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Die weiße Schlange

 

 

Harald Harst

 

Band: 339

 

Die weiße Schlange

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Der gerollte Teppich.

Was uns nach Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen Sudan, geführt hatte, war glücklich erledigt. Das Geheimnis der Nilinsel war kein Geheimnis mehr, und wir hatten ein paar Tage friedlichen Ausruhens nach so zahllosen kritischen Stunden ehrlich verdient.

Harst haßt die Hotels. Wir fanden etwas außerhalb der neuen Stadtteile, die nach der Zerstörung Chartums durch die Mahdisten und nach der Wiedereroberung der Stadt entstanden sind, ein behagliches Pensionat, das von einer Bekannten unseres braven O-beinigen Pieter van Laarsen, einer Witwe namens Tompson betreut wurde.

Chartum ist bereits waschechtes Afrika mit dreißig Prozent Pariser Leichtsinn. Die unerträgliche Hitze während des Tages zwingt die Europäerkolonie, Nachtfalter zu werden, und unter den vornehmen Amüsierstätten war die Bar Zum Blauen Nil die eleganteste, besuchteste, teuerste und verworfenste.

Zum Blauen Nil …

Es klang so poetisch …

Der Name traf auch insofern zu, als Chartum dicht am Zusammenfluß vom Weißen und Blauen Nil am linken Ufer des letzteren liegt.

Aber hinter der Prunkfassade der Bar, die ein Kino, ein Kaffee, eine Tanzbar und den Klub International beherbergte, wohnten das Laster in Gestalt von Opiumpfeifen und nackten nubischen Tänzerinnen, wohnten zweifellos mehr dunkle Geheimnisse als selbst in den ältesten schmierigsten Eingeborenenvierteln.

In der Bar, die auch ein erlesenes Varieteeprogramm zeigte, trat damals als Hauptattraktion der Kunstschütze Bill Tott auf, genannt der bleierne Tod, ein Mann, der in Texas und Mexiko Cowboy gewesen sein wollte und nicht nur hervorragend schoß, sondern durch seine muskelstrotzende Gestalt und die kühne Brutalität seines Gesichts die entnervten Damen der Europäerkolonie unangenehme Vergleiche zu den diversen Gatten, Verlobten und sonstigen Gentlemen anstellen ließ.

Ohne Pieter van Laarsen wären wir nie auf die Bar in dem Maße aufmerksam geworden, wie dies nunmehr geschehen war.

Der Holländer, der einen Ramschladen besserer Art nebst Antiquitätenhandlung besaß, hatte in seiner behutsamen wortkargen Art darauf hingewiesen, daß seit zwei Jahren in Chartum einzelne reisende Fremde allzu häufig verschwänden, – was uns übrigens auch der ägyptische Polizeioffizier vom Geheimdienst, ein sehr hellhäutiger eleganter jüngerer Herr, bestätigt hatte, wobei er vorsichtig einflocht, daß in der Eingeborenenstadt seit langem Gerüchte von einem geheimnisvollen Manne umliefen, der sich als Wohltäter der Armen aufspielte und großen Anhang besäße.

Ich muß hier kurz etwas über die Mahdisten einflechten, jene religiöse Erhebung, die Jahrzehnte der Schrecken des Sudan war. Auch der Mahdi hatte seiner Zeit nur spärlichen Anhang gehabt, dann schwoll die Sekte an, eroberte im Januar 1885 Chartum, diesen Hauptknotenpunkt des Karawanenhandels, und konnte erst 1898 zurückgewonnen werden. Seitdem war die geheime politische Polizei allzeit scharf hinter jedem her, der nur irgendwie Verdacht erregte, ebenfalls wieder einmal „Mahdi“ spielen zu wollen. Der Polizeioffizier als Chef des geheimen Überwachungsdienstes hegte tatsächlich die Befürchtung, daß sich neuerlich eine ähnliche Aufstandsbewegung gegen die Europäer und Ägypten vorbereite.

Er hieß Ali Mansur, bekleidete nach außen hin den Rang eines Polizeimajors, war jedoch in Wahrheit zumeist nachts in Verkleidung in der Eingeborenenstadt.

Diese Vorbemerkungen mögen genügen. –

Abends elf Uhr schlenderten drei Europäer in lichtbraunem Khaki die schöne Uferpromenade am Blauen Nil entlang und bogen kurz vor dem neuen Regierungsviertel mit seinen Prunkpalästen in eine der europäischen glänzend erleuchteten Geschäftsstraßen ein, in deren Mitte die Reklamelichtfluten der Bar Zum Blauen Nil, eines imitierten „echt türkischen“ Harems von fünf Stockwerken, wie eine Orgie farbiger Raketen blitzten.

Kurz vor der Bar bog eine engere Straße ab, die vor den Resten der alten Festungsmauer Chartums endete. Teile der früheren Befestigungen hatte man stehen lassen, teils aus Pietät gegenüber Chartums blutiger Vergangenheit, teils aus Bequemlichkeit.

Die Gasse, in der wir drei uns hier befanden, enthielt zumeist Einzelhäuser mit Gärten von höheren Beamten. Sie war still und vornehm, und sie wirkte auch recht malerisch, da der Mond hinter den Ruinen der Festungsmauer stand und die Palmen lange Schatten warfen.

Harst, der zwischen Fred Steen und mir schweigend dahinschritt, hatte in den letzten zwei Nächten ohne uns nächtliche Ausflüge in passender Verkleidung unternommen und war bei diesen Nachforschungen recht erfolgreich gewesen. Er hatte zweifelsfrei festgestellt, daß im „Blauen Nil“ in dem an die Festungsmauer sich anlehnenden Seitenflügel ein sehr rühriges Gehen und Kommen vermummter Gestalten geherrscht hatte. Hauptanlaß zu diesem Eifer bildete das neuerliche Verschwinden eines reichen ägyptischen Kaufmanns, der ein kleines Vermögen bei sich getragen hatte. Er hieß Ismael Baruch und hatte im Omdurman-Hotel gewohnt. Nebenanlaß war die Erzählung des alten arabischen Hausdieners unseres Pensionats, der unter dem Siegel der Verschwiegenheit den „Wohltäter“, den niemand kannte, mit „Blansery“ bezeichnet hatte, – woher dieser seltsame Name, wußte er nicht.

Blansery?! – Wir hatten uns darüber umsonst den Kopf zerbrochen.

