edle Polizeichef glaubte wohl durch seine Drohungen, den hohen Herrn aus dem Lande des Mikado an eine Haiangel zu hängen als … Köder (fertig bekommt der Bursche das!), mein Herz zu erweichen.

Irrtum! – der Japaner wird weder von den Haien gefressen werden, noch wird die Piratenbande dort jemals mein Riff betreten.

Ich bin soeben auf eine glorreiche Idee gekommen. Das Dutzend dort im Kriegskanu denkt natürlich nicht im entferntesten daran, daß ein einzelner Mann die Unverfrorenheit aufbringen könnte, seinen mißliebigen Nachbarn hier in dieser Wasserwildnis einen unerbetenen Besuch abzustatten. Nein, damit rechnen sie nicht, und deshalb liegt’s so nahe, ihnen vor Augen zu führen, wie günstig gerade diese Stunde, wo die Flut über die Riffe schäumt und alles weithin in weißen Gischt gehüllt ist, für einen amüsanten Scherz sein dürfte.

Weg also mit der Schreiberei! Ich werde mir den Japaner holen. Ich brauche etwas Nervenkitzel. Robinson Crusoe holte sich auch seinen „Freitag“ aus den Händen der Menschenfresser, und bei diesem schönen Kindermärchen ist nur das eine von dem Verfasser versehen worden, daß dort, wo es Lamas gibt (und diese spuckenden Kamelschafe hat Robinson doch auf seiner Insel als Milchkühe benutzt), die Menschenfresser fehlten und noch heute fehlen. Die Insel soll an der Westküste Südamerikas gelegen haben, Juan Fernandez soll es gewesen sein, aber wie gesagt: Die Peruaner und Chilenen, die hier doch nur in Betracht kämen, huldigten durchaus nicht den grausigen Gepflogenheiten[, betrachten][1] das „Langschwein[2]“ (den Menschen) lediglich als Opfer für ihre diversen Gottheiten.

Also – Aufbruch!! – –

– –

Nun habe ich ihn. Dort liegt er und schläft. Seinen Anzug hat er fein säuberlich zum Trocknen ausgebreitet, auch seine Wäsche, – leider mußte ich seine Frage, ob ich ein Bügeleisen besäße (er scheint auf Bügelfalten und tadellose Wäsche sehr viel zu geben) schlankweg verneinen.

Es geschieht doch immer wieder, daß man seine Ansicht, der Osten berge keine Originale, korrigieren muß. Bisher hielt ich die Japaner für ein Volk ohne besondere Eigenart, – ich bin eines Besseren belehrt worden, dieser Doktor Simisatto ist entschieden eine Persönlichkeit, die vollständig aus dem Rahmen „Japan“ herausfällt.

Er schläft. Er muß todmüde sein. Er mag anderseits zufrieden sein, denn todmüde ist noch lange nicht tot, und ich fürchte, Herr Fritz Linggeser wird noch heute einige Seelenmessen lesen müssen für einige jäh aus dem Leben geschiedene braune Freunde. –

Die Sache war an sich gefahrlos. Das Dutzend drüben schlief den biederen Schlaf aller Ungerechten, als ich neben dem gut vertäuten Kanu den Kopf hochreckte und mir die Nachbarn aus der Nähe betrachtete.

Ein Kriegskanu von Francislan mißt etwa zwanzig Meter und gleicht durchaus einem zierlichen langgereckten Prahm, – vorn und hinten hat es Plattformen für die Kämpfer, in der Mitte eine Kajüte aus Palmfasermatten, rechts einen Ausleger, der das Umkippen verhindern soll, und dann noch einen Mast mit einem riesigen Mattensegel. Bug und Heck sind reich verziert, bunt bemalt, geschnitzt und halb poliert.

Mich ging hier lediglich das Heck etwas an, wo ich im Sternenlicht neben der Plattform auf einer Ruderbank eine helle, zusammengekrümmte Gestalt bemerkte, die zweifellos nicht ganz freiwillig in dieser unbequemen Lage verharrte und die auch nicht grundlos in längeren Pausen ein leises Stöhnen hören ließ.

Herr Linggeser hatte den Japaner „krumm geschlossen“.

Die übrige Gesellschaft schnarchte in der Mattenkabine.

Als ich die Stricke des Gefangenen zerschnitt, erlebte ich ein Fiasko. Der Mann war derart mitgenommen, daß er einfach hintenüber von der Ruderbank in das Kanu fiel und dabei leider einige Blechtöpfe von der Herdplatte stieß, was nicht ohne Lärm abging. – In einem solchen Kanu wird auf einem großen flachen, ausgehöhlten Stein abgekocht. – Bevor ich den Ärmsten, der zum Glück nicht viel wog, über den Bootsrand ins Wasser geschwungen hatte, erlaubte sich jemand der jäh erweckten Schläfer drei oder vier Pistolenschüsse, die mir galten, jedoch nur den Meeresspiegel zertrümmerten, – wie damals jener Schiffsjunge an seinen Vater schrieb, um aus dem leichtgläubigen Erzeuger ein paar Geldscheine herauszulocken.

Ich bin stets so höflich gewesen, jedem zu antworten, und wenn in diesem speziellen Falle meine Erwiderung auch nach Pulver roch und innerhalb der Matten einige Verwirrung und noch ernstere Schäden anrichtete, so erkläre ich mich an alledem für durchaus schuldlos.

Das nasse Bad hatte inzwischen meinen Schützling geschmeidiger gemacht, ich mußte allerdings noch nachhelfen, aber wir gelangten trotzdem wohlbehalten oben auf meiner Kalkfestung an, wo uns Men Huleb mit allen Zeichen größter Freude empfing. Diese besondere Art sich zu freuen habe ich bisher nur bei Men Huleb beobachtet, – derartige Luftsprünge „auf der Stelle“ macht ihm nur ein Akrobat nach.

Schwieriger war es, Simisatto die Leitern hinabzubugsieren, denn seine Gelenke waren sehr stark eingerostet und die letzten Sprossen kollerte er wie ein nasser Sack abwärts und erhob sich dieserhalb mit tief beschämtem Gesicht, machte mir eine tadellose leichte Verbeugung und stellte sich in aller Form vor.

„Sie gestatten, Sir, daß ich Ihnen von Herzen danke. Doktor Simisatto ist mein Name. Ich befinde mich zur Zeit[3] auf einer Forschungsreise in der Südsee. Ich bin Privatgelehrter, Sir.“

„Sehr angenehm, Mr. Simisatto … Nennen Sie mich Lensen. Ich befinde mich zur Zeit hier als Robinson in und auf diesem Riff … – Falls Sie trockene Kleider wünschen – – bitte.“

Ich deutete auf eine offene Kiste, und Simisatto begann sich denn auch sofort seiner nassen Sachen zu entledigen, wobei er wortreich ausführte, wie sehr er es bedauere, daß sein Leinenanzug und seine Wäsche so arg gelitten hätten …

„Besitzen Sie vielleicht ein Bügeleisen, Mr. Lensen?“ schloß er seine fein geschliffenen Sätze und kehrte mir, da er nackt war, die Achterseite zu und streifte ein Paar Beinkleider über, die für meine Größe paßten, nicht für ihn. Er konnte sie bis zu den Armen hochziehen. Eine Jacke erübrigte sich daher.

Inzwischen hatte ich Simisatto eingehender betrachten können. Er war klein, mager, jung, hatte lange Affenarme, einen zu langen Oberkörper, etwas geschweifte Beine, einen zu langen Hals, einen winzigen Kopf, an dem auch die Einzelteile winzig waren: Mund, Nase, Ohren, Augen, – nur das Haar war sehr dicht und sehr schwarz, und die Zähne sehr vorgebaut und sehr weiß.

Simisattos Gesicht wirkte trotzdem nicht komisch.

„Dürfte ich vielleicht um einen Kamm bitten?“

„Gern … Hier ist der Spiegel.“

„Danke vielmals.“ Er streichelte sein Haar, betrachtete sich sehr genau und meinte mißvergnügt: „Ich gebe sehr viel auf mein Äußeres, Mr. Lensen, und ich fühle mich in diesen Beinkleidern geradezu degradiert.“ – Er sprach das Englische fließend, jedoch mit einigen Zischlauten vermengt, die stets an das Pfeifen einer Schlange erinnerten, die ihm irgendwo im Rachen stecken mochte.

Dann säuberte er den Kamm und fragte bescheiden, ob ich etwas dagegen hätte, daß er zunächst ein paar Stunden schliefe.

„… Ich habe seit vier Tagen nicht geschlafen, Mr. Lensen …“

„Aber bitte, – dort mein Lager steht Ihnen zur Verfügung, Mr. Simisatto.“

Ulkiges Kerlchen, dieser Japp!!

Er hatte an meinem Bett aus Decken und getrocknetem Seetang einiges auszusetzen, legte Seetangmatratze, Kopfpolster und Decken sehr umständlich zurecht, legte sich selbst dann nieder und … schnarchte schon nach wenigen Minnten so melodisch, daß ich mich entschloß, nachher besser oben auf dem Felsen den Rest der Nacht zu verbringen.

Vorläufig sitze ich noch am Tisch und schreibe und schaue zuweilen auf Simisattos Kleiderpracht, die er sehr dekorativ über die Kisten gebreitet hat.

Daß ein Studienreisender einen hellen Leinenanzug trägt, – nun gut. Daß er aber dazu seidene feinste Netzunterhosen, ein Netzhemd, ein seidenes Oberhemd, seidene Socken, Kragen, Binder und gelbe Halbschuhe anhat: Luxus bei dreißig Grad im Schatten!!

Zweifellos hat Herr Linggeser aus dieser Kleiderpracht den voreiligen Schluß gezogen, Simisatto müsse eine hervorragende wissenschaftliche Größe sein.

Ich halte Simisatto für einen reichen jungen Japaner, behaftet mit einem kleinen Spleen und einem Doktortitel.

 

2. Kapitel.

Ein dunkles Geschäft.

… Ich bin doch zu einer anderen Meinung gelangt.

Ich stand sehr leise auf und habe Simisattos Garderobe genauer befühlt.

Zu einem Tropenanzug gehört für den Gentleman ein Gürtel, und auch den besaß Simisatto, den hatte er jedoch vorher mit Taschenspielergewandtheit hinter einer Kiste verschwinden lassen.

Der Gürtel war handbreit, aus derbem Leinen gefertigt, mit Leder eingefaßt, hatte vorn eine übliche Doppelschnalle und drei leere Ledertäschchen, deren Inhalt vielleicht der Polizeichef a. D. beschlagnahmt haben mochte.

Als ich diesen Gurt befühlte, fand ich das, was Herrn Linggeser entgangen war. Hinten zwischen den beiden Lagen Leinwand gab es eine leichte Anschwellung, und da ich mich für durchaus berechtigt hielt, Doktor Simisatto in aller Stille genauer kennen zu lernen, trennte ich die Ledereinfassung auf und zog eine flache Gummiblase heraus, die mit Seide fest zugebunden war. Ich kehrte zu meinem Klapptisch zurück, öffnete die wasserdichte Blase und entnahm ihr ein Papier, das sich als ein Empfehlungsschreiben entpuppte.

Yokohama, den 6. Mai 192…

Mr. Grant Webster,

Honolulu.

Mein lieber Grant,

bezugnehmend auf unsere letzte mündliche Unterredung betr. Ankauf von Schimawara empfehle ich Dir den Überbringer dieses Schreibens als eine durchaus vertrauenswürdige Person. – Fürst Manu Ylatta Simisatto, letzter Sproß eines der ältesten Samurai-Geschlechter[4], wird unsere Interessen in jeder Weise wahrnehmen. Unterstütze ihn nach besten Kräften. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Du weißt, daß wir allein nie zum Ziele gelangen werden. Die Gegenpartei ist äußerst rührig, und die leider inzwischen aufgetretenen Hindernisse und sonstigen störenden Zwischenfälle erfordern hartes Zupacken. Laß Dich nicht durch des Fürsten kleine Eigentümlichkeiten zu einer unrichtigen Bewertung seines Charakters verleiten. – Damit dieses Schreiben nicht etwa mißbräuchlich benutzt werden kann, habe ich des Fürsten Bild auf die Rückseite dieses Schreibens geklebt und es zweimal mit meiner Unterschrift versehen. – Alles weitere wird der Fürst Dir persönlich mitteilen.

Es grüßt Dein alter

James H. Stepkins.

Ich drehte den Brief um und fand auch die Photographie. Es war ein kleines Paßbild, jedoch sehr scharf, und der Mann war tatsächlich mein neuer Höhlengefährte.

Ich habe dann den Brief wieder in die Gummiblase getan, habe die Blase in den Gürtel geschoben und den Lederrand festgenäht. Simisatto wird nicht merken, daß ich über ihn nun etwas besser orientiert bin. Meine Indiskretion bedrückt mich nicht weiter, denn ich mußte wissen, wen ich hier in meinem Riff beherberge. Fritz Linggeser hätte die Geschichte von dem aufgefischten Japaner auch lediglich erfunden haben können, um Simisatto gegen mich irgendwie auszuspielen. Ich habe in meinem buntbewegten Leben so viel kleine und große Schuftereien kennen gelernt, mir sind so viel Biedermänner mit gleißnerischen Schnauzen und Höllenherzen begegnet, daß ich niemandem mehr auf Anhieb traue. Ich könnte da sehr scherzhafte Geschichten von Leuten erzählen, die mich, als ich noch Ingenieur war, wortreich oder wortarm einzuwickeln suchten und die meine kleinen Patente hintenherum unter Ausschaltung meiner Person für leere Versprechungen auszubeuten suchten. All diese lieben Freunde haben sich gründlichst geirrt und letzten Endes einsehen müssen, daß ich sie, nicht sie mich, in der Hand hatte. Man muß sich eben mit der Zeit ein ziemlich robustes Gewissen zulegen und mit den gleichen Waffen wie die Gegenseite zu kämpfen verstehen, wenn’s einem auch davor ekelt.

Und nun denke ich an diese „Gegenseite“ und rufe mir den Inhalt des Schreibens des Mr. James H. Stepkins nochmals ins Gedächtnis zurück. Mir scheint, daß die geschäftliche Spekulation, um die es sich da handelt, nicht so ganz sauber sei. – „Ankauf von Schimawara“ …?! – Was ist Schimawara?! – Keine Ahnung habe ich. Jedenfalls hat aber der Fürst dieses Empfehlungsschreiben dem Mr. Grant Webster bisher nicht ausgehändigt. Es trägt das Datum des 6. Mai, und heute haben wir den 6. August. Ob Simisatto sich unterwegs nach Honolulu befand, als er Schiffbruch erlitt?! – Möglich …

Mein Gefährte ist plötzlich eine geheimnisvolle Persönlichkeit geworden. Die „Gegenseite“ oder „Gegenpartei“ mag daran schuld sein, daß er erst jetzt seine Reise nach Honolulu lediglich bis zu meinem Riff verwirklichen konnte. Die von Mr. Stepkins erwähnten „Hindernisse“ und „störenden Zwischenfälle“ geben allerhand Vermutungen weitesten Spielraum. Das „Geschäft“, bei dem dieser japanische Fürst als Helfer sich betätigen sollte, kann unmöglich ein Pappenstiel sein, überlege ich mir weiter. Allah mag wissen, was Schimawara sein könnte, der Name klingt japanisch, und ich muß ihn doch schon einmal irgendwo gehört oder gelesen haben. Meine Bibliothek verfügt leider über kein fünfundzwanzigbändiges Konversationslexikon, sondern enthält nur die Originalausgabe von Stevensons „Südsee“, einen amerikanischen Missionskalender aus dem Jahre 1923 und Thomas Carlysons Sprachführer durch die Südsee.

… Also Simisatto schläft. Ich schreibe, rauche und grübele, und droben auf unserem Korallenfelsen wacht Mr. Men Huleb, Mantelpavian oder Hamadryas, aus der Familie der Hundsnasenaffen.

Ich werde ihn jetzt ablösen. Ich habe so das unbestimmte Gefühl, als ob die Herren Nachbarn drüben auf Rache sinnen, nachdem sie ihren Schurkenkollegen ein unehrliches schlichtes Seemannsbegräbnis haben zuteil werden lassen. Die Haie sind hier wieder ziemlich zahlreich zwischen den Riffen. Gestern beobachtete ich ein Flitterwochenpärchen, und so sehr mir auch der Zeigefinger nach dem Abzug der Remingtonbüchse juckte, ich habe meine Mordlust beherrscht und die beiden Liebenden nicht gestört. Die allweise Natur braucht auch Bestien im Tier- und im Menschenreich, und seitdem die Meereshyänen den Mörder meiner Jane und meines kleinen Fennek fraßen, liebe ich sie fast.

– – Am Morgen, sechs Stunden später.

Die Lage hat sich wesentlich verändert. Daß das Kriegskanu abermals den Abgang von drei braunen kecken Burschen zu verzeichnen hat, ist unwesentlich. Einer kommt auf Men’s Rechnung, zwei auf mein Konto. Weshalb mußten die Burschen auch heimlich zu meiner Pinasse schwimmen und sich an den Ankerketten zu schaffen machen und dann noch ganz zwecklos Pulver verschwenden?!

Als ich die Leitern emporstiegen war, überraschte ich Freund Huleb bei einer sehr verfänglichen Arbeit. Es ist erstaunlich, wie schnell ein Affe, und es braucht durchaus kein sogenannter Menschenaffe zu sein, gewisse Handgriffe seinem Herrn ablauscht. In der Pinasse habe ich Notproviant verstaut, auch zwei Fäßchen Trinkwasser, das ich jeden zweiten Tag aus der Zisterne in der Nordecke des Riffs erneuere. Men bezeigt seinerseits eine große Vorliebe für Konservenfrüchte, und daß er mit einem Büchsenöffner sehr gut umzugehen versteht, beobachtete ich in dieser Nacht von der obersten Leitersprosse aus. Der Gauner Men hatte sich erlaubt, eine Büchse Birnen aus der Pinasse zu „leihen“, und so sehr auch erzieherische Gründe dafür sprachen, ihm einen gehörigen Jagdhieb zu versetzen, – den Anblick des stämmigen Men’s, der zwischen den Hinterhänden die Zweipfunddose hielt und den Öffner kunstgerecht benutzte, nötigte mir so viel Respekt vor seiner Intelligenz ab, daß ich ihn freundlich anlachte, worauf er mit zufriedenem Grunzen seine Arbeit fortsetzte, den Deckel emporbog und zu futtern begann.

Ich saß neben ihm und kraute ihm die Mähne, nachdem ich flüchtig Umschau gehalten hatte. „Men,“ sagte ich leise und deutete zur Mondsichel empor, „du hast gestohlen, und der alte Herr dort oben, das Nachtgestirn, hat alles gesehen. Schäme dich. Dir schlägt nicht einmal das Gewissen. Dabei füttere ich dich doch mehr als reichlich, du bist unheimlich gewachsen und hast Pudelgröße erreicht.“

Als Antwort erhob er sich, schleuderte die leer gewordene Büchse in die See und zeigte mir dabei seinen Mond, seine Gesäßschwielen, die intensiv blau sind. – Möglich, daß dies eine Art Antwort vorstellen sollte. Wenn ja, dann war sie sehr respektlos.

Er grunzte wieder, kletterte eilfertig zur Pinasse hinab und brachte den Büchsenöffner dorthin, wo er ihn entliehen hatte, kehrte zurück, krabbelte mir auf den Schoß und legte seinen linken Arm um meinen Hals und machte es sich bequem. So schläft er am liebsten. Als Schoßhündchen ist er etwas gewichtreich, doch unser inniges Verhältnis verlangt, daß ich auch diesen Beweis seiner Liebe wortlos dulde. Men ist mir mehr als nur Freund aus dem Affenvolk, er hat mir seinerzeit das Leben gerettet, genau wie ich ihm, als ich ihn halb verhungert auffand. Daß sowohl seine Intelligenz als seine Kräfte etwa die eines gelehrigen deutschen Schäferhundes bei weitem übertreffen, daß sein furchtbares Gebiß und seine bestialische Wut, die keinerlei Gefahr achtet, ihn mir zu einem Beschützer ganz besonderer Art machen, beeinflußt meine Gefühle für ihn in keiner Weise. An ihm ist nichts Dressur, er eignet sich seine menschlichen Fertigkeiten von selbst lediglich durch seine scharfe Beobachtungsgabe an. Als Kind sah ich wohl in Tierbuden dressierte arme Äffchen, die ängstlich auf Kommando ein kleines Gewehr abfeuerten. Men Huleb handhabt eine Repetierpistole mit dem vollen Verständnis für die Wirkung eines Schusses, lediglich seine Zielfertigkeit ist mangelhaft, und er ist daher auch mehr auf Zufallstreffer angewiesen.

… Köstliche Stille ringsum, noch köstlichere milde Beleuchtung durch die ewigen Lämpchen des Firmaments … Die Brandung tobt heute auf der Südseite der Riffe, ich höre sie nicht mehr, sie ist mir gewohnter Lärm, ist mir Musik des Pazifik, der mich hier, endlose Wasserwüste, vielfarbig, launisch und unberechenbar umgibt. Ich liebe diese lärmende Stille, obwohl die grünen Wasserberge, nachts freilich dunkle gleißende Mauern, ohne Atempause daherstürmen, in die Ferne entfliehen und abermals geboren werden und nie zur Ruhe kommen.

Ich sitze mit dem Rücken gegen eine Kalkzacke toter Korallentierchen gelehnt, mein Blick ruht dort, wo sehr bald aus dem weichenden Ozean mit der beginnenden Ebbe eine Felswand und drei Gräber aufsteigen werden. Aber ich bin jetzt darüber hinaus, Tote zu beschwören durch die Inbrunst meiner Sehnsucht, ich gönne meiner Jane und meinem Fennek die Ruhe, mein Schmerz ist sanftes Leid geworden, ich habe mich selbst wiedergefunden, und die uralte Weisheit „Das Leben den Lebenden“ hat auch hier gesiegt.

Mein scharfes Gehör vernimmt plötzlich eigentümlich fremde Geräusche, ein metallisches Klirren und Knirschen, und mit einem Schlage ist der ganze Frieden dieser beschaulichen Nachtszene vollkommen ausgelöscht.

Meine Ohren, meine Nerven spüren die Nähe der Feinde.

Die Geräusche – nur eine Feile knirscht so.

Man will die Ketten der Pinasse zerstören, Herr Fritz Linggeser ist an der Arbeit …

Men Huleb muß sein weiches Plätzchen räumen, – ein Wink, er versteht, – er sieht mich auf allen Vieren zum Südwestrand kriechen, wo inmitten des engen kleinen Hafens der anderen Riffe die Pinasse liegt. Die Kalkfelsen werfen Schatten, – ich sehe undeutlich drei Gestalten, – meine Stimme warnt, und sogar die Brandung kommt dagegen nicht auf, – die Kerle fahren hoch, – einer wirft den Arm empor, eine Feuerzunge leckt aus der braunen Faust, etwas summt zwischen mir und Huleb hindurch, Huleb greift nach der surrenden Wespe, – eine zweite kommt, – – ich spiele nicht gern Zielscheibe, jeder ist sich selbst der Nächste, und da der brave Men bereits das Feuer eröffnet hat, wobei zwei der runden Fensterchen des Heckaufbaus flöten gingen, dann jedoch ein Kanakenschädel eine überflüssige neue Öffnung erhielt, – – kurz, der Zwischenfall wurde erledigt, und die Haifische dankten uns durch übereifrige Beweglichkeit in den klaren Tiefen zwischen den Klippen, Men Huleb drückte noch immer seine Pistole ab, obwohl die neun Patronen längst verknallt waren, – – arme drei Kerle, ihr wart Erzhalunken, wart Verräter, trotzdem: Friede eurer Asche!

Hinter mir aus dem Schachteingang ertönte das scharfe, zischende Organ des Fürsten Simisatto:

„Darf ich Ihnen irgendwie beispringen, Mr. Lensen? Ich hörte die Schüsse … Ich habe einen sehr leichten Schlaf, obwohl ich stark schnarche.“

Sein Puppengesicht war dem Monde zugekehrt. Er lächelte eigentümlich, mit der Linken hielt er meine Beinkleider am Halse fest, damit sie ihm nicht herabrutschten, mit der Rechten strich er seinen Scheitel glatt.

„Danke, Mr. Simisatto, alles schon in Ordnung,“ erklärte ich etwas wehmütig, denn die Ernte des Todes in dieser Nacht war für meinen Geschmack zu reich gewesen. „Es waren drei Kanaken unten auf der Pinasse, jetzt sind nur noch eine Feile an Deck, dazu eine Pistole und einige Blutflecken. Legen Sie sich getrost wieder auf den Tangsack, der blonde Herr Linggeser wird kaum mehr etwas unternehmen, und wenn … na, er trägt die Verantwortung.“

„Sehr liebenswürdig,“ meinte Simisatto äußerst höflich und tauchte wieder in dem Schacht unter.

Komisches Kerlchen!! Blut war ihm offenbar kein besonderer Saft. Die Japaner sind niemals irgendwie weichlich oder sentimental gewesen. Als sie seiner Zeit Port Arthur stürmten, gingen ihre berittenen Batterien buchstäblich über eine Straße von Toten und Sterbenden vor. Wie sollte es wohl auch anders sein, wie hätte dieses Inselvolk, die Briten des Ostens so rasch sich zur Großmacht aufschwingen können?! Mit Milch und Zuckerstangen sind noch nie Weltreiche gegründet worden.

Men Huleb sitzt mir wieder auf dem Schoße, und alles ist wieder wie vorhin. Nur – die Ebbe meldet sich, die anrollenden Wellen weichen unmerklich zurück, der Gischtstreifen der Brandung verliert sich nach Süden zu, und aus dem hellen Schaum kriechen die wunderbaren Korallenbauten hoch, – manche sehen aus wie ein großer Igel, manche wie ein Beet riesiger Pilze, andere wieder ähneln flachen Moospolstern, andere vielleicht Hügeln von rötlichem Kies … Es ist eine bunte Welt, die da auftaucht, und wenn man bedenkt, daß diese seltsamen Gebilde von winzigen Tierchen aufgebaut werden, erscheints dem Naturfreunde immer aufs neue wie ein heiliges Rätsel.

Huleb schläft. Sein Kopf ist mir auf die Brust gesunken, und im Schlafe zuckt seine rechte Hand noch beständig, als ob er die Pistole noch zwischen den schwarzen Fingern hielte. Er träumt stets sehr lebhaft, und …

Was ist das?!

Wonach riecht es hier plötzlich?!

Sollte …?!

Aber das ist doch unmöglich, Simisatto hat doch kein Bügeleisen zur Verfügung!

Trotzdem: Es riecht entschieden nach Plätterei, nach feuchter Wäsche, die mit dem heißen Eisen in Berührung kommt.

Ich möchte mich dieserhalb nicht gern erheben, – der Geruch wird immer stärker … Simisattos Eitelkeit muß einen Ausweg gefunden haben. Was benutzt er als Plätte?!

Ich lächle still. Es gibt doch merkwürdige Käuze …!!

Hulebs noch feinere Nase zieht sich bedenklich kraus. Alles, was ihm an Düften fremd ist, erscheint ihm gefährlich. Er, der als junger wilder Pavian in seiner abessinischen Heimat eingefangen worden sein muß, besitzt noch die untrüglichen Instinkte seiner Ahnen, die in den Schluchten des fernen afrikanischen Berglandes ringsum jeher von Feinden umlauert waren. – Huleb erwacht. Er ist im Nu munter, er schnüffelt, er dreht den Kopf hin und her, schleicht zum Schacht, steckt den Kopf hinein, niest sehr kräftig und grunzt unmißverständlich empört. Er findet die Düfte wenig angenehm, er dreht sich halb um, wirft mir aus tiefliegenden tiefbraunen Augen einen sehr fragenden Blick zu und zwingt mich so, ihm zu folgen. Unten in unserer Höhle steht Fürst Simisatto vor meinem Tisch, über den er eine Wolldecke gebreitet hat, und … bügelt seine Beinkleider mit einem großen eisernen Bolzen, den ich bisher zu weit prosaischeren Zwecken benutzt habe: Als Schürhaken für den Herd. – Es ist ein armlanger, armdicker runder Eisenstab, er stammt von dem Wrack des uralten Schiffes der spanischen Plünderer, die in Peru so allerhand zusammenstahlen und die dann hier auf Malmotta Schiffbruch erlitten und zusammen mit Malmotta versanken und nach Jahrzehnten als Skelette das Sonnenlicht wiedersahen, um nach kurzer Gnadenfrist an der Oberfläche erneut in der Tiefe zu verschwinden.

Diesen Bolzen hat Mr. Simisatto sauber gereinigt, hat ihn über der Karbidlampe erhitzt, indem er das eine Ende in der durch Lappen geschützten Hand hält, – – so bügelt er, wendet uns nun sein verlegenes Gesicht zu und meint entschuldigend: „Es ist ungewohnte Arbeit, Mr. Lensen … Aber es geht.“

Erstaunlich, wie dieser Samurai-Sproß sehr vernünftig über die Beinkleider ein Handtuch gebreitet hat, sonst hätten die weißen Leinenhosen die Brandflecke abbekommen.

„Lassen Sie sich nicht stören,“ sage ich und setze mich in eine Ecke und schaue ihm zu. „Haben Sie denn bereits ausgeschlafen?“ leite ich die Unterhaltung ein.

Er hält das Eisen über die leise zischende Flamme, dreht es hin und her …

„Ja. Ich bin sehr zäh, Mr. Lensen, und mir genügen zwei Stunden Schlaf vorläufig durchaus. – Würden Sie mir eine Zigarre spenden?“

Unser Gespräch kommt in Fluß. Simisatto erzählt … Und lügt ganz offenbar. Oder doch nicht?!

„… Ich wollte nach San Franzisko, Mr. Lensen, – auf Umwegen … Meine kleine, aber seetüchtige Jacht wurde leider während eines Gewitters vor drei Tagen nachts von einem Dampfer gerammt und sackte weg. Ich fürchte, ich bin der einzige Überlebende. Ich befand mich gerade an Deck und konnte gerade noch rasch zwei Schwimmwesten ergreifen. Nachher stieß ich im Wasser auf das zertrümmerte Rettungsboot, das auf seinen Luftkästen schwamm. Dann fischten mich die … Leute da drüben auf.“

„Und der Dampfer kümmerte sich gar nicht um seine Opfer?!“

„Nein …“ Simisatto rollte den heißen Stab langsam über das eine Hosenbein. Huleb blickte interessiert zu.

„… Nein, er fuhr weiter, Mr. Lensen.“

„Eine Gemeinheit!!“

Er lächelte unmerklich. „Vielleicht doch nicht, Mr. Lensen. Ich hätte genau so gehandelt. Die Umstände verlangten von der Gegenpartei brutale Rücksichtslosigkeit. Sie haben ja den Empfehlungsbrief des Mr. Stepkins an Mr. Grant Webster gelesen, sind also so ein wenig eingeweiht. Ich verarge es Ihnen keinen Augenblick, daß Sie wissen wollten, mit wem Sie es hier zu tun hatten. Wie gesagt, ich schlafe sehr leicht, erwache noch leichter, meine Sinne sind überaus geschärft, das bringt mein unstätes Leben so mit sich, Mr. Lensen, ich bin nämlich nach englischem Gelde dreitausend Pfund wert, so hoch ist die auf meinen Kopf ausgesetzte Belohnung, bisher hat sie niemand verdient, und mein Kopf sitzt mir noch zwischen den Schultern.“

Ich war sprachlos. „Was in aller Welt haben Sie denn begangen?“ fragte ich bestürzt.

Er schaute mich voll an. „Drei Morde, Mr. Lensen.“

Er zuckte unmerklich die Achseln. „Natürlich keine Raubmorde, Mr. Lensen. Das habe ich nicht nötig, ich bin sehr reich, die Bank von England würde jeden Scheck von mir einlösen. Meine Verbrechen waren Pflicht.“

Dann wandte er sich seiner Arbeit wieder zu und fuhr fort: „Sie als Europäer werden meine Handlungsweise verurteilen, ich als Japaner richte mich streng nach der Tradition meiner uralten Familie: Blut um Blut! – Die, die ich erschoß, hatten meinen Vater und meine beiden Brüder getötet. Die Einzelheiten dürften Ihnen gleichgültig sein. Ich bin jedenfalls ein Heimatloser, und lediglich die Treue meiner Untergebenen und die Freundschaft einflußreicher Europäer schützten mich bis heute vor einer Verhaftung.“

Er nahm das andere Hosenbein vor.

„Stört Sie meine Vergangenheit, Mr. Lensen?“

„In keiner Weise,“ erklärte ich ehrlich. „Wir befinden uns in derselben Lage, Fürst Simisatto, auch hinter mir läuft ein gedrucktes Papier her, das man Steckbrief nennt, ich habe vor Ihnen sogar einiges voraus, denn ich saß bereits im Zuchthaus, brach aus, gelangte zunächst nach Südamerika und bin seitdem Abenteurer.“

Wieder zeigte er mir sein Puppengesicht. Seine dunklen Augen betrachteten mich sehr eingehend. „Dann sind Sie Mr. Abelsen, Chi Apis Freund,“ meinte er schmunzelnd. „Ich kenne Chi Api sehr gut, ich sprach ihn vor einem halben Jahr in Honolulu, und dabei berichtete er mir mancherlei von einem Schweden, dem er zu großem Dank verpflichtet sei. Ich liebe die Chinesen im allgemeinen nicht sehr, aber Chi Api ist ja auch mehr international und durch und durch ein Ehrenmann. Ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft hier gemacht zu haben, und ich hoffe zuversichtlich, Sie werden es nie bereuen, mir hier eine Freistatt gewährt zu haben.“

Meine Zigarre war erloschen. In meiner Erinnerung tauchten längst verblaßte Bilder auf, die wieder Farbe und Gestalt gewannen und die sämtlich mit der eigentümlichen Persönlichkeit Chi Apis zusammenhingen, den ich einst vor dem Gehenktwerden bewahrt hatte.

Simisatto bügelte weiter, und ich fragte, noch etwas verworren und benommen nach Chis Ergehen. Ich wußte, er lebte in San Franzisko als großer Handelsherr, – das war alles … Wir hatten, als wir uns seinerzeit an der Nordbucht von Sachalin trennten, nie wieder etwas voneinander gehört.

„Es geht ihm sehr gut,“ erklärte mein schmächtiger, aber sehniger Gefährte ziemlich zerstreut … Unvermittelt setzte er hinzu: „Würden Sie mich mit der Pinasse nach Honolulu bringen? Meine Angelegenheit eilt, und ich habe bereits sehr viel Zeit dadurch verloren, die Polizei und Lord Morspam von meiner Fährte abzulenken. Ich hatte mich der trügerischen Hoffnung hingegeben, es sei mir gelungen. Lord Morspams große Motorjacht rammte die meine, er ist das Haupt der Gegenpartei, Mr. Abelsen.“

„Und – was ist Schimawara?“ fragte ich geradezu.

„Ein altes Kohlenbergwerk, das auf einer Insel im Ostchinesischen Meere liegt,“ antwortete er sichtlich zögernd.

Unsere Unterhaltung fand jäh ein Ende, da Men Huleb plötzlich wie ein Blitz die Leitern emporjagte, nachdem er ebenso rasch nach seiner Pistole gegriffen hatte, die bereits wieder frisch geladen war.

Droben knallten Schüsse, – ich hastete hinter Men Huleb drein, – als ich aus dem Schacht emporstieg, traf mich der blendend grelle Lichtkegel eines Scheinwerfers, und ein Kugelregen fegte über das Riff hinweg. Ich packte meinen Men Huleb beim Genick, und blitzschnell waren wir hinter den Randfelsen in Deckung.

Dann sah ich draußen ein fremdes großes Schiff, – eine Gestalt schob sich neben mich, und Simisatto flüsterte mit heiserer Stimme und klappernden Zähnen:

„Lord Cecil Morspam ist’s!! Der … der gefährlichste Schurke, der je die Welt betrog!“

Eine neue Kugelsaat kam …

Simisattos Zähne wirbelten förmlich einen Galopp. Der Haß würgte ihn, und kaum verständlich fügte er hinzu:

„Morspam mag sich hüten! Seine Tochter ist verschwunden …!“

„Und Sie wissen, wo sie ist …?“

„Zum Glück für uns beide, Mr. Abelsen!“ meinte er urplötzlich mit eisigem Auflachen. „Elsie Morspam wird uns schützen, glauben Sie mir!“

Ich beobachtete, daß neben der Jacht ein langes Kriegskanu schaukelte. Herr Linggeser hatte einen gleichgearteten Verbündeten gefunden.

 

3. Kapitel.

Simisattos Plan.

„Es genügt, wenn Huleb hier oben wacht,“ zerstreute ich Simisattos Bedenken. „Die Ebbe hält noch bis gegen zehn Uhr vormittags an, und bevor nicht die Flut eintritt, kommt niemand wieder in Schußnähe. Sie sehen ja, die Jacht wendet und dampft zurück, Linggeser wird den Lord vor den flachen Riffen gewarnt haben.“

Wir stiegen die Leitern hinab, und der kleine Japaner begann seine mühselige Arbeit von neuem, während ich für uns Tee kochte und eine Konservenbüchse öffnete.

Wer die ungeheure Geduld und Sorgfalt japanischer Kleinkünstler kennt, wird nicht weiter erstaunt sein, daß der Fürst nach zwei Stunden seinen Anzug tadellos in Ordnung gebracht und sogar seinen Kragen und die Krawatte leidlich geplättet hatte.

Der Simisatto, der mir nun am Tische gegenübersaß und zierlich und etwas weibisch tafelte und trank, war ein völlig anderer. – „Man sollte den Wert äußerer Aufmachung nie unterschätzen, Mr. Abelsen,“ meinte er höflich lächelnd. „Ich zum Beispiel fühle mich sehr bedrückt, wenn an meinem Anzug irgend etwas zu bemängeln ist. Ich weiß, dies legen Sie mir gewiß als Schwäche aus, aber Erziehung und Umgebung geben uns nun einmal ihr besonderes Gepräge. Meine Jugend verlief in glänzenden Verhältnissen, ich war Spielgefährte des jetzigen Mikado, und der Englische Klub in Tokio und Yokohama sowie meine Studien in Europa führten mich stets mit Europäern zusammen, denen äußere Eleganz eine Selbstverständlichkeit war.“

Ich kannte meinen Gefährten nun bereits zur Genüge und wußte, daß er dieses Thema ins Unendliche ausspinnen würde. Mir wäre es angenehmer gewesen, er hätte mir über andere Fragen ebenso erschöpfend Auskunft gegeben, aber meine zarten Winke in dieser Richtung verstand er nicht, – er wollte sie nicht verstehen, und als ich vorhin Elsie Morspams wegen behutsam angetippt, überhörte er es einfach. – Nun, ich dränge mich niemandem auf. Mochte Simisatto seine Geheimnisse getrost für sich behalten. Die Stunde würde schon kommen, in der er sprechen mußte. –

Nun schläft er wieder. Er hat sich bis auf sein seidenes Unterzeug entkleidet, und ich habe die Lampe nach dem „Bett“ hin abgeblendet. Desto greller trifft das Licht die andere Höhlenwand, deren rauhe Oberfläche und Buckel und Vertiefungen beweisen, daß hier keinerlei menschliche Hand sich rührte, diese Höhle etwa zu glätten. Die Grotte ist ein Naturgebilde, genau wie der Schacht, und lediglich früher zog sich die Höhle bis zum grünen Berge von Malmotta hin. Als die Insel wieder versank, erfolgten gleichzeitig Verschiebungen und Zusammenpressungen des Gesteins, und nur dieses sechs Meter lange Stück Höhlengang blieb von dem ausgedehnten Stollen übrig.

… Ich habe schon wieder gegähnt … Ich werde zwei Decken nehmen und droben neben Men Huleb schlafen. Man kann nicht voraussagen, was die nächsten Tage bringen, und ich möchte frisch sein.

Meine Schreibarbeit packe ich weg. Ich besitze einen flachen Zinkkasten mit Gummileisten, wasserdicht und verschließbar, und ich halte es für angebracht, mein Tagebuch durch das Schloß zu sichern. In diesem Tagebuch steht unter dem Titel „Löwenfarm“ so allerlei, was der Fürst nicht unbedingt zu erfahren braucht. Ich mag erst fünfunddreißig Lebensjahre hinter mir haben, aber die letzten Jahre zählen zehnfach, und meine Erfahrungen haben mich dahin belehrt, daß ein gesundes Mißtrauen gegenüber neuen und alten Bekannten niemals nachteilig ist. Man braucht dieses Mißtrauen ja nicht zu zeigen. Das ist weder hinterhältig noch harmlos. Es ist die Weisheit des Alltags. Meine Weisheit abseits vom Alltag sträubt sich gegen derartige Diplomatenkniffe. Was hilft’s?! Die Verhältnisse sind zumeist stärker als der Rest von Reinheit in uns. –

Men Huleb hat mich sehr freudig empfangen. Aber seine Finger sind unerhört klebrig, und ich argwöhne, daß inzwischen eine zweite Büchse Birnen hat daran glauben müssen.

Die See ist leicht dunstig geworden. Nebelbildungen gibt es hier äußerst selten. Aber dies da sind Nebelstreifen … Der Wind hat sich wie immer jetzt gegen Morgen gedreht, er weht von Nordost, und dort blinken auch die Lichterreihen der Kajütenfenster und die bunten Positionslaternen der Kreuzerjacht dieses Lord Morspam, – die Jacht heißt „Elsie“, und der Witwer Morspam soll sein einziges Kind vergöttern, sagte Fürst Simisatto vorhin.

Die Nebelschwaden ziehen näher, sie hängen ganz tief, die Jacht wird immer undeutlicher, und Men Huleb schnuppert und schnuppert, als ob …

Und da rieche auch ich es. Es ist nicht Nebel, es ist Rauch, es ist jener künstliche Nebel, den man neuerdings für Kriegszwecke benutzt, damit die friedliebenden Völker sich nicht im Hellen gegenseitig die Kehlen abzuschneiden und sich nicht ihrer tief innerlichen Verlogenheit zu schämen brauchen.

Seine Lordschaft nebelt mein Riff ein. Seine Lordschaft beabsichtigt eine Visite im Nebel, und Linggeser mag ihm erklärt haben, daß bei Ebbe meine Pinasse auf dem Trockenen läge und daher Flucht für uns unmöglich sei.

„Verbindlichsten Dank, Mylord, – stehen die Aktien so, dann werden wir uns ebenfalls den Rauch zunutze machen und uns empfehlen!“

Armer Simisatto, ihm blieben für seine Toilette wenige Minuten, die Krawatte saß schief, und sein Oberhemd und seine tadellos gepflegten Händchen litten erheblich durch den Transport der Kisten in die Pinasse hinab. – Wir haben die Kalkfestung geräumt, wir haben in beizendem Qualm unser Schifflein durch schmale Kanäle gelotst und dann nur drüben bei den Gräbern einen kurzen Aufenthalt gehabt, ich bin ausgestiegen und sagte Jane Lebewohl, kniete auf der Steinplatte des Grabes vor dem plumpen Steinkreuz und betete so, wie die Einsamen beten, die ihren Gott in der großen heiligen Natur wiedergefunden haben.

Dann begann der starke Motor leise zu hämmern, wir steuern nach Westen, und Simisatto sitzt neben mir am Steuer und beleuchtet mit der Karbidlaterne Seekarte und Kompaß, tippt mit dem überschlanken Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle im Ostchinesischen Meer, wo eine Unmenge von Pünktchen eine Inselgruppe andeuten …

„Mr. Abelsen, dies sind die Liu-Kiu-Inseln, die gleichsam eine Brücke von Japan nach der großen Insel Formosa bilden, die wir Tai-Wan nennen. Hätte diese Karte ein größeres Format oder besäßen wir eine Spezialkarte der Liu-Kiu-Inseln, dann könnte ich Ihnen die Wunderinsel Ikima zeigen.“ Er beugte sich noch tiefer über die Karte, lachte plötzlich etwas schrill und rief: „Hier ist sie! Bitte! Hier im Süden von Mijaka, der bedeutendsten der südlichen Liu-Kiu. Und natürlich steht ein winziges Fragezeichen neben dem winzigen Pünktchen. Schauen Sie nur her! Ein Fragezeichen!! Wissen Sie, was das bedeutet?! Das heißt in der Seekartensprache: Ihr Vorhandensein wird bestritten!“

Ich blickte ihn etwas scheu von der Seite an.

„Halten Sie dort Elsie Morspam gefangen?!“

Sein Kopf fuhr hoch. „Wie kommen Sie auf die Vermutung?“ Er musterte mich scharf, und seine kleinen Augen wurden zu stechenden Nadeln.

„Ich denke,“ erwiderte ich kühl, „Sie werden rechtzeitig Ihren Feind halb lahmgelegt haben. Wie fingen Sie die Miß?“

Er zauderte. Abermals traf mich der nadelscharfe Blick.

„Wenn Sie nicht Chi Apis Freund gewesen wären, würde ich Sie töten,“ sagte er mit unheimlichem Gleichmut, und das feine Zischen seiner Aussprache des Englischen verstärkte sich noch. „Ich vertraue Ihnen, und deshalb bleiben Sie am Leben, nur deshalb. Es geht hier um Dinge, bei denen Blut, Menschenblut, Menschenleben keinerlei Wert mehr haben.“

Sein schmallippiger Mund verzog sich, und sein Grinsen ward satanisch und sein Puppengesicht zur Teufelsfratze.

„… Ich übertreibe nicht, Mr. Abelsen,“ fügte er noch eisiger hinzu. „Ich möchte Sie auch von vornherein darauf aufmerksam machen, daß Sie die gefährlichsten Bluthunde der Welt als Feinde haben werden, sobald Sie mir wirklich beistehen wollen. Zuerst bat ich Sie nur, mich nach Honolulu zu bringen, wo Mr. Grant Webster mich sehnsüchtig erwartet. Stepkins hat mich dort angemeldet, und er und Webster werden bereits verzweifelt sein, weil sie von mir seit vier Wochen keinerlei Depeschen mehr empfingen. Seit einem Monat war der Sender meiner Jacht in Unordnung. Ein Sender ist ein sehr empfindlicher Apparat, und eine Granate eines Schnellfeuergeschützes trägt nicht gerade dazu bei, eine Funkkabine aufzuräumen. Lord Morspams Granate saß genau in der Kabine, tötete zwei Mann und demolierte den Sender. Deshalb blieben meine Freunde ohne Depeschen. Immerhin war ich noch zufrieden, daß der Treffer nicht drei Meter tiefer lag, dann wäre meine Jacht schon damals weggesackt, so aber konnten wir der „Elsie“ entkommen und flüchteten nach Süden. Dieses Intermezzo trug sich übrigens an der Südostküste Formosas zu. – Ich möchte Sie nochmals darauf hinweisen, Mr. Abelsen, daß ein Bündnis mit mir so ziemlich das fragwürdigste Wagnis darstellt, zu dem ein Mann sich hergeben kann. Überlegen Sie sich die Sache.“

Wir waren mit unserer flinken Pinasse längst aus dem Bereich der ziehenden Rauchwolken heraus. Simisatto legte jetzt die Ruderpinne noch mehr herum, und unser gedecktes großes Boot lief nördlichen Kurs.

Ich erklärte nach kurzem Bedenken:

„Handelt es sich bei diesem „Geschäft“ um ehrenrührige Dinge?“

„Ja – auf der Gegenseite,“ antwortete der Japaner kurz. „Wir würden für das Recht kämpfen, Mr. Abelsen, – die anderen für das Unrecht. Genügt Ihnen das zunächst?“

Er schaute mir gerade in die Augen. Seine Züge zeigten bereits wieder jenen liebenswürdig-freundlichen Ausdruck, der unfehlbar diesen Simisatto für einen schlechten Menschenkenner als ein recht harmloses, eitles, in Äußerlichkeiten befangenes Männlein erscheinen ließ.

Meine Hand streckte sich der seinen entgegen. Wir tauschten wortlos einen Händedruck, der uns für lange Zeit zu Brüdern machen sollte.

Simisatto lächelte fein. „Nun denn – jetzt zuerst zu Lord Morspams feudalem Piratenschiff, lieber Abelsen. Ich will einem Vater, der ein vollendeter Schurke ist, den Beweis liefern, daß er etwas vorsichtiger zu Werke gehen muß, falls er nicht sein Kind für immer verlieren will. Übernehmen Sie das Steuer. Ich habe einen Brief zu schreiben und einige andere Vorbereitungen zu treffen. Entschuldigen Sie mich …“

Er erhob sich und öffnete die Tür der kleinen Kajüte der Pinasse. Diese Kajüte lag mittschiffs, hatte runde Fenster, ein sanft geneigtes Zinkdach und entsprach in ihrer Inneneinrichtung durchaus dem Luxus, der die weiße schöne Motorjacht meiner toten Jane, den „Star of London“, ausgezeichnet hatte. Dieser „Stern von London“ leistete jetzt Malmotta auf dem Meeresgrund Gesellschaft.

In der Tür drehte Simisatto sich nochmals um. „Ich darf wohl eine der Zinktonnen für meine Zwecke benutzen, Abelsen?“

Dann erst schloß er die Tür. Ich hörte, wie er drinnen die dichten Vorhänge vor die Bullaugen zog, und dann erschien er nach zehn Minuten abermals bei mir und stellte die Zinktonne, die er unten mit einem Stück Eisen beschwert und oben verschlossen und mit einer Laterne versehen hatte, auf die Planken des Hecks und erklärte: „Hier ist der Brief.“

Neben der Laterne hing ein wasserdichter Beutel.

„Wir müssen jetzt von Norden vorsichtig an die „Elsie“ heran, Abelsen. Morspam soll diese primitive Leuchtboje finden. Hat er den Brief gelesen, wird er sich sehr verfärben. Er glaubt, sein Kind befände sich noch in Schanghai bei Bekannten. Es war nicht ganz einfach, die junge Dame unauffällig zu entführen. Es waren diplomatische Kunstgriffe nötig, die einerseits Miß Elsies Bekannte, anderseits ihren Vater täuschen sollten. Meine Beziehungen reichen jedoch sehr weit, und die Chinesen sind käuflich wie junge Hunde, die man ersäuft, wenn sie sich nachher zu elenden Bastarden entwickeln. Gefälschte Briefe taten gute Dienste, und noch jetzt gibt Lord Morspam sich der trügerischen Hoffnung hin, Stepkins und ich wüßten nicht, wo er sein Kind in Sicherheit wähnt.“

Er setzte sich und nahm das Fernglas.

„… Wir müssen uns bereits hinter der Jacht befinden … Ah, da ist sie … Alle Lichter abgeblendet … Ich schätze die Entfernung auf zweitausend Meter. – Wie schnell läuft die Pinasse?“

„Vielleicht fünfzehn Knoten.“

„Hm, viel zu wenig …! Die „Elsie“ schafft zwanzig, und Morspam würde uns in einer halben Stunde in Schußweite haben. Das häuft neue Schwierigkeiten auf, Abelsen. Wir dürfen nicht leichtfertig vorgehen. Den Brief muß er erhalten. Sehr störend ist der weiße Anstrich der Pinasse. Fällt es einem der Banditen der „Elsie“ zufällig ein, auch nach Norden zu Ausschau zu halten, dann sind wir …“

Ein langer blanker Strich blitzte plötzlich über das Meer hin und schwenkte langsam nach Nordwest herum …

„Sie suchen uns!“ zischte Simisatto wütend. „Was können …“

Ich war aufgesprungen, rannte nach vorn, riß die Luke auf und zerrte einen Ballen Segel an Deck. Es war das Notsegel der Pinasse, und das Leinen war in der feuchten Tropenluft längst stockig und fleckig geworden und schimmerte graugrün.

Ich entfaltete den Ballen, – mein Plan war nicht neu, war ein alter Kniff …

Simisatto half. Wir zogen das Segel vom Bug über die Pinasse – bis zum Heck, die Leinwand schleifte im Wasser, aber es war unmöglich, unter dieser Hülle, die mit den blanken dunklen Wogen und den weißen Wellenkämmen in eins verschmolz, ein Fahrzeug zu vermuten, – mehr noch, die so maskierte Pinasse konnte überhaupt nicht bemerkt werden.

Atemlos kauerten wir am Steuer und glitten mit halber Fahrt nach Süden. Mehrmals huschte der Lichtkegel des Scheinwerfers über uns hinweg. Unser Sicherheitsgefühl steigerte sich, und allmählich kamen wir der „Elsie“ immer näher. Die Rauchschwaden waren längst verweht, ich erkannte durch das Glas mein Riff und sah auf der Kuppe mehrere Gestalten, sah auch zwei Boote, die am äußersten Riffkranz lagen.

„Simisatto,“ sagte ich zu meinem Gefährten, „Ihre Idee mit der Leuchtboje ist an sich gut. Nur – in demselben Augenblick, wo wir die Laterne oben auf dem Deckel der Zinktonne anzünden, verraten wir auch unsere Anwesenheit.“

Ich hatte den kleinen Japaner unterschätzt.

„Die Laterne wird erst sichtbar werden, wenn wir genügend Vorsprung haben,“ erwiderte er kühl und deutete auf ein unter der Bank verstautes Tiefseelot mit dünner Leine. „Ich werde die Laterne dicht verhüllen und nur ein Stück des Glases von drei Finger Breite freilassen. Ich binde die Leine so an die Tonne, daß, wenn wir gewendet haben und wieder nach Norden steuern, der schmale Lichtstreifen stets nach uns hin zeigt. Ich werde die Leine langsam durch die Finger gleiten lassen, und erst, wenn sie zu Ende, mögen die Wogen die Leuchtboje drehen und näher auf die Jacht zutreiben.“

„Einverstanden,“ nickte ich kurz.

Wir waren noch achthundert Meter von der Jacht entfernt.

Simisatto umhüllte die Laterne mit einem Stück Wolldecke und befestigte diese mit Draht, so daß die Hülle sich nicht verschieben konnte.

Der Scheinwerfer war erloschen, aber Lord Morspam, der uns entschlüpfen sah, schien jetzt die Verfolgung anders aufnehmen zu wollen. Die Sirene der Jacht heulte, sie rief die beiden Boote zurück.

„Schnell, Simisatto, – – schnell!!“

Er rieb ein Zündholz an, die Laterne puffte, brannte, und er hob die Zinktonne über Bord …

Die Pinasse lief langsam rückwärts, und die Lotleine rollte durch des Japaners zarte Hände, während der uns zugekehrte Lichtstreifen allmählich undeutlicher wurde.

Trotzdem waren es bange Minuten, – endlose Minuten …

Die Lotleine hatte nur etwa tausend Meter Länge, und als die dünne Schnur nun vollends abgerollt war, drehte sich die Leuchtboje sofort und, – ausgerechnet nahm auch die „Elsie“ jetzt den Kurs nach Norden …

Wir wagten kaum mehr die Köpfe zu heben …

Wieder blitzte der Scheinwerfer über die See, wieder tastete dieser grelle Finger suchend umher und blieb dann an der treibenden Boje kleben.

Lächerliche Kleinigkeiten bestimmen Menschenschicksale … Lächerlich war es, daß Men Huleb, den ich in der Kajüte festgebunden hatte, gerade jetzt sich befreit haben mußte und die Tür aufstieß und vergnügt oben auf dem Kajütdach umherhüpfte.

„Hierher, Men!! Hierher!!!“

… Es war zu spät …

Der leuchtende Finger hatte sich gehoben, betupfte unser maskiertes Fahrzeug …

Blendende Helle umgab uns, und der verrückte Men hopste da wie auf einer Varieteebühne ausgelassen hin und her …

Wir waren entdeckt.

„Runter mit dem Segel, Simisatto!!“

Ich packte Men, warf ihn in die Kajüte.

Wir schleuderten das Segel ins Wasser, die Pinasse, befreit von der schleppenden Mantille, schoß davon, aber … der Finger klebte weiter an uns, und die „Elsie“ näherte sich unheimlich rasch.

Dann drüben ein Blitz, ein Knall …

Heulend, fauchend fuhr die Granate seitwärts in die See …

Eine zweite folgte …

Simisatto saß neben mir und lächelte.

„Abelsen, diese Partie haben wir verloren … Es schadet nichts. Lord Morspam wird uns sehr liebenswürdig empfangen …“

„Wie meinen Sie das?!“

„Empfangen, – und nachher vielleicht auf einen eisernen Dreibock setzen, unter dem Spiritus in einer Schale brennt. Auf die Weise hat er bereits drei meiner Getreuen gefoltert und zum Verrat gezwungen. – Stoppen Sie! Es hat keinen Zweck mehr!“

Der Motor verstummte.

Simisatto schnallte seinen Gürtel ab und warf ihn ins Wasser.

„So, nun wird Morspam sich Sieger dünken. – Fesseln Sie mich, Abelsen, – recht brutal, – täuschen wir erst noch einen Kampf vor, – – los doch, – Sie sollen als Trumpf in diesem Spiel reserviert werden, – hauen Sie mir über den Kopf. Es muß bitter ernst aussehen, sonst glaubt der Schurke Ihnen nicht.“

Ich verstand. Dieser Simisatto war mir entschieden über. Der Gedanke war letzte Rettung. –

Im Scheinwerferlicht fuhr ich ihm an die Kehle, – schlug mit dem Pistolenkolben zu, – – und ein mittelgroßer behaarter Teufel half mir, – wie ein Blitz war Men Huleb dem Japaner im Genick, schwang Simisattos Plätteisen, – – krachend und blutüberströmt brach unser „Feind“ zusammen.

Das Geschütz der Jacht schwieg. – –

Ich schreibe dies an Bord der „Elsie“ in einer hübschen Kabine.

Morgen will Lord Morspam Simisatto auf den Dreibock setzen.

 

4. Kapitel.

Morspams Gäste.

… Es befindet sich hier an Bord eine sehr bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Meine erste Sorge war festzustellen, ob etwa irgend jemand auf dem Schiff meine schwedische Heimatsprache beherrschte. Mich quälten natürlich auch noch andere Sorgen, die jedoch zunächst in den Hintergrund traten, da die Entwicklung der Ereignisse für mich persönlich sehr günstig ausfiel. Ich habe mich jedoch daran gewöhnt, gerade durch diese meine zwanglosen Aufzeichnungen besonders in eine Überfülle sich überstürzender Vorfälle leicht zu überschauende Ordnung zu bringen, und ohne die Gewißheit, daß niemand hier auf der „Elsie“ imstande sei, mein Tagebuch zu lesen, hätte ich die Niederschrift des Vorstehenden und des Folgenden nie wagen dürfen.

Überfülle sich überstürzender Vorfälle! – Ich sage damit nicht zu viel. Schon allein die letzten Minuten auf der Pinasse rechtfertigen die Bezeichnung „Überfülle“. Simisatto und ich fanden kaum mehr Zeit, uns über das zu verständigen, was wir vor Lord Morspam aussagen wollten. Wir mußten uns auf unsere eigene Schlauheit verlassen, damit wir uns nicht in Widersprüche verwickelten. Dann kam das völlig unprogrammäßige Eingreifen Men Hulebs, der mich in Gefahr wähnte und wie ein Satan auf Simisatto losfuhr. Ich war im ersten Augenblick entsetzt über Freund Men’s brutalen Hieb. Ein Glück, daß der kleine Japaner einen Südwester mit Korkeinlage (Sonnenschutz) auf dem Haupte hatte, sein Schädel wäre sonst bei Hulebs barbarischer Kraft unter der Wucht des Eisenbolzens wie eine Eierschale eingeknickt. Mein eigener Hieb mit dem Pistolenkolben war ja nur halbe Spiegelfechterei gewesen.

Trotzdem war ich meinem vierhändigen Freunde nicht gram. Der Anblick, der sich den kühlen scharfen Blicken Lord Morspams am Heck der Pinasse darbot, konnte kaum überzeugender für den gänzlichen Umschwung in meinen Beziehungen zu Simisatto sein, denn dieser lag blutüberströmt am Boden, regte kein Glied und schien dem Verenden nahe. Dennoch hatte er nicht einmal das Bewußtsein verloren und simulierte nur und hatte mir noch einige wichtige Sätze zugeflüstert. Dann war die große Jacht schon neben uns, die Pinasse wurde an das herabgelassene Fallreep gezogen, und der Scheinwerfer beleuchtete eine trügerische Kampfesstätte.

Morspam stand allein unten auf dem Fallreep, und droben an der Reling erkannte ich eine Anzahl Herren und Damen, Matrosen und Schiffsoffiziere. Ich war erstaunt über die Massenversammlung, die „Elsie“ schien insgesamt hundert Menschen zu beherbergen, für eine Privatjacht recht reichlich.

Das also war nun Lord Cecil Morspam, den der Japaner als den größten Schurken der Welt bezeichnet hatte. – Der erste Eindruck, den ich von dieser straffen, vornehmen Erscheinung gewann, strafte Simisatto unbedingt Lügen. Morspam war ein englischer Aristokrat mit scharf markierten Zügen und von gemessener Höflichkeit.

Es schien ihm nichts daran zu liegen, daß irgend jemand Zeuge der ersten zwischen uns ausgetauschten Sätze sei. Er fragte mit gedämpfter Stimme, indem er sich zu mir herabbeugte: „Weshalb schlugen Sie den Mann nieder? Sie schienen doch zunächst mit ihm ein Herz und eine Seele zu sein. Wußten Sie, mit wem Sie gemeinsame Sache machten?!“

Morspam erinnerte mit seinem Monokel und dem mageren, leicht blasierten Gesicht etwas an einen englischen sehr bekannten Staatsmann. Er hatte hellgraue junge Augen, eine sehr schmale gerade Nase, war bartlos und so tief gebräunt, daß man die Falten und Fältchen um Augen und Mund schwer wahrnahm. Er mochte vielleicht fünfzig Jahre alt sein, man konnte ihn jedoch ebenso gut fünfzehn Jahre jünger schätzen. Sein Blick war beherrscht und ohne irgendwelche Schärfe, seine Sprache gewählt und doch zwanglos, sein Organ angenehm und etwas eintönig.

„Ich schlug diesen Ylatta nieder,“ erwiderte ich absichtlich recht laut, „weil er plötzlich seine Pistole auf mich richtete. Ich hatte dem Burschen nie recht getraut, er tat mir zu geheimnisvoll, und man befreit einen Menschen doch nicht zu dem Zweck aus den Händen einer Bande von Schuften, damit er nachher als Dank sich in finsteres Schweigen hüllt. Ich glaube, er wollte mich niederknallen, weil er allein irgendwie zu entkommen suchte.“

Morspam nickte kurz. „Sie haben ihn richtig eingeschätzt, Mr. Abelsen. – Linggeser nannte mir Ihren Namen. Der Kerl mit seinen fünf Kanaken sitzt jetzt in dem Riff. Das Kriegskanu habe ich leck schlagen lassen … Mit solchen Strolchen gebe ich mich nicht ab. – Bitte, folgen Sie mir … Sie sind mein Gast, Sie und Ihr Affe …“

Er reichte mir die Hand, und ich schwang mich auf das Fallreep. Men kam hinterhergesprungen, er machte sich keinerlei Gewissensbisse des armen Simisattos wegen, und ich wieder durfte durch nichts verraten, daß mir des Japaners Ergehen zur Zeit das Wichtigste war.

Morspam rief zur Reling empor, und der Klang dieses Befehls zeigte mir den ganzen Mann in anderem Licht: „Doktor Fellow, Sie sorgen für den Verwundeten. Astrachan wird ihn bewachen. Er kommt in die Zelle.“

Als wir oben an Deck anlangten (Huleb saß auf meiner Schulter), stellte Morspam mich mit liebenswürdiger Handbewegung seinen Bekannten und Schiffsoffizieren vor.

„… Ich habe mit Mr. Abelsen noch einiges zu besprechen … Sie entschuldigen mich.“

Ich hatte Namen und Titel an meinem Ohr vorüberrauschen gehört, ich hatte viele Gesichter flüchtig gemustert, ich sah schöne Frauen in eleganten Abendkleidern, Herren im Frack, und all dies war wie ein Traum. Ich saß dann Lord Morspam in einer großen Kabine an einem modernen breiten Schreibtisch im weichen Klubsessel gegenüber, ich rauchte, stärkte mich durch ein Glas Champagner, den ein lautloser chinesischer Steward gereicht hatte, und meine Augen hafteten etwas beunruhigt auf einem Beutel aus Ölleinwand und einem Brief auf der Schreibtischplatte.

Morspam bat mich um eine eingehende Schilderung meines Beisammenseins mit Ylatta. Ich blieb dabei, daß der Japaner sich so genannt hätte und daß er zu keinerlei Äußerung über seine Person zu bewegen gewesen wäre. Es gab sehr kritische Momente während dieses halben Verhörs, aber vier Jahre Vagabundentum haben auch meinen Geist geschärft.

„Sagte dieser Ylatta nichts über den Zweck der Leuchtboje?“ warf der Lord beiläufig ein.

„Nichts, Mylord. Ich ließ ihn einfach gewähren … Ich bin auf Abenteuer eingestellt, das ganze machte mir Spaß …“ Ich lächelte dazu. „Ich sah das Kanu neben Ihrer Jacht, und dieser Linggeser, dachte ich, würde auch Sie mit seinem Goldhunger anstecken, Mylord. Es gibt kein Gold in dem Riff. Es war Gold vorhanden, gewiß. Die Insel versank, und die Barren verschwanden in der Tiefe.“

Morspam spielte mit einem elfenbeinernen Brieföffner. „Ja, Linggeser erwähnte, Sie seien Abenteurer …“ Er behielt mein Gesicht beständig in Obhut. „Es ist Ihr Glück, daß Sie Ylatta niederschlugen … Der Mann hat drei Morde begangen, und ich werde ihn ausliefern.“

Jetzt war in Morspams Benehmen etwas Hinterhältiges zu spüren. Ich war wachsam, und um keinerlei Argwohn gegen mich aufkommen zu lassen, fragte ich etwas schroff:

„Ylatta muß Sie sehr genau kennen, Mylord, nicht wahr? – Was sollte sonst der Brief da?! Was steht in dem Schreiben?“

„Woraus schließen Sie, daß er mich kennt?!“ meinte Morspam gleichgültig.

„Aus einigen völlig unklaren Andeutungen des Japaners, die halb wie Drohungen klangen … Ich bin aus alledem nicht klug geworden.“

Zu meiner Überraschung reichte mir der Lord den Brief. „Lesen Sie nur … Der Bursche ist übergeschnappt.“

Ylatta-Simisattos zierliche lateinische Schrift erinnerte an Bügelfalten.

Mylord!

Ich warne Sie! Geben Sie die Sache endgültig auf. Sollten Sie uns fernerhin belästigen, werden Sie Ihr Kind nie wiedersehen. Miß Elsie ist nicht in Schanghai, sondern in meiner Gewalt. Sie lieben Ihre Tochter, und Sie kennen mich!!

M. Y. S.

Ich spielte den Erstaunten. „Was soll das, Mylord?! – Haben Sie eine Tochter?!“

Morspam nahm mir das Schreiben wieder ab. „Ja, Mr. Abelsen … Sogar eine sehr schneidige Tochter …“ Er schmunzelte nachsichtig. „Elsie betätigt sich bei Reit- und Tennistournieren und in ersten Modesalons, die Pariser Modelle führen. Mein Kind läßt sich nicht so leicht verschleppen.“

Ich gähnte diskret, denn mir lag daran, diese Unterredung zu beenden, die für mich noch immer irgendwie eine peinliche Wendung hätte nehmen können. Lord Morspam meinte dann auch sofort: „Ich begreife, daß Sie sehr müde sein müssen, Mr. Abelsen.“ Es folgte eine kurze Pause, er schien über irgend etwas nachzusinnen und fügte schließlich zerstreut hinzu: „Ich glaube, ich werde Sie brauchen können. Wir sprechen später darüber. Tufan wird Ihnen Ihre Kabine zeigen.“ Er drückte auf einen Klingelknopf am Schreibtischrand, und der geräuschlose chinesische Steward trat sofort ein und blieb neben der Mahagonitür stehen.

Ich hatte soeben eine sehr eigentümliche Entdeckung gemacht, als Lord Morspam den grünen Knopf berührte. Zunächst gab es da im ganzen fünf verschiedenfarbene Knöpfe, die ich schon vorhin bemerkt hatte, als ich mich über den Schreibtisch lehnte, um Simisattos Drohbrief in Empfang zu nehmen. Meine Entdeckung, mehr eine zufällige Beobachtung, bezog sich auf die Stutzuhr auf der Schreibtischecke, die einen Marmorsockel in Gestalt eines kauernden Fauns mit grünlichen Glasaugen hatte. Diese Uhr stand schräg. Ich konnte sowohl die Rückseite des runden bronzenen Gehäuses als auch das Zifferblatt sehen. Die Rückseite war mit grüner Gaze bespannt, die Knebel zum Aufziehen und die Schrauben zum Stellen waren an der Seite angebracht. Als Morspam läutete, glühten die Augen der Marmorfigur einen Moment auf, und gleichzeitig sprang der große Zeiger auf die VI, also auf „halb“, schnellte dann jedoch wieder in die ursprüngliche Stellung zurück.

„Tufan ist leider taubstumm,“ erklärte der Lord, der mich mit einem Male sehr scharf fixierte. „Sie werden ihm also Ihre Wünsche in Englisch aufschreiben müssen.“

„Bedauerlich, – der arme Bursche!“ – und ich gähnte erneut.

Morspam machte einige Zeichen mit der Hand, und der Chinese dienerte mehrfach und winkte mir. – Nach einer gegenseitigen liebenswürdigen Verbeugung und einem lässigen Händedruck nahm ich vorläufig von Seiner Lordschaft Abschied.

Men hüpfte mir in den Arm, und ich folgte dem lautlosen alten Chinesen den Kabinengang hinab zu meinem neuen Domizil. Auf diesem Wege ereignete sich abermals etwas Merkwürdiges. Rechter Hand flog eine Kabinentür plötzlich nach innen auf, und ich konnte in dem mit lichtblauer Seide ausgeschlagenen kleinen Salon im Schimmer einer bläulichen Ampel eine Frau in einem zartlila Kimono erkennen, die mit einem leicht gekrümmten zweihändigen Samuraischwert einen kleinen, glatzköpfigen Herrn bedrohte, der mit dem Rücken nach der offenen Tür hin wütend hervorstieß: „Wir rechnen noch ab, Mia!!“

Mein Chinese hustete stark, die Frau bemerkte uns, schlug die Tür zu, und ich hatte nur eben noch feststellen können, daß ihre dunklen Augen beinahe entsetzt auf meinem braunen Gesicht ruhten.

Die Jacht „Elsie“ scheint recht eigentümliche Herrschaften an Bord zu haben.

 

5. Kapitel.

Der schwimmende Sarg.

Ich schlief bis sechs Uhr nachmittags. Ich schlief in einem wunderbaren Bett, und meine Kabine ist ein Schmuckkästchen. Ich fand meinen Anzug frisch gewaschen und gebügelt vor, fand neue Leibwäsche, Kragen und Krawatte, – ich mußte wie ein Toter geschlafen haben. Auf dem kleinen Klappschreibtisch unter dem einen Fenster lag mein verschlossenes Zinkkästchen mit meinem Tagebuch.

Ich war zufrieden.

Abends acht Uhr wurde im großen Salon diniert. Inzwischen hatte ich die „Herrschaften“ bereits auf dem Promenadendeck genauer kennengelernt.

Es war eine sehr internationale Gesellschaft: Ein russischer Fürst mit einer prächtig auf jung geschminkten Gattin, ein französischer Vicomte mit einer albernen Puppe von Frau – – und so weiter.

Auch die Dame im Kimono, die das Samuraischwert so drohend gegen den kleinen Glatzkopf gerichtet hat, begrüßte mich mit derselben überschwänglichen Vertrautheit: Eine Witwe Mia van Buizendahl, Holländerin, – sehr hübsch, sehr rassig.

Der Glatzkopf war ein Amerikaner Robinson Tupperdyl. Seine Wiege hatte jedoch zweifellos in einem verlausten galizischen Dorfe gestanden.

Im ganzen hatte die „Elsie“ außer der Besatzung von fünfzig Mann (zumeist Chinesen, nur die Offiziere waren Engländer) vierzehn Gäste an Bord, Lord Morspam war der fünfzehnte, dann müssen noch der Arzt Doktor Fellow, ferner Morspams zwei Sekretäre und die Zofen einiger der Damen erwähnt werden.

Ich habe nie in sogenannten „ersten“ Kreisen verkehrt, aber ich hatte sowohl als Ingenieur wie als Weltentramp reichlich Gelegenheit, mir den Blick für wahre Gentlemen und für echte Ladys zu schärfen.

Diese Baude hier war Talmi. – Möglich, daß ihre Titel und Adelsprädikate stimmten, möglich, daß diese bunte Sippe irgendwie längst gesellschaftlich abgerutscht war: Ihr Benehmen war nicht das von Leuten, die wirklich „zum Vergnügen“, wie sie alle andeuteten, „ihren lieben Freund Morspam“ begleiteten.

Sie hatten offenbar eine scheußliche Angst vor ihm. Als er an Deck erschien, verstummte die Unterhaltung sofort, und langsam verkrümelte sich einer nach dem andern, bis nur noch die schöne Frau Buizendahl, Mr. Robinson Tupperdyl und der Lord und ich die bequemen Liegestühle benutzten.

Ich sagte: Unterhaltung verstummte!

Nun, unsere Gespräche drehten sich um allerlei banalste Dinge, berührten nie die Person Morspams, nie die Jacht, das Reiseziel oder persönliche Dinge. All diese Leute vermieden scheu jedes Eingehen auf die natürlichsten Fragen, alle bemühten sich, möglichst fernliegende Themen zu zerpflücken …

Es war wie ein Konsortium von Hochstaplern, die mich als Fremden über ihre wahren Interessen täuschen wollten. –

Auch wir vier in den Liegestühlen huldigten durchaus der bisherigen Gepflogenheit und redeten ins Blaue hinein. Nur Mia van Buizendahl plänkelte ein wenig mit Tupperdyl, der sich fortwährend seine schwitzende Nase trocknete und gegenüber Morspam zuweilen einen recht plump vertraulichen Ton anschlug, bis des Lords eisiger glanzloser Blick ihn scheu in sich zusammenkriechen ließ.

Jedenfalls hatte ich mich noch nie in so zweifelhafter und zweideutiger Gesellschaft bewegt. Ich war sehr auf der Hut, und ich fühlte instinktmäßig, daß diese Leute übelstes Gelichter und lediglich Handlanger seiner Lordschaft waren. Ich kam mir hier vor wie in einem großen Hyänenkäfig. Diese Situation war mir neu.

Dann das Diner. – Großartige Tafel, großartige Toiletten, – ich der einzige weiße Rabe zwischen Smokings und Fräcken.

Ich konnte mich nicht entsinnen, jemals ein so luxuriöses Mahl mitgemacht zu haben. Im Hintergrunde spielte ein Lautsprecher ganz diskret, die Tafelrunde benahm sich ohne Tadel, die chinesischen Stewards bedienten gewandt, und meine Tischdame Mia gab sich die redlichste Mühe, geistreich und kokett zu sein. Der Lord präsidierte dieser Höllenrunde still und wortkarg und hatte zumeist einen so hochmütig-verächtlichen Blick für seine lieben Gäste, daß die seichte Komödie denn doch zu durchsichtig war.

Ich dachte an Simisatto. Mein Programm war fertig. Diese erlesene Banditengesellschaft hielt mich zweifellos für sehr harmlos. Und ich tat alles, diese Meinung über mich noch zu bekräftigen. Mitunter fühlte ich allerdings Lord Morspams undurchdringliche Augen, und dann wurde mir etwas unbehaglich zumute. Ich war froh, als die Tafel aufgehoben wurde und die Stewards die Schiebetüren nach dem großen Salon öffneten, wo an den Wänden einige Spieltische bereit standen, während die Mitte des Raumes als Tanzdiele freigelassen war. Der Lautsprecher wurde jetzt in den Salon gestellt, die Musik irgendeines Senders erfüllte den übereleganten Raum, und meine Tischdame fragte mich mit leiser Ironie, ob ich die modernen Tänze beherrschte. Ich verneinte etwas schroff, – in demselben Moment tauchte der Lord neben uns auf und bat mich, ihn an Deck zu begleiten.

„… Ich hätte mit Ihnen noch einiges zu besprechen, Mr. Abelsen … Sie werden auch kaum an so lärmende Geselligkeit gewöhnt sein …“ und ein merkwürdiger Blick streifte die schöne Frau Buizendahl, die sichtlich empört die Lippen zusammenpreßte und ohne weiteres davonschritt. „Wie gefallen Ihnen meine Gäste?“ fügte Morspam hinzu, indem er auf drei bereits tanzende Paare und auf den Glatzkopf Tupperdyl deutete, der an einem der Spieltische eifrig die Karten mischte und vor sich ein ansehnliches Paket Dollarnoten aufgehäuft hatte. „Eine sehr feudale Innung, Mr. Abelsen, – das müssen Sie zugeben. Alles uraltes blaues Blut – vielleicht auch grünes, ich weiß nicht recht, ob hier blau oder grün die passendere Farbe ist … – Kommen Sie … Tufan bringt uns Zigarren und ein Glas Sekt an Deck. Ich liebe diese träumerischen Nachtstunden, – ich finde, die Worte gleiten unter dem Sternenzelt flüssiger über die Zunge …“

Was sollte ich aus diesem Manne machen, der so unzweideutig vor mir seine Gäste herabsetzte und im gleichen Augenblick einige sentimentale Redensarten gebrauchte, die doch ebenfalls nur Spott sein konnten?! Wie sollte ich mich zum Lord Cecil stellen, vor dem man jedes Wort doppelt vorsichtig abwägen mußte?! – Ich empfand ein Unbehagen, als ich nun vor ihm die beläuferte Treppe hinanstieg, das vielleicht ein Delinquent kennen lernt, den der Scharfrichter auf das bewußte Gerüst hinaufschiebt und dabei weißwollene Handschuhe und Frack und Zylinder trägt. Noch nie hatte ich ein geistiges Übergewicht so klar gespürt wie hier bei Lord Morspam, der offenbar aller Welt nur eine schlau zurechtgestutzte Maske zeigte, hinter der ein Tigergesicht lauerte.

Oben an Deck stand der taubstumme Tufan schon bereit. Nachdem er unsere Sektgläser gefüllt hatte, daß nur mich der Lichtschein voll traf, verschwand er in seiner unangenehm lautlosen Art.

Morspam schaute, das Sektglas zwischen den Fingern, schweigend ins Weite. Die Mondsichel zeichnete auf das nur schwach bewegte Wasser eine breite Silberbahn, in den Wellentälern glänzten flimmernde Pünktchen, vom Vorschiff her drangen schrille Klänge eines Schifferklaviers durch die nächtliche Stille, und oben auf der Brücke schritt der wachthabende Offizier breitbeinig auf und ab.

„Ihr Wohl, Mr. Abelsen … Ich hoffe, wir werden einig werden,“ sagte der Lord gedämpft.

Wir tranken, und Morspam griff nach einer Zigarre. Zwischen uns stand ein niederes Rauchtischchen.

„Inwiefern einig werden?!“ fragte ich genau so leise und hielt meinem Gegenüber das flackernde Zigarrenlämpchen hin.

Morspam rauchte drei lange Züge. Seine schlanke weiße Hand (er trug am Tage stets Handschuhe) ruhte auf der Seitenlehne des Korbsessels, und die dünnen Finger blieben in unaufhörlicher Bewegung – wie die Beine einer Spinne, deren Leib sich irgendwo festgeklemmt hat.

„Simisatto wollte Sie erschießen,“ meinte Morspam sehr sachlich. „Es wäre nicht sein erster Mord gewesen … Er hat Übung darin.“

Ich war gegen alles gewappnet. Ich merkte den plumpen Versuch des Lords, mich durch den Namen Simisatto vielleicht einer Unaufrichtigkeit zu überführen. Ihm gegenüber war von meinen Lippen der Name Simisatto nie erwähnt worden, immer nur Ylatta.

„Meinen Sie Ylatta, Mylord?“ – und ich blies in die glimmende Spitze meiner Zigarre hinein, die etwas schief brannte.

„Ja. Er heißt Manu Ylatta Simisatto, Mr. Abelsen.“

„Sehr klangvoll … – Wie geht es ihm eigentlich?“

„Recht gut, Ihr Men Huleb hat doch nicht allzu kräftig zugeschlagen.“

Armer Men, – er hatte in meiner Kabine Stubenarrest, und er war so gar nicht an irgendeine Beschränkung seiner Freiheit gewöhnt.

„Da Sie gerade von Huleb reden, – darf er nicht nach oben kommen, Mylord? Er ist durchaus stubenrein.“ Ich hatte lebhafter gesprochen, und Morspam lachte dazu kurz auf.

„Lieben Sie Tiere?“

„Sehr …“

„Schade. – Nur Völker, die in dem Tier stets nur das untergeordnete Geschöpf sehen, bringen es zu etwas. – Holen Sie ihn meinetwegen …“

Ich blieb sitzen. „Vielleicht rufen Sie Tufan herbei, Mylord … Es genügt, wenn er Hulebs Kiste öffnet, Huleb findet schon allein den Weg zu mir.“ Es war Morspams ausdrücklicher Wunsch gewesen, daß mein braver Men in eine Kiste mit Holzgitter eingesperrt würde, und der Lord hatte angedeutet, daß der Affe denn doch zu tückisch sei. – Ich hatte mir darüber meine besonderen Gedanken gemacht. Einen besseren Wächter als Men konnte ich kaum haben, – wollte Morspam ihn ausschalten?!

Wieder lachte Morspam in seiner wenig angenehmen Art. „Vergessen Sie nicht, daß Tufan taubstumm ist. Ich habe hier keinen Signalknopf zur Hand, der farbige Zeichen aufblitzen läßt. – Gehen Sie nur selbst, Abelsen.“

Ich hatte den schüchternen Versuch, über Tufans mir recht zweifelhaften Gebresten Aufschluß zu erhalten, wohl zu ungeschickt eingeleitet, und um die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben, erhob ich mich und ging die Treppe hinab. Im Kabinengang war es leer, aus dem Salon kamen Musik, laute Stimmen, Gelächter, das Schleifen tanzender Füße und das Klirren von Gläsern.

Meine Kabinentür war nur angelehnt. Innen brannte Licht. Ich drückte die Tür auf, – vor Hulebs Käfig stand Mia van Buizendahl und fütterte meinen Freund mit Bananen. Sie drehte langsam den Kopf …

„Ich hoffte auf Ihr Erscheinen,“ flüsterte sie schnell. „Mr. Abelsen, fliehen Sie bei der ersten Gelegenheit – fliehen Sie!“ Ihr geschminktes Gesicht verzerrte sich plötzlich. „Dieses Schiff ist ein großer Sarg … – Schweigen Sie!!“ Dann glitt sie an mir vorüber und ließ mich in äußerster Verwirrung zurück.

Zerstreut öffnete ich die plumpe Gittertür der großen Kiste, die auf zwei Böcke gestellt war. Mit einem Satz flog Men mir an den Hals und umarmte mich und drückte seine kühle Hundeschnauze gegen meine Wange.

„Mein alter lieber Men …!“ – ich preßte ihn an mich, – er war ehrlich, treu, tapfer … „Mein lieber Men, ich wünschte, wir säßen noch auf unserem Riff … Hier?! … Dies soll ein Sarg sein, Men, aber das verstehst du nicht … Ich bin gewarnt worden, oder aber diese schöne schlanke Frau treibt ein doppeltes Spiel … – Gehen wir …“

Morspam empfing uns mit einem ironischen: „Da haben Sie ja Ihren Wildling, Abelsen!! Mag er sich nur Bewegung machen …“

Das tat Men auch. Er hatte es nötig, er lief zur Reling, schwang sich empor und …

Morspam lachte. „Wirklich ein sehr sauberes Tier …! – – Also zurück zu Simisatto … Ich fürchte, sein Schreiben war doch keine leere Drohung, ich habe nach Schanghai funken lassen, auch nach Küenling, wo ich meine Plantagen habe – auf der Insel Formosa … Elsie ist weder in Schanghai noch in Küenling. Simisatto wird morgen früh sechs Uhr den Dreibock besteigen.“ Er sprach ohne jede Erregung … Nur seine Finger spielten lebhafter. „Bisher hat er nichts gestanden, man wird eben zu schärferen Mitteln greifen müssen …“

„Dreibock?!“ warf ich wie ahnungslos hin.

„Ja, ein eiserner Dreibock, oben mit einem Eisenring und Ketten, unten mit einer Platte und einer Pfanne für Brennspiritus. – Hier im Orient muß man sich den Volkscharakteren anpassen, Abelsen. Weder ein Chinese noch ein Japaner gesteht ohne Folter die Wahrheit, und der Platz auf meinem Dreibock ist für nackte Leute höchst ungemütlich. – Bitte, zollen Sie meiner Aufrichtigkeit einige Anerkennung. Ich könnte hier vor Ihnen auch Komödie spielen, aber ich halte Sie für sehr klug, und ich blamiere mich nicht gern.“ Er neigte sich halb über den Tisch. „Abelsen, die Dinge liegen so, daß ich von Simisatto etwas ganz Bestimmtes erfahren will, nicht nur meines Kindes wegen. Hat Simisatto vielleicht Ihnen gegenüber den Ausdruck „Schimawara“ erwähnt?! Ich glaube kaum, aber es könnte immerhin sein …“

„Nein. – Was ist Schimawara?!“ Men war mir soeben auf den Schoß gesprungen und machte es sich in üblicher Weise bequem. Seine dicke lange Mähne kam mir sehr zustatten, da sie mein Gesicht halb verdeckte.

Morspam beobachtete Men … lächelte.

„Schimawara ist ein Ausdruck des verhunzten Dialekts der Bewohner der Liu-Kiu-Inseln,“ erklärte er bedächtig. „Man müßte das Wort eigentlich trennen. Es heißt richtig, Schima Wara, stinkendes Wasser.“

„Ist Simisatto Parfümfabrikant?!“

„In gewissem Sinne ja … Sein Parfüm bezieht er irgendwoher, und dieses „Wo?“ soll er mir endlich verraten. Ich bemühe mich darum bereits vier Jahre, und so lange bin ich in Küenling ansässig. Meine Plantagen dort auf Formosa sind umfangreicher als halb Irland, und …“ – er schwieg – „– aber das interessiert Sie kaum. – Ich biete Ihnen fünfzigtausend Pfund Sterling, wenn Sie Simisatto dazu bewegen, Ihnen diese Bezugsquelle zu verraten – und Sie dann mir. Ein glattes Geschäft, Abelsen, denke ich. Ich möchte den Dreibock eben ausschalten, er soll allerletztes Mittel bleiben. – Wollen Sie?!“

Es mochte ein etwas eigentümliches Bild sein, das ich mit meinem Men an der Brust darbot. Ich vergaß jedoch Men und alles übrige, und ich hatte lediglich den einen Wunsch, Morspam möchte meinen eigenen Plänen weiterhin so vorteilhaft entgegenkommen. Dennoch blieb ich äußerst vorsichtig.

„Wie käme er dazu, mir etwas anzuvertrauen, Morspam?!“ sagte ich ablehnend. „Das ist ja Unsinn! Der Bursche ist zu schlau.“ – Ich habe mir’s zur Gewohnheit gemacht, Leute, die mich lediglich beim Namen anreden, genau so zu titulieren. Seine Lordschaft merkte seine Entgleisung.

„Mr. Abelsen, natürlich wäre die Angelegenheit für Sie mit einigen Unbequemlichkeiten verknüpft,“ erklärte er schärferen Tones. „Wir müßten zu einer kleinen Intrige uns verstehen, – Sie müßten als Gefangener mit in Simisattos Zelle, und …“

Ich unterbrach ihn schroff. „Die Intrige wäre ein zweckloser Lufthieb, Mylord. – Geben Sie mir bis morgen Bedenkzeit. Ich habe bisher nichts begangen, was ich als ehrenrührig betrachte, und sogar fünfzigtausend Pfund sind für mich ein Nichts, denn ich wüßte damit nichts anzufangen. Falls ich einwillige, würde ich’s nur deshalb tun, weil der Japaner an mir geradezu niederträchtig gehandelt hat. Ich befreite ihn, schützte ihn, und als die Dinge schief gingen, wollte er mich niederknallen. Vielleicht könnte dies mein subtiles Gewissen einschläfern. Morgen früh sieben Uhr werde ich Ihnen meinen Entschluß mitteilen.“

Ich konnte von Morspams Gesicht nicht viel erkennen. Seine Gedanken verriet mir seine Entgegnung.

„Hoffentlich entscheiden Sie sich günstig, Mr. Abelsen, denn es würde mir peinlich sein, wenn ich Sie etwa einem uns begegnenden Kriegsschiff ausliefern müßte … Es soll gegen Sie noch ein Steckbrief laufen, hörte ich, und Sie werden begreifen, daß ein Mann in meiner Stellung unmöglich einen flüchtigen … Verbrecher dem Gesetz entziehen darf. Fassen Sie das bitte nicht als Drohung auf. Die Sachlage wäre eben einfacher, wenn ich auch Sie zum Schein in Eisen legte und jedem Kriegsfahrzeug höflich ausweiche … – Also dann bis morgen sieben Uhr … Einverstanden!“

Cecil Morspam hatte die Maske gelüftet. Der Tiger hatte mich angefaucht, aber dieser Tiger war bei all seiner Gerissenheit doch ein Dummkopf.

Wir sprachen von anderen harmlosen Dingen. Gegen Mitternacht zog ich mich zurück, – im Salon wurde es erst gegen drei Uhr morgens still.

Der Sarg war ein recht fideler Sarg, fand ich, oder – – Morspams Gäste suchten sich lediglich zu betäuben. Dies erschien mir das wahrscheinlichere. Sie alle hatte dieser Schurke in der Hand, und die Angst vor ihm und die Ungewißheit darüber, was der nächste Tag bringen könnte, trieb diese erbärmliche Gesellschaft zu wüsten Gelagen. – Ich schlief nicht. Ich hörte torkelnde Schritte im Kabinengang, eindeutiges leises Kreischen der „Damen“ …

Ein Wunder nur, daß der Lord den Lärm duldete.

 

6. Kapitel.

Hulebs Marter.

Genau vierzehn Tage, genau.

Ein anderes Bild …

Ich kenne jetzt die Insel mit dem „?“ … Ich kenne das dunstige Ikima, ich kenne die goldblonde Elsie, und wir wohnen in einer Burg, die nicht ihresgleichen hat. Nicht Menschenhände schufen sie, – nur die ungeheuren Gewalten der freundlichen Mutter Natur vermögen derartige Felsmassen aufeinanderzutürmen, nur die unberechenbaren Launen der Allschöpferin Natur können in einem breiten blühenden Tale, jenseits dessen Grenzen das Verderben in mannigfacher Gestalt lauert, kann einem Felsenberge von einzelnen Blöcken eine Höhe von fast zweihundert Meter geben, und im Inneren Hohlräume freilassen, aus denen sich Säle und Zimmer und Korridore und Loggien mit einer wundervollen Aussicht unschwer herrichten ließen.

Dies ist die Burg Ikima, das Ahnenschloß des uralten Samuraigeschlechtes derer von Ylatta Simisatto, deren letzter Sproß mein Bruder Manu Simisatto ist.

… Mein „Salon“ hier liegt nach Norden zu, meine Loggia gleichfalls. Sie ist überdacht von dunklem weit vorspringendem Gestein, ihr Geländer sind Felsen, die man mit dunkel gefärbtem Mörtel, dessen Zusammensetzung niemand mehr kennt, untereinander verbunden sind. Vor mir, unter mir dehnt sich das Meer, und in dieser sonnbestrahlten, wogenden, grenzenlosen Ebene findet das sinnende Auge nur einen Ruhepunkt: Ein fernes, fernes Gestade am Horizont, das ebenfalls eine Insel ist und einen melodischen Namen trägt: Ymasalloka … Ymasal-loka.

Links neben mir in einem gepolsterten Korbsessel, dessen seidene bunte weiche Polster für Elsies holde Lieblichkeit kaum genügen (einen Thron aus Elfenbein und Gold müßte sie haben!) träumt die Tochter Morspams mit im Schoße verschlungenen Händen den unerfüllbaren Traum der Freiheit.

Sie ist eine Gefangene, und sie wird es bleiben, so lange ihr Vater lebt und die große hellgraue Motorjacht noch die See ruhelos durchkreuzt mit ihrer Ladung anrüchiger Herrschaften. Es ist eine Schande, daß dieses Schiff „Elsie“ getauft wurde, denn die goldblonde Fee im lichtblauen, silbergestickten Kimono hat an den dunklen Geschäften ihres Vaters keinen Teil und ahnt nicht einmal, welch’ verfaulte Seele der trügerische Mantel äußerer Vornehmheit deckt. – Armes Mädel …

Noch ein dritter befindet sich auf meiner Loggia, während ich mein glücklich gerettetes Tagebuch ergänze. Ich brauche kaum zu sagen, wer es ist. Natürlich Men Huleb. Aber es ist nicht mehr jener Men Huleb mit dichter Mähne, der mir auf dem Schoße kauerte, als Seine Lordschaft „das Gesicht verlor“, wie die Chinesen so poetisch sich ausdrücken und damit meinen, daß jemand sich eine schlimme Blöße gegeben und sein wahres Ich demaskiert hat. Men Huleb besitzt keine Mähne mehr. Arge Brandwunden, kaum erst vernarbt, bedecken seine Brust und den vorderen Rücken, sogar seine Hundeschnauze zeigt noch die fettigen Spuren einer Salbe, und mein vierhändiger Freund ist ein sehr stiller, sehr bedrückter Mantelpavian ohne Mantel geworden.

Elsie Morspam (ich finde, der Name Morspam allein schon hat etwas Brutales, Hinterhältiges an sich, und Elsie sollte recht weich und zart etwa Wellington heißen, der Name ist Musik und Weltgeschichte in eins) – also Elsie Morspam ist des Schwedischen ebenso wenig mächtig wie das abscheuliche Gesindel auf der turbinenbetriebenen Elsie. Mein Tagebuch ist vor ihr sicher, und wenn sie mich zuweilen bittet, ihr daraus einiges vorzulesen, mogele ich in vielem genau so wie einst einer anderen Frau gegenüber: Ich lese vor und lese doch nicht, sondern erfinde Dinge, die niemals durch Tinte verewigt wurden.

Überlege ich mir, was ich alles nachzutragen habe, erschrecke ich fast vor der Überfülle des Stoffes und vor der selbstverständlichen Aufgabe, mir für spätere Zeiten auch Einzelheiten zu vermerken, die in das Gebiet der Geographie, der Völkerkunde und der der Naturwissenschaften gehören. Jedoch ich habe Zeit. Sehr viel Zeit. Mein Bruder Simisatto ist unterwegs, – wohin, ich weiß es nicht, und er wird wohl viele Tage fortbleiben, und Elsie, Men Huleb und ich leben in dieser Zauberburg zusammen mit etwa dreißig überhöflichen Japanern und – das habe ich für zuletzt aufgespart – mit der zierlichen Yko San[5] und ihren sechs Dienerinnen.

Yko San ist Simisattos Schwester, vierzehn Jahre alt, also voll erblüht, und vielleicht die hübscheste, graziöseste Nippfigur, die Japan, das Inselreich, je hervorbrachte. Sie ist meine Freundin und Elsies geheime Feindin, – der Grund zu diesem gespannten Verhältnis der beiden Mädchen bin … ich. –

Ich finde, ich fange meine Niederschrift wieder einmal allzu verworren an. Ich deute auf dieses und jenes hin, und müßte mich doch streng an die zeitliche Folge der Ereignisse halten, die nur dann übersichtlich gestaltet werden können, wenn ich in meiner Erinnerung das Ineinandergreifen der Geschehnisse scharf nachkontrolliere.

– – In jener Nacht nach dem langen Gespräch mit Lord Morspam schlief ich kaum zwei Stunden. Um sechs Uhr bereits betrat der taubstumme alte Tufan, dessen Chinesenfratze nur eine Anhäufung tausender von Fältchen ist, zwischen denen winzige Schlitzaugen, ein winziges Näschen und ein Mund ohne Lippen lagern, meine Kabine und meldete durch allerlei Handbewegungen, daß mein Bad fertig sei.

Das Bad liegt meiner Kabine schräg gegenüber.

Ich dusche, frottiere mich, fühle mich wie neugeboren, finde in meiner Kabine den Tisch gedeckt, frühstücke, stecke verschiedenes zu mir, binde mir den flachen Zinkkasten mit meinem Tagebuch und meinen Andenken an Jane, mein Weib, auf dem bloßen Leibe fest, und bin für die kritische Stunde gerüstet.

Morspam läßt sich nicht sehen. Ich hatte geglaubt, er würde sich erkundigen kommen, ob ich einverstanden sei, Simisatto ein Geheimnis abzulisten, von dem ich nur weiß, daß es mit „stinkendem Wasser“ zusammenhängt, aber ich treffe ihn erst oben an Deck.

Es ist drei Minuten vor sieben Uhr. Die „Elsie“ steuert nach Nordwest, das Wetter ist klar, und die Sonne zeigt mir neben der Jacht in dem durchsichtigen Wasser die treue Gefolgschaft einiger Menschenhaie, Bestien von vier bis fünf Meter Länge, silbergraue Spindeln, die mühelos mit der Jacht Schritt halten.

Morspam lehnt vorn am Aufbau der Kombüse und spricht mit dem Kapitän, einem recht jungen Engländer von straffer militärischer Haltung, eisigster Zurückhaltung und unruhigen Gauneraugen.

Vor der Kombüsentür liegt eine große Blechplatte, darauf steht ein eiserner Dreibock mit rundem Eisenring oben und Spirituspfanne unten. Das Metall des Sitzringes und die Ketten daran sind mit schwarzen Krusten und Fetzen bedeckt. Meine Augen haften starr an diesen scheußlichen Überresten früherer ungeheuerlicher Verbrechen, durch die Lord Morspam die Zungen derer lösen wollte, die irgend etwas Wertvolles, Wichtiges verschwiegen. Ich fühle auf meinem Rücken ein kühles Rieseln, meine Muskeln spannen sich unwillkürlich, und in dem Moment, jetzt weiß ich’s, war Morspams Todesurteil bereits gesprochen.

Mein Blick verläßt das scheußliche Torturinstrument und begegnet den kühl-höflichen Augen des Lords, der sich leicht verneigt und um dessen frechen Mund ein noch frecheres Zucken fliegt.

„Morgen, Abelsen …“

„Morgen, Morspam.“ Ich behalte die Fäuste in den Jackentaschen, Men Huleb beschnuppert den Dreibock, und – ich bilde es mir wohl nur ein – von dem gräßlichen Ding scheint mir ein Hauch von Verwesung in die Nase zu dringen.

Seiner Lordschaft ist das vertrauliche „Morspam“ ohne „Lord“ sichtlich peinlich. Seine Wangenmuskeln straffen sich, er schleudert die Zigarre über die Reling und verabschiedet den steifleinenen Kapitän durch ein barsches „Danke, Winston!“

Winston geht zur Brücke und nimmt keinerlei Notiz von mir. – Es ist dies ein bedenkliches Vorzeichen, sage ich mir, denn der Kapitän wahrte bisher wenigstens das Mindestmaß von Höflichkeit.

Es lungern hier vorn auch noch ein paar chinesische Matrosen herum, – äußerlich ist an den Kerlen nichts auszusetzen, alle sind tipp topp angezogen, aber woher sie stammen, kann ich mir unschwer zusammenreimen: Aus den Verbrecherhöhlen der großen chinesischen Häfen, in denen die Pläne für tollkühne Piratenstreiche ausgebrütet werden.

Morspam tritt zu mir. – Schade um den Mann! Er wirkt unbedingt vornehm, er hat die ruhigen gemessenen Bewegungen jener britischen reinblütigen Aristokraten, die Englands Weltmacht skrupellos und opferfreudig begründeten und die den Tod im Pulverdampf als Ehre betrachteten – und als selbstverständliche Pflicht gegenüber der großen Gemeinschaft der Nation.

Morspam hat trotzdem heute in dieser Stunde die Maske wieder halb gelüftet. Kalter Hohn wittert in diesen gebräunten Zügen.

„Nun, Mr. Abelsen?!“

Ich blicke ihn fest an. Soeben hatte ich noch Diplomat sein und auf alles eingehen wollen. Aber diese Bestie von Kerl, dieses eiserne Ding da, – jäh schlägt meine Stimmung um.

„Nun, Mylord?!“ Und zwei Augenpaare bohren sich in offener Feindseligkeit ineinander.

Der Lord zuckt die Achseln und spitzt die Lippen, pfeift ein paar Takte irgendeines englischen Marsches … so schrill, daß es mir in den Ohren gellt. Wie ein Schatten steht plötzlich der alte Tufan neben uns, die Hände über der Brust gekreuzt, und aus der einen schlängelt sich eine öltriefende Schnur auf die Deckplanken.

Alles spielt sich in Sekunden ab. Seine Lordschaft hat offensichtlich vorher Generalprobe abgehalten, damit alles klappt. Es klappt auch.

Mylord verneigt sich. „Sie sind doch Tierfreund, Abelsen?!“ Sein kräftig gebauter Unterkiefer schiebt sich vor, und ich sehe tadellose Zähne, die nur zu groß sind, um schön zu wirken.

Der ahnungslose Men Huleb hat sich derweil auf das Dach der Kombüsentreppe geschwungen und den Kopf tief nach unten gereckt. Aus dem Treppenschacht dringen verlockende Düfte herauf, und Men ist eine verfressene Seele.

Mylord erwartet keine Antwort von mir, er zieht sein silbernes Zigarettenetui und knipst es auf. „Bitte, Abelsen …“

Alles Berechnung …

Ich soll die eine Hand aus der Tasche nehmen, und in einem Moment geistiger Blindheit tue ich es auch …

Das Etui fällt klirrend auf die hell gescheuerten Deckplanken, und Morspam greift mit beiden Händen zu, während von hinten ein paar gelbe Affen mir in den Nacken springen und mich hintenüberreißen.

Ich sehe nur eins: Daß der alte Tufan geschickt wie ein Cowboy meinem Huleb eine Schlinge um den Hals wirft, die Schnur mit einem Ruck anzieht, und Huleb in der Luft schwebt und mir vor die Füße fällt …

Dann sehe ich nichts mehr, höre nur Hulebs Kreischen und spüre die kühlen Stahlfesseln um meine Handgelenke.

Ein Stoß bringt mich wieder auf die Beine.

Die Schufte sind schon dabei, den armen Men auf den Eisenring zu ketten, – sie haben ihm einen Ledersack über den Kopf gestreift, und Mylord spielt nachlässig mit einer Pistole.

Ich lese auch Ihre Muttersprache!“ höhnt er … „Ihr Tagebuch ist ganz lehrreich, Sie Lügner. Leider genügt mir der Inhalt nicht …“

Ich spüre, wie mir das Blut zu Kopfe schießt.

Tufan reibt bereits ein Zündholz an, wirft es in die Eisenschale, deren Spiritusinhalt infolge der Schwankungen der Jacht hin und her schwappt …

Brennenden Spiritus – brennenden – erkennt man nur schwer, die Flammen sind fast farblos, aber mein stierer Blick bemerkt, wie Men Huleb, der sich in den dünnen Ketten dreht und windet, zu qualmen beginnt, wie sein Mähnenhaar sich unter der Einwirkung der Hitze kräuselt und zusammenschrumpft …

„Nun?!“ fragte Morspam abermals, und sein Unterkiefer schiebt sich noch weiter vor. „Geben Sie mir Ihr Wort, Sie Tierfreund, daß ich erfahre, woher Simisatto das stinkende Wasser bezieht?“

Vor meinen Augen verschwimmt seine Fratze, rote Schleier nebeln … in meinen Ohren braust das kochende Blut wie eine Orgel.

Ich reiße mich zusammen, – Men Hulebs erster Jammerschrei macht mir den Kopf klar.

„Geben Sie mir Ihr Wort, daß das Tier sofort befreit und verbunden wird!“ stoße ich keuchend hervor …

„Bitte – es wird geschehen. Sie sind also einverstanden?“

„Ja!! Ja …!!“

Denn Hulebs schrilles Schmerzensgebrüll machte mich rasend …

„Ja, – – befreien Sie ihn – – ja …!“ Ich weiß kaum, was ich rede …

Morspams Stiefel schiebt eine Eisenplatte über die Schale …

Ich – – stürze vor, – – der Gestank verbrannter Haare, versengten Fleisches quillt mir in die Nase …

„Huleb!! Huleb!!“

Meine Brust preßt sich gegen die glimmenden Haare, – dann führt ein Wasserstrahl hernieder, trifft mich und das gefolterte Tier …

Langsam wende ich mich um. Morspam lächelt.

Wir sehen uns an … Wir lesen einer in den Augen des andern den unversöhnlichen Haß …

Und ich … spei dem Schurken ins Gesicht.

„So, – das genügt vorläufig, Morspam …! Mein Wort werde ich halten, aber in der Minute, in der ich Ihnen Simisattos Geheimnis enthülle, werde ich Sie … töten, Morspam!!“

Es muß doch in meinen Zügen irgend etwas liegen, das ihn hindert, mich niederzuknallen … Der Schuß fällt, aber im letzten Moment hat er die Waffe emporgeruckt, und die Kugel fährt mir durch die Wölbung des breitkrempigen Palmfaserhutes.

Morspam dreht sich hastig um und geht davon, wischt sein Gesicht mit dem seidenen Tuche ab und schreitet zur Brücke empor. –

Die Kerle schleppen mich ins Vorschiff, stoßen mich in eine Kammer, – ein Bündel fliegt hinterdrein, ein zappelndes winselndes Bündel in einer Wolldecke: Men Huleb!

Ausgeplündert haben sie meine Taschen … Nur der flache Zinkkasten entgeht den tastenden Pfoten. Dann erscheint in dem engen Verschlag Doktor Fellow mit einem kleinen Koffer, – Schiffsarzt Doktor Fellow, ein alter Bursche mit Zickelbart und Hornbrille und Schnapsdunst. Ich muß meinem armen Men erst lange zureden, bevor er diesen Doktorhalunken an sich heran läßt. In der offenen Tür der Zelle steht plötzlich Simisatto wie ein Gespenst mit verbundenem Kopf, mit über der Brust gefesselten Armen, – aschgrau das kleine Puppengesicht, die Augen unnatürlich weit aufgerissen …

Über mir pendelt eine Lampe mit weißem Blechschirm …

Fellow trocknet Men’s Pelz, streut ein weißes Pulver in die Wunden, wickelt lange Mullbinden um verkohltes Fleisch, – der Affe wimmert, aber ich habe meine Wange an seine Schnauze gedrückt, und ich muß mich mit diesem Zärtlichkeitsbeweis begnügen, da meine Hände auf dem Rücken in Stahl liegen.

Simisattos Oberlippe zieht sich hoch. Er schaut mich an. Sein Mund gleicht jetzt dem meines Huleb, wenn Huleb in toller Wut morden möchte.

Dann stoßen die Matrosen Simisatto zur Seite, – in seine Zelle, eine Tür kracht zu, und der flüsternde Ton von Doktor Fellows Whiskybaß trifft mein Ohr:

„Er wird’s bereuen!! Vorsicht!!“

Ob Tufan, der „Taubstumme“, etwas gemerkt hat?!

Tufan flitzt herein, beobachtet uns …

Sein zerknittertes, listiges, scheinheiliges Profil verdient einen Fußtritt.

Darf ich Fellow trauen?! Sollte ich hier an Bord wirklich Helfer finden?!

– Dann bin ich allein mit meinem treuen, so übel zugerichteten vierhändigen Freunde. Auf Decken liegt er, krümmt sich, winselt, wimmert, – seine tiefbraunen Augen tränen vor Schmerz, flehen mich um Hilfe an, – der unendliche Jammer dieser Szene hat sich unauslöschlich in meine Seele gebrannt, – – eingebrannt … eingebrannt!!

– – Und Tage sind dahingeschlichen, in denen ich um Hulebs Leben bangte, in denen Doktor Fellow immer wieder den siechen Affenleib durch Kampferspritzen von der Grenze des Todes zurückzerrte in ein qualvolles Dasein. Nie kam Fellow allein, nie ist draußen der Gang vor der Tür leer, stets lauert ein Schlitzauge am Guckloch, und wenn Simisatto und ich leise miteinander flüstern (die Verbindungstür der Zellen ist immer offen), pendelt über uns die Lampe …

… Mit dem großen hellen Blechschirm …

Lampe?!

Fellow hat mich gewarnt. Fellow fing das sehr schlau an … Hatte auf die eine Mullbinde, als er den Verband erneuerte, drei Worte geschrieben.

Das entging Tufans Späherblicken:

„Lampenschirm ist Mikrophon“.

So raffiniert hatte Morspam alles hergerichtet, und doch war dies nur ein Weniges von den teuflisch ausgeklügelten Überwachungsmethoden dieses „fidelen“ Sarges, der da den Pazifik durchpflügte und unbekannten Zielen zueilte. Morspams unerschöpfliche Phantasie hatte noch weit mehr ersonnen, er wußte, was er von der Zuverlässigkeit seiner Gäste zu halten hatte, er war ein blutrünstiger Tyrann in der Attrappe eines Gentleman, er ließ keinen, den er erst einmal in seinem Netz hatte, wieder frei. –

Simisatto und ich durften uns ungehindert besuchen, durften gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen, durften angesichts von zwei Pistolenmündungen die leckere Kost der Jachtküche genießen, man gab uns dann den einen Arm frei, aber – – an Flucht zu denken bei diesem komplizierten System von Vorsicht und Mißtrauen: Es wäre Wahnwitz gewesen!

So spielten wir denn die schlaue Intrigantenkomödie „Stinkendes Wasser“ …! Ich kann den Titel modernen Autoren empfehlen. – Wir taten so, als ob ich dauernd meinen Leidensgefährten heuchlerisch bearbeitete, ihm sein Geheimnis abzuringen. Er tat so, als ob er allmählich mürbe würde und als ob wir nicht ahnten, daß jede geflüsterte Silbe vielfach verstärkt aus einem Lautsprecher in Morspams Kabine abgelauscht würde.

„Stinkendes Wasser“ …!!

Ich kämpfte scheinbar um ein fremdes Geheimnis, – ich sollte herausbringen, woher Simisatto „es“ bezöge, ich war selbst neugierig, was eigentlich damit gemeint war: Stinkendes Wasser – – Schima Wara …!!

Simisatto wurde mürbe.

Nachts kauerten wir nebeneinander, – wir durften nur auf der einen bestimmten Holzbank sitzen, nur dort … Wir flüsterten und wisperten, wir waren große Mimen in einem großen Drama, – wir ließen Tage verstreichen, und Men Huleb genas allmählich, wir hofften auf Doktor Fellow. Aber der war seit gestern ausgeblieben und der Herr Vicomte, ein Kerl wie ein Zuhälter, spielte Arzt … Ich fragte nach Fellow.

„Verunglückt,“ sagte er feixend. „Über eine beschriebene Mullbinde gestolpert und in einen Haifischrachen gefallen.“

Seitdem sind wir noch vorsichtiger, noch echter als Intriganten. –

Mitunter, wenn ich wach auf meiner Matratze lag und Huleb streichelte, überkam es mich wie Verzweiflung und Mutlosigkeit.

Hatte das Ganze einen Zweck?! Würde uns dreien der Tod nicht doch sicher sein?! Ein Morspam läßt sich nicht so leicht Sand in die Augen streuen! Ein Morspam war Schuft, und Schufte sind hellhörig und wittern Schuftereien.

… Es war ein klägliches, widerliches Dasein, es war ein feiges Hinauszögern einer Entscheidung, die doch bereits vollkommen unabwendbar und unabänderlich war.

Meine seelische Verfassung in jenen Tagen klang letzten Endes in einem tiefen Ekel gegen mich selbst aus. In einer Nacht, in einer der schlaflosen heißen Nächte vollzog sich dann die innere Umwälzung. Meine Lebenslinie hatte seit Janes Tode in scharfer Kurve abwärts in die Tiefen kleinmütigen Verzichts auf die brutale Macht eines Eisenkopfes und eiserner Muskeln gezeigt. Ich war mir selbst entglitten. Man hatte Simson das Haar beschnitten, – – in der Nacht wuchs es mir wieder.

Morspam sollte sterben.

Er hieß Morspam. – Mors gleich Tod, und das Anhängsel „Pam“, – es klingt wie der Hieb auf einen Schädel.

Ich hatte die Komödie satt. Ich sah nirgends einen Hoffnungsschimmer, sah nur meine eigene klägliche Komödiantenseele, und ich hatte genug von alledem.

Das war die sechste Nacht nach meiner Einkerkerung.

Morgen starb Morspam, – und vielleicht war das der einzige Weg zur Rettung …

 

7. Kapitel.

Auf Ikima.

In dieser selben Nacht, in diesem selben Augenblick, als Morspams Tod beschlossen ward, erlosch die Lampe unter dem Riesenschirm zum erstenmal seit sechs Tagen … Tagen und Nächten. – Eine Glühbirne von vielleicht fünfzig Watt.

Sie erlosch, und die ungewohnte Finsternis stürzte über mich wie etwas Fremdes, wie ein fremdes Untier und jagte mich besinnungslos von meinem Lager und hinüber zu Simisatto. Ich fiel halb über ihn, – auch bei ihm Dunkelheit, er selbst wach …

„Simisatto, das muß ein Ende haben …“ knirschte ich ihm ins Ohr. „Morgen erzählst du mir die Wahrheit, – und ich werde vor Morspam geführt, – mit meinem Schädel renne ich ihm den Brustkorb ein, daß ihm die knackenden Rippen die Lunge zerfetzen! Krepieren soll er!!“

Eine kühle Hand drückte mich empor …

„Hören Sie, Abelsen?!“

Ich horchte …

Die Wogen rauschten außenbords, die Maschinen surrten leise, – aber im Gang draußen war es still.

Bisher hatte stets ein Wächter mit faulem Tapp Tapp der Schritte die Stille gestört.

Jetzt – – nichts!

Und dann erst kam mir zum Bewußtsein, daß Simisattos Hand auf meiner brennenden Stirn lag …

Seine Hand war frei.

Bisher nicht. Bisher wie meine Hände mit Handschellen am Rücken vereint.

„… Ich habe den Schlüssel, Abelsen …“

Es klang wie ein Märchen. Es waren Handschellen mit einem komplizierten Schloß.

„Schlüssel?! Von wem?“

„Mia van Buizendahl, Fellows Tochter …“

„Von der?! Wie?!“

„Durch eine Ritze der Decke … Über uns ist eine Segelkammer, Abelsen … An einem Seidenfaden kam [er][6] herab – blitzschnell, berührte mein Gesicht, und ich nahm ihn in den Mund, zerbiß den Faden, und – ich hatte ihn. Gestern, Abelsen.“

Um uns her war Finsternis.

Das heisere Flüstern erstarb … Von der Tür zuckte ein dünner Lichtstreifen auf, und herein glitt ein Mann, – kein Mann: Die schöne Witwe Buizendahl in Matrosentracht.

„… Schnell … Es regnet … Es ist finster … Die Jacht hat die Pinasse noch immer hinter sich im Schlepptau … Schnell den Schlüssel, Simisatto …“

Er spuckte ihn ihr in die Hand …

Ich war frei …

Ich wickelte Men Huleb in eine Decke … Draußen im Gang lagen zwei Kerle im matten Schein der Ganglampe mit gräßlich verzerrten Gesichtern …

Wir nahmen ihnen die Waffen ab, – dann die Treppe hoch, – kriechend, – kriechend bis zum Heck, hinab am pendelnden Tau in die Pinasse. Losgemacht die Pinasse …

Allah segne den Gewitterregen! Es goß!!

Und … da vor uns verschwanden die Lichter der „Elsie“ …! – Ich schon am Motor … Brennstoff nachgefüllt … Motor schnurrt, – – wir fahren nach Süden in Regen und Donner und Schaumkronen hinein …

Wir sind wie die Tollhäusler, reden, schreien, zittern, saufen Schnaps, die Nerven beben, die Finger vibrieren, die elenden Kadaver beben …

Eine halbe Stunde verstreicht …

Noch eine …

Da werden aus Verrückten wieder Menschen.

Eine Stunde Vorsprung – sie genügt! Die Pinasse fliegt gen Westen, schwenkt nach Norden ein …

Wieder eine Stunde …

„Brandung!!“ brüllt Simisatto, und ich lasse die Schraube rückwärts schlagen, – wir finden eine riffreie Stelle einer unbekannten Küste, laufen in einen Flußarm ein, vertäuen die Pinasse …

Wir sind entronnen. – – Um uns her hängen von den Ästen eines Urwaldriesen, der scharf nach Kampfer riecht, feuchte Lianen herab, wie Taue einige, ohne Blätter, – andere dicht mit Blüten betupft, wieder andere mit riesigen lederartigen schlappen Blättern besetzt … Es riecht nach Moder und Verwesung, aber dieses Versteck ist gut, und wenn, was bald geschehen muß, die Ebbe eintritt, werden wir hier im Schlamm liegen und das Flüßchen sogar für Boote unbefahrbar werden.

Wir wissen nicht, welches Land, welche Insel uns beherbergt. Wir sind auch zu zerschlagen nach der ungeheuren Aufregung, und Simisatto und ich haben Nächte hinter uns, viele Nächte, in denen wir nicht zu schlafen wagten, und wenn wir schliefen, stach uns das grelle elektrische Licht in die Augen, und Hitze und Helle machten Schlaf zur Qual.

Nun fühle ich erst, wie es um mich steht. Mein Kopf scheint geschwollen, ist wie Blei, die Augen brennen unerträglich, auf dem Scheitel lastet ein Zentnerstück und bereitet wilde Druckschmerzen. Jede Kopfbewegung nach oben ruft gefährliches Schwindelgefühl hervor, die Gedanken scheinen am Hirn zu kleben und wollen sich nicht freimachen von der sie einengenden Schale der Knochen.

„Nur schlafen – schlafen!“ sage ich mit brüchiger Stimme zu den andern, die genau so durchweicht sind, wie ich. Regen und Wogenkämme haben uns geduscht, und die Kleider sind nasse Lappen, von der Brandung draußen sind seltsam grüne Schlammspritzer über diese Lappen und Gesichter hingegangen: Wir gleichen grün angestrichenen scheußlichen Schreckgestalten.

Es schert uns nichts. Sogar weibliche Eitelkeit setzt aus, und Mia van Buizendahl, deren manikürte Händchen nur noch Dreckpfoten sind, sinkt neben uns in der kleinen Kajüte auf die Polster. Man rekelt sich zurecht, man ist schon eingeschlafen, traumhaft spüre ich, daß Huleb sich neben mich drängt, – ich rieche Medikamente seiner Wundsalben, dann – – Schlaf, bleierner Schlaf, endloser Schlaf, bis der Tiefstand der Ebbe längst vorüber und die Nachmittagssonne durch die Lianenkulissen grinst und der nasse Urwald seine Fieberdünste ausatmet und ich selbst staunend und benommen oben an Deck stehe …

Allein mit Huleb!

Simisatto weg …

Mia weg …

Wo sind sie?!

Geraubt?! – Und jetzt kleben meine Gedanken nicht mehr wie Kaugummi, sondern flitzen einher wie die Käfer dort auf dem faulenden tropischen Baumriesen – wie die Ameisen dort auf der Rinde, – – und die Sonne lacht, und die grüne Wildnis und der träge Fluß leuchten, und die Brust schwillt und schwillt und … atmet Gift ein …

Fiebergift der Küsten der großen seltsamen Insel Formosa, die ich bisher nie gesehen habe …

Plötzlich eine Gestalt zwischen den Bäumen, – Simisatto springt an Deck mit einem Gesicht, als hätte er soeben in einen Höllenpfuhl hinabgeschaut.

„Woher kommst du, Simisatto?“

Er weicht meinen Augen aus.

Wie sieht er nur so seltsam verstört drein?! Und – ob auch meine Kleider derartige grüne Lehmpanzer sind?!

Sie sind’s …

„Formosa!“ sagt er leise … Südostküste, das Land des Todes, Olaf …! Unsere Retterin habe ich soeben begraben, sie starb in zwei Stunden. Frage nicht … Nur fort von hier – nur fort!“

Wahnsinn lichtert in seinem überglänzenden Blick. Er rennt und löst die Taue, – wir verlassen den Fluß, wir kommen abermals glücklich durch die Riffe und atmen den reinen Hauch des freien Ozeans.

Mia?! – Armes Weib …! – – Ich weiß, nur eine jähe Krankheit kann hier Menschen in Stunden fällen: Schwarzwasserfieber, das Fieber der tropischen Sümpfe, das Fieber, das mit Malaria so wenig gemein hat, wie ein Schnupfen mit einer schweren Lungenentzündung. – Ich habe Leute daran sterben sehen, und es waren Stunden des Grauens vor diesem Würger mit dem langen unklaren Namen: Schwarzwasserfieber!!

Pest ist kürzer. – Jeder weiß, daß damit die Lungenpest gemeint ist.

Aber Schwarzwasserfieber? – Auch das Wasser der Moortümpel meiner nordischen kühlen Heimat erscheint tiefbraun, fast schwarz … Und Meer und tropischer Sumpf sind immerhin Verwandte. Als man auf Ceylon von Kolombo die große Fahrstraße in die Fieberberge baute, starben an die fünftausend Arbeiter … Als man, – aber wozu diese Orgien des Fiebers aufzählen?!

Mia ist tot, und mich als Europäer kann ebenfalls jeden Moment der Schüttelfrost packen …

Ich schlucke Chinin und trinke Whisky aus den Vorräten der Pinasse, und Simisatto zwingt mir schließlich noch ein anderes Mittel auf, durch das meine Därme leer werden wie ausgespülte Schläuche. Er ist Asiate, und er hofft gesund zu bleiben.

Nun sind wir abermals auf dem Meere, aber der Tod ist mit uns.

Schwarzwasserfieber …

Wir waschen unsere Anzüge, uns selbst, begießen Men Huleb, setzen die Pinasse halb unter Wasser und … hoffen …

Schwarzwasserfieber …

– Am nächsten Abend tauchen am nördlichen Horizont Rauchwolken auf.

„Ikima!“ erklärt mein Freund, und seine Augen strahlen …

Wir nähern uns Ikima mit dem „?“, umrunden es, – es wird Nacht, ich sehe nur Berge in Rauch im Süden, – dann gleiten wir durch vielfache Klippenreihen, in denen nur der Kundige sich auskennt, in eine gewundene Nordbucht hinein, einen kahlen Fjord mit Felsenmauern, an denen Palmen und Büsche vereinzelt freundlicher winken, und landen.

Simisatto springt auf das Geröll des Ufers, wirft sich nieder und küßt den Boden, der seinen Vorvätern schon gehörte:

Ikima, die Insel
der ewigen Feuer.

– Simisatto hat nichts Theatralisches, nichts irgendwie Romantisch-Sentimentales an sich. Diese Begrüßung seines eigentlichen Heimatbodens war ihm innerstes Herzensbedürfnis. Für den Uneingeweihten mag Japan viel Spielerisches, allzu Buntes zur Schau tragen – scheinbar! Dabei ist kein Volk, das sich wie die Japaner in etwa sechzig Jahren vollkommen auf modernste Kultur umstellte, von der sie freilich nur das Praktische und Nützliche von Europa her übernahm, so auf strengste Sachlichkeit gedrillt wie die Bewohner des „ostasiatischen Britanniens“.

Noch einer freute sich über diese Landung in anderer Weise: Men Huleb! – In dem versumpften Flußarm war ihm nur Gelegenheit geboten, für kurze Zeit den trügerischen Schlammboden zu betreten. Hier, wo zumeist starres Gestein den treuen Men an die Hochgebirge seiner abessinischen Heimat erinnerte, tollte er umher wie ein besessener Derwisch. In grotesken Sprüngen bekundete er seine Freude, und als er gar einen Strauch mit eßbaren Früchten entdeckte, waren Simisatto und ich eine ganze Weile vergessen.

Simisatto erhob sich wieder. Inzwischen hatte ich Umschau gehalten. Die schmale Felsenbucht wurde hier an ihrem Südende nach Osten zu durch eine senkrechte Granitwand abgeschlossen, nach Westen durch einen Streifen fruchtbaren Bodens und durch einen Urwald, dessen Unterholz wohl nur mit dem Buschmesser zu durchdringen war. Nirgends zeigten sich Spuren, daß der Fjord häufiger besucht würde. Alles hatte seine unberührte Ursprünglichkeit behalten.

Es war eine sehr helle Vollmondnacht, fast taghell, und in den Schluchten der Steilwände lauerten doppelt finstere Schatten. Bisher hatte Simisatto mir über die Insel mit dem Fragezeichen nur das eine angedeutet, daß sie seit langem Besitz seiner Familie gewesen, nun aber durch allerlei dunkle Machenschaften von einem ausländischen Konsortium angekauft sei. – Ich konnte mir selbst sagen, wer diesem Konsortium vorstand: Lord Morspam! Fragen mochte ich nicht. Ich wußte, daß mein Freund eines Tages mir alles ganz von selbst anvertrauen würde.

Simisatto suchte zunächst sehr sorgfältig die ganze Umgebung ab, kehrte dann zu mir zurück und bat mich in seiner höflichen Art in die Kajüte. „Ich möchte mit dir einiges besprechen, Olaf.“

Der Zeitpunkt, den ich erwartet hatte, schien gekommen.

Wir saßen einander gegenüber an dem kleinen Klapptisch, über uns brannte die Lampe und beleuchtete gleichmäßig unsere ernsten Gesichter.

„Freund Olaf,“ begann Simisatto in seiner schlichten, vornehmen Art, „du wirst über die Entwicklungsgeschichte Japans nur wenig wissen. Was ich davon hier nun erwähne, wird dir das Verständnis für meine eigene Lage und für die Umstände, die mich zum Mörder machten, erleichtern. In Japan gab es von jeher zwei feindliche Strömungen. Auf der einen Seite den Hofadel des Mikado, des Kaisers, auf der anderen die Daimyo, den Landadel, der zugleich Schwertadel war und in den Samurai, ihren Kriegern, seine Macht verkörperte. Die Begriffe Daimyo und Samurai verschmolzen immer mehr, – ich bin sowohl Daimyo als Samurai, und die überaus strengen Ehrbegriffe und eingeschriebenen Gesetze dieser Kaste haben schließlich das durch Bürgerkriege zerrissene Japan doch geeint und zur Großmacht erhoben. Die Daimyo-Samurai hatten und haben ihre berühmten Dynastien, und den Namen Simisatto. Einer meiner Ahnen kämpfte 1600 in der Schlacht bei Sokigahara mit, in der endlich der Süden des Landes unterworfen wurde, und der Mikado schenkte ihm als Dank unter anderem diese Insel Ikima, auf der sich japanische politische Flüchtlinge niedergelassen hatten. Ikima war damals in niemandes Besitz, und als durch den Frieden mit China die ganzen Liu-Kiu-Inseln und auch Formosa an Japan fielen, bestätigte der Mikado die uralte Besitzurkunde über Ikima für unser inzwischen gefürstetes Geschlecht. Mein Vater kümmerte sich kaum um die Insel. Wir lebten unweit Tokio in unserem Palast, und ich als der jüngste Sohn genoß bereits eine durchaus europäische Erziehung. – Mein Vater war ein kränklicher Mann. Desto regsamer war mein um zehn Jahre älterer Bruder. In Wahrheit stellte er das Oberhaupt der Familie dar. Als ich 1922 meine Studien in Europa beendet hatte und nach dreijähriger Abwesenheit heimkehrte, war es Sadato, dem Ältesten, inzwischen wieder gelungen, unser geringes Vermögen zu vermehren. Er tat stets sehr geheimnisvoll, war viel außer Landes, hatte eine Menge Agenten, – mich, den Jüngsten, weihte man nicht ein. Es bestand nun eine uralte Feindschaft zwischen der Daimyo-Familie der Iwakura und uns. Sie hatten uns vom Hofe des Mikado verdrängt, und genau drei Monate nach meiner Rückkehr fand man meinen Vater und meine beiden Brüder in einem Tempel tot auf. Sie schienen Harakiri verübt zu haben, Selbsttötung durch Bauchaufschlitzen, – weshalb, das blieb ungeklärt. Nun war ich der letzte Sproß der Simisatto-Familie, und ich stand in allem vor unklaren Rätseln, ich ahnte nichts über die Beweggründe zu dem dreifachen Harakiri, das wir auch Soppuku nennen, ich wußte nichts über die Quellen der erneuten Reichtümer, ich fand auch in den Papieren meines Vaters und meiner Brüder keinerlei Hinweis auf irgendwelche Einnahmequellen Aber ich war durch die abendländische Kultur und durch meine Studien in Oxford, wo ich den Doktorgrad errang, weitsichtiger und hellhöriger geworden als die, die unser Verderben wollten. Ich vermutete sofort, daß meine Verwandten ermordet worden seien, und vier Wochen nach deren feierlichem Begräbnis glaubte ich den ersten Anhaltspunkt für einen bestimmten Verdacht gefunden zu haben. Es kam zu mir ein Vertreter eines internationalen Konsortiums und bot mir für Ikima eine märchenhafte Summe. Der Mann war Amerikaner, es war Robinson Tupperdyl. Ich erbat mir Bedenkzeit, und da zur selben Zeit ein Prozeß gegen die Familie um große Liegenschaften verloren ging, da ferner Ikima infolge seiner im Südteil noch tätigen Vulkane mir wertlos erschien, willigte ich schließlich ein, obwohl der Freund meines Vaters James Howard Stepkins in Yokohama, ein Großkaufmann, mir dringend abriet. Der Mikado erteilte seine Einwilligung, und der Kaufvertrag war perfekt.

Am Tage drauf, Olaf, sah ich den ältesten Diener meiner Familie, der seit Jahren als vermißt galt, unerwartet wieder. Er kam nachts in aller Heimlichkeit zu mir und … öffnete mir die Augen, brachte mir die Beweise, daß die Iwakura- Feinde die Meinen ermordet und auch am Hofe des Mikado dahin gewirkt hatten, daß ich Ikima ahnungslos preisgab.

Wir Nachkommen der alten Daimyo-Samurai-Geschlechter haben unsere eigenen Ehrbegriffe. Ich wußte, daß die Familie Iwakura auf gesetzlichem Wege nie zu fassen sein würde. In aller Stille veräußerte ich mit Tainios Hilfe, das war der alte treue Vertraute, meine Ländereien und behielt nur den Palast, kaufte eine schnelle mittelgroße Jacht, ließ meine einzige noch lebende Angehörige, meine junge Schwester Yko San, durch Tainio fortschaffen, nahm das Samuraischwert meiner Ahnen, schliff es auf dem geweihten Stein, wickelte es in geweihte Seide und begab mich nachts zum Iwakura-Palast und tötete den Vater und seine beiden ältesten Söhne – er hatte fünf Kinder – und entfloh. Stepkins wollte mir helfen, das Beweismaterial gegen die Iwakuras derart zu ergänzen, daß der Mikado mich später begnadigen würde. Stepkins wies mich an Mr. Grant Webster in Honolulu, da dieser Amerikaner früher in Newyork in der Polizeitruppe einen hohen Posten bekleidet hatte und für sehr klug galt. Aber Lord Morspam, in Wahrheit der Generaldirektor des Syndikats, das die Insel Ikima erworben hatte, verfolgte mich mit zäher Ausdauer. Du weißt, daß ich dann seine Tochter entführen ließ, daß er meine Jacht rammte, daß er …“ – hier zögerte Simisatto, – „etwas von mir erpressen wollte, das nur wenige kennen: Das Geheimnis der stinkenden Wasser! – Frage nicht, Olaf, was damit gemeint ist. Es ist besser, du bleibst in diesem Punkte uneingeweiht. Dann kann niemand dich zwingen, irgend etwas preiszugeben, und dieses Etwas ist wertvoller als alles Gold der Erde.“

Er schwieg eine Weile, fuhr leiser fort: „Die Kriegerkaste der Samurai hatte ihre bestimmten Zeremonien, wenn ein Neuling aufgenommen wurde. Die Samurai waren untereinander Brüder, mehr als das, – ein Samurai opferte sich für den andern mit Freuden, und Brüder werden das füreinander kaum tun. – Es waren barbarische Gebräuche, gewiß, – aber du kannst mein Bruder werden, ich biete es dir an, ich liebe dich.“

Ohne Zaudern reichte ich ihm die Hand.

„Ich bin dein Bruder, Simisatto.“

Er schüttelte leicht den Kopf. „Du sollst mehr werden, Olaf … Ich will dich zum Samurai machen. – Rufe Men Huleb. Wir werden anderswo die Pinasse verbergen, und du wirst dann Elsie Morspam, Yko San und den treuen Tainio kennen lernen. Der Mond sinkt bereits, und sobald die Felswand drüben, die steil ins Wasser hinabfällt, im Schatten liegt, wird das Gestein sich öffnen und du wirst das schauen, was noch kein Europäer sah.“

Simisattos nüchterne Mitteilungen wirkten wie Opium. Ein eigentümlicher Rausch befiel mich, und voller Ungeduld erwartete ich das weitere. Ich trug es meinem Bruder nicht nach, daß er über „Schimawara“ hartnäckig schwieg, er hatte im Grunde nur recht, mir den Kern der dunklen Dinge vorzuenthalten, denn daß Lord Morspam uns nirgends Ruhe gönnen würde, war mit Bestimmtheit anzunehmen.

Men Huleb kam auf meinen Pfiff sofort herbei, wir machten die Pinasse los und steuerten der steilen Ostwand zu. Der Mond verschwand bereits hinter den Baumkronen der Urwaldriesen, und als die Dunkelheit der Vorsicht meines Bruders genügte, zog er die Pinasse mit dem Bootshaken dicht an eine Felsnase heran, die aus dem sonst völlig glatten senkrechten Fels hervorsprang. Es war ein dunkles Stück Granit in Form eines nach oben gekrümmten Hornes, und dieser Stein war, wie ich später erfuhr, nachträglich eingefügt. Er war – – der Türgriff …

„Hilf mir, Olaf!“

Wir spannten die Pinasse an das Horn und ließen den Motor laufen. Ich ahnte, was sich ereignen würde, und tatsächlich drehte sich ein zackiger Teil der Felswand, eine Fläche von gut zwölf Quadratmeter, langsam nach außen. Es war nur eine ungeheure Steinplatte, die man sorgfältig als Verschlußstück vor den Eingang zu einer Wassergrotte in sechs Stahlgelenken angebracht hatte – so sorgfältig, daß sie sich gänzlich dem übrigen Granit anpaßte und in ihn einschmiegte. Sie reichte noch anderthalb Meter in das Wasser hinab, und Simisatto bemerkte stolz: „Meines Bruders Werk!“

Wir fuhren durch das Tor in die Grotte hinein, zogen es wieder zu und landeten an einem flachen Gestade.

Simisatto deutete auf einen im Hintergrunde errichteten Altar mit einer großen Buddhafigur, die im Laternenschein wie Gold schimmerte:

„Der Hausaltar aus unserem Palast, vor dem meine Ahnen seit Hunderten von Jahren gebetet haben.“

Es war hier ein großer Balkensteg vorhanden, auch ein sauber geglätteter Kai. Die ganze Höhle roch sehr scharf nach Karbolineum, mit dem die Stegbalken offenbar stark getränkt waren. Wir standen noch auf dieser Brücke, als plötzlich sechs große elektrische Lampen aufblitzten und die Grotte bis in den tiefsten Winkel erleuchteten. Der Lichtschalter befand sich am Brückengeländer.

„Mein erhabener Bruder Sadato,“ sagte der Fürst sehr respektvoll, „hat die Wasserkräfte der Insel sehr klug ausgenutzt. Hörst du das ferne Rauschen, Olaf? Der unterirdische Wasserfall treibt zwei Turbinen, und auch die Burg hat elektrisches Licht. Ikima, diese Insel der ewigen Feuer, gilt als Wildnis. Nichts ist unrichtiger als diese Annahme, Ikima, das nur zwei Quadratmeilen mißt, ist ein einziges großes Geheimnis und voller technischer Wunder. Mein erhabener Bruder Sadato war ein bedeutender Ingenieur.“

Ich wußte nichts zu antworten. Ich wußte nur eins: Die Japaner haben der übrigen Welt schon größere Rätsel aufgegeben, sie besiegten das ungeheure Rußland, sie sind heute im Pazifik die gefährlichsten Rivalen Amerikas, und eines Tages werden sie sich vielleicht auch in Kalifornien einnisten, denn ihr Überfluß an Menschen zwingt sie zu einer rücksichtslosen Ausbreitungspolitik.

Simisatto bat mich, Huleb in die Kajüte einzusperren. „Der Altar meiner Ahnen und das, was vor diesem Altar geschehen wird, duldet nicht die Anwesenheit eines Tieres.“

Wir schritten dann acht Stufen hinan, und ich sah vor dem bunten Altar kostbare Teppiche liegen, auf denen niedere Weihrauchbecken mit goldenen Füßen standen. Der Altar war mit frischen Blütenzweigen geschmückt, und Gott Buddha trug einen Kranz brennend roter tulpenähnlicher Blumenkelche.

Was Simisatto dann in einer flachen Schale als Verbrüderungsgetränk mischte, möchte ich nicht im einzelnen angeben. Er tat es unter Gebeten und vielfachen Kniefällen, und ich vergaß darüber das Barbarische dieser Zeremonie, bei der Menschenblut, verbrannte Kopfhaare, Speichel und noch anderes und Weihrauch meine Zunge nicht eben labten.

Wir tranken, indem wir die linke Hand dem anderen auf den Scheitel legten. – Übrigens ist diese Zeremonie nicht japanischen, sondern koreanischen Ursprungs, wie ja überhaupt die Kultur des einstigen Kaiserreichs Korea, das von Japan nun ebenfalls „aufgesogen“ ist, bedeutend älter ist. Hat man doch über die Urzeiten Japans lediglich aus koreanischen Urkunden erst eingehend Aufschluß erhalten.

Als wir getrunken hatten, sagte Simisatto die herkömmlichen Worte:

„Du bist mein Bruder und du bist ein Teil von mir und mehr als ich.“

Ich wiederholte den Spruch, und Simisatto warf sich darauf vor dem Altar nieder und schlug dreimal mit der Stirn auf den Boden. Als er sich erhob, zwang mich die Höflichkeit, dasselbe zu tun. Mir ist Religion nie engherziger Begriff eines bestimmten Gottes gewesen. Ich bin Christ aus innerster Überzeugung, aber ich rechne mich nicht zu jenen Fanatikern, die ihren Gott innerhalb eines wie durch Mauern abgesperrten, eingeengten Bekenntnisses suchen. Wer in so inniger Verbundenheit mit der Natur gelebt hat wie ich, wird nur das an religiösen Anschauungen verwerfen, was ausgesprochen die Tendenz von Machthunger trägt.

Als nun auch ich mich erhob, sagte Simisatto schlicht:

„Das war mir eine große Freude, Olaf. Ich danke dir.“

Meine Augen hingen bereits an der zarten Gestalt, die plötzlich hinter den einzelnen Felsblöcken im Hintergrunde der Höhle aufgetaucht war.

Sie kam trippelnden Schrittes näher, ihr schwarzer Kimono aus schwerer Seide knisterte, über dem leicht geschminkten Puppengesicht wölbte sich das schwarze Haar zu einer hohen Frisur, in der lange goldene Nadeln und Edelsteine blitzten.

So lernte ich Yko San kennen.

Sie verneigte sich tief vor dem Bruder, der ihr das Geschlecht der Fürsten Simisatto vertrat, und sprach in ihrem Idiom ein paar gelispelte Sätze.

Simisatto strahlte. Strahlend führte er sie zu mir hin …

„Meine einzige noch lebende Verwandte, Olaf, meine Schwester …“

Yko San redete mich in englischer Sprache an. Ihre dunklen Augen leuchteten vor Freude, aber sie blieb Dame von Welt und begrüßte mich mit einigen Worten, die mehr in einen Salon gepaßt hätten.

„Er ist mein Bruder,“ betonte der Fürst etwas scharf.

Ein erstaunter Blick, – dann nannte sie mich ohne weiteres Du, und nach einer halben Stunde waren wir so vertraut miteinander, als ob wir schon als Kinder zusammen aufgewachsen wären.

Simisatto hatte uns auf der Pinasse allein gelassen. Er schien noch irgend etwas vorzuhaben, und es war ihm offenbar lieb, daß wir in der Kajüte blieben.

Yko San war ein Püppchen mit den sanft gerundeten Linien des erblühten Weibes. Sie war für eine Japanerin unfehlbar sehr schön, sie besaß auch Geist und die angenehme Gabe, harmlos über alles und jedes zu plaudern. Noch nie war ich mit einer Frau so schnell vertraut geworden. Auch Men Huleb freundete sich mit ihr schnell an. Erstaunlich war, daß sie mit keiner Silbe die so naheliegende Frage streifte, wie ich Simisatto kennen gelernt hatte. Nur über Men’s Wunden bat sie um Auskunft, und so kam ich auf diese Ereignisse zu sprechen.

Sie schwieg dazu. Keine Europäerin hätte sich so beherrschen können.

Simisatto trat in Begleitung eines Japaners mit schneeweißem Vollbart ein.

Tainio, der treue Diener, reichte mir die Hand. „Herr, deine Wege führten über alle Länder bis hierher. Sei gegrüßt.“

Dann brachen wir auf.

Ich lernte einen Teil der Geheimnisse von Ikima kennen.

 

8. Kapitel.

Hinter dem Wasserfall.

… Auf dem Naturbalkon, der zu meinem Zimmer in der Simisatto-Burg gehört, ist soeben Yko San lautlos auf ihren dünnsohligen Lackschuhchen erschienen und überreicht mir schweigend einen Zettel, den der Funker der Burg als für mich bestimmt ihr ausgehändigt hat.

Die reizende Yko San nimmt von Elsie Morspam keinerlei Notiz, bückt sich nur und streichelt Men Huleb und will wieder gehen. – Mir ist diese geheime Feindschaft zwischen den beiden Mädchen, die immer spürbarer zutage tritt, außerordentlich peinlich. Ich bin vielleicht nicht ausschließlich die Ursache dieser Abneigung, zumindest aber habe ich diese Antipathie gesteigert, ohne es zu wollen, ohne je die eine oder die andere meiner kleinen Freundinnen zu bevorzugen. Ich verteile meine freie Zeit durchaus gerecht, ich biete sowohl Yko San als auch Elsie an Zerstreuungen, was mir irgend möglich und unter diesen ganzen eigentümlichen Umständen überhaupt möglich ist.

Elsie Morspam …

Eine Sphinx, sage ich mir oft … – Aber dann sage ich mir auch wieder, daß ich ihr Unrecht tue. Sie ist gewiß Sportlady und ganz anderen Schlages wie das Püppchen Yko San. Elsies Unausgeglichenheit dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, daß ihr hier jeden Augenblick bewußt wird, daß sie eine Gefangene ist. Man bewacht sie sehr scharf, ihre Flucht freilich wäre eine große Torheit, denn wie sollte sie allein diese Insel verlassen, die doch mehr einer Festung gleicht – wenigstens in den Teilen, die überhaupt zugänglich sind. Man behandelt Elsie natürlich als verwöhnten Gast, es fehlt ihr an nichts, man umgibt sie sogar mit allzuviel Luxus und Aufmerksamkeit, – all das behält den bitteren Geschmack der Unfreiheit.

Simisatto hatte mich gebeten, mit ihr nie über ihren Vater zu sprechen, und ihre verschiedenen Versuche, Aufschluß über den Grund ihrer Entführung und Einkerkerung (ein wenig treffendes Wort in diesem Falle) zu erhalten, mußten mithin fehlschlagen. Elsie hat mir gegenüber aus ihrer Entrüstung über Simisattos Banditenmanieren, wie sie es nennt, nie ein Hehl gemacht.

„Mein Vater ist einer Schändlichkeit gar nicht fähig!“ rief sie Simisatto einmal empört zu. „Was haben Sie gegen uns?! Er ist der beste Mensch, den ich kenne, der liebevollste Vater, der …“

Vor Simisattos eisigem Blick brach sie mitten im Satze ab.

Und nachher nahm sie mich vor. „Mr. Abelsen,“ sagte sie gepreßt, und sie fieberte vor mühsam unterdrückter Erregung, „von Ihnen verlange ich Auskunft!!“ Sie hatte sich bisher so tadellos in der Gewalt gehabt. „Wenn Sie ein Gentleman sind, werden Sie reden!! Bitte!!“ – Oh – sie kann in den grauen großen klaren Augen ein bedrohliches Flackern haben, und damals merkte ich, daß auch sie vielleicht nur eine Maske trüge. Sie hatte meine Schulter gepackt, ihre Finger krallten sich in meine Jacke und ihre tadellosen Zähne leuchteten unter den wundervoll geformten Lippen wie das Gebiß eines gereizten Kätzchens.

Ich sagte ihr die Wahrheit. „Simisatto ist mein Bruder, Miß Elsie, ich versprach über gewisse Dinge zu schweigen, und ich werde schweigen. Sie schätzen Simisatto vollkommen falsch ein, er kämpft für sein Recht, – andere kämpfen für das Gegenteil – – andere!“

Sie wußte, wen ich meinte. Sie starrte mich groß an, und ihre Hand sank herab. Ein hilfloser Zug trat in ihr verstörtes Gesicht, und wortlos wandte sie sich ab und schritt davon. – –

Der Zettel, den Yko San brachte, ist eine Radiodepesche. – Woher, wo aufgegeben, – ich ahne es nicht. Der intelligente japanische Funker hier hoch oben im „Türmchen“, wie wir es nennen, hat den Text dechiffriert und ins Englische übertragen.

Vor zwei Tagen bei Küenling-Plantage des Lords eine wichtige neue Feststellung gemacht. Sorge dafür, daß Elsie noch schärfer bewacht wird, nötigenfalls muß sie eingeschlossen werden. Morspam auf dem Wege zur Insel. Vorsicht. – Simisatto. – An Olaf K. Abelsen.

Ich finde, daß die Dinge immer unklarer werden. Ich wünschte, Simisatto hätte nicht gerade mir die Burg und die Gefangene und seine Schwester anvertraut. – Wenn ich nur eine leise Ahnung hätte, was eigentlich den Wert von Ikima ausmacht!! Stinkende Wasser, – was soll das?! Ich habe mir unendlich oft darüber den Kopf zerbrochen. Frage ich Yko San, so sagt sie mit ihrer einwandfreien Offenheit: „Ich weiß es nicht, Olaf.“ – Frage ich einen der Japaner, so blickt er zur Seite, hebt verlegen die Schultern und … lügt: „Ich weiß es nicht.“ – Niemand wird von einem Asiaten je die Wahrheit erfahren, die er nicht preisgeben will. Sie lügen mit einer Kaltblütigkeit, die verblüffend ist.

Und – was soll nun diese Depesche, übrigens die erste seit Simisattos Abreise. – Abreise?! Nahm er die Pinasse mit?! Hatte er ein anderes Schiff zur Verfügung?! – Ungelöste Fragen. – „Ich reise ab,“ – das war sein Abschied von mir. „Vielleicht bin ich in einer Woche zurück. Tainio nehme ich mit, du bist der Herr der Burg, Olaf.“

So war’s.

Jetzt stehe ich vor einer noch peinlicheren Entscheidung. Elsie soll „noch schärfer“ bewacht werden.

Mißmutig reibe ich ein Zündholz an, und der Zettel verbrennt, die Asche flattert zu Boden.

„Yko San, – bitte, noch einen Augenblick.“

Ich folge ihr in mein Zimmer, und nachdem der Vorhang der Loggiatür zugefallen ist, frage ich Simisattos Schwester flüsternd: „Du kennst den Inhalt der Depesche, Yko San. Was hältst du davon.“

Ihre dunklen Augen wandern zu der Fensteröffnung. Dann zieht sie mich zur Seite, und ich sehe, daß Elsie sich soeben neben meinem Tische bückt und einen Teil der Papierasche, der noch zusammengehalten hat, vorsichtig aufhebt und in die flache Linke legt.

„Sie hat eine Strickleiter gefertigt,“ haucht das Püppchen neben mir. „Sei auf der Hut, Olaf! Sie hat zwei Gesichter.“

„Wo ist die Strickleiter?“

„In ihrem Bett … Sie hat sechs seidene Tücher zerschnitten … Du gabst ihr die Nagelschere, Olaf, – sie gab sie dir nicht zurück.“

Dann enteilt Yko San, und ich trete wieder auf den Balkon hinaus.

Es ist in diesem Falle bestimmt Schicksalsfügung, daß meine Augen über die Brüstung hinweg flüchtig das Tal entlangschweifen, bevor sie sich der verwirrten, bleichen Elsie zuwenden, die blitzschnell die Hand mit dem durch die Hitze gekrümmten Aschenrest des Papiers schließt und mich schuldbewußt anstarrt.

… Schicksalsfügung, daß ich die Augen mehr instinktmäßig sofort wieder zur Seite richte, weil mir dort in dem Kanon, mir selbst zunächst halb unbewußt, irgend etwas Fremdes aufgefallen ist. Ich kenne ja in der langen steilen Schlucht jeden Felsblock, jeden Baum, jeden Strauch, ich habe dieses Bild zu oft vor mir gehabt, und ich verstehe zu „sehen“, das heißt: Alle Einzelheiten rasch zu erfassen.

Ebenso blitzschnell ducke ich mich, packe Elsie bei den Schultern, reiße sie in die Knie.

„Keinen Laut!!“

Sie wird noch bleicher. In meinem Gesicht muß ein Ausdruck sein, der den Schrei der Überraschung, des Schrecks in ihrer Kehle erstickt.

Wir kauern voreinander, fast Antlitz gegen Antlitz, und abermals flüsterte ich hart und drohend: „Keinen Laut!! Folgen Sie mir, kriechen Sie, – – nein, kriechen Sie mir voraus ins Zimmer!“

„Ich … habe … mir dabei nichts gedacht,“ stammelt sie hastig und schuldbewußt. – Aber Elsie Morspam ist die Tochter des Mannes, der da draußen unten im Tale halb verborgen hinter einem Strauche steht.

Morspam ist auf der Insel! Und was das zu bedeuten hat, bedarf keiner langen Prüfung. – Gefahr, schlimmste Gefahr, falls er entdeckt, daß dieses Naturwunder von riesiger Felsnadel, daß diese natürliche Burg Menschen enthält.

„Vorwärts!! Ich warne Sie! Ein einziger Schrei, und …“

Sie hat sich längst wieder in der Gewalt. Sie ist eben eine Morspam, und Vater und Tochter haben gute Nerven und tragen gleiche Masken.

Elsie empfindet das Demütigende meines schroffen Befehls und lehnt sich voller Verachtung dagegen auf.

„Banditentum färbt ab!“ sagt sie leise – und gehorcht, schiebt den Vorhang zur Seite und richtet sich erst in dem Zimmer wieder auf.

Ein Wink, – Huleb ist neben uns.

„Was soll das, Mr. Abelsen?!“ Eisiger kann der Ton kaum sein.

Ich behalte sie im Auge, ich schreite rückwärts zu der sauber lackierten Holztür, die in den Treppenflur führt, und drücke auf den weißen Knopf der Glocke.

Sie beobachtet mich, ich merke, sie versucht zu ergründen, worin der Grund meines plötzlich so veränderten Benehmens liegen könnte. Sie ist klug, und sie sagt sich wohl mit Recht, daß das verbrannte Papier nicht allein die Ursache gewesen sein kann, sie derart brutal anzufassen und in die Knie zu zwingen.

„Beschäftigen Sie sich gern mit Seilerarbeiten, Miß Morspam?! – Die Strickleiter ist gefunden, und meine Nagelschere sollte also anderen Zwecken dienen.“

Die Röte schlägt ihr in die Wangen. Sie preßt die Lippen zur schmalen Linie, sie funkelt mich an aus grauen Augen, in deren Tiefen ein böses Feuer glimmt.

Die lackierte Tür fliegt auf, das Alarmsignal hat die Bewohner des Felsens gewarnt, und fünf flinke kleine Burschen in braunem Khaki treten ein.

„Bringt Miß Morspam in eine der Zellen! – Hodutu, du bleibst … – Vorwärts!“

Morspams Tochter würdigt mich keines Blickes mehr. Die Tür schließt sich, und Hodutu, mein Stellvertreter im Kommando der Burg, fragt atemlos, was geschehen sei.

„Morspam ist im Tale, Hodutu.“

Der alte Japaner, der nicht viel jünger als der treue Tainio ist und dem Hause Simisatto sein Leben lang diente, zieht pfeifend die Luft in die Lungen ein …

„Ich las die Depesche, Herr … Morspam hat sich beeilt.“

Dann lächelt sein zerknittertes Gesicht. „Er wird nichts finden, Herr … Nicht eine einzige Fährte wird er entdecken … Wir leben ja nur inmitten der Felsen. Und die Burg?! Er müßte Leitern von dreißig Meter Länge haben, um hier einzudringen.“

„Das stimmt wohl, Hodutu. Trotzdem, ich bin beunruhigt … Begleite mich, wir wollen zur Bucht. Ich bin seit Simisattos Abreise nicht dort gewesen. – Sage mir die Wahrheit: Benutzte dein Herr die Pinasse?“

„Nein.“

„Habt ihr denn noch andere Fahrzeuge hier?“

Er senkt den Kopf. „Ich … darf nicht reden, Herr. Frage bitte nicht. – Fürchtest du, daß Morspam die Grotte mit dem großen Felsentor gefunden haben könnte?“

„Ich will Gewißheit haben, Hodutu. – Gehen wir …!“

Ich nehme Men Huleb mit. Er als Vortrab in den Eingeweiden der Insel ist sicherster Schutz. Ich schnalle den Gürtel um, die Pistolen schlagen mir leicht gegen die Hüften, und wir treten in das Treppenhaus, wo stets gedämpfte Lampen glühen und dicke Kokosläufer den rauhen Zementboden bedecken. –

Man spricht von einem rückwärts gedrehten Film … Ich schildere nun Ikimas Geheimnisse in verkehrter Reihenfolge. Ich beginne mit der Burg. Mich als Ingenieur hat dieses Werk der zähen Tatkraft und überragenden Intelligenz des ermordeten ältesten Bruders meines Simisatto beinahe begeistert, als ich es zum ersten Male betrat. – Inzwischen habe ich mich an dieses Wunderwerk gewöhnt. Ich kenne seine Geschichte, – es ist mit ein Ausschnitt der historischen Entwicklung des Inselreiches Japan. – Ich habe in Sadatos Bibliothek hier in der Burg zahlreiche Werke japanischer Professoren, ins Englische übertragen, vorgefunden und sie in diesen letzten Tagen flüchtig durchblättert. Heute spricht man von einer einheitlichen japanischen Nation, und diese Annahme, es handele sich seit grauer Vorzeit um ein bestimmtes „Volk“, haben die Gelehrten und Forscher des Inselreiches streng aufrecht erhalten, obwohl die historische Wahrheit ganz anders lautet. Lediglich Nationalgefühl hat die Entwicklungsgeschichte Japans mit jenem festen Kranz von Mythen und Märchen umgeben, der in vielem an die uralten germanischen Götter- und Heldensagen erinnert. Tatsächlich wurden die japanischen Inseln etwa bis zum Jahre einhundert nach Christi Geburt ausschließlich von einer wenig regsamen und wenig intelligenten Urbevölkerung, den Aino, bewohnt, die heute nur noch in geringen Resten im Norden der Insel Teso und im Süden von Sachalin anzutreffen sind. Drei Seeräuberstaaten waren es, die dann diese Aino allmählich verdrängten. Malaien, Koreaner, Chinesen schufen diese Fremdkolonien, und die Japaner von heute sind Nachkömmlinge jener Eroberer, mithin ein Mischvolk, bei dem vielleicht das malaiische Element überwiegend ist. Gerade die Malaien von den Sunda-Inseln weit im Süden, jeher die Wikinger des Ostens, hatten es sehr leicht, mit ihren plumpen Fahrzeugen bis nach Japan zu gelangen, da die eigentlichen japanischen Inseln brückenartig nach Süden zu durch Inselgruppen bis zu den Philippinen hinab ein lockeres Landgefüge bilden. Da sind die Liu-Kiu-Inseln (und zu ihnen kann man Ikima rechnen), dann die große Insel Formosa, ein bergiges, noch heute im Innern wenig erforschtes Land, – und so fort … – – Es waren also Seeräuber, die die Ahnen eines jetzt so mächtigen, kriegerischen Menschenschlages werden sollten, und die ganze weitere Entwicklung Japans bildet bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein eine blutige Kette von Kämpfen und Fehden machthungriger Einzeldynastien, – der große Umschwung trat erst am 9. November 1867 ein, als der Schogun (Vasallenfürst) Hitosuboschi sich endgültig dem Mikado unterwarf und dieser fortan alleiniger absoluter Herrscher wurde. Desto erstaunlicher ist es, daß dieses erst 1867 geeinte japanische Reich in so kurzer Zeit in steiler Linie zum Kulturstaat und zu einer militärischen Macht aufstieg, die es wagen durfte, 1904 Rußland den Krieg zu erklären und sich nach einem verhältnismäßig raschen Siege auch auf dem asiatischen Festland (Korea) dauernd zu behaupten. Das Geheimnis dieses Sieges liegt einzig und allein in dem überaus starken Volksgefühl der Japaner. Heute hat sich die Welt daran gewöhnt, Japan als die Großmacht des Ostens zu betrachten. China rechnet nicht mit, denn seine innere Zerrissenheit, der schamlose Unfug der Söldnerheere einzelner Generale, die sich von europäischen Großschacherern bestechen lassen, macht dieses ungeheure Landgebiet zu einem Schauplatz jämmerlicher Börsenspekulationen. Mit der Absetzung des letzten Mandschu-Kaisers begann auch Chinas Zerfall. –

Das ist’s, was ich bei der stückweisen Lektüre jener Bücher für mich profitiert hatte. Es war immerhin ein lehrreicher Blick in die Geschichte eines Staatswesens, das noch heute mit ungeheurer Zähigkeit an seinen Traditionen hängt und in dem Mikado, mag Japan auch sein Parlament haben, oberste Gottheit neben Buddha verehrt. Eine einheitliche Religion besitzt Japan nicht. Der Schintoismus, der Ahnenkult, hat sich neben dem Buddhismus behauptet, – das verbindende Element beider Bekenntnisse (die trennenden Linien sind sehr verschwommen) bildet der größere Gedanke des Nationalgefühls.

Manche Einzelheit, die ich hier ebenfalls gern festhalten möchte, verdanke ich auch dem alten Hodutu, der in einem Buddhistenkloster viele Jahre als politischer Flüchtling gelebt hatte. Hodutu war zweifellos intelligenter als Tainio, beide aber waren mit dem Geschlecht der Simisatto derart verwachsen, daß sie jetzt den letzten Sproß der Familie abgöttisch verehrten und daher auch auf mich, Simisattos Bruder, diese opferfreudige Ergebenheit übertragen hatten.

Wir machten uns auf den Weg nach der Grotte, und ich – drehe den Film rückwärts. – Zunächst die Burg. Ursprünglich war sie gewaltiger Felsenklotz gewesen, innen zum Teil hohl, zum Teil auch aus riesigen Granitquadern aufgetürmt. Die Fürsten Simisatto hatten, nachdem die Insel ihr Eigentum geworden, in weiser Voraussicht allmählich hier einen Schlupfwinkel geschaffen, der nicht seinesgleichen besaß. Ich war einst in Nordaustralien Zeuge, wie eine aus Natronquadern zusammengefügte Burg in sich zusammenbrach, – auch sie war ein Wunderwerk gewesen. Ich hatte in Südabessinien eine andere Burg bewohnt, einen hohlen Berg, in dem „die Herrin der Unterwelt“ residierte. Diese Naturburg hier, an der Menschenhände lediglich notwendige Veränderungen vorgenommen hatten, übertraf alles, was die Phantasie sich ausmalen kann.

In dem schroffen Tale, das ich bereits erwähnt habe, und das nach Norden zu an den Urwaldgürtel des Nordfjordes grenzt, während es im Süden sich in Sümpfen und gigantischen Dornenmassen verliert, die keines Menschen Fuß je betreten könnte, erhebt sich an der breitesten Stelle die „Burg“. Der Unterteil ist ein fast schwarzer Gesteinklotz mit senkrechten oder überhängenden Wänden, etwa dreißig Meter hoch, etwa fünfeckig, ohne größere Risse, nur in kleineren Spalten haben sich jene Dornenlianen angesiedelt, die wie grüne Taue aussehen, in denen dicht bei dicht scharfe verrostete Nadeln, Spitzen nach außen stecken – Giftlianen, die unfehlbar jeden Unkundigen, der diese Stricke zum Emporklettern benutzen wollte, töten oder lähmen würden. Auf diesem Sockel ruht die eigentliche „Burg“, zerklüftete Gesteinmassen, nach oben sich unregelmäßig verjüngend, die Steilwände des Tales überragend, durchsetzt mit einzelnen tropischen Bäumen, schmalen Grashalden, Gebüschflecken und herabhängenden Lianenteppichen. – Ein Uneingeweihter würde nie vermuten, daß dieses Granitgebilde Hunderte von Menschen bergen könnte, daß darin auf Steinsäulen künstliche Stockwerke und Treppen und Säle und Zimmer und Vorratsräume und ganz oben eine … Radiostation geschaffen worden sind. – Fleißige Hände verschwiegener Diener haben hier der Natur ins Handwerk gepfuscht und trügerische Felskulissen aufgemauert, haben dem ganzen erst die Eigenart eines Bienenstockes verliehen, in dem elektrisches Licht, Signalglocken, Telephon, Lautsprecher, vieles andere modernste Technik vertreten. An alles ist hier gedacht. Der ermordete Sadato gab der Burg ein hypermodernes Gepräge im Innern, während die Außenseiten nichts von alledem verraten. Taubenschwärme, Möwen, Singvögel nisten in den Felslöchern, das zärtliche Gurren der Tauben, der Schrei der Möwen und das Orchester kleiner gefiederter Sänger verstummt weder bei Tag noch bei Nacht. Was sie singen, das ist das Lied der Geheimnisse von Ikima, denn sie kennen alle Geheimnisse, ihnen sind die Urwälder keine verbotene Mauer, ihre scharfen Augen sehen auch im frohen Fluge die gefährlichen brodelnden, dampfenden Lavakessel des Südteiles und die ewig glimmenden Feuer rauchender Baumgiganten, die, zu Bergen getürmt, wie die Meiler der Kohlenbrenner rauchen und qualmen und das Meer verdunkeln, auf dem dieses Ikima schwimmt – – wie ein Fragezeichen.

Wie ein Fragezeichen, denn das ist etwa die Form der Insel von Norden nach Süden, wenn man die Phantasie ein wenig spielen läßt.

Aber eins kennen sie nicht, die geflügelten Nachbarn unserer wohnlichen Räume: Die schmale Spalte, die sich als Schacht mitten durch den Unterbau in die Tiefe zieht und die den Zugang zur Burg droben und zu den Höhlen drunten bilden.

Die Höhlen sind feucht und kalt, Tropfsteingebilde hängen von der Decke, der Steinboden zeigt die gleichen Kalkgebilde, und wenn man nach Norden zu in dieser frostigen Stille zehn Minuten gewandert ist, versperrt ein unterirdischer Fluß den Weg und stürzt als Wasserfall in unergründliche Klüfte.

Vor diesem Wasserfall machten Hodutu, ich und Men zunächst halt, denn hier liegt „der Schlüssel“ zur Grotte, zur Fortsetzung des kühlen Pfades. Hier hat Sadato vor zehn Jahren in den Abgrund die Turbinen eingebaut und gut maskiert, hier sind versteckt die Maschinen montiert, die elektrischen Drähte verlegt, – man sieht nichts von alledem. Nur in der Grotte im Norden und in der Burg weiter südlich glühen die Lampen und surren die Transformatoren. Gelangte jemand wirklich in die Grotte, fände er das Steintor und öffnete es, – zur Burg gelangte er kaum, denn der Wasserfall ist nicht zu überwinden.

Glaubt man.

Hodutu, ich, Men Huleb wissen es besser.

Unter einem Tropfsteinfelsen zieht der alte Japaner den Schlüssel hervor, ein öltriefendes Stahlgebilde, fast ein Schlüssel, nur Riesenformat. – Er führt ihn linker Hand in ein unauffälliges Loch der Felswand ein, und er dreht ihn, und allmählich versiegt der Wasserfall, nur noch dünne Rinnsale träufeln herab. – Wir sehen jetzt dort, wo die Schleier der stürzenden Wasser hinabglitten, drüben den Felsengang, und ein Sprung über die Kluft bringt uns auf die andere Seite, wo gleichfalls ein „Schlüssel“ die Schleuse des Wasserfalles wieder öffnet und den Weg versperrt.

Sadato war ein Genie.

So gelangen wir nach weiteren fünf Minuten in die Grotte, in der ich Simisattos Bruder nach uraltem Samuraibrauch wurde.

Wir haben Men Huleb vorausgeschickt, aber die Grotte birgt keinen Fremden, friedlich lächelt Buddha von seinem Altar, friedlich liegt die Pinasse am Balkensteg …

Das ist der rückwärts gedrehte Film, und das ist alles, was ich bisher von Ikima kenne, denn Simisatto hat uns streng untersagt, je die unterirdische Welt oder die Burg zu verlassen, damit keine Menschenfährte einem Spion verrate, daß hier Leute hausen.

Hodutu geleitet uns am Rande der Grottenwand entlang auf eine schmale Felsgalerie, und durch eine enge Spalte sehe ich vor mir den Südwinkel des Fjordes und ein hellgraues Luxusschiff mit glänzenden Buchstaben am Bug und geschäftigen chinesischen Matrosen und faulenzenden Europäern in Liegestühlen unter dem Sonnensegel.

Die „Elsie“ ankert dort, – das internationale Konsortium, das meinem Bruder die Insel abschwindelte, ist angelangt, nur zwei fehlen: Doktor Fellow, den die Haie fraßen, und die arme schöne Frau van Buizendahl, die an der Fieberküste Formosas begraben ward.

Dafür lehnen an der Reling drei elegante Japaner, bei deren Anblick Hodutu vor Haß sich krümmt …

Es sind Fürst Iwakura und sein Sohn, ein Knabe, – Sohn und Bruder jener drei desselben Mannes, die von Simisatto mit dem geweihten Zweihänderschwert etwas kopflos gemacht wurden.

„Iwakura!“ zischt der Alte neben mir. „Endlich …!!“

„Weshalb endlich, Hodutu?“

„Weil wir die Beweise brauchen, daß die Iwakuras meine hohen Gebieter im heiligen Tempel abschlachteten, Herr. Wir müssen sie fangen, Vater und Sohn, und den Vater auf den Dreibock setzen, der längst seiner wartet … Der eiserne Stuhl der Folter ist nicht Lord Morspams Erfindung, Herr, – die Samurai kannten ihn schon, als der Mikado noch die aufsässigen Vasallen bekämpfte.“ – Er zerbeißt die Worte zwischen seinen gesunden Zähnen, und sein Gesicht ist grau vor Haß.

Ich fürchte, diese Insel wird noch üblerere Düfte riechen als den Schwefel der riesigen Lavakessel im Südteil.

 

9. Kapitel.

Elsie vergißt sich.

… Auch dieser Tag neigt sich seinem Ende entgegen. – Ich war vorhin mit Men Huleb ganz oben in dem Felsgemach unseres Funkers, eines jungen, gebildeten Menschen, der ein Enkel des greisen Tainio ist.

Der Mann lebt Tag aus Tag ein in diesem Taubenschlag von Funkstation, zu der man nur über vier schmale steile Eisenleitern gelangen kann. Die Antenne ist außen sehr schlau aus vier dünnen Drähten angebracht, die schräg nach unten zu einer vorspringenden Felsnase verlaufen. Selbst das schärfste Fernglas würde sie für das menschliche Auge nicht sichtbar machen.

Vor seinem langen Tisch mit all den Apparaten saß wie immer der geduldige Funker, einen Kopfhörer übergeklemmt, wartend, lauschend, in der Hand den scharf gespitzten Bleistift, damit er jede deutliche Signalfolge sofort niederschreiben könne.

Sein Gemach erhebt sich hoch über alle Urwaldriesen, alle zerklüfteten Hügel, und die Aussicht von hier müßte jedes Malerauge begeistern. Tenno, der Funker, Enkel Tainios, ist größter Materialist, Pflichtmensch, Mensch ödester Sachlichkeit, und das Panorama unter ihm berührt seine Seele in keiner Weise. – Tenno hat melancholische stille Augen und für seine Jugend sehr scharfe Züge. Er ist schweigsam, fast mürrisch, – all diesen Japanern fehlt das leicht Beschwingte einer heiteren Lebensauffassung, sie haben keinen Sinn für Humor, kein Verständnis für Naturschönheiten, sie lächeln aus Höflichkeit, aber ihrem Lächeln fehlt die Wärme des Herzens. Nur die Außenhaut lächelt. – Ich habe den Sonnenuntergang bewundert und mit dem Fernglas in einer der Fensterspalten hinter mageren Grasbüscheln gelegen und nach Lord Morspam Ausschau gehalten. Nachmittags besuchten er und seine fragwürdigen Gäste das Tal, aber sie staunten nur den Felskoloß an und wanderten hin und her und verschwanden wieder. Trotzdem fühle ich, daß sich irgendein Gewitter gegen uns zusammenbraut. – Ich habe Tenno gefragt, woher wohl Fürst Simisatto die Depesche abgesandt haben könnte, ob denn auf Formosa sich eine Radiostation befinde, – Tenno antwortete ausweichend.

Dann bin ich hinabgestiegen zu den drei Felsenkammern mit den eisernen Türen. In der mittelsten ist Elsie untergebracht. Vor den Türen steht eine Wache, die alle drei Stunden abgelöst wird. Der Japaner schloß mir die Tür auf, und ich trat ein, nachdem ich durch die fingerbreite Türspalte gebeten hatte, Elsie besuchen zu dürfen.

Dieses Felsgelaß hat kein Fenster, es ist nur ein Ventilator über der Tür angebracht, oben an der Decke hängen zwei Lampen, das Bett steht hinter einem Wandschirm, und das Mobiliar ist durchaus genügend. Es fehlt Elsie an nichts, aber – sie ist jetzt erst in Wirklichkeit eine Gefangene.

Sie saß an dem zierlichen Tischchen im Korbsessel und las. Ich war für sie Luft. Ich gab mir die redlichste Mühe, sie davon zu überzeugen, daß die Umstände gegen sie sprächen und daß sie die Freiheiten, die ihr gewährt waren, schlecht gedankt hätte.

Ich war Luft für sie.

Etwas gereizt entschlüpfte mir die Bemerkung, daß sie ihren Vater doch wohl gründlich überschätze …

Sie fuhr hoch wie eine Katze. Ihre Nerven versagten, und sie rief mir Worte zu, die ich diesen Lippen nie zugetraut hätte.

Mit einem Ruck riß sie das große flache Medaillon von ihrem Halse, öffnete es mit bebenden Fingern und hielt es mir hin …

„Da – so sieht ein englischer Aristokrat aus, Sie … Landstreicher!!“

Sie kannte sich selbst nicht mehr. Ihr Vater war ihr Abgott. Ihn verdächtigen war Frevel.

Ich blieb unberührt. Ich bedauerte sie, denn sie war mir hier in der Burg von der Minute an, als Simisatto mich ihr vorstellte, eine liebe Gefährtin.

Elsie war kaum mittelgroß, aber von vollendetem Ebenmaß. Ihr Gesicht zeigte die reinen Linien edlen Blutes, ihre Augen waren Spiegel eines lebhaften Geistes, wenn auch voller Rätsel, ihr Mund herb und streng, ihr Goldhaar natürlich gewellt und frei zurückgestrichen. In Haltung und Bewegungen lagen Kraft und Selbstbewußtsein. Aber Sportlady, nein, das war sie doch nicht ausschließlich, obwohl ihre Züge zweifellos zu gestrafft und daher vermännlicht erschienen.

Ich nahm das Medaillon nur aus Höflichkeit und warf einen flüchtigen Blick auf Lord Morspams scharfe Kopfphotographie. Ich kannte ihn ja. Er war der Mann mit dem doppelten Gesicht. Hinter der Maske des höflichen Gentleman lauerte der Tiger.

Mein Blick hing dennoch länger als nötig auf dem Bilde.

Oder besser, genauer gesagt: Das Bild fesselte mich.

Als ich es Elsie zurückreichte, griff ich nach ihrer Hand und hielt sie fest.

Sie starrte mich an. „Was wollen Sie?!“

In meinem einsam gewordenen Herzen hatte sich aus dem Schmerz und der Trauer um meine Jane doch wieder ein wärmeres Gefühl an die Oberfläche gewagt.

„Elsie, wir waren doch so gute Kameraden!“

Sie lachte hart. „Waren!! Waren!! Ich … hasse Sie, – Sie als Europäer verbünden sich mit elenden Räubern, die nicht einmal den Mut haben, mir zu erklären, weshalb sie mich hier nun schon so viele Monate festhalten!“

Und dann kam bei ihr der jähe Umschwung, der Rückfall ins Weibliche …

Sie brach in Tränen aus, preßte die Hände vor das Gesicht und weinte besinnungslos …

Ich trat neben sie, unwillkürlich streichelte ich ihr Haar, lehnte mich an sie – vielleicht wie ein Vater, der seinem Kinde Trost spenden möchte. –

Elsie Morspam hatte eine Strickleiter angefertigt. Ich hätte daran denken sollen.

Ich merkte nicht, daß ihre rechte Hand herabsank, – ich fühlte erst den Ruck am Ledergürtel, sie stieß mich zurück, sprang hinter den Tisch, und eine meiner Pistolen bedrohte mich.

Ihre Züge waren vielleicht noch bedrohlicher. Sie konnte schießen, ich wußte es … Und in dem Augenblick traute ich ihr alles zu.

„… Abelsen,“ sagte sie unnatürlich ruhig, „so wahr ich meinen Vater liebe und verehre, – Sie werden diese Zelle nicht lebend verlassen, wenn Sie mir nicht Ihr Wort geben, mir zur Flucht zu verhelfen. Bei der ersten verdächtigen Bewegung drücke ich ab, – richten Sie sich danach! Ich gebe Ihnen drei Minnten Bedenkzeit. Ich werde Sie nicht schonen, – mögen diese gelben Affen mich nachher auch schändlich behandeln, – ich habe diese Waffe, und …“

Sie hatte nur eins nicht bedacht bei diesem Streich.

Men Huleb war bei mir. Mochte der brave Men auch noch halber Patient sein, mochte er bisher mit Elsie in leidlichem Einvernehmen gelebt haben, – – er war klug, er beurteilte diese Szene ganz richtig, er hatte hinter dem Wandschirm neugierig wie immer Entdeckungsreisen gemacht …

Elsie schrie auf, – Men Huleb hing ihr im Rücken, sein wutverzerrtes Gesicht, die gefletschten Zähne, … ich fürchtete seinen Biß …

Ein Schuß knallte …

Blei zerspritzte am Gestein.

„Men!! Hierher!“ brüllte ich …

Meine Brust schlug den Mädchenarm hoch, ein zweiter Schuß …

Dann hatte ich ihr die Waffe entrungen.

– Ich denke ungern an dieses lärmende Intermezzo zurück. Ich trage Elsie nichts nach, ihr Verhalten ist entschuldbar, zumal ich genau weiß, daß sie mich nur bluffen wollte und mich nie getötet hätte. So weit kenne ich die Frauen nun doch schon. Sie war mir Freundin, aber jeden Tag hat es Zeiten gegeben, wo das Weibchen in ihr sich regte und mit mir spielte und die Versuche feiner Koketterie, verfeinerten Flirts meinen Herzschlag nicht wesentlich beunruhigten. Und mit jedem Tage trat das eine mehr hervor: Ihre Eifersucht auf Yko San, die Sanfte, Weiche, das schnurrende Kätzchen, – die Eifersucht auf die kleine zierliche Yko San, die das gerade Gegenstück Elsies war.

Liebe?!

Vielleicht … – Besondere Umstände bringen Weib und Mann weit rascher einander nahe, und die enge Gemeinschaft in dieser Steinburg, dazu die ganzen ungeklärten Verhältnisse, ferner die Gemeinsamkeit der weißen Haut und … mein Pech, mein altes Pech, das ich immer wieder bei solchen Anlässen habe: Elsie mochte doch Feuer gefangen haben! –

Am schlimmsten dann noch, daß die beiden Schüsse Yko San und Hodutu herbeigelockt hatten, daß ich nichts bemänteln konnte und Hodutu nachher, als ich ihm den Vorfall erklärte, mich so eigentümlich anblickte. Ihm erschien es sehr überflüssig, daß ich Elsie zu trösten versucht hatte, ihm erschien es noch bedenklicher, daß ich mich Elsie so eng genähert hatte, daß sie mir die Pistole aus dem Gurt reißen konnte.

Wir haben dann freilich die andere Sache nochmals eingehend durchgesprochen. Hodutu bleibt dabei, sich des jungen Fürsten Iwakura irgendwie zu bemächtigen, damit endlich die Wahrheit an den Tag käme. Der alte Japaner ließ nicht ab davon, den Plan immer wieder zu erörtern, nachts die Jacht zu überfallen und dann auch die ganzen Europäer hier einzukerkern. Die chinesische Besatzung zählte für ihn nicht. Er machte mir eine glatte Rechnung auf, bei der Handgranaten, Gasbomben und ähnliche Dinge aus dem Arsenal die Hauptfaktoren bildeten. Es war sehr schwer, ihn von diesem Vorhaben abzubringen, und wir trennten uns erst, nachdem ich ihm versprochen hatte, Iwakura auf weniger blutige Art in die Burg zu schaffen.

Nun ist es zehn Uhr geworden. In meinem Zimmer sind Tür und Fensterlöcher wie überall in der Burg dicht verhängt, ich schreibe, Men Huleb schläft auf dem Sessel neben mir, und wenn die eilende Feder eine Pause macht, denke ich etwas beklommen an meine leichtfertige Zusage und grübele darüber nach, wie ich aus einer großen Jacht eine einzelne Person herausholen soll, von der ich nicht einmal weiß, wo sie ihre Kabine hat …

Dabei ist diese Nacht mondhell und klar, und Hodutu ist ein Eisenkopf, er wird Gewalt anwenden, er, ich fühle es, er traut mir als Europäer nicht mehr ganz, seine farbige Haut deckt eine Seele, in der Bedenken, wie ich sie hege, nicht wach werden.

Gewiß, wir könnten die Jacht entern, wir sind hier einunddreißig Mann, wir würden siegen, denn das Arsenal verfügt über Wurfbomben, die die Jacht schnell wegsacken lassen würden …

Ich kann das nicht dulden. Seit heute nachmittag darf ich es nicht. Ich war in Elsies Zelle, und mir sind da Gedanken aufgestiegen, die ich nachprüfen muß. –

… Ich werde es versuchen. Hodutu kommt um Mitternacht. Dann brechen wir auf. Besser, ich schlafe bis dahin …

Ich bleibe dennoch sitzen, greife nach einer neuen Zigarre und blättere in diesen vollgekritzelten Bogen zurück, lese hier und dort ein paar Zeilen, stoße so auf das Wort Schimawara.

Schimawara – Stinkendes Wasser …

So unpoetisch das auch klingt: Ich ahne, – alles dreht sich um dieses Schimawara, der „Wert“ der Insel beruht auf Schimawara, Morspam und das Konsortium jagen dem Schimawara nach …!

Was ist’s?!

Man mag es drehen und wenden, – es bleibt: Stinkendes Wasser!

Sollte etwa in dem Sumpfgebiet des Mittelteiles von Ikima auf trockenem Felsenstück Edelmetall lagern – etwa eine Goldader, – sollten in den Sümpfen in lockeren bläulichen Sandstrecken Edelsteine ruhen, Diamanten?! – Es erscheint mir lächerlich, solches anzunehmen, denn ich habe nie gehört oder gelesen, daß diese langgestreckte Inselgruppe, die das Inselreich Japan mit Formosa verbindet, Gold oder Diamanten birgt.

Es muß sich um andere Werte handeln.

Steinkohlen?! Vielleicht ein Flöz, das dicht „Unter Tage“ liegt, also sehr leicht abzubauen wäre?!

Nein, – Morspam würde für eine unsichere Ausbeute an Kohle niemals eine Million bezahlt haben …

– Weshalb spüre ich alledem so hartnäckig nach?!

… Hinter mir öffnet sich die Tür, schwere Seide rauscht, und Yko San trippelt herbei und bleibt neben mir stehen und sagt sehr bestimmt:

„Ich begleite dich, Bruder Olaf.“

Dann läßt sie den Kimono herabsinken, und ich sehe sie in einem dunkelgelben Sportanzug mit Kniehosen, – – als Jüngling …

Sie lächelt puppenhaft-verlegen.

Men Huleb grunzt mißmutig und blinzelt sie an …

„Ich begleite dich,“ wiederholt sie.

In ihrem Gürtel steckt ein schlichtes Messer in Lederscheide mit Holzgriff. Sie zieht es heraus, ihr Arm beschreibt eine kurze Kurve, und das Messer fliegt quer durch den Raum und bleibt zitternd in dem Wandbrett stecken, an das ich mit Reißzwecken Janes Photographie befestigt habe … über meinem Bett.

Das Messer hat das Bild am unteren Rande getroffen.

Dann beugt Yko San sich zu mir herab, gleitet mir auf den Schoß, umfängt mich und küßt mich mit besinnungsloser Gier …

– – Von der Tür erklingt Hodutus tiefe gurgelnde Stimme:

„Herr, in einer halben Stunde wird es ein Gewitter geben.“

Yko San springt empor und geht trippelnd zum Wandbrett, zieht das Messer heraus und verläßt mich. Hodutu verbeugt sich bis zur Erde und schließt die Tür.

„Ich danke dir, Hodutu …“

Er lächelte nachsichtig. „Herr, du bist wie ein Kampferbaum … Die Bienen kommen und sinken betäubt von dem scharfen Geruch in die grünen Zweige. – Yko San hat ihr Herz verloren …“

„Sie wird es anderswo wiederfinden, Hodutu.“

Wir brechen auf. Yko San begleitet uns. Es hätte keinen Zweck, sie umstimmen zu wollen. Diese Töchter aus den alten Samuraigeschlechtern haben in den Kämpfen der Männer hinter der Schlachtlinie gewartet und sich die Dolche ins Herz gebohrt, wenn ihre Sippe unterlag. – Es sind Püppchen mit eisernen Seelen.

 

10. Kapitel.

Simisatto erscheint.

Wir steigen die langen Treppen hinab bis zu jener versteckten Steintür, die in den Sockel der Burg führt. Hier stehen dauernd zwei Wachen, und sie haben ganz bestimmte Instruktionen, die die Burg unbedingt sichern.

Je tiefer wir gelangen, desto mehr fühlen wir uns abgeschlossen von der Außenwelt. Die Stille in den großen Hohlräumen wird nur unterbrochen durch das Geräusch unserer Schritte und durch den vielfachen Tropfenfall von den Kalkgebilden der Decke und dem noch fernen Brausen des in den Abgrund stürzenden Flusses. Von dem Toben des Gewitters vernehmen wir nichts, nichts von dem Rauschen des tropischen warmen Regens, der mit seiner Überfülle, wie Hodutu betonte, den Kanon in einen reißenden schäumenden Bach verwandeln wird.

Meine Begleiter sind stumm. Men Huleb sollte zunächst in meinem Zimmer bleiben, ich habe mich dann doch entschlossen, ihn mitzunehmen, er kann mir nützlich werden, zumal ich seine Verbände entfernt habe, damit er die volle Bewegungsfreiheit seiner flinken muskulösen Glieder wiedererlange. Yko San in ihrem Sportanzug, ebenfalls bewaffnet und vielleicht genau so nützlich wie der treue Men, verrät keinerlei Verlegenheit oder Befangenheit wegen des kurzen stürmischen Ausbruchs ihrer Gefühle.

Das Getöse des Wasserfalles wächst, wir sind sehr rasch in der Grotte, nachdem der lange Schlüssel und das Schleusentor ihre Schuldigkeit getan haben, wir blenden unsere Laternen ab, lösen die Pinasse von dem Stege und öffnen die hohe breite Steinpforte nur gerade so weit, daß wir in die Bucht hinauslugen können. Wir sehen nichts, der Regen rauscht in dichten Schnüren hernieder, selbst die elektrischen Entladungen, die Bündel von Blitzen, erwecken nur den Eindruck eines trüben jähen Aufleuchtens. Desto grimmiger hallen die Echos des Donners in dem Fjorde wieder, der Lärm der zurückgeworfenen Schallwellen dröhnt in den Ohren nach, und eine Verständigung von Mund zu Ohr ist kaum möglich.

Jetzt erst wird mir das Wahnwitzige des Unternehmens bewußt, zu dem ich mich hergeben will. Es ist ausgeschlossen, daß auf der Jacht jemand schläft. Ich werde auf unüberwindliche Hindernisse stoßen, und wenn ich bemerkt werde, ist auch unser Aufenthalt hier auf Ikima verraten.

Von der Jacht ist selbst bei den grellsten Blitzen nichts zu sehen. – Hodutu stößt mich an, und seine Lippen berühren meine Ohrmuschel. „Herr, die Jacht ist nicht mehr da …!“

Er hat den Satz kaum vollendet, als vom Westufer der mehrfache Knall von Schüssen herüberdringt. Dann blitzt vor uns dicht über der Wasseroberfläche ein intensiv grünes Licht auf, verschwindet, – ein rotes Licht erscheint, dann ein gelbes. Es mögen dreißig Meter sein bis zu diesen stechenden Lichtbündeln, die niemals etwa die Positionslaternen der Jacht sind. Sie liegen zu tief.

Hodutu (wir stehen im Finsteren auf der Pinasse) ruft mir abermals ins Ohr: „Schließen wir das Wassertor, Herr! Kehren wir zurück!!“

Seine Stimme ist seltsam schrill.

Ich ahne, daß da draußen Dinge sich abspielen, deren Zeuge ich nicht sein soll. Auch Yko San verrät dieselbe Erregung, – mühsam drücken wir das gewaltige Tor zu, und das Abenteuer scheint beendet. Wir treten den Rückweg an, wir haben die Pinasse wieder vertäut, aber der alte Hodutu hat noch den Wunsch, vor dem Buddha eine kurze Andacht zu verrichten. Auch Yko San wirft sich neben ihm vor der vergoldeten Statue des Allweisen nieder, und in einem der Räucherbecken verbrennen sie wohlriechende Stäbchen, deren Duft den scharfen Geruch des Karbolineums mildert. Immer mehr der Räucherstäbchen opfern sie, Rauchwolken steigen hoch, – – ich stehe noch auf dem Kai, und der Lichtstrahl meiner Laterne fällt auf das dunkle Wasserbecken der Grotte und ruft seltsam violette Reflexe hervor, die mir etwas unnatürlich erscheinen. Ich schaue schärfer hin, und da ist mir’s, als ob in den Tiefen des Wassers ein blasses Leuchten glüht, – ich mag mich täuschen, es mögen riesige Leuchtquallen sein oder Polypen mit leuchtenden Augen. Meine Aufmerksamkeit wird abgelenkt, denn meine Nase vermittelt mir abermals neue Eindrücke … Ich rieche neben dem Duft vom Altar her und neben dem beizenden Karbolineum einen nicht minder eindringlichen chemischen Dunst, kann jedoch nicht herausfinden, was es sein könnte.

Endlich erheben sich dort vor mir die beiden Andächtigen, Hodutu winkt, und ich schreite vorwärts …

„Wo ist Men Huleb?“ fragt Yko San seltsam überstürzt.

Ich kenne Men’s Vorliebe für eigenmächtige Streifzüge. Ich pfeife …

„Er wird schon kommen, Yko San.“

Aber er kommt nicht.

Ich pfeife nochmals …

Irgendwie ist mein Mißtrauen erwacht.

Yko San und Hodutu tauschen heimliche Blicke und Zeichen. Ich werde stutzig … Was mir bisher hier verschwiegen wurde, – die Nebenrolle, die ich hier als nur Halbeingeweihter spielte, wird mir mit einem Schlage klarer denn je bewußt, – ich bin hier einziger Europäer inmitten einer Schar fanatischer Asiaten, die sich für meinen Bruder Simisatto in Stücke reißen lassen würden … – Was geht hier vor?! Narrt man mich, bin ich nur durch verwerfliche Winkelzüge in trügerische Sicherheit gebannt worden?!

Die Kluft zwischen Europa und Asien klafft urplötzlich im grellen Schein meiner hastenden Gedanken.

„Ohne Men Huleb verlasse ich die Grotte nicht,“ – und mein Ton ist so schroff, daß der alte Hodutu sich zusammenduckt und Yko San den Kopf wegwendet.

„Hallo, Men, – hierher ..!!“

Noch nie hat der Befehl versagt …

„Vielleicht ist er am Wasserfall und hört dich nicht, Herr,“ murmelt Hodutu eilfertig.

Ich laufe in den Höhlengang hinein, das Laternenlicht trifft die Rückseite der stürzenden Wassermassen …

Kein Men Huleb – auch hier nicht!

Aber auf dem feuchten Felsboden schimmert es rötlich – rote Tropfen liegen da, meine Fingerspitze, meine Nase prüfen sie: Blut, ganz frisches Blut!

In solchen Augenblicken arbeitet das Hirn mit rasender Geschwindigkeit. Ich denke an meinen Versuch, Elsies Vorgehen gegen mich in milderer Entstellung abzuschwächen, – – sollten die Japaner in mir jetzt etwa einen Feind wittern, ist die Stimmung umgeschlagen?!

Und jäh spüre ich wieder in mir die tatkräftige Wildheit jener Momente, in denen ich nichts als rücksichtsloser Draufgänger sein kann …

Der Schüler besinnt sich auf sich selbst, der Mann, der vor Tagen noch lachend auf seinem Riff die Bleiwespen surren hörte, wird zum Richter und Abenteurer. Die Pfade abseits vom Alltag mögen für Zeiten ohne Dornen sein, – jetzt stechen mich die Dornen des Argwohns, und meine Hand führt zum Gürtel …

„Hodutu, was geschah hier?! Da ist Blut!“

Der Alte und seine Mitwisserin verfärbten sich …

„Hodutu, ihr treibt hier falsches Spiel! Aber ihr kennt mich nicht!! Woher das frische Blut?! War euch Men Huleb im Wege?! Schlich noch einer von euch vielen hinter uns drein und fing mein Tier mit der Schlinge wie damals der schuftige Chinese auf der Jacht?!“

Hodutus Unterkiefer sinkt … schlottert …

„Herr, es … es wird sich alles aufklären. Glaube mir!“

Und Yko Sans Stimmchen bestätigt: „Bruder Olaf, niemand tat Huleb etwas zuleide. Er wird in der Burg sein.“

Ich lache ihr in das geschminkte Gesicht.

„Dann ist Huleb wohl durch den Wasserfall nach drüben gesprungen – wie?! – Ihr lügt!!“

Und Coy Calas Schüler spürt die Blässe der Wut …

„Hände hoch, ihr beiden! Her mit euren Waffen! Her damit . .!!“

Seltsam – sie gehorchen sofort, und Yko San sagt nur mit leisem Vorwurf: „Du wirst dich nachher schämen, Bruder Olaf!“

Mag sein. Ich will sicher gehen. Hodutu muß die Schleuse schließen … Wir sind drüben, ich lasse die beiden nicht aus den Augen.

Wir öffnen drüben wieder die Schleuse, der Fluß braust wieder in die Tiefe, – und wieder sehe ich auch hier in den Tropfsteinhöhlen einzelne Blutflecke …

Als wir die Burg erreicht haben und in dem untersten Flur stehen, erblicke ich neben den Wachen der Steinpforte ein greises Gesicht mit weißem Bart …:

Tainio!

„Du – – du hier, Tainio?!“

„Fürst Simisatto erwartet dich auf deinem Zimmer, Herr … Er hat Men Huleb bei sich. Ich hoffe, du warst um dein Tier nicht zu sehr in Sorge.“

Yko Sans[7] silbernes klingendes Lachen treibt mir eine Blutwelle zur Stirn.

„Bruder Olaf, ich wußte es ja …“ – und ihre Hand streichelt die meine, und ich schiebe beschämt die Pistole in den Gürtel zurück.

 

11. Kapitel.

Iwakuras Tod.

Der greise Tainio, dessen Greisentum freilich wie ein lustiger Spott auf das nahende dreiundachtzigste Lebensjahr ist, zwinkert nur ein wenig mit den Schweinsäuglein, als ich Yko San und Hodutu, der ganz bescheiden grinst, die Waffen zurückgebe. Er ist jedoch zu taktvoll, die kleine Unstimmigkeit und Verkennung der Sachlage durch mich noch irgendwie zu erwähnen. Er geht an meiner linken Seite durch die Flure, über Treppen, durch hohe Hallen, und dann zögert er und öffnet die hellblau lackierte Tür eines Saales, der bisher stets verschlossen war. In diesem Raume, der mit blauer Seide ausgeschlagen ist und der ein halbes Dutzend Altäre aufweist, während von den Wänden alte Waffen, alte Gemälde, Rüstungen und anderes herabwinken und an die blutige Entwicklungsgeschichte Japans erinnern, stehen auch fünf Bahren aus Bambusholz, bedeckt mit gelber Seide, unter der sich fünf reglose Leiber abzeichnen.

Tainio verneigt sich vor den Toten, opfert ihnen fünf neue Räucherstäbchen und hebt dann das eine Totenlaken empor.

Ich erkenne Tainios älteren Enkel Tanu, einen Mann von herkulischem Körperbau, wie man dies in dem meist unter Mittelgröße bleibenden Volke der mächtigen Inseln des Mikado zuweilen antrifft.

„Drei Kugeln,“ sagte der Greis stolz. „Und sechs Chinesen.“

Ich verstehe sofort. Ich denke an die Schüsse am Buchtufer, und auch die mir so verfänglich erscheinenden Blutflecken sind nun erklärt.

„Wo blieb die Jacht, Tainio?!“

Er bedeckt die Leiche wieder, und seine brüchige harte Stimme wird geheimnisvoll wie die eines Märchenerzählers.

„Die Bucht im Norden, Herr, von der auch die Grotte gespeist wird, ist sehr tief. Man berichtet, daß dort die Seeschlange Rai wohne, die du auf so vielen japanischen Gemälden finden kannst. Sie hat einen Kopf wie eine Plattform aus Eisen, und sie trug den ersten Mikado von fremden Ländern nach den Inseln der Aino, die wie Barbaren lebten und erst sterben mußten, damit mein Volk aus dem blutgedüngten Boden als starke Reispflanzen emporwüchse. Die heilige Rai (sprich Ra-hi) verwandelte die Pflanzen in Krieger des Mikado, und Japan wurde groß und stark. Vielleicht hat Rai die Jacht in die Tiefe gezogen.“

Ich hätte Tainios Märchen korrigieren können. Die Rai waren die Praus malaiischer Seeräuber, und der Mikado war ein malaiischer Piratenführer, der unter den Ureinwohnern Japans ein schreckliches Blutbad anrichtete, während jetzt wohl eine Bombe die Jacht „Elsie“ wegsacken ließ.

Tainio führte mich weiter, nachdem er abermals den Toten seine Ehrfurcht bezeigt hatte. Still schritten wir meinem Zimmer im Nordteil der Burg zu, ich fragte nichts mehr, denn ich wußte jetzt, daß Lord Morspam und die Überlebenden der „Elsie“ Freiwild auf Ikima waren, – Bestien, eingesperrt durch die unendlichen Wassergräben des Ozeans, Gefangene inmitten der Felsen, Sümpfe und Urwälder und Vulkane dieser Insel, von der es kein Entweichen gab.

Das wußte ich. Vieles andere wußte ich noch nicht.

Vor meiner Tür blieb Tainio zurück.

„Herr, wappne deine Seele mit Stahl,“ flüsterte er. „Der Fürst soll nichts übereilen.“

Er schaute mich bittend an, und auch da verstand ich ihn. Seine gereiften Jahre hatten das Ungestüm vorschnellen Handelns verlernt, seine erprobte Weisheit war in Widerspruch geraten mit Simisattos allzu jugendlichen Wünschen, einem lodernden Haß diejenigen preiszugeben, die nun in seiner Gewalt waren.

Simisatto saß links auf dem Bambussofa mit den vielen bunten seidenen Kissen, und neben ihm lag Men Huleb, der sofort mir entgegensprang und mit einem Satz in meinen Armen war. Huleb tat ganz so, als hätten wir uns tagelang nicht gesehen, aber seine Freude und Zärtlichkeit entbehrt nie einer gewissen selbstbewußten Mäßigung, als ob er sich darüber klar wäre, daß ein Tier in seiner Größe und Stärke nicht in weichliche Sentimentalität verfallen dürfte.

Dann setzte ich ihn auf den Teppich und reichte Simisatto die Hand, der mir ebenfalls entgegengekommen war und der heute zu meinem Erstaunen die bunten altjapanischen Prachtgewänder seiner Ahnen trug, so daß er mir in diesem theatralischen Aufputz etwas fremd erschien, zumal diese Umgebung – die Möbel waren fast sämtlich nach europäischem Muster gearbeitet – zu seiner Erscheinung wenig paßten.

Ich begriff, daß lediglich eine besonders feierliche Veranlassung Simisattos Vorliebe für Bügelfalten und gestärkte Kragen und schöne Krawatten zurückgedrängt haben konnte.

Er sagte denn auch, indem er meine Hand noch fester drückte:

„Iwakura sitzt auf dem die Zunge lösenden eisernen Dreibock, und auch sein Sohn, der Knabe, befindet sich in der Burg. Es ist eine heilige Nacht, Bruder Olaf, denn die Wahrheit wird jetzt endlich ein Papier füllen, und Iwakuras Geständnis wird zusammen mit dem lebenden Anstifter der Morde an den Meinen nach Tokio gebracht werden.“

Ich hatte des greisen Tainio ernste Mahnung noch in frischer Erinnerung, und wieder einmal mußte ich Diplomat sein, obwohl meine Gefühle für dieses Konsortium von Schurken kaum milder waren als die Simisattos.

„Ich gratuliere dir, Simisatto … Meine Freude ist die deine … – Tainio zeigte mir die Toten, und …“

Simisattos Gesicht erschien gealtert. Er unterbrach mich.

„Nicht hier, Olaf … nicht hier! Es ist die Nacht der letzten Wahrheiten, und Tainio wird uns rufen. Setzen wir uns.“

Er hatte es nicht ganz leicht, denn in dem breiten seidenen Gürtel trug er drei kurze Schwerter gerade vor dem Leibe.

Er saß steif aufgerichtet da, seine Augen blickten geradeaus, und sein Mund war faltig und ohne Erbarmen.

Ein peinliches Schweigen folgte. Men Huleb lag auf meinem Schoße, ich hatte nach einer Zigarre gegriffen, es erschien mir jedoch unangebracht, jetzt zu rauchen, ich legte sie wieder weg und … wurde nervös. Der Sturm, den das Gewitter als Nachzügler hatte, stieß gegen die schweren Vorhänge der Fensterlöcher, und die Metallringe klirrten an den Messingstangen, und der gebauschte Stoff drohte die Ringe zu sprengen. Der Orkan heulte und pfiff in allen Tonarten in den Zacken und Klüften der gigantischen Naturburg, tiefe Orgellaute wechselten mit schrillem kurzem Aufschrei ab, – gequälte Dämonen schienen die Simisatto-Burg zu umflattern.

Das Schweigen zwischen uns ward Qual.

Wir Europäer besitzen niemals diese unerschütterliche Fähigkeit des Abwartens wie die Asiaten. Simisatto machte es nichts aus, versteinert zu harren, bis Tainio käme …

Und dann?!

Wenn ich scheu in Simisattos veränderte Züge blickte, ward mir zur Gewißheit, daß auch mein Einfluß hier kaum ausreichen würde, den jüngsten Fürsten Iwakura, Vater eines Sohnes, von dem gräßlichen Eisensitz zu retten, auf dem auch Men Huleb beinahe tödlich verbrannt wäre.

„Ist auch Morspam in deiner Gewalt?“ fragte ich scheinbar ohne besonderes Interesse.

„Ja. Er ist auf der Insel, und das genügt. Morgen werden wir ihn haben.“

Allzu schnell pochte Tainio da, verneigte sich und öffnete die Tür ganz weit.

Auch er trug Nationalgewand, auch er hatte in dem Seidengürtel ein langes, gekrümmtes Schwert. Seine schwarzseidenen Schuhe waren rot bestickt, – die Simisattos zeigten reichste Goldblumen. – Im Flur warteten acht Japaner in gleicher Tracht mit einem seidenen Baldachin, der fast so breit wie der Flur war und der sehr alt sein mußte, denn die Seide war zerschlissen, und die Öllampe, die in der Mitte hing, schaute sicherlich auf viele Jahrhunderte zurück.

Ein flüchtiger Gedanke kam mir an Bilder von der Thronbesteigung eines Mikado, die ich einst irgendwo gesehen hatte. – Englands traditionelle Bräuche werden von den starren Zeremonien des östlichen Inselreiches noch weit übertroffen.

Dennoch war nichts Lächerliches bei diesem bescheidenen Pomp, mit dem Fürst Simisatto sich in den Tempel der Burg begab, einem achteckigen Raum, dessen kostbare Ausschmückung, Bildwerke und Geräte Millionenwerte darstellten. – Simisatto hatte die Insel Ikima verkauft, weil er nach seinen Begriffen verarmt war. Das Geheimnis dieses gigantischen spitzen Felskolosses hatte er nicht verkauft, erst recht nicht das heilige Erbe seiner Väter, das nun hier in diesen Granitwänden untergebracht war …

Der Tür des Tempelraumes gegenüber erhob sich auf einem Podium aus bunten lackierten Hölzern der Prachtaltar mit dem hölzernen Buddha, einer grob geschnitzten Statue, die nur der Kenner richtig bewerten konnte.

Vor dem Podium stand auf dem geglätteten Steinboden der eiserne Dreibock. Ein nackter Japaner saß in Ketten auf dem Eisenring unter der gefüllten Eisenschale, das Gesicht dem Gotte zugekehrt.

Linker Hand hatten die Leute der Burg Aufstellung genommen, alle in bunten alten Trachten. Vor ihnen saß Elsie Morspam in einem mit schwarzer Seide belegten Sessel. Unsere Augen trafen sich, sie war bleich und erschöpft, und ihre im Schoße verschlungenen Hände kamen nicht zur Ruhe.

Rechts wieder auf einem kleineren Podium nahm Simisatto Platz, winkte mir, und die beiden Elfenbeinsessel bewiesen, daß ich hier als ihm gleichgestellt betrachtet wurde. Hinter uns standen Yko San, Tainio, Hodutu und Tenno, der Funker.

Ich sah nur das Profil Iwakuras, des Opfers. Iwakura blickte starr geradeaus.

Schwere Weihrauchwolken durchzogen den Raum, stiegen aus goldenen Schalen hoch …

Erinnerungen blitzten in meinem Hirn wie verschwommene Bilder, die nur den Bruchteil einer Sekunde beleuchtet werden, schemenhaft auf. Ich gedachte jener Höhle im heiligen Berge der Affen, wo die Mumie der abessinischen Kaiserin, sorgsam behütet, auf uraltem Throne saß und wo zwei Liebende sich nach ernster Läuterung gefunden hatten.

Hier?!

… Ich sah Elsies verstörtes Gesicht, und ich ward mir abermals bewußt, daß ich hier einen schweren Kampf ausfechten müßte, damit Simisatto nicht Torheiten beging, die ihm für immer die Heimat versperrten.

Simisatto saß wieder steif aufgerichtet da, und sein Mund war noch erbarmungsloser.

„Iwakura,“ sagte er schrill, „ich frage dich nochmals, ob du bereit bist alles zu gestehen, was mit der Ermordung meines Vaters und meiner Brüder zusammenhängt?“

Der nackte Mann auf dem eisernen Folterstuhl, der nur ein Hüfttuch trug, erwiderte ebenso schrill: „Ich habe nichts zu gestehen, – du bist ein Lügner und Mörder, Simisatto.“

„Wer tötete meinen Vater und meine Brüder?“ fragte Simisatto kalt. „Du warst dabei! Du bist ein Feigling! Ihr wart Feiglinge, ihr mordetet und täuschtet das heilige Harakiri vor. Ihr habt euren Namen mit Schmach belastet, ihr habt keinen Namen mehr … Ich verachte euch. Ihr habt euch mit dem Schurken Morspam verbündet, ihr habt mich betrogen, ihr habt durch niederträchtige Machenschaften unser Vermögen an euch gerissen, bis ich gezwungen war, Ikima zu verkaufen …“

Ich blickte zu Elsie hinüber. Sie war totenbleich, ihre Augen sprühten …

„Das – ist nicht wahr – niemals!“ gellte ihre helle Stimme. – Sie suchte sich zu erheben, sank aber wieder kraftlos zurück …

Simisatto sagte nur: „Sie wissen nichts, Miß Morspam, das glaube ich Ihnen. Ihr Vater ließ Sie damals, als die Intrigen begannen, nach Schanghai zu Bekannten bringen, – als Vorwand diente ihm ein drohender Aufstand seiner Plantagenarbeiter in Küenling. – Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“

„Es mögen zwei Jahre her sein!“ rief Elsie voller Verachtung. „Das wissen Sie doch am besten, Simisatto, – Ihre Spione waren doch dauernd in Schanghai. Jedenfalls lasse ich meinen Vater nicht schmähen, – ich kenne ihn, er hätte niemandem ein Unrecht zugefügt, er war sogar zu gutmütig, er hat unsere Arbeiter zu milde behandelt, er duldete Hetzer und Aufwiegler, er glaubte an das Gute im Menschen, er …“

Sie hielt erschöpft inne und sank noch mehr in sich zusammen, kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen ganz umsonst an und wandte ihr feuchtes Antlitz rasch zur Seite.

Sie tat mir aufrichtig leid, aber ich hatte abwarten wollen, bis sie sich nochmals über ihren Vater hier vor Simisatto und diesen anderen grimmen Fanatikern reinen Herzens und mit der überzeugenden Kraft der Kindesliebe geäußert haben würde.

Simisatto schaute verlegen und unsicher drein. Es war an der Zeit, den Dingen die Wendung zu geben, die ich als letzten Ausweg erachtete.

Elsie kam mir zuvor. Dieses Mädchen war so viele Jahre in der Einsamkeit der Küenling-Plantagen Formosas auf sich selbst angewiesen gewesen, daß die Zwischenzeiten inmitten europäischer oder europäisch-asiatischer Zivilisation ihren starken Charakter kaum wesentlich hatten beeinflussen können. Sie besaß Charakter, Mut, Entschlossenheit und nebenher noch den geschärften Verstand einer umfassenden Bildung.

Der Anfall von Bedrücktsein und Niedergeschlagenheit war vorüber, und die Empörung flammte in ihr wieder auf. Sie erhob sich rasch, trat neben den Angeketteten und fragte schroff:

„Iwakura, Sie besuchten uns vor drei Jahren ein einziges Mal in Küenling. Ich besinne mich sehr gut darauf. Sie gefielen mir, da Sie bescheiden und doch sicher und taktvoll sich benahmen. Sie blieben nur einige Tage. Trauen Sie meinem Vater derartige verbrecherische Handlungen zu?!“

Der Japaner hob den Kopf und schaute sie an.

„Nein, Miß Morspam … Damals hielt ich ihn für einen Ehrenmann. Seine Plantagen galten für Musterwirtschaften. Die Regierung selbst hatte mich hingeschickt, und …“

Er blickte wieder weg, zuckte leicht die Achseln, als ob er jedes weitere Wort für zwecklos hielte, und starrte wieder den heiligen Buddha an.

„Du gestattest, Simisatto …“ – Meine Stunde war da. „Miß Elsie, eine Frage … Haben Sie einen Onkel väterlicherseits, hat Ihr Vater einen Bruder?“

Ein Schatten glitt über ihre Züge, auf ihrer Stirn erschienen tiefe Falten. „Leider!“ erklärte sie ablehnend. „Mein Vater sprach nie mehr von Onkel James …“

„Sagen Sie alles,“ bat ich warnenden Tones. „Hier ist eine Schurkerei vorgefallen, deren Einzelheiten noch schlimmer sind, als bisher bekannt. – Weshalb verließ Ihr Vater vor zehn Jahren England und kaufte Küenling?“

Elsie antwortete heiser: „Weil der Name Morspam entehrt war, weil James Morspam in Indien wegen Mordes zur Deportation nach der Gonnard-Insel verurteilt wurde … deshalb!“

„Geben Sie mir bitte Ihr Medaillon …“ meinte ich vielleicht noch wärmer … Und Sie, Fürst Iwakura, mögen mich über eins aufklären: Haben Sie Lord Morspam erst jetzt wiedergesehen? Fanden Sie ihn nicht sehr verändert?“

Der Mann in Ketten nickte. „Er hatte mich telegraphisch nach Küenling bestellt. Dort kam ich an Bord der Jacht, dort sah ich ihn nach drei Jahren wieder. Er hatte sich sehr verändert.“

„Ja, – weil es gar nicht mehr Lord Cecil Morspam ist, sondern James Morspam, ein flüchtiger oder vielleicht auch begnadigter Sträfling … Das ist ein Teil der Lösung vieler Unklarheiten.“

Elsie hatte mit schlaff herabhängenden Armen meine Worte förmlich in sich hineingesogen.

„Hier ist das Medaillon,“ stieß sie hervor …

Ich zeigte Simisatto das scharfe Bild.

„Da, – Ähnlichkeit ist vorhanden, aber nur Ähnlichkeit, die durch …“

Simisatto sprang empor. „Dies ist nicht der Mann, den ich als Lord Morspam kennenlernte …!“ Er war sichtlich bestürzt. Er war aber auch großzügig genug, sofort hinzuzufügen: „Ich weiß, daß Ihr Vater vor zwei Jahren sein ganzes Personal entließ und Robinson Tupperdyl, sein Bevollmächtigter, neue Leute einstellte …“

„Nicht Lord Morspam,“ fiel ich ein, „sondern James Morspam tat dies.“

Elsie schwankte plötzlich, – ich griff zu, stützte sie … Ihre übergroßen Augen in dem starren Gesicht erschreckten mich.

„Dann … ist … mein Vater … auch beseitigt worden,“ flüsterte sie zitternd. „Gott im Himmel, – – und ich – ich bekam von seinem Mörder Briefe nach Schanghai, immer nur in Maschinenschrift, – die zärtlichsten Briefe …“

Simisatto stand neben uns, die Japaner umdrängten uns, das Feierlich-Grausige, mit dem diese Stunde begonnen hatte, war zerflattert, und aller Mienen drückten nur Teilnahme für dieses arme Mädchen aus, das schuldlos mit in eine finstere Verschwörung hineingezogen worden war.

In diese Totenstille, die Elsies verzweifeltem Ausruf folgte, drang aufreizend das Klirren der Ketten des Mannes auf dem eisernen Dreibock – wie eine Mahnung, daß bei ihm der Schlüssel zu dem anderen Teile der Untaten läge.

Simisatto beugte sich über ihn. „Iwakura, unsere Ahnen kämpften einst Seite an Seite für den Mikado … Iwakura, gib der Wahrheit die Ehre … Vielleicht bist du schuldlos wie Miß Elsie, der ich unendlich viel abzubitten habe. Sprich!! Waren die Deinen Mörder, verführt durch einen Verbrecher, der es auf diese Insel und ihre Schätze abgesehen hatte?“

Iwakura nickte schwach. „Es – war so, Simisatto … Mich weihte man nicht ein, mich schickte mein Vater fort, als der angebliche Lord Morspam bei uns tagelang wohnte … Ich schöpfte Verdacht, – – und ich kam zu spät, Simisatto … Ich werde alles vor Gericht bekunden, – die Meinen waren die Täter, und Morspam war mit dabei. Ich schwieg, man glaubte mich in Tokio, auf mich fiel kein Verdacht, nimm mir die Fesseln ab, ich werde alles niederschreiben, – laßt mich hier allein.“

Nur die Japaner begriffen, was diese letzten Worte bedeuteten.

Simisatto bat mich, Elsie hinauszuführen. Ich sah nur noch, wie Iwakura sich erhob, wie Simisatto ihm eins der Schwerter der alten Samurai reichte und wie Iwakura die Klinge küßte. –

Eine Stunde drauf war Fürst Iwakura tot.

Tainio holte mich in den Tempel.

Vor dem Buddhaaltar lag der Tote auf einem kostbaren Teppich in einer großen Blutlache, prächtig gekleidet, – über seiner Brust lag das blanke Schwert …

Harakiri … Freitod derer, die die Ehre verloren haben …

 

12. Kapitel.

Um Lord Morspam.

… Nächte, die keine Müdigkeit kennen, Nächte, in denen sich die Ereignisse jagen, in denen die Nerven zittern und Geist und Körper wach halten und anspornen zu unerhörten Leistungen …

Viele solcher Nächte habe ich kennen gelernt, und jede hatte eine andere Umwelt, jede hatte anderes Geschehen.

– In meinem Zimmer saßen Menschen beieinander und lauschten den wohlgeformten Reden Simisattos, der uns soeben Iwakuras Geständnis vorgelesen hatte.

Uns …

Da waren auf dem Bambussofa in weichen bunten Kissen zwei Mädchengestalten halb vergraben, bisher Gegnerinnen, – jetzt hielt das Püppchen Yko San die Hand Elsies und zwang sie immer wieder durch liebevollen Zuspruch, von dem schweren Weine zu nippen.

Da waren Simisatto, die beiden treuen Alten Tainio und Hodutu, da war auch Men Huleb auf meinem Schoße, und meine Finger krauten sein durch das Feuer vernichtetes Fell ganz sanft.

„… Ich glaube nicht, Miß Elsie, daß Ihr Onkel es gewagt hat, Ihren Vater zu beseitigen, denn die Gefahr, daß sein trügerisches Spiel aufgedeckt würde, ist zu vielfach, er wird ihn irgendwo gefangen halten, und Bruder Olaf nickt mir beipflichtend zu. Wir werden ihn finden, denn morgen wird James Morspam hier in dieser Burg auf dem eisernen Stuhle der Wahrheit sitzen, und ihm soll nichts erspart bleiben.“ So sprach Simisatto ohne Leidenschaft. Vielleicht deshalb klangen seine Worte noch drohender, noch unbeugsamer.

„… Ich habe die Jacht versenkt, ich habe sie gerammt, aber ich hatte nur zwölf meiner Getreuen bei mir, und uns lag daran, zunächst Iwakura zu fangen. Der Kampf am Buchtufer war zu ungleich für uns, Morspam rettete sich mit seinen Gästen und dreißig Chinesen an Land, – morgen werden wir die Insel säubern, Miß Elsie, und ich werde Ihnen und Olaf das zeigen, was noch kein Europäer sah, wonach Morspam suchte, weil er wußte, es müsse hier vorhanden sein: Schima Wara, die stinkenden Wasser! – Seien Sie getrost, Miß Elsie: Ihr Vater lebt! Und jetzt – bitte, begeben Sie sich zur Ruhe. Auch du, Yko San. Wir Männer werden beraten.“

Die Mädchen gingen. Elsies Hand ruhte lange in der meinen, sie wollte sprechen, ihre Augen schimmerten feucht, – dann fragte sie leise:

„Hegten Sie schon längere Zeit den Verdacht, daß der Besitzer der Jacht nicht mein Vater sei?“

„Ja, – aber Verdacht ist wohl zu viel gesagt. Mir stieß das eine auf, daß er so gleichgültig blieb, als er hörte, sein Kind sei in Simisattos Gewalt. Diese Gefühlskälte überraschte mich, denn auch Verbrecher pflegen an ihren Kindern sehr zu hängen, und Sie, Elsie, waren doch für Simisatto eine sehr wertvolle Geisel, dachte ich … und hier sah ich dann das Medaillon, – – vergessen Sie das alles am besten, Elsie, man soll so Häßliches austilgen, und es wird Ihnen gelingen … Yko San mag diese Nacht bei Ihnen bleiben … Gute Nacht.“

Simisatto, der wieder einen hellen Tropenanzug trug und ganz Gentleman war, geleitete die Mädchen zu ihren Zimmern, – seltsamerweise schloß sich auch Men Huleb an, und ich war überaus erstaunt, daß er nachher mit Simisatto nicht zurückkehrte, sondern dieser mir erzählte, Freund Men hätte sich’s sofort zu Füßen von Elsies Bett behaglich gemacht. – Mir scheint, ich habe Men Huleb noch immer unterschätzt. Sein überaus feiner Instinkt muß ihm wohl gesagt haben, daß Elsie eine treue Seele in dieser Nacht nötiger hätte als ich. –

Männer enthüllen ihre persönliche Eigenart vielleicht am besten bei Gelegenheit einer Beratung, die sich mit der kitzlichen Frage beschäftigt, eine Bande von tadellos bewaffneten Strolchen verschiedener Hautfarbe möglichst unblutig aus dem Wege zu räumen. – So etwa dachte ich, als der greise Tainio bei diesem Kriegsrat allen Ernstes vorschlug, die an der Bucht lagernden „Schiffbrüchigen der Jacht“ einfach auszuhungern.

„Das kann eine Woche dauern,“ erklärte Simisatto sehr ablehnend. „Gewiß, wir könnten sie durch Kugeln von dem Walde fernhalten, wo sie Früchte fänden, aber auch sie würden schießen. – Hodutu, dein Vorschlag.“

Hodutu verneigte sich. „Erhabener Herr, du willst Morspam lebend fangen. Es ist am besten, ich gehe als Unterhändler zu ihnen und kläre sie darüber auf, daß ihr Leben in unserer Hand liegt. Ich kenne die Chinesen. Sie werden, um sich zu retten, die anderen überfallen und uns ausliefern.“

Simisatto schüttelte wieder den Kopf. „Morspam wird dich erschießen, bevor du drei Sätze gesprochen hast.“

„Ich bin alt, erhabener Herr,“ meinte der treue Diener bescheiden. „Aber deine Weisheit mag entscheiden.“

Simisatto rauchte gelassen eine dünne Zigarette. „Wir jagen sie in die Sümpfe,“ erklärte er. „Mein Bruder Sadato kaufte vor Jahren nicht nur Schiffe auf Abbruch, sondern auch ein Maschinengewehr, und dieses ist in Ordnung. Sie werden fliehen, und in den Sümpfen werden sie sich ergeben.“

Ich fand, daß alle drei keine großen Strategen waren.

„Und du, mein Bruder?“ wandte sich Simisatto mir zu.

„Ich schlage vor, wir gehen schlafen,“ sagte ich prompt. „Ein ausgeruhter Acker trägt fünffache Frucht, und ein ausgeruhter Kopf findet bei Sonnenschein die besten Gedanken.“ Dann gähnte ich kräftig, und dieses Zeichen genügte für meine höflichen Freunde, mir beizupflichten und sich zu verabschieden.

Die japanische Kaffeemaschine aus getriebenem Kupfer hat mir bisher den Schlaf verscheucht, und ich habe in meinem Tagebuch nachgeholt, was in dieser Nacht sich ereignete. Ich glaube, ich habe sechs Tassen Mokka getrunken und drei lange Zigarren geraucht. Ich frage mich jetzt: Was könnte ich noch aufzeichnen, was gäbe es noch zu erwähnen? – Vielleicht die Fragen, die immer wieder in mir auftauchen: Wie gelangte Simisatto in die Burg, wie konnte er Men Huleb mitnehmen, und wo befindet sich das Fahrzeug, mit dem er die Jacht derart rammte, daß sie in kurzem wegsackte?! Von den „Stinkenden Wassern“ will ich schon gar nicht reden.

Inzwischen ist es draußen hell geworden, meine stark mitgenommene Armbanduhr zeigt die fünfte Stunde an, und – ich müßte mich vernünftigerweise niederlegen.

Men Huleb fehlt mir. Wie leicht gewöhnt man sich doch an ein Tier, das durch seine Intelligenz einem Menschen so viel zu geben vermag, wie mein schlauer Hundsnasenaffe, der nebenbei noch ein nicht zu unterschätzender Wächter und Fährtensucher und Hüter seines Herrn ist. Ich vermisse meinen Men, und die leise Nervosität, diese gewisse Unruhe, wird wohl darauf zurückzuführen sein, daß diese Einsamkeit hier in meinem stillen Zimmer mich an die einsamsten Tage meiner Wanderjahre mahnt.

Auch draußen ist’s still. Der Sturm hat ausgetobt, nur die Vogelkolonien der Burg begrüßen den heraufziehenden Morgen mit ihren vielfachen Stimmen und Stimmchen, und das zärtliche Gurren der Tauben erinnert mich an Yko Sans stürmische Liebesbeweise, die der brave Hodutu rechtzeitig störte.

– Ich bin vorsichtig auf die Felsenloggia hinausgetreten und habe in sicherer Deckung wieder einmal das zu meinen Füßen ausgebreitete Panorama genossen. Man muß die Natur so lieben wie ich, um durch wechselvolle Landschaftsbilder, die von der großen Weite des Ozeans eingerahmt sind, Kraft und Erbauung zu schöpfen und mit sich selbst und den eigenen Schwächen abzurechnen. Ich habe die erhabene Starrheit des steilen Kanons mit den düsteren Felsmassen und drüben den grünen Urwald mit seinem Netzwerk von Unterholz und Lianen und der Schönheit seiner riesigen Wipfeldächer angestaunt und deutlich empfunden, daß dieser strenge Kontrast zwischen zäher steinerner Unfruchtbarkeit und üppigstem Wachstum auch in den Seelen der Menschen sich vorfindet. Völlige Ausgeglichenheit wird man umsonst suchen, sie wäre auch langweilig und gebührt nur jenen seltsamen Käuzen, die da wähnen, durch ein weltabgeschiedenes Eremitendasein zu innerer Vollkommenheit zu gelangen. Leben ist Kampf und Bewegung und stets Erneuerung, mein Leben besitzt das rasche Tempo unserer Zeit, obwohl es sich abseits der großen Steinwüsten der Weltmetropolen abspielt.

Und dann steht plötzlich Elsie hinter mir …

„Ich hätte eine Bitte, Olaf …“

Im Morgengrauen erscheint ihr schmales Gesicht fremd und verfallen.

„… Ich kann nicht warten, Olaf … Die bange Sorge um meinen Vater hat mich hier zu Ihnen gescheucht. Yko San schläft …“

Hinter ihr erscheint mit gravitätischen Schritten Men Huleb und blinzelt mich an. Er ist sichtlich befangen, der gute Men, und erst als ich die Hand ausstrecke, ist er mit einem Satz in meinen Armen und drückt seine kühle Schnauze an mein Gesicht und legt mir den linken Arm um den Hals und grunzt ganz piano und entschuldigt sich, weil er in dieser Nacht bei Elsie Kavalier vom Dienst spielte.

Elsie späht nach Nordwest. Dort liegt die Bucht, aber man sieht sie von hier nicht.

„… Olaf, würden Sie mich begleiten … Vielleicht haben wir Glück … James Morspam wird vielleicht vom Lagerplatz sich entfernen, und …“

Es bedarf keiner weiteren Worte.

„Gut, Elsie, – nur vorher … in der Mokkamaschine ist noch ein Rest des braunen Herzgiftes, und Huleb wird nichts dagegen haben, daß Sie einige Kekse aus seiner Büchse knabbern.“

Wir stehen an meinem Sofatisch, und ich reiche Elsie unter anderem eine Pistole, – „Für alle Fälle, Elsie …!“

Dann wandern wir über die weichen Läufer der Flure und Treppen dieser Granitfestung, gelangen bis zum Unterbau der Burg, wo die beiden Posten vor der Steinpforte lehnen, und steigen hinab in den Schacht, der in die Tropfsteinhöhlen mündet.

Elsie trägt heute ein von Yko San entliehenes Sportkostüm, das ihr freilich sehr prall sitzt. Men ist stets zwanzig Schritt voraus, wir brauchen also keine Überraschung zu fürchten. Das Mädchen neben mir hat sich zwanglos in meinen Arm gehängt, die Laternen haben wir vor die Brust geknöpft, damit wir die Hände frei haben, und Lord Morspams Tochter spricht zu mir wie eine Schwester zu einem ihr lieben Bruder. Sie erzählt zum ersten Male ganz zwanglos von den großen Küenling-Plantagen, von ihrem Vater, von der … Leere ihres Daseins. „Mein Leben war ein Hin- und Herpendeln zwischen Küenling und dem heiteren Schanghai, zwischen Sport, Jagd, Zerstreuungen … Niemals, seit ich erwachsen, fühlte ich mich wahrhaft glücklich, Olaf. Papa verwöhnte mich, es gab für mich nichts mehr zu wünschen, und doch … der größte geheimste Wunsch blieb unerfüllt. Ich denke, wir reichen Mädchen empfinden alle so wie ich. Ich hätte schon mit siebzehn heiraten können … Doch gerade die Ungebundenheit und die Weite, die mir Küenling mit seinem unendlichen Gebiet bescherten, hatten mich doch vor törichter unreifer Schwärmerei bewahrt, ich war stets sehr kritisch veranlagt …“

Pause … Und dann mit schöner Ehrlichkeit, die bei Elsie durchaus nicht unweiblich wirkte: „Olaf, ich habe Sie sehr gern … Kommen Sie mit nach Küenling, werden Sie seßhaft …“

Ganz leise der Nachsatz: „Ich hoffe, Sie werden Ihre Jane vergessen …“

Um uns her ist das Klingen der fallenden Tropfen und das ferne Rauschen des in den Abgrund stürzenden Flusses. Seltsame Kalkgebilde glänzen feucht im huschenden Laternenlicht. Die kühle Luft lastet beklemmend auf der an Wärme gewöhnten Brust.

Elsie schaut zu mir auf, und sie lächelt ganz wenig. „Ich wäre auch mit Ihrer Freundschaft zufrieden, Olaf …“ sagt sie hastig.

„Die haben Sie bereits, Elsie …“

„Und – das Mehr, Olaf, – könnten Sie mich nicht erlösen von diesem Gefühl, daß mein Dasein zwecklos ist?“ Sie blickt wieder geradeaus. „Küenling ist ein Paradies, die Wälder und Berge von Formosa sind schön und so reich an allerlei Getier … Die Hochsteppe mit ihren breiten Gräsern und Büschen und Blumenfeldern zu Pferde zu durchstreifen, dem Raubwild nachzustellen, die in den Urwäldern noch immer so versteckt hausenden Wilden zu besuchen, – – zu zweien, Olaf, – – es muß herrlich sein …“

„Es ist herrlich, Elsie, und mir nicht fremd. In den Pampas Südamerikas jagten wir den Puma, und dort war ein schlichter rotbrauner Indianer mein Gefährte, – in Australien trabte ich über endlose Sandflächen, und ein Australneger war neben mir, die nubischen Wüsteneien kenne ich, – ich kenne die afrikanische Steppe, – – nirgends, Elsie, ward mir eine Heimat beschert, und die Insel, die mein Glück barg, versank, das wissen Sie, Elsie … – Ja, Kind, auch ich habe Sie gern. Aber mich binden, wo mein Herz auf Malmotta blieb, – nein, es wäre Betrug. Sie waren ehrlich, ich bin es. Freundschaft, Kameradschaft, dazu fühle ich mich stark genug. Das Andere, Elsie, – es wird niemals sein … Mein heißes Blut schenkte ich der Einen, mit der ich Malmottas Auferstehung erlebte. Und dann war da noch ein kleines gelbes spitzschnäuziges Tierchen mit übergroßen klugen Augen: Fennek! Jane und Fennek gehören für mich zusammen, beide waren mein, und beide werde ich nie vergessen, Elsie.“

Ich drückte ihre Hand, und ein warmer Tropfen fiel auf meinen Handrücken, noch einer.

„Es war dumm von mir …“ – Elsies Stimme klang belegt, aber der Ton war ungekünstelt wie bisher. „Olaf, ich … begnüge mich mit dem, was Sie mir geben können, doch eins versprechen Sie mir: Wenn wir meinen Vater gefunden haben, dann begleiten Sie uns nach Küenling …“

„Gern, Elsie …“

Wir machten halt. Vor uns rauschte der Wasserfall in einer Breite von sechs Meter in die unbekannten Schlünde hinab. Ich bückte mich, suchte den Schlüssel, – und langsam versiegten die strömenden Wasser, drüben die Fortsetzung des Höhlenganges wurde sichtbar, und …

Greller Lichtschein traf uns …

Eine höhnische harte Stimme befahl, und eine warnende Kugel fuhr mit unangenehmem Zischen an uns vorüber …

„Hände hoch, meine Lieben!“ kicherte Morspam, hinter dem drei Chinesen lauerten … „Ein freudiges Wiedersehen, Abelsen … Auch eine hohe Ehre, meine teure Nichte kennen zu lernen. Aber die Höflichkeitsphrasen haben Zeit … Springt herüber, falls hier bei uns nicht ein paar Pistolen versehentlich losgehen sollen … Es war jedenfalls sehr liebenswürdig, uns so zuvorkommend den Weg zu zeigen, den wir sonst kaum entdeckt hätten …“

Der Mensch gab sich keine Mühe mehr, seinen teuflischen Charakter zu verschleiern, aber – dumm war er, und gerade sein Befehl, über den Abgrund zu springen, gab mir die Gewißheit, mit diesen Kerlen doch noch fertig zu werden.

„Ich zähle!“ rief er … „Und bei „drei“ nehmt ihr den Anlauf – sonst!!“

Er wandte etwas den Kopf, flüsterte seinen Schergen ein paar Worte, und die drei Chins hoben die kurzen Karabiner.

Jetzt durchschaute ich den Unhold …

Springen sollten wir, im Sprunge erschossen werden und hinabstürzen in den Schlund, der nichts mehr herausgab, was er erst in seinen finsteren Armen hatte.

Elsie und ich standen nur drei Schritt vom diesseitigen Rande des Abgrundes entfernt, – meine Laterne hing etwas schräg, ein flüchtiger Blick zeigte mir dort unten einen Felsvorsprung, auf dem eine kleine Gestalt kauerte …: Huleb!

Seine Neugier hatte ihn wohl, ohne daß wir es beachteten, in die unbekannte Tiefe gelockt.

Ein Gedanke – ein blitzartiger Entschluß …

„Morspam,“ rief ich hinüber, „wohin haben Sie Ihren Bruder gebracht?! Mann, seien Sie barmherzig, Elsie fürchtet für sein Leben …!“

Er lachte brutal. „Ist unnötig, teure Nichte! Bruder Cecil, der ein so empfindliches Ehrgefühl besitzt, hatte die große Liebenswürdigkeit, an meiner Stelle die freundliche Sträflingsinsel zu beziehen. Man wird ihm in seinem Sträflingskittel, in dem wir ihn dort nachts an Land setzten und die Wächter dann alarmierten, kaum geglaubt haben, daß er der andere Morspam sei … – Ein netter Scherz, wie ihr zugeben müßt! Alles sehr fein durchdacht – alles, das Wachtpersonal war gerade abgelöst worden, und Geld tut das Übrige …! Seine Lordschaft dürfte zur Zeit am Hafen arbeiten, mit einer Kette am Bein und einem Eisenstück daran … – So, – ich zähle … Eins – zwei …“

Ich ließ ihn das „zwei“ nicht völlig aussprechen, packte Elsie, riß sie mit mir, sprang – sprang hinab, fiel auf die Knie, halb über Men Huleb, zog Elsie auf den Steinbalkon, – über uns weg flogen Flüche, Kugeln …

Sechs Meter unter dem Schluchtrand kauerten wir auf nassem Gestein, – – oben erschien ein spähender Kopf …

Schuß – Knall, – an uns vorüber saust ein armer Teufel in die gähnende schwarze Tiefe …

„Licht aus, Elsie!“

Dunkelheit dann …

Mag Morspam nur nach dem langen Schleusenschlüssel suchen! Er wird ihn nicht finden, der Fluß wird nicht wieder als Wasserfall hier hinabströmen, und vorläufig sind wir geborgen.

„Wo ist Huleb?“ flüstert die arme, übel zerschundene Elsie atemlos.

Ja – wo ist Huleb?!

Ich pfeife …

Ich krieche dicht an die Wand heran, – und fühle mit den tastenden Händen ein Loch …

„Elsie, hierher!!“

Die Öffnung genügt für einen kriechenden Menschen, und hinter ihr weitet sich der Gang, wir stehen gebückt, wir zünden die Laternen wieder an, eilen ins Ungewisse, – eine schmale Höhle hier, ich sehe das Gestänge der Schleusenhebel, ich sehe auch hier eine starke Kurbel, drehe … drehe … und höre den Fluß herniederprasseln, schäumend, gurgelnd …

Elsie lehnt mit blutig geschrammtem Gesicht am Gestein. Sie begreift noch immer nicht, daß wir gerettet sind, daß Morspam der Weg zur Burg versperrt ist, daß wir hier vielleicht das letzte Geheimnis von Ikima entdeckt haben.

„Kommen Sie, Elsie …“

Die Höhle steigt etwas an, macht einen Bogen nach Westen, – wenige Minuten später stehen wir in einer Wassergrotte, die dicht neben der Buddhagrotte liegen muß …

Hier hüpft Men Huleb wie besessen am steinigen Strande umher, knurrt, winselt, – und als wir die Laternen heben, erblicken wir auf dem dunklen stillen Wasser ein spindelförmiges Fahrzeug mit einem größeren und zwei kleineren Türmen: Ein U-Boot!

… Das sehen wir, – aber wir riechen noch anderes, und mit einem Schlage begreife ich die Bedeutung der „Stinkenden Wasser“ und den „Wert“ Ikimas: Petroleum, Erdöl!!

Es riecht hier so stark nach Naphtha, daß es uns lästig ist.

Elsie hat sich an meinen Arm geklammert …

„Olaf, ich verstehe nun alles …“

„Ich auch, Kind …“

Hinter dem einen runden Fenster des Turmes schimmert Licht. Ein Schatten gleitet über das Fenster hin, ein Mann entsteigt der Luke …: Tenno, der Funker!

„Hallo – – Tenno!!“

Er erkannte meine Stimme, sprang sofort in das kleine Beiboot und ruderte eilends an Land.

„Herr, du hier?!“

Ich ließ mir keine Zeit zu irgendeiner Erklärung. „Tenno, Morspam und die Chinesen sind in der Buddhagrotte … Sie müssen das große Steintor gefunden und geöffnet haben. Gibt es eine Möglichkeit, das Tor wieder zu schließen?“

Der junge Japaner starrte mich einen Augenblick erschrocken an, dann lief er davon, erklomm linker Hand eine schmale Galerie dicht unter der Höhlendecke und schien irgendeinen Hebel zu bedienen. Als wir ihn eingeholt hatten, deutete er stumm auf einen schmalen Schlitz im Gestein. „Sie sind nun eingesperrt, Herr … Es ist die Zeit des höchsten Wasserstandes, und sie können auch unter dem Steintor nicht tauchend in die Bucht gelangen. Das Tor hat einen Verschluß, Herr, wir hielten es jedoch nicht für nötig, die Riegel vorzuschieben, denn wir vertrauten der Unsichtbarkeit des Einganges.“

Als ich das Auge in den Sehschlitz brachte, konnte ich Morspam erkennen, der mit einer Laterne nach der Außenwand der Grotte hinüberleuchtete. Er stand auf der Anlegebrücke, und seine triefenden Kleider bewiesen, daß er wohl soeben noch versucht hatte, die Grotte schwimmend wieder zu verlassen. Sein Gesicht lag im Schatten, aber der Arm, der die Laterne hielt, zitterte, und seine schlaffe Körperhaltung bewies gleichfalls, daß er sehr wohl erkannte, was seiner wartete.

Ich stellte außerdem fest, daß die Felswand zwischen den beiden Wassergrotten kaum zwanzig Zentimeter stark war, – einzelne mit dunklem versteinerten Mörtel gefüllte Fugen beweisen auch, daß selbst hier Simisattos Bruder künstlich nachgeholfen hatte, beide Grotten völlig zu trennen.

Tenno hatte derweil einen neben dem Eisenhebel angebrachten Holzkasten geöffnet und einen Telephonhörer herausgenommen. Er sprach halblaut in die Muschel hinein, – ich verstand nur den Namen Morspam und Abelsen, – dann reichte er mir den Hörer …

„Hier Simisatto … – Olaf, geht an Bord des Bootes, es sind fünf Leute dort, – wir werden die Chinesen und die anderen in der Bucht einkreisen … Tenno weiß Bescheid. Wir müssen Morspam lebend haben …“

„Gut – Wiedersehen …“

 

13. Kapitel.

Morspams Feuertod.

… Jene Tage auf Ikima liegen jetzt fast einen Monat zurück. In dieser ganzen Zeit bin ich nicht dazu gekommen, diese abschließenden Ereignisse eines neuen Merksteins an dem bunten Pfade meiner Irrfahrten diesen Blättern anzuvertrauen.

Es ist fremdes Land, neue Umgebung, die mich so beschäftigen, daß ich sogar mein Tagebuch vergaß. – Seit vorgestern ist Lord Cecil wieder bei uns, und Elsie hat es sehr schwer, ihre zarten Aufmerksamkeiten gerecht zwischen Vater und Freund zu verteilen.

Die Küenling-Plantagen mit ihrem schloßartigen Wohngebäude hoch über der breiten Meeresbucht sind ein Paradies. Zwei Jahre regierte hier ein heuchlerischer Teufel, und Arbeiter und Angestellte waren ähnliches Gesindel. Ich habe hier gründlich aufgeräumt, und die japanischen Freunde halfen mir. Die große Maschinerie läuft jetzt wieder nach Wunsch, und auch Lord Cecil ist von seiner übertriebenen Nachsicht gründlich kuriert.

Ich bin hier mithin überflüssig geworden. Mich lockt auch bereits wieder die unbekannte Ferne, und mein Diener Gripu, ein alter zäher Bursche, der wohl in seiner Jugend noch die Menschenfressergelage im Innern Formosas mitgemacht hat, ist ein geriebener Fuchs und weiß meine Unrast und Neugier stets durch verworrene Bemerkungen über die Witwe Helga Goßli aufs neue anzustacheln. – Gripu ist ein reinblütiger Lekhoan, einer vom Urvolke Formosas, und das waren Malaien. Diese noch völlig wilden Völker in den unzugänglichen Bergwildnissen schätzt Lord Morspam auf mindestens 300 000 Seelen – unselige Seelen, wie er sagt, denn die freien Stämme sind noch heute zum Teil Menschenfresser, Kopfjäger und gefährliche Räuber. Mögen sie auch nur den zehnten Teil der Gesamtbevölkerung (rund drei Millionen) ausmachen, sie bleiben ein bitterer Stachel in diesem an allerlei Naturschätzen so überreichen Lande, zumal von diesen sogenannten zivilisierten 2,7 Millionen die Mehrzahl eingewanderte Chinesen sind, die ihren japanischen Herren und Beamten und den weißen Pflanzern und Bergwerksbesitzern jederzeit mit Freuden die Kehle abschneiden würden. – Das ist Lord Morspams Urteil über Formosa, und er kennt die Verhältnisse hier besser als jeder andere. Er steht auf verlorenem Posten an der Ostküste, und wenn er ein andermal wieder erklärte, die Geschichte der Erforschung der Insel sei mit Blut geschrieben, mag er wohl auch recht haben, denn meines Dieners Gripu Erzählungen, bei denen ihm die dunklen Augen wie Kohlen aufglühen, sind blutdürstiger als die einstigen Indianergeschichten, die wir Jungens mit Heißhunger verschlangen.

Über diesen Gripu ließe sich sehr viel reden. Eigentümlich ist sein Verhältnis zu Men Huleb. Er hat Angst vor ihm, abergläubische Angst, nachdem er einmal beobachtete, wie ich Men im Garten mit der Pistole nach der Scheibe schießen ließ. Seitdem ist Huleb in ganz Küenling die gefürchtetste Persönlichkeit. Reite ich mit Elsie durch das Dorf in die Berge, und kommt Huleb in langen Sprüngen hinter uns her, flüchten Männer, Weiber, Kinder, Schweine, Ziegen, Hunde mit wildestem Gekreisch, und Elsie lacht Tränen.

Gestern habe ich endlich herausbekommen, was es mit dieser Angst auf sich hat. Sehr ehrenvoll ist die Lösung für mich nicht. Die Malaien als erste Eroberer und somit als Ureinwohner Formosas stammen ja von den affenreichen Sunda-Inseln und halten sich selbst für Nachkömmlinge besonders mächtiger Affenkönige. In diese Ideenwelt paßt es gut hinein, daß sie Men Huleb für … meinen Sohn aus einer etwas fragwürdigen Ehe halten. – Lord Morspam hat sich vor Lachen gekrümmt, als ich diese Neuigkeit am Teetisch auskramte.

… Ich schreibe also im Hauptgebäude der Plantagen in einem hellen freundlichen Wohnsalon, den sich der Gauner Robinson Tupperdyl eingerichtet hatte, als hier alles drunter und drüber ging und Lord Cecils erspartes Geld in Sektströmen zerfloß.

Das war einmal. Die Gäste des falschen „Lords“, der für sich selbst ein eigenes Krematorium schuf (darauf komme ich noch zu sprechen) haben die ganze Strenge japanischer Justiz kennengelernt und auch die Offiziere der Jacht und der Rest der Chinesen baut irgendwo in Japan in Ketten neue Wege – Alltagswege fürchte ich. Das ganze Konsortium von erlesenen Schurken wird nie wieder Sekt riechen.

– Wie war das doch damals in der zweiten Wassergrotte von Ikima nach dem Telephongespräch mit Bruder Simisatto? – Ich muß zurückblättern und erst wieder mein Gedächtnis auffrischen und mein Hirn umstellen auf die Vergangenheit.

Das war so. – Wir kamen mit dem Beiboot sehr rasch an Bord des „Sadato“, jenes einst zum Abwracken von der Regierung verkauften, weil veralteten U-Kreuzers, die kleine Besatzung stand schon bereit, der Kapitän tauchte, und langsam glitten wir unter Wasser in die Bucht hinaus. – Es verlief alles wie am Schnürchen. Wir warteten genau zwanzig Minnten, damit Simisatto derweil das Gesindel von der Landseite einkreisen könnte, wir stiegen auf, ein Maschinengewehr begann zu rattern, und hinter den Steinschanzen des Lagers der „Elsie-Piraten“ reckten sich Hände empor, ein weißer Lappen flatterte, und die ganze Gesellschaft ergab sich bedingungslos und wurde entwaffnet, gefesselt und auf eine kleine bewaldete Halbinsel geschafft, wo die Bewachung keinerlei Schwierigkeiten bereitete.

Dann aber kam die herbe Enttäuschung: James Morspam war nicht mehr in der Buddha-Grotte, nur zwei tote Chinesen mit Kopfschüssen lagen auf der Bootsbrücke, alles Suchen half nicht, – Morspam war zweifellos durch ein tollkühnes Wagnis unter dem Steintor hinweggeschwommen und in den Urwald entwichen.

Wir mußten ihn fangen, wir durften ihm auch keine Ruhe gönnen, und Simisatto, Tenno, ich und Huleb nahmen denn auch sofort die Verfolgung auf. – Der Verbrecher hatte – eine unverzeihliche Dummheit – seine Jacke in der Grotte abgeworfen, um mehr Bewegungsfreiheit beim Schwimmen zu haben. Anstatt die Jacke ins Wasser zu werfen, ließ er sie auf dem Stege liegen. Das erleichterte mir die Arbeit, meinen klugen Men auf die Fährte des Flüchtlings zu setzen. Men nahm „Witterung“ vom Achselschweiß der Jacke, wir schritten am Rande des undurchdringlichen Dschungels dahin, und nach zehn Minnten schon hatte unser eifriger Pavian einen riesigen Kampferbaum erklettert, der als Vorposten des Waldes vier Meter vor den stachligen Verhauen des Unterholzes sich erhob.

Simisatto ließ Taue und Stricke und zwei leichte Bambusleitern bringen, dann begann der ungemütliche, aber ebenso interessante Marsch durch die Baumkronen, wahrlich ein Weg, den hier noch nie ein Mensch gewählt hatte! Nur jemand, dem der Tod schon die Fersen kitzelte, konnte mit solchem erstaunlichen Geschick sich einen Pfad gen Süden von Baum zu Baum gesucht haben. Nur in den Wipfeln gab es hier eine Möglichkeit, diese Dickungen von buntblühenden Sträuchern, von Dornen, Stachellianen, Baumlianen und zahllosen Arten anderer fruchttragender Kleinbäume zu überwinden.

Oft genug hatte der gehetzte Mann einen falschen Ast gewählt, hatte gehofft, auf den nächsten Urwaldriesen zu gelangen, hatte umkehren müssen. In der Krone eines Brotfruchtbaumes auf einer sumpfigen Lichtung verlor Men Huleb für kurze Zeit die Spur, da Morspam es hier mit dem Trick versucht hatte, ein paar weite Sprünge von Ast zu Ast zu wagen. In diesem selben Urgroßahn des Waldes, der sicherlich seine zehn Meter Stammdurchmesser hatte, gerieten wir mit einer Herde Makak-Affen in sehr ernste Zwistigkeiten, und es hätte nicht viel gefehlt und Men Hulebs mir so teures Leben wäre auf diesem luftigen Kampfplatz hoch über dem Kleinvolk bescheidener Bäume kläglich unter den Knütteln des Affenvolkes buchstäblich zerfetzt worden. – Daß es auf Ikima allerlei Getier gab, das nicht ganz harmlos war, wußte ich längst, aber daß gerade die Liu-Kiu-Inseln und Formosa den orangutanähnlichen Macacus Cyklopis beherbergen, einen Affen von furchtbarer Wildheit, war mir völlig neu. Es waren vielleicht vierzehn Stück dieser scheuen flinken Gesellen, die wir beim Suchen nach Morspams Fährte im Ostteil der Baumkrone aufstörten, wo sie ihre riesigen Nester gebaut hatten. Ganz überraschend prasselte uns ein Hagel von Aststücken entgegen, ein wahnwitziges Gebrüll ertönte, und ich sah meinen Huleb, diesen infamen Narren, wie einen Gummiball einem der Makakmännchen an die Kehle fliegen. Simisatto und Tenno, die noch zwei Etagen tiefer standen, konnten uns nicht beispringen … Ich feuerte, aber einen Orangmakak durch einen Schuß zu fällen, ist unmöglich … Huleb kreischte, schrie … Ich zielte nochmals, – endlich saß die Kugel im Schädel des braunen, zottigen Untiers, – dann war Simisatto neben mir, und ebenso plötzlich verstummte das Gebrüll, der Feind verschwand, und ein übel durchgerüttelter Men hinkte auf uns zu.

Wir fanden die Spur, und wir beeilten uns nach Kräften, diesen Teil des Urwaldes zu verlassen, in dem jetzt auch aus anderen Richtungen das grelle Gebrüll dieser gefährlichen Menschenaffen ertönte.

Wir kamen über schillernde Sumpfstrecken, deren Ränder von wunderbaren Blumenteppichen leuchteten, wir spürten nach einer Stunde den häßlichen Dunst der noch tätigen Vulkankrater des Südteiles der Insel, wir merkten, daß die Bodenvegetation hier immer mehr verschwand, daß lediglich noch Gräser und vereinzelte Kampferbäume dieser Stickluft trotzten, kahle Felsen tauchten auf, Felsenhügel drängten sich zu engen Tälern zusammen, und unser „Leithund“ turnte plötzlich zur Erde hinab: Morspam hatte hier die Flucht auf dem Boden fortgesetzt!

Als wir dann zwischen ein paar kahlen Felszacken standen, als ich meines Bruders Simisattos Bügelfalten suchte, war von dem einst so tadellosen Tropenanzug nur noch Lappenwerk vorhanden, beschmiert, beschmutzt, bekleckst mit zerdrückten Riesenraupen, Vogelschmutz, feuchtem Moos, – wie die Strolche sahen wir aus, – blutig die Hände, Gesicht, Knie, – die Knie lagen bloß, der Hosenstoff war dahin …

Men Huleb, die Hundsnase am Boden, rannte in ein Tal hinab …

Wir hinterdrein …

Peng … Peng …

Im Nu warfen wir uns nieder …

Tenno hatte eine knallrote Furche über der linken Wange und ein Loch in der Ohrmuschel …

„Huleb, hierher!!“

Ich pfiff …

Wieder das Peng … Peng von drüben, wo noch eine kleine Urwaldinsel im Tale gegen die Giftdünste der unterirdischen Feuer sich behauptet hatte.

Huleb war verschwunden.

Ich spähte hinter meinem Steinblock hervor, schob den Arm zur Seite …

Peng … Peng …

Es gab nur ein Loch im Ärmel, – ein Loch mehr oder weniger, es zählte nicht, aber ich war gewarnt. Morspam konnte schießen.

„Bleibt hier,“ rief ich Simisatto und Tenno zu … „Hierauf verstehe ich mich …!“

Ich kroch immer in Deckung nach rechts hinüber, erklomm die Talwand und sah plötzlich schräg nach Süden die tote Landschaft der flachen Krater, die Dampfwolken, die in kurzen Zwischenräumen aus Spalten und Ritzen zischend emporschossen … Ich sah kochende Geiser von zehn, fünfzehn Meter Höhe, steil aufsteigend, ungeheure Fontänen, deren Umrandung schneeweiß schimmerte … Ich sah, was ich noch nie beobachten durfte: Aus dem Hauptkrater, der keine fünfzig Meter von der Küste entfernt lag, schäumte glühende Lava hoch und strömte den Abhang hinab ins Meer, wo das Wasser fortwährend brodelte und Blasen warf und dünne Dampfschleier selbst der frischen Seebrise trotzten …

Ich sah auch Morspam.

Er hatte den südlichsten Kampferbaum des Waldstücks jetzt erklettert und sich eng an den Stamm geschmiegt. Der Baum stand vereinzelt, nur eine Girlande von Stachellianen zog sich zum Rande des Wäldchens hinüber.

Morspam war unser.

Von dort oben gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Der Verbrecher hatte sich selbst gefangen. Nach Süden zu lagen die Krater mit ihrem Giftodem, ihren Glutwellen … Nach Westen und Osten kahle Felsen, zwischen denen grünliches Sumpfwasser im Sonnenlicht gen Himmel stank.

Vielleicht hoffte er, wir würden ihn nicht bemerken. Ich beobachtete, wie er Zweige knickte und sich einzuhüllen suchte. Die Pistole hielt er zwischen den Zähnen.

Wo war Men?!

Er war urplötzlich zur Stelle, – er, dem das lautlose Klettern leichtester Sport, erschien dicht über dem ahnungslosen Morspam, – ein behaarter Arm packte zu, riß Morspam die Waffe aus den Zähnen, und eine schwarze Affenpfote hieb dem Überraschten den Kolben gegen die Stirn …

Morspam verlor den Halt, fiel, packte einen Ast, turnte weiter, schnellte sich auf die welke Lianenbrücke, wollte zurück in den Schutz des Waldstücks.

Da – riß die dürre Girlande …

Ein schriller Schrei noch …

Mir stockte der Atem …

Der Mann fiel …

Fiel …

Und jetzt erst gewahrte ich in dem zerklüfteten Gestein die feinen Rauchspiralen …

Noch ein letzter Schrei …

James Morspam hatte sich selbst feuerbestattet.

 

14. Kapitel.

Abschied von Ikima.

Wir standen nur Sekunden am Rande des kleinen, tiefen Kraters, in dem eine glühende Masse wie flüssiges Glas in steter Bewegung war.

Nur Sekunden … Die Dünste verscheuchten uns … –

Wir wanderten auf Umwegen an der Küste entlang wieder nach Norden.

Als wir die Bucht erreicht hatten, stießen wir auf Elsie, Yko San und ein paar Japaner, die auf dem Deck des „Sadato“ im Schatten der Westwand des Fjordes uns erwarteten.

„Er ist tot,“ sagte Simisatto nur und ließ das Beiboot heranziehen. „Bitte, begleitet mich. Ich werde euch jetzt den Ort zeigen, woher wir das Erdöl durch Pumpen und eine Röhrenleitung bis in die Buddhagrotte drücken und es in die Tanks des „Sadato“ fließen lassen. Mein erhabener Bruder kaufte zwei U-Boote. Das eine versank, und der Transport des Erdöls mit nur einem U-Boot lohnte nicht mehr. Ich hätte große Tankdampfer ankaufen können, aber unser Vermögen war inzwischen zerronnen, ich mußte flüchten, und die Insel ging in Morspams Besitz über. Er ahnte, daß hier Naphtha vorhanden war. Gefunden hat er es nie.“

Das Beiboot glitt in die Grotte hinein, und ein neuer Höhlenweg führte uns zum Mittelpunkt des weiten Sumpfgebietes, – eine Treppe erstiegen wir, und vor uns lag im Sonnenlicht ein See von vielleicht fünfzig Meter Durchmesser, umgeben von nacktem Gestein, überragt von den bleichsüchtigen Zweigen des Gestrüpps.

Es war der Naphthasee von Ikima, er enthielt keinen Tropfen Wasser, nur Erdöl, Petroleum …

Wir staunten das elektrische Pumpwerk an, wir staunten abermals über des erhabenen Sadato wunderbare Intelligenz. – Die Existenz dieser Naphthaquelle auf Ikima ist heute kein Geheimnis mehr. In Küenling erhielten Elsie und ich neueste Zeitungen aus Japan, Fachleute hatten den See untersucht, aber so viel Tonnen, wie Sadato einst geschätzt hatte, liefert die Quelle nicht, der See braucht immer wieder Zeit, sich zu füllen, und einige Petroleumfelder Formosas sind weit wertvoller als der Ikima-See. Trotzdem wird Simisatto dadurch wieder zu Reichtum gelangen, der Mikado hat ihn begnadigt und ihm all seine Würden und Ehrenämter wieder verliehen, – Fürst Manu Ylatta Simisatto wird vielleicht in der Politik noch eine große Rolle spielen, – vielleicht finde ich seinen Namen wieder einmal in einer Zeitung, dann werden die Tage in meinem Geiste wieder auferstehen, die mir einen Einblick in japanische Denkungsart gewährten. –

Wir kehrten in die Burg zurück, ich badete, schlief bis zum Abend, und derweil hatten Tennos Apparate droben im Funkraum einen japanischen Kreuzer herbeigerufen.

Weitere Depeschen flogen nach Schanghai und Hongkong, die englischen Behörden wurden verständigt, daß der echte Lord Morspam auf der Sträflingsinsel sich befände …

Die Dinge nahmen ihren vorschriftsmäßigen Gang, wir blieben noch drei Tage auf Ikima, dann schlug die Abschiedsstunde. So sehr Simisatto mich auch gebeten hatte, ihn nach Tokio zu begleiten, ich hatte meine guten Gründe, mich hinter der Ehrenpflicht zu verschanzen, Elsie zu helfen, in Küenling Ordnung zu schaffen. Simisatto gab uns fünfzehn seiner Getreuen mit, und an einem milden Abend lief das U-Boot „Sadato“ mit uns aus der Nordbucht hinaus ins offene Meer, dann gen Südwest – nach Formosa. Am Buchtstrande hatte nicht ein einziger Arm uns nachgewinkt, weder Simisatto noch Yko San, weder Tainio, Hodutu oder der junge Tenno ließen das gelbe Tuch des Abschiedes flattern. Unser Auseinandergehen hatte sich in allerhöflichster Form vollzogen, aber Simisatto nannte mich nicht mehr Bruder Olaf, und das Püppchen Yko San blieb an jenem Tage ganz unsichtbar. – Elsie wußte nicht recht, was sie von alledem halten solle. Ich wich ihren Fragen aus …

„Eine kleine Meinungsverschiedenheit, Elsie.“

Sie bohrte weiter. „Olaf, das kann nur eine sehr große Meinungsverschiedenheit gewesen sein. Weshalb tun Sie so geheimnisvoll?!“

„Später …“ vertröstete ich sie.

Sie hatte recht: Eine sehr große Meinungsverschiedenheit, sogar eine tödliche Beleidigung Simisattos spielte hier mit. – Orient und Okzident prallten mit ihren Ansichten hart aneinander, und nur Simisattos Dankbarkeit verhinderte eine noch ärgere Mißstimmung und veranlaßte ihn, uns seine Leute und den „Sadato“ huldvollst zu gewähren. –

Es war einer jener zauberhaft schönen Sonnenuntergänge, die nur die heiße Zone und der Pazifik in solcher Farbenpracht kennen, als unser Schiff von den Gestaden Ikimas sich entfernte und die Insel, wie in den flammend roten Reflex eines ungeheuren Brandes eingetaucht, am Horizont immer winziger wurde.

Die Riesenfontänen der Geiser an der Südspitze hatten in allen Regenbogenfarben geschillert, die Rauchwolken der Krater waren wie farbige, duftige, wehende Schleier, die uns noch einen letzten Gruß zuwinkten.

Dann war der Horizont leer. Elsie schaute mich an, drückte mir das Fernglas herab und schob ihren Arm kameradschaftlich in den meinen.

„Olaf, jetzt mal ehrlich! Was hat’s zwischen Ihnen und dem Fürsten gegeben?!“

„Später, Kind …“

„Sie … sind ein Ekel, Olaf!!“ Dann lachte sie und schmiegte sich an mich. „Olaf, war’s meinetwegen?!“

Ich stutzte. – „Ja, meinetwegen, Olaf … Simisatto hat mir nämlich gestern in aller Form einen Heiratsantrag gemacht. Das war sehr komisch. Er war doch schon verheiratet, seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen, nachdem er geflohen war, er hat Kinder, kleine Kinder … Können Sie sich vorstellen, daß ich eine gute Stiefmutter abgäbe?! – Und dann, Olaf: Er brachte sein Anliegen in so formvollendeten Sätzen heraus, daß ich überzeugt bin, er hatte sie vorher schriftlich ausgearbeitet und auswendig gelernt … Ich mußte mich sehr zusammennehmen, ernst zu bleiben. Zum Glück besitze ich einige Gewandtheit, mich ähnlich gewunden auszudrücken wie der gute Simisatto, und daher war auch mein „Korb“ sehr zierlich und nett und blumenreich.“

Wir standen auf dem Deck des „Sadato“ hinter dem Mittelturm, und die Dunkelheit nahm jetzt rasch zu.

„Vielleicht, Olaf, – vielleicht ist Simisatto Ihnen gram, weil er denkt, ich liebe … Sie!“ flüsterte Elsie mit etwas schwüler Stimme. „Und das trifft doch ganz und gar nicht zu, Olaf … Ich liebe Sie nicht … Ich liebe Sie vielmehr so, wie nur ein Weib lieben kann, aber ich habe mich abgefunden mit dem, was Sie mir geben können: Freundschaft!“

Und … verließ mich still und stieg in den Turm hinab, in ihre kleine Kabine neben der meinen.

Dann verstummte sie …

Wartete …

Wartete …

In dieser Nacht wurde der Türdrücker meiner Kabine sacht bewegt … Ich hatte jedoch abgeriegelt.

Und seitdem hat Elsie sich völlig zufrieden gegeben. – –

Morgen früh aber gehen wir wieder vom weißen Wohnpalast von Küenling hinab zur sandigen Bucht und werden baden und schwimmen und nachher in der Sonne liegen. Dann werde ich Elsie sanft vorbereiten, daß ich mit dem alten Gripu in die fernen Berge reiten will, und ich werde ihr auch endlich eingestehen, weshalb das Bruderband zwischen Simisatto und mir zerschnitten ward …

 

15. Kapitel.

Der Sieg des Frühlings.

Die Bucht ist an der Badestelle durch starke Pfähle mit starkem Maschendraht, der bis auf den Grund reicht, gegen die Haie sicher geschützt.

Wir liegen unter dem überhängenden Felsen im schneeweißen Sande, unsere Badekostüme sind allerletzte Mode aus Paris, unsere Bademäntel desgleichen, nur Men Huleb verzichtet auf derlei Flitter und rekelt sich neben uns und kaut kleine weiche Krebse.

„So schweigsam, Olaf?!“

Elsies Badekappe ist ein Gedicht, und das ganze zierliche, straffe, rundliche Mädel ist wie Frühlingshauch.

Ich kaue an meiner Zigarette und male mit dem Finger Buchstaben in den Sand …

„Elsie, Simisatto hat mir damals Yko San als Frau angeboten,“ sage ich leise … „Er tat es mit vielen herzlichen Worten, die ihm zweifellos aus tiefster Seele kamen. – Ich war bestürzt, Elsie, denn Hodutu hatte mir so manches über Sitten und Gebräuche der alten Samuraigeschlechter erzählt, und ich wußte daher, daß ich Simisatto schwer beleidigte, wenn ich dieses Angebot ablehnte, das mich ehren sollte“

„Und – – dann?“ fragte der strahlende goldblonde Frühling atemlos.

„… Ich suchte Simisatto klar zu machen, daß zunächst unsere europäischen Begriffe über Liebe und Ehe und Reinheit des Weibes von den Anschauungen seines Volkes grundverschieden sind. In Japan heiratet eine reich gewordene Geisha sehr oft einen hohen Würdenträger. – Und dann suchte ich ihm weiterhin zu beweisen, daß ich mich für die Ehe überhaupt nicht eigne, wenigstens nicht für ein Leben inmitten der Menschen und des Lärms der Straßen und des Dunstes einer Riesenstadt. – Er hat nichts dazu geäußert, nur sein Gesicht ward grau und seine Augen funkelten bedrohlich. Dann wandte er sich ab und verließ mein Zimmer, drehte sich nur an der Tür nochmals um und machte eine Armbewegung, als ob er mit einem Schwert zuschlüge. Das hieß: „Ich trenne uns beide bildlich – wir sind nicht mehr Brüder!“ – So endete meine Freundschaft mit Simisatto, Elsie. – Ich habe in meinem Leben mancherlei Erfahrungen gemacht, ich habe daher auch für dieses Verhalten des Fürsten Verständnis. Er muß mich als Mensch sehr geschätzt haben, er glaubte mir seine Liebe und Dankbarkeit nicht eindrucksvoller bezeigen zu können als durch diesen Antrag, sein Schwager zu werden. Ich bedauere es tief, daß wir so fremd auseinander gingen. – Nun wissen Sie auch das, Elsie …“

Sie nickte schwach. „Yko San hat Sie lieb gehabt, Olaf … Arme kleine Yko San …“

„Und – arme Elsie!“ – ich griff nach ihrer Hand. „Morgen, Elsie, – morgen werden wir hier nicht mehr baden – nie wieder … – Nicht weinen, Kind … Bitte – nicht weinen …! Morgen reite ich mit Gripu in die Berge zu dem wilden Volke der Lekhoan … Es ist Zeit für mich, wieder einmal wochenlang im Freien zu nächtigen und wochenlang einen Pferderücken zwischen den Schenkeln zu spüren. – Nicht weinen, Elsie …!“

Sie erhob sich jäh … Der Seewind zauste ihren Mantel, sie lockte Men Huleb und schritt davon …

Aber – sie kam wieder, ohne Men Huleb …

Stolz und frei kam sie, warf sich in den weißen Sand und blickte mich lange an …

„Olaf, sei ehrlich: Du fliehst vor mir!“

Ich wurde doch etwas verlegen.

„Ich fliehe … vor der frischen Jugend, vor dem Frühling – vielleicht, Elsie, vielleicht ist es so.“

Eine kurze Bewegung, und sie ruhte an meiner Brust … umschlang mich, küßte mich …

– – Und nach einer Stunde flüsterte sie mit verträumtem Lächeln … „Ich werde dich immer lieb behalten, du …! Immer! Ich … habe gesiegt, du …! Und wenn die Sehnsucht nach dir mich nachts quälen wird, dann wird mich eins trösten, Olaf: Daß ich dir alles gab, und daß du es hinnahmst mit glücklichen Augen. Ich habe dir eine Stunde Glück geschenkt – dir, – und mir eine reine Erinnerung für mein ganzes Leben.“ – –

 

– Gripu stochert mit einem Ast im Lagerfeuer und beobachtet die Bärenkeule, die in der Glut am Spieße brozelt und zischt …

Es ist Nacht, und von den Höhen der Berge streicht ein kühler Wind …

Men Huleb ruht auf meinem Schoße, und meine Gedanken sind weit, ganz weit im Süden bei einem Grabe, das bei Ebbe aus dem Meere auftaucht.

Aber Janes und Elsies liebe Gesichtszüge verschmelzen für mich in ein einziges Antlitz, und dieses Antlitz müßte ein Künstler in edelstem Marmor festhalten und dem Bildwerk den Namen geben:

Frühlingserfüllung.

Aber der geschwätzige alte Gripu redet schon wieder von der Frau dort droben in den Abhängen des über viertausend Meter hohen Mount Morrison, von Helga Goßli, die unter den Menschenfressern lebt …

„Drehe den Spieß, alter Narr!“ sage ich grob. „Wenn du mich angelogen hast, schieße ich dir ein Luftloch in deinen grauen Schädel …!“

Gripu grinst. Seine spitz gefeilten Zähne sind feuerrot, denn er kaut andauernd an einem Stück Buma-Wurzel. – Ich habe die Buma nur ein einziges Mal probiert und nie wieder. Sie schmeckt wie … wie … uralter Limburger mit Paprika.

„Herr, du schiltst mich einen Narren, und doch diene ich dir treuer als dein Affe …“ meint Gripu flüsternd, damit Men Huleb dies ja nicht höre …

Gripu hat schreckliche Angst vor Men. Dann essen wir, kriechen in das kleine Zelt, und ich träume von den Urwaldbergen der Menschenfresser und von der starken Frau, die dort ganz allein hausen soll und die gelben Körnchen aus dem Geröll wäscht … –

Wenn all das wahr wäre, was Gripu von dieser Frau erzählt, muß sie ein ganz besonderer Typ von Weib sein. Aber alle Malaien lügen …

Wir werden ja sehen, was es mit dieser Helga Goßli auf sich hat.

 

 

Verlagswerbung:

Abseits vom Alltagswege

von Olaf K. Abelsen

Ein einzigartiges Bild abseits dem üblichen Leben bietet sich dem Leser. Abenteuerliches Erleben wechselt in packender Folge mit Naturschilderungen von ungeahnter Weite. Menschen, Völker und Länder erstehen, von denen wir bisher nur wenig wußten. Ein neues Leben, ein Miterleben erfaßt den Leser. Selten ist ein Buch erschienen von gleicher Tiefe des Stoffes wie die vorliegenden Bändchen.

Band 1:
Das tote Hirn

Band 2:
Das Geheimnis des Meeres

Band 3:
Mein Freund Coy

Band 4:
Das Paradies der Enterbten

Band 5:
Das Kreuz der Wüste

Band 6:
Die Geisterburg

Band 7:
Chi Api, der Tote

Band 8:
Die Schwurhand der Jossi

Band 9:
Das Herz der Welt

Band 10:
Mein Feind Cordy

Band 11:
Die Oase der Toten

Band 12:
Die Herrin der Unterwelt

Band 13:
Malmotta, das Unbekannte

Band 14:
Die Löwenfarm

Die Bändchen »Abelsen, Abseits vom Alltagswege« sind durch jede Zeitschriftenhandlung zu beziehen. Man erhält dieselben auch gegen Voreinsendung v. 50 Pfg. für einen Band portofrei vom Verlag moderner Lektüre Berlin SO 16, Michaelkirchstr. 23a

 

 

Anmerkungen:

  1. Fehlendes Wort „betrachtet“ eingefügt, da der Satz sonst keinen richtigen Sinn ergibt.
  2. In der Vorlage steht „Lanzschwein“ – das ist definitiv falsch, es muß „Langschwein“ heißen, daher geändert.
  3. „zurzeit“ / „zur Zeit“ – beide Schreibweisen vorhanden, geändert auf „zur Zeit“.
  4. „Sumurai“ (2 Mal) / „Sumirai“ (1 Mal) und dann wieder „Samurai“ (17 Mal) – alles geändert auf „Samurai“.
  5. „Yko Sam“ (2 Mal) / „Yko San“ (43 Mal) – alles auf Yko San geändert.
  6. Fehlendes Wort „er“ ergänzt.
  7. „Yko San’s“ / „Yko Sans“ – beides vorhanden – das alte Spiel mit dem Apostroph. Auf „Yko Sans“ geändert.