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Das Haus am Mühlengraben

 

 

Das Haus am Mühlengraben

 

Kriminal–Roman

von

Walther Kabel

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Dresdener Straße 88–89

 

Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht vorbehalten.
Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck der Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Der graue Hut.

Karl Linker war schon oft genug in Ixstadt gewesen, wenn auch nur immer für einige Tage. Aber daß die alte Hafenstadt so viele wirklich poetische Winkel besaß, hatte er noch nicht gewußt. Dies wurde ihm jetzt erst an diesem prächtigen, von Frühlingsahnen erfüllten Apriltage klar, als er nach einem möblierten Zimmer suchte. Die neueren Stadtteile mied er hierbei. Einmal waren ihm dort die Wohngelegenheiten zu teuer – er mußte ja nur zu sehr sparen! – dann aber entsprach es weit mehr seiner ein wenig romantisch angehauchten Natur, möglichst in einem alten Hause mit gewundenen, dunklen Treppen, kleinen Fenstern und dem ganzen nicht näher zu beschreibenden Hauche einer wechselvollen, langen Vergangenheit ein Unterkommen zu finden.

Die Kirche mit dem verwitterten, massigen Turm, vor der er jetzt stand, hatte seine Aufmerksamkeit einige Zeit in Anspruch genommen. Dann hörte er irgendwo in der Nähe ein dumpfes Rollen, Rumpeln und Brausen, ein seltsames Gemisch ineinanderfließender Töne, über deren Bedeutung er sich nicht klarzuwerden vermochte.

Vor der Kirche erweiterte sich die Straße zu einem weiten Platz, – die reine Raumverschwendung inmitten dieses ältesten Stadtteiles mit seinen engen, winkligen Gassen, schmalen, düsteren Kanälen und kleinen Häuschen, zwischen denen nur hie und da ein anderes Gebäude sich erhob, das dann stets gar nicht hineinpaßte mit seiner breiten, protzigen Front und der praktischen Nüchternheit seines Stiles in diese poesieumwobene Umgebung.

Der junge Jurist lauschte noch immer den merkwürdigen Tönen. Jetzt glaubte er zu wissen, woher sie kamen, von drüben, wo jenseits des Kirchenplatzes ein freistehendes, uraltes Bauwerk mit Spitzdächern und Türmchen sich erhob. Und nun besann er sich auch, das war ja die „Große Mühle“, eine der vielen Sehenswürdigkeiten Ixstadts, die noch aus dem fünfzehnte Jahrhundert stammte und über einem Kanal errichtet war, der mitten durch ihre untersten Räume mit künstlichem starken Gefälle hindurchströmte und die Mühlenräder in Gang setzte, die ihre Kraft hergaben, um das Getreide in staubfeines Mehl zu zerkleinern. Der dumpfe Lärm, fast dem Brausen einer Brandung vergleichbar, war nichts als die Symphonie von Wassermassen und Maschinengepolter.

Er schritt nun die schmale Straße rechts des Mühlengrabens entlang, schaute die Häuschen mit den halbblinden Fenstern und den verwitterten Türen an und blieb dann mit einem Male stehen. Vor ihm ragte ein Haus, im Baustil des Daches ähnlich der Großen Mühle, über die Nachbargebäude ein Stück hinweg. Eine ausgetretene Steintreppe mit fünf Stufen führte zu einer schweren, tief nachgedunkelten und mit eisernen Ziernägeln beschlagenen Tür empor, an deren einer Stelle eine weiße Papptafel an einem Stück Bindfaden baumelte und aufdringlich mit großen gedruckten Buchstaben verriet, daß hier ein möbliertes Zimmer zu vermieten sei. Unbeholfene Schriftzüge, mit Blaustift hingemalt unter den Druckzeilen, besagten weiter, das Zimmer wäre von sofort zu haben, auch mit voller Pension, unten rechts bei Kunath.

Karl Linker besann sich nicht lange. Zwei Stunden war er nun schon auf der Suche, vorhin hatte die Turmuhr der Kirche bereits zwölf geschlagen, und sein Magen meldete sich immer eindringlicher. Er stieg die Steintreppe empor, öffnete die Haustür, neben der zu beiden Seiten schmale, vergitterte Fenster sich befanden, und betrat den Hausflur, der mehr den Namen Diele verdiente und in einem geheimnisvollen Halbdunkel wie im Märchenschlafe dahindämmerte. Der Fliesenboden, die breiten Schnitzereien über den Türen, die rechts und links in die beiden Erdgeschoßwohnungen hineinführten, die breite Treppe mit dem altertümlichen, plumpen Geländer im Hintergrunde und ein eiserner Kronleuchter, der von der Decke tief herabhing, gaben dem Flur einen persönlichen Anstrich und benahmen ihm völlig den Eindruck der Zugehörigkeit zu einem Miethause. Außerdem herrschte hier noch ein eigentümlicher Geruch wie von Lavendel, trockenem Obst und ein wenig Moder. Vielen alten Häusern haftet ein derartiges, mit den Geruchsnerven wahrnehmbares Merkmal an als nicht gerade schätzenswerte Eigenschaft.

Der Assessor steuerte auf die rechte Tür zu. Eine glatte Messingplatte, in Augenhöhe befestigt, trug den Namen Ernst Kunath. Der vorsintflutliche Klingelzug, von Linkers Hand kräftig bewegt, weckte hinter der Tür in einiger Entfernung eine Glocke zu lautem Gebimmel, deren Ton an die Kuhglocken in den Alpen erinnerte und schnell in des jungen Juristen Gedächtnis ein paar Bilder von grünen Almen mit Felsen und Tannen als Umrahmung erstehen ließ als lebendige Eindrücke seiner einzigen Reise von der Universität Freiburg aus hinüber in die schneegekrönte Bergwelt der Schweiz.

Dann öffnete sich lautlos die Tür ein wenig, und in der Spalte wurde undeutlich der Kopf einer Frau sichtbar.

„Sie wünschen?“ –

Es war eine müde, leise Stimme.

„Ich komme wegen dem Zimmer.“

„Bitte.“ Die Tür ging ganz auf, nachdem eine Sicherheitskette entfernt worden war.

Hier in dem Wohnungsflur brannte an der Wand eine kleine Petroleumlampe. Eine Kommode versperrte halb den Weg. Daneben stand ein Kleiderständer. Auf der Kommode lag ein grauer Damenfilzhut mit einer Garnitur gleichfarbiger Sammetblumen.

Ein appetitlicher Bratenduft erfüllte unaufdringlich den schmalen Gang, der nach hinten zu in graue Dämmerung sich verlor.

Die Frau verschwand in dieser Dämmerung, und Karl Linker tappte etwas unsicher hinter ihr drein, indem er dachte, daß nach dem Geruche zu urteilen die Verpflegung bei Kunaths nicht schlecht sein könne, und sich ausmalte, wie angenehm es sein müßte, wenn er sich mit seinem knurrenden Magen hier gleich an den gedeckten Tisch setzen könnte.

Dann prallte er aber, geblendet von einer hellen Lichtflut, mit einem Male zurück. Die Frau hatte eine Tür geöffnet, ganz weit. Ein Zimmer lag dahinter mit zwei Fenstern, die von draußen der strahlende Mittagssonnenschein traf, so daß helle, verzerrte Vierecke sich auf dem braungestrichenen Fußboden abzeichneten.

Mit einladender Handbewegung wurde der Assessor zum Eintreten aufgefordert. Hinter ihm zog die Frau die Tür zu und blieb abwartend daneben stehen, indem sie die Hände über der blauen Wirtschaftsschürze faltete. In der ganzen Erscheinung dieses kleinen Weibleins mit dem leicht ergrauten Scheitel und dem winzigen Gesichtchen lag etwas Vertrauen erweckendes und gleichzeitig auch Mitleid erregendes. Die Falten um den Mund, auf der Stirn und um die Augen waren wie in die blasse Haut eingekerbt.

Der Blick war offen, aber traurig und fast demütig.

Linker hatte in kurzem Anschaun diese Einzelheiten erfaßt und wandte sich nun der Zimmereinrichtung zu. Alte Mahagonimöbel mit gestickten Deckchen, vergilbte Stahlstiche an den graublau tapezierten Wänden und ein großer Teppich, Persernachahmung, verliehen dem länglichen Raume im Verein mit zahlreichen Schmuckgegenständen, die mit Geschmack aufgestellt waren, die Behaglichkeit eines eigenen Heims und redeten in all ihrer spiegelnden Sauberkeit eine deutliche Sprache von des kleinen Weibleins vortrefflichen Hausfraueneigenschaften. Das Bett stand hinter einem hohen, sechsteiligen chinesischen Wandschirm aus feinem Geflecht. Jeder Teil hatte ein ovales Mittelstück in schwarzer Farbe, von der sich goldene Phantasievögel scharf abhoben.

Der Assessor nickte befriedigt, ging an das eine Fenster und schaute hinaus durch den offenen, festgehakten Flügel auf einen Kanal, in dem gelbbraunes Wasser träge dahinfloß. Der Kanal bespülte fast die Grundmauern, und, so poetisch auch dieser Wasserarm und die Aussicht auf die gegenüberliegenden Häuschen war, Karl Linker dachte doch sofort daran, daß das Zimmer vielleicht feucht sein könnte. Sonst gefiel es ihm ganz gut hier.

Bisher war zwischen ihm und der Frau noch kein Wort über den eigentlichen Zweck seines Besuchs gewechselt worden. Jetzt begann er zu fragen, – dies und jenes, bis er genügend unterrichtet war.

Frau Kunath, die Witwe eines Werkmeisters der im Besitz des Magistrats befindlichen Mühle, forderte für das Zimmer nebst voller Pension monatlich hundertzwanzig Mark, – einschließlich Bedienung und Besorgung der Wäsche, wie sie besonders betont hatte.

Der Preis war dem Assessor ein wenig zu hoch. Er durfte höchstens hundertzehn Mark anlegen.

Schließlich einigten sie sich auf hundertfünfzehn Mark, und Linker wollte dann gleich nachmittags einziehen.

Als er sich schon zum Gehen wandte, meinte die Frau noch zögernd, sie nähme nur wirklich solide Herren auf. Sie hätte eine erwachsene Tochter und einen Sohn, einen angehenden Bankbeamten, und auf beider kindliche Harmlosigkeit müßte sie Rücksicht nehmen. – Ihre Augen leuchteten stolz auf, während sie von ihren Kindern sprach. –

Überhaupt würde sie es nicht dulden, daß … na, – der Herr Assessor verstehe wohl schon.

Karl Linker nickte ihr lächelnd zu.

„Ich bin verlobt, Frau Kunath. Genügt Ihnen das?“

„Ja, ja – gewiß – natürlich!“

Der Assessor reichte ihr die Hand. „Dann wären wir einig, nicht wahr? – Ich schickte also gegen zwei Uhr durch einen Dienstmann meinen Koffer und den Schließkorb, die noch auf dem Bahnhof stehen. Ich bin nämlich morgens erst von Barten hier eingetroffen.“

Sie gab ihm noch den Haus- und den Wohnungsschlüssel, worauf er sich verabschiedete.

Nachdem er in einem Gasthaus am Bahnhof zu Mittag gegessen, ließ er sein Gepäck nach dem Mühlengraben 9 bringen und packte dann in seinem neuen Heim gemächlich aus, legte sich gegen drei Uhr nach getaner Arbeit auf das Ruhebett, das hier die Stelle eines Sofas vertrat, und schlief auch bald ein.

Den Nachmittagskaffee ließ er sich von Frau Kunath geben, plauderte mit ihr ein wenig, erfuhr so, daß die Tochter Hildegard neunzehn Jahre alt und Buchhalterin im städtischen Arbeitsvermittlungsamt war, während der junge Kunath noch seine Lehrzeit bei der Ostbank für Handel und Gewerbe durchmachte, und schickte dann seiner Braut eine Ansichtskarte.

Nachher schlenderte er durch die Hauptverkehrsstraßen und über die vielen Brücken ziellos umher, eigentlich nur, um etwas körperliche Bewegung zu haben.

In der Langgasse war’s. –

Im Straßenleben Ixstadts stellte diese Langgasse dasselbe vor wie für Berlin die Friedrichstraße, nur mit den nötigen Einschränkungen, was Länge, Lebhaftigkeit des Verkehrs und Art der Passanten anbetrifft.

Die Langgasse, an deren Südende das architektonisch so bedeutende Rathaus mit dem uralten Merkurbrunnen davor sich erhob, war heute in Wahrheit eine in eine Provinzialhauptstadt verlegte Friedrichstraße. Die „Lasterseite“ war gedrängt voll. Und hier unter der in zwei Strömen auf dem Bürgersteige sich aneinander vorbeischiebenden Menge bemerkte der Assessor den grauen, schicken Filzhut mit den grauen Samtblumen.

Und er erkannte ihn sofort wieder. Schon im Flur auf der Kommode der Frau Kunath war er ihm aufgefallen. Karl Linker besaß viel Geschmack – in allem, nicht nur, was seine und seiner Mitmenschen Kleidung anbetraf, nein, auch in seiner Lebensführung. Nachher, als er von Frau Kunath über die erwachsene Tochter Hildegard so einiges gehört hatte, war ihm der Hut wieder eingefallen. Er mußte ihr gehören … Und nach diesem Hut hatte er sich dann ein Bild von Hildegard entworfen, das sehr günstig ausfiel. Er traute ihr zu, sich ein wenig raffiniert einfach anzuziehen. –

Und von Hildegard und dem aparten Filzhütlein waren seine Gedanken unwillkürlich auf Lottchen übergesprungen, seiner Braut in der Heimatstadt Barten. Lotte Harrich hätte eine solche Kopfbedeckung für ihr blondes Haupt nie gewählt. Geschmackvoll bedeutete für sie eine Verbindung von teuer und auffallend. Darüber hinaus gab es für sie keine Abstufungen. In dieser Beziehung war sie eben ganz die Tochter ihrer mit einem Hange für alles Protzige behafteten Mutter – leider!

Und nun war dieser Hut in greifbarer Nähe vor dem Assessor, der sofort beschloß, sich die Besitzerin etwas genauer anzusehen.

Diese war nicht allein. In eifrigem Gespräch schritt neben ihr ein schlanker Herr, gekleidet mit einem Stich ins Geckenhafte. Die beiden schienen recht vertraut miteinander. –

Noch mehr beobachtete Linker. Andere Herren schauten im Vorübergehen oft genug auf dem grauen Hut. Manche grüßten. In dem Gruß kam meist eine gewisse Vertraulichkeit zum Ausdruck. Der Assessor kannte das. So grüßen Herren die Frauen, die sie nicht ganz zu den Damen rechnen.

Nein – Hildegard Kunath konnte das da vorn nicht sein …! Die Mutter hatte ihm ja, als sie ihm den Nachmittagskaffee brachte, eine kurze Charakteristik ihres ältesten Kindes entworfen, froh darüber, daß sie jemand gefunden, der Verständnis für ihren Mutterstolz zu haben schien, und schnell immer mehr auftauend, immer eingehender Hildegards Vorzüge preisend, ihren Fleiß, ihre Kindesliebe, ihren Ordnungssinn, ihre Sparsamkeit und besonders ihre Zurückhaltung Herren gegenüber. Und in Bezug auf diese letztere Eigenschaft hatte sie erklärt: „Ja, ja – für meine Hilde kann ich meine Hand ins Feuer legen!“ – Diese Redewendung gebrauchte sie scheinbar recht gern.

Also Hildegard konnte es nicht sein. Der graue Hut war ja sicherlich hier in Ixstadt mehrmals vertreten. Immerhin, dachte Linker, du hast ja nichts besseres zu tun … Also beobachten wir weiter …

Der graue Hut trug ein Herbstkostüm in derselben Farbe. Unter dem Rocksaum kamen ein Paar kleine Füßchen in halbhohen Lackschuhen und ein Stück Seidenstrumpf zum Vorschein, der eine zierliche Fessel eng und Haut leicht durchschimmern lassend umspannte. –

Lotte in Barten hätte dies „halbweltmäßig“ gefunden. Sie spielte gern das aufgeklärte junge Mädchen, aber mehr in ihren Ausdrücken als in ihren Ansichten.

Am Nordende der Lasterseite machte das Paar kehrt, und Linker sah nun den grauen Hut von vorn.

Jetzt verstand er, weshalb so viele Herren gegrüßt hatten – so gegrüßt hatten …

Der graue Hut war nicht einmal das, was man hübsch nennt. Aber eine … Männerschönheit …! In einem zartrosigen Gesicht brannten ein paar dunkle, große Augen unter kräftigen Brauen. Das Näschen wippte keck in die Welt hinein, und der Mund schien zu glühen mit seinen vollen, roten Lippen. Von dem aschblonden Haar war nicht viel zu sehen. Aber es hatte einen seidigen Glanz und schien reich und voll zu sein. Hinzu kam eine geschmeidige Gestalt, schlank und doch üppig, weiter ein Gang, der leicht wiegend war und selbstbewußte Jugendkraft verriet …

Und dieser Gang gab dem grauen Hut ein besonderes Merkmal; in ihm lag etwas Aufreizendes, etwas Herausforderndes, vielleicht auch Trotziges; und er nahm der Gesamterscheinung so etwas den Eindruck der Dame aus guter Gesellschaft, auf die sonst die Kleidung unfehlbar hingewiesen hätte.

Linker war nun doch wieder im Zweifel, ob es nicht Hildegard Kunath sein könnte … Die Augen hatten zu große Ähnlichkeit mit denen der Mutter. Nur der Ausdruck war verschieden. Hier scheue Bescheidenheit, dort das Bewußtsein, die törichten Männer leicht beherrschen zu können … –

Der Assessor wurde angesprochen.

„He, Linker, – ‘n Tag! Also schon hier? Weshalb hast du mich nicht aufgesucht? – Habe jetzt leider keine Zeit. Bitte, sei heute abend unser Gast, ganz zwanglos. Ich werde meiner Frau telephonisch Bescheid sagen.“

Rechtsanwalt Mendel war ein Verbindungsbruder des Assessors. Ein kleiner Herr, etwas zu dick, der in Haltung und Sprache stets die Person von Bedeutung zu spielen suchte.

Linker paßte die Einladung nicht recht. Er war eigentlich verpflichtet, abends an Lotte einen langen, ausführlichen Brief zu schreiben. Anderseits war Mendel wieder sein Brotherr, der ihm in Aussicht gestellt hatte, später einmal sein Teilhaber zu werden, wenn er sich erst nach dem eben bestandenen Assessorexamen eingearbeitet und auch bewährt hatte. Vorläufig zahlte Mendel ihm monatlich zweihundertfünfzig Mark, und Linker war froh gewesen, daß er auf Grund der kouleurbrüderlichen Beziehungen so schnell einen Unterschlupf gefunden hatte. Als Assessor mit dem Prädikat „genügend“ hätte er noch Jahre bei der Justiz sich herumstoßen müssen, ehe er auch nur ein Kommissorium mit zweihundert Mark fürstlichem Gehalt bekommen hätte, von einer festen Anstellung schon ganz abgesehen.

So nahm er die Einlagerung denn mit Dank an, wobei er dachte, daß die Abhängigkeit sich also schon bemerkbar machte. Aber daran ließ sich nichts ändern. Seine Mutter dort in Barten hatte gerade nur so ihr Auskommen mit der Witwenpension und konnte ihrem Einzigen höchstens einmal ein Paket mit Eßwaren senden, wie sie dies schon früher stets getan, als der Sohn noch studierte oder später als Referendar ebenso bescheiden, aber nach außen hin ohne ins Auge fallende Dürftigkeit sich durchhelfen mußte, – eines der vielen Opfer falschen elterlichen Ehrgeizes, der für den Sohn bei allzu kargen Mitteln die richterliche Laufbahn als Ausgleich der eigenen Subalternstellung ansieht. –

Mendel verabschiedete sich. „Habe Vorstandssitzung im Verkehrsverein. Entschuldige – Wiedersehen!“

Der graue Hut war verschwunden. Linker mußte ja nun ohnehin seine Schritte heimwärts lenken. Der Brief an Lotte durfte nicht aufgeschoben werden.

Auf dem Wege nach der Mühlengasse kam er an einem großen Kaufhaus vorüber. – Richtig – eine Krawatte fehlte ihm. Und hier bei „Gebrüder Liemann“ sah er den grauen Hut wieder, daneben den Herrn mit dem Stich ins Stutzerhafte. Beide standen an einem Verkaufstisch für Damentaschentücher.

Doch der Assessor schenkte ihnen jetzt weiter keine Beachtung. Der Brief an Lotte würde Zeit erfordern. Und es war bereits sechs Uhr …

 

2. Kapitel.

Die Sünde.

Die Petroleumlampe auf dem Schreibtisch beleuchtete mit rötlichgelbem Schein den vornübergebeugten Kopf Karl Linkers und zauberte auf den dunklen Haarwellen des Scheitels goldig schimmernde Reflexe hervor.

Ein Bogen war eng beschrieben. Nun noch ein halber, – das würde dann auch der Frau Schwiegermutter genügen.

Der Assessor lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück und schaute der feinen Rauchspirale nach, die von der auf dem Aschbecher fortglimmenden Zigarette hochstieg, – gedankenverloren, wieder einmal träumend. Hätten ihn seine Bundesbruder so gesehen, so hätte einer todsicher gerufen: „Mädchen dichtet wieder!“ –

Ach, das waren noch schöne Zeiten gewesen damals in Freiburg – trotz des knappen Zuschuß von daheim … – –

Linker lächelte ein wenig … „Mädchen“ hatten sie ihn stets genannt, die Westfalen, bei denen er eingesprungen war und deren dreifarbiges Band er stets mit so viel Stolz getragen hatte. Ohne die Altherrenwürde bei der Guestphalia[1] wäre er nicht mit Mendel bekannt geworden, hätte er lange nach einer bezahlten Stelle suchen können. Es hatte sich also doch eingebracht, diese Mehrausgabe für das Verbindungsleben.

Karl Linker schrieb weiter, schilderte sein neues Heim, die ängstlich bescheidene Frau Kunath, die alte Mühle, den Kanal vor den Fenstern … Daß eine Tochter im Hause, unterschlug er. Die Frau Schwiegermutter hätte vielleicht etwas daran auszusetzen gehabt, daß er trotzdem gemietet hatte. Sie traute den Männern nicht. Daran war der Getreidehändler Harrich schuld. Wegen seiner Seitensprünge stand er im Rufe eines Lebemannes, ein Wort, mit dem die Bartener Spießer den Begriff größter Unmoral verbanden.

Endlich kamen zum Schluß die innigen Küsse und die herzlichsten Grüße für die lieben Eltern … Der Brief war fertig. – Wo aber eine Marke hernehmen? Vielleicht konnte Frau Kunath aushelfen. –

Sie bewohnte das Vorderzimmer, dessen einziges Fenster nach der großen Mühle hinausging. Das dritte Zimmer neben dem des Assessors, ebenfalls nur einfenstrig, war Hildegards Reich. Wo der Sohn untergebracht war, entzog sich vorläufig Linkers Kenntnis.

Er klopfte, und eine Stimme rief: „Herein!“

Er stand … dem grauen Hut gegenüber …!

Die Überraschung kam doch etwas unerwartet. Leicht verwirrt stellte er sich als der neue Hausgenosse vor.

Sie neigte sehr gnädig, zu sehr die Dame heraushebend, den Kopf.

Frau Kunath hatte am Fenster vor einem Kleiderschrank gekniet und trat jetzt näher. Abermals sang sie ein Loblied auf Hildegard, bis diese sie unterbrach.

„Aber Mutter …! Den Herrn Assessor dürfte das kaum interessieren.“

Das Organ war angenehm, nur die Sprechweise vielleicht etwas geziert.

Linker wollte sich mit der Haustochter von vornherein auf einen kameradschaftlichen Fuß stellen. Und daher sagte er liebenswürdig:

„Ich glaube Sie heute schon einmal gesehen zu haben, gnädiges Fräulein, – nachmittags in der Langgasse und nachher bei …“

Hildegard hatte schnell den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und den Assessor dabei warnend angesehen. Frau Kunath hantierte gerade an dem gedeckten Abendbrottisch herum.

Linker schwieg sofort, um hastig hinzuzufügen:

„Wenigstens sah ich eine junge Dame mit einem grauen Filzhut …“

„Hildegard kann es nicht gewesen sein,“ meinte Frau Kunath gleichmütig. „Sie hatte ja bis sieben Dienst wie alle Tage.“ – –

Als der Assessor wieder in seinem Zimmer war und die Briefmarke auf den Umschlag klebte, dachte er mit Recht:

„Hier stimmt etwas nicht! Dieses Fräulein Hildegard ist ein Engel mit einem starken Fragezeichen …“

Bald darauf hörte er die Flurtür klappen. Dann klopfte es.

Es war der Engel mit dem Fragezeichen.

„Entschuldigen Sie, daß ich störe,“ sagte das Musterkind kühl und förmlich. „Ich hatte heute geschäftlich in der Langgasse zu tun. Mama liebt es nicht, wenn ich mich dort zeige. Ich erspare mir und ihr gern zwecklose Erklärungen. Daher hatte ich ihr nichts erzählt.“

Linker verbeugte sich. Hildegard stand im Halbdunkel an der Tür. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, nahm nur einen hellen, verschwommenen Fleck wahr. Das störte ihn. Er hätte gern ihre Miene beobachtet, als sie diese etwas unklare Rechtfertigung vorbrachte. Vielleicht lächelte sie ihn dabei spöttisch-überlegen an. Er traute ihr das schon zu. Jedenfalls war sie ihm unsympathisch geworden. Ihre Mutter, eine herzensgute Frau fraglos, derart zu täuschen und die Reine, Harmlose zu spielen, – das stieß ihn ab, obwohl er durchaus kein sogenannter Tugendheld war. Und aus diesem Gefühl der schnell aufgekeimten Abneigung heraus antwortete er ihr absichtlich nicht ein Wort auf ihre nicht recht verständliche Erklärung hin, sondern verneigte sich nur knapp und wartete das weitere ab.

Sie stand noch immer neben der Tür.

Das Schweigen wurde dem Assessor peinlich; es lastete auf ihm wie ein Unbehagen verbreitender Druck. „Wenn ich wenigstens ihr Gesicht sehen könnte!“ dachte er. „Warum geht sie nicht …?!“

Schon als er vorhin den Brief an Lotte geschrieben hatte, war über ihm ein schwerer Männerschritt in ruhelosem Auf und Ab hin und her gewandert. Jetzt nahm der unbekannte Bewohner des über Linkers Zimmer gelegenen Raumes seine dröhnende Promenade wieder auf. So fest trat der da oben die Dielen mit offenbar derben Stiefeln, daß die Glocke der Hängelampe zuweilen ganz fein klirrte. Schade – diese Lampe brannte nicht. Sonst hätte Linker Hildegards Antlitz ein wenig studieren können.

In dieses tappende Auf und Ab mischte sich nun plötzlich von der Tür her ein anderer Laut, ein unterdrücktes Aufschluchzen …

Der Assessor schaute schärfer hin. – Hildegard hatte beide Hände vor das Gesicht gelegt und hielt den Kopf tief geneigt.

War das nun auch Komödie wieder?! – Wie sollte er sich hierüber klar werden, wo er dieses junge Weib kaum kannte …?!

Es war lediglich der Kavalier in Linker, der sich trotzdem für verpflichtet hielt, mit ein paar schnellen Schritten vor sie hinzutreten.

Da sanken ihre Arme auch schon herab, der Kopf hob sich, und große, dunkle Augen schauten den Assessor starr an.

„Ich weiß, Sie haben von mir eine sehr ungünstige Meinung gewonnen,“ sagte sie mit einer Ruhe und Klarheit, die ihn überraschte. „Ich kann daran nichts ändern.“ Und nach kurzer Pause: „Mutter will nachher nochmals zu einer Bekannten gehen. Wenn Sie ein wenig zu uns ins Wohnzimmer kommen wollten … Ich möchte mit Ihnen sprechen …“

Linker überlegte blitzschnell. – Was wollte sie von ihm? – Mit ihm sprechen …? Worüber? Soeben hatte sie doch gesagt: „Ich kann daran nichts ändern …!“ Also handelte es sich nicht um eine ausführlichere Rechtfertigung ihres Verhaltens der Mutter gegenüber. Um was aber sonst …?

„Leider bin ich für den Abend ausgebetet[2], gnädiges Fräulein,“ erwiderte er gemessen. „Ich stehe aber gern ein andermal zur Verfügung.“

„Das „gnädige“ schenken Sie sich bitte, Herr Assessor,“ meinte sie gleichmütig. „Nennen Sie mich Fräulein, das genügt. Vater war Werkführer der großen Mühle bis zu seinem Tode vor zwei Jahren. Und seine Tochter hat keinen Anspruch auf diese Anrede, wie sie in anderen Kreisen üblich ist. – Für alle Fälle möchte ich fragen, ob Sie noch Wünsche haben. Sie werden doch sicher spät heimkommen, wenn wir schon zu Ruhe gegangen sind.“

Linker hatte ein feines Gehör. Diese letzten Sätze wurden nicht mehr so zwanglos hingesprochen. Eine gewisse Berechnung, eine für ihn unklare Absicht lag darin. –

Wollte Hildegard feststellen, wann sie mit seiner Rückkehr rechnen konnte …?! Und auch dies – wozu nur …?!

„Wünsche – hm ja,“ meinte er nachsinnend. „Vielleicht darf ich um ein Kännchen Tee bitten, den Sie mir am besten in die Ofenröhre stellen … – Ach so,“ verbesserte er sich, „– Ofenröhre – wir gehen ja dem Frühjahr entgegen! Ich war es in Berlin während meiner Vorbereitung zum Assessorexamen so gewöhnt, abends Tee zu trinken, hatte auch ein Zimmer mit Ofenheizung. – Nun, trotzdem, – dann trinke ich ihn eben kalt…“

„Bitte. Sie werden ihn vorfinden. – Gute Nacht.“

„Einen Augenblick, Fräulein …“

Sie hatte schon den Türdrücker in der Hand, wandte jetzt nur den Kopf nach ihm zurück.

„Sie wollten doch mit mir sprechen, Fräulein,“ sagte er etwas eindringlichen Tones. Er mußte Klarheit haben, wie es um den Charakter dieses Mädchens bestellt war. Seine gelinde Abneigung hatte sich noch um ein schwaches Nebengefühl vermehrt: Mißtrauen!

„Ich wollte …!“ erwiderte sie kurz. „Doch es wird wohl alles zwecklos sein,“ fügte sie leiser hinzu, wie unter der Einwirkung einer traurigen Empfindung des Verkanntwerdens. Und ihre Stimme hatte auch ganz leise gezittert …

Dann war sie hinaus, ehe Linker noch Zeit fand, sie zurückzuhalten.

Und das hätte er gern getan; denn – vielleicht tat er ihr unrecht; vielleicht war sie besser, als es schien. Der wehe Klang dieses … „wohl alles zwecklos“ lag noch deutlich in seinem Ohr.

Langsam ging er an den Schreibtisch in den Lichtkreis der Petroleumlampe zurück, deren grüne Arbeitsglocke wie ein Riesensmaragd leuchtete … –

Da war der Brief an Lotte … Wenn sie geahnt hätte, daß er hier gleich am ersten Abend so etwas wie ein kleines Abenteuer erlebt hatte – mit der Wirtin Töchterlein, dem grauen Hut … – Oh – Lotte würde sicher eifersüchtig werden …

Lotte und Hildegard … Wie zum Scherz verglich er sie … Dort die ein wenig beschränkte Wohlanständigkeit und Nüchternheit, ein Durchschnittsgeschöpf mit einem Stich ins Reizlose für einen verfeinerten Geschmack, – und hier die lockende Sünde – – Sünde schon allein der Gang, die wiegenden Bewegungen, ganz abgesehen von den Augen und den roten, schmachtenden Lippen …

Plötzlich sagte er ganz laut „Dummheiten!“ und machte sich hastig zum Ausgehen fertig. Er war unzufrieden mit sich. Was ging ihn Hildegard an …! Er würde sich überhaupt nicht mehr um sie kümmern. Das war das beste … Sie war ja nicht ganz ungefährlich, besonders wenn man vier endlose Wochen in Barten im Kreise der Familie zugebracht hatte … und Lottchens bräutliche Küsse immer schaler schmeckten … –

Gerade als er mit seinem Anzug fertig war, kam Frau Kunath und trug das Abendrot auf. Er aß hastig und verließ dann das Haus.

 

3. Kapitel.

Das Monokel.

Frau Rechtsanwalt Nora Mendel war noch ein wenig kleiner als ihr Gatte. Selbst die hohen Absätze halfen nicht viel. Sie blieb immer noch klein, und wollte doch so gern groß sein, nicht nur an Gestalt, – auch sonst …

Herr James Look vom englischen Generalkonsulat in Ixstadt stelzte geziert wie immer neben der Frau Rechtsanwalt her. Er radebrechte das Deutsche für ihren Geschmack in „entzückender“ Weise. Mit ihren Ausdrücken steckte die ehrgeizige Dame noch etwas in den Backfischschuhen trotz des vierzehnjährigen Töchterchens.

James Look war vom Scheitel bis zur Sohle äußerlich vornehm, – zu vornehm sagten manche, die übertriebenes Modemitmachen bei Herren für ein Zeichen innerer Verflachung ansahen. Äußerlich vornehm …! – Innerlich? – Die Frage blieb offen. Aber dieselben Nörgler, die behaupteten, James Look sei ein Geck, schwiegen sich aus, wenn dieser oder jener behauptete, der junge, reiche Engländer setzte sich geistig aus Harmlosigkeit, Gutmütigkeit und einem Vorrat an gelernter geistreich-sein-wollenden Redensarten zusammen.

Look spielte mit seinem an einer dünnen Seidenschnur hängenden Monokel, während er Frau Mendel einen kleinen Vortrag über Jachtsegeln hielt.

Dann waren sie vor dem Hause in der Nähe des Hauptbahnhofs angelangt, wo der Rechtsanwalt eine sehr luxuriös eingerichtete Siebenzimmerwohnung im ersten Stock seit seiner Verheiratung inne hatte.

„Kommen Sie bitte mit zu uns nach oben, Herr Look,“ bat die kleine Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch zu dulden schien und den sie sich erst in letzter Zeit zu eigen gemacht hatte, weil sie dadurch eine gewisse selbstbewußte Energie zum Ausdruck zu bringen hoffte. „Mein Mann hat mich vorhin angeläutet,“ fügte sie erklärend hinzu. „Er hat einen Bundesbruder von sich für heute Abend eingeladen, einen jungen Assessor. Die Herren werden, da Dr. Linker vorläufig mit meinem Manne zusammenarbeitet, mancherlei zu besprechen haben, was mich nur langweilen wird. Leisten Sie mir also Gesellschaft. Ich lasse noch ein Gedeck für Sie auflegen.“

Look wiegte sich auf den Fußspitzen, wirbelte seinen Monokel an der Schnur im Kreise umher und dachte anscheinend sehr angestrengt nach.

Dann fragte er: „Bundesbruder? Was ist das?“

„So nennt man die Zugehörigen einer studentischen Verbindung, – auch Korpsbrüder, wenn sie einem Korps angehören.“

„Ah – verstehe! Habe in Bonn mal gesehen, wie solche Bundesbrüder Mensur machten. – Und Assessor ist der Herr? Ich viele Juristen kenne. Wie heißt er doch?“

„Linker. – Doch das läßt sich alles ebenso gut oben bei uns besprechen. – Bitte …!“ Und sie wies auf die Haustür.

James Look nickte und schritt voran. – Frau Mendel suchte stets sein Deutsch zu verbessern und sagte, es hieße nicht „Mensur machen“, sondern „ausfechten“. –

Er gab gar nicht acht auf ihre Worte. – Linker – Linker – den Namen hatte er schon mal gehört – kürzlich, sogar ganz kürzlich … – Dann lief ein Ausdruck der Befriedigung über seinen glattrasiertes, hageres Gesicht. Richtig – heute Nachmittag war es gewesen – Assessor, Linker, – das stimmte … –

Als der Assessor um halb neun sich von dem Stubenmädchen bei den Herrschaften anmelden ließ, kam Mendel ihm bis in den Flur entgegen, tat sehr erfreut, aber immer mit so einem gewissen gönnerhaften Unterton, und führte den Gast in das Herrenzimmer, wo James Look sich in einem Klubsessel sehr ungezwungen flegelte und die Hausfrau nicht minder unmalerisch halb auf dem fellbedeckten Diwan lag.

Linker kannte Frau Mendel bereits, wenn auch nur flüchtig. Sie streckte ihm die Rechte in einer Weise hin, daß er, wenn er nicht ungezogen erscheinen wollte, sich zu einem Handkuß verstehen mußte, obwohl er gegen diese Art von verehrungsvoller Begrüßung seit seiner Verlobung einen heftigen Widerwillen verspürte, an dem seine Schwiegermutter schuld war, die sich bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit die Hand küssen ließ.

James Look hielt es nicht für nötig, sich zu erheben, als der Assessor ihm vorgestellt wurde. Linker beachtete diese Nachlässigkeit nicht. Er war zu überrascht. Sofort hatte er Look wiedererkannt … Langgasse – grauer Hut – Warenhaus – Taschentuchverkaufstisch … – Kein Zweifel, dieser Engländer war Hildegard Begleiter von heute Nachmittag …!

Frau Mendel belegte Linker zunächst ganz allein mit Beschlag. Sie wollte feststellen, was an diesem neuen Mitarbeiter ihres Mannes eigentlich dran war. Äußerlich hatte er sie durch seine schlanke, mittelgroße Gestalt, die tadellose Kleidung und das fast noch ein wenig unreife, bartlose Gesicht mit den weichen, beinahe mädchenhaften Zügen recht zufriedengestellt. Man konnte sich mit ihm sehen lassen, und er würde bei den Mendelschen Gesellschaften eine ganz gute Figur machen. – Aber nun seine sonstigen Eigenschaften …

Die kleine Dame liebte es, zuweilen persönliche Eigenart hervorzukehren. Das imponierte manchen Leuten …

„Zeigen Sie mir Ihre linke Hand,“ sagte sie, nachdem er neben ihr auf einem Polsterschemel hatte Platz nehmen müssen. „Nicht so – die Handfläche. Ich verstehe mich ganz gut auf die Deutung der Linien der Hand.“

Linker war unangenehm berührt von dieser für seinen Geschmack wenig angebrachten Vertraulichkeit. Nur zögernd hatte er den Arm gehoben.

Frau Mendel aber hatte schon seine Hand ergriffen und studierte eifrig das rötlich sich auf der Haut abzeichnende Linienbild, wobei sie so nebenbei sagte:

„Ich habe diese Kunst von einer polnischen Fürstin in Monako gelernt. Die Ärmste hat dort ihr ganzes Vermögen verloren und lebt jetzt als Wahrsagerin in der Rue de Abbelais. Wir waren auf unserer Hochzeitsreise in Monte Carlo. Ich finde es zauberhaft schön. – Spielen Sie auch, Herr Assessor?“

Ihm begann diese kleine Frau lächerlich vorzukommen. Er hatte zu viel in den verschiedensten Gesellschaftskreisen, besonders in Berlin, verkehrt, um nicht in ihr einen Abklatsch jener unkultivierten Frauen aus Berlin W. zu sehen, die um jeden Preis Beachtung finden wollen.

„Spielen?“ meinte er etwas ironisch. „Nur Walzer auf dem Klavier, Tanzmusik, und Kommerslieder[3].“

„Im Zusammenhang mit Monako spricht man nicht von Musik,“ sagte sie etwa schnippisch.

„Richtig. Monako ist der Tummelplatz schöner Frauen,“ verbesserte er sich scheinbar eifrig. „Also Spiel mit Frauenherzen … – Ich bin verlobt, gnädige Frau, scheide mithin aus.“

„Oh – Sie sind ja geradezu gefährlich!“ In ihrer Stimme war jetzt keine Mache … Sie meinte es ehrlich.

„Wieder nicht zufrieden?“ fragte er, ohne weiteres auf diesen leichten Ton eingehend. „Meinten Sie etwa gar Hasard[4]?“

„Wäre das so schlimm gewesen?! Ich war nicht vom Roulettetisch wegzubekommen.“

Mit dem Zeigefinger ihrer Rechten wies sie dann auf die mittelste Linie seiner Handfläche und fuhr fort:

„Ihr Liniennetz zeigt ein Spielerschicksal.“

„So?! – Na, na – ich kann nicht einmal Skat!“

Sie hob den sehr sorgfältig frisierten Kopf und schaute ihn strafend mit den graublauen, ziemlich matten Augen an.

„Vielleicht werden Sie einst an meine Worte denken. Lockendes Gold treibt Sie vom Wege ab, und der letzte Einsatz wird …“ Sie schwieg, hüstelte und fügte hinzu: „Nein – das sage ich nicht! Nur warnen kann ich Sie …!“

Er lachte übermütiger auf. „Die polnische Fürstin, Gnädigste, – vielleicht hat deren Wiege auch an der Spree gestanden, wo viele begabte Schwindlerinnen aufwachsen! – Hat wohl für ihre Handdeutekunst stets dasselbe Rezept gehabt: Spielleidenschaft, große Verluste, tragisches Finale mit Revolverschuß oder einem Ende Strick …“

Er hatte gelacht, und doch hatte er plötzlich an … Lotte Harrich gedacht, an seine Verlobung. – Lockendes Gold – ja, der frühere Mehlhändler, jetzige Getreidegroßkaufmann, hatte davon einen ganzen Batzen, und – vom Wege hatte dieses Gold ihn auch gewissermaßen abgetrieben, weil er noch vor einem halben Jahre fest entschlossen gewesen war, nur aus Liebe einmal zu heiraten. Dann aber war das Assessorexamen gekommen, und da hatte seine in allem etwas berechnende Mutter seine Angst vor der ungewissen Zukunft Weihnachten dazu ausgenutzt, ihm Lotte Harrich als Rückhalt für alle Fälle – und das war eben ein ungünstiger Ausgang der Examensnot! – zu empfehlen. Die Erkenntnis seines eigenen, kaum den Durchschnitt erreichenden juristischen Wissens tat das übrige. In der Neujahrsnacht wurde er glücklicher Bräutigam …

Hieran dachte er jetzt.

Dann hörte er James Looks näselnde Stimme:

„Trösten Sie sich. Mir hat Frau Mendel genau dasselbe vorausgesagt. Zwischen uns ist aber etwas sehr Verschiedenes. Ich spiele mit großer Leidenschaft, habe daher auch wohl die bessere – ja, wie drückt man sich aus? – die größere Erwartung auf den Revolverschuß.“

„Nicht „Erwartung“ – die größere Aussicht!“ verbesserte die kleine Hausfrau, sprang, wieder etwas bakschischmäßig, auf die Füße und sagte: „Wir wollen zu Tisch gehen, meine Herren.“

Karl Linker aß auf diese Weise heute zweimal Abendrot.

Das Speisezimmer mit den vielen alten Zinntellern und -krügen, den schweren, geschnitzten Möbeln und der kleinen, für vier Personen fast zu feierlich gedeckten Tafel heimelte den Assessor an. Er vergab Frau Mendel in Gedanken die alberne Wahrsagekomödie von vorhin.

Die Unterhaltung war angeregt. Look erzählte von seinen Reisen in Nepal, kam dabei auf den schlafenden Wundermönch von Mawiruk zu sprechen, einen Buddhisten, der 1905 bereits sechs Jahre in einem schlafähnlichen Zustande dalag und auf jede an ihn gerichtete Frage Antwort gab, ein seltsamer Seher also, den das Volk in Nepal als Heiligen verehrte.

Das Gespräch lenkte hierdurch auf die Erörterung der Frage über, ob für den Menschen ein achtstündiger Schlaf täglich wirklich nötig wäre, um die Leibesmaschine tadellos in Gang zu halten. – Der Engländer meinte, er käme mit vier Stunden aus, Mendel verlangte mindestens sieben und seine Gattin gar zehn Stunden.

Linker meinte heiter, er hätte einen so festen Schlaf, daß er in jedem Falle den Wecker stellen müsse. „Sonst würde ich in die Ewigkeit hinüberschlummern, glaube ich …“

Look schüttelte ungläubig den Kopf und ließ sein Monokel wie ein Pendel über seinem Teller hin und her schweben.

„Wie ist das nur möglich?“ sagte er zweifelnd. „Ja, wenn Sie noch körperliche Anstrengungen hätten, dann – aber so, – ein Bureauarbeiter!“

„Vielleicht ererbte Eigentümlichkeit von meinem Vater her. Der konnte auch zu jeder Tages- und Nachtzeit einschlafen, wo und wie er wollte,“ erwiderte der Assessor, dem es nicht angenehm war, daß gerade er jetzt den Mittelpunkt des Gespräches bildete, und dazu bei einem so belanglosen Gegenstand. Daher leitete er auch absichtlich jetzt die Unterhaltung auf ein anderes Thema über, indem er von den Erfahrungen zu berichten begann, die er bei der Wohnungssuche am Vormittag gesammelt hatte und die sich nicht lediglich auf die verschiedenen Typen von Vermietern meist weiblichen Geschlechts, sondern auch mehr auf die Erweiterung seiner Kenntnisse Ixstädter Gassenromantik in den alten Vierteln bezogen.

„Richtig – wo haben Sie denn eigentlich Ihr Quartier aufgeschlagen, Herr Assessor,“ fragte Frau Mendel dann ziemlich unvermittelt, wohl weil weder sie selbst noch ihr englischer Gast von Architektur genug verstanden, um diesen Ausführungen folgen zu können. Besonders der Engländer versagte hier vollständig. Linker hatte auch schon vorhin bemerkt, daß Looks allgemeine Bildung recht einseitig war und daß dieser nur mitreden konnte, wo es sich um persönliche Erfahrungen handelte.

Als die kleine Frau Rechtsanwalt, deren Gesicht jetzt nach den drei Gläsern Rotwein fast beängstigend rot geworden war, woran wohl Vollblütigkeit und die nur durch enge Schnüren vorgetäuschte moderne Figur die Schuld trugen, nunmehr hörte, daß der Assessor die Mühlengasse gewählt hatte, zuckte sie erst leicht zusammen, schürzte dann aber ein wenig die ohnehin stark aufgeworfenen Lippen und erklärte:

„Mühlengasse?! – Dort wohnt doch niemand!“ Womit sie wohl andeuten wollte, daß eine solche obskure Gegend für einen Assessor sich nicht eigne.

„Wohlhabende Leute nicht, aber immerhin Menschen, wie z.B. die Tochter meiner Wirtin, ein Fräulein Hildegard Kunath, die Berliner Schick mit einem männerbeunruhigenden netten G’sichtl in sich vereinigt.“ Diese Worte waren für den Herrn mit dem Monokel bestimmt, erzielten jedoch keinerlei Wirkung, obwohl der Assessor den Namen recht laut und deutlich ausgesprochen hatte. Look verleugnete also die Bekanntschaft mit dem jungen Mädchen, was nicht gerade günstig für den ohnehin etwas rätselhaften grauen Filzhut zu deuten war. Auch als Linker nochmals bei der Beschreibung seines Zimmers ihren Namen so nebenbei nannte, blieb der Engländer stumm.

Gegen halb zwölf brachen die Herren auf, da der vielbeschäftigte, vielseitige Mendel, den die kleine Frau Nora mit ziemlichem Geschick in allerlei öffentliche Ehrenämter hineinzulancieren verstanden hatte, immer häufiger verstohlen gähnte.

Vor dem Hause verabschiedete Look sich von dem Assessor.

„Wir haben verschiedene Wege,“ meinte er. „Ich wohne am Langenmarkt. – Gute Nacht.“ Das wurde sehr kühl gesagt. Der Engländer schien den Assessor nicht gerade übermäßig zu schätzen.

Linker, der an viel Bewegung in frischer Luft seit den vier in Barten zugebrachten Wochen gewöhnt war, wollte die sternklare Aprilnacht noch zu einem kleinen Spaziergang benutzen.

Es war lediglich eine Augenblickseingebung von ihm, daß er bald kehrtmachte und in sicherer Entfernung hinter Look herging, der seine Schritte stark beschleunigt hatte, nachdem er außer Hörweite des Assessors zu sein glaubte.

Der Engländer ging am Hauptbahnhof vorüber, bog dann links in den engen Gang zwischen der Garnisonskirche und der hohen Mauer des Waisenhauses ein, gelangte so an den großen Mühlengraben und verlor sich in den zahlreichen Gassen und Gässchen der sogenannten Altstadt, auch Handwerkerviertel genannt, da es hier nur Straßenbezeichnungen wie Tischler-, Maurer-, Klempnergasse und ähnliche gab.

Zahlreiche Passagen in Gestalt von niedrigen, dunklen Torbögen, manche kleinen Tunneln gleichend, verbanden viele dieser schmalen Straßen miteinander und schufen so ein förmliches Gewirr von einem Wegenetz, in dem sich nur ein langjähriger Ortskundiger zurechtfinden konnte.

Hier kam Look dem Assessor aus den Augen. Und dieser versuchte auch gar nicht, den Engländer wieder zu Gesicht zu bekommen, da er sehr bald die Unmöglichkeit einer Verfolgung in diesem Gassenlabyrinth einsah. Nach längerem planlosen Umherirren gelangte Linker an den Kanal, der parallel zu dem großen Mühlengraben sich entlangzog, und zwar gerade an einer Stelle durch einen Torweg an das Nordufer des breiten Grabens, wo er über den Dächern der gegenüberliegenden Häuser die charakteristischen Giebellinien der Großen Mühle sich gegen den Nachthimmel abheben sah. Hier auf dieser Seite des Kanals gab es einen Bürgersteig, der zwischen Wasser und Gebäudefront wie ein Uferkai sich hinzog. Auf der anderen Seite dagegen, und dort mußte auch die Rückseite des Hauses liegen, in dem die Witwe Kunath wohnte, floß der Graben dicht an den Grundmauern vorbei.

Linker hatte sehr bald das betreffende Haus herausgefunden. Er konnte es ganz gut erkennen. Die Sterne gaben genügend Licht. Und außerdem hatte er vorzügliche Augen. Mit der sargdeckelähnlichen Mansarde und den drei hohen, durch Eisenstangen gestützten Schornsteinen, die sich wie düstere Arme drohend gen Himmel reckten, sah es nicht eben freundlich aus. Das Erdgeschoß lag hier nach der Wasserseite zu so hoch, daß unter den sechs Fenstern sich noch sechs längliche, mit Schießscharten vergleichbare, vergitterte Kellerfenster befanden. Das Haus hatte nur noch ein Stockwerk. Dann kam schon die Mansarde, die recht hoch war und große Räume enthalten mußte.

Linker stand regungslos da und begann, wie ihm das häufiger ging, in allerlei Träumereien seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. – Wer mochte wohl das alte Haus da drüben außer Frau Kunath noch bewohnen…? Und – gab es unter diesen Bewohnern noch andere, die wie Hildegard sich in seltsame Rätsel einhüllten …? –

Er schien ihm, als müßte dieses Gebäude, das so dunkel und verschwommen in dem unsicheren Licht der Sternennacht als Überbleibsel einer längst versunkenen Vergangenheit dalag, nur Leute beherbergen, die irgendwie vom Schicksal oder durch eigene Schuld gezeichnet wären.

Und jetzt erst in diesem Augenblick fiel ihm sein Überbewohner ein, der unruhige Geist, der stundenlang in seinem Zimmer auf und ab ging mit leicht dröhnenden Schritten, wie einer, den das Gewissen oder seltsam rege Gedanken hin und her trieben, – ein zweiter John Gabriel Borkmann aus dem Ibsenschen Schauspiel, der als krankhafter Phantast nutzlosen Plänen nachgrübelt und dessen Schritte sein ein Stockwerk tiefer hausendes Weib ständig an das Entsetzen oder Leid ihres Lebens gemahnen …

Da war also schon so etwas wie ein zweites Geheimnis … Und – wer konnte wissen, vielleicht gab es noch mehrere im alten Mühlenhause …

 

4. Kapitel.

Der kleine Nachen.

Von Süden her kam über den Dachfirst eine Wolke hochgekrochen, langsam, stetig.

Sie fraß wie ein hungriger Drache einen Stern nach dem andern, stand bald zu Häupten des Assessors und löschte alle die blinkenden Pünktchen aus, die noch eben als Spiegelbilder der Gestirne auf dem Wasser des Kanals geflimmert hatten.

Karl Linker fröstelte. Es war doch noch kühl, – keine rechten Frühjahrsnächte, in denen das große Sehnen der erwachenden Natur durch die Welt zieht …

Er fröstelte und gähnte. –

Da – der erste Schlag der Turmuhr der nahen Kirche – elf weitere … Der neue Tag hatte begonnen.

Linker wollte sich heimwärts wenden. Noch einmal schaute er zum alten Mühlenhause hinüber, nahm gleichfalls Abschied für heute von ihm und dachte: „Bald werde ich mich zum ersten Schlummer in das breite Bett legen, das deine Wände beschirmen. Dann aber sehe ich dich nicht mehr, dann ist’s nur ein Teil von dir, das Zimmer, das auf mein Gemüt wirken kann. Wer weiß, was ich träumen werde in dieser ersten Nacht … Abergläubische messen diesen ersten Träumen eine große Bedeutung zu. – Ich nicht. Ich bin nicht abergläubisch, nur romantisch und poetisch veranlagt, also ein schlechter Fechter in der Art des heutigen Daseinskampfes, der nüchterne, selbstsüchtige Naturen verlangt …“

Linker hob den Fuß, wollte sich entfernen, setzt ihn aber schnell wieder vorsichtig hin.

Aus dem jetzt über den Wassern des Kanals lagernden dunklen Schatten hatte sich ein kleiner Nachen losgelöst. Undeutlich waren darin zwei Gestalten zu erkennen, die sich offenbar absichtlich tief zusammenduckten. Die Ruder wurden so leise bewegt, daß der Assessor nur selten einen verräterischen Ton hörte.

Der Nachen hielt sich ziemlich dicht an den Grundmauern der Häuser drüben. Linker mußte schon sehr genau hinsehen, um ihn überhaupt zu erkennen. Das ganze Gebaren der beiden Gestalten – ob Mann oder Weib ließ sich nicht unterscheiden – erregte seinen Argwohn. Auf ehrlichem Wege befanden diese Leute sich nicht. Und – wahrhaftig – jetzt machte das kleine Boot vor dem alten Mühlenhause halt.

Diese Stelle war nicht günstig für einen, der gern genau beobachten wollte. Das Gemäuer dort, grünbemooster Granit, bildete einen Hintergrund, von dem sich bei dieser Dunkelheit nur hellgekleidete Gestalten abgehoben hätten. So aber sah Linker so gut wie nichts mehr …

Jetzt begann es auch noch zu tröpfeln; ein ganz feiner Sprühregen setzte ein. Und gleichzeitig hörte Linker auch auf den Steinplatten des Bürgersteiges den langsamen, festen Schritt eines Näherkommenden. Sein in die graue Nacht hineintastender schneller Blick bemerkte das Schimmern des Beschlages eines Helmes: ein Schutzmann auf dem Patrouillengang.

Karl Linker hastete lautlos davon. Er hatte nicht Lust, dem Wächter der Ordnung Rede und Antwort zu stehen, was er hier um Mitternacht treibe. Aber leid war es ihm doch, daß er verscheucht wurde. Zu gern hätte er den kleinen Nachen noch weiter belauert. Das wäre so spannend gewesen … Ja, hier in Ixstadt erlebte man doch gleich etwas. Erst der graue Hut, dann das Monokel, und nun noch dies eben, das winzige Boot, auch geheimnisvoll, verdachtserregend, genau so wie die Beziehungen zwischen Hildegard und James Look …

Der Kirchenplatz war jetzt erreicht, nachdem er eine Holzbrücke passiert hatte, gleich würde er zu Hause sein, – nur noch ein Stück an der rechten Seite des großen Mühlengrabens entlang …

Graue Hut … Monokel …! –

Linker lächelte. Seine Gedanken waren nach der Heimat geflogen, nach Barten, – viertausend Einwohner, darunter Familie Harrich, Großkaufmann, und die Frau verwitwete Rechnungsrat Antonie Linker, seine Mutter. Und von der hatte er es sich angewöhnt, für jeden Menschen eine besondere Bezeichnung zu wählen. Die Frau Rat nannte im vertrauten Gespräch mit Eingeweihten niemand mit Titel und Namen. Für sie war ja Richard Harrich nur „das große O“, weil er geradezu unwahrscheinliche O-Beine besaß, die keine Schneiderkunst verheimlichen konnte; Frau Alma Harrich wieder hieß nur „das Lorgnon“, das sie ihrer eigenen Ansicht nach mit der vornehmen Nachlässigkeit einer Fürstin handhabte; und der dicke Bürgermeister von Barten mußte mit der Bezeichnung „Knaster“ zufrieden sein, da er seiner Frau die Gardinen mit Hilfe eines übelduftenden Tabaks und einer langen Pfeife cremte und parfümierte.

So war denn eben Hildegard „der graue Hut“ und James Look „das Monokel“ geworden, während Frau Nora Mendel und ihr kleiner, den Kopf so hoch tragender Gemahl alle Anwartschaft auf „Monako“ und „Vereinsmeier“ hatten. –

Karl Linker zog den mächtigen Hausschlüssel, eine reine Verteidigungswaffe, hervor, der sich neben den kleinen Kollegen des Ringes wie ein Goliath ausnahm.

Leise schloß er auf. Er war immer rücksichtsvoll. Leute, die andere nächtlicherweise durch Türenknallen und ähnliches im Schlafe störten, waren ihm ein Greuel.

So gelangte er denn fast lautlos in sein Zimmer, nachdem er im Wohnungsflur ein Zündholz angerieben hatte. So etwas wie elektrische Flurbeleuchtung gab es im alten Mühlenhause nicht. Und schon die Gasleitung war dem Assessor in diesen Räumen wie eine Entweihung einer ehrwürdigen Vergangenheit erschienen.

Er brannte nur die Petroleumlampe auf dem Schreibtisch an, entledigte sich des Überziehers, hing den Hut dazu und schaute sich in seinem Heim um. Auch jetzt wirkte es wieder äußerst behaglich, obwohl er doch eben von Mendels kam – aus dem stilvollen Herrenzimmer mit den weichen Klubsesseln und dem fellbelegten Diwan, auf dem „Monako“ sehr zwanglos halb gelegen und ihm seine Handlinien gedeutet hatte.

Da fiel ihm plötzlich der Nachen ein.

Ein schneller Schritt, ein scharfes Hineinblasen in den Lampenzylinder, die Flamme ging sofort aus und schickte aus Rache für diese unsachgemäße Behandlung einen dicken Qualmfaden zur Decke empor.

Der Assessor tastete nach dem Schreibtischstuhl, ließ sich darauf nieder und zog die Schnürschuhe aus – erste Garnitur, Lackbesatz – für besondere Gelegenheiten. In diesen Stiefeln hatte er auch den Assessor gemacht und war auch Bräutigam geworden. Lotte hatte ihm damals aus Versehen auf die linke Spitze getreten. Der Schandfleck war noch da …

Nun ging er an das eine Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen, – schwere, rote Stoffvorhänge, die keinen Lichtstrahl durchließen.

Draußen war unterhalb des Fensters nichts zu erkennen. Und doch glaubte Linker, daß das kleine Boot vorhin gerade hier halt gemacht hatte.

Leise, fast Millimeter für Millimeter, hob er die beiden Riegel hoch, öffnete den einen Flügel. Die Doppelfenster waren schon entfernt, die man allgemein in Ixstadt der Kälte wegen nur im Winter einhängte.

Sehr langsam schob er den Kopf vor. Seine Augen hatten sich jetzt an die grauschwarze Dämmerung über dem Kanal gewöhnt. Der Regen war vorüber. Es hatte nur „gedrippelt“, wie die Frau Rechnungsrat sagte. Und die Wolke, der sterneverschluckende Drache, zog nach Norden zu davon, begann jetzt gerade all die Himmelslämplein wieder freizugeben.

Der kleinen Nachen war der Länge nach ganz dicht an die Mauer des alten Mühlenhauses gedrückt und mit zwei Stricken am Bug und Stern an die Gitter zweier Kellerfenster so festgemacht, das über ihm sich das Fenster von Hildegards Zimmer befand. –

Und – das winzige Boot war leer. Wenigstens war kein lebendes Wesen darin. Die Ruder lagen auf den beiden Sitzbrettern und ragten ein Stück über die Bordwand hinaus.

Der Assessor überlegte, dachte an die Reise nach der Schweiz – als Student, von Freiburg aus. „Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd“ …, – und … „das Fensterln!“ … Ein leiser Pfiff … „Dirndl, i bin’s, der Jackl …“ Eine Leiter, – hinein ins Fenster …

Hier konnte man fast annehmen, daß Hildegard das Dirndl sei und die Leiter durch den Nachen ersetzt wurde. –

Aber: – zwei Gestalten waren im Boot gewesen – zwei! Das war einer zu viel. Mithin …

Karl Linker wurde aus der Sache nicht recht klug. Der graue Hut nebenan hatte jetzt ja wohl fraglos Besuch. Aber – der Zweck?! – –

Halt – konnten nicht aber die Insassen des Nachens auch durch eins der Kellerfenster eingestiegen sein, um einem lichtscheuen Gewerbe nachzugehen, um – zu stehlen?! Gewiß, da waren die Gitter! Die ließen sich aber wohl beseitigen, mußten längst von Rost zerfressen sein …

So oder so – das Erlebnis blieb interessant. Und Linker beschloß, geduldig einen Teil der Nacht zu opfern. Er mußte zusehen, wie die Geschichte endete …

Er lehnte sich mit den Armen auf den Fensterkopf und wartete. Bald wurde ihm jedoch die Zeit lang. Und die Ellenbogen schmerzten. Die Turmuhr von St. Katharinen – richtig, den Namen hatte ihm Frau Kunert genannt, als sie ihm das Abendrot brachte – schlug eins. Linker kämpfte gegen die zunehmende Müdigkeit an. –

Eigentlich! – Was ging ihn der Nachen an … Hatte er es nötig, morgen seinen Dienst bei dem Vereinsmeier halb verschlafen anzutreten?! Und dazu mußte er noch gleich als Vertreter seines Brotherrn vor die Strafkammer als Verteidiger erscheinen …! Da hieß es, frisch sein, geistig rege, ausgeruht. Stand ihm doch kaum Zeit zur Verfügung, um die Akten auch nur noch flüchtig durchsehen. Der Straffall sollte allerdings sehr einfach liegen …

Doch der kleinen Nachen wirkte wie ein Magnet. Linker kam nicht vom Fenster fort. – Er gähnte immer häufiger, fror auch. Die Augen fielen ihm zu, der Kopf senkte sich. Dann ruckte er wieder zusammen … Er wollte nicht einschlafen …!

Er dachte an den Tee, den er sich bestellt hatte. Eine Tasse davon würde ihn vielleicht ermuntern. So ließ er denn den Vorhang zurückfallen, strich ein Hölzchen an und goß sich eine Tasse ein. Das Kännchen nebst Zubehör stand auf dem Mitteltisch. Auch eine kleine, bunte Zuckerschale war dabei. Der Assessor nahm einen halben Teelöffel Zucker, rührte schnell um und trank die Tasse in einem Zuge leer.

Frau Kunath hatte mit den Teeblättern zu sehr gespart. Linker liebte das Getränk schwarzbraun, nicht so durchsichtig wie diesen Aufguß. Das wollte er ihr gleich morgen sagen …

Bevor er an das Fenster zurückkehrte, fiel ihm ein, daß er seine Tür nicht verriegelt hatte. Er holte es nach beim schwachen Schein eines zweiten Zündholzes. Jetzt erst sah er, wie altertümlich das Türschloß war. Die Beschläge getriebenes Eisen, und der Riegel plump und dick, aber zuverlässig.

Das Hölzchen war fast abgebrannt. Der Assessor wollte auf seinen Lauscherposten zurück, blieb aber doch stehen, beugte den Kopf scharf horchend vor. Draußen im Flur hatte er ein Geräusch zu vernehmen geglaubt.

Dann ein ganz leises Kreischen von Eisenteilen, die sich aneinander reiben. Der Drücker bewegte sich von einer Hand auf der anderen Seite nach unten gepreßt … Jemand probierte, ob die Tür verschlossen war …

Linker schleuderte das Hölzchen weg. Ein schwacher Geruch von verbranntem Horn stieg ihm in die Nase. Er hatte sich den Zeigefingernagel angesengt.

Nun stand er wieder in tiefster Finsternis da.

Und wieder das leise Kreischen. Jetzt bewegte der Drücker sich aufwärts in die Ruhelage …

Der Assessor merkte, wie sein Herz schneller pochte als bisher. Das Erlebnis offenbarte seine aufregende Seite. Und alle Müdigkeit war verflogen. Weiter auch nicht wunderbar, sagte sich Linker. Und er schlich auf Strümpfen nach dem Fenster hin …

Wie still es in dem alten Hause war … In der Holztäfelung der Wand tickte die Totenuhr, – ein Holzwurm war an der Arbeit, bohrte einen runden Gang und fabrizierte gelblichen Holzstaub.

Das Insekt war doch nicht das einzige Muntere im stillen Hause … Oben knarrte jetzt leise eine Diele. Der Überbewohner schien auch noch herumzugeistern. Da – wieder das Knarren …

Der Assessor lüftete den Vorhang und schob den Kopf ins Freie, zog ihn aber schnell wieder zurück.

Im Nachen hatte ein Mann gestanden, vornübergebeugt.

Wieder wagte Linker einen Blick hinaus. Der Mann hatte die Ruder in der Hand und klemmte sie eben im Bug unter das vordere Sitzbrett fest. Jetzt richtete er sich auf, und – des Assessors Kopf verschwand abermals.

Nach einer Weile hörte Linker draußen flüstern, beugte sich vor …

Der Mann im Nachen stützte die hochgestreckten Hände auf den Fenstersims nebenan, wobei er einer nicht sichtbaren Person etwas zuraunte.

Kaum vier Meter war des Assessors Kopf von dem einen Manne entfernt. Der zweite war wohl bei dem grauen Hut im Zimmer. Hätte der im Boot nur einen einziges Mal nach links geschaut, so wäre der Lauscher entdeckt worden. Aber das, was er vorhatte, nahm wohl seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

„Merkwürdig, wie müde ich plötzlich wieder werde!“ dachte Karl Linker, dem jetzt trotz der spannenden Vorgänge draußen die Lider schwer wie Blei wurden. Er mußte wirklich seine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht der ererbten Eigentümlichkeit zu unterliegen … Nur jetzt nicht einnicken …! Um keinen Preis …!

Da … über dem Sims des Nebenfensters erschienen zwei Beine, Männerbeine, schwarze Stiefel, dunkle Beinkleider. Wie schlaff sie hin und her baumelten … Und der im Boot packte zu und zog daran, fing dann einen menschlichen, willenlosen Körper auf …

Kräfte besaß der Mann im Nachen sicher. Das sah man, wie er nun den Mann in das Boot legte …

Linkers Augenlider waren jetzt schwer wie Blei, noch viel schwerer. Der Vergleich reichte nicht aus. Aber ein schwereres Metall gibt es nicht … Unwillkürlich kam dem Assessor dieser Gedanke. –

Er konnte die Augen nicht mehr aufhalten, hatte nur einen Wunsch, sie für einen Moment schließen zu dürfen …

*

Frau Harrich trat ein. Es war heller Tag. Ihr Gesicht, schwammig, gepudert wie immer, hatte die Wut zur Fratze verzerrt. Sie riß ihr Schildpattlorgnon von der Goldkette los und warf es Linker ins Gesicht …

„Betrüger!“ kreischte sie. „Meine arme Lotte …!“ …

Die Mutter kam über die Wiese gegangen. Sie trug die schwarze Morgenhaube. Der falsche Hauptschmuck lag also noch daheim. Sie rang verzweifelt die Hände …

Nein – es war doch keine Wiese. Es war das Zimmer im hinteren Gebäude der Wilhelmstraße in Berlin, wo Linker sechs Stunden lang auf Herz und Nieren von sehr würdigen, sehr klugen Herren geprüft worden war, die unheimliche Fragen stellten und auch leicht stellen konnten, da sie sie sich daheim in der Studierstube aus dicken Büchern heraussuchen durften, während ihre armen Opfer all das im Kopfe haben sollten …

Es war die Assessorenfabrik, das Examenszimmer. Und der Vorsitzende verkündete eben im Namen der Prüfungskommission, daß der Referendar Dr. juris. Karl Linker wegen ganz ungenügender Leistungen zu Verschickung nach Sibirien verurteilt worden sei. Dann klopfte er mit der Faust wie in wilder Wut auf den Tisch, daß es nur so dröhnte, immer lauter …

Und da erwachte der Assessor.

Er fand sich in Kleidern auf dem Diwan wieder, der an der Wand stand, die den noch halb offenen Fenstern zunächst lag …

Und durch diesen Fensterflügel, der den dicken Vorhang ein wenig hochbauschte, drang das helle Tageslicht herein.

Noch völlig schlaftrunken nahm der Assessor diese Einzelheiten wahr …

Doch der Vorsitzende in der Assessorenfabrik schlug noch immer auf den Tisch, – wenigstens pochte jemand von draußen recht kräftig gegen die Zimmertür …

Ah – also das war’s. So hatten Traum und Wirklichkeit sich verwischt.

Jetzt auch Frau Kunaths Stimme:

„Herr Assessor – Herr Assessor – ich sollte Sie doch um sieben wecken …!“

„Schon gut – danke!“ rief Karl Linker zurück und erhob sich taumelnd. Wie schwer ihm der Kopf war, und wie wüst hinter der Schädeldecke die Gedanken durcheinanderirrten …

Er stand und sann nach … Langsam baute er, Stein auf Stein gleichsam, die einzelnen Vorgänge der verflossenen Nacht zu einem Gesamtbilde zusammen.

Mein Gott – was war davon nun Traum, was tatsächliches Erleben …?! – Er fand sich nicht zurecht in dieser jüngsten Vergangenheit mit ihren Unwahrscheinlichkeiten … Der Nachen – er war wohl dagewesen … Aber der Mann, den man aus Hildegards Fenster hob und der so willenlos wie ein Toter oder Bewußtloser zu sein schien, – der gehörte sicher zu der Reihe von Traumgebilden wie Frau Harrich mit dem Lorgnon als Wurfgeschoß, wie die Mutter im Morgenhäubchen und der Vorsitzende mit der donnernden Faust … – –

Der Assessor hatte sich gründlich gewaschen und den Kopf dabei immer wieder in die Schüssel getaucht.

Nun war er fertig angezogen. – Halt – das Bett mußte das Lügen lernen, vortäuschen, daß er darin die Nacht zugebracht hatte. Er drückte die Kissen ein, tat alles, um eine friedliche Nachtruhe der guten Kunath vorzumogeln.

Dann kam sie auch schon mit dem Morgenkaffee.

„Gut geschlafen, Herr Assessor …?“

Er bejahte. – Aber der Tee müsse kräftiger sein, – ehe er’s vergesse.

Um acht Uhr war er in der Langgasse, wo der „Vereinsmeier“ sein Bureau in einem neuen Eckhause hatte. Jetzt fehlte die Zeit, um sich noch weiter mit dem kleinen Nachen und den beiden Männern, die zum „Fensterln“ gerudert kamen, zu beschäftigen. Der Dienst verlangte alle Gedanken. Die neuen Verhältnisse rückten die verflossene Nacht mit ihren dunklen Geschehnissen vorläufig in den Hintergrund.

Mendel hatte Linker eine Stube neben seinem Sprechzimmer eingeräumt. Dort studierte der Assessor die Strafsache Pößnick und Genossen. Diese Biedermänner, drei an der Zahl, sollte er heute vor der Strafkammer an Stelle seines Brotgebers verteidigen. –

Aussichtslose Sache! Die Beweise waren erdrückend. Bandendiebstahl lag vor. Es kam nur darauf an, durch glänzende Beredsamkeit das Strafmaß herabzudrücken, – falls die Herren Richter überhaupt auf den Verteidiger hören würden.

Um elf Uhr stand die Sache Pößnick und Genossen zur Verhandlung an. Linker war schon eine halbe Stunde früher zur Stelle.

 

5. Kapitel.

Der große Unbekannte.

„Angeklagter Pößnick, Sie sollen lieber nicht versuchen, sich hier als den Verführten aufzuspielen. Sie wollen uns ein ganzes Märchen aufbinden … Das mitanzuhören haben wir nicht Zeit. In der Voruntersuchung haben Sie kein Wort davon erwähnt, ebensowenig Ihre Freunde Kalker und Rowarke, daß ein großer Unbekannter der Hauptanführer bei der ganzen Beraubung des Dampfers „Ella“ gewesen sei. Warum verschwiegen Sie denn diesen Umstand bisher? – Nun, die Antwort ist einfach: Diesen Unbekannten gibt es eben nicht!“

Karl Linker, jetzt im Anwaltstalar, erhob sich.

„Ich bitte, den Angeklagten Pößnick seine Geschichte ohne Einschränkung erzählen zu lassen,“ sagte er mit einer Ruhe, die er sich selbst kaum zugetraut hatte. Bisher war er kaum zu Worte gekommen. Jetzt galt’s.

Der Vorsitzende lächelte gutmütig.

„Aber, Herr Verteidiger, – das hätte doch gar keinen Zweck. Wir haben wirklich noch genug Sachen heute zu erledigen.“ Er zuckte die Achseln und flüsterte dem einen Beisitzer etwas zu. Der lächelte nun gleichfalls, – offenbar über die Leichtgläubigkeit dieses jugendlichen Vertreters des Rechtsanwalts Mendel.

Linker fühlte die Bedeutung dieser stillen Heiterkeit oben am Richtertische sehr wohl heraus. Er wurde rot vor Ärger. – „Wartet, Ihr sollt schon sehen …!“ dachte er.

Und laut, beinahe etwas anmaßend, beantragte er nun in aller Form, den Pößnick über dieses neue Moment eingehend zu vernehmen. –

Am Richtertisch wurden die Köpfe mißbilligend geschüttelt.

Da fügte der Assessor auch schon hinzu:

„Zur Begründung meines Antrages führe ich folgendes an. – Gewiß, meine drei Klienten haben auch der Verteidigung erst heute von diesem Unbekannten Mitteilung gemacht. Sie hatten hierfür ihre besonderen Gründe. Sie wollten die Inhaberin einer kleinen Kneipe schonen, bei der sie sich öfters zusammenfanden und bei der auch zuweilen jener Unbekannte erschien. Ich beantrage also gleichzeitig auch, die Restaurationswitwe Anna Gundlach als Zeugin zu laden und, um eine Vertagung zu vermeiden, durch einen Gerichtsdiener sofort holen zu lassen. Die Gundlach wird unter Eid bekunden, daß es diesen Unbekannten tatsächlich gibt.“

Der Vorsitzende und der Staatsanwalt tauschten einen erstaunten Blick aus.

„Dürfte ich fragen, Herr Verteidiger, woher Sie dieses Entlastungsmaterial haben?“ meinte der Vorsitzende schon etwas interessierter. „Sie hätten diese Dinge doch besser vorher schriftlich zu den Akten geben sollen, damit auch der Herr Vertreter der Anklage hierzu hätte Stellung nehmen können.“

„Das neue Material ist erst heute mir zugängig geworden,“ erwiderte Linker kurz. „Ich bitte über meine Anträge Beschluß zu fassen. Ich wäre auch mit einer Vertagung nötigenfalls einverstanden.“

Da stand der Staatsanwalt, ein korpulenter Herr mit einem Sudermannbart, auf und erklärte, er bäte um Ablehnung der Anträge, durch deren Annahme lediglich eine Verschleppung herbeigeführt werden würde.

Linker meinte ziemlich scharfen Tones, dann sei ein Revisionsgrund gegeben. Ihm sei auch das recht.

Der Gerichtshof zog sich zur Beratung zurück, kam jedoch bald wieder. Die Anträge der Verteidigung waren abgelehnt worden als unerheblich.

So mußte Pößnick denn notgedrungen auf „das Märchen“ verzichten.

Linker hatte jetzt kein Interesse an der Verhandlung mehr. Er hatte leise mit den drei Angeklagten gesprochen, die eifrig nickten.

Der Staatsanwalt beantragte für jeden drei Jahre Gefängnis. Des Assessors ganzes Plädoyer bestand in den Sätzen: „Die Verteidigung verzichtet im Einverständnis mit den Angeklagten auf das Wort und wird Revision beantragen, um vor der Oberinstanz deren Rechte mit hoffentlich größerem Erfolg wahrnehmen zu können.“

Das war beinahe frech, diese letzte Redewendung.

Aber der Vorsitzende lächelte schon wieder milde. Der Verteidiger war ja noch so jung …

Pößnick und Genossen wurden dann zu je drei Jahren Gefängnis verurteil und nach Schluß der Verhandlung wieder abgeführt. Trotzdem verließ Karl Linker stolz wie ein Sieger den Gerichtssaal. Seine Abschiedsverbeugung für den Gerichtshof fiel sehr knapp aus. Den Staatsanwalt übersah er ganz.

Es war jetzt halb eins. Der Assessor wollte versuchen, ob er Mendel noch im Anwaltszimmer des Landgerichts nebenan treffen könnte. Er mußte ihm doch von dieser neuen Wendung der Dinge Mitteilung machen.

Mendel saß mit einem Kollegen zusammen in einer Ecke des  Raumes, wo beide sich über Stadtklatsch unterhielten, damit sie nachher ihren Frauen etwas Neues erzählen konnten. In diesem Raum war schon aus manchem Vorkommnis eine große Staatsaffäre mit verschiedenen recht „tief untergrabenen guten Rufen“ geworden.

Linker nahm seinen Brotherrn beiseite. Der fragte sofort und kurz: „Wieviel?“ Das hieß: Höhe der Strafe für Pößnick und Genossen.

„Drei Jahre?!“ meinte Vereinsmeier dann fast entsetzt. „Die Leute waren doch sämtlich noch nicht vorbestraft! Ich hatte an anderthalb gedacht. Aber gleich drei …!“ Das klang wie ein milder Vorwurf gegen Linker.

Der erzählte nun, wie Pößnick ihm kurz vor der Verhandlung noch folgendes anvertraut hätte:

Die zwanzig Sack feinsten Sumatra-Kaffee von dem Dampfer „Ella“ gestohlen zu haben, wollten er und seine beiden Freunde gar nicht weiter leugnen. Aber sie hatten diesen Diebstahl nur mit Hilfe einer anderen Person ausführen können, die sie auch hierzu angestiftet hatte. Sie waren seit langem Stammgäste in der Kneipe der Frau Gundlach unten am Hafen. Die Frau hatte ihnen wiederholt Geld geborgt, war überhaupt keine von denen, die einem Hafenarbeiter das Fell über die Ohren ziehen. Nein, in ihren Kreisen erfreute die Gundlach sich großer Beliebtheit. Eines Abends Anfang März hatten die drei Freunde, sämtlich unverheiratet und in den besten Jahren stehend, bei Mutter Gundlach Skat gespielt. Dann war ein Fremder an ihren Tisch gekommen. Er sah so wie ein Pole oder Ungar aus und sprach auch schlechtes Deutsch, hatte einen sehr schäbigen Anzug an, verfügte trotzdem aber über genügend Münze, spendierte viel, ging dann fort, kam aber am folgenden Abend wieder. In fünf Tagen hatte er sich mit den drei Arbeitern so angefreundet, daß er vertraulich zu werden begann, von Hamburger Hafendiebstählen so allerlei erzählte und den dreien sozusagen den Mund auf spielend leichten Verdienst wässrig machte. Alles weitere war von selbst gekommen. Im kleinen Privatzimmer Mutter Gundlachs hinter dem Schankraum fanden die endgültigen Verhandlungen statt. Der Fremde, der sich Marzkiewiak nannte, hatte ihnen genau Tag und Stunde angegeben, wann sie mit einem großen Boot an den Dampfer heranrudern sollten, der an der Quarantänestation lag, wegen eines an Bord vorgekommenen Cholerafalles seine Ladung vorläufig nicht löschen durfte und der zu der angegebene Zeit ganz unbewacht sein würde. –

Dann wurde auch noch Mutter Gundlach, die Marzkiewiak schon vorher wohl so halb und halb gewonnen hatte, ins Vertrauen gezogen. An ihrem Grundstück ging ein Wasserarm in Gestalt eines Grabens bis nach den Nelson-Schiffswerften vorüber, den man gut benutzen konnte, um die Kaffeesäcke heimlich in das Hinterhaus der Kneipe zu schaffen. –

Als die drei Männer gegen Mitternacht sich dem Dampfer näherten, rief Marzkiewiak sie wie versprochen von Deck aus an und half dann auch die Säcke, die schon aus dem Lagerraum herausgeholt waren und auf dem Vorschiff lagen, im Boote verstauen. Kein Mensch hatte sie dabei gestört, und ebenso wohlbehalten wurden die Säcke nachher auch bei Mutter Gundlach untergebracht, um von dort morgens einzelnen in einem scheinbar mit Kleinholz beladenen Wagen nach Pößnicks Wohnung geschafft zu werden, wo sie dann die Polizei, wahrscheinlich auf Gund der Beobachtungen eines Nachbarn, dem die vielen Holzfuhren aufgefallen sein mochten, beschlagnahmte und die gerade anwesenden drei Freunde auch gleich mit verhaftete. –

Schon vorher hatten diese genau verabredet, was sie, falls sie der Polizei in die Hände fallen sollten, zu ihrer Rettung aussagen wollten. Sie hätten ein Boot mit den zwanzig Sack Kaffee nachts am Hafenbollwerk ohne Aufsicht gefunden, die Säcke dann in einem leeren Schuppen verborgen und nachher weggeschafft. –

Dies auszusagen hatte ihnen Marzkiewiak für alle Fälle geraten und ihnen nur hundert Mark Vorschuß unter der Bedingung gegeben, daß sie ihm fest versprachen, bei diesen Angaben bestimmt zu beharren. Sie hatten dann die Gundlach nicht mit hineinziehen wollen, und waren daher bei ihrer Aussage geblieben, bis am Morgen des Verhandlungstages den Pößnick die Angst vor einer hohen Strafe gepackt und er endlich dem Verteidiger die volle Wahrheit gesagt hatte. – –

Mendel nahm diesen Bericht in ziemlicher Gleichgültigkeit hin. Sein Interesse an einer Strafsache war stets sehr gering, wenn er wußte, daß dort nur eine Verurteilung dabei herauskommen konnte.

„Weißt du, lieber Linker,“ meinte er, „am besten ist, du erledigst den Fall auch weiter allein. Ich bin ja so sehr stark in Anspruch genommen durch meine Ehrenämter. Heute wird man mich wohl noch in den Vorstand der landwirtschaftlichen Ausstellung wählen, die im August hier stattfinden soll. Also, nicht wahr, – – du wirst die Geschichte schon für die Revisionsinstanz vorbereiten.“

Vom Landgericht begab Linker sich nach Hause. Er hatte nicht nur anständigen Hunger, sondern war auch todmüde. Er benutzte die Straßenbahn und sparte so eine kostbare Viertelstunde; denn um vier Uhr mußte er schon wieder auf dem Bureau sein.

In der Straßenbahn studierte er dann nochmals die Akten Pößnick und Genossen. Er wollte seine erste Strafsache gleich recht gründlich bearbeiten. Der Fall lag doch immerhin etwas ungewöhnlich. –

Die Protokolle über die Vernehmungen der Besatzung des Dampfers „Ella“ waren auch unter den Vorgängen. Der Kapitän Richter hatte den Diebstahl gleich am Morgen bemerkt. In der Nacht wollte er infolge eines vorausgegangenen Zechgelages mit Bekannten, an dem auch der Steuermann und der Maschinist teilgenommen hatten, fest in seiner Kabine geschlafen und nichts Verdächtiges gehört haben. Die anderen Leute des Dampfers hatten genau so wenig angeben können. Wie die Säcke an Deck gekommen waren, blieb in der Voruntersuchung jedenfalls ganz ungeklärt. –

Erst jetzt wußte Linker darüber besser Bescheid. Aber immer noch zu wenig, um sich ein klares Bild davon machen zu können, welche Rolle der etwas geheimnisvolle Marzkiewiak dabei gespielt hatte. –

Es gab hier also noch verschiedene dunkle Punkte aufzuklären, und für dieser Arbeit gedachte Linker sich die Hilfe eines Strompolizisten zu sichern, der, wie aus den Akten hervorging, sich die größte Mühe gegeben hatte, in das über dem Diebstahl lagernde Dunkel etwas mehr Licht hineinzubringen. Dieser Beamte hieß Trebitz und wohnte zusammen mit mehreren Kollegen von der Strompolizei in einem abgetakelten und zum Wohnschiff umgebauten Dreimaster, der vor dem Krantor im Hafen verankert war. Trebitz war heute ebenfalls vor der Strafkammer als Zeuge vernommen worden, hauptsächlich um zu beurkunden, daß die Hafendiebstähle sich gerade in den letzten zwei Monaten sehr vermehrt hatten, so daß man annehmen konnte, es existierten mehrere Banden von Strompiraten, die die Plünderung vor Anker liegender Schiffe zu ihrem Spezialgewerbe gemacht hatten. –

Als Linker sein Zimmer betrat, deckte Hildegard gerade den Mitteltisch für das Mittagessen.

Der Prozeß Pößnick und Genossen war in demselben Augenblick völlig vergessen, wo er das junge Mädchen vor sich sah. Blitzartig tauchten in seiner Erinnerung die Vorgänge der Nacht mit aller Deutlichkeit wieder auf … Und jetzt war ihm plötzlich auch klar, daß selbst diese so unwahrscheinliche Einzelheit, das Hineinheben eines Toten oder Bewußtlosen in den kleinen Nachen, kein Traumbild gewesen … Aus Hildegards Fenster war der Mann herausgeschafft worden. – Und Hildegard stand jetzt vor ihm …

Er hatte sie ein paar Sekunden wie eine Erscheinung angestarrt. Dann nahm er sich zusammen. Er durfte nicht auffallen durch sein Verhalten ihr gegenüber. Sie war klug und berechnend, sie würde nur zu leicht argwöhnisch werden …

„Guten Morgen, Herr Assessor,“ sagte sie, indem sie ihn seiner Ansicht nach forschend musterte und in seinem Gesicht zu lesen versuchte. Ihre Worte hatten auch jetzt recht förmlich geklungen.

„Guten Morgen, Fräulein. – Sehr liebenswürdig, daß Sie einem Ausgehungerten so augenscheinliche Hoffnung machen, alsbald sich vor ein leckeres Mal setzen zu dürfen.“

Der gutgelaunte, harmlose Ton gelang ihm wohl nicht so ganz. Wenigstens verlor ihr Blick nichts von seinem prüfenden, fast bohrenden Ausdruck. Und doch stand dazu wieder in schwer zu begreifendem Gegensatz ein weher, mutloser Zug um den Mund und die ganze Körperhaltung, die Hilflosigkeit und Befangenheit anzudeuten schienen. Er sah auch dies sehr wohl, und wieder kam ihm der Gedanke: „Welch’ Rätselwesen bist du nur?! Wenn ich doch nur einmal feststellen könnte, was sich in deiner Seele in Wahrheit abspielt …!“

Zögernd ging sie dann hinaus, blieb an der Tür stehen, schaute ihn an, als liege ihr irgendeine Erklärung auf den Lippen, – und wandte sich doch um und verließ das Zimmer.

Seltsam …! – Nein – er wurde nicht klug aus ihr, – ebenso wenig wie aus den Vorgängen dieser Nacht …

 

6. Kapitel.

Der Herr von oben.

Frau Kunath brachte das große Tablett mit dem Mittagessen selbst herein.

„Hoffentlich schmeckt’s,“ meinte sie in ihrer verschüchterten Art. „Es ist ein ostdeutsches Gericht, Erbsen mit Schweinepökelfleisch.“

Er beruhigte sie. „Das Abendrot gestern war schon großartig. Und Erbsen sind mein Leibgericht.“

Lautlos glitt sie wieder hinaus. Auch bei ihr so etwas Gedrücktes, Scheu-Ängstliches. Hildegard wußte dies nur besser zu verbergen.

Linker aß mit bestem Appetit. Nur seine Gedanken, – die vergällten ihm sehr die behagliche Mahlzeit! – Was war nur in der verflossenen Nacht geschehen …?! Was hatte es mit dem Manne auf sich, der so heimlich aus Hildegards Zimmer weggebracht worden war …?! – Immer enger schloß sein Denken gerade diese Einzelheit ein, zerlegte sie, um zu einer Erklärung zu kommen, grübelte, riet herum, stellte diese, jene Theorie auf durch allerlei Kombinationen … Alles umsonst! Nur eines wurde ihm immer klarer: Hier spielten sich in dem alten Mühlenhause Dinge ab, die weit über Fensterln und ähnliches hinausgingen, hier konnte ein Verbrechen geschehen sein, und er … war der Mitwisser!

Ganz heiß wurde ihm plötzlich. Er schob den Teller von sich und sprang auf.

Mit einem Male wurde ihm schwarz vor den Augen, ein Traum packte ihn, daß er sich an der Tischkante festhalten mußte. Aber ebenso schnell war der Schwindelanfall auch vorüber …

Das war sicher eine Folge der Nacht, des Schlafes auf den Diwan und der wirren Träume. – Ja, wie hatte er eigentlich vom Fenster den Diwan erreicht …?! Seine Erinnerung hörte von dem Moment an auf, wo ihm die Augenlider mit Zentnern belastet zu sein schienen und nur der eine Wunsch ihn erfüllt hatte: Ruhen – schlafen – schlafen …!

Dann fiel sein Blick auf den Schreibtischaufsatz. Dort hatte er Lottes Bild hingestellt … Jetzt standen daneben zwei Vasen mit Anemonen, diesen ersten Kindern des Frühlings. Lotte war so umgeben von den weißen Blüten, daß es wie ein Blumenrahmen wirkte.

Ach – Lotte! Wie fern sie ihm gerückt war, seit er hier eingezogen …! Und wie gleichgültig er an sie dachte, – wie an eine Fremde. In Barten, wo sie täglich zusammengewesen, hatte ihre Jugendfrische ihm das Sichselbstbelügen leicht gemacht, da hatte er manchmal wirklich geglaubt, wärmer für sie zu empfinden.

Und jetzt?! – Diese vier Wochen in der Heimat hatten nichts geändert. Dasselbe Gefühl des Fremdseins, prüfender Gleichgültigkeit auch hier wie damals in Berlin kurz nach seiner Verlobung …

Mit leiser Bitterkeit gedachte er seiner Mutter, deren Werk dieses Verlöbnis war …

Noch immer schaute er auf die Photographie … Die Gesichtszüge verschwammen … Es war der graue Hut dort zwischen den Anemonen – es war Hildegard, mit den merkwürdig tiefen Augen …

Da klopfte es, laut, kräftig. – Auf sein „Herein!“ erschien ein junger Mensch, langaufgeschossen, etwas blaß. Aber die Ähnlichkeit mit Hildegard war unverkennbar …

„Arnold Kunath,“ stellte er sich mit einer Verbeugung vor, als klappe die Klinge eines Taschenmessers zu, wobei er die Ellbogen weit vom Körper abspreizte.

Der jüngste Kunath hatte einen Zug im Gesicht, der nicht gerade zu seinen Gunsten sprach: Frühreife, gepaart mit erkünstelter Blasiertheit und deutlich zur Schau getragenem Selbstbewußtsein. – Dabei war er sehr gut, sogar ein wenig stutzerhaft gekleidet, und seine Art, sich zu verbeugen, verriet auch den Wunsch, die eckigen Bewegungen eines jungen Gecken nachzuahmen.

Linker reichte ihm die Hand.

„Freut mich, Sie kennenzulernen. – Wollen Sie nicht Platz nehmen?“

„Danke verbindlichst. Ich wollte Ihnen nur Herrn Reschke melden, der ein Anliegen an Sie hat, Herr Assessor.“

„Reschke? – Wer ist das?“

„Der Herr, der über Ihnen wohnt. Ein Kanzlist.“ Die Geringschätzung, die der patente Arnold Kunath für Reschke empfand, war deutlich aus der Betonung seiner Worte zu spüren.

„Grüner Bengel!“ dachte der Assessor. Und laut:

„Wollen Sie dann Reschke bestellen, ich ließe höflichst bitten.“

Das Taschenmesser klappte wieder zu und schob ab.

Dann kam Herr Ernst Reschke. Bei Linker hieß er seit der Nacht John Gabriel Borkmann – wegen des ruhelosen Auf und Ab.

Ein großer, stattlicher Greis mit fast weißem Kopf- und Barthaar; großen tiefe liegenden Schwärmeraugen, eine edel geformte Nase, das leicht lockige Haar etwas dichtermäßig lang und nach hinten gestrichen; die Kleidung ärmlich, aber sauber; alles sehr sympathisch wirkend. Das war Ernst Reschke.

Der Assessor hatte mit einladender Handbewegung auf einen der Sessel gewiesen.

„Bitte – nehmen Sie Platz, Herr Reschke.“

Über des Alten Gesicht, dem ein Hauch von Schwermut und nachdenklichem Ernst eine gewisse Weihe verliehen, lief ein froher Schein hin. Vielleicht hatte er gefürchtet, hier weniger liebenswürdig empfangen zu werden.

Zögernd setzte er sich, lehnte sich zurück und sagte schlicht:

„Ich bin nur ein simpler Lohnschreiber, Herr Assessor. Und vielleicht ist es aufdringlich von mir, so ohne weiteres …“

Er hatte langsam und bedächtig mit einer tiefen, kräftigen Stimme gesprochen, brach plötzlich ab und fuhr leise und geheimnisvoll fort:

„…so ohne weiteres Sie mit einer Angelegenheit zu behelligen, die uns beide eigentlich nichts angeht, – eigentlich! Und doch geht sie uns anderseits etwas an, ich habe Ihren Kopf in der verflossenen Nacht außerhalb Ihres Fensters bemerkt. Diese Bemerkung klärt Sie wohl schon genügend auf.“

Karl Linker war wirklich überrascht. Dann lächelte er:

„Ich verstehe, Herr Reschke. Auch Sie haben …“

„Leise, leise,“ warnte der Alte, den Assessor hastig unterbrechend. „Vergessen Sie nicht, daß „sie“ jetzt daheim ist und uns vielleicht zu belauschen sucht.“

Linker nickte Reschke vertraulich zu. Zwischen ihnen hatte sich schnell so etwas wie eine Bundesgenossenschaft ergeben.

„Also auch Sie haben den Nachen heimlich beobachtet,“ meinte er leise.

„Allerdings. – Wir wollen jetzt aber hier nicht weiter über diese Angelegenheit sprechen. Unser vorsichtiges Flüstern könnte Argwohn erregen. Kommen Sie bitte nach einer halben Stunde zu mir und bringen Sie mir Arbeit. Sie werden mich gleich verstehen …“

Und laut fuhr er fort:

„Ja, es geht mir sehr schlecht, Herr Assessor. Ich wollte Sie daher bitten, wenn Sie einmal eine Abschrift zu fertigen haben oder einen Aktenauszug, – ich bin billig und auch ganz gewandt.“

Linker fand sich sofort in die veränderte Tonart hinein.

„Gern, Herr Reschke. Ich werde an Sie denken. Es wird schon hin und wieder Arbeit geben.“

Der Alte erhob sich, verbeugte sich wohl absichtlich tief und unterwürfig und ging.

Fünf Minuten später erschien Hildegard, um den Tisch abzuräumen.

Linker saß im Sessel und hatte, die Beine weit von sich gestreckt, ein wenig schlafen wollen. Seinen Wecker mit dem doppelten Glockenspiel – ein gewöhnlicher genügte bei seinem tiefen Schlaf nicht – hatte er vor sich auf den Tisch gestellt, um nach einer halben Stunde sich ermuntern zu lassen.

Der graue Hut blieb schweigsam. Wenigstens zunächst. Als der Assessor sich dann für die Blumen bedankte, die Lottes Bild so frühlingsgemäß einrahmten, sagte Hildegard in ihrer kühlen Art:

„Sie wenden sich an die falsche Adresse. Meine Mutter hat die Anemonen aus der nahen Markthalle mitgebracht.“

„Jedenfalls bleibt es eine hübsche Aufmerksamkeit, Fräulein. Ich werde das Frau Kunath noch selbst ausrichten.“

Hildegard schaute Linker mit einem seltsamen Blick an. Was darin lag, vermochte er nicht zu unterscheiden. Es war jedenfalls ein besonderer Ausdruck in ihren Augen.

„Zu einer Braut gehören Blumen …“ sagte sie leise. Dann mit veränderter Stimme:

„Herr Reschke von oben wird wohl um Arbeit gebeten haben. – Könnten sie nicht etwas für ihn tun, Herr Assessor? Ich glaube, er hungert zuweilen.“

War das nun aufrichtiges Mitgefühl? War’s schlaueste Berechnung? – „Hildegard – du bleibst ein Rätsel!“ dachte Linker.

„Der Ärmste – hungern! Nun, ich will zusehen, was sich machen läßt. Übrigens fällt mir da gerade ein. Er könnte mir dort aus dem Aktenstück einen Auszug aus den Abschriften der Vernehmungen machen. Es ist eine Strafsache. Wegen Bandendiebstahls. Ich habe heute die drei Leute verteidigt. Aber sie wurden verurteilt. Hoffentlich habe ich in der Revisionsinstanz mehr Glück.“

„Eine Strafsache …?“ wiederholte sie in Gedanken versunken. „Ich wäre auch Strafverteidiger geworden, wenn ich ein Mann gewesen wäre … Es gibt doch viele Unschuldige, die vor Gericht kommen.“

Er wurde jetzt noch weniger klug aus diesem merkwürdigen, jungen Weibe denn je. Sehr gern hätte er dieses Gespräch fortgeführt. Aber sie nahm nun das Anrichtebrett und ging mit einem kurzen „Auf Wiedersehen“ hinaus. – Die große Wirtschaftsschürze, die sie ungebunden hatte, kleidete sie vielleicht noch besser als das schicke graue Kostüm, in dem Linker sie zuerst gesehen hatte; etwas Hausfrauliches, Würdevolles verlieh sie ihr; und dabei traten doch die tadellosen Formen ihres Körpers nicht minder gut in Erscheinung. –

„Sie ist doch ein verteufelt verlockender Bissen für jeden Feinschmecker,“ dachte Linker. „Wirklich, sie hat etwas an sich, das wie ein Magnet wirkt … Auch meine Gedanken lenkt sie immer wieder auf ihre Person …“

Nachdenklich schaute er vor sich hin. Dann glitt sein Blick wie schuldbewußt zum Schreibtisch … Und mit einem Male stand er auf und … schob die eine Vase ein Stück seitwärts, so daß sie Lottes Bild ganz verdeckte. – –

Karl Linker stieg die Treppe empor und läutete im Obergeschoß an der Flurtür rechter Hand. Hier wohnte dem Porzellanschildchen nach „A. Winkler“.

Eine dicke, schlumpig angezogene Frau öffnete.

„Herr Reschke? – Bitte – dort geradeaus. Aber Vorsicht! Es ist etwas dunkel hier.“ Ihre Freundlichkeit galt wohl nur dem, der Reschke etwas zu verdienen gab. Ihrem Gesicht nach zu schließen war sie mürrisch und gallig, den Augen nach hinterlistig und unaufrichtig.

Der Assessor war überrascht, daß Reschkes Zimmer so viel Gemütlichkeit ausstrahlte. Und dabei hatte der Alte sich den großen Raum in sehr eigenartiger Weise eingerichtet, sozusagen eine kleine Wohnung mit Küche, Schlaf- und Studierstube daraus gemacht.

Um den Kachelofen zog sich im Halbkreis ein hoher Wandschirm herum. Diese Ecke war die Küche. Und eine Tapetenwand teilte das übrige Zimmer in eine kleinere Schlaf- und eine größere Arbeitsstube, jede mit einem Fenster.

Reschke nötigte den Besucher in einen alten Eichensessel. – Linker sah jetzt erst, daß die Möbel hier zum Teil recht großen Altertumswert haben mußten. Besonders der Schreibtisch, der schräg am Fenster stand, würde mit seinen künstlerischen, reichen Schnitzereien das Herz so manchen Sammlers entzückt haben. Der Assessor konnte sich denn auch nicht enthalten, mit der Hand auf das Möbelstück zu deuten und zu fragen: „Ihr Eigentum, Herr Reschke?“

Der nickte kurz. „Erinnerung an Jugendzeiten meines Großvaters, Herr Assessor.“ –

Dieses Thema schien ihm jedoch nicht recht zu behagen. Wenigstens fuhr er ohne jeden Übergang fort: „Die gestrige Nacht … Sie hat auch Ihnen bewiesen, daß dieses Haus seine Geheimnisse hat. Und so ist es stets gewesen, seit ich hier wohne – fünfzehn Jahre, immerhin eine Spanne Zeit …“

Er holte aus einem eichenen Zigarrenschränkchen eine halbe Kiste – wahrhaftig „H. Upmann, Habana“ stand auf den Deckel! – und hielt sie Linker mit einem „Bitte, bedienen Sie sich“ hin.

Reschke war in seinen vier Wänden ein anderer. Gewiß – immer noch bescheiden. Aber keineswegs mehr unsicher oder unterwürfig.

„Daß er „Upmann“ vorrätig hat, gibt doch sehr zu denken,“ sagte der Assessor sich mit einer gewissen Berechtigung.

„Ein Geschenk,“ erklärte der Alte da, indem er mit dem gekrümmten Zeigefinger leicht gegen die Kiste klopfte. „Von einem Wohltäter stammt sie … – Nein, – geben Sie mir keinen Korb. Das würde mich kränken.“

Auch er zündete sich eine der teuren Zigarren an und setzte sich dann Linker gegenüber in den zweiten Eichenstuhl.

„Ja – so ist es stets gewesen,“ nahm er den Faden des Gespräches wieder auf. „Immer Geheimnisse …! Und fünfzehn Jahre spüre ich ihnen nun schon nach, – ganz ohne Erfolg …“

Linker schaute erstaunt auf. Bevor er aber noch eine Frage an den alten Mann richten konnte, fügte dieser schon hinzu: „Vielleicht habe ich jetzt mehr Glück, wenn Sie mir helfen würden, Herr Assessor. – Hören Sie, was ich hier erlebt habe. Auf Ihre Verschwiegenheit gegen jedermann kann ich ja wohl rechnen.

Meine persönlichen Verhältnisse sollen unerörtert bleiben. Nach der Lebensgeschichte eines ramponierten Zylinderhutes, der seine letzten Tage im Straßengraben zubringt und den sie dort zufällig zu Gesicht bekommen, werden Sie sich auch nicht erkundigen, Herr Assessor, auch kaum Interesse dafür haben. Jedenfalls hatte ich vor vielen Jahren einen bestimmten Grund, mich mit dem Schicksal einer Familie näher zu beschäftigen, der noch jetzt meine Teilnahme gehört. Es war das ein gewisser Ernst Kunath mit den Seinen, – Frau und zwei Kinder. Er war Werkführer in der großen Mühle. Ein Mensch, wie es nicht viele gibt. Widerspruchsvoll, begabt, vielseitig, ein Hans Dampf in allen Gassen, einer, der bei den Weibern unverschämtes Glück hatte, was er auch reichlich ausnutzte. Verwandeln Sie in Ihrer Phantasie Hildegard Kunath in ein männliches Individuum, geben Sie diesem eine stattliche Gestalt und einen seidenweichen Schnurrbart dazu, dann haben Sie Ernst Kunath vor sich. Er hätte es wohl weit bringen können im Leben trotz seiner bescheidenen Herkunft, wenn ihm nicht jede Stetigkeit, jede Spur von Willensstärke und die Fähigkeit, auf die Warnungen seines besseren Ichs rechtzeitig zu hören, gefehlt hätten. So aber versuchte er dieses und jenes und landete schließlich in den von Mehlstaub durchwirbelten Räumen der großen Mühle, wo er dann vom Rechnungsführer bis zum Werkmeister aufstieg. –

Als ich dieses Zimmer bezogen hatte, wohnten Kunaths gerade zwei Monate unten im Erdgeschoß. Ich suchte mir Aufschluß darüber zu verschaffen, wie das Verhältnis zwischen den Ehegatten war. Ernst Kunath, der vielleicht auch einen guten Durchschnittsschauspieler abgegeben hätte, tat vor der Welt steht so, als trüge er seine Frau, die als Mädchen viel umworben worden war, auf Händen. Aber der Frau traurige Augen und ihr herb gewordener Mund klagten ihn als Heuchler an. Ich habe hier oben oft genug seine brutale Stimme und wimmerndes Weinen gehört. Das Ehepaar benutzte damals Ihr jetziges Zimmer, Herr Assessor, als Schlafraum. –

Zwei Jahre vergingen. Zwischen mir und den Kunaths bestanden keinerlei Beziehungen. Wir gingen an einander vorüber, – er und ich die heimliche Widersacher, seine Frau und ich wie Menschen, die ein gemeinsames, unschuldiges Geheimnis verbindet und die sich doch nur verstohlen mit den Augen grüßen dürfen.“

Der Alte machte eine kurze Pause, um dann fortzufahren:

„Es ist für mich doch recht schwer, diese eigentümlichen Verhältnisse so zu schildern, daß Sie nur gerade so viel davon erfahren, als nötig ist, – nötig zum Verständnis der anderen Dinge, die mit allem übrigen nichts zu tun haben. Vieles werden Sie nicht recht begreifen, was ich hier nur andeute. Grübeln Sie nicht weiter darüber nach. Der alte, verbrauchte Zylinderhut am Wege schreit nicht nach Mitleid. –

Im dritten Jahre im Oktober setzte dann „das Andere“ ein, in einer Sturmnacht, die alle die alten Häusergiebel in pfeifende, heulende, klappernde Ungeheuer verwandelte. Ich liebe solche Nächte. Und damals hatten wir gerade noch Vollmond. Wolken, schwer und schwarz, jagten über den Himmel weg. Die Finsternis, die über der Erde lagerte, kam einem erst so recht zum Bewußtsein, man sah nun erst so recht, wie unheimlich sie war, wenn plötzlich der Mond das Dunkel, hinter den Wolken hervortretend, für Sekunden wegwischte.

Ich stand am Fenster, dort, – und meine Augen verfolgten die hellen Wolkenränder, die den Vollmond dahinter vermuten ließen; mein den Naturgewalten wie göttlichen Offenbarungen sich zuneigendes Herz erzitterte in einer krankhaften Wollust bei dieser Musik des Orkanes. Das alte Mühlenhaus schien zu schwanken, zu stöhnen. Die Nacht hatte etwas Grausiges an sich. Damals scheiterten ein Dutzend Schiffe an der nahen Küste. Zahlreiche Menschen kamen um, ein Nachbardorf brannte bis auf das letzte Hüttchen nieder, bestreut von dem gierigen Funkenregen eines Strohhaufens, den darin nächtigende Landstreicher aus Unachtsamkeit in Brand gesetzt hatten.

Ja, ich stand am Fenster. Es war um Mitternacht. Auf die seltsamsten Laute der Sturmmusik war ich gefaßt. Mit zitternden Nerven wartete ich auf Überraschungen. Vielleicht warf der Sturm ein ganzes Dach eines der Häuschen jenseits des Kanals herab … Das hätte etwas wie einen Kanonenschuß abgeben müssen …

Nicht gefaßt war ich auf den gellenden Schrei, der urplötzlich aus der Kunathschen Wohnung zu mir empordrang. –

Ich habe nie geglaubt, daß irgend eine heftige Erregung eines Menschen seine Stimme so steigern kann. Der Schrei war so deutlich zu hören, daß ich sofort wußte: Es ist das arme Weib, aus dessen Kehle diese Fanfare wahnsinnigen Entsetzens stammt.

Noch verhielt ich mich, durchschauert von unheimlichem Schreck ganz regungslos, als auch schon ein zweiter, noch lauterer Schrei dem ersten folgte. Ich glaubte jetzt das Wort „Hilfe!“ zu verstehen, endlos gereckt, ausklingend in einen schrillen Laut, für den es keine Beschreibung, keinen Vergleich gibt.

Bevor ich dann die Treppe hinabstürzte, um der zu Hilfe zu kommen, deren Leben ich bedroht glaubte, riß ich noch das Fenster auf, beugte mich weit hinaus und blickte nach unten, ob denn in dem Kunathschen Schlafzimmer Licht brannte. –

Alles dunkel … Da schüttete gerade der von Gewölk freigegebene Mond sein feines Licht für einen Augenblick über die Erde aus. Und nur deshalb bemerkte ich einen Nachen, der soeben von der Grundmauer des alten Mühlenhauses abstieß und mit seinen beiden Insassen, getrieben von hastig bewegten Rudern, davonschoß. Einzelheiten konnte ich nicht wahrnehmen. Der Mond war schon wieder verschwunden, und das Dunkel hatte Kahn und Menschen verschluckt.

Gleich darauf riß ich bei Kunaths unten an der Türglocke. Nach guten drei bis vier Minuten erst öffnete Ernst Kunath, gehüllt in einen Schlafrock, als käme er soeben aus dem Bett, und fragte schlaftrunken und unwirsch, was ich denn jetzt mitten in der Nacht von ihm wünsche.

Eine Frauenstimme hätte bei ihm in der Wohnung laut um Hilfe gerufen, erwiderte ich noch zitternd vor Aufregung.

„Herr, Sie sind verrückt oder betrunken.“ brüllte er mich an. „Sie werden lebhaft geträumt haben,“ fügte er dann weniger aufgebracht hinzu. „Es ist überhaupt eine tolle Nacht. Schlafen das reine Kunststück! Entschuldigen Sie bitte meine Grobheit. Das Heulen des Orkans hat mich nervös gemacht.“

So mußte ich denn unverrichteter Sache wieder abziehen. Und ich wußte doch ganz bestimmt: Es war Frau Kunath gewesen, deren gefolterte Seele sich in diesen zwei Rufen Luft gemacht hatte. – –

Das war die erste Nacht, in der „das Andere“ in Erscheinung trat. Sie blieb nicht die einzige. Daß der Nachen mit den Angstschreien eines armen Weibes irgendwie in Verbindung stehen könnte, reimte ich mir erst viel später zusammen. Und allmählich verdichteten sich dann eben allerlei Seltsamkeiten in diesem Hause und seiner Bewohner im Erdgeschoß rechts zu einem düsteren Geheimnis, das jedoch wie ein wesenloses Gespenst vor meinem Geiste schwebte, – nicht zu packen, nirgends, an keiner Stelle, nicht zu ergründen nach Umrissen und Inhalt … –

Ja, allerlei Seltsamkeiten. Ich müßte stundenlang erzählen, wenn ich Ihnen, Herr Assessor, hiervon nur die Hälfte erzählen wollte. Nur einiges greife ich heraus, Hauptmomente sozusagen.

Den Nachen habe ich im Verlauf der nächsten elf Jahre noch sehr oft in dunklen Nächten beobachtet. Immer legte er unterhalb der drei Fenster der beiden Hinterzimmer der Wohnung Ernst Kunaths an. Zu welchem Zweck … Ich weiß es heute noch nicht. Die Leute, die in dem Kahne kamen und wieder davonfuhren, sah ich stets nur wie Schemen in der Dunkelheit. Ich hörte auch wohl mal leises Flüstern, aber verstand nie ein Wort, selbst wenn ich mich noch so tief zum Fenster hinauslehnte, wobei ich mich noch der Gefahr aussetzte, bemerkt zu werden. Ich sage absichtlich, der Gefahr aussetzte, – denn ich war in all diesen Jahren fest davon überzeugt, daß Ernst Kunath und die, die so verstohlen nächtlicherweise zu ihm kamen, mich nicht geschohnt haben würden, wenn sie gemerkt hätten, daß ich zu viel von ihren Heimlichkeiten wußte. Als Beweis hierfür folgendes: Die anderen Mietparteien hier im alten Mühlenhause wechselten recht oft. Mit manchen dieser Familien wurde ich oberflächlich bekannt. Sämtlich behaupteten sie – es waren stets einfachere Leute – schon kurze Zeit nach ihrem Einzug, daß es hier „umgehe“, das heißt spuke. Sie wollten nachts seltsame Geräusche hören, – dumpfe Klopftöne, Schritte, Heulen und Winseln in den dicken Mauern, Stöhnen und sonst allerlei, wofür sie keine natürliche Erklärung fanden. Nun – auch ich habe diese Töne gehört, auch ich habe manche Nacht wach im Bett gesessen und angestrengt gelauscht.

Einmal – es war so etwa im sechsten Jahre meines Hierseins! – ging es gegen Mitternacht wie eine starke Erschütterung durch das ganze Gebäude. Der Kalk rieselte hinter den Tapeten herab, der Deckenanstrich blätterte ab und bestreute den Fußboden, das Gebälk ächzte, kurz, irgendetwas mußte geschehen sein, das das Haus in seinen Grundfesten hatte erbeben lassen. Damals wurden alle Einwohner munter, fanden sich draußen im Treppenflur zusammen. Auch Frau Kunath war darunter. Ihr blasses Gesichtchen hatte jedoch mehr einen scheuen, verängstigten als einen erregten Ausdruck. Ihr Mann, so behauptete sie, wäre nicht daheim. Schließlich beruhigten alle sich wieder und verschwanden in ihren Wohnungen, denn nichts weiter geschah. Ich selbst aber habe damals die Nacht geopfert und heimlich aufgepaßt, ob Ernst Kunath wirklich abwesend wäre. Das traf nicht zu. Er war zuhause gewesen, und sein Weib hatte aus irgendeinem Grunde gelogen – besser und zutreffender ausgedrückt – die Unwahrheit sagen müssen, wie ich annehmen mußte. Ich hatte ihm vor dem Hause morgens aufgelauert, tat ganz so, als wäre unsere Begegnung eine rein zufällige, sprach ihn an und teilte ihm mit, was sich in der verflossenen Nacht ereignet hatte. Er war mit einer Erklärung für die schwere Erschütterung des Hauses schnell bei der Hand, wobei er mich prüfend musterte, ob ich auch wohl durch seine Angaben befriedigt wäre. Er meinte, der ausgemauerte Kanal – auch der großen Mühlengraben hat ja ein künstliches Bett – lasse zuweilen Wassermengen bis zu den Fundamenten der anliegenden Häuser durchdringen, wobei die Mauerschichten gelockert würden und stellenweise nachgäben, was aber nichts zu bedeuten hätte, da beim Bau der Häuser auf solche Unterspülungen schon Rücksicht genommen wäre. –

Ich faßte diese Erklärung im Stillen so auf, wie sie den Umständen nach für einen kritischen Beobachter lediglich aufzufassen war: als einen Beschwichtigungsversuch! –

Kunath gegenüber tat ich so, als sei ich nun wirklich beruhigt, fügte jedoch hinzu, ich würde Gelegenheit nehmen, doch mal mit einem bekannten Bausachverständigen die Angelegenheit durchzusprechen. Er nickte nur mit einem kurzen „Meinetwegen!“; dabei traf mich aber ein Blick aus seinen unstäten Augen, in dem es wie Haß, Feindschaft und versteckte Drohung lag. Noch nie hatte er mich so angesehen, wenn er eben auch sonst nicht gerade freundschaftliche Gefühle für mich hegte. –

Ich muß hier nachholen, daß Kunath die Verwaltung dieses zur großen Mühle gehörigen Grundstücks führte. Es war mir nun schon ein paar Mal aufgefallen, daß er gerade den Mietspartien, die allzu viel über „den Spuk“ im Hause auch zu anderen sprachen, sehr bald aus einem nichtigen Grunde kündigte. Am liebsten nahm er offenbar Bewohner auf, die nur aus Frauen bestanden, – Witwen, ältere Fräulein und Familien ohne männlichen Schutz. Nicht minder durchsichtig war für meinen längst erwachten Argwohn seine Absicht, gerade mich loszuwerden. Er kündigte den Leuten, die diese rechte obere Wohnung innehatten und bei denen ich als Untermieter nur durch erhebliche Geldopfer stets mein Zimmer mir erhalten konnte, am häufigsten, schikanierte sie auf jede nur mögliche Weise. Zweimal verbot er diesen Familien, die mich als „möblierten Herrn“ von den Vormietern übernahmen, diese Art des Nebenerwerbes. Sie sollten mir kündigen, oder selbst ausziehen. Auf mein Betreiben beschwerten sich die Betreffenden beim Magistrat als dem Grundstückseigentümer über diese ganz willkürliche Anordnung des Verwalters. Kunath trieb denn auch die Sache beide Male nicht auf die Spitze und gab nach, – um jedoch sehr bald den Leuten aus anderem vorgeschobenen Grunde zu kündigen. Er hatte also offenbar vor mir doch eine gewisse Angst und wollte es nicht zu unverhüllter Feindschaft kommen lassen. Jedenfalls blieb ich der einzige hier im Hause mit Ausnahme Kunaths, der sich nicht „weggraulen“ ließ. –

Nach jener Nacht, als das Mühlenhaus sekundenlang zu wanken schien – etwas Ähnliches geschah wieder ein oder zwei Jahre darauf – änderte ich meine Taktik diesem Manne gegenüber, dem ich das schlechteste zuzutrauen inzwischen gelernt hatte. Ich spielte mich ganz als den Harmlosen auf, begegnete ihm freundlich, sprach über meine Marotte, gerade hier wohnen zu wollen wie über eine Schwäche, die ich selbst belächelte, und erreichte dadurch auch, daß sein Mißtrauen und seine Abneigung gegen mich geringer wurden. Im übrigen blieb aber alles beim alten; es spukte weiter, und hin und wieder erschien auch der geheimnisvolle Nachen mit ebenso geheimnisvollen Männern, die durch das Fenster der Stube, in der jetzt Hildegard wohnt, aus und ein gingen. –

Unzählige Stunden habe ich darüber nachgegrübelt, wie ich all diese merkwürdigen Vorgänge zusammenfügen könnte. Ich dachte an die unmöglichsten, phantastischten Geschichten, – an eine geheime Diebesgenossenschaft zum Beispiel, da dies sich mit den ganzen Ereignissen noch am besten in Einklang bringen ließ. Aber es gab da immer wieder einzelne Momente, die dagegen sprachen, so besonders, daß ich nie beobachten konnte, daß aus dem Nachen irgendwelche größeren Gegenstände in das Zimmer gereicht wurden und daß Ixstadt von Einbrechern dank einer vorzüglichen Kriminalpolizei wenig heimgesucht wurde. –

Dann kam jene Märznacht vor zwei Jahren, in der abermals ein paar gellende Schreie mich im Bett hochfahren ließen. Ich öffnete das Fenster und spähte hinaus. Dicht an der Mauer lag wieder der Nachen, mit Stricken an den Kellerfenstergittern vertäut. Er war leer, und die drei Fenster nach dem Kanal hin waren dunkel. Eine Viertelstunde später stieg ein Mann aus der einfenstrigen Stube in den Kahn und ruderte davon. Es war wieder eine sehr dunkle Nacht, der Himmel bedeckt, und ein Sturm wehte, der mich bis aufs Mark am offenen Fenster durchkältete. Am Morgen hatte ich Fieber, und drei Wochen lag ich dann im Lazarett mit einer gefährlichen Lungenentzündung. Als ich mein Heim hier wieder bezog, war das erste, was mir Frau Anna Winkler, meine Wirtin, erzählte – sie hat es am längsten hier ausgehalten, und Sie werden ihren Namen wohl an der Flurtür bemerkt haben, Herr Assessor, – daß inzwischen Ernst Kunath verstorben sei. Genau wie ich war er damals nach jener kalten, windigen Nacht erkrankt und zwar an einem Leiden, über dessen Natur sich die Ärzte nicht klarzuwerden vermochten. Schon drei Tage später war er tot. –

Ich hielt mich für verpflichtet, als ältester Einwohner des Hauses der Witwe einen Beileidsbesuch zu machen. Hildegard öffnete mir. Ich wurde abgewiesen. Frau Kunath wich mir dann auch nachher ängstlich aus.

So – das wäre ein flüchtiges Bild der Vergangenheit, Herr Assessor. Gehen wir nun zur Gegenwart über.“

 

7. Kapitel.

Wie einst …

Karl Linker sah nach der Uhr. Er wunderte sich, daß er erst eine halbe Stunde in dem eigenartigen Heim „John Gabriel Borkmanns“ saß. Es kam ihm vor, als hätte er nun schon stundenlang dem Alten zugehört. So völlig hatte ihn dessen Bericht gefesselt, daß ihm jede Schätzung der Zeit verlorengegangen war.

Ernst Reschke hatte des Assessors Griff nach der Uhrtasche bemerkt und fragte nun:

„Müssen Sie schon aufbrechen? – Das würde mir leidtun. Ich hätte diese ganze Angelegenheit gern in einem Zuge erledigt. Nicht immer bin ich so mitteilsam. Ich folge selten Augenblickseingebungen. Heute tat ich’s, als ich zu Ihnen kam. Ihr Gesicht hatte mir Vertrauen eingelöst.“ Er lächelte etwas verlegen. „Warum soll ich’s Ihnen schließlich vorenthalten?! – Schon gestern war ich mit Ihnen sozusagen auf derselben Fährte. Sie folgten Hildegard, die mit diesem ekelhaften Engländer in der Langgasse war, und ich – tat dasselbe. Ich wurde auf Sie aufmerksam. Sie hatten Ihre Augen schlecht in der Gewalt, – eben weil Sie sie nur auf das Mädchen gerichtet hatten. Als Sie heimgingen, war ich hinter Ihnen. So lernte ich den neuen möblierten Herrn der Witwe Kunath kennen.“

Karl Linker schüttelte den Kopf.

„Mein Gott, wann werden bloß für mich die Überraschungen aufhören?! Seit ich in dieses Haus eingezogen bin, fühle ich mich in eine Welt des Außergewöhnlichen versetzt. Bisher war mein Leben eigentlich ohne große Ereignisse hingeflossen. Und jetzt … jetzt …!“

Der Alte nickte ihm freundlich zu, machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand und sagte:

„Schade um jedes Dasein, das in gleichmäßigem Einerlei dahinfließt wie ein gutregulierter Bach, ohne starke Erregungen, ohne himmelhoch jauchzende Freude, tief wühlenden Schmerz, ohne Begeisterung, Angst und Kummer. Tage, Stunden, in denen wir eine dieser Empfindungen durchkosten, sind wie die Meilensteine an unserem Lebenswege, die uns die Eintönigkeit der zurückgelegten Strecke in so und so viele Abschnitte zerlegen, gute und schlimme, und die uns die guten noch besser erscheinen lassen im Kontrast zu den schlechten, deren dunkle Bahn sie uns erhellen … – Doch – das sind wohl so Ansichtssachen! Viele sind zufrieden, wenn sie ruhig ihren Pfad wandern können in einer Art Halbschlaf, aus dem das Schicksal sie nie wachrüttelt. – Sie aber, Herr Assessor, sehen mir nicht so aus, als begehrten Sie von diesem irdischen Dasein nur ein graues, verwaschenes Einerlei. Oder tat ich unrecht, daß ich Sie mit diesen Dingen behelligte, daß ich einen Vorhang nur zu einem Viertel hob und Ihnen dahinter einen Chor von Gespenstern zeigte, ohne diesen Vorhang ganz lüften zu können?!“

Linker streute bedächtig die Asche seiner Zigarre in die Schale und erwiderte, indem er den alten Herrn offen anblickte:

„In dem Chor von Gespenstern, den ich nur zum Teil zu sehen bekam, tanzen auch Sie mit, Herr Reschke. – Ich begreife nicht, welches Interesse Sie an Ernst Kunath und den Seinen hatten, um mit solcher Ausdauer Geheimnissen nachzuspüren, die Sie schließlich doch nichts angingen …! Ihr Verhalten ist mir rätselhaft. Aus alledem, was Sie mir eben anvertrauten, geht ja immer wieder hervor, daß es bei Ihnen wahrscheinlich nicht die Sucht nach allem Abenteuerlichen, der Hunger nach Sensationellem war, der sie an dieses alte Mühlenhaus bannte. Sie haben mir viel erzählt, aber sicher auch viel verschwiegen – über sich selbst, über die Fäden, die von Ihnen zu Kunaths hinüberleiten.“

Der Alte nickte in schmerzlicher Träumerei. Sein Gesicht trug den Ausdruck tiefsten Seelenleids, und seine Augen schauten weltentrückt geradeaus, – wahrscheinlich zurück in eine Vergangenheit, die er fest in seinem Herzen zu verschließen suchte.

„Merksteine unseres Lebensweges …!“ sagte er nach einer Weile leise. „Ja – da weit, weit hinten steht ein Meilenstein in dem Einst wie auf einem hohen Berge, den mein Daseinspfad auf der einen Seite erklomm, um auf der anderen hinabzulaufen in tiefste düstere Niederungen … Nein – heute nichts hiervon. Vielleicht kommt auch der Tag, wo ich Ihnen auch hierüber die Augen öffnen werde. Nur eins soll jetzt schon gesagt sein, und so spricht meine Lebenserfahrung zu ihrer hoffnungsfrohen Jugend: Hüten Sie sich vor dem Weibe, vor der einen, die vielleicht einmal Ihren Pfad kreuzt und dann entweder Ihr Glück oder … Ihr Unglück wird.“

Ernst Reschke schwieg. Und es war, als ob der Assessor den eisigen Windhauch des Flügelschlages des Schicksals verspürte. –

„Was für einen seltsamer Mensch!“ dachte er. „Wer ist er – was ist er…?! Jedenfalls nicht der arme, hungernde Kanzlist, für den er sich aus–gibt…“

Da begann der Alte schon wieder:

„Also nun die Gegenwart … – Kunath war tot. Und seine Witwe begann den Kampf mit dem Leben allein, ohne Hilfe – wenigstens zunächst ohne Hilfe! Sie hat schwer zu ringen gehabt. Die Pension ihres Mannes als städtischer Beamter war klein. Wohl nur aus Gnade beließ man ihr die Wohnung. Ich hätte ihr gern mit Rat geholfen. Doch sie lehnte ab. Dann wuchs Hildegard heran. In einem Jahr reifte sie vom Kinde zum vollwertigen Menschen aus. Ich hatte meine Freude an ihr. Natürlich nur die des stillen Beobachters. Dann … Doch – hier möchte ich eine Frage einschalten: Welchen Eindruck hat das Mädchen auf Sie gemacht, Herr Assessor?“

Linker überlegte sich einen Augenblick die Antwort.

„Den einer Sphinx – eines unergründlichen, widerspruchsvollen Rätsels …! – Gewiß, ich kenne die junge Dame erst sehr kurze Zeit. Aber ich glaube, mein Urteil dürfte zutreffen. – Verstehen denn Sie dieses junge Weib, Herr Reschke? – Seien Sie bitte ganz ehrlich!“

„Sphinx…!“ meinte der Alte leise. „Ja – das ist wohl zutreffend.“ Er seufzte tief auf. „Früher hieß das Geheimnis dieses Hauses Ernst Kunath, jetzt – hat es nur den Vornamen gewechselt, an Stelle des Vaters ist die Tochter getreten.“ Und nach kurzer Pause fuhr er fort: „Hildegard war Weib geworden, ein fertiger Mensch, half der Mutter verdienen, arbeitete fleißig wie ein Bienchen … Das dauerte aber nur ein halbes Jahr etwa. Dann kam das Seltsame, Unfaßbare … Ihre ganze Erscheinung war dazu angetan, den Männern die Köpfe zu verdrehen. Sie liefen ihr nach wie ein Rudel Köter bei einer Hundehochzeit. Mancher wird auf Hildegard als auf eine leichte Beute gerechnet haben. Arm, Buchhalterin mit bescheidenem Gehalt, und dabei noch den lockenden Teufel in den Augen, das mußte doch gelingen! –

Sie verrechneten sich alle. Ein halbes Jahr ging sie durch diese lüsterne Beute hindurch in stolzer Unnahbarkeit – dann – ja dann wurde sie die, die Ixstädter Lebemänner heute die „kleine Liebestäuscherin“ nennen. Sie ließ sich – stets nur in den Formen der guten Gesellschaft, Herren vorstellen, wo sich eine Gelegenheit dazu bot, setzte diese Bekanntschaften auch fort. Dieser oder jener hat für ihren Liebhaber gegolten – nie lange! Dieser Herren, viel beneidet, zogen sich von ihr sämtliche doch nach kurzer Zeit zurück. Weshalb – das sickerte erst allmählich durch. Hildegard wollte geheiratet sein. Für Liebe nach freierer Norm war sie nicht zu haben. –

Vielleicht zwei Dutzend Herren, die meisten reich und auf die moralzersetzende Wirkung ihres Geldes hoffend, ließ Hildegard so einen nach dem andern gründlich abfallen. Trotzdem litt ihr Ruf unter diesen harmlosen, meist sehr kurzen Herrenbekanntschaften. Sie kümmerte sich nicht darum. Und ebenso kühl nahm sie schließlich die Tatsache hin, daß man sie bespöttelte, daß aus ihr die … kleine Liebestäuscherin wurde. –

Dann sah ich sie eines Tages mit einem Herrn zusammen auf der Straße, den ich bis dahin noch nie in Ixstadt bemerkt hatte. Es war ein Engländer, wie ich bald erfuhr, ein gewisser James Look, der erste Sekretär des hiesigen englischen Generalkonsuls ist. –

Sechs Wochen sind’s her, daß ich die beiden zum ersten Male beobachtete. Es war an einem Freitag, dem ja bekanntlich der Ruf eines Unglückstages anhaftet. Und eine Woche später, auch an einem Freitag, sah ich den Nachen zum ersten Male wieder – den Nachen, Herr Assessor, – Sie wissen, den von gestern Nacht … – Seitdem ist’s, als wäre Ernst Kunath wieder von den Toten auferstanden und mit ihm der ganze Spuk dieses Hauses. Ich höre nachts wieder dumpfe Klopftöne, spürte manche starke Erschütterung unseres alten Gebäudes, sehe den kleinen Kahn auftauchen, Seeleute in Hildegards Zimmer verschwinden, meist sind es zwei Personen, zuweilen auch nur eine, beobachtet, wie der Nachen, wenn Stunden verstricken sind, wieder lautlos davongleitet, – nur eins höre ich nicht mehr: Gellende Schreie! Im übrigen ist alles wie früher vor zwei Jahren … –

Sechsmal habe ich in diesen fünf Wochen den Kahn erspäht, habe ich hier am Fenster gestanden, habe gezittert – nicht vor Kälte, nein, für eines jungen Weibes guten Ruf … Und dann gestern – gestern …! Man reicht einen leblosen menschlichen Körper zum Fenster hinaus, der Nachen fährt mit seiner unheimlichen Last davon, und Hildegard – ja, sagen Sie es mir, Herr Assessor, – war Hildegard heute irgendwie verstört, – anders als sonst, als gestern …?!“

Karl Linker mußte sich zusammennehmen, seine Gedanken sammeln … Er glaubte zu träumen. Immer unwirklicher war ihm das erschienen, was er hier durchmachte, hörte und mit seinem Geiste zu verarbeiten suchte. Seltsame Menschen waren um ihn herum emporgewachsen, noch seltsamere Begebnisse zeigten diese Menschen in geheimnisvolles, widerspruchsvolles Tun verwickelt. Und der weißhaarige Greis da vor ihm; der soeben mit so tief bekümmerter Miene Aufschluß erbat über Sphinx Hildegard, vermehrte nur noch durch seine rätselvolle Persönlichkeit diesen Schattentanz um einen unbegreiflichen Teilnehmer …

„So antworten Sie mir doch!“ sagte da Ernst Reschke ungeduldig und fast schroff.

„Ich habe an Hildegard keine Veränderung bemerkt,“ erklärte Linker leise.

Der Alte schien aufzuatmen. Und er fragte schnell:

„Wie denken Sie über die Vorgänge von gestern?“

Der Assessor machte nur eine bezeichnende Handbewegung.

„Ja, ja – wozu frage ich Sie auch?! Wie sollten Sie wohl mehr wissen als ich?! – Noch eins, weshalb verschwanden Sie mit einem Male von Ihrem Lauscherposten? Ich hatte doch Ihren Kopf bemerkt. Dann erschien er nicht mehr, obwohl doch der Nachen noch immer am Gitter festgebunden war.“

Linker berichtete kurz von seiner Müdigkeit, der er nicht mehr hatte widerstehen können.

Reschke nickte gedankenvoll mit seinem weißen ehrwürdigen Künstlerkopf.

„Also auch Sie!“ sagte er, wie zu sich selber sprechend.

„Was wollen Sie damit – mit diesem „also auch Sie!“ …?“ Er wurde lebhaft, stand wieder in der Wirklichkeit nach all dem Ungewöhnlichen.

Reschke antwortete mit einer Gegenfrage:

„Wissen Sie, weshalb Ihr Vorgänger, der junge Architekt Gülden, ausgezogen ist …?! – Weil er in dem Zimmer krank zu werden fürchtete, weil er glaubte, aus den Wassern des Kanals oder den Kellern des Hauses stiegen schädliche Gase auf, die ihn abends zuweilen in halber Bewußtlosigkeit angekleidet auf sein Lager sinken ließen. Er klagte auch über eine unerklärliche Müdigkeit – genau so wie Sie! – Und dabei haben doch die anderen drei Herren, die seit Ernst Kunaths Tode hier unter mir wohnten, nie ähnliche Beschwerden über ungesunde Luft in ihrem Zimmer vorgebracht – nie!“

„Ich habe allerdings etwas sehr gesunden Schlaf,“ meinte Linker zögernd. „Vielleicht …“

„Nein, nein!“ unterbrach der Alte ihn aber. „Suchen Sie nicht nach einer natürlichen Erklärung, betrügen Sie sich nicht selbst! Wenn man derartiges beobachtet, wie wir gestern nacht, dann überwältigt einen der Schlaf nicht gerade vor dem Ende des letzten Aktes – vor der Abfahrt des Nachens! – Da hält einen die Spannung schon munter – jeden, jeden, selbst den größten Phlegmatiker! – Ah – eben fällt mir etwas ein. Ihre Fenster liegen doch dem Schauplatz um ein ganzes Stockwerk näher. Haben Sie nichts verstanden von dem, was von den Beteiligten geflüstert wurde?“

„Nichts. – Nur eine Vermutung ist soeben in mir aufgestiegen…“ Und Linker erzählte von seinem Besuch bei Mendels, von dem „Monokel“, von der heimlichen Verfolgung des Engländers bis ins Handwerkerviertel …

„Sollte da nicht einer der beiden Leute im Nachen James Look gewesen sein?!“ schloß er seinen Bericht.

„Schon möglich!“ sagte der Alte zögernd. „Aber – sichere Beweise fehlen uns. – Oh, wenn ich doch einen Ausweg aus diesem Labyrinth wüßte …!“ fügte er fast schmerzlich hinzu. „Doch – Mut, Ernst Reschke! Jetzt seid ihr ja zwei, die gemeinsam nach der Lösung all der Rätsel suchen werden.“

Der Assessor reichte ihm die Hand. „Ja, wir werden suchen! – Der Bund ist geschlossen. Und – Hildegards Geheimnisse sind bedroht! Ich gebe Ihnen mein Wort. Ich ruhe nicht eher, bis wir selbst sagen, daß es nun auch nicht eine Kleinigkeit mehr gibt, die nicht durchsichtig wäre wie Glas.“

Dann begannen die beiden mit einer gewissen Feierlichkeit, ganz erfüllt von ihrem schwierigen Vorhaben, zu beraten, wie man den Feldzug eröffnen solle.

Sie überlegten hin und her. Aber es war nicht anders, als suchten sie an einer harten, glatten Kugel Anfang und Ende. Wie sie das Geheimnis auch drehten und anschauten, nirgends bot sich ein Angriffspunkt. Gewiß – sie hatten anfänglich reichlich Ideen. Rückten sie diesen aber näher, zerlegten sie sie, so grinste ihnen aus den Teilen überall die Unmöglichkeit höhnisch entgegen, ihre Absichten durchzuführen. –

Bald verstummten sie dann ganz, bis der Assessor endlich sagte:

„Merken Sie, daß uns die praktische Erfahrung in derlei Sachen fehlt?! – Wir werden einen Dritten ins Vertrauen ziehen müssen. Und ich weiß auch schon wen.“

So kam die Rede auf die drei Flußpiraten Pößnick und Genossen und auf den Beamten der Strompolizei Paul Trebitz.

„Ich werde zusehen, ob ich Trebitz nachmittags vom Bureau aus telephonisch erreiche. Ich habe von ihm bei der heutigen Verhandlung einen vorzüglichen Eindruck gewonnen,“ sagte Linker eifrig. „Er ist klug, gewandt, tatkräftig und scheint ein Ehrenmann zu sein. Seine Vorgesetzten verwenden ihn häufig zu schwierigen Ermittlungen, und auch die Zollbehörden bedienen sich seiner, um großangelegte Schmugglertricks im Freihafen aufzudecken. Ich will ihn zum Stillschweigen verpflichten, damit unser Hauptgrundsatz, daß nichts an die Öffentlichkeit dringen solle, bewahrt bleibt.“

Der alte Reschke hatte seine Bedenken.

„Wenn er nun meint, wir wären eigentlich verpflichtet, von den Vorgängen der gestrigen Nacht der Kriminalpolizei Mitteilung zu machen, da es sich leicht um ein Verbrechen handeln könnte?!“ wandte er, um die Ehre der Familie Kunath schwer besorgt, nachdenklich ein.

„Ich werde ihm dies schon ausreden,“ beruhigte der Assessor den Überängstlichen und stand auf, um sich zu verabschieden. „Ich bin gespannt, was er von der Sache hält. – Auf Wiedersehen, Herr Reschke.“ – Sie tauschten einen festen Händedruck aus.

Als Ernst Reschke wieder allein war, stellte er sich an das Fenster mit tief auf die Brust gesenktem Kopf und schaute träumerisch hinab auf dem Kanal, den der Glanz der Nachmittagssonne überflutete. Seine Lippen bewegten sich in halblautem Selbstgespräch. Er war so viel allein, und da hatte er es sich angewöhnt, seiner eigenen leisen Stimme zu lauschen wie der eines Freundes …

… „Nein, ich will nicht bereuen, daß ich ihn ins Vertrauen gezogen habe … So durfte es nicht weitergehen. Ließe ich den Dingen freien Lauf, so käme Hildegard vielleicht noch schwerer zu Schaden … Und sie wenigstens soll glücklich werden. Wenn ich das doch erreichen könnte …!“

 

8. Kapitel.

Ohnmachtsanfall.

Die Flurtür hatte sich hinter Linker geschlossen. Er stieg langsam die Treppe ins Erdgeschoß hinab, noch ganz benommen von dieser Lawine von rätselhaften Geschehnissen, die der alte Reschke ins Rollen gebracht hatte und die mit jedem Wort, das jener gesprochen, mehr und mehr angewachsen war zu einem mächtigen Gebilde von Ungeklärtem, Unfaßbarem und den weitgehendsten Mutmaßungen Raum Gewährendem.

Dann kam ihm jemand auf der Treppe entgegen. Er sah von oben auf einen riesigen Frühjahrshut, auf ein elegantes, modefarbenes Kostüm, auf blinkende Lackschuhspitzen und Glanzlederhandschuhe, die genau zu dem Anzug paßten.

Beide erschraken, als sie sich erkannten, sowohl die etwas zu sehr herausgeputzte Frau Mendel als auch der Assessor.

„Gnädige Frau, – welche Überraschung …?! Sie hier in einem Hause des Handwerkerviertels?!“ – Es war nicht gerade höflich von ihm, sie daran zu erinnern, daß sie gestern geäußert hatte: „Dort wohnt doch niemand!“

Sie war rot und verlegen geworden, faßte sich aber schnell.

„Mein Abschreiber haust hier,“ sagte sie schon wieder etwas von oben herab. „Ich schriftstellere ein wenig. Dann muß Reschke mir meine Arbeiten in Reinschrift übertragen.“

„So – Reschke?! Merkwürdiger Zufall?!“ Die Worte entfuhren ihm halb gegen seinen Willen.

„Merkwürdiger Zufall?! – Wie meinen Sie das?“ fragte sie mit schlecht verhehlter Unruhe, wobei sie ihn scharf musterte und in seinem Gesicht zu lesen suchte.

„Weil auch ich Ernst Reschke soeben eine Arbeit übertragen habe – einen Aktenauszug,“ erwiderte er harmlos. Aber ihm war ihre Ängstlichkeit nicht entgangen, und er dachte wieder: „Wie seltsam das ist …! Alle Leute, die man hier im Hause trifft, haben etwas Ungewöhnliches an sich, – selbst diese kleine, eitle, ehrgeizige Frau.“

Nora Mendel lächelte ein wenig gezwungen.

„Wirklich – ein komischer Zufall. – Auf Wiedersehen, Herr Assessor. Ich habe es eilig. Und außerdem ist dies auch nicht der Ort für eine Unterhaltung.“

Seide rauschend stieg sie weiter die Treppe empor, er hinunter. Aber während in ihrem gepuderten Puppengesicht ein Ausdruck von Unruhe und leisem Ärger zurückblieb, lächelte er belustigt. Ihre letzte Äußerung war wie ein Satz aus einem Vortrag über den guten Ton gewesen, wie eine Belehrung für den aus der Kleinstadt kommenden Assessor … – Mochte sie …! Er nahm sie nicht ernst. Er hätte ihr gestern in ihrem Heim schon eine Menge von Taktlosigkeiten in Wort und Tat nachweisen können, die wohl lediglich ihrer Sucht, eigenartig zu erscheinen, zuzuschreiben waren.

*

„Wir können gleich zwei Fliegen mit einer Klappe fangen, Herr Trebitz. Mit der Sache Pößnick sind wir nun durch. Ich habe, wie eben angedeutet, noch etwas anderes für Sie in Bereitschaft.“

So sprach, Linker zu dem ihm in seinem Zimmer im Anwaltsbureau gegenübersitzenden Beamten der Strompolizei.

Paul Trebitz trug heute nicht die blaue, seemännische Uniform der Strompolizisten, sondern einen soliden, gutsitzenden Zivilanzug.

Er hatte ein wettergeräumtes, bartloses, längliches Gesicht von sehr energischem Schnitt, darin blaue, treuen Augen, eine starke Nase und einen zierlichen Mund. Alles in allem war es ein Charakterkopf. Und auch die Gestalt des blonden Mannes hatte die Natur liebevoll bedacht: schlank, wohlgebaut, etwas über mittelgroß; dazu ruhige, ausgeglichene Bewegungen, die viel verborgene Kraft verrieten.

Trebitz sprach stets sehr langsam. Er stammte aus einem Fischerdorf in Pommern, von der Wasserkante also, wo die Menschen sich still in die Augen sehen und nicht viel reden. Erst war er zur See gefahren, dann, einem Hange nach allem Abenteuerlichen folgend, in Ixstadt Strompolizisten geworden. –

Der Assessor hatte bei dieser Unterredung bald gemerkt, daß er und Trebitz so etwas verwandte Naturen waren. Ging sein Sinnen auch mehr auf alles von Poesie umwobene Romantische, so fand sich dieselbe Neigung mehr ins Gröbere übersetzt, auch bei dem Beamten wieder. Trebitz schwärmte von seinen nächtlichen Patrouillenfahrten in flinker Motorbarkasse durch den Hafen mit seinen vielen Abzweigungen und den breiten, geheimnisvollen Fluß entlang, wo an den Ufern die riesigen, aus Rußland kommenden Holzflöße festgemacht hatten, auf denen verlauste, zerlumpte Flissaken[5] in Strohhütten wohnten und in stets neuen Verstecken Tabak über die Grenze schmuggelten, um ihn in Ixstadt mit doppeltem Verdienst loszuschlagen. – –

Den Fall Pößnick hatte man bald erledigt gehabt. Paul Trebitz war im Gegensatz zu dem Richterkollegium der Strafkammer ebenso wie auch Linker der Ansicht, daß der „große Unbekannte“ wirklich existiere. Ihm wollte der Beamte jetzt zunächst einmal nachspüren.

Und nun hatte der Assessor von zwei Fliegen mit einer Klappe gesprochen.

„Ich weiß ja nicht, Trebitz,“ fügte er hinzu, ob Sie einen Privatauftrag übernehmen können und wollen; denn es ist eine Privatsache, in die das Gericht sich nicht hineinmischen soll; etwas mit so geheimnisvollen Nebenumständen, daß man daraus einen Roman machen könnte.“

Paul Trebitz lächelte vergnügt.

„Danach habe ich mich schon lange gesehnt, Herr Assessor. Man will doch nicht ewig Strompolizisten bleiben. Ich möchte zur Kriminalpolizei übertreten. Aber dazu brauche ich ein Gesellenstück sozusagen. Sonst wird man nicht übernommen.“

„Dazu dürfte sich meinen Fall nun gerade nicht eignen, da nichts davon in die Öffentlichkeit dringen soll,“ erklärte Linker. „Hören Sie sich die Geschichte erst mal an. Aber vorher, versprechen Sie mir durch Handschlag strengstes Stillschweigen gegen jedermann.“

So erfuhr denn der Beamte die ganzen seltsamen Geschehnisse, deren Anfang an die fünfzehn Jahre zurücklag. Von der Vergangenheit ging Linker zur Gegenwart über, zu Hildegard, die im Mittelpunkt des neuen Abschnittes der Rätsel des alten Mühlenhauses stand.

Trebitz streute hier und da eine Frage ein. Er brachte durch manche dieser Erkundigungen in gewisser Weise eine neue Lichtquelle zum Glühen, die die Ereignisse auch von einer anderen Seite beleuchtete. Der Assessor merkte, daß in diesem Manne, der ehrlich zugegeben hatte, noch heute die Lücken seiner Allgemeinbildung in unermüdlichem Selbststudium auszufüllen, weit mehr steckte, als er vermutet hatte. Freilich – Scharfsinn läßt sich nicht erlernen. Der muß angeboren sein. Und eine gütige Fee hatte dem pommerschen Fischerkinde gerade von dieser Gabe überreicht in einer verwunderlichen Laune in die Wiege gelegt. Schweres Blut pulste auch durch Paul Trebitz’ Adern. Aber es nährte ein waches, schnell begreifendes Hirn.

Als Linker sehr bald hierüber eine anerkennende Bemerkung machte, meinte der Beamte: „Ein Detektiv, und als solcher fühle ich mich seit langem, muß die Phantasie eines Dichters haben. Fehlt sie ihm, wird er stets ein Stümper bleiben. – Doch – bitte erzählen Sie weiter. Sie bemerkten also in der verflossenen Nacht, daß jemand Ihre Tür zu öffnen suchte, gerade als Sie eben den Riegel vorgeschoben hatten.“

So gingen die Erörterung der Geheimnisse des alten Mühlenhauses weiter. Nichts vergaß Linker zu erwähnen. So wurden nun auch Mendels mit hineingezogen, wo er James Look kennengelernt hatte, so hörte Trebitz auch von der Begegnung mit der kleinen Frau Nora auf der Treppe am heutigen Nachmittag, und von der Unruhe des ehrgeizigen Frauchens, – selbst von den Blumen für Lottes Bild. –

Zum Schluß fragte Linker dann:

„Was halten Sie von alledem?“ Er tat es voller Spannung, denn er gab etwas auf Trebitz’ Urteil.

Der Beamte zog beide Schultern hoch. „Alles dunkel, – alles!“ meinte er. „Es lassen sich ja die verschiedensten Vermutungen aufstellen. Aber all diese versuchsweisen Lösungen passen wohl zu einem Teil der Vorgänge, nicht aber zu einem Ganzen. Es finden sich stets Unstimmigkeiten, über die man nicht hinwegkommt. Näher hierüber zu sprechen ist zwecklos. Ich bin nicht für Zeitvergeudung. Nur einige Kleinigkeiten möchte ich mir notieren.“

So schrieb er sich den Namen des Architekten Gülden auf, der vordem das zweifenstrige Zimmer bewohnt hatte, fragte nach dem Namen des Arztes, von dem Ernst Kunath damals während der zum Tode führenden Erkrankung behandelt worden war, und nach manchen anderen Einzelheiten, die der Assessor leider nur zum Teil beantworten konnte.

Jedenfalls merkte Linker, daß Trebitz sehr gründlich sein wollte und wohl auch bereits einen Feldzugsplan entworfen hatte.

Als er ihn fragte, ob letzteres zutreffe, erwiderte der Beamte sehr bedächtig, indem er in sein Notizbuch auf eine leere Seite allerlei Kreuze malte, die er durch Linien verband und nummerierte:

„Diese flüchtige Zeichnung hier ist nichts als eine schnell übersichtliche, primitive Darstellung der Personen, die für den Fall Kunath in Betracht kommen, ihre Beziehungen zu einander und der Wichtigkeit für die Gesamtzusammenhänge. Sie sehen, Herr Assessor, daß die Kreuze verschieden groß sind. Hier, dies besonders dicke und auffallende, trägt neben sich die Buchstaben E. R. – Wissen Sie, wer das sein soll?!“

Linker schüttelte erst den Kopf, fragte aber dann schnell: „Etwa Ernst Reschke?“

„Ganz richtig, – der alte Mann, Ihr Überwohner! Ich halte ihn für wert, daß man ihm die größte Beachtung schenkt.

„Gewiß – er weiß ja auch die meisten Einzelheiten.“

„Freilich. Aber nicht nur aus dem Grunde. Dann wäre er sozusagen ja unparteiisch, schwebte über den Dingen.“

„Natürlich tut er das. Er hat viel für die Familie Kunath übrig – sehr viel! Ihm liegt, so scheint’s, lediglich daran, daß die Kunaths unbescholten bleiben, daß nicht neue Gerüchte über Hildegard auftauchen, vielleicht noch schlimmer als die, die „die kleine Liebestäuscherin“ betrafen oder betreffen.“

Paul Trebitz lächelte unmerklich.

„Gewiß hat er ein Interesse an Kunaths, sogar ein übergroßes!“ meinte er mit besonderer Betonung.

Der Assessor wurde aufmerksam.

„Sie haben irgend einen Hintergedanken, Trebitz. Rücken Sie heraus damit,“ forderte er den Beamten neugierig auf.

„Ja – einen Gedanken recht eigenartiger Natur habe ich freilich, und eben erst ist er in mir aufgetaucht. – Finden Sie es nicht merkwürdig, daß dieser in mancher Beziehung doch auch recht rätselhafte Herr Reschke so schnell zu Ihnen ein Vertrauen gefaßt hat, wie man es sonst nur einem erprobten Freunde entgegenzubringen pflegt …?! – Ich nenne ihn rätselhaft, denn er, der alle Welt doch glauben machen will, er sei am Verhungern, nennt Möbel sein eigen, die nach Ihrer Angabe hohen Altertumswert haben, er bewohnt ein sicherlich nicht ganz billiges, großes Zimmer seit fünfzehn Jahren und bietet Ihnen Zigarren an, die sonst nur reiche Leute rauchen. Kurz – seine Armut erscheint mir absichtlich übertrieben, wenn nicht geradezu geheuchelt …! Und dieser alte Herr kommt zu Ihnen und wirbt um Sie als Bundesgenossen, weiht Sie, den ihm doch Wildfremden, in Dinge ein, die der bis dahin angeblich gegen jedermann fest in seiner Brust verschlossen hielt. – Hm ja, Herr Assessor, – was würden Sie nur dazu sagen, wenn Reschke mit den Kunaths, hauptsächlich mit der Sphinx Hildegard, völlig unter einer Decke steckt und nur als … Spion zu Ihnen kam, – eben um Sie auszuhorchen, – um festzustellen, ob Sie in der verflossenen Nacht vielleicht Dinge heimlich beobachtet hätten, die der Sippe Kunath unangenehm werden könnten. – Unter der Maske eines Mannes, der selbst gern über einen ganzen Sack voll angeblicher Geheimnisse Aufschluß haben möchte, lockt er aus Ihnen das heraus, was Sie selbst mit eigenen Sinnen erlauscht haben, so daß die ganze zusammengehörige Gesellschaft im Mühlenhause nun genau weiß, woran sie mit Ihnen ist und wie sie Sie zu behandeln hat, um in voller Sicherheit ihre dunklen Pläne weiterverfolgen zu können. – Sie verstehen mich, Ernst Reschke kam im Einverständnis mit Kunaths zu Ihnen; er spielte eine genau festgelegte Rolle; und er hat ja auch Erfolg gehabt, da Sie ahnungslos preisgaben, was Sie wußten, der Gegenpartei dadurch allerlei Gegenschachzüge erleichternd. Und zu diesem Gegenspiel gehört meiner Ansicht nach auch alles das, was der Alte Ihnen unter der Rubrik „Vergangenheit“ erzählt hat, natürlich auch ein Teil von der Gegenwart. Sie haben also wohl größtenteils Märchen aufgetischt erhalten, für Sie zurechtgestutzte Geschichten, die einigermaßen zu Ihren Beobachtungen paßten und diese in die Schleier geheimnisvoller Vorgänge hüllten, die anscheinend fünfzehn Jahre lang bereits in ähnlicher Weise sich abgespielt haben sollten.“

Paul Trebitz schwieg.

Daß diese Sätze auf fruchtbaren Boden gefallen waren, sah er an dem fast bestürzten Gesichtsausdruck seines Gegenübers.

Und jetzt stieß der Assessor auch schon hervor:

„Wenn Sie recht hätten …! Und – wirklich – fast scheint es so! Diese Ihre Mutmaßungen sind so sehr verlockend, klären einen großen Teil dieser dunklen Dinge auf, indem sie sie als bloße, für mich allein berechnete Erfindung hinstellen! Aber – aber … wenn ich mir so den alten Mann wieder vergegenwärtige, dann … dann steigen doch allerlei Zweifel in mir auf, dann werde ich schwankend … Ich traue ihm so viel Raffiniertheit nicht zu … Nein, wirklich nicht! Obwohl ich zugeben muß, daß seine Person selbst in vielem ein Rätsel ist …“

Trebitz machte eine Handbewegung, als schiebe er etwas von der Tischplatte herunter.

„Weg mit den müßigen Erörterungen …!“ meinte er. „Wir werden sehen, wer im Recht ist. Die Zukunft wird es lehren …“

Er erhob sich. „Tun Sie jedenfalls weiter vollkommen harmlos, Herr Assessor, halten Sie die Augen gut offen und erzählen Sie Reschke nur gerade so viel, als unbedingt notwendig ist. Sagen Sie ihm, ich wäre augenblicklich anderweit sehr beschäftigt und könnte mich erst später dieser Sache annehmen. – List gegen List!“ Er rieb sich wie in stillem Behagen die Hände. „Auf so einen Fall habe ich lange schon gewartet!“ fuhr er fort. „Der eignet sich zu einem Gesellenstück! Sie verstehen – Übertritt zur Kriminalpolizei! – Ich werde vierzehn Tage Urlaub nehmen, um volle Bewegungsfreiheit zu haben, werde die Sache Pößnick und Genossen dabei vorschieben. Meine Vorgesetzten schlagen mir nicht leicht eine Bitte ab. – Ja, das wird am besten sein … Und nun – auf Wiedersehen, Herr Assessor! Vergessen Sie nicht! Die Augen offen und die Ohren gespitzt halten! Jede Kleinigkeit ist von Wert! – Nochmals – auf Wiedersehen!“

Linker reichte Trebitz die Hand. Als der Beamte dann bereits seinen Hut genommen hatte und auf die Tür zuschritt, trat der Assessor schnell nochmals dicht an ihn heran und fragte leise:

„Meinen Sie, daß auch Look zu der „Kunathschen Sippe“ gehört? Ob er etwa einer von denen ist, die in den kleinen Kahne nachts an Hildegards Fenster kommen?“

„Schwer zu entscheiden, Herr Assessor! Ich möchte beinahe mit Ja antworten. – Halt, ein Gedanke! Sie könnten mal Frau Nora Mendel so ein wenig auszuhorchen versuchen. Es ist doch auffallend, daß sie so verlegen wurde, als sie Sie auf der Treppe auf dem Wege zu Reschke trafen. Kann man wissen, welche Fäden sie und den Alten verbinden?! – Aber – Vorsicht, verstanden?! Sie haben ja einen so plausiblen Grund, sich über Ihren Überbewohner etwas unterrichten zu wollen …!“

Dann ging Trebitz und ließ Karl Linker mit sehr widerstreitenden Empfindungen zurück, – sehr unzufrieden sogar mit sich und der ganzen Welt!

„Wäre ich nie in das alte Mühlenhause gekommen!“ dachte er. „Was gehen mich schließlich all diese Menschen an …! Was habe ich nötig, mich mit ihnen zu befassen!“

Er nahm einen Aktenband zur Hand und suchte einen Schriftsatz für den nächsten Termin auszuarbeiten.

Aber die Gedanken schweiften immer wieder ab.

Die Maschinenschrift der Aktenseiten mit ihrer lilafarbenen Charakterlosigkeit verschwamm vor seinen Augen zu allerlei Nebelgebilden, aus denen dann ein Mädchenkopf mit einem schicken grauen Hut wurde …

Hildegard Kunath …

Plötzlich merkte der Assessor, wie sein Herzschlag schneller wurde, wie eine heiße Welle durch seinen Körper ging, das Blut ihm bis in die Fingerspitzen pulste …

Hildegard … – Die Sünde … Die lockende Sünde! Und die brennend roten Lippen, diese geschmeidige Gestalt …!

Dann murmelte er wie ein ertappter Sünder eine Verwünschung über das ganze Weibervolk vor sich hin … Das fehlte noch …! Dort in Barten Lotte Harrich, das Goldfischlein, und … hier eine andre, die ihn bereits beunruhigte, mit der seine Phantasie sich beschäftigte … – Es durfte nicht sein …!

Mit aller Gewalt zwang er sich zur Arbeit. Aber es wollte damit nicht recht vorwärtsgehen …

So blieb denn auch bei Bureauschluß in seinem Aktenblock einiges unerledigt liegen, und er beauftragte einen der kleinen Schreiber, ihm die Sachen nach Hause zu bringen.

Zusammen mit Mendel verließ er das Eckhaus in der Langgasse. Sie hatten so ziemlich denselben Weg, wenigstens bis in die Nähe der alten Mühle.

Der „Vereinsmeier“ erzählte, daß seine Frau ihn nachmittags im Bureau aufgesucht und auch die Begegnung mit Linker auf der Treppe im alten Mühlenhause erwähnt habe.

Der Assessor hatte das Gefühl, als ob die kleine Frau Nora dies aus Berechnung getan hätte, damit er ja sähe, daß ihr Gatte von dieser Beschäftigung des alten Reschke als Abschreiber Kenntnis habe.

„Meine Frau hat mit ihren Novellen schon recht nette Erfolge gehabt,“ meinte der Anwalt mit gewissem Stolz. „Sie ist überhaupt sehr vielseitig. Nur mich müßte sie nicht so stark für ihre Privatbestrebungen anspannen. Sie übertreibt in dieser Beziehung etwas – ganz unter uns gesagt.“ Und Mendel gähnte schon wieder verstohlen.

„Ein merkwürdiger Mensch, der alte Reschke,“ warf Linker absichtlich hin, um das Gespräch nicht eine andere Wendung nehmen zu lassen. „Kennst du ihn persönlich, Mendel? – Was mag er früher mal gewesen sein?“

„Keine Ahnung! Habe den Mann auch noch nie zu Gesicht bekommen. – Halt, da fällt mir ein, – er soll ja eine gute Schulbildung besitzen, wie Nora mir gelegentlich erzählte, und früher sich selbst als Schriftsteller versucht haben, aber ohne Erfolg. – Ich vergesse derartige Nebensächlichkeiten so sehr leicht. Jedenfalls ist’s ein armer Teufel, so etwas wie eine gescheiterte Existenz.“

Der „Vereinsmeier“ war ein untaugliches Objekt für Nachforschungen. Das sah Linker ein und ließ daher auch den Gegenstand seiner Nachfragen fallen. Vielleicht hatte er mit der Person James Looks mehr Glück.

Mendel zeigte sich jedoch auch hinsichtlich des Engländers wenig mitteilsam, als der Assessor jetzt unauffällig das Gespräch auf ihn brachte.

„Ganz interessanter Mensch, soweit seine Reisen in Betracht kommen,“ meinte der Rechtsanwalt. „Da gebe ich dir schon recht. – Aber im übrigen, nichts dahinter, mein lieber Linker, wirklich nicht! Ein Schwadroneur … Na, er verkehrt bei uns, und daher – Friede seiner Asche!“

„Scheint etwas Jeuratte[6] zu sein?“ blieb der Assessor hartnäckig beim Thema.

Mendel nickte zerstreut. „Leider! – Er faselt immer von großen Reichtümern, die ihm mal in den Schoß fallen werden. Vorläufig pumpt er noch alle Welt an. – Wichtig, zu Sonntag hatte er uns ja zu einer Segelpartie mit seiner Jacht eingeladen. Gut, daß er heute antelephoniert und meiner Frau ausgerichtet hat, er fühle sich nicht ganz wohl. Ich habe Besseres zu tun, als einen ganzen Tag in der Ixstädter Bucht herumzugondeln und womöglich noch seekrank zu werden. Nora bedauert natürlich sehr, daß die Partien „zu Wasser“ geworden ist. Recht angebracht hier, diese Phrase! – Der englische Generalkonsul sollte auch mit dabei sein und unser Regierungspräsident. Na – ich bin nicht so sehr versessen auf hohe Herren. Man kommt auch ohne sie vorwärts. Früher brauchte ich sie mal. Jetzt – na, ich sitze ja nun fest im Sattel. Man hat mich gestern wirklich in den Ausstellungvorstand gewählt. Das wird wieder etwas mehr Agrarierpraxis einbringen.“

„Also Look ist erkrankt, wenn ich dich richtig verstanden habe?“ fragte Linker, recht gleichgültig tuend.

„Ja. Er telephonierte vom Bett aus. Der Arzt hat ihm eine Woche absolute Ruhe verordnet, da er gestern Nacht einen bösen Ohnmachtsanfall gehabt hat – nervöse Überreizung als Ursache, oder was Ähnliches. Er wird nur wieder zu stark in Jeu und Weibern gemacht haben. Seine eigene Schuld!“

„Nicht nur Spieler, auch Schürzenjäger, wie?!“ warf Linker lachend hin.

„Sehr! – Doch, hier trennen sich unsere Wege. Gute Nacht – Wiedersehn!“

„Bitte empfiehl mich deiner Gattin. – Gute Nacht.“

Der Assessor schritt langsam am Mühlengraben entlang.

„Ohnmachtsanfall – sieh da …!“ dachte er. „Merkwürdiges Zusammentreffen, – wahrhaftig! Das muß ich doch Trebitz mitteilen. Dann wird Look doch wohl der Mann gewesen sein, der in den Nachen gehoben wurde … – Ohnmachtsanfall! Aber – wie kam er gerade im alten Mühlenhause dazu?! Diese Ohnmacht muß doch recht bedenklich gewesen sein! Sonst hätte man noch gewartet, bis er wieder zu sich gekommen war …! – Seltsam, unerklärlich …!“

 

9. Kapitel.

Die Patentante.

Vier Tage später.

Inzwischen hatte sich nichts von Wichtigkeit ereignet.

Linker war einmal mit Ernst Reschke und zweimal mit Trebitz zusammengekommen, ohne daß diese Besprechungen die Dinge irgendwie klärten. Dem Alten gegenüber hatte der Assessor so getan, als würde der blonde Strompolizist erst später mit seinen Nachforschungen beginnen. Der Nachen war auch nicht wieder erschienen. James Look war ja noch krank. Trebitz hatte diese Tatsache von dem „Ohnmachtsanfall“ nur noch in seiner Annahme bestärkt, daß der Engländer mit der Kunathschen Sippe eng verbrüdert wäre.

Im alten Mühlenhause war das Leben ebenfalls in seinem ruhigen Alltagspfade dahingegangen. Linker hatte auf dem Bureau und auch daheim viel zu tun, so daß er zeitweise Hildegard und alles andere fast ganz vergas. Der graue Hut zeigte sich auch recht zurückhaltend, wenn auch nicht gerade unfreundlich dem neuen Hausgenossen gegenüber. Anders Arnold Kunath, der inzwischen von Linker „Fliegenleim“ getauft worden war. Der Jüngling schien für den möblierten Herrn seiner Mutter eine schnelle Sympathie gefaßt zu haben, kam häufig zu ihm und war dann nur schwer wieder loszuwerden. Er klebte auf seinem Stuhl förmlich fest, erzählte dem Assessor allerlei Dinge, von denen er annahm, daß sie diesen interessierten. –

Manchmal wollte Linker schon deutlich werden und dem jungen Gecken, der tatsächlich für seine Jahre bereits ein ausgemachter Fatzke in allem war, zu verstehen geben, daß seine Besuche ihm lästig wurden. Aber Linker war eben zu gutmütig, um ungezogen zu werden.

Nur an einem Mittag hatte sich etwas ereignet, das Linker zu denken gab. Es war ein Regentag gewesen, und er war auf seinen Gummischuhen so leise nach Hause gekommen, daß Kunaths wohl nicht ahnten, daß er schon daheim sei. Kaum hatte er Gummimantel und Hut fortgehängt und wollte gerade den Schirm aufgespannt zum Trocknen in eine Ecke stellen, als er Schritte im Flur und gleich darauf des jungen Banklehrlings Stimme hörte, die leicht gereizt und auch höhnisch klang:

„So – du willst mir kein Geld geben! Na gut, dann habe ich aber auch das letztemal mitgemacht, verstanden?! Gefährlich ist die Geschichte ohnehin, das haben wir ja wieder letztens erfahren! Seht nur zu, wie weit Ihr ohne mich kommt! Überhaupt – die ganze Sache ist der helle Blödsinn, und Vater hat auch schon deswegen sein Leben …“

Hier schwieg Arnold Kunath plötzlich. Eine Tür fiel ins Schloß mit ziemlichem Knall. Offenbar hatten entweder Hildegard oder Frau Kunath den jungen Menschen gewarnt, im Flur in Rücksicht auf Linker, der vielleicht doch schon zu Hause sein könnte, nicht so laut zu sprechen.

Der Assessor hatte weiter vermutet, daß jetzt höchstwahrscheinlich jemand sich davon überzeugen kommen werde, ob Arnolds unvorsichtige Äußerungen von ihm mitangehört worden sein konnte. Er legte sich daher mit einer Zigarette ins offene Fenster und tat dann auch so, als ob ihm das gleich darauf vernehmbar werdende Klopfen an seiner Zimmertür entgangen wäre, merkte jedoch sehr gut, wie die Tür geöffnet und wieder zugedrückt wurde. Es hatte also wirklich einer von den Kunaths in sein Zimmer hineingeschaut und ihn auch sicher am Fenster gesehen.

Als nachher Hildegard das Mittagessen brachte, spielte Linker sehr glücklich den Gutgelaunten, scherzte mit ihr ein wenig, nahm aber mit Befriedigung nebenbei davon Notiz, daß sie ihn zuerst forschend angeblickt hatte und dann ein Ausdruck von seelischer Erleichterung über ihr Gesicht gehuscht war und ein schwaches Aufleuchten. –

Linker hatte nicht versäumt, diesen Zwischenfall Trebitz mitzuteilen, der sich sofort die Worte Arnold Kunaths, so gut der Assessor sie behalten hatte, notierte, indem er dazu äußerte, die Bemerkung des jungen Menschen „gefährlich ist die Geschichte, das haben wir letztens wieder erfahren“, könnte sich nur auf den „Ohnmachtsanfall“ James Looks bezogen haben. – Zum Schluß hatte Trebitz dann noch gesagt: „Ja – ja, – die Geschichte ist nicht nur gefährlich, sondern noch weit verworrener, eben ein richtiges Rätsel, – verzwickt, irreführend und alle möglichen Deutungen zulassend.“ – –

Das war am dritten dieser vier mittlerweile dahingegangenen Tage geschehen.

Am fünften fand Karl Linker mittags auf seinem Schreibtisch zwei Briefe vor, einen von seiner Braut, den anderen von seiner Mutter.

Lottes Schreiben – das erste seit seiner Abreise aus Barten, abgesehen von zwei Ansichtskarten – lautete, schon in der Anrede sehr kühl gehalten:

Lieber Karl!

Eigentlich hat Mama an Dich schreiben wollen. Aber sie meint, mir als Deiner Braut käme es ebenso gut zu, Dich auf etwas aufmerksam zu machen, das uns alle sehr verstimmt hat. Du schilderst in Deinen beiden Briefen an mich zwar Deine neue Wohnung samt der Wirtin Frau Kunath, Deine Tätigkeit und die Familie Mendel und deren vornehmes Heim sehr genau, scheinst aber aus einem gewissen Gefühl der Schuld heraus uns absichtlich verschwiegen zu haben, daß mit Dir unter einem Dache, noch mehr, in derselben Wohnung, ein Mädchen lebt, dessen Ruf nicht gerade der allerbeste ist. Wen ich meine, wirst Du schon wissen …! Wir hätten hiervon kaum etwas erfahren, wenn nicht Deinem Hause gegenüber auf der anderen Seite des Mühlengrabens meine Patentante Mathilde Gründling wohnen würde, bei der Mama angefragt hatte, ob Du auch in einem anständigen Hause ein Unterkommen gefunden hättest. Nun – Tante Gründlings Auskunft war so, daß Mama vor Empörung einen Migräneanfall bekam, zumal kurz vorher ein Streit mit Papa stattgefunden hatte, der leider wieder … Doch hierauf will ich nicht näher eingehen. Mama sagte zu mir, als sie Tantes Brief gelesen hatte: „Dein Bräutigam ist nicht um einen Deut besser als alle anderen Männer. Er unterschlägt dir die Existenz dieses verworfenen Geschöpfes, die nur in Lackschuhen und Florstrümpfchen den Männern nachrennt. Mithin hat er schon ein schlechtes Gewissen.“ – Nun, wenn ich selbst auch Vertrauen zu Dir habe, so finde ich es doch nicht schön von Dir, daß Du, kaum aus Barten weg, schon Heimlichkeiten vor mir hast. Mama meint, mit Verschweigen von Kleinigkeiten fängt es an, und mit Seitensprüngen hört es auf. – Was sie mit „Seitensprüngen“ meint, weiß ich nicht recht, aber es muß wohl etwas sehr Schlimmes sein. – Mama läßt Dich nun „dringend“ bitten, Dein Zimmer sofort zu kündigen und auch sofort auszuziehen. Tante Gründling will Dich gern bei sich mit voller Pension aufnehmen. Sie ist eine reizende alte Dame, war früher Gouvernante bei einem Grafen, bei sehr, sehr vornehmen Leuten, bei denen Tante selbst etwas geradezu Aristokratisches in ihrem ganzen Auftreten angenommen hat. Mama meint, Du wirst bei ihr sehr gut aufgehoben sein, sozusagen doch gleich mit Familienanschluß. Tante ist von Mama bereits auf Deinen Besuch vorbereitet und erwartet Dich täglich zwischen ein und zwei Uhr mittags. Wenn Du erst dort wohnst, werden wir sehr bald auf einige Tage nach Ixstadt kommen.

Hier ist jetzt auf dem Landratsamt ein neuer Regierungsassessor eingezogen, ein Freiherr Külz von Wetterstein. Er hat auch bei uns Besuch gemacht. Papa ist doch Stadtverordnetenvorsteher und Vorstand des konservativen Vereins. Der Freiherr ist ein ganz reizender Mensch und Reserveoffizier bei den Gardeulanen. Er hat mich gestern zum Tennis abholen wollen, aber Mama machte ihn darauf aufmerksam, daß ich verlobt sei. Als wir von Dir sprachen und Deinen Namen nannten, meinte er, er müßte Dich von Freiburg her kennen …

Das weitere überflog Linker nur mit einem Blick, stellte fest, daß Lotte zum Schluß nur schrieb … „Viele innige Küsse …“ – Sonst waren es stets „unzählige, heiße“ gewesen – und zerriß den Brief dann in viele Stückchen, die er zum Fenster hinauswarf …

Lustig flatterten die weißen Fetzen wie kleine Vöglein in der Luft und senkten sich schließlich auf das gelbbraune Wasser des Kanals herab, zogen mit der Strömung dahin und verschwanden so auf Nimmerwiedersehen.

Linker schaute ihnen gedankenverloren nach … Dieser Brief war so ganz Lotte Harrich gewesen, wie sie leibte und lebte … „Mama meint … Mama sagt …“, und dann der geistige Kniefall vor Külz von Wetterstein …! – Ob er ihn kannte! Nur zu gut! Der wäre auch nie Assessor geworden, wenn er nur Müller geheißen hätte …! Ein fader, blasierter Geselle aus einem verarmten Geschlecht, trotzdem hochmütig und anmaßend und mit allen äußeren Zeichen von Degeneration behaftet: Glotzaugen, eingedruckte Nase, fliehende Stirn, Riesenglatze … Aber Lotte schrieb: Ein ganz reizender Mensch … –

Linker lächelte, – wahrhaftig, er konnte lächeln, selbst wenn er an das Tollste aus diesem Briefe dachte: an die versuchte Bevormundung, an die Mama, die „dringend“ bitten ließ, sofort seine Bleibe zu kündigen und zu Tante Gründling zu ziehen …

Eigentlich eine Frechheit von seiner Schwiegermutter, gut deutsch ausgedrückt! Was diese Pseudotante sich wohl so dachte …! – Na, – die Gesellschaft sollte ihn kennen lernen …! Er würde seinem Lottchen einen Brief hinhalten, an dem die Frau Schwiegermama ihre Freude haben sollte … – –

Dann nahm er den zweiten Brief zur Hand, den von seiner Mutter.

Aha – Frau Harrich hatte die Auskunft über das „verworfene Geschöpf“ schleunigst an die Rechnungsrätin weitergegeben … Die Mutter schrieb ähnlich wie Lotte. Es regnete Vorwürfe, aus denen nur die Angst sprach, diese Verlobung könnte womöglich auseinandergehen …

Der Assessor seufzte … – Lotte betete den Adel an, die Mutter das Gold. Reichtum schien ihr der Inbegriff allen Glückes … – Die gute, kurzsichtige Mutter …! Sie hatte ja wohl stets sein Bestes gewollt … – –

Es klopfte.

Arnold Kunath trat ein. Er hatte sich jetzt eine neue Art von Verbeugung angewöhnt, sehr gemessen, sehr knapp, dazu ein Handreichen mit möglichst eckigen Bewegungen.

Linker fragte nach der Begrüßung ziemlich kurz:

„Na, was gibt’s?“

„Herr Reschke von oben war vorhin hier und bat mich, Ihnen zu bestellen, daß er Sie notwendig sofort sprechen müsse, Herr Assessor …“

„Gut, danke. Ich werde ihn gleich nach Tisch aufsuchen. – Ob das Mittag fertig ist?“

„Jawohl. Mama bringt es sofort. Es gibt Kartoffelpuffer und nachher Leber, – meine Leibgerichte.“

„So? – Na, dann guten Appetit. – Auf Wiedersehen, Herr Kunath.“

Der junge Mensch entfernte sich mit etwas langem Gesicht. Er hatte doch seinen Bekannten gegenüber so sehr mit der Freundschaft des Assessors geprahlt … Und nun schien es damit aus zu sein …! – Arnolds Sympathien für Linker sanken beträchtlich …

Kaum war er hinaus, erschien auch schon Frau Kunath mit dem großen, dicht bestellten Tablett.

Linker aß trotz der beiden Briefe mit Behagen, fast mit Andacht. Das kleine, schüchterne Frauchen kochte wirklich vorzüglich. – Hm – was wohl Reschke von ihm wollte …?! Und so dringend …?! Das mußte doch einen Grund haben …

Noch ehe er seine Mahlzeit beendet hatte, klopfte es abermals. Diesmal war es Hildegard.

Dem warmen Wetter zu Ehren hatte sie Sommer gemacht, trug ein altes Kleid, – einfach gearbeitet aber dabei wie angegossen sitzend.

Sie entschuldigte sich; sie hätte gedacht, sie könnte bereits abräumen. Und wollte wieder gehen.

„So bleiben Sie doch bitte, Fräulein Hildegard,“ meinte er freundlich. „Ich bin hier schon beim letzten Happen. – Nehmen Sie doch Platz … Weshalb wollen Sie so förmlich sein?! Wir sind doch Hausgenossen …“

Sie schaute ihn überrascht an. Noch nie hatte er sie mit Fräulein Hildegard angeredet, bisher stets nur mit dem kalten „Fräulein“, das so nach einer dienenden Stellung klang, – noch nie war ein so warmer Ton in seiner Stimme gewesen …! – Sie ahnte nicht, daß er gutmachen wollte, was zwei Briefe ihr angetan, zwei, in denen der Ausdruck „verworfenes Geschöpf“ vorgekommen war …

Und dafür hielt er sie nicht, – nein, auf keinen Fall! Mochte sie noch so leichtsinnig, noch so unbedacht vielleicht in vielem gehandelt haben, – die Beschimpfung verdiente sie nicht! Gerade diese Überzeugung hatte sich in den letzten Tagen immer mehr in ihm festgesetzt, nachdem er einmal ganz kühl alles gegeneinander abgewogen hatte, was er von ihr wußte, was er mit ihr selbst schon erlebt hatte an kleinen Szenen, die sie ihm gewiß rätselhaft erscheinen ließen, aber auch anderseits die Annahme rechtfertigten, daß sie seelisch schwer unter der eigenen Unzugänglichkeit litt. Besonders damals, als sie gleich am ersten Abend nach seinem Einzug in das neue Heim sich wegen ihrer Unaufrichtigkeit ihrer Mutter gegenüber vor ihm zu rechtfertigen gesucht hatte, als ihr leises Aufschluchzen aus dem Halbdunkel zu ihm gedrungen war und sie nachher mit weher, zitternder Stimme gesagt hatte: „Es wird wohl alles zwecklos sein …“

Und dann eine andere Szene, die ihm auch nachträglich sehr zu denken gegeben hatte, als er sich für die Blumen bedankte, die Frau Kunath neben Lottes Bild gestellt hatte; da hatte Hildegard leise gesagt: „Zu einer Braut gehören Blumen“, – leise, mit ganz besonderer Betonung und einem ganz besonderen Ausdruck in den großen, sonst so lebendigen Augen … – –

Nein, verworfen war sie nicht! Da hatte die Philistermoral in Barten denn doch zu scharf geurteilt. Und das wollte er gleichsam wettmachen, indem er recht lieb zu ihr war …

Hildegard setzte sich nicht, lehnte sich nur leicht gegen den Kleiderschrank und horchte mit einem stillen Leuchten in den Augen auf sein Geplauder.

„Es wird jetzt Frühling mit Macht … Sie haben dem strahlenden Sonnenschein heute ja auch schon ein Zugeständnis gemacht, Ihr Kleid! – Recht so! Junge Mädchen in Hell erscheinen mir immer selbst wie Frühlingsblumen …“ … So sprach er weiter, zwanglos, beinahe fröhlich, manchmal einen Neckton anschlagend.

Aber nur in ihre Augen lockte er damit ein freundliches Glänzen. Ihr Mund behielt den herben Zug, und in ihrer ganzen Haltung drückte sich etwas geradezu Demütiges aus, wie sie so an der Schrankecke stand, in der herabhängenden Linken das Tablett, während die Rechte mit der langen, silbernen Uhrkette spielte …

Dann dachte er an Ernst Reschke. Und nur deswegen, weil des Alten dröhnende Schritte wieder vernehmbar wurden.

„Richtig – ich sollte ja zu John Gabriel Borkmann kommen!“ sagte er, mit dem Zeigefinger nach der Zimmerdecke weisend, indem er sich gleichzeitig erhob. „Er wird jedenfalls wegen des neuen Aktenauszuges etwas zu fragen haben. – Bitte, Fräulein Hildegard, richten Sie doch Ihrer Mutter von mir aus, daß es mir vorzüglich geschmeckt hat.“

„Zu wem sollten Sie kommen, Herr Assessor?“ fragte sie da mit einem still sinnenden Zug in dem zarten Gesicht. „Habe ich recht gehört …?! Nennen Sie Herrn Reschke John Gabriel Borkmann?“

Er nickte. „Weil er auch so unermüdlich hin und her geht. – Kennen Sie das Ibsensche Stück?“

„Ja, – von der Bühne und auch vom Lesen,“ erwiderte sie sehr langsam. „Sie ahnen nicht, Herr Assessor, daß es nicht nur das häufige Auf und Ab, diese ständige Promenade dort oben ist, die Ihren Vergleich rechtfertigt,“ fügte sie schmerzlich lächelnd hinzu. „Wohl halb im Scherz haben Sie diesen Vergleich gewählt … Er trifft auch noch in anderer Beziehung zu, – ja, in der herben Tragik, die auch dieses alte Haus durchzieht …“

Karl Linker horchte auf. Nicht, weil diese Andeutungen über Hildegard Lippen kamen. Nein, sondern weil sie die letzten beiden Sätze in ganz eigener Weise gesprochen hatte, so, als klinge ihre Seele, eine gemarterte Seele, in jedem Worte mit …

„Wollen Sie mir das nicht näher erklären?“ bat er, indem er sich ihr dicht gegenüberstellte. „Ich habe viel Interesse für Reschke. Er scheint schwer gelitten zu haben in seinem Leben …“

Ihr Blick ging an ihm vorüber, verlor sich in fernen Weiten – irgendwohin …

„Gelitten?!“ Bitterkeit lag in ihrer Stimme. „Wer hat hier in diesem Hause nicht gelitten …?! – Aber er war es, der den Unfrieden hierher gebracht hat, er allein … Es ist eine traurige Geschichte …“

Dann schaute sie Linker plötzlich an, als merke sie jetzt erst, daß er es war, zu dem sie sprach. Ihre Lippen preßten sich fest zusammen, und nun eilte sie an ihm vorüber zu dem großen Eßtisch und begann hastig das Geschirr auf das Tablett zu stellen …

„Sie sind ein seltsames Wesen, Hildegard,“ sagte er laut und nahm ihr einen Teller aus der Hand. „Das Abräumen hat Zeit … Erzählen Sie mir die traurige Geschichte …“

Sie hob den Kopf. Finstere Ablehnung war in ihren Zügen.

„Ihnen …? Diese Geschichte?! – Wie käme ich dazu?! Mag jeder froh sein, wenn er nicht noch fremdes Leid aufgebürdet erhält.“

Karl Linker sah, daß er heute bei Hildegard nichts erreichen würde, – heute noch nicht! Noch war das Eis nicht geschmolzen. Aber draußen lachte ja der Frühling, lachte die warme Sonne … Und die würden vielleicht mithelfen, daß sie ihm doch noch genug Vertrauen schenkte, um sich das Herz einmal frei zu reden.

Er sprach kein Wort mehr zu ihr, ging still hinaus und die Treppe empor zu Ernst Reschke.

 

10. Kapitel.

Die große Leidenschaft.

Der Alte, heute im braunen Samtjackett und mit einem bunten seidenen Tuch um den Hals, empfing ihn mit festem Händedruck.

„Gut, daß Sie da sind, Herr Assessor. Ich brauche heute einen Menschen wie Sie, dem der anständige Charakter aus den Augen strahlt, dem man beichten kann, wenn einem danach zu Mute ist. Und so geht es mir heute. – Setzen Sie sich – ganz bequem, so, – und dort stehen auch Zigaretten. Bedienen Sie sich. Mir aber gestatten Sie, daß ich meine Promenade fortsetze. Es ist eine Unruhe in mir, oft, sehr oft, die sich nur durch körperliche Bewegung beschwichtigen läßt …“

Mit tief auf die Brust gesenktem Kopf schritt er auf und ab. Erst heute fiel es Linker auf, daß Reschkes Gang nicht der eines Greises war und mit den weißen Haaren nicht im Einklang stand. Dieser Gang verriet immer noch einen gewissen Kräfteüberschuß, hatte für den scharfen Beobachter beinahe etwas Jugendliches an sich. Und damit stimmten ja eigentlich auch der helle, klare Blick und die gesunde Gesichtsfarbe überein.

Da begann Reschke mit einem Male wieder zu sprechen.

„Jede Beichte hat ihren guten Grund. Bei dem einen ist’s Gewohnheitssache, das sind die äußerlich Frommen, die dem Priester alle vierzehn Tage beichten, bei anderen rührt sich das Gewissen und sie wollen eine schwere Last loswerden durch menschlichen Zuspruch, sei es nun durch den eines Geistlichen oder eines Freundes, eines, bei dem sie auf Verständnis hoffen. Manche wieder beichten nur scheinbar. Sie wollen sich nur reden hören, nur protzen mit ihren Gemeinheiten, sich als Mephisto oder Don Juan bewundern lassen. – Man könnte noch mehr Sorten finden, wenn man nachdenkt. Nun – ich selbst gehöre zu keiner dieser Kategorien. Mich hat heute ein rein äußerer Anlaß dazu gedrängt, mit Ihnen eine Aussprache herbeizuführen, Herr Assessor, und zwar ein Besucher bei meiner Wirtin, der dicken Frau Winkler.

Um zehn Uhr vormittags etwa wollte ich mir von der Winkler Nadel und Zwirn geben lassen. Es gibt Knöpfe, die wir Herren uns schon allein annähen müssen, wenn wir zartbesaitet sind. Ich hörte in dem Vorderzimmer sprechen, wollte gerade anklopfen, da erklamg – mein Name. Ich verstand ihn ganz deutlich. – Ich bin etwas mißtrauischer Natur. Nur deshalb spielte ich den Lauscher an der Wand. – Es war ein Mann, der sich mit der Winkler über mich unterhielt. Er sah wie ein Seemann aus, – braungebrannt, und er hatte treue blaue Augen. Er saß gerade dem Schlüsselloch gegenüber. – Viel von dem, was die beiden sprachen, verstand ich nicht. Aber es genügte. Der Mann zog über mich, mein Leben und Treiben, Erkundigungen ein, und die Winkler antwortete ziemlich widerwillig.“

Reschke blieb jetzt vor Linker stehen und schaute ihn mit einem besonderen Lächeln an.

„Der Mann ist wahrscheinlich jener Paul Trebitz gewesen, der uns helfen sollte. – Stimmt meine Vermutung?“

Der Assessor war sehr rot geworden, erwiderte aber ehrlich:

„Ich weiß es nicht genau. Aber ich nehme auch an, der war’s.“

„So, so … Na, dann dürfte Trebitz mich wohl nicht gerade für so ganz harmlos halten. Sicher nicht! Vielleicht denkt er, ich stecke mit Hildegard Kunath und den Leuten im Nachen unter einer Decke!“

Linker wurde schwül zu Mute. Doch – sollte er den Alten so offen belügen?! –

Er bekam es nicht fertig. Heute erschien ihm der Verdacht des argwöhnischen Trebitz gegen Ernst Reschke beinahe unsinnig. Dieser Mann war ein feinsinniger Denker, ein stiller Weiser, – kein Betrüger, kein Heuchler!

Reschke stand noch immer mit dem gutmütigen, überlegenen Schmunzeln vor dem Assessor. Und nun fuhr er fort, als dieser sich ausschwieg:

„Trebitz hat wohl auch in Ihr Herz das Samenkorn des Mißtrauens hineingepflanzt, wie?! – Ach, das tun sie ja nur zu gern, diese berufsmäßigen Spürer, mit heimlichen und daher unheimlichen Waffen zu kämpfen. Und ihr Haupttrick ist immer, jeden zum Argwohn gegen jeden aufzustacheln, ein großes gegenseitiges Belauerungssystem aufzubauen und so von allen Seiten Nachrichten zu sammeln, aus denen sie manches Wertvolle dann herausfinden können. – Ja, ja, Herr Assessor, – leugnen Sie nicht. Auch Sie sollten mir gegenüber eine bestimmte Rolle spielen, sollten so tun, als wäre ich für Sie auch weiter ein harmloser Sonderling, während in Wahrheit … Doch – Sie verstehen mich wohl.“

Linker streckte dem Alten die Hand hin.

„Verzeihen Sie mir,“ meinte er schuldbewußt. „Ich habe mich wirklich von Trebitz überreden lassen, besser, er hat mir aus der Rätselhaftigkeit Ihrer Person den Nachweis zu erbringen gewußt, daß Sie nur damals zu mir gekommen wären, um mich auszuhorchen.“

Ernst Reschke drückte des Assessors Hand kräftig.

„Gut, daß Sie ehrlich sind. – Ich nehme es Trebitz gar nicht übel, daß meine Persönlichkeit ihm ein wenig fragwürdig erschienen ist.“ –

Er begann wieder langsam, die Hände auf dem Rücken, auf und ab zu gehen. Minuten verstrichen. Der Assessor wartete geduldig. Er rauchte wieder eine teure Upmann, und er hatte sie sich aus einer frischen halben Kiste herausgelang. Es konnte Reschke also kaum schlecht gehen. Denn diese neue Kiste war wohl kaum wieder ein Geschenk eines Wohltäters, – wahrscheinlich hatte sich Reschke selbst die Wohltat erwiesen aus eigenen Mitteln, dieses teure Kraut zur Verfügung zu haben.

„Das Rätselhafte, Fragwürdige meiner Person …!“ sagte der Alte plötzlich mit leisem Auflachen. „Die Menschen verlangen, daß jeder gleichsam auf der Straße steht, damit der Nachbarschaft ja nichts verborgen bleibt! Zieht sich einer zurück, weil er sich fern von der unruhigen Welt da draußen halten will, dann fallen die lieben Nächsten bald über ihn her, stempeln ihn zum Sonderling und dichten ihm alles mögliche an. Wie lächerlich und wie häßlich das ist! –

Nun – ich werde daran nichts ändern! – In uns schlummert das Böse, in jedem, und wenn er sich sonst nicht offenbart, dann wenigstens in rücksichtsloser Neugier, hinter der immer die Hoffnung sich verbirgt, Schlechtes über diesen oder jenen zu erfahren. Oder haben Sie schon mal Leute gefunden, die neugierig waren und Tugenden an anderen entdecken wollten?! –

Genug hiervon. Ich sagte vorhin, für meinen Wunsch nach offener Aussprache wäre ein äußerer Anlaß bestimmend gewesen: Trebitz Besuch bei der Winkler, der mir dann eben die Notwendigkeit vor Augen führte, Ihnen mehr Klarheit über mich zu geben, Herr Assessor. –

Ich war Mittelschullehrer hier in Ixstadt, – kein Jüngling mehr, nein, so Mitte dreißig, als ich ein Mädchen kennenlernte, das sofort meine Seele in Feuersgluten tauchte. Ich drücke mich absichtlich derart aus; denn es war so! Es war Liebe auf den ersten Blick, eine Liebe, die schnell zu wildester Leidenschaft emporloderte. Bis dahin hatte ich das andere Geschlecht gemieden. Mein Beruf und nebenbei ein wenig Schriftstellerei füllten mein Dasein völlig aus. Ich war zufrieden gewesen, vielleicht ein Lebenskünstler, der hoch über der Menge stand, weil er eben niemanden brauchte, um glücklich zu sein. –

Das wurde mit einem Schlage anders. Malwine Gerting war ein zierliches Geschöpf, wirklich etwas besonderes von Weib, – wenigstens äußerlich. Ich warb um sie, glaubte auch die besten Aussichten zu haben erhört zu werden, als – der andere auftauchte.

Ich habe Ihnen Ernst Kunath ja schon damals beschrieben. Die Weiber liefen ihm nach. Gegen ihn erschien ich wie eine Vogelscheuche. Ich gebe das ruhig zu. Malwine, die bis dahin meinen ernsten Reden gern gelauscht hatte, die ich weiterzubilden suchte und die ich einen Blick tun ließ in die reichen Schätze vielseitigen Wissens, durch die man Gold und Ehren ersetzen kann, hatte bald weit mehr Freude an meines Widersachers leichtem Geplauder. Und ihre Augen hingen oft mit einem Ausdruck an seinen Lippen, der mich in Angst versetzte. Malwine war zu schade für diesen Wüstling. Aber – sollte ich ihr den Blick schärfen für all die inneren Mängel des anderen …?! Würde sie mir glauben, wenn ich sie warnte?! – Ich schwieg, benutzte aber die erste Gelegenheit, ihr kurz entschlossen meine Liebe zu erklären, um so den bösen Einfluß auszuschalten, der schon wie ein Gift auf sie wirkte. – Sie wies mich ab. Es war eine seltsame Szene. Sie weinte bittere Tränen. „Sie liebe Kunath, anderseits stoße er sie zuweilen auch ab. Aber jedenfalls habe sie jetzt eingesehen, daß ich ihr stets nur Freund gewesen sei, daß ihre Empfindungen für meinen Nebenbuhler völlig verschieden von denen seien, die sie bisher im Verkehr mit mir für den Beginn zärtlicher Neigungen gehalten habe.“ – Wir schieden im Frieden von einander. Aber ich ging damals heim wie ein Schwerkranker. In ihrer Gegenwart hatte ich mich noch zusammengenommen. In meinen vier Wänden habe ich den Moment verflucht, wo ich sie kennen lernte, habe ich das Schicksal, Gott, die ganze Welt verwünscht, die ich verantwortlich machte für mein übergroßes Herzeleid. –

Ich wurde krank. Die Ärzte sagten, es wäre Typhus! Möglich! – Die Hauptsache meines körperlichen Zusammenbruchs war die Enttäuschung, die Verzweiflung und … die Angst um Malwine, die an der Seite Ernst Kunaths zu Grunde gehen mußte.

Als ich mich von meinem Krankenlager erhob, war ich … ein Greis geworden. Mein Haar war schneeweiß. Das findet man ja häufig als Folge eines schweren Nervenfiebers. –

Ich ließ mich pensionieren und die Sorge um Malwine, die inzwischen Kunaths Frau geworden, trieb mich in ihre Nähe, hier in dieses Haus, dieses Zimmer. Ich wollte wie ein Schutzgeist wachen, daß ihr nichts geschehe. Ich kam mit den verworrensten Plänen hierher, glaubte eine heilige Mission zu erfüllen, – kurz, ich war damals wohl nicht ganz bei gesunden Verstand, sonst hätte ich erkennen müssen, wie unsinnig dieser Entschluß war, mein ferneres Leben der Frau in stiller Wachsamkeit zu widmen, die einem anderen gehörte, die nur durch eine Balken- und Bretterschicht getrennt im selben Hause lebte … – Malwine wußte bald, wer der weißbärtige Mann im ersten Stock war. Sie vermied es ängstlich, mir zu begegnen. Ich habe auch nie den Versuch gemacht, sie anzusprechen. –

In meiner Einsamkeit litt ich Folterqualen. Die Liebe hatte mein Herz noch genau so in ihrer Gewalt wie einst, als ich mich noch jung dünkte und der Geliebten von den Schönheiten altgriechischer Kunstdenkmäler, von dem Zauber der Gedichte altdeutscher Minnesänger und anderem erzählte … Zwei lange Jahre hat es gedauert, bis dieses Herz allmählich starb wie eine Pflanze, der man Luft und Licht entzieht. Dann begannen die seltsamen Dinge sich abzuspielen, über die ich Ihnen schon berichtet habe. Auch Ernst Kunath wußte, wer ich war, der einstige Bewerber um Malwines Hand, den er verdrängt hatte. –

Er haßte mich, hatte mich bei einer heftigen Aussprache geradezu beschuldigt, durch meine Anwesenheit im Hause das Glück seiner Ehe untergraben zu haben. Er suchte mir dieses Haus zu verleiden, hat mich belästigt und drangsaliert, wo er nur konnte. Ich blieb wohnen – zumeist aus Trotz, wie ich zugebe. Es war ein meist stummer Kampf zwischen uns. Seinen Kindern impfte er frühzeitig Abneigung und Verachtung für mich ein. Er hatte gemerkt, daß ich besonders Hildegard liebte, daß ich ihr Geschenke zusteckte … Ihm, dem Vater, der ständig auf die jugendlichen Seelen einwirken konnte, gelang es wirklich, die Kinder so vollständig gegen mich einzunehmen, daß sie mich nicht einmal mehr grüßten. –

Die Jahre gingen hin. Ich lag eigentlich hier oben wie ein Fuchs in seinem Bau beständig auf der Lauer, wartete auf den Augenblick, wo ich das Geheimnis der nächtlichen Kahnfahrten aufdecken und Ernst Kunath an den Pranger stellen könnte. Aber er war zu schlau – oder ich zu ungeschickt für eine solche Aufgabe, die eines gewitzten Detektivs würdig gewesen wäre. Dann starb er, während ich mit schwerer Lungenentzündung im Lazaretten lag.

Kaum hatte ich von seinem Tode erfahren, als ich eine neue Aufgabe vor mir sah. Ich wollte Malwine als treuer Freund helfen, die Kinder zu brauchbaren Menschen zu erziehen, und wollte sie auch nach Kräften unterstützen. –

Ich erzählte Ihnen ja schon, wie kurz ich an der Tür von Hildegard bei meinem Beileidsbesuch abgefertigt wurde … „Mutter läßt Ihnen sagen, daß sie keinen Verkehr mit Ihnen wünscht. Wir, – mein Bruder und ich, wissen sehr gut, daß Sie die Hauptschuld an der unglücklichen Ehe meiner Eltern tragen. Der Vater hat uns die Augen geöffnet, und wir haben jetzt der Mutter erklärt, daß wir sie sofort verlassen würden, falls sie Ihnen den Zutritt zu unserer Wohnung gestattet.“ – So etwa sprach Hildegard zu mir, und ich fühlte deutlich, wie der Einfluß des Verstorbenen noch nachwirkte.

Monat reihte sich nun wieder an Monat. Die Verhältnisse, in denen Malwine als Witwe zurückgeblieben war, mußten recht dürftig sein. Ich erkannte das an vielem. Man erzählte in der Nachbarschaft, Kunath hätte große Schulden hinterlassen, die die drei Hinterbliebenen abzuzahlen suchten.

Auch jetzt kam es zu keiner Begegnung mit Malwine. Nur ein einziges Mal haben wir uns flüchtig gesprochen, – vor einer Woche, als ich über mittag zu Ihnen kam. –

Sie öffnete mir die Flurtür. Ich streckte ihr die Hand hin. Sie wich zurück, flüsterte scheu und ängstlich: „Die Kinder …!“ und fügte ebenso leise hinzu: „Wenn Sie es gut mit mir meinen, Ernst Reschke, so ziehen Sie fort von hier …“ Inzwischen war ja dann auch der Spuk des alten Mühlenhauses wiedererwacht. Es schien, als wäre die Vergangenheit, die Zeit Ernst Kunaths, wieder lebendig geworden …: Nächtliche Kahnfahrten auf dem Kanale hin und her, Geräusche in den Mauern, dumpfes Poltern, Erschütterungen des Hauses, alles wie einst! Es fehlen nur die gellenden Angstrufe des armen Weibes, das jetzt Witwe ist. –

Ich lernte Sie kennen, Herr Assessor, und wir wurden Verbündete, Trebitz wurde gewonnen, der seine Tätigkeit freilich mit einem groben Versehen begannen, – denn das, was ich Ihnen eben berichtet habe, ist die volle Wahrheit! Ich stehen in keinen anderen Beziehungen zu Kunaths als denen, die ich Ihnen angegeben! –

So, meine Beichte ist aus … Nun wissen Sie, weshalb ich mich einst selbst mit einem alten Zylinderhut verglich, der jetzt unbeachtet und verachtet im Straßengraben liegt. Gerade der Zylinder ist der König unter den Kopfbedeckungen; der spielt eine besondere Rolle; er will hoch hinaus, kommt sich wichtig vor … –

All das trifft auch auf mich zu. Als ich Malwine damals kennenlernte, winkte mir in doppelter Beziehung das Glück, – die Liebe und der Ruhm. Ich hatte einen großen Roman beendet, hatte ihn zur Begutachtung einem strengen Berliner Schriftsteller, der zugleich Kritiker war, vorgelegt. Er schrieb mir, er würde das Werk bei einem bekannten Verlag mit Leichtigkeit unterbringen; es sei gut, es würde mich mit einem Schlage berühmt machen. Am Nachmittag desselben Tages, da ich diese Antwort von ihm erhielt, wies das Schicksal mir mit höhnischem Finger den Weg von der eben erklommenen Höhe talabwärts in finstere Schluchten: die Geliebte ging für mich für immer verloren, lehnte meinen Antrag ab, sagte mir, daß sie den anderen liebe … Der stolze Zylinder erhielt einen Fußtritt und rollte in den Graben …! –

Ich habe meinen Roman zurückgefordert, habe auf den Ruhm verzichtet; von meinen Glücksaussichten war die eine in Scherben gegangen. Und die zweite zerstörte ich selbst. Was sollte sie mir noch?! Ohne das Weib, das ich bis zum Wahnsinn liebte, hatte nichts mehr für mich Wert! – So wurde ich Abschreiber, Sonderling, ein wunderlicher Heiliger … – – Ein Menschenschicksale hat sich soeben vor Ihren Augen wie ein spannender Film abgerollt, Herr Assessor. Es fehlt von dem Drama aber noch der letzte Akt. Den müssen wir erst noch dichten, wir drei, Trebitz mit eingeschlossen. Gerade der Akt, der die Lösung der Rätsel bringen soll …“

Ernst Reschke war ans Fenster getreten und schaute auf den Kanal hinab, auf dem eben ein mit Brettern tiefbeladener Prahm von einem winzigen Motorboot entlanggeschleppt wurde.

Und der weißhaarige Mann fügte leise hinzu: „Wenn der gelbbraune Kanal uns seine Geheimnisse verraten wollte, könnten wir den Akt gleich schreiben. Aber vielleicht wäre es auch besser, wenn alles so bliebe, wie es ist. Ich liebe Hildegard, Malwines Tochter, wie mein eigenes Kind … Und erführe ich, daß sie wirklich dem Vater auch im Charakter gleicht, dann hätte das Leben keinerlei Wert mehr für mich …“

Karl Linker war aufgestanden, legte Reschke jetzt leicht die Hand auf die Schulter …

„Lieber Freund, – ich glaube, Sie dürfen hoffen, daß all das, was hier in diesem Hause sich im Dunkeln als Dunkles abspielt, eine Erklärung finden wird, wie auch mir nur von Herzen lieb wäre. Ich halte Hildegard nicht für schlecht … Wer weiß, was da alles mitspielt, um sie in so widerspruchsvoller Beleuchtung erscheinen zu lassen …“ – –

Nachher verabredeten sie noch für den nächsten Nachmittag eine gemeinsame Besprechung mit Trebitz im Anwaltsbureau in der Langgasse.

 

11. Kapitel.

Verzweiflung.

Als der Assessor sein Zimmer wieder betrat, bemerkte er zu seinem Schreck, daß er den Brief seiner Mutter offen auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. Sein erster Gedanke war: „Wenn Hildegard ihn gelesen hat …! Ja, wenn sie nur, ohne ihn anzurühren, einen Blick auf die erste Seite geworfen hat, wo sie so hart und lieblos auch von meiner Mutter als „verworfenes Geschöpf“ bezeichnet ist …! Wie muß sie dann gelitten haben …!“

Da – was war das …!? Flecken auf dem Papier, hier und dort die Tinte verlaufen … Tränenspuren!

Also wirklich! Sie hatte gelesen … Und heiße Tropfen waren herabgefallen auf die strengen Vorwürfe, die eine Mutter dem Sohn machte, weil er mit „einer solchen“ unter einem Dache wohnte …

Arme, arme Hildegard …! – Wie gern wäre Linker jetzt zu ihr hinüber in das kleine Nebenzimmer gegangen, hätte ihre Hände in seine genommen und gebeten: „Haben wieder Vertrauen zu mir, Hilde, – volles Vertrauen; beichten Sie, wie der weißhaarige Mann es tat, der jetzt mein Freund ist. Liebevolle Hände wachen ja über Sie, werden Sie schützen, Ihnen helfen, mag auch geschehen sein, was nach Unrecht aussieht …“

So hätte er gern gesprochen. Doch es durfte nicht sein. Es „schickte“ sich nicht, daß er zu ihr ging in ihr Mädchenstübchen, in das er nur einmal vom Flur einen flüchtigen Blick hatte hineinwerfen können, als die Tür etwas offenstand. Da war ihm die Dürftigkeit der Einrichtung geradezu schmerzlich aufgefallen. Das war mehr eine Nonnenzelle als das Heim frischer Jugend. Wandschmuck fehlte ganz. Alles kahl, alles an Nippsachen und Bildern schien Linkers Zimmer an sich gerissen zu haben.

Dann packte ihn plötzlich eine stille Wut gegen seine kaltherzige, beschränkte Schwiegermutter. Diese allein war schuld daran, daß Lotte den Brief geschrieben und jetzt auch seine eigene Mutter schleunigst zur Feder gegriffen hatte, um zu verhüten, daß die glänzende Partie in die Brüche ging …

„Glänzende Partie …!“ – Er lachte ironisch auf. – „Wirklich glänzend …! Auf mehr als eine Million schätzte man den Lebemann Harrich ein. Aber der gab wohl für seine Seitensprünge viel Geld aus, nichts dagegen für den Schwiegersohn …! Von Hochzeit noch keine Rede! Erst sollte der Herr Assessor mal mit Mendel sich fest zur gemeinsamer Ausübung der Praxis zusammengetan haben. Bis dahin sieh’ zu, wie du durchkommst mit zweihundertfünfzig Mark monatlich und den Studienschulden, die auch abgezahlt werden mußten! Aber – bitte sehr! – tritt nach außen hin immer anständig auf! Du bist ja unser Schwiegersohn, und wir, Mutter und Tochter, tragen stets für einige dreißigtausend Mark Brillanten zur Schau und Kleider, denen jeder ansieht, daß sie erstklassig teuer – und oft so geschmacklos sind…“ dachte Linker … „Glänzende Partie! Der reine Hohn …! Und daneben noch diese plebejische Art, den armen Herrn Schwiegersohn bevormunden zu wollen …!“

Linker sah nach der Uhr. Erst drei! Das paßte ja großartig. Für einen Brief an die werte Schwiegermutter reichte die Zeit noch gerade hin, bevor er ins Bureau mußte. Er war jetzt in der richtigen Stimmung! Mochte die Verlobung auch zerplatzen wie eine trügerische Seifenblase, die außen so schöne Bilder wiederspiegelt und innen keinerlei Gehalt hat … – Lotte …?! – Ebenso gut hätte er jede andere erwählen können! Damals Sylvester in der Sektstimmung hätte er auch einem Reisigbesen eine Liebeserklärung gemacht …

Er setzte sich an den Schreibtisch. Und dann flog die Feder über das Papier.

Liebe Mama!

Lottes Brief habe ich zugleich mit einem inhaltlich ziemlich gleich lautenden Schreiben meiner Mutter heute erhalten. Da Lotte selbst zugibt, daß ihr Brief weniger aus eigenem Antrieb entstanden ist, wende ich mich mit der Antwort an Sie direkt. Die Annahme, daß ich absichtlich das Vorhandensein einer erwachsenen Tochter der Frau Kunath in meinen Briefen verschwiegen habe, trifft zu. Wenn man aber wie ich stundenlang auf Wohnungssuche treppauf treppab gelaufen ist und sich einem dann endlich etwas Passendes bietet, denkt man nicht daran, daß es in Barten mißtrauische Naturen gibt, die hinter jeder Wirtstochter gleich eine Verführerin vermuten. Was nun den Vorschlag mit dem Umzug zu Fräulein Gründling anbetrifft, der von Ihnen „dringend“ gewünscht wird, so fasse ich diesen lediglich als eine augenblickliche Entgleisung, ein momentanes Verkennen meiner Selbstständigkeit auf und gehe darüber ohne weitere Details zur Tagesordnung über, möchte nur bemerken, daß mich meine brave Frau Kunath so vorzüglich versorgt, wie ich dies so leicht nicht wieder finden werde.

Zum Schluß noch eine allgemeine Lebensweisheit: Niemand sollte sich, der in Barten sitzt und nur von Fräulein Gründling auf Grund von Nachbarklatsch über einen Menschen unterrichtet ist, leichtfertig zu einem so absprechenden Urteil hereinlassen, wie es in dem Ausdruck „verworfenes Geschöpf“ liegt, der nebenbei noch strafrechtlich eine Beleidigung darstellt. Je vornehmerer ein Charakter, desto zurückhaltender wird er in derlei Meinungsäußerungen sein, was gerade Sie, verehrte Mama, ohne weiteres anerkennen werden, da es stets Ihr Bestreben ist, den Besten und Edelsten der Nation es gleichzutun. – Ich bin überzeugt, daß Sie bei ruhiger Überlegung die Dinge hier mit anderen Augen ansehen werden.

Fräulein Gründling werde ich als Lottes Patentante umso lieber einen Besuch machen, als ich sie fragen möchte, welchem Auskunftsbureau sie diese für eine junge Dame so niederschmetternden Angaben, deren Extrakt „veworfenes Geschöpf“ ist, verdankt, und um sie gleichzeitig freundschaftlich zu warnen, ihre Zunge – besser Feder! – mehr zu hüten, da ihr der Wahrheitsbeweis all der Verdächtigungen der Ehre eines jungen Mädchens sehr schwer fallen dürfte. –

An Lotte schreibe ich in den nächsten Tagen, da ich jetzt mit Arbeit sehr überhäuft bin.

verbleibe mit Gruß

Ihr Schwiegersohn

Karl Linker

Dieser Brief wanderte zehn Minuten später in den Kasten. – An demselben Tage abends gegen achtzehn Uhr.

Es war so wunderbar milde Luft, daß Karl Linker noch einen Umweg gemacht hatte, als er vom Bureau nach Hause ging.

In Ixstädt zeigte sich eine merkwürdige Vorliebe für das Wort „lang“. Da gab es eine Langgasse, einen Langenmarkt, eine Langereihe, einen Vorort Langfuhr und viele Gassen, deren Namen ebenfalls mit „lang“ irgendwie gebildet waren. Auch der Nordkai des Innenhafens hieß Langebrücke. Und diese gehörte fraglos mit zu den eigenartigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Hier fand man hohe, schmale Häuser mit seltsamen Dächern, altertümliche Tore, die gleichzeitig Hebekranvorrichtungen hatten, verwitterte Schifferkneipen, dem Verfall nahe Budiken, in denen Spielhallen und „Weinrestaurants“ mit Damenbedienung untergebracht waren. Auch das Stammpublikum der Langebrücke war interessant genug. Matrosen aus aller Herren Länder, Seefischer von der Küste, galizische Kaftanjuden, Flissacken in Schafpelzen und mit Weichselzöpfen, fragwürdige Weiblichkeit und Gassenjungen in ganzen Rudeln, all das wogte und quirlte geschäftig, genußhungrig, halb trunken oder in fauler Behaglichkeit durcheinander.

Karl Linker liebte die Langebrücke. Er sah in ihr das charakteristische Straßenbild der Seestadt, zumal dicht daneben sich die breite Fläche des Hafens hinzog mit den nicht minder abwechslungsreichen Szenen regen Schiffs- und Bootsverkehrs.

So war er auch heute hier gemächlich entlanggebummelt, war hin und wieder stehen geblieben und hatte mit den Augen des Poeten einzelne Bilder in sich aufgenommen.

Am Krantor hatte ihn dann mit einem Male ein sehr alkoholseliger alter Matrose angerempelt, erst Miene gemacht, mit ihm Streit anzufangen, dann aber um Feuer für seine Pfeife gebeten.

Das rauhe Schnapsorgan des graubärtigen Jan Maat ändere sich plötzlich. Es war Paul Trebitz’ Stimme, die dem Assessor schnell zuflüsterte:

„Dort am Fenster des Zigarrenladens steht Hildegard Kunath. Sie wartet auf James Look. Er ist im Laden …“

Dann taumelte der Matrose weiter.

Linker aber suchte hinter einem Haufen Fässer Deckung und beobachtete das junge Mädchen.

Bald erschien auch Look, der eine frisch angezündete Zigarre in der Hand hatte. Die beiden gingen gemeinsam weiter, bogen in das Krantor ein und durchwanderten eine schmale Gasse, in der es abscheulich nach Heringen roch.

Sie sprachen sehr eifrig miteinander. Doch nicht so, als tauschten sie zärtliche Worte aus. Nein – Linker fühlte geradezu, daß sie recht ernste Dinge behandelten.

Sie schwenkten nun in die Breitgasse ein, und hier verschwand Look in einem Geschäft für chirurgische Instrumente, kam aber sehr bald mit einem Karton wieder heraus.

Gleich darauf verabschiedete der Engländer sich, und Hildegard schlug mit dem Karton im Arm die Richtung nach der Großen Mühle ein.

Abermals tauchte jetzt der alte Matrose neben Linker auf.

„Geben Sie in dieser Nacht scharf acht!“ flüsterte er. „Ich wette, der Nachen wird wieder erscheinen. Die beiden haben etwas Besonderes vor.“

Der Assessor schlenderte weiter hinter dem jungen Mädchen drein. Hildegard schien nicht im geringsten zu befürchten, daß sie beobachtet werden könnte. Sie hatte sich auch nicht ein einziges Mal umgedreht, ebensowenig vorher James Look.

Linker glaubte daher auch, sie ansprechen zu dürfen, ohne den Verdacht zu erregen, daß er schon längere Zeit hinter ihr wäre.

Er beschleunigte seine Schritte.

„Ah – also sind Sie’s wirklich, Fräulein Hildegard,“ sagte er, als er neben ihr war. „Guten Abend. – Auch auf dem Heimwege?“

Er streckte ihr kameradschaftlich die Hand hin. Aber nur matt legte sie einen Augenblick ihre Finger in die seinen, ohne Gegendruck.

Sie lächelte jetzt, als sie sagte:

„Ja – auf dem Heimwege nach dem alten, stillen Mühlenhause, wo die Behaglichkeit meiner wartet und ein gutes Abendessen – genau so wie auf Sie, Herr Assessor.“

„Was für ein merkwürdiges Lächeln,“ dachte Linker, unsicher darüber, ob er ihre Worte für ernst nehmen sollte. Er wußte nicht genau, war wirklich so etwas wie bittere Ironie in ihrer Stimme gewesen, oder hatten ihn nur die zum Lächeln verzogenen Lippen, die sich wie in Hohn und Spott schürzten, dies annehmen lassen …?!

Hildegard ließ ihn dann gar nicht zu Worte kommen. Jetzt schien sie einer nicht ganz echten Fröhlichkeit Ausdruck geben zu wollen, als sie fortfuhr:

„Ja – das Abendessen, Herr Assessor …! Mutter hat heute Kartoffelpuffer in Bereitschaft, – fein, was?! Ich werde für drei essen. Diese laue Luft macht mich hungrig – auf alles!“ Ein girrendes Kichern folgte, das wohl diesem vieldeutigen „alles“ galt.

Linker fühlte sich unbehaglich. Was war nur in Hildegard gefahren?! Er kannte sie gar nicht wieder.

„Haben Sie nicht auch Hunger, Herr Assessor? Oder wirkt der Frühling bei Ihnen anders? – Sie sind ja so stumm! Sein Sie doch vergnügt. Sie können’s doch: verliebt, verlobt und angehender Associe[7] von Rechtsanwalt Mendel …! Was wollen Sie mehr!“

Sie schlenderte mit dem Karton übermütig hin und her. Linker wollte ihn ihr abnehmen, aber sie dankte …:

„Da sind Geheimnisse drin – große Geheimnisse, die ich nicht aus den Händen gebe!“

Wieder das merkwürdige Kichern. – Linker konnte nur den Kopf schütteln.

„Sie sind heute so ganz anders, – so …“

„… so recht eine, die jetzt in diese schöne Welt erst ganz hineinpaßt!“ vollendete sie seinen Satz. „Ja – staunen Sie nur … Das Kopfhängen habe ich mir heute abgewöhnt. Wozu einen Ballast von Bedenken mit sich herumschleppen?! Unsinn …! – „Lustig gelebt und selig gestorben, wenn auch vielleicht hinterm Zaun verdorben“, – es ist ja alles Lüge und Schein, wozu soll man da eine Ausnahme sein …?!“

Sie hatte die letzten Sätze leise geträllert, – einen halben Coupletvers[8] aus einer Posse, die gerade ihren Siegeszug über die deutschen Bühnen machte.

Linker blieb stehen. Sie befanden sich gerade allein mitten auf dem Kirchenplatz von St. Katharinen. Er schaute sie scharf prüfend an.

„All das kommt bei Ihnen nicht aus dem Herzen, Fräulein Hildegard,“ sagte er weich und freundlich. „Weshalb tun Sie so, als ob Sie der holde Leichtsinn in Personen wären …?! In Wahrheit sind sie doch ein schwerblütiger Mensch wie …“ Er schwieg plötzlich. Ihm war etwas eingefallen …: Der Brief auf seinem Schreibtisch, darin der Ausdruck „verworfenes Geschöpf“ … – Sollte es etwa nur eine traurige Art Galgenhumor sein, die aus ihr sprach, vielleicht ein Gemisch von Demütigung, Verzweiflung und Trotz …?! Hatte der Brief ihr gezeigt, wie sie eingeschätzt wurde …?!

Er schaute ganz ratlos geworden an ihr vorüber. Er kam sich so schuldbewußt vor. Seine Mutter hatte ja jenen Brief geschrieben …

„So sprechen Sie doch weiter!“ sagte sie da mit überlegenem Spott. „Was hat Ihnen denn so plötzlich die Rede verschlagen?! Und – lassen Sie uns weitergehen. Mutters Kartoffelpuffer werden kalt … Dann schmecken sie nicht. Nur Warmes liebe ich, alles, was Feuer gesehen …“

Er sagte nichts, weil er nichts zu sagen wußte.

Sie tat ihm so unendlich leid. Konnte er denn wissen, wie es in ihrer Seele aussah?! Sie war eine Sphinx, – aber in ihr mochte ein guter Kern schlummern, den sie heute absichtlich mehr denn je verleugnete.

Erst vor dem alten Mühlenhause fand er ein paar Worte, die ihm nicht allzu unangebracht erschienen.

„Fräulein Hildegard, – wenn Sie doch Vertrauen zu mir hätten …! Ich möchte so gern Ihr aufrichtiger Freund sein. Ich sehe, daß Sie leiden. Mich täuschen Sie nicht …“

„Ich halte von Freundschaft nichts,“ erwiderte sie gänzlich veränderten Tones, – schroff und kalt.

Dann eilte sie ins Haus, ließ die Flurtür hinter sich offen und rief Linker nur noch ein „Auf Wiedersehen!“ zu.

Dem Assessor hatten die Kartoffelpuffer heute nicht geschmeckt. Er wurde die Gedanken an Hilde nicht los. Immer fester ergriff die Erkenntnis von ihm Besitz, daß das junge Weib mit ihren Tränen ein Blatt Papier benetzt hatte, das für sie wie ein Todesurteil gewesen … „Verworfenes Geschöpf …!“ Wie mochte ihre Seele aufgeschrien haben, als ihre Augen sich festbohrten an den zwei Worten, die auf sie gemünzt waren, wie jammervoll zerrissen mochte es jetzt in ihrem Innern aussehen …?! –

Linker setzte sich an den Schreibtisch. Die Arbeit sollte ihm helfen, über dieses stetig im Kreise sich bewegende Denken hinwegzukommen.

Die Arbeit …! Es war die Revisionsschrift in Sachen Pößnick und Genossen.

Trebitz hatte hier sehr viel geleistet, hatte genug Beweismaterial beschafft, daß der große Unbekannte, dieser Pole oder Ungar Marzkiewiak, tatsächlich ein Wesen aus Fleisch und Blut war. Mithin mußte der Prozeß nun wirklich neu verhandelt werden. Einen besseren Revisionsgrund als den Antrag, dieser Marzkiewiak müsse als Zeuge vernommen werden, gab es nicht.

Langsam vergaß Linker über seiner Arbeit Hildegard und alles andere. Seine Feder flog über das Papier hin … Er wollte den Herren Richtern schon zeigen, wie man einen solchen Antrag nicht nur sachlich, sondern auch im Aufbau spannend gestalten kann.

 

12. Kapitel.

Bei Mutter Gundlach.

Dann legte er die Feder hin, gähnte verstohlen.

Soeben hatte es vom Turme von St. Katharinen elf geschlagen. – Nein – müde werden durfte er nicht. Trebitz hatte ihm ja zugeflüstert: „Die beiden planen etwas Besonderes …“

Er stand auf, holte sich eine Tasse Tee, die er sich am Mitteltisch eingeschänkt hatte, wo das Kännchen unter einem Kaffeewärmer stand.

Gedankenvoll rührte er mit dem Löffel den in die Tasse geschütteten Streuzucker um.

Es würde vielleicht eine aufregende Nacht werden … Wenn er doch daran gedacht hätte, Reschke noch zu verständigen …! Der lief oben schon wieder wie ein alter würdiger Bär im Käfig in seinem Zimmer herum.

Stehend trank er die halbe Tasse aus, zündete sich dann eine neue Zigarre an und setzte sich wieder. – Viel zu schreiben hatte er nicht mehr. Er las den langen Schriftsatz nochmals durch, war zufrieden …

Wieder kame ihn das Gähnen an.

Das machte die schwere Frühjahrsluft … Er war wirklich müde …

Mit einiger Anstrengung brachte er auch die letzte Seite fertig. – So – endlich …! Der allerletzte Federstrich war getan, er lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück und löffelte den Zuckerbodensatz aus der Tasse aus …

Eine bleierne Mattigkeit machte ihm jede Bewegung zu einer Kraftanstrengung … Und er wollte nun gerade den Tassenkopf auf die Untertasse zurückstellen, als er erschreckt zusammenfuhr.

Das linke Fenster stand offen. Der Vorhang war jedoch auch hier vorgezogen …

Und von diesem Fenster her hatte eine leise Stimme geflüstert:

„Schrauben Sie die Lampe herunter … Ich bin’s, – Trebitz …!“

Der Assessor faßte sich schnell und verdunkelte das Zimmer. Lautlos schwang sich nun der Beamte, der noch immer als alter, schnapsliebender Matrose verkleidet war, hinein und setzte sich in den nächsten Sessel, wo er sich ganz tief zusammenduckte

„Bedecken Sie das Türschloß mit dem Taschentuch,“ befahl er weiter. „Aber treten Sie leise auf.“

Linker gehorchte.

„So – nun eine Frage,“ sagte Trebitz wieder. „Haben Sie schon Tee getrunken?“

Der Assessor blickte erstaunt in das Halbdunkel hinein, wo des Beamten Kopf wie ein heller Fleck sichtbar war.

„Ja,“ antwortete er zögernd. „Aber was …“

„Mit oder ohne Zucker?“ unterbrach Trebitz ihn.

„Mit …!“

„So bin ich leider doch zu spät gekommen,“ flüsterte der Beamte. „Sie sind sehr müde, nicht wahr?“

Linker saß wieder am Schreibtisch und nickte schwerfällig.

„Sehr … müde …!“ –

Er gähnte wieder. Die Augenlider waren ihm bereits wie Zentnergewichte … Dann raffte er sich doch noch zu der Frage auf …: „Zu spät gekommen …?! Was heißt das?“

„Ich habe den Architekten Gülden gesprochen, der hier vor Ihnen gewohnt hat. Ich bin daher jetzt überzeugt, daß sowohl Gülden als auch Sie durch ein Schlafmittel betäubt worden sind, – er sehr oft, Sie erst einmal und dann … heute!“

Linker begriff alles, was Trebitz sagte. Aber es fehlte ihm bereits die Energie, sich zu wundern oder sonst eine Empfindung zu äußern.

Dann abermals flüsterte Trebitz:

„Herr Assessor, es ist sehr schade, daß Sie in kurzem für heute Nacht nicht mehr zu erwecken sein werden … Hüten Sie sich vor dem verd… Streuzucker! Ich werde davon eine Probe mitnehmen und untersuchen lassen.“

Linker murmelte: „Bitte – bedienen Sie sich! Ich bin …“ Der Kopf war ihm auf die Brust gefallen, sein Körper sank haltlos zusammen. Er war eingeschlafen.

Trebitz nahm ihn in die Arme und schleppte ihn zum Bett, wo er ihn halb auskleidete und mit der Decke einhüllte. Dann entfernte er das Taschentuch vom Türschloß, löschte die Lampe ganz aus und kletterte zum Fenster hinaus in ein kleines Boot, in dem nach zwei Gestalten saßen, zwei halbwüchsige Burschen, die der Beamte öfters für Stunden beschäftigte und die an ihm mit seltsamer Treue hingen.

Die Nacht war dunkel, und der Himmel seit einer Viertelstunde dicht bedeckt. Es schien ein Gewitter geben zu wollen. Kein Luftzug regte sich, und es war drückend schwül …

Über den Kanal lagerte eine Finsternis, wie sie kaum tiefer sein konnte. Das kleine Boot verschwand denn auch darin wie ein Fischlein, das ein riesiger Rachen verschluckt.

Aber an der jenseitigen Ufermauer legte das winzige Fahrzeug wieder an, und einer der jungen Burschen befestigte es nun mit einem Tau an dem Eisengeländer der Mauer.

Trebitz war schlechter Laune.

„Heute können wir nichts unternehmen,“ sagte er zu seinen Gefährten. „Der Assessor muß dabei sein, wenn wir den großen Schlag wagen. Nur beobachten wollen wir in dieser Nacht. Verhaltet euch also mäuschenstill.“

In der Ferne grollte es dumpf. Das Gewitter kam herauf. Ein Windstoß meldete den Regen an und bald prasselte es nur so von herabstürzenden Wassermassen. Blitze durchfurchten die Finsternis …

Aber das kleine Boot gab trotzdem seinen Anlegeplatz nicht auf. Trebitz versprach jedem der Burschen eine besondere Belohnung, wenn sie mit ihm zusammen ausharrten. Was machte es denen auch, daß sie bis auf die Haut naß wurden …?! –

Von St. Katharinen schlug es Mitternacht.

Das war so ungefähr die Zeit, wo der fremde Nachen zu erscheinen pflegte.

Der Regen ließ allmählich nach, und auch das Gewitter zog im Bogen um die Stadt herum, aufgehalten von dem breiten Strome, der den mit Elektrizität gesättigten Wolkenschichten auch heute nach alter Erfahrung ein Hindernis war.

Die greifbare Finsternis über dem Kanal ging jetzt in eine ungewisse Dämmerung über. Man konnte drüben die Häuserfront wieder erkennen, und etwa zehn Minuten später einen Nachen, in dem zwei Leute wie große verschwommene Flecken hockten.

Das alte Spiel wiederholte sich. Die Leute banden den Nachen an dem Kellergittern fest und kletterten in Hildegards Fenster hinein.

Trebitz war wütend auf sich selbst. Warum mußte er auch gerade zu spät kommen, so daß Linker bereits den Tee getrunken hatte …! Hätte er sich doch nur noch mehr beeilt …! Eine Stunde früher, und alles wäre gut gewesen …! So aber mußte er diese günstige Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lassen …!

Ob er nicht versuchte, wenigstens so etwas zu spionieren, – mit aller Vorsicht …?! – Wer nicht wagt, der nicht gewinnt …! –

Und leise gab er den beiden Burschen die nötigen Anweisungen. Das kleine Boot glitt lautlos quer über den Kanal auf den Nachen zu. Trebitz stieg zunächst in diesen über und richtete sich nun zu voller Größe auf. Der eine Fensterflügel über seinem Kopfe stand offen. Sehr geschickt schwang der verkleidete Beamte sich auf den Fenstersims.

Hildegards Zimmer war leer, wie Trebitz schnell feststellte. Und seine elektrische Taschenlampe zeigte ihm dann weiter, daß die Stubentür von innen verschlossen und verriegelt war, – von innen …!

Der weiße Strahlenkegel, aus der Hand des Beamten scheinbar aufflammend, zuckte wieder auf, glitt über die Holztäfelung der Wände hin, über all diese Kahlheit und klösterliche Schmucklosigkeit eines Mädchenzimmers …

Die Holztäfelung war hier in kurzen Zwischenräumen in erhabene, geschnitzte Felder abgeteilt. Diese hatten die Form länglicher Rechtecke, zeigten einfache, vielfach beschädigte Schnitzereien und hätten trotzdem wohl noch manchen Altertumsfreund begeistert.

Hierfür hatte Paul Trebitz kein rechtes Verständnis. Wenn er jetzt wie gebannt auf eines der Rechtecke der Täfelung zwischen Fenster und dem an der linken Innenwand stehenden Ofen starrte, hatte das einen anderen Grund. Er hatte soeben gefunden, wonach er gesucht hatte, nachdem er die von innen verschlossene Tür erblickt und in dem Zimmerchen niemand bemerkt hatte, – zwei Tatsachen, die mit aller Sicherheit auf einen zweiten geheimen Ausgang hindeuteten.

Und dieser Ausgang war jenes Feld der Täfelung, das eine verborgene Tür darstellte, die halb offen stand …!

Trebitz horchte hinein in das Dunkel, das hinter der schmalen Tür geheimnisvoll lauerte … Nichts von Stimmen oder zur Vorsicht mahnenden Geräuschen. Nun erst leuchtete er hinein in das Loch der dicken Quartermauer. Eine enge Steintreppe führte hier schräg in einem von Moderluft erfüllten Tunnel abwärts …

Der Beamte pfiff hochbefriedigt leise durch die Zähne.

„Also doch!“ murmelte er vor sich hin. „Etwas Ähnliches hatte ich eigentlich erwartet …“

Unschlüssig stand er noch da, ob er nicht die Treppe wenigstens ein Stück hinabsteigen solle, als an die Stubentür leise geklopft wurde. Und jetzt hörte er auch eine Stimme, die mahnend rief:

„Hilde – Hilde – so öffne doch! Ich ängstige mich …“

Das konnte nur die kleine, verschüchterte Frau Kunath sein.

Abermals pochte sie, – kräftiger, rief nochmals:

„Hilde – Hilde …!“

Als sie keine Antwort erhielt, hörte Trebitz sie deutlich ein paarmal aufseufzen. Dann nichts mehr. Sie mußte wieder in ihr Vorderzimmer zurückgekehrt sein …

Auch er verließ nun schleunigst den unfreundlichen Raum. Er wußte genug fürs erste. So war denn diese Nacht nicht ganz ergebnislos verlaufen …

Als er gerade aus dem Nachen in das eigene Boot zurückstieg, – über ihm ein leises „Pst! Pst!“ … Ernst Reschke beugte sich oben weit zum Fenster hinaus und fragte:

„Sind Sie’s, Herr Trebitz?“

„Ja! – Gut, daß Sie mich bemerkt haben! Passen Sie genau auf, wann die Leute wieder davonrudern. Aber – Vorsicht!“

Dann schoß das Boot davon, vorüber an St. Katharinen mit dem mächtigen Turm, vorüber an Warenspeichern und Holzlagern, an freien Plätzen, Wiesen und Prähmen und Leichterschiffen, die hier an den Kanalufern festgemacht hatten.

Die Wasserstraße mündete in den breiten Graben, der, vom Hafen sich abzweigend, an der Schifferkneipe der Witwe Gundlach vorbeilief.

Hier stieg Trebitz aus, nachdem er die beiden jungen Burschen abgelohnt hatte. – „Und – reinen Mund gehalten, verstanden …?!“ sagte er noch. „Ihr wißt, was ihr auf dem Kerbholz habt …! – Guten Abend.“

Er umschritt dann das Gundlachsche Anwesen im Bogen und betrat die Kneipe durch den Vordereingang, indem er wieder mit großem Geschick den leicht angetrunkenen alten Matrosen spielte, der gegen acht Uhr abends schon den Assessor auf der Langebrücke angerempelt hatte.

In dem vorderen Schankraum war die Luft vom Tabakrauch dick zum zerschneiden. In einer Ecke saß eine größere Anzahl englischer Matrosen von einem im Hafen liegenden Dreimaster. Einer der Leute spielte auf einer Ziehharmonika eine langsame Tanzmelodie, die einige der Maate mitgröhlten.

Trebitz, beide Hände in den Taschen der blauen, schäbigen Jacke, steuerte unsicher auf den Schanktisch zu, hinter dem Mutter Gundlach auf einem hohen Schemel thronte, unterstützt bei der Bedienung ihrer Gäste durch ein hinkendes Männchen von Faktotum, der hier Kellner, Geschäftsführer und Hausknecht in einer Person war.

Trebitz lehnte sich der Gundlach gegenüber auf die Tombank und verlangte lallend einen Grog. Niemand beachtete ihn. Gestalten wie er waren hier Stammgäste. Nur die dicke Wirtin war bei seinem Anblick leicht zusammengezuckt.

Als sie ihm jetzt den Grog hinschob, winkte er ihr unauffällig mit den Augen zu. Sie verstand. Sie war bereits in der Sache Pößnick vernommen worden, hatte sich aber sehr klug herausgeredet, wie sie überhaupt recht schlau und vorsichtig war und sich stets ein Hintertürchen offenhielt.

Nach einer Weile verschwand sie im Hinterzimmer, und Trebitz folgte ihr dann unauffällig.

Zwischen den beiden entwickelte sich folgendes Gespräch:

„Hat Ihr Faktotum etwas auskundschaften können?“ fragte der Beamte ziemlich streng. „Sie wissen, daß es nur Ihr Vorteil ist, wenn Sie mir in jeder Beziehung helfen, Frau Gundlach! Aber – kein falsches Spiel! Wenn Sie hübsch verständig sind, kommen Sie bei der Sache Pößnick, obwohl Sie der Teilnahme an dem Diebstahl oder zum mindesten doch der Beihilfe so gut wie überführt sind, mit einer Geldstrafe davon. – Erzählen Sie also …“

Die Gundlach schob zunächst ein frisches Stück Kautabak in den Mund – sie war im stetigen Umgang mit Seeleuten selbst schon ein halber Maat geworden! – und begannen dann:

„Daß mein alter Murx gestern Abend den Marzkiewiak zufällig in der Werftgasse zu Gesicht bekam und ihm dann heimlich folgte, wissen Sie schon. Marzkiewiak begab sich nach der Langebrücke in die Drewssche Singspielhalle, wo er mit dem alten mageren Gauner, dem Drews, in dessen Privatwohnung verschwand. Murx hatte dann heute, ganz wie Sie es befohlen hatten, Herr Trebitz, den Drews am Vormittag aufgesucht und all die Andeutungen über den Dampfer „Skagen“ fallen lassen, über dessen wertvolle Ladung und die Möglichkeit, dort einen Diebstahl ohne Gefahr verüben zu können. Drews biß denn auch wirklich an und erklärte meinem Murks im Vertrauen, er könnte vielleicht ein paar Leute auftreiben, die gewillt wären, das lohnende Ding zu drehen. Heute Morgen um drei Uhr will er mit Murks in dessen Stube im Hofspeicher zusammenkommen und einen Polen mitbringen, der sich auf solche Sachen wie die mit dem „Skagen“ versteht.“

„Aha – einen Polen! Das dürfte Marzkiewiak sein,“ meinte Trebitz eifrig.

„Das glaube ich nicht. Marzkiewiak hat sich hier seit der Pößnick-Geschichte nicht mehr sehen lassen und kommt auch sicher nicht wieder her, da das Ding doch so übel vorbeigeraten ist. Außerdem kennt Murx ihn ja ganz genau.“

„Na – abwarten!“ sagte der Strompolizist mit einem feinen Lächeln. „Jedenfalls will ich den Lauscher spielen, wenn Drews, Murks und der „Pole“ sich über den „Skagen“ zu einigen suchen. Ich denke, es wird sich schon ermöglichen lassen, daß ich mich entweder in dem Zimmer Ihres Vertrauten verberge oder in einem Nebenraume.“

„Gewiß, gewiß, Herr Trebitz. Wir können uns die Gelegenheit ja gleich ansehen. Ich hole nur eine Laterne.“ – –

Der Morgen graute bereits, als der Strompolizist dann die Kneipe der Mutter Gundlach durch das Hoftor wieder verließ. Eine Stunde vor ihm waren Drews und der Pole auf demselben Wege nach der Stadt zurückgekehrt.

Über dem Hafen lag dichter, gelbbrauner Nebel. Dampfersirenen heulten hin und wieder warnend auf, Schleppdampfer brachten langsam ein paar Seedampfer zum Löschen der Ladung nach der sogenannten Speicherinsel, und schwerfällige Fischkutter strebten vom Meere her mit knarrenden Rudern der Fischbrücke zu, um dort ihren Fang an die Händler weiterzugeben.

Paul Trebitz fühlte heute wieder so recht, wie fest er doch mit allen Fasern seines Herzens mit diesem Getriebe der Hafenstadt verwachsen war. Es würde ihm doch nicht leicht werden, seine jetzige Stellung mit der eines Kriminalbeamten zu vertauschen. Das Wasser war nun einmal seine Heimat, mochte es Meer oder Hafen heißen. Ja, wenn man ihm den Posten des alten Hübner anvertrauen wollte, der bei der städtischen Polizei als Kriminalwachtmeister das Hafengebiet unter sich hatte. Dann – dann brauchte er nicht eine ausgesprochene Landratte zu werden! Hübner war ja schon so alt und bequem …! Und seine Vorgesetzten sollten mit ihm auch gar nicht mehr zufrieden sein. Die Diebstähle auf den Schiffen im Hafen hörten gar nicht auf. Es mußte hier eine weitverzweigte, gutgeleitete Diebesbande an der Arbeit sein …

Diese und andere Gedanken gingen dem ehrgeizigen Trebitz durch den Kopf, während er der Langebrücke zustrebte, um in dem Wohnschiff der Strompolizei noch ein paar Stunden zu schlafen.

Als er die Laufplanke nach dem ehemaligen Dreimaster überschritt, lehnte an der Regel einer seiner Kollegen, der ihn erst eine Weile prüfend musterte und dann ausrief:

„Dunner noch eins, Paul, – du bist’s also?! Mensch, ich hätt’ dich wahrhaftig nicht wiedererkannt! Die Maschkerade ist ja großartig gelungen! Ne, was du auch allens für Sachen ausheckst …!“

Trebitz lachte und stieg die Schiffstreppe hinab, schloß seine kleine Kammer auf und legte die Maskerade ab. Er war sehr befriedigt von den Erfolgen dieser Nacht. Der Assessor würde große Augen machen, wenn er hörte, wie die Dinge standen und nun schnell einer Entscheidung entgegentrieben.

 

13. Kapitel.

Hafenpiraten.

Es war am Nachmittag, etwa zehn Stunden später.

James Look saß dem Rechtsanwalt Mendel in dessen Sprechzimmer gegenüber und drehte wieder halb gelangweilt sein Monokel an der Seidenschnur, daß es nur so hin und her wirbelte.

„Wie Sie sehen – ich bin wieder sehr gesund geworden,“ sagte er. „Ich werde müssen schlafen mehr nachts, hat der Doktor gemeint. Es sind die Nerven gewesen.“

Mendel wußte nicht recht, was den Engländer zu ihm geführt hatte. Wollte Look ihn etwa anpumpen? Irgend etwas hatte er auf dem Herzen, wenn er auch so tat, als wäre es mehr ein Zufallsbesuch.

Look klemmte das Einglas ein, beschaute sich seine lackierten Fingernägel und fuhr fort:

„Ich habe da wieder gekauft so allerlei recht billig, Herr Rechtsanwalt. Es sind ein paar Kisten. Sie haben doch noch Platz im Hinterhause hier in den zwei Kammern, die Sie nicht tun benutzen. Ich möchte Ihnen abmieten die Kammern und auch die leere Stube daneben, wo doch nur alte Akten liegen und meine früheren Einkäufe. Ich werde zahlen monatlich dreißig Mark. Dann brauche ich nicht anzunehmen die Überlassung für meine Sachen als Gefälligkeit.“

Mendel nickte zerstreut. Er dachte schon wieder an die Vorstandssitzung des Ixstädter Verkehrsvereins, die abends stattfinden sollte.

„Gut, – dreißig Mark, abgemacht,“ meinte er. Er wäre Look gern losgeworden und fügte daher hinzu: „Haben Sie sich eigentlich bei meiner Frau schon als wiedergenesen vorgestellt?“

„Wir trafen uns mittags. Da nahm Frau Nora mich für eine halbe Stunde mit und zeigte mir die beiden neuen Zinnkrüge,“ erwiderte Look maulfaul wie immer.

Mendel wurde munter. „So – also Sie haben meine Frau schon gesprochen …?“ meinte er nachdenklich. Und dachte: „Merkwürdige, sie hat mir gar nichts davon erzählt …“

Ein ganz, ganz leises Unbehagen stieg in dem abgehetzt Manne plötzlich auf. Es war noch kein Mißtrauen – nein, nur ein prüfendes Abwägen, ob Nora etwa absichtlich ihm das Zusammentreffen mit Look unterschlagen hätte.

Der Zufall wollte es, daß die kleine, ehrgeizige Dame gerade in der Langgasse einige Einkäufe erledigt hatte und jetzt „auf einen Sprung“ ihren Gatten besuchte.

Eilfertig rauschte sie ins Zimmer.

„Tag, Männe. – Ah – Look, Sie auch da?!“ Sie wurde ein wenig verlegen.

Dem Rechtsanwalt war nichts gräßlicher, als in Gegenwart anderer „Männe“ genannt zu werden. Wenn Nora sich dies nur abgewöhnen wollte …!

Die kleine Frau hatte blitzschnell überlegt. Und der Erfolg war, daß sie nun so nebenbei erklärte:

„Ach – ich habe ja ganz vergessen, dir zu erzählen, daß Look mittags bei uns war. Ich bin heute so zerstreut. Ich habe mich über den alten Reschke geärgert. Manchmal maßt er sich eine Kritik über meine Novellen an, die besser unterbliebe. Hier habe ich die Abschriften meiner letzten Arbeit. Sieh’ nur, wieviel er darin, ohne mich zu fragen, gestrichen und geändert hat.“

Mendel blätterte lediglich aus Höflichkeit die Seiten durch.

„Es scheint wirklich recht viel geändert zu sein. Aber – sein Urteil ist eigentlich zumeist sehr zutreffend. Ich glaube nicht, daß die Novelle durch seine Mitarbeit verloren hat.“

Sie wurde sehr rot. „Mitarbeit?! Ich bitte dich, du tust ja gerade so, als ob …“

Er beruhigte sie durch eine Handbewegung. Und sie hütete sich, den angefangenen Satz zu beenden. Sie sah Looks glitzerndes Monokel forschend auf sich gerichtet.

Der Engländer verabschiedete sich.

„Warten Sie, ich komme mit,“ meinte Frau Nora, änderte aber sofort ihren Entschluß: „Nein, doch nicht, – ich bin heute nicht in der Stimmung zum Plaudern – auf Wiedersehen!“

Als Look die Tür hinter sich kaum zugezogen hatte, sagte Frau Nora achselzuckend:

„Der gute Look ist nur in ganz kleinen Portionen hin und wieder genießbar. Eigentlich ein fader Geselle …“

Mendel hatte schon ein Aktenstück in der Hand.

„Ich habe wenig Zeit, Kind … Abends komme ich nicht zu Tisch, – ehe ich’s vergesse. – Ja, geh’ nur. Es warten draußen noch eine Menge Leute.“ –

Frau Nora wollte sich das Zimmer Linkers ansehen, diesen auch gleichzeitig für Sonntag zum Mittagessen einladen.

Sie klopfte und trat sofort, ohne des Assessor „Herein“ abzuwarten, mit einem schon vorher zurecht gelegten „Sie lassen sich ja gar nicht bei uns sehen!“ ein. –

Linker war jedoch nicht allein. Die Frau Rechtsanwalt blieb daher an der Tür stehen und schaute sich in dem kleinen Raume um, nachdem sie dem Assessor zugenickt und den alten Ernst Reschke etwas überrascht gemustert hatte.

„Ganz gemütlich, Ihr Reich, – wirklich. Nur ein Teppich fehlt. Ich werde dafür sorgen …“

Als sie dann auf die Straße hinaustrat, fragte sie sich abermals: „Was tut Reschke bei dem Assessor? Ein Prozeß …? Ich muß doch mal …“

„Grüße Sie, Frau Nora,“ sagte Look ganz dicht neben ihr, daß sie mit dem Kopf herumfuhr.

„Sie …?!“

„Ja, ich! Wie Sie sehen. – Ich sehnte mich nach Ihnen, liebe Frau Nora.“

Sie bog schnell in die Seitenstraße ein.

„Ich sagte Ihnen schon vormittags, Look, daß Sie diese vertrauliche Anrede unterlassen sollen …“, begann sie, nur scheinbar etwas ärgerlich. „Mir können Sie wirklich nicht so leicht weismachen, daß Sie mir „als Sklave zu Füßen liegen“, wie Sie heute sich so schön ausdrückten. Wo haben Sie eigentlich diese Redensart her …? – Vielleicht von diesem Fräulein Kunath, mit der man Sie in recht enge Beziehungen bringt …!“

„Ah – eifersüchtig …?!“ Er blickte sie siegesgewiß an.

„Sie sind … frech!“ platzte sie heraus.

„Nur verliebt in Sie … Und die Kunath …?! Mein Ehrenwort darauf; sie ist für mich nur – na, sagen wir – Geschäft!“ – Er beugte sich tiefer zu ihr hin …

„Frau Nora – Sie mir nicht können glaubhaft machen, daß Sie glücklich sind. Ihr Mann ist nichts wie Akten – Akten und Vorstandssitzungen …“

„Schweigen Sie …!“ Aber es klang nur mäßig empört.

„Gut – ich schweige. – Also anderes etwas. – Haben Sie mit Mendel über die Strafsache Pößnick gesprochen? Unser Konsulat hat wirklich nur Interesse daran, weil auch ist bestohlen worden hier im Freihafen ein englischer Dampfer und weil wir wollen auch Nachforschungen auf eigene … eigene …“

„Hand …“, fügte sie hinzu.

„Richtig – auf eigene Hand.“

Die kleine Frau erzählte. Viel Neues war es nicht, was sie vorsichtig heute während des Mittagessens aus ihrem Manne herausgeholt hatte.

Look war enttäuscht. Immerhin, der Assessor hatte also so etwas wie einen Detektiv mit Nachforschungen beauftragt. – Dieses eitle Persönchen da neben sich wollte er sich weiter warmhalten … Die war doch ganz gut zu gebrauchen in ihrer Beschränktheit …

Er begleitete sie nach Hause. Und in der Puppenstube von Damensalon versuchte er sie zu küssen. Aber sie entwand sich ihm geschickt.

Jetzt war die wirklich böse. Sie besaß kein echtes Temperament, war nur auf Zerstreuung bedacht, spielerisch und viel zu ängstlich, um diesen Flirt allzu ernst werden zu lassen.

„Look, wenn Sie noch ein einziges Mal …“

Er ließ sie nicht aussprechen.

„Ich bin schon wieder sehr artig – nicht mich fortschicken!“ bat er. Und dachte: „Ich kenne dich genau! Deiner Eitelkeit schmeichelt diese Attacke doch, die von mir aus nur ein Scheinangriff bleiben sollte …“

Sie verzieh ihm schnell, behielt ihn zum Abendbrot da und … war ein wenig enttäuscht, daß er so rasch zahm geworden … – –

Die Begegnung zwischen Reschke und Trebitz in Linkers Arbeitszimmer entbehrte insofern nicht einer gewissen allseitigen Befangenheit, als der Beamte sich wortreich entschuldigen wollte, weil er Reschke in so falschem Verdacht gehabt hätte, worauf er von diesem mit gutmütigem Lächeln und der Bemerkung unterbrochen wurde:

„Lassen Sie nur! Wir haben uns ja schon in der verflossenen Nacht ausgesöhnt, als ich Sie von meinem Fenster aus anrief und Sie mich dann beauftragten, achtzugeben, wann der Nachen wieder davonfahren würde. Ihr Vertrauen hat mich außerordentlich geehrt. – Und – der Nachen verschwand kaum eine Viertelstunde nach Ihrem kleinen Boot.“

Nachher erstattete Trebitz dann eingehend Bericht über seine bisherigen Erfolge.

„Hoffentlich haben Sie Zeit, Herr Assessor,“ meinte er zu Beginn. „Denn meine Schilderung ist vielseitig und sehr umfangreich.“

Als Linker erklärte, eine Stunde würde ja wohl genügen, nickte Trebitz und erzählte nun folgendes:

„Meine Nachforschungen in der Sache Pößnick und Genossen waren hauptsächlich darauf gerichtet, womöglich jenen Marzkiewiak aufzuspüren, hinter dessen Person ich ganz etwas besonderes witterte, eben daß er das Haupt einer Bande von Hafenpiraten und „Marzkiewiak“ nur eine Maske sei. Allerlei, was ich aus der Gundlach durch vieles Fragen über den Menschen herauslockte, brachte mich auf diesen Gedanken. Ich nahm mir dann auch, neben meinen sonstigen Helfern, das alte Faktotum der Gundlach, einen gewissen August Murks, zur Unterstützung an und hieß ihn genau aufpassen, ob er irgendwo Marzkiewiak auftreiben könnte. Obwohl Murks nun ein ganz gerissener Kunde ist und überall seine Beziehungen hat, mußte ihm doch erst der Zufall zu Hilfe kommen.

In der Werftgasse erblickte er gestern einen Mann, in dem er Marzkiewiak wiedererkannte, obwohl dieser jetzt die Verkleidung eines rotbärtigen Hafenarbeiters angelegt hatte. Murks stellte fest, daß Marzkiewiak mit dem übel beleumundeten Besitzer einer Singspielhalle namens Drews recht engen befreundet war, und es gelang ihm auch, beide zu einer Besprechung über einen Raubzug gegen einen dänischen Dampfer „Skagen“ in seine Behausung zu locken, so daß mir Gelegenheit gegeben war, mir diesen „Polen“ etwas näher anzusehen. – Übergehen wir absichtlich alle Einzelheiten. Sie sind zwar zum Teil recht spannend, würden aber Ihre Zeit, Herr Assessor, zu sehr in Anspruch nehmen. – Jedenfalls erlebte ich in meinem Versteck, von dem aus ich die Unterredung der drei Leute belauschte und auch den ganzen Raum überblicken konnte, eine nie geahnte Überraschung. Meinem Ohr verriet das gebrochene Deutsch des angeblichen Polen oder Ungarn sehr bald, daß ich … einen Engländer vor mir hatte, und die Angewohnheit dieses edlen Briten, das rechte Auge etwas zuzukneifen, erinnerte stark an Herrn … James Look, den ersten Sekretär des englischen Generalkonsuls, der mir ja kein Fremder ist. Hinzu kam noch, daß der „Pole“, der wieder den Hafenarbeiter spielte und roten Bart und eine fuchsige Perücke trug, in seiner ganzen Ausdrucksweise den Gebildeten und sich selbst noch dadurch verriet, daß er seine Hände doch zu wenig künstlich beschmutzt hatte. Schließlich war ich mir meiner Sache ganz sicher. Dieser angebliche Stinski, wie „Marzkiewiak“ sich jetzt nannte, war der eine Monokel tragende James Look!“

„Unmöglich!“ rief Linker kopfschüttelnd. „Sie müssen sich irren …! Bedenken Sie, – Look sollte …“

„Bitte, Look ist in Ixstadt zu Genüge als Spieler und Schuldenmacher bekannt. Er ist Besitzer einer kleinen Segeljacht, mit der er viel im Hafen, auf dem Flusse und auf See sich herumtreibt. Die Jacht vermittelt ihm die Bekanntschaft mit Dampferkapitänen, die er zu Touren einlädt und mit denen er später Zechgelage veranstaltet, – so zum Beispiel auch damals auf dem Dampfer „Ella“, wo er heimlich auch den Matrosen an demselben Abend, als er mit den Schiffsoffizieren in der Kapitänskajüte kneipte, ein paar Flaschen Branntwein zusteckte, der ein Schlafmittel enthalten haben muß, – geben Sie acht, Herr Assessor, – ein Schlafmittel, – genau wie der Zucker in der Schale, die Fräulein Hildegard Ihnen zum Tee mit hineinbringt.“

Linker entfuhr ein lautes „Donnerwetter!“. Er dachte an den vorigen Abend, seine nicht zu bekämpfende Müdigkeit, an Trebitz Erscheinen und an dessen Worte, die er kaum mehr recht begriffen hatte.

„Es ist ein glückliches Zusammentreffen,“ berichtete der Beamte weiter, „daß der Dampfer „Ella“ vorgestern wieder, von Petersburg kommend, in unserem Hafen eingetroffen ist. So konnte ich heute Nachmittag den Kapitän und die anderen Leute vernehmen. Endlich kam nun Licht in diese dunkle Angelegenheit. Look hat damals die ganze Besatzung in höchst raffinierter Weise durch Alkohol und Schlafmittel unfähig zu irgendwelcher Wachsamkeit gemacht, dann sehr wahrscheinlich zusammen mit jenem Drews die Säcke an Deck geschafft, die nachher von Pößnick und den beiden anderen abgeholt wurden. Das Beweismaterial gegen ihn ist schon jetzt so erdrückend, daß ich ihn verhaften könnte. So hat er sich auch als Hafenarbeiter Stinski mit Murks auf einen schon genau verabredeten Plan zur Beraubung des Dampfers „Skagen“ eingelassen, ist mir also ahnungslos in diese gut vorbereitete Falle gegangen. Übermorgen nacht soll der „Skagen“ geplündert werden, und „Stinski“ hat es wieder freiwillig übernommen, die Bordwache unschädlich zu machen. Wie – das hat er für sich behalten. – Murks kann ich nur mein uneingeschränktes Lob zollen. Er hat sehr geschickt seine Rolle gespielt, und Look und Drews hoffen jetzt mit aller Bestimmtheit, den „Skagen“ um einige Ballen wertvoller Felle erleichtern zu können.

Ich aber hoffe meinerseits, mit einem Schlage die ganze Hafenpiratenbande unschädlich zu machen, – denn hinter Drews und dem Engländer stehen fraglos noch eine Menge von Helfershelfern, die Look sämtlich als ein mit seiner eigenen Person stets im Hintergrunde sich haltender, etwas geheimnisvoller Anführer kommandiert. –

Ich könnte also meine Hand auf ihn legen, wenn ich wollte. Aber er soll frei bleiben – bis übermorgen nacht. Und bis dahin werden wir wohl auch die Rätsel des alten Mühlenhauses aufgeklärt haben. Und damit kommen wir zum zweiten Teil unserer Aufgabe, der man mit gutem Recht die Überschrift „Hildegard Kunath“ geben kann.“

„Leider – leider!“ meinte Ernst Reschke seufzend. „Hildegard und dieser verkappte Verbrecher, – mir will das gar nicht in den Kopf!“

Auch der Assessor schaute bedrückt vor sich hin. – Sollte er wirklich von Hilde eine zu gute Meinung gehabt haben?! – Seit der vergangenen Nacht waren in ihn wieder die ernstesten Zweifel aufgestiegen. Sie hatte ihm ein Schlafpulver in den Zucker gemischt – daran ließ sich ja nichts mehr ändern! Wer zu solchen Mitteln greift, um einen unbequemen Beobachter blind und taub zu machen, dem mußte man alles Schlimme zutrauen! Und diese Erkenntnis schmerzte ihn. Den ganzen Tag war er heute diese Gedanken nicht los geworden. Er hätte so gern Hildegard rein und groß aus diesen Rätseln hervorgehen sehen mögen, hätte weiß Gott was darum gegeben, wenn ihm einer den Beweis erbracht hätte, daß nur der Schein gegen dieses Mädchen sprach, die sich von Tag zu Tag mehr in sein Denken eingedrängt hatte und die er nicht begriff, nicht verstehen konnte, die in seinem Leben wie ein seine Seelenruhe verwirrendes Rätsel aufgetaucht war.

 

14. Kapitel.

Die alte Chronik.

Paul Trebitz hatte seine Notizen aus der Tasche genommen, eine Seite darin aufgeschlagen und sagte jetzt zu den beiden still vor sich hinbrütenden Männern, die beide um Hildegard sich sorgten:

„Nun zu den Geheimnissen des alten Mühlenhauses, meine Herren. Auch in dieser Beziehung sind wir einen großen Schritt vorwärts gekommen. – Werfen wir zunächst einmal einen Blick rückwärts auf die Vergangenheit, erinnern wir uns an Ernst Kunath, an den sogenannten Spuk in dem alten Gebäude, an die Erschütterungen der Mauern, die seltsamen Geräusche und Klopftöne, endlich an die Leute, die nachts heimlich durch das Fenster vom Kanal her die Wohnung Kunaths betraten, an Frau Kunaths Angstschreie und all die anderen seltsamen Dinge, die als Ganzes genommen eben das Geheimnis des Mühlenhauses darstellen. –

Jedes Geheimnis hat sozusagen eine Wurzel, aus der erst die anderen rätselhaften und unerklärlichen Nebenerscheinungen hochsprießen. Diese Äste sieht der Uneingeweihte, die Wurzel jedoch nicht. Er sieht das Außergewöhnliche an dieser Pflanze, deren Natur er gern ergründen möchte. Dazu muß er notwendig in das Dunkel der Erde eindringen, eben die Wurzel freiliegen.

Auch das Rätsel, mit dem wir uns beschäftigen, sprießt aus der Tiefe hervor – aus den Kellern des alten Gebäudes, wie mir heute klar geworden ist. Geahnt hatte ich es ja schon früher. Das war ja auch nicht schwer zu erraten. Nur der Kern des Ganzen blieb dunkel …

Wie gesagt, heute habe ich die Gewißheit erhalten, daß Hildegard und die Leute im Nachen in den Kellern des Mühlenhauses irgend etwas treiben, – und zwar nicht ganz ungefährliche Dinge. –

Ja – heute! Morgens oder besser nachts gegen ein viertel eins war ich in Hildegard Zimmer. Ich entdeckte in der Wandtäfelung eine geheime Tür, hinter der in der dicken Mauer eine Treppe abwärtslief, – also in die Kellerräume hinab! – Das war ganz früh morgens. Und dann vor zwei Stunden schlich ich James Look nach, der in demselben Geschäft für chirurgische Instrumente verschwand, aus dem er gestern Abend, wie Sie sich erinnern werden, Herr Assessor, einen Karton abgeholt hatte. Wieder kam er mit einem Karton heraus. Fünf Minuten später wußte ich, was die beiden Kartons enthalten hatten, nämlich sogenannte Rauchmasken, das heißt Apparate, die es ermöglichen, auch in qualm- oder gasgefüllten Räumen zu atmen.“

Trebitz machte eine kleine Pause. Er sah die Augen seiner beiden Zuhörer gespannt, aber offenbar auch verständnislos auf sich richtet.

„Also Rauchmasken,“ fuhr er dann fort. „Und zwar vier an der Zahl hatte Look gekauft – gestern und heute. Gestern nur eine, die dann in der vergangenen Nacht ausprobiert worden ist. Sie bewährte sich, und daher erstand er weitere drei – absichtlich betonte ich eben, daß auch gaserfüllte Räume mit diesen von der Feuerwehr ständig benutzten Apparaten betreten werden können. Hildegard und die übrigen drei Personen haben eben irgend etwas an einem Orte vor, der sonst, das heißt ohne die Masken, ihnen verschlossen bliebe. Um Rauch als Hindernis kann es sich hier nicht handeln. Nur Gas kommt in Betracht, und zwar … Sumpfgas – wegen der Nähe des Kanals und des Mühlengrabens. Über diese Gasart hat mir heute derselbe Chemiker, der mittags den Zucker aus der Schale untersuchte, Aufschluß gegeben und mir versichert, daß es sehr gefährlich sei und bei längerem Einatmen Bewußtlosigkeit und selbst den Tod herbeiführe. Wenn wir jetzt an Ernst Kunath rätselhafte Erkrankung und den Ohnmachtsanfall Looks denken, sehen wir also schon ziemlich klar.“

Trebitz schaute in sein Notizbuch hinein.

„Ich habe mir hier kurze Bemerkungen gemacht über das, was für uns wichtig ist. Ich möchte Ihnen alles erzählen und nichts vergessen. – Als Resultat des bisher Erörterten können wir also folgendes annehmen: Hildegard, Look und als dritter und vierter wahrscheinlich Drews und Arnold Kunath – was Letzteren anbetrifft, so erinnere ich an seine Äußerungen im Flur, wo er von der Gefährlichkeit einer Sache und dem Tode seines Vaters sprach – betreiben in unterirdischen Räumen irgend etwas, wovon sie sich Vorteile versprechen, da sie sonst ja kaum der Gefahr einer Vergiftung durch Sumpfgase sich aussetzen würden. – Vorteile – also Gewinn, Geld, Gold – dergleichen, – das ist der nächste Schluß! Kurz, es sind … Schatzgräber, – sie suchen nach Schätzen, die in den Kellern oder in vielleicht noch tiefer gelegenen Gelassen verborgen sind!“

Jetzt war es der weißhaarige Reschke, der Trebitz ins Wort fiel. Erregt war er mit einem Male von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte gerufen:

„Die Chronik – die Ixstädter Chronik …! Daß ich auch jetzt erst daran denke! – Natürlich – den Schatz suchen sie, – schon Ernst Kunath hat danach gesucht – – alles begreife ich jetzt – alles!“

Trebitz drückte Reschke wieder auf seinen Stuhl zurück.

„Beruhigen Sie sich, – und erzählen Sie! Was hat es mit dieser Chronik auf sich?“

Der Alte aber schüttelte immer wieder wie erstaunt über seine eigene Begriffsstutzigkeit den Kopf.

„Nein – wie ist es nur möglich, daß mir die Chronik nicht früher eingefallen ist …! Dann hätte ich ja längst Bescheid gewußt …! – Also hören Sie, meine Herren, – die Geschichte ist schnell erzählt. –

Bald nachdem ich in das Mühlenhaus eingezogen war, berichteten unsere Ixstädter Zeitungen über einen wertvollen Fund, den der Stadtarchivar in einer uralten Truhe im Rathaus gemacht hatte. Es handelte sich um handschriftliche Aufzeichnungen eines Bürgermeisters Stengerlein aus dem Jahre 1693. Damals wurde Ixstadt von der Land- und Seeseite belagert. Und diese Belagerung schildert der damalige Bürgermeister Stengerlein mit allen Einzelheiten, so auch, daß die alte St. Barbara-Kirche vom Feinde in Trümmer geschossen wurde. Kurz zuvor hatte der Magistrat in den Gewölben der Kirche die wertvollsten goldenen Geräte und Schmuckstücke der reichen Kaufherren einmauern lassen, damit sie dem Feinde nicht in die Hände fielen. Die Stadt war nämlich nicht länger zu halten, da furchtbare Seuchen in ihr wüteten und die Verteidiger schrecklicher dezimierten als die feindlichen Geschosse es taten. – Des Bürgermeisters Aufzeichnungen enthielten zum Schluß die kurze Bemerkung, daß er selbst erkrankt wäre und seine Niederschrift daher nicht fortführen könnte. – Soweit die Chronik. –

Aus der Geschichte Ixstadts wissen wir nun, daß 1693 drei Viertel der Bevölkerung durch die erwähnten Seuchen hinweggerafft, daß die Barbara-Kirche nicht wieder aufgebaut und jener in ihren Gewölben verborgene Schatz wahrscheinlich nicht mehr aufgefunden wurde, da die, die das Versteck kannten, plötzlich dahingestorben waren und das Geheimnis mit ins Grab genommen hatten. – Unsere Zeitungen erwähnten bei dieser Gelegenheit auch, daß die Barbara-Kirche etwa an derselben Stelle gestanden haben dürfte, wo sich jetzt das zur Großen Mühle gehörige sogenannte Mühlenhaus und dessen Nachbargebäude befänden. Genau ließ sich dies freilich nicht mehr feststellen. – –

So, meine Herren, das wäre alles! Und nun urteilen Sie selbst! Ich hätte mir doch selbst die Erschütterungen des alten Hauses, das Klopfen, die Geräusche unschwer richtig deuten können, wenn nicht eben nur an die Chronik gedacht hätte! Ernst Kunath, ein heller Kopf, wird damals sicherlich die Zeitungsnotiz begierig studiert und daraufhin versucht haben, ob er nicht von den Kellern des alten Mühlenhauses aus vielleicht in die ehemaligen Kirchengewölbe eindringen könnte, was ihm auch geglückt sein muß. – Ich möchte hier bemerken, daß die Keller von den Bewohnern nie benutzt wurden, da sie zu feucht waren. Ernst Kunath hat auch keinen Schlüssel zu der Eingangstür herausgegeben.“

Trebitz schob sein Notizbuch wieder in die Tasche.

„So wäre denn das Geheimnis des alten Hauses aufgeklärt,“ sagte er fast feierlich. „Trotzdem bleibt aber noch immer ein Rest von Rätselhaftem zurück. Weshalb Frau Kunaths laute Angstrufe, weshalb die Leute, die durch das Fenster kamen und gingen und stets einen Kahn benutzten, woher jetzt in der Gegenwart dieses Bündnis zwischen Hildegard und dem Engländer …?! – Ich könnte noch mehr derartige Punkte aufführen. Sie werden Ihnen, meine Herren, auch selbst einfallen. Und unsere Aufgabe muß es bleiben, volle Wahrheit zu schaffen. Über das Wie werden wir uns schon einigen.“

Karl Linker hatte gewiß voller Interesse die Geschichte der alten Chronik mit angehört, trotzdem aber behielten bei ihm die Gedanken an Hildegards Vorgehen gegen ihn, an diese heimtückische Beibringung eines Schlafmittels, die Oberhand und drängten alles andere mehr in den Hintergrund. Er konnte darüber nicht hinwegkommen, daß sie, ob nun von James Look beeinflußt oder nicht, es fertiggebracht hatte sich zu einer Handlungsweise herbeizulassen, die jeder verurteilen mußte und die auch das Gesetz als verbotenen Eingriff in die Funktionen des menschlichen Körpers unter den weitfassenden Begriff der Körperverletzung mit Strafe bedrohte. Das ganze Geheimnis des alten Mühlenhauses, in dessen Mittelpunkt für ihn nun einmal Hildegard stand, hatte für ihn jede Bedeutung verloren, seitdem er sich hatte sagen müssen, daß dieses junge Weib doch nicht, wie er gehofft hatte, frei von Schuld und Fehl daraus hervorgehen würde. Die seelische Niedergeschlagenheit wollte nicht weichen, und so beteiligte er sich kaum noch an der Erörterung der Fragen, die abwechselnd von Trebitz und Reschke angeschnitten wurden.

So hatte dieser zum Beispiel erklärt, daß ihm der Name Drews nicht unbekannt sei. Ernst Kunath hätte mit einem gewissen Drews, der damals auf der Langebrücke ein Geschäft für Seemannsausrüstungen besaß, seiner Zeit viel verkehrt, so daß des Strompolizisten Vermutung, Drews könnte auch jetzt mit Look und Hildegard zusammenarbeiten, nicht ganz von der Hand zu weisen wäre.

Hieran hatte Trebitz wieder die Bemerkung geknüpft, wenn Drews bereits Ernst Kunaths Vertrauter bei der Schatzgräberei gewesen, besäße man nunmehr auch wohl die Erklärung dafür, wie James Look in die Angelegenheit mit hineingezogen wäre, eben infolge seiner Bekanntschaft mit dem jetzigen Besitzer der anrüchigen Singspielhalle.

Schließlich äußerte sich Trebitz noch dahin, daß er es für ziemlich wahrscheinlich halte, daß die Schatzsucher auch in der kommenden Nacht, nachdem heute für jeden der vier die Rauchmassen besorgt wären, in den unterirdischen Räumen tätig sein würden und daß man versuchen solle, sie hierbei zu belauschen, um dann vor Hildegard mit so schwerwiegenden Beweisen hintreten zu können, die sie zu einem umfassenden Geständnis zwingen würden.

Der Assessor war mit allem einverstanden. Trebitz und Reschke wollten gegen elf Uhr in einem Boot auf ein vereinbartes, von Linker zu gebendes Lichtsignal hin, daß alles sicher wäre, an der Rückseite des Mühlenhauses landen und dann in des Assessors Zimmer, von wo aus man von außen leicht in Hildegard Stube gelangen konnte, alles weitere abwarten.

Gleich darauf verabschiedeten Reschke und Trebitz sich und verließen gemeinsam das Haus in der Langgasse, um in eifrigem Meinungsaustausch durch stille Seitenstraßen dahinzuwandern.

Die beiden Männer, die an dem großen Rätsel des Mühlenhauses ein so verschiedenartiges Interesse hatten, das bei Reschke auf herzlicher Teilnahme für Frau Kunath und deren Kinder, bei dem Beamten lediglich auf Ehrgeiz und der Lust an jeder Spürtätigkeit beruhte, kamen auch auf Linkers auffallende Gleichgültigkeit bei der soeben beendeten Unterredung zu sprechen, die ihnen nicht hatte entgehen können.

„Der Assessor war mir geradezu unbegreiflich,“ meinte Trebitz etwas gereizt. „Ich wollte ihn schon fragen, weshalb er denn so wie ein rechtes Häufchen Unglück da saß und Augen machte wie ein Gerber, dem die Felle fortgeschwommen sind.“

Ernst Reschke, trotz seines Einsiedlerlebens ein feiner Seelenkenner, wie sie später auch noch infolge besonderer Umstände herausstellen sollte, lächelte kaum merklich und erwiderte, für Trebitz allerdings nicht recht verständlich:

„Linker ist jung. Und was ein junges Herz bewegt, entzieht sich oft vollständig der Kenntnis anderer, wenn man nicht gerade auf so allerlei kleine Anzeichen achtet, die auf etwas besonderes hindeuten. Er hat mir heute Mittag manches aus seinem Leben anvertraut. Er ist verlobt, und mit dieser Verlobung scheint es nicht so ganz zu stimmen … Ja, ja, mein lieber Herr Trebitz, es hausen wirklich Leute im alten Mühlengrundstück, von denen einige einen recht schweren Packen zu schleppen haben …“

*

Gegen acht Uhr abends. –

Hildegard war soeben heimgekommen und nahm nun gleichfalls an dem gedeckten Abendbrottisch Platz.

In dem Vorderzimmer bei Kunaths herrschte heute eine schwüle Stimmung. Bereits am Morgen war Frau Kunath mit umdüsterter Stirn umhergegangen. Und diese Gewitterstimmung hielt an. Hildegard und Arnold ahnten, daß die Mutter etwas auf dem Herzen hatte. Schweigend wurde das Mahl eingenommen. Es kam kein Gespräch in Gang. Hildegard sah dem, was als Nachtisch folgen würde, mit Ruhe entgegen. Nicht so ihr Bruder. Der hatte in mancher Beziehung ein schlechtes Gewissen.

Frau Kunath schob den Teller von sich, sagte leise Mahlzeit. Ihr sonst so verschüchtertes Gesicht war wie versteinert. Ihre Stimme klang vor innerer Erregung heiser.

„Ich bin euch stets eine gute Mutter gewesen,“ begann sie, abwechselnd Hildegard und Arnold ansehend. „Wodurch habe ich es verdient, daß ihr mich hintergeht, daß ihr Geheimnisse vor mir habt …?! Seit Wochen schon merkte ich, daß ein böser Geist hier in diese Räume wieder eingezogen ist, ein Geist, der Unruhe, Sorgen und Argwohn mitbrachte. Dreimal habe ich in den letzten vierzehn Tagen festgestellt, daß du um Mitternacht nicht in deinem Zimmer warst, Hildegard. Und stets pochte ich dann auch vergebens bei dir in deiner Mansardenstube an, Arnold. Gestern Nacht abermals. Eure Stuben waren verschlossen, und auf meine Fragen erhielt ich nur die eine Antwort, die mir mein eigener Verstand gab. – Ich ahne, was ihre nächtlicherweise treibt. Ich habe euch damals nach Vaters Tode so flehentlich gebeten, nicht in seinen Fehler zu verfallen und einer trügerischen Hoffnung nachzujagen … Ihr habt nicht auf mich gehört. Hildegard hat das Geheimnis der verborgenen Tür in der Wandtäfelung entdeckt. Ich fand heute Vormittag noch nicht ganz trockenen Schmutz von Fußtritten auf der Treppe in der Mauer. Ihr seit gestern also in den Gewölben gewesen – gestern – wie schon oft. – Hildegard – habe recht?“

Das junge Mädchen nickte nur. Frau Kunath aber begann plötzlich leise in sich hineinzuweinen, – so ein wehes, trockenes Schluchzen, daß es Hildegard tief ins Herz schnitt.

Das sagte Arnold leicht näselnd trotz des Ernstes dieser Szene: „Die ganze Geschichte ist Blödsinn. Wir werden den Schatz nie finden. Ich hätte auch nie mitgemacht, wenn Hildegard mir nicht Geld gegeben hätte, sie und auch der Engländer, der Look. – Na – auf diese Weise wirst du nie zu Reichtum kommen und wirst auch nie einen studierten Herrn dir erheiraten können – nie! Auch ein Unsinn, so versessen auf ’ne feine Partie zu sein. Du bleibst doch, was du bist …“ Das alles klang so roh und herzlos, noch mehr – fast feindselig, daß Frau Kunath ihren Sohn ganz entsetzt anstarrte.

Hildegard war bleich geworden. Sie hob langsam den Arm und deutete zur Tür.

„Geh, Arnold, – laß uns allein!“ sagte sie kalt. „Solange ich dir genügend Geld zustecken konnte, damit du deinen Hang für stutzerhafte Bekleidung und … für so manche andere häßliche Angewohnheit frönen konntest, warst du der eifrigste von uns, kamst nicht oft genug in die Gewölbe hinab. Jetzt, wo auch meine Sparpfennige dir zum Opfer gefallen sind … Doch wozu das alles. – Geh – so – – fort, so – – fort!“

Achselzucken stand er auf, murmelte vor sich hin:

„Nette Schwester …! In der ganzen Stadt bekannt wie ein bunter Hund … Liebestäuscherin!“ Er lachte kurz auf.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, da fragte Frau Kunath auch schon:

„Hildegard – mein Gott – wer ist denn dieser Look?! Und – was wollte Arnold mit all dem andern sagen?!“

Das junge Mädchen schaute die Mutter offen an. In ihren Augen lag eine ganze Welt von Enttäuschung, Seelenschmerz, gefoltertem Bewußtsein völliger Schuldlosigkeit.

„Mutter, sollte ich Arnold denn die Wahrheit mitteilen, weswegen ich nach Geld, Gold, Reichtum lechzte wie ein Verdurstender nach einem Schluck Wasser …?! Sollte ich’s …?! War’s nicht genug, daß wir diese Last, wir beide …! So erfand ich das Märchen meiner … Heiratstollheit …“

Ein schrilles Lachen entrang sich ihrer Kehle …

Da war das kleine, verschüchterte Frauchen schnell aufgestanden, zu ihrer Tochter hingeeilt, neben ihr in die Knie gesunken, umschlangen sie jetzt und drückte sie an sich …

Die Tränen der beiden Frauen flossen ineinander.

Und wären diese Tränen auf ein bestimmtes Grab gefallen, so hätten sie sich durchgefressen durch Erde und Holz bis hinein in das Herz eines Toten, um darin noch jetzt zu brennen wie glühende Qualen eines wachen Gewißens … – – –

 

15. Kapitel.

In den Gewölben von St. Barbara.

Die Dunkelheit senkte sich herab. Die Nacht kam, – lau, frühlingsschwer die Luft; am Himmel einzelne lichte Wolken …

Hildegard saß in ihrem Stübchen und las – Hedda Gabler von Ibsen. Sie liebte diese schwerblütigen Gestalten, in denen doch unter der Oberfläche der Seele die Leidenschaften fraßen und bohrten. Mit manchen Frauengestalten des großen nordischen Dramatikers kam sie sich verwandt vor. Sie glaubte es, und war doch in Wirklichkeit so ganz anders, so ganz Sehnsucht nach einer alles ausfüllenden Liebe, so ganz Sehnsucht nach Ruhe und Frieden … In ihr war nichts Krankhaftes. Was sie getan, konnte sie vertreten, was morsch und schlecht an ihr schien, blieb Schein … Und stolz erhobenen Hauptes war sie auch ihren Dornenpfad im Bewußtsein der eigenen Reinheit gegangen, ahnungslos, daß ihre Gesamterscheinung die Männer anzog wie ein duftender Blütenkelch die Bienen, – bis gestern, wo sie den Brief gelesen – nicht ganz, nur zufällig die offen daliegende Oberseite … „verworfenes Geschöpf …!“

Für sie hatte es nur eine Erklärung dafür gegeben, daß sie von Karl Linkers Angehörigen so beurteilt wurde, – so …! Er muß über sie nach Hause in einer Weise berichtet haben, daß jene ein Recht hatten, sich derart abfällig auszudrücken …

„Verworfenes Geschöpf …!“ –

Und – hatte sie ihm nicht auch genug Veranlassung gegeben, so über sie zu denken …?! Hatte er sie nicht bei Unwahrheiten ertappt, mußte sie ihm nicht rätselvoll und im Charakter völlig unausgeglichen erscheinen nach den Unterredungen, die zwischen ihnen stattgefunden hatten und bei denen sie so oft zwischen mädchenhafter Weichheit und herbem Stolz hin und her geschwankt war …?!

Hedda Gabler war vergessen. Hildegard dachte nur noch an ihr eigenes Schicksal, starrte in die rötlich erhellte Glocke der Petroleumlampe und sah dort wie aus Abendnebeln, die der Sonnenuntergang gefärbt hatte, einen Männerkopf erscheinen, weiche, so angenehme Züge, gütige Augen, – ja, Augen, die solche Wärme ausstrahlen konnten wie das alte Madonnenbild im Seitenschiff von St. Katharinen …

Beide Flügel des Fensters standen offen. Davor hing der dicke Vorhang, sperrte nach außen hin jeden Lichtstrahl ab.

Hildegard hörte plötzlich auf dem Kanal ein Geräusch. Sie sah nach der Uhr. Erst elf. Nein, es konnten die Erwarteten noch nicht sein.

Da – das klang doch wie das Knarren von Rudern. Sie lauschte angestrengt … Abermals … Erst elf, – was hatte das zu bedeuten.

Leise erhob sie sich, schraubte die Lampe ganz tief, trat ans Fenster, schlug den Vorhang zur Seite und schaute hinaus …

Ein kleines Boot schoß kanalabwärts davon …

Und dann eine Stimme rechts von ihr, des Assessors Stimme … Er lag im Fenster, freute sich wohl des lauen Abends …

„Auch noch munter, Fräulein Hildegard?“

Sie dachte nur daran, daß er vielleicht das Boot durch seine Anwesenheit verscheucht habe.

„Wie Sie sehen, Herr Assessor. Mich lockte Rudergeräusch ans Fenster. – Wo kam jenes Boot dort her?“

„Von aufwärts, Fräulein Hildegard.“

Ah – dann war es nicht Look gewesen.

„Gute Nacht,“ sagte sie einfach. „Die Abendnebel des Kanals sind nicht gerade gesund, sehr mit Vorsicht zu genießen …“

Als sie ins Zimmer zurücktrat, fuhr sie leicht zusammen.

„Ich bin’s,“ sagte Arnold Kunath spöttisch. Lautlos wie immer war er gekommen.

Hildegard schraubte die Lampe wieder hoch und setzte sich.

„Sprich leise,“ mahnte sie „der Assessor hat seine Fenster offen.“

Er lachte ironisch auf.

„Mag er doch. Er wird bald wieder ungefährlich sein.“

Sie blickte ihn fragend, beunruhigt an.

„Was heißt das, Arnold, – bald wieder ungefährlich sein?!“

„Na – ich schaute vorhin durchs Schlüsselloch. Da trank er seinen Abendtee. Dann löschte er seine Lampe aus …“

„Abendtee …?!“ Nachdenklich sprach sie das Wort aus. Plötzlich zuckte sie zusammen.

„Du – du, – hast du dich etwa auf das eingelassen, was Look mir vorschlug und was ich selbstverständlich ablehnte …?!“ Drohend war Ihre Stimme, und auch wieder wie von Angst durchbebt.

„Und wenn schon?!“ meinte er achselzuckend. „Look will bei allem sicher gehen. Wir können keine Mitwisser brauchen.“

Sie sprang auf. „Du bist ein … ein …“ Aber ihre Erregung legte sich ebenso schnell wieder. Mit einer müden, gleichgültigen Handbewegung nach Arnold hin, die wohl besagen sollte: „Es lohnt nicht, mit dir hier zu richten“, setzte sie sich wieder.

Auch er hatte auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz genommen. – Eine Weile Schweigen. Dann sagte Hildegard:

„Wir werden heute zum letztenmal in die Gewölbe hinabsteigen. Ich habe es Mutter fest versprechen müssen. Sonst will sie an den Magistrat schreiben, daß schon Vater einen Zugang zu den unterirdischen Räumen der Barbara-Kirche entdeckt hatte.“

„Mir ganz recht! Die ganze Schatzsucherei ist ein Unsinn …“

„Ja – seitdem du von mir kein Geld mehr erpressen kannst,“ meinte sie scharf und verächtlich. „Ich hätte dich wahrhaftig nie hinzugezogen … Aber ich wollte mit den beiden nicht allein sein, – mit Look und Drews.“

Er grinste nur dickfellig.

„Mit Linker wärst du wohl ganz gern da unten allein herumgekrochen, wie …?!“ flüsterte er ihr mit besonderer Betonung zu.

Sie saß ganz erstarrt da. Flammende Röte übergoß ihr Gesicht …

Eine häßliche Hand hatte urplötzlich den Schleier zerrissen, der ihre wahren Gefühle ihr verhüllt hatte.

Linker …! – Und Arnolds Andeutung …! Diese hatte ihr unbewußt gezeigt, wie es in ihrem Innern aussah …

Immer tiefer sank ihr der Kopf auf die Brust.

„Du hast recht, Schwesterlein,“ sagte der junge Bursche roh. „Ein Reicher sollte es werden, und nun ist’s ein Assessor, arm wie eine Kirchenmaus, und dazu noch … verlobt …“

Sie blieb regungslos, hatte kaum gehört, was der Bruder sprach.

In ihrer Seele tobte ein Aufruhr. Wie Flammensäulen schlug die Erkenntnis über ihr zusammen:

„Ich liebe ihn …!“

*

Im Nebenzimmer bei Linker, saßen drei Männer in tiefer Dunkelheit. Nur die Zigarren glühten hin und wieder auf, wenn sie sie zwischen den Lippen hatten und der Rauch dann unsichtbar sich hochkräuselte.

Selten fiel ein vorsichtig geflüstertes Wort.

„Hoffentlich hat Hildegard nicht Verdacht geschöpft,“ meinte Paul Trebitz.

„Ich glaube es nicht,“ erwiderte Linker zerstreut.

Bei seiner Heimkehr aus dem Bureau hatte er eine Depesche von Harrichs vorgefunden.

„Kommen morgen Mittag. Abholen.“

Lotte war so gut wie ganz aus seiner Erinnerung ausgelöscht gewesen. Die Depesche ließ sie wieder wie ein Gespenst aus der Versenkung auftauchen. Wie ein Gespenst …

Der Assessor wußte, was ihm bevorstand. Die Liebe Schwiegermutter würde wie ein kollernder Truthahn auf ihn losfahren. Der Brief hatte sicher wie ein rotes Tuch gewirkt …

Aber – er würde ganz ruhig bleiben. Jedenfalls würde er sich nicht unterkriegen lassen – niemals! Mochte auch die ganze Verlobung Schiffbruch in diesem Sturm erleiden …

Da – Trebitz hatte sich lautlos erhoben, schlich zum Fenster, meldete: „Sie kommen …“

Lotte war wieder vergessen, verschwand dort hinten – irgendwo, zerflatterte wie ein Schemen …

Linker merkte, wie ihm ein seltsames Kribbeln durch die Adern lief, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.

Und von draußen nun die Uhr von St. Katharinen, zwölf dröhnende Schläge – Mitternacht – Geisterstunde …

Trebitz hatte sich hingekniet und den Vorhang soweit gelüftet, daß er durch den einen nur angelehnten Fensterflügel hinaushorchen konnte.

Die Minuten schlichen nur so hin … Der Assessor atmete schwer. Die Erregung zerrte an all seinen Nerven. Ob es wohl Reschke ebenso erging …? – Er beugte sich zu dem weißhaarigen Manne hin und fragte flüsternd:

„Ist Ihnen besonders wohl zu Mute in dem Gedanken an das, was wir vorhaben?“

„Doch! – Hildegard wegen!“

„Ich verstehe Sie nicht recht …?!“

„Später – Sie werden schon begreifen.“

Trebitz Stimme erklang vom Fenster her: „Ich werde nachsehen, ob die Nebenstube bereits leer ist …“

Er schwang sich zum Fenster hinaus. Um den Nachen zu erreichen, mußte er einen kurzen Sprung wagen. Der gelang. Nun stieg er über die Rudersitze, richtete sich auf und lauschte. Der eine Fensterflügel stand noch weit offen.

In Hildegards Zimmer alles still … –

Wenige Minuten später standen die drei in dem ärmlichen Mädchenstübchen. Trebitz hatte für jeden eine elektrische Taschenlampe und auch eine Rauchmaske besorgt.

Die drei weißen Lichtkegel genügten, um Linker hier alles erkennen zu lassen.

Mehr wie einfach war die Einrichtung, geradezu armselig. Und hier hauste Hildegard … hier, zwischen den gebeizten Fichtenmöbeln, den schmucklosen Wänden …

Reschke beobachtete den Assessor heimlich. Wie genau der alles betrachtete, – alles, das wenige, das doch vielleicht eine besondere Bedeutung für Linker hatte, eben weil es zu Hildegard in Beziehung stand.

Der Alte lächelte, – ganz fein, wie nur ein Menschenkenner lächeln kann … –

Trebitz hatte die geheime Tür geöffnet.

„Vorwärts – ich gehe voran …!“

Die schmale Treppe führte erst einige dreißig Stufen abwärts. Dann kam ein langes, fensterloses Kellergemach, in dem man noch deutlich die Stelle in der Mauer erkannte, wo die ehemalige Türöffnung vermauert worden war. Eine zweite, ebenso enge Treppe lief aus einer Ecke noch steiler als die erste in einem gewölbten Tunnel weiter nach unten. Hier hafteten an den Wänden bereits überall dicke Schichten weißlicher Schimmelpilze, und die Luft war so kalt, feucht und modrig, daß Linker in seinem dünnen Frühjahrsanzug zusammenschauerte.

Leise, Schritt für Schritt, drang Paul Trebitz als Führer tiefer in diese unterirdischen Räume ein, die schon unterhalb der Keller des Mühlenhauses liegen mußten.

Die Treppe bog nach achtzehn Stufen nach links ab, also in der Richtung auf den Mühlengraben. Dann erweiterte sich plötzlich der engen Tunnel zu einer quadratischen Halle, und hier waren die letzten Stufen vollkommen zerstört, so daß die drei Männer sehr vorsichtig über die Trümmer hinwegbalancieren mußten.

Trebitz’ Lampenkegel fielen auf einen alten, halb zusammengebrochenen Holzsarg. Und leise sagte er:

„Wir befinden uns bereits in den Gewölben von St. Barbara.“

Die Luft war hier wie in einem Eiskeller. – Trebitz strich ein Zündholz an. Es brannte mit hoher, spitzer Flamme.

„Sumpfgase!“ meinte der Beamte. „Noch läßt es sich hier atmen. Aber – binden wir doch zur Sicherheit die Rauchmasken vor. Besser ist besser …“

Dann wieder weiter. Ein kurzer Bogengang lief in das Gewölbe hinein. –

Trebitz blieb stehen.

Die Lampen waren auf seinen Wink ausgeschaltet worden.

In dem niedrigen Gewölbe, dessen Decke von zwei Steinsäulenreihen getragen wurde, war nirgends ein Lichtschimmer zu bemerken. Die Schatzsucher befanden sich also in einem anderen Raum.

Die Lampen blitzten auf, und Trebitz schritt wieder voran, hindurch zwischen alten, pilzbedeckten Steinsärgen, die wohl die letzten Überreste Ixstädter Patriziergeschlechte einschlossen.

Die steinernen Bodenplatten waren hier und dort aufgerissen. Schlammiges Wasser blinkte stumpf zwischen den Löchern auf. –

Trebitz deutete auf feuchte Fußspuren, die stellenweise zu erkennen waren.

Die drei Männer konnten sich jetzt nur noch durch Zeichen verständigen. Die Masken mit den elastischen Gummirändern, die sich so fest um den Mund und über die Backenknochen legten, ließen höchstens laute Rufe durch, die aber auch nur auf ganz kurze Entfernung vernehmbar waren.

Am anderen Ende des Gewölbes bemerkte der Beamte dann ein Stück Leiter, das über den Boden hinwegragte. Sehr vorsichtig trat er an die viereckige Öffnung heran, an deren einem Rande die Leiter lehnte.

Unten gähnte schwarze Finsternis.

Trebitz hakte die Taschenlampe in dem obersten Knopfloch seiner Jacke fest, schaltete sie aus und winkte den beiden Gefährten zu, daß er zunächst allein hinabsteigen wolle.

Die Leitersprossen waren naß und glitschig von Schimmel. Trebitz ekelte sich fast, sie zu berühren. Als er dann den Kopf unterhalb der Deckenöffnung hatte, bemerkte er sofort in einiger Entfernung einen hellen Lichtschimmer, sah auch Gestalten, die sich hin und her bewegten.

Dieses untere Gewölbe schien bedeuten schmaler zu sein, auch niedriger als das obere.

Schritt für Schritt, immer erst mit dem vorgestreckten Fuße den Fleck abtasten, wohin er treten wollte, ging der Beamte auf die Gestalten zu. Seine Lampe hatte er jetzt nicht wieder einschalten dürfen. Sie hätte ihn nur verraten.

Plötzlich blieb er stehen. – Was war das …? – Da kamen ja zwei sehr eilig auf ihn zugelaufen … Der Vorderste eine Laterne in der Hand, die ein weißes Licht ausstrahlte. Und dieses blendete Trebitz so, daß er nicht genau sehen konnte, wer die beiden Gestalten waren.

Dann hörte er – und sein Blut erstarrte förmlich in den Adern! – weiter zurück einen Schrei – gellend, überlaut …

„Hilfe … Hilfe …!“

Daß hier irgend eine Schurkerei geschehen, war ihm sofort klar.

Ein Griff nach der Brust, und seine Lampe flammte auf. Mit der Rechten aber hatte er in die Rocktasche hineingefaßt, und beruhigend fühlten seine Finger das kühle Metall des Revolvers.

Die beiden Gestalten waren beim Aufblitzen des Lichtkegels zurückgeprallt. Trebitz sah, daß er Look und Drews vor sich hatte. Auch sie trugen Gasmasken.

Sie standen jetzt anscheinend ratlos da. Dann tastete des einen Mannes Hand nach der Schlüsseltasche des Beinkleides …

Trebitz ahnte, was jener vorhatte. Rufen, drohen war mit der Maske vor dem Gesicht unmöglich. Blitzschnell überlegte er sich das. Hier galt es rücksichtslos für die eigene Sicherheit sorgen. Er hob den rechten Arm …

Da – abermals ein gellender Schrei … Nicht aus eines Weibes Kehle kam er, nein, das konnte nur Arnold Kunert gewesen sein …

Des Beamten Aufmerksamkeit war so einen Moment von seinen beiden Gegnern abgelenkt worden …

Drüben hatte der eine Mann nun ebenfalls den Arm erhoben, – ein Feuerstrahl blitzte auf, und der Knall des Schusses erfüllte mit donnernden Schallwellen das niedrige Gewölbe …

Trebitz fühlte einen brennenden Schmerz am Halse … Aber gleichzeitig krümmte sich auch sein Zeigefinger um den Abzug der Waffe.

Ein zweiter Schuß – ein kurzer Aufschrei, und der Mann, der zuerst gefeuert hatte, taumelte nach hinten zu Boden.

Neben Trebitz, den die Kugel nur leicht gestreift hatte, erschienen Linker und Reschke.

Der Assessor sprang, in der Linken die Taschenlampe, – in der Rechten ein längliches Stück Steinplatte wie eine Keule hoch haltend, ohne Zögern auf den zweiten Mann ein. Der wich zur Seite, streckte zum Zeichen, daß er sich nicht wiedersetzen wolle, beide Arme empor.

Linker überließ ihn den beiden Gefährten, hastete vorwärts, immer geradeaus, hinein in das Dunkel, – dorthin, woher Arnolds Hilferufe erklungen waren.

Da – vor ihm ein Haufen verfaulter Särge, und daneben auf dem Boden zwei Gestalten, – zwei Gesichter ohne die schützenden Masken …

Beiden waren die Hände auf dem Rücken gebunden. Mit Tuchstreifen – losgerissen von Hildegards blauem Rock …

Hildegards Augen waren geschlossen. Sie hatte bereits das Bewußtsein verloren. Ihr Bruder stützte sich noch mit dem Ellenbogen auf ein paar der eklen, schmutzigen Sargbretter. Seine Augen, weit aufgerissen im namenlosen Entsetzen, stierten Linker an wie einen Geist. Seine Lippen wollten noch Worte formen, bewegten sich … Aber schon sank auch sein Kopf matt zur Seite …

Der Assessor bückte sich, hob Hildegard empor, trug sie halb laufen davon. Er sah nichts, was um ihn her geschah, er wußte nachher nicht, wie er mit dem jungen Weibe in den Armen glücklich bis in das kleine, ärmliche Stübchen gekommen war.

Hier riß er sich die Maske vom Gesicht, nachdem er Hildegard auf die rote Steppdecke des Bettes gelegt hatte, zündete die Petroleumlampe an, öffnete das Fenster ganz weit und kehrte dann zu der Ohnmächtigen zurück…

Ganz mechanisch hatte er gehandelt, wie im Traum.

Nun stand er neben ihr … Das blasse Antlitz hob sich gegen die rote Decke unheimlich scharf in seinen Umrissen ab. Wie eine Tote sah Hildegard aus … Und da erst packte Karl Winker plötzlich eine furchtbare Angst …

Nein – sie durfte nicht sterben, – nur das nicht, nur das nicht …!

Er griff nach ihrer Hand, fühlte nach dem Puls.

Ganz matt merkte er das Kreisen des Blutes. Aber – es war doch eine Lebensäußerung, – – Hildegard lebte … lebte …!

Sein Blick glitt suchend umher. Da – auf dem Wandbrett – eine Flasche Kölnisch Wasser …

Er rieb ihr damit die Schläfen, befeuchtete die Nasenlöcher … Und plötzlich lief es nun wie ein Zucken über ihr Gesicht … nochmals – nochmals, – dann nieste sie kräftig, schlug die Augen auf …

Er stand tief über das Bett gebeugt da. Ihr Blick ruhte auf seinem Gesicht. Erst noch ohne Verständnis. Dann schien er aus weiten Fernen sich zurückzufinden in die Wirklichkeit, wurde ausdrucksvoll, strahlte ein stilles Glück aus.

Und mit einemmal reckte Hildegard dann beide Arme empor, tastete nach Linkers Schultern mit kraftlosen Händen … Und ganz leise, nur wie ein Hauch, kam es über ihre Lippen, – sehnsüchtig, traumverloren, wie ein Kind wohl im Schlafe lallt …:

„Du – du …!“

Karl Linker fühlte den schwachen Druck auf seinen Schultern, gab ihm nach, und so näherten sich zwei Lippenpaare einander halb unbewußt …

Durch die Geheimtür trat Ernst Reschke ein das schaute nach dem Bett in der Ecke hin, stutzte – – lächelte, lächelte zufrieden …

Dann hüstelte er – absichtlich. Dicht hinter ihm kam Drews, der den Schwerverwundeten trug… Und Drews brauchte nicht zu sehen, was diese Nacht soeben vereint hatte …

Linker richtete sich auf, behielt aber Hildegards Hände in den seinen …

„Tragen Sie sie in Ihr Zimmer,“ sagte der Alte leise.

Doch das war von innen verschlossen. So mußte Linker erst durch das Fenster hinein und den Riegel wegschieben. So kam es, daß Hildegard sah, wie Drews den bewußtlosen Engländer auf dem Fußboden legte …

Dann wurde sie auf den Diwan in Linkers Zimmer gebettet, – von ihm, den sie liebte. Wieder waren sie allein für ein paar Minuten, wieder hielt er ihre Hände in den seinen …

Und sie hatte ein Leuchten in den blassen Zügen wie den Widerschein eines himmlischen Glückes …

 

16. Kapitel.

Der Heiligenschein.

Das alte Mühlenhaus hatte noch nie eine so unruhigen Nacht durchlebt wie die an diesem lauen Maitage.

Ärzte und Polizisten gingen und kamen. Ein Krankenwagen fuhr vor. Frau Kunaths herzjammerndes Weinen wischte sich in das ernste Flüstern der Männer. Alle Bewohner waren munter geworden, drängten sich in den wunderlichsten Kostümen in der Vorhalle zusammen, suchten näheres zu erfahren und – erfuhr nichts, bis ein Kriminalkommissar die neugierige Herde grob in ihre Wohnungen zurückscheuchte.

Erst nach Stunden wurde es wieder still im alten Mühlenhause. Der Morgen graute bereits …

Hildegard lag in ihrem Stübchen im Bett und war soeben eingeschlafen.

„Ein paar Tage Ruhe, dann ist sie wieder frisch und munter,“ hatte der Arzt gesagt. Aber Arnold Kunert hatte er ins Krankenhaus geschickt. Der hatte durch seine Hilferufe die Lungen zu stark angefüllten mit den giftigen Gasen. – Vielleicht würde er durchkommen, – vielleicht, erklärte der Doktor.

Neben Hildegards Bett saß Karl Linker auf einem Stuhl, ein Stück weiter am Tische Frau Kunath.

Hildegard hatte mit den Fingern ihrer Rechten die Hand des Assessors umspannt, als wolle sie ihn nie wieder freigegeben.

Ganz sacht entzog er sie ihr nun. Sie wachte nicht auf, wurde nur einen Augenblick etwas unruhig.

Dann gingen die beiden, das verschüchterte Frauchen und der Assessor, in dessen Zimmer hinüber, blieben hier in der Mitte unter der brennenden Gaslampe stehen und schauten sich an. In Frau Kunaths Augen glänzten schon wieder Tränen, ihre Lippen zuckten …

Und sie sagte tonlos:

„Was soll nun werden, – mein Gott, was soll werden?! – Hildegard liebt Sie … Und wenn sie nun morgen erwacht, wenn ihr klar wird, daß … daß …“ Sie konnte nicht weiter sprechen.

Da nahm Linker die rissige, rauhe, verarbeitete Hand des kleinen Weibleins in die seine, drückte sie samt und erwiderte warm und herzlich:

„Liebe Frau Kunath, wenn Hilde erwacht, dann werde ich ihr nur diese Stelle an meinem Ringfinger zeigen … Ja, schauen Sie nur hin. Meinen Verlobungsring habe ich dort in die Schublade gelegt. Ich werde ihn nicht wieder tragen. Jetzt – seit zwei Stunden – weiß ich, wem allein mein Herz gehört … Hilde wird erwachen und … wird glücklich sein …“ –

Nachher ging Linker zu Ernst Reschke nach oben, dessen dröhnende Schritte die Begleitung zu alledem abgegeben hatten, was Frau Kunath dem Manne erzählt hatte, der Hilde liebte.

Reschke empfing den Assessor mit einem erleichterten: „Endlich …! – Wie steht’s unten?“

„Gut. Sie schläft.“

Der Alte hatte inzwischen Kaffee aufgebrüht.

„Setzen Sie sich. Uns beiden wird der braunen Trank gut tun,“ meinte er.

Er schenkte die Tassen voll.

Linker starrte gedankenverloren vor sich hin. Dann sagte er:

„Ich werde Ihnen so manches anzuvertrauen, was nur Sie erfahren sollen. So hat es Frau Kunath gewünscht. –

Zunächst zur Aufklärung der gellenden Schreie, die Sie damals vor Jahren gehört haben; es waren die Rufe eines von Schreikrämpfen befallenen verzweifelten Weibes, die den Gatten vergeblich immer wieder in erregten Szenen anflehte, von dem verbrecherischen Nebengewerbe, das er betrieb, abzulassen. – Ernst Kunath war … Schmuggler! Sogar das Oberhaupt einer Schmugglerbande, die aus dem Freihafenbezirk wertvolle Waren heimlich fortschaffte und die in den Gewölben der Barbara-Kirche ihren Lagerplatz für das gepaschte Gut hatte. Auch Drews gehörte zu der Bande. Dann las Kunath den Artikel über die alte Chronik in der Zeitung und begann nach dem Schatze zu suchen, hackte zusammen mit Drews die Mauern auf, wühlte die Steinenfliesen um, sprengte sogar mit Pulver widerspenstige Granitquader. Das waren die schweren Erschütterungen, unter denen selbst das alte Mühlenhaus zu leiden hatte … Kurz vor seinem Tode entdeckte er erst den Zugang zu dem unteren Gewölbe. Aber die Gase trieben ihn immer wieder die Leiter hoch. An die Benutzung einer Rauchmaske hatte er nicht gedacht.

Inzwischen aber war die Polizei den Schmugglern auf die Spur gekommen. Alle anderen flüchteten rechtzeitig. Nur Kunath und Drews wollten noch vorher einen letzten Versuch machen, den Schatz für sich zu erringen. Kunath sank in dem vergifteten unteren Gewölbe sehr bald um, Drews schleppte ihn noch bis in das kleine Zimmer hinauf und machte sich dann selbst aus dem Staube. Die Polizei fand einen mit dem Tode Ringenden vor, den zu verhaften es sich nicht verlohnte.

Und am nächsten Tage lieferte Frau Kunath den Behörden die wenigen Schmuggelgüter aus, die sich in dem Versteck befunden hatten und die sie mit Hildegards Hilfe in die Wohnung gebracht hatte. Von der geheimen Tür und den Gewölben schwieg sie. Sonst hätte sie zugeben müssen, daß ihr Mann die Seele der ganzen Schmugglergemeinschaft gewesen war. Und das wollte sie um keinen Preis! Um den Namen dessen, der sehr bald dann starb, nicht an den Pranger gestellt zu sehen, verpflichtete sie sich auch der Zollbehörde gegenüber, eine Summe allmählich abzuzahlen, die etwa der Geldstrafe entsprach, zu der Ernst Kunath voraussichtlich verurteilt worden wäre. So wurde die ganze Sache totgeschwiegen. Und Mutter und Tochter kannten jetzt nur ein Ziel, jene Summe recht bald zu begleichen, damit das gesühnt wurde, was der Tote verbrochen hatte, damit sie wieder den Menschen frei in die Augen sehen konnte!

Hildegard war es dann, die in ihrer Unerfahrenheit und Unreife auf den Gedanken kam, durch eine reiche Heirat die Mittel sich zu verschaffen, um jene Summe sofort begleichen und dadurch die Mutter von harter, steter Arbeit befreien zu können. So wurde sie die … Liebestäuscherin! Zu spät sah sie das Sinnlose dieses Planes ein. Doch ihr Ruf hatte bereits gelitten. Und da … führte Drews, der inzwischen wieder in Ixstadt aufgetaucht war, sie mit dem gewissenlosen James Look zusammen, weil Drews allein sich nicht zutraute, Hildegard dazu zu überreden, die Suche nach dem Schatz wieder aufzunehmen. Look gelang es. Und der Spuk hier im alten Mühlenhause begann wieder sein Spiel. –

Um es gleich zu erwähnen, Hildegard war es nicht, die dem Landmesser Gülden und auch mir das Schlafmittel in den Zucker mischte. Arnold Kunath hat’s getan, wie mir Hilde vorhin beichtete, um ganz rein vor mir dazustehen. – –

Und nun heute das Ende des Rätselhaften – ein tragischer Ausgang! Ich denke da eben an Frau Nora Mendel, die Sie ja auch kennen, lieber Reschke. Frau Nora, die behauptete, sich auf die Handdeutekunst zu verstehen, hat Look prophezeit, daß er die Sucht nach leichtem Gewinn mit dem Leben bezahlen werde. – Sie hat richtig vorausgesagt. Des Engländers Lungenschuß ist tödlich! – Ich habe kein Mitleid mit diesem Menschen, ebensowenig mit Drews, der sicher wegen Mordversuchs für lange Jahre ins Zuchthaus wandert. Welche Bestialität gehört wohl dazu, zwei Menschen zu binden und ihnen dann die schützenden Rauchmasken abzureißen, um sie ersticken zu lassen, – und das wegen einer verschollenen eisernen Truhe, die die vier Schatzsucher soeben gefunden hatten und in der Look und Drews natürlich die Reichtümer vermuteten, die sie nun allein für sich behalten wollten mit Hilfe eines kaltblütigen Doppelmordes, dessen Vollendung nur unser Erscheinen verhinderte…! Und welche Ironie des Schicksals, daß die Truhe, wie jetzt schon festgestellt ist, nur ziemlich wertlose Kirchengeräte enthält…!“

Linker schwieg. Und der weißhaarige Alte fügt leise hinzu:

„Welche Fügung des Schicksals aber auch, daß die, die ich liebe wie mein eigenes Kind, jetzt wie eine stille Heldin vor uns steht. – Arme, liebe Hilde, wie sehr bist du doch verkannt worden …!“

Ernst Reschke streckte jetzt dem Assessor die Hand über den Tisch hin.

„Greifen Sie zu, Karl Linker,“ sagte er herzlich, „es ist die Hand eines Freundes …! – Und nun beantworten Sie diesem Freunde auch meine Frage. Was soll aus Ihnen beiden werden – aus meiner Hilde und dem Manne, dem ich eben so warm zugetan bin?“

„Ein Brautpaar!“ erwiderte Linker feierlich. „Und im Anschluß an diese meine Antwort gleich eine Bitte. Heute Mittag treffen meine … früheren Schwiegereltern hier ein. Wollen Sie es übernehmen, diesen mitzuteilen, daß ich die Verlobung lösen muß und daß ich in einem längeren Briefe Lotte gegenüber mich rechtfertigen werde …?“

„Sehr gern. – Im übrigen, lieber Linker, – die Hilde, hm ja, – wissen Sie, das ist eine sehr gute Partie, ich meine – so nach der Geldseite hin.“ Er lächelte wieder, und in diesem Lächeln lag jetzt Freude und Stolz. „Ja – schauen Sie mich nur so verwundert an, – wirklich, das Mädel bekommt eine stattliche Mitgift, rund zweihunderttausend Mark, – von mir, Assessorchen, – von mir! – Oho – da erstarren Sie fast …! Kein Wunder …! – Heute ist nun mal der Tag der Enthüllungen …“

Er erhob sich, ging an einen Bücherschrank, nahm einen ganzen Stoß vornehmen eingebundener Romane heraus und legte sie vor Linker auf den Tisch.

„Da – sehen Sie, alles Werke von Semper Nemo. – Haben Sie von dem mal was gelesen? – Ja?! – Na also! Dann werden Sie vielleicht auch wissen, daß Semper Nemo, zu deutsch „Immer niemand“, das heißt also „einer, der stets unbekannt bleiben will“, das Pseudonym eines Schriftstellers ist, der seinen wahren Namen bisher vortrefflich zu verheimlichen verstanden hat, so daß man schon oft gemunkelt hat, dieser Semper Nemo sei ein … regierender Fürst. Und – er ist doch nur Mittelschullehrer a. D. und … steht vor Ihnen …!“

„Sie … Sie wären …“

„Ich bin’s! Und ich werde meinem Liebling Hilde meine ersparten Honorare, ein Vermögen, mit in die Ehe geben! – Ich bin’s, ich, der … Abschreiber, der Sonderling, – ich, der hier in Ixstadt mancher ehrgeizigen Dame zu bescheidenem Ruhme verholfen hat, der den Blödsinn aus Novellen herausstreicht und sie druckfertig macht, der von Frau Mendel zum Beispiel sehr reichlich bezahlt wird, sehr reichlich, eben weil auch sie nur zu gut weiß, daß ohne Ernst Reschke die Kinderlein ihrer Muse stets Mißgeburten blieben!“

Karl Linker sprang auf.

„Hören Sie, lieber Reschke, jetzt werden Sie doch hoffentlich endlich der Welt offenbaren, wer Sie eigentlich sind …! Das müssen Sie …! Sie werden doch nicht weiter so Ihr Licht unter den …“

„Ruhe, Freundchen, Ruhe!“ unterbrach der weißhaarige Mann ihn lachend. „Ja – die Welt soll erfahren, daß Semper Nemo in Ixstadt im alten Mühlenhause lebt! Ja – Sie soll’s, denn jetzt hat mein Dasein wieder einen Inhalt, jetzt werde ich wieder jung werden, wo ich meine Hilde als Heilige vor mir sehe, – Hilde, das Kind des einzigen Weibes, der je mein Herz entgegenschlug in großer, reiner Liebe …!“

Linker drohte Ernst Reschke scherzend mit dem Finger.

„Ei, Ei – werden Sie nur nicht zu jung, sonst, – wer kann wissen …?! Wenn Frau Kunert jetzt, wo alle Sorgen von ihr genommen werden, sich erholt, von neuem wieder aufblüht, – dann – dann …“

Reschke hatte mit einem Male einen verträumten Glanz in den Augen.

„Sie wird wieder aufblühen,“ sagte er leise. „Und was die Jugendjahre uns an gemeinsamem Glück vorenthielten, soll uns jetzt das reife Alter geben.“

*

Ernst Reschke brauchte sich nicht auf den Bahnhof zu bemühen, um Harrichs in Empfang zu nehmen. Gerade als Linker kurz vor acht Uhr morgens ins Bureau gehen wollte, trafen zwei Eilbriefe für ihn ein, beide aus Barten.

Nummer eins von Lotte. Sie gebe die Verlobung mit Zustimmung ihrer Eltern auf, da Tante Gründling Karl mit der „verworfenen Person“ auf der Straße in sehr vertraulichem Gespräch abends getroffen habe, – und so weiter.

Nummer zwei von Frau Rechnungsrat. Diese „Mehlhändler“ hofften offenbar, für Lotte den Regierungsassessor Külz von Wetterstein einfangen zu können; man habe sich völlig verkracht und Karl täte gut, diese Emporkömmlingsblase mit Verachtung zu strafen, – und so weiter.

Beide Briefe gab der Assessor mit einem schnellen besorgten Strauß roter Rosen Frau Kunert.

„Wenn Hilde erwacht, wird sie an diesen drei Dingen eine kleine Freude haben, meine liebe neue Schwiegermama,“ sagte er zu ihr, umarmte und küßte sie, daß sie ganz außer Atem kam.

Als er dann gegen halb neun sein Arbeitszimmer bei Mendel betrat, sah er sich zu seiner Überraschung Frau Nora gegenüber, die die Akten Pößnick eifrig studierte zu haben schien.

„Ich warte auf meinen Mann,“ log die kleine Frau frech. „Aus Langeweile habe ich da ein wenig in dieser interessanten Strafsache geblättert.“

„Und haben sich Notizen gemacht,“ fügte Linker hinzu, der sehr wohl merkte, daß sie ein Blatt Papier in der Hand auf dem Rücken verbarg. Sofort war ihm auch klar, wie die Dinge hier standen. – Darum fuhr er fort: „Sollte Look Sie beauftragt haben, gnädige Frau, hier zu spionieren, so kann ich Ihnen nur mitteilen, daß alles dies zwecklos geworden ist. Look ist tot. Vor kaum drei Minuten hat es mir der Beamte Trebitz erzählt.“

Und dann berichtete er ihr kurz, was der Engländer als Verbrecher für eine Rolle in Ixstadt gespielt hatte.

Sie wurde sehr blaß.

„Oh – er hat mich also nur ausgenutzt, der schreckliche Schurke!“ meinte sie empört.

„Allerdings!“

Frau Nora flehte Linker dann recht weinerliche an, ihrem Manne nichts von der Akteneinsichtnahme zu erzählen. – Er versprach es, und von ihr erfuhr er nun auch, daß Look im Hintergebäude in den leeren Räumen des Bureaus sich ein ganzes Warenlager angelegt habe … „Natürlich alles gestohlen!“ meinte die kleine Frau, und sagte abermals: „Nein, so ein fürchterlicher Schurke!“ Was wieder sehr nach Backfisch klang.

Daß sie sich von dem „fürchterlichen Schurken“ am Abend vorher doch noch hatte küssen lassen, sagte sie nicht … – –

Als Linker mittags voller Sehnsucht nach Hilde dem alten Mühlenhause zueilte, begegnete er Paul Trebitz, der mit einem sehr vornehm aussehenden Herrn von der Katharinenkirche herkam.

Trebitz stellte seinen Begleiter dem Assessor als den Regierungsrat Kloppe, den Leiter der Ixstädter Kriminalpolizei, vor und fügte in einem Atem zu:

„Denken Sie, meine Freude! Ich habe die Stelle des Kriminalwachtmeisters Hübner erhalten, bin also meinem geliebten Hafen erhalten geblieben.“

Linker gratulierte, verabschiedete sich aber sehr bald und stürmte weiter.

Zu seiner Überraschung fand er Hilde bereits im Vorderzimmer in Frau Kunaths Lehnstuhl am Fenster sitzen.

Bei seinem Anblick lief ein seliges Leuchten über ihr blasses Gesicht. Ihre Hände streckten sich ihm entgegen, und wieder sagte sie nur leise, aber mit tiefster Zärtlichkeit …

„Du … du …“

Und die Mittagssonne lag auf ihrem Haupte wie ein Heiligenschein …

 

 

Anmerkungen:

  1. Guestphalia (seltener Guestfalia; gesprochen „Westfalia“) war und ist der Name vieler Studentenverbindungen.
  2. vergeben.
  3. Studentenlieder.
  4. Glücksspiel um Geld.
  5. Flößer auf der Weichsel.
  6. Glücksspieler.
  7. Teilhaber.
  8. Couplet = scherzhaft-satirisches Lied für die Kleinkunstbühne.