Als wir jetzt das Ende der Gasse erreicht hatten, holte Harst die Leine mit dem kleinen dreizinkigen Eisenhaken hervor, schleuderte den Haken über die Mauerkrone und kletterte als erster hinauf. Diese aus Schlammziegeln aufgeführte dicke Mauer war stark verwittert, und nachher konnten wir ganz bequem von Vorsprung zu Vorsprung bis in den kleinen Garten der Bar hineingelangen, der, mehr ein Hofraum, dicht mit Lastautos, Privatautos und anderen Gefährten angefüllt war.

Wir schlüpften sofort unter den Leinenplan eines Lastautos und hatten nun den Seitenflügel mit seinen kleinen vergitterten Fensterreihen und geschlossenen grünen Stabläden dicht vor uns.

Angeblich diente dieser Flügel als Wohnräume für die Angestellten, Artisten, Tänzerinnen und Musiker. Die Polizei hatte ihn wiederholt überraschend revidiert, jedoch nie etwas Verdächtiges entdeckt. Zur Zeit lag er tot und still da, – in der Bar herrschte Hochbetrieb, es waren heute zweihundert amerikanische Touristen eingetroffen, und Madame Claire Clairon, Besitzerin der vornehmen Neppbude, eine schwarzhaarige Walküre mit dem Benehmen einer Schmierenherzogin, würde die Globetrotter zweifellos gründlichst zur Ader lassen.

Während wir drei in dem finsteren Wageninnern noch geduldig die Mitternachtsstunde erwarteten, um dann in den verfänglichen Seitenflügel einzudringen, erschienen plötzlich vier Araber links von uns aus dem Eingang zum Eiskeller (Chartum hat längst eine Fabrik für künstliches Eis), – zwei trugen einen gerollten Teppich, und kaum hatten wir uns unter die im Wagen liegenden Bastmatten verkriechen können, als auch schon der Teppich auf uns herabpolterte, der Wagenmotor zu brummen begann und das Fahrzeug anruckte.

Das war nicht alles.

Bei unserer Flucht unter die Bastmatte war ich gegen einen menschlichen Körper gestoßen, und eine mir bekannte Stimme hatte in dem üblichen gezierten Tone geflüstert:

„Herr Schraut, ich bin’s, Fräulein Doktor Neugold … Ich habe mir gestattet, Herrn Harst in sorgfältiger Abwägung der mir durch mein Geschlecht gesetzten Grenzen bei seinen Ermittlungen, die mich natürlich nur vom rein psychologischen Standpunkt interessieren und die …“

… Zum Glück fiel da der schwere Teppich auf mich herab, und auch diese wenig angenehme gelehrte junge Landsmännin schien gehörig eins auf den Hut bekommen zu haben. Sie verstummte plötzlich.

Stumm war sie entschieden reizvoller als bei Entfaltung ihres gelehrt klingen sollenden Kathedergeschwafels.

Zunächst kümmerte ich mich nicht weiter um sie, denn das Lastauto verließ nun surrend und knatternd den Hof und rollte mit uns und dem Teppich weiß Gott wohin.

Teppich …!

Es war ein Teppich, aber mit Füllung, das hatte ich sofort gemerkt. Was in dem Teppich steckte, also mit eingerollt war, wog mindestens hundertdreißig Pfund und bereitete mir starkes Unbehagen. Das Verschwinden des reichen ägyptischen Kaufmanns Ismael Baruch weckte so allerlei unliebsame und ernste Gedanken bei mir, und daß Harald genau so dachte, zeigte sich jetzt bereits, während wir noch durch das Europäerviertel mit seinen großen Beleuchtungsmasten fuhren.

Plötzlich blitzte seine Taschenlampe auf.

Der geölte Leinwandplan über dem Wagenkasten erlaubte dies ohne weiteres. Harst erhob sich, beleuchtete uns kurz und sagte zu der etwas stupsnasigen gelehrten Landsmännin in mäßig gedämpftem Ton und mit noch mäßigerer Höflichkeit:

„Daß Sie mir in der verflossenen Nacht nachschlichen, war sehr unnötig, Fräulein Neugold …“

„Bitte – Fräulein Doktor…! Ich …“

„Machen Sie sich mit Ihrem Doktortitel nicht noch lächerlicher! Hier geht’s um Menschenleben, nicht um gedrechselte Phrasen …! Setzen sie sich dort in die Ecke und bedecken Sie sich mit einer Bastmatte, Sie sind uns gründlich im Wege.“

Das schlanke Mädel, das alles in allem, von ihrem Doktortitel abgesehen, nicht unübel war, gehorchte mit einer gereizten Kopfbewegung.

Fred Steen, unser langer Famulus, grinste schadenfroh …

Er konnte Fräulein Doktor schon gar nicht ausstehen, und obwohl sie zuweilen so gnädig gewesen, im Pensionat Tompson ihn einer hoheitsvollen Anrede zu würdigen, nannte er sie stets nur äußerst respektlos „aufgezäumtes Kamel“, aber er meinte es damit nicht so arg und hatte ein gutes Herz.

Nun kam der bis an die Seitenwand des Wagenkastens hinabgerutschte Teppich an die Reihe.

Er war mit Stricken umschnürt, und schon die Größe und Schwere der Teppichrolle hatte bewiesen, daß – ein uralter Trick – ein Mensch darin fortgeschafft werden sollte.

Im Nu hatten wir die Stricke gelöst. – – im Nu den Teppich aufgerollt, – was fanden wir: Einen gut gekleideten Mann, der völlig bewußtlos war, einen Europäer!

Harst braucht nie lange Zeit, einen entscheidenden Entschluß zu fassen.

„Zusammenrollen!“, befahl er leise. – „Ein paar Bastmatten mit einrollen! Schnell!“

Wir waren bereits in der Eingeborenenstadt, die Beleuchtung war hier mangelhafter, und Harst schaltete seine Lampe aus, damit nicht etwa der Begleiter des Schofförs, falls er sich einmal umdrehte, den Lichtschein unter dem Ölplan bemerkte.

Den Bewußtlosen zogen wir bis zur Vorderwand und bedeckten ihn und uns mit Bastmatten. Harst hockte dort, wo die Seite des Wagenkastens zum bequemeren Beladen und Entladen in Bodenscharnieren nach außen herabzuklappen war. Ich saß neben ihm und stützte den Ohnmächtigen, dann kam Fred und in der Ecke Beatrix Neugold. Fred Steen befand sich also unmittelbar neben seiner „Freundin“.

Harald blieb eine Weile stumm und schien feststellen zu wollen, welche Richtung wir einschlugen.

Die Stadt, selbst die ausgedehnten Vororte, lagen hinter uns.

„Ich kann nichts sehen“, raunte er mir zu. „Die Gefahr, daß wir in ein Eingeborenendorf hineingeraten, ist zu groß … Wir müssen abspringen und den Bewußtlosen mitnehmen … Schneide hinten den Leinwandplan auf … Zuerst Steen, dann die Neugold, dann ich mit dem Fremden und zuletzt du, – vorwärts!“

 

2. Kapitel.

Das weiße Armband.

Die beiden braunen Halunken da vorn auf dem Fahrersitz kümmerten sich zum Glück nicht im mindesten darum, was hinter ihnen geschah. In der Stadt mochten sie vielleicht noch nach Verfolgern ausgeschaut haben, hier draußen zwischen den künstlich bewässerten und mühsam gedüngten Feldern und Dattelpalmenhainen fuhren sie ein mäßiges Tempo die durch Nilschlamm und Steinschotter mäßig gefestigte Landstraße entlang, – jedenfalls, wir wurden nicht bemerkt und befanden uns nun mit dem Bewußtlosen gut eine Meile außerhalb der Stadt. Nirgends zeigte sich ein Gehöft, nirgends auch nur ein Hirtenfeuer. Lediglich abseits auf einem dornigen Hügel erkannten wir die Ruinen eines der früheren Außenforts von Chartum.

Fräulein Doktor, die hier in Chartum seit zwei Jahren archäologische Studien trieb, erklärte uns, die Ruinen dort böten uns ein gutes Versteck. „Man wird doch zweifellos nach uns suchen, Herr Harst, und für mich steht es einwandfrei fest, daß Madame Claire Clairon, die Besitzerin der Bar, mit dem geheimnisvollen „Blansery“, von dem unser Hausdiener so viel fabelt, in Verbindung steht und daß hier in Chartum eine großaufgezogene Verbrecherorganisation ihr Unwesen treibt. Mithin wird die Suche nach uns oder doch nach dem Fremden da mit allen Mitteln betrieben werden, und …“

„Danke … Also zu den Ruinen!“, – und Harald lud sich den Mann auf die Schultern.

Wir waren kaum von der Straße hinter einer Bodenwelle untergetaucht, als aus der Richtung, wohin das Lastauto längst entschwunden war, zwei grelle Scheinwerfer aufblitzten.

„Hinwerfen!“, befahl Harst …

Es war ein Privatauto, ein großer dunkler Wagen … Am Steuer saß eine vermummte Gestalt, – wie ein Blitz fegte das Auto vorüber … Die Nummer war nicht zu erkennen. Es konnte jedoch ein Fordwagen gewesen sein.

Nun, – in Chartum gab es mindestens dreihundert Privatwagen, und ob dieser wahnwitzige Fahrer irgend etwas mit uns zu tun hatte, blieb sehr fraglich.

Anders freilich verhielt es sich mit den beiden hinter ihm auftauchenden Lastautos und sechs Motorradlern, die die Straßenränder und die Straße selbst nach Spuren absuchten.

Harst war flink genug, noch vor dem Nahen dieser Kolonne unsere Fährten gründlich zu verwischen, trotzdem warteten wir die Entscheidung, ob unsere Spuren bemerkt werden würden, nicht ab, sondern eilten hinter dürftigen Anpflanzungen den Ruinen zu, wo Beatrix Neugold dann die Führerin spielte. Sie kannte all diese Plätze, an denen vielleicht wichtige Funde für ihr Werk über das alte Chartum zu machen waren, sehr gut, und zu unserem Erstaunen geleitete sie uns in ein gut erhaltenes Gewölbe, dessen verschütteter Eingang sich leicht durch ein paar Mauertrümmer hätte verschließen lassen. Dann erbot sie sich ganz von selbst, auf Umwegen zur Stadt zurückzukehren und das Auto des Pensionats auf einen Seitenweg zu bringen, damit auch der Bewußtlose, der sich jetzt ein wenig regte, unauffällig in die Stadt geschafft werden könnte.

Wie gesagt, Beatrix Neugold war intelligent, und sie hatte Harsts Absichten und Wünsche so halb und halb erraten. Er drückte ihr denn auch zum ersten Male herzlich die Hand und meinte, er wolle den Fremden auf jeden Fall irgendwo verbergen, am besten in der Nähe der Pension Tompson, vielleicht auf einem der nicht mehr benutztem Wohnboote auf dem Nil.

„Ich werde alles ordnen“, erklärte Beatrix sehr selbstsicher und entfernte sich.

Die Kolonne der Spurensucher war längst weitergezogen.

Wir mußten uns jetzt um den Fremden kümmern, einen Mann von vielleicht vierzig Jahren, wahrscheinlich einen der amerikanischen Globetrotter, – er erwachte allmählich, blinzelte uns verständnislos an und lallte dann in unverfälschtem Newyorker Englisch:

„Wo bin ich?!“

„In Sicherheit“, beruhigte Harst ihn. „Liegen Sie ganz still … Sie sind irgendwie betäubt worden …“

Der recht stämmig gebaute Patient schnitt eine wütende Grimasse. „Durch ein Teufelszeug, das sich Sekt nannte … In einem separierten Zimmer … von einem Weibe, das fabelhaft aussah, bildschön …“

„In der Bar Zum Blauen Nil, nicht wahr?“

„Bar?! Nein, es handelte sich um die kleine Weinkneipe neben der Bar, wo es so vorzügliches Essen gibt.“

„Ah so, Restaurant Elite, – ich weiß Bescheid“, nickte Harald harmlos, aber in Wirklichkeit war er über diese Auskunft sehr betroffen, das merkte ich ihm gleich an.

Der Amerikaner nannte jetzt auch seinen Namen, Percy Wendnor, Kaufmann, Newyork, – Leder engros.

Plötzlich schien er sich dann auf etwas Besonderes zu besinnen, riß seine Brieftasche aus der Leinenjacke, fluchte wie ein Narr, – denn die nette runde Summe, die man ihm gestohlen hatte, schaffte er dadurch nicht wieder herbei.

Er entpuppte sich als ziemlich rüder Patron, und wir glaubten es ihm ohne weiteres, daß er zwar zu der Cook’schen Reisegesellschaft gehöre, aber sich an niemanden seiner Landsleute angeschlossen und auch Privatquartier bezogen habe.

„Wo?“, erkundigte sich Harst trotzdem sehr freundlich.

„Bei Madame Clairon, Hotel Clairon …“

„Ah so!“

Madame Claire Clairon besaß noch neben der Bar in einer Seitengasse ein winziges Hotel, allerdings mit allem Luxus ausgestattet.

Wendnor schimpfte noch immer über den Verlust seiner zehntausend Dollar. – Man sagt ja, Schimpfen sei gesund, aber diese volkstümliche Redensart versteht unter Schimpfen eine mehr harmlosere Art, seinem Herzen einmal ordentlich Luft zu machen. Mr. Percy Wendnors Wortschwall erregte Widerwillen. Und damit wurde es noch schlimmer, als er nach abermaligem Überprüfen des Inhalts seiner Brieftasche verschiedene geschäftliche Schreiben vermißte, über deren Inhalt er sich nicht weiter äußern wollte. Er war kein angenehmer Mensch, dieser Wendnor, und daß er mancherlei zu verheimlichen hatte, war jetzt schon so gut wie erwiesen.

Harst besaß in solchen Fällen eine Engelsgeduld. Er ließ Wendnor toben, tröstete ihn, versprach ihm Wiederherbeischaffung der geraubten Werte und nannte schließlich auch unsere Namen.

Wendnor horchte auf.

„Harst? Der Privatdetektiv? – So … so …! Nun, einerseits kommen Sie mir sehr gelegen, anderseits liebe ich keine Schnüffler.“

„Danke“, erklärte Harald kühl. „Mir genügt es, wenn ich Ihnen „einerseits“ gelegen komme. – Wer war die Frau, die Sie zu dem Sektgelage eingeladen hatten? Eine Animierschönheit etwa?“

„Nein … Es war eine Dame, unbedingt. Ihren Namen nannte sie nicht … Sie behauptete, nur vorübergehend in Chartum zu weilen.“ – Wendnor, der nun wieder völlig Herr seiner Sinne war, wurde plötzlich sehr nachdenklich. „Mr. Harst, vorhin, als ich bereits halb erwacht war, muß noch eine Person hier in diesem Keller gewesen sein. Jetzt erinnere ich mich, – ich hörte eine Frau sprechen … Und je klarer mir’s im Kopfe wird, desto überzeugter bin ich, daß die Frau hier genau dieselbe Stimme hatte wie meine verd… Diebin … Es war ein angenehmes, weiches Organ, nur sehr geziert …“

Harst, der neben Wendnor auf dem Ziegelboden hockte, richtete den Schein der kleinen Blendlaterne mehr zur Seite, damit sein Gesicht im Schatten läge. Er war über diese Äußerung Wendnors genau so überrascht wie Fred und ich.

„War die Dame aus dem Separatzimmer stark geschminkt und hellblond?“, fragte er sichtlich gespannt.

„Ja, das stimmt. Ich lernte sie im Hotelvorraum kennen, wo sie Zeitungen las … Ich betone nochmals: Eine Dame, – aber eine Hochstaplerin. Sie verstand sehr graziös zu plaudern. Dann schwanden mir plötzlich die Sinne, und …“

„Danke, Mr. Wendnor. Bemerkten Sie an ihr irgend etwas Besonderes? Hatte sie etwas volle Lippen?“

„Ja. – Besonderes aber?! Sie trug sehr viele kostbare Armbänder, eins davon war aus einem fast weißen Metall hergestellt in Form einer Schlange mit zwei großen wasserklaren Diamanten als Augen und einen dritten ebensolchen Stein als Krönlein mitten auf dem Kopf … Im übrigen war sie fabelhaft angezogen und ein Leckerbissen für jeden Mann …“

Fred raunte mir zu: „Ein Leckerbissen, der Dollars frißt!! Dieser Dummkopf!!“

Aber Fred Steens vorlauter Mund traf in Bezug auf Wendnor sehr daneben. Der Amerikaner war kein Dummkopf. Als Harst ihm nun auseinandersetzte, daß man ihn habe verschleppen wollen, und daß es zur Klärung der Angelegenheit unbedingt notwendig sei, die Entführer Wendnors darüber im unklaren zu lassen, wo er geblieben sei, willigte der Lederhändler engros sofort ein.

Dann erschien draußen in den Ruinen Fräulein Neugold, – allerdings nicht als rankes, schlankes Fräulein Doktor, sondern erstaunlich gut verkleidet. Sie glich durchaus einem jüngeren Eingeborenen und hatte sogar einen Hängeschnurrbart angeklebt. Dazu trug sie eine Autobrille, die sie völlig unkenntlich machte. Sie winkte mir, blieb draußen, führte uns dann schweigend zu der Nebenstraße, wo das Auto hielt. Wendnor kümmerte sich nicht weiter um sie, und auch während der Fahrt zur Stadt, wo er unten am Boden sitzen mußte, um von den noch immer umherschwärmenden Motorradlern nicht gesehen zu werden, hatte er keine Gelegenheit, unseren „Schofför“ zu beachten.

Gegen zwei Uhr morgens war Wendnor in einem Hausboot unweit des Pensionats Tompson sicher untergebracht.

Beatrix Neugold fuhr das Auto in die Garage zurück, wo sie es heimlich herausgeholt hatte, und ließ sich nicht mehr sehen. In aller Stille versorgten wir den Amerikaner mit Decken, Lebensmitteln, Zigarren, Lampe und Büchern, wobei uns sehr zustatten kam, daß das Haus der Witwe Tompson so weit außerhalb der Stadt in einem bis zum Flusse sich hinabziehenden Wäldchen lag und zur Zeit wenig besetzt war. Wir selbst bewohnten drei Erdgeschoßzimmer nach dem Nil zu, vier Türen weiter wohnte Beatrix Neugold, die eifrige Archäologin.

 

3. Kapitel.

Der Kunstschütze Bill Tott.

Was ich von Beatrix hielt, mochte ich selbst Harald nicht mitteilen. Meine Vermutungen konnten falsch sein. Niemand blamiert sich gern.

Wir kamen auch gar nicht dazu, das Geschehene zu erörtern, da Harst eine fabelhafte Rührigkeit an den Tag legte.

„Umziehen!“, befahl er in seinem Zimmer. „Fred bleibt hier … Fred, Sie erzählen Frau Tompson, Schraut und ich wären nach der Oase Darka hinübergeritten und kämen erst morgen zurück …“

Um vier Uhr – der Morgen graute bereits – schlichen wir durch den üppigen Vorgarten davon und schlugen den Weg nach der Stadt ein.

Im Orient ist es nicht schwer, sich so gründlich zu verwandeln, daß man sich selbst kaum wiedererkennt. Unsere Kostüme waren goldecht und mittelmäßig schäbig, dabei unauffällig … Nicht einmal die Herren Polizisten schenkten uns einen Blick. Braune Kerle mit Traglasten liefen hier zu Tausenden umher. Am Hafen mieteten wir ein Maultierwägelchen, dessen uralter Besitzer durch den Anblick der vielen Geldstücke vor Freuden ganz aus dem Häuschen geriet und uns aufs Wort glaubte, wir seien Amerikaner, die in ihrer Verkleidung das Leben und Treiben in den Wüstendörfern draußen recht gründlich studieren wollten. Er schwor bei Allah und sämtlichen Propheten, uns nicht zu verraten und uns nach Kräften beizustehen. Geld ist noch immer das einzig prompt wirkende Verständigungsmittel.

Der Maultierkarren gondelte dieselbe Straße hinab, die vor Stunden das Lastauto benutzt hatte. Harst hatte eine Karte von Chartum und Umgebung auf den Knien, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß niemand hinter uns her war (er gab zu, daß er hierbei an Beatrix Neugold dachte), hatte er nur noch Augen für die Umgebung und für die verschiedenen Motorradler, die offenbar noch immer auf höheren Befehl nach Spuren suchten. Diese Radler waren sämtlich gut gekleidete Eingeborene.

Als wir uns der Stelle näherten, wo rechts vom Wege die Ruinen des Außenforts auf dem Hügel im Frühsonnenschein von blutigen Kämpfen träumten – General Gordon hatte Chartum vom März l884 bis Januar 1885 tapfer verteidigt und fand selbst den Tod –, sahen wir ein kleines Auto vor uns halten und neben den Ruinen einen Europäer, der tief gebückt unsere Fährten verfolgte.

Harst zog schnell sein Glas unter dem fleckigen Kittel hervor und musterte den Europäer scharf.

Ich sah, wie seine Augenbrauen sich erstaunt hoben.

„Es ist Bill Tott, mein Alter“, flüsterte er schnell. „Der Kunstschütze, der Liebling aller entnervten Weiber … Wir haben ihn zweimal auf der Bühne bewundert. Was tut er hier?!“

Inzwischen war der Cowboy in den Ruinen verschwunden. Das leere kleine Privatauto war sein Eigentum. Wir erkannten es schon an den protzigen Reklamemalereien auf den Wagentüren.

Harst befahl unserem alten Kutscher, in ein Gebüsch neben der Straße einzubiegen.

Wir waren hier gut gedeckt, wir blieben im Wagen sitzen und warteten. Bill Tott erschien nicht wieder. Nur fünf fragwürdige Burschen schlüpften plötzlich aus den Ruinen ins Freie und verschwanden nach Süden zu, wo die neuen Plantagen unweit des Ufers des Weißen Nil mit zum Teil recht imposanten Gebäuden die Eintönigkeit des Landschaftsbildes angenehm belebten.

Harst hatte sich auf den Wagensitz gestellt und verfolgte die fünf mit dem Glase. Endlose Minuten verstrichen wieder. Unser Karrenbesitzer war eingeschlafen und schnarchte fürchterlich.

„Warte hier!“, rief Harald leise.

Er sprang hinaus und lief tief gebückt davon.

Ich ahnte bereits, daß dort in den Ruinen irgendwie eine neue Verwicklung eingetreten sei. Diesmal gehorchte ich nicht, ich ließ Harst einigen Vorsprung und eilte dann hinterdrein.

Als ich über den Ziegelschutt und durch die Dornen der Ruinen kletterte, gewahrte ich eine bekannte Gestalt, duckte mich und ließ die sich leise Davonschleichende dicht heran.

Es war Beatrix Neugold, die noch dieselbe Verkleidung trug. Sie hatte Gesicht und Hände braun gefärbt, und als ich sie packte, hielt sie mir plötzlich eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer vor die Nase.

„Lassen Sie mich los!“, zischte sie.

Sie hatte mich doch erkannt, sie hatte deutsch gesprochen.

Ich hielt fest.

„Was treiben Sie hier, Fräulein Neugold?!“

Ihre Augen sprühten vor Erregung.

„Das geht Sie gar nichts an …! Lassen Sie mich los …!“

Urplötzlich stand Harst neben uns.

„Ah – unsere Pensionsfreundin!! Sie auch hier?! Weshalb haben Sie Bill Totts Stricke nicht zerschnitten, Fräulein Neugold? Man hat den Kunstschützen niedergeschlagen, und Sie wissen das. Er liegt in demselben alten Keller, in den Sie uns vor Stunden geleiteten, was sehr liebenswürdig von Ihnen war, – – oder sehr schlau – – oder sehr töricht, wie man’s auffassen will. Reden Sie! Weshalb befreiten Sie Tott nicht?!“

Das Mädchen lächelte plötzlich. „Ich wollte Hilfe herbeiholen, Herr Harst … Legen Sie mir doch nicht jede Kleinigkeit zum Schlechten aus …“

Harst schwieg, kehrte um und verschwand wieder in der halb verschütteten Öffnung. Dann erschien er mit dem bewußtlosen Tott auf dem Rücken und sagte schroffen Tones zu Beatrix Neugold:

„Sie werden Tott in seinem Auto nach der Bar bringen, – oder nein, er wohnt ja im Hotel Elite der Madame Clairon. Dort liefern Sie ihn ab. Sie werden erklären, er sei zufällig gestürzt … Kommen Sie mit!“

Beatrix warf den Kopf in den Nacken. „Und wenn ich mich weigere?!“

Harst blickte sie kalt an. „Dann wird Major Ali Mansur sich für Sie sehr lebhaft interessieren und Ihnen Freiquartier gewähren! Glauben Sie nicht, daß Sie aus Chartum entwischen können. Ali Mansur ist hinter einem gewissen geheimnisvollen Wohltäter her, der Blansery genannt wird, – das wissen Sie … Es sollte mich nicht wundern, wenn Blansery … ein Weib wäre … Der verrückte Name Blansery ist vielleicht …“ er sprach ganz langsam – „nur eine Verhunzung der beiden Worte Blanche Serpent, Weiße Schlange …! – Ah, – wirkt das so stark auf Sie, Fräulein Neugold?!“

Sie war aschfahl geworden, und ebenso jäh schlug sie beide Hände vor das Gesicht und wollte uns ihre Tränen nicht sehen lassen, wandte sich zur Seite und hauchte nur tonlos:

„Ich … werde … gehorchen …“

Wir schritten dem Gebüsch zu, wo unser Karren stand.

Zum Glück achtete niemand auf uns. Wir waren auch durch Bäume einigermaßen geschützt. Bill Tott, der über seinem Cowboykostüm einen ganz leichten Staubmantel trug, kam wieder zu sich, als wir den Karren fast erreicht hatten. Unser Kutscher schlief noch.

Der Kunstschütze, der quer über dem Kopfe eine blutrünstige dicke Schwellung hatte, war ein Kerl mit eisernen Nerven.

Er schaute uns drei zunächst fragend an, dann sagte er nur: „Die Schufte kamen von hinten! Von vorn traut sich so leicht niemand an mich heran … Ich werde in die Stadt zurückfahren. Ich danke Ihnen, meine Herren … Sie sind zweifellos verkleidete Polizisten … Aber ich kann Ihnen nichts weiter angeben, als daß ich mir die Ruinen dort aus der Nähe beschauen wollte … Von meinen Angreifern habe ich nichts gesehen. Leben Sie wohl, und machen Sie von der Sache weiter kein Aufhebens …“

Stramm und eilig entfernte er sich. Er war ein besonderer Typ von Mann … Er mußte eine Pferdenatur haben.

Sein Auto wendete und verschwand in einer Staubwolke nach Chartum zu. Es war inzwischen völlig hell geworden, und nur gerade das war dunkel geblieben, was ich so gern festgestellt hätte: Ob Beatrix Neugold irgendwie mit Blanche Serpent etwas zu tun hätte.

Harald schien für das Mädchen sehr wenig Sympathie zu besitzen. In demselben schroffen Tone befahl er ihr, vorläufig im Pensionat zu bleiben.

„Ihr Motorrad werden Sie wohl in der Nähe versteckt haben … Ich warne Sie!! Die Geheimpolizei ist hier sehr rücksichtslos, und den Gedanken an Flucht geben Sie auf. Wir sprechen uns noch!“

Wortlos ging sie in der Richtung der Ruinen davon.

Einige Minuten später sauste sie auf ihrer schweren Maschine zur Stadt. Harst behielt sie mit dem Fernglas im Auge, bis sie hinter den ersten Häuserreihen verschwunden war.

 

4. Kapitel.

Die Armee der weißen Schlange.

… Unser Kutscher schlief. Die beiden Maultiere beknabberten die Büsche.

„Setzen wir uns, mein Alter“, sagte Harald nachdenklich. „Ich muß bei einer Zigarette etwas Ordnung in das Chaos meiner Gedanken bringen. – Bitte, bediene dich … Hier ist Feuer … – Wir haben hier ja unversehens in ein nettes Wespennest hineingefaßt … Wir wollten uns hier ausruhen, – und dann kam Pieter van Laarsen mit seinen aufreizenden Geschichten, dann kam Ali Mansur und schüttete uns sein bekümmertes Beamtenherz aus, daß er den „Wohltäter“ nicht fassen könnte, dann plauderte unser alter Hausdiener von dem geheimnisvollen Blansery, wobei er sich mit dem verhunzten Namen fast die Zunge zerbrach, dann besuchten wir verschiedentlich die Bar, die mir von vornherein eine allzu glänzende Fassade hatte, – – und in der vorletzten Nacht schlich mir noch bei meinen vorsichtigen Streifzügen die gelehrte Beatrix nach, während in der Nacht vorher wieder Ismael Baruch „abgängig wurde“ als einer der vielen, – und somit nahmen die Dinge jene Wendung für uns drei, die – gib acht – zunächst wohl die Verwirrung verstärkte, dann aber urplötzlich Licht brachte, zumindest zwei kleine Lichtstrahlen.“

Er lächelte fein.

„Du wirst denken, mein Alter, ich rede jetzt ähnlich wie Beatrix Neugold, Doktor der Philosophie …: Schwulst! – Vielleicht mit Absicht. Beatrix sollte nicht Neugold sondern Reugeld heißen … Sie wird bitteres Reugeld bezahlen müssen für ihre Torheiten. Doch ich will nicht abschweifen. Betrachten wir das Geschehene ganz kühl kritisch …“

Er lächelte nicht mehr.

„Es geht um sehr ernste Dinge … Menschen verschwinden hier seit zwei Jahren, zumeist reiche Leute ohne Anhang, ohne Freunde. Im Eingeborenenviertel spukt nachts ein Wesen herum, das den Allerärmsten hilft, das großen Anhang gewinnt … Ein Name geht flüsternd von Mund zu Mund: Blansery! Niemand weiß mit diesem Namen etwas anzufangen. Die Polizei ist besorgt und ratlos. Wir drei gehen zu Taten über. Wir klettern – ein blinder Zufall – gerade in das Lastauto, in dem auch Beatrix kauert … Ein Teppich und ein betäubter Amerikaner fliegen in den Wagenkasten. Wir verlassen das Auto hier in nächster Nähe, Beatrix führt uns in das Gewölbe der Ruinen. Wir bringen Wendnor, den Ausgeplünderten, auf das Hausboot. Er erzählt von dem Armband, von der weißen Schlange. – Und da kam der erste Lichtstrahl: Ich wußte, was Blansery heißen sollte, Blanche Serpent, die weiße Schlange, – von den Eingeborenen in üblicher Weise verhunzt, wie sie es mit allen Fremdwörtern tun – … Wir beide kehren hierher zurück, und der nächste Mitspieler der Tragödie ist der Abgott aller entnervten Weiber: Bill Tott, der Kunstschütze! Er wird niedergeschlagen, gefesselt, geknebelt, und fünf braune Kerle enteilen gen Süden. Mein Fernrohr hält sie fest, ich sehe, wo sie verschwinden: Der zweite Lichtblick! – Bill Tott ist verdächtig schweigsam, Beatrix ist auch wieder da, – und hier beginnt das Dunkel von neuem, denn wir erinnern uns, wie Wendnor erklärte, er hätte Beatrix Stimme als die seiner eleganten geschminkten hellblonden Hochstaplerin wiedererkannt! – Was sollen wir von dem Fräulein Doktor halten. Sie ist genau zwei Jahre hier ansässig, ihre beiden Erdgeschoßzimmer erlauben ihr, nachts heimlich davonzuschlüpfen … Sie kennt Chartum und ihre Umgebung wie ihre Tasche – wie die Tasche ihres Sportrocks. Sie spielt Theater, grob gesagt, sie tut, als ginge ihr die exakte reine Wissenschaft über alles, und – – sie schleicht mir nach, sie liegt in einem Wagenkasten, sie ist mit ihrem Motorrad abermals in der Nähe, als Bill Tott niedergeschlagen wird. – Äußere dich, was hältst du von ihr?“

„Geschminkt und gepudert könnte sie in großer Toilette recht gut einen verführerischen Lockvogel abgeben.“

„Ist das alles? Ist sie die weiße Schlange, – ja oder nein?!“

Ich zögerte.

„… Ich möchte es bejahen, Harald.“

„Ich auch – vorläufig … – Ich habe sie nun auf die Probe gestellt … Ich habe ihr vorgelogen, sie würde polizeilich überwacht. Das stimmt nicht, obwohl sie einen Wächter hat, der entschieden mehr wert ist: Fred! Du kennst die Befehle, die ich ihm gab … Ohne ihr Gepäck kann sie nicht fliehen, sie wird es auch nicht wagen, etwa sofort zu entwischen, sie wird zunächst zum Pensionat zurückkehren und dann abwarten, ob die Luft rein und die Gelegenheit günstig ist … Fred ist als Verfolger nicht abzuschütteln. Warten auch wir ab. – Und das Ergebnis des Bisherigen? Nun, der Wohltäter Blansery, der ewig dicht Vermummte, ist ein Weib … Beatrix kann es sein. Beatrix kann zuerst im Separee des Hotels Elite den Amerikaner ausgeplündert und dann in anderem Kostüm den Abtransport Wendnors mitgemacht haben – im Wagenkasten. Wir verdarben ihr den Spaß. Wir haben festzustellen, ob Beatrix der Lockvogel aus dem Elite und … eine gewissenlose Mörderin ist. Wir haben festzustellen, weshalb der ausgeplünderte Wendnor nicht angeben wolle, was ihm noch an Papieren entwendet ist, und weshalb Bill Tott genau so verschlossen war. Wir haben zu ermitteln, ob die Plantage dort im Süden, wo ich die fünf Banditen verschwinden sah, etwa das geheime Hauptquartier der weißen Schlange ist und ob von dort dieses Massenaufgebot von Autos und Motorradlern zur Suche nach Wendnor abgeschickt wurde. – Ja, das sind unsere nächsten Aufgaben. Außerdem werde ich für alle Fälle jetzt unseren schlafenden Kutscher wachrütteln und ihn mit einem Briefe an Major Ali Mansur zur Stadt zurückschicken.“

Er begann zu schreiben. Er hatte Papier und Umschläge bei sich, und der Brief, vorsichtshalber in einer Geheimschrift abgefaßt, die der Beamte als Sachkenner unschwer entziffern konnte, wurde dem alten Araber mit einem so reichen Trinkgeld übergeben, daß wir hoffen durften, er würde seinen Auftrag genau und diskret erledigen.

Der Maultierwagen rumpelte davon.

Wir blickten ihm nach.

Harst schien trotz allem mit einer Teufelei zu rechnen und hatte wieder sein Glas an den Augen.

Plötzlich trat er einen Schritt vor und stellte sich auf einen Baumstumpf!

„Ein Auto, Schraut …! Eine einzelne Person darin …!! Nicht zu erkennen, – – zu weit … Sie hält den Alten an … Er sucht in seinem Kittel … – Schraut, – – der Brief!! Das Auto rast davon, zur Stadt, und der Maultierwagen hat es genau so eilig … Den Brief hat die weiße Schlange geschnappt, und wenn wir es nicht sehr schlau anfangen, gebe ich für unser Leben keinen Pfifferling mehr – – keinen!!“

– Zwei schäbige Eingeborene mit Traglasten schlichen durch Dornen und Gestrüpp und hatten ihre Waffen entsichert …

Am Ufer des Weißen Nil lag in einer Bucht im Röhricht ein einsamer Kahn …

Als die beiden müden Wanderer kaum fünfzig Meter gerudert hatten, zischte und pfiff es um sie her wie Hagelgeschosse …

Lautlose Schüsse knallten aus dem Uferwalde, und der Kahn flüchtete schleunigst wieder in das Röhricht.

– Harst hatte recht behalten.

Es ging um unser Leben …

Die Brut der weißen Schlange hatte tausend Augen.

 

5. Kapitel.

Die Plantage Ganderlay.

Die hohen, dichten Schilfstengel deckten uns. Harst wischte sich ein paar Blutstropfen vom Ohrläppchen …

„Halbe Zivilisation, mein Alter … In Chartum Prunkpaläste, hier offenes Brigantentum! Kerle mit Pistolen mit modernstem Schalldämpfer, Spione überall, – wie sollen wir entwischen?! In einer Stunde werden uns die Krokodile zum Frühstück verzehren … Wenn nur ein Dampfer oder ein Motorboot käme! Aber der Fluß ist leer, und die Fahrrinne läuft am anderen Ufer entlang …“

Was hier auf unserer Uferseite geschah, konnten wir nicht sehen.

Wir hörten vereinzelte Rufe, dann ganz fern das Knattern eines Bootsmotors, – – eines zweiten …

„Treibjagd!!“, meinte Harald bitter. „Viele Hunde sind hier der Wölfe Tod! – – Hallo, – – was soll das?! Ist das Hinterlist? Dort – – quer über den Strom schießt ein kleines Boot … Der Araber winkt. Ein ganz alter weißbärtiger Kerl … Wie kommt der zu einem so flinken Flitzer …?! – Vorsicht … Ich traue dem Frieden nicht …“

Mehrmals winkte der Weißbart …

Und dann hob er plötzlich einen Karabiner empor, steuerte nur noch mit der linken Hand, feuerte im Fahren – nur mit einer Hand, jedoch nicht auf uns …

„Plomp – plomp – plomp“, kam der Knall der Schüsse leise wie Trommelschläge auf ein Stück Eisenblech herüber …

Hinter uns irgendwo am Ufer ein paar wilde Schreie …

Dann war das Boot neben uns. Der Weißbart winkte wieder …

Wir kletterten hinüber, warfen unsere Traglasten hinein.

Es war ein Stahlboot, offen, aber mit riesenstarkem Motor.

Wir duckten uns …

Bleierne Geschosse klatschten gegen die Bordwände, und der alte Araber rutschte gleichfalls tiefer, kniete halb, fingerte am Motor, – ein paar Vergaserexplosionen, und das Boot tat einen förmlichen Sprung … Es raste stromab, die Stadt Omdurman, die einst als Ersatz für das zerstörte Chartum angelegt worden, kam in Sicht, das Boot schoß ins Schilf, und der Araber winkte herrisch …

Wir sollten aussteigen …

Wir befanden uns hier hinter einer bewaldeten Halbinsel, und eine bescheidene, felsige Hügelkette zog sich von hier weit in die bebauten Felder der verdächtigen Plantage hinein.

Kaum waren wir beide an Land, und unsere echt nubischen Tragkörbe aus Nilweidengeflecht hinter uns her in ein Gestrüpp geflogen, als der Weißbart mit seinem Stahlboot wieder davonraste. Der Aufenthalt hier hinter der Halbinsel hatte keine zwei Minuten gedauert. Ich war überhaupt nicht recht zur Besinnung gekommen, ich hatte nicht einmal den Bootsbesitzer genau ins Auge fassen können, ich hatte jetzt erst recht keine Zeit, mir über diesen stummen Retter Gedanken zu machen, denn Harald packte schon sein Ledersäckchen und verschwand zwischen den großen Steinen der Hügelkette. Er trabte, und mir blieb nichts anderes übrig, als auch selbst im Geschwindigkeitsschritt ihm zu folgen.

Wir fanden nach Minuten ein Gestrüpp, in dem mein schweigsamer Freund, dem sicherlich dieselben Fragen wie mir durch den Kopf gingen, eiligst mit einem vollkommenen Wechsel seiner bisherigen Maske begann, wobei er die allergrößte Sorgfalt auf Kleinigkeiten verwandte.

Da wir wie immer alles Nötige mit uns trugen, konnten wir, selbst für mißtrauische Augen durchaus echt wirkend, nach Verlauf einer Stunde als bettelnde heilige Marabuts (mohammedanische Einsiedler), von denen in Chartum und Omdurman übergenug zu sehen waren, einzeln den Weg nach den Plantagengebäuden einschlagen, jetzt nur mit dem üblichen Ledersäckchen auf dem Rücken und einem frisch geschnittenen Stecken in der Hand, denen wir in Wasserpfützen die nötige Alterspatina oder Schmutzkruste verliehen hatten.

Es war wieder einmal überaus kennzeichnend für Harald, daß er erst kurz bevor wir uns trennten, beiläufig bemerkte:

„Unser Retter war natürlich Bill Tott … Der Mann stellt demselben Wilde nach wie wir, nur mit kostspieligeren Mitteln. Wir gehen einen schweren Gang, Max Schraut, dennoch nehme ich dieses Risiko auf mich … Bleibe eine halbe Stunde hinter mir, sollte mir etwas zustoßen, so werde ich hoffentlich noch Zeit finden, das vereinbarte Warnungssignal zu geben. Dann mußt du schleunigst Ali Mansur benachrichtigen. Im übrigen rechne ich schlimmsten Falles noch mit anderer Hilfe.“

Dann schritt er davon. – –

Die Plantage Ganderlay, vielleicht die größte, modernste und bestverwalteste bei Chartum, war Eigentum der Witwe eines englischen Obersten Edward Ganderlay, der sehr bald nach dem Wiederaufbau Chartums mit zäher Energie weite Strecken unfruchtbaren Wüstenbodens dem Anbau von Getreide, Dattelpalmen und sogar Kaffeesträuchern erschlossen hatte. Das gesamte Gelände lag tiefer als der Weiße Nil, hohe Dämme mit Schleusen ließen gerade nur soviel Feuchtigkeit in die Bewässerungsgräben, daß selbst die größte Hitze den als fruchtbare Schicht aufgetragenen Nilschlamm, der durch Bagger gehoben wurde, nicht verkrusten konnte. Wir hatten diese Musterwirtschaft bereits vor Tagen ohne jeden Nebengedanken besucht, und uns war bekannt, daß Frau Mildred Ganderlay, heute eine hohe Siebzigerin, die nur noch im Rollstuhl gefahren wurde, die Aufsicht über ihren Besitz einem jungen, sehr tatkräftigen Neffen, den sie adoptiert hatte, überlassen mußte. Dieser Allan Ganderlay ließ sich in Chartum sehr selten sehen, er sollte in seiner Arbeit so völlig aufgehen, daß er für nichts anderes Interesse zeigte. Wir hatten ihn einmal zu Gesicht bekommen: Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit tief gebräuntem Gesicht und schwarzem Haar, bartlos, scharfe Züge, Alter unbestimmbar.

An diesem Vormittag saßen auf der überdachten Veranda des Wohngebäudes, die nach Norden zu unter hohen Palmen lag, Tante und Neffe nebeneinander beim zweiten Imbiß. Die weißhaarige, krankhaft bleiche Matrone mit dem faltendurchfurchten Gesicht, dem verschüchterten Ausdruck in den unnatürlich glänzenden Augen und der nervösen Zerfahrenheit eines siechen Körpers bildete zu ihres Neffen strotzender, fast brutaler Kraftfülle einen wehmütigen Kontrast.

Die Greisin rührte die Speisen kaum an. Als die beiden aufwartenden Diener sich entfernt hatten, richtete Frau Ganderlay die merkwürdig schillernden Augen flehend auf ihren Neffen.

„Allan, bitte … bitte …“, hauchte sie nur …

Der junge Mann blickte über den tadellos gepflegten Garten hin und nagte finster die Unterlippe.

Über den beiden surrten zwei Ventilatoren …

Aus den Feldern tönte der Lärm eines Motorpfluges herüber.

„Allan, – – sei barmherzig …!“, bat die Greisin nochmals.

Der Garten lag tot und still da, ebenso der benachbarte Wirtschaftshof … Die Hunde hatten sich in ihre Hütten verkrochen, nur zu Füßen Allans hatte sich ein muskulöser echter Terrier mit dreifarbigem Fell soeben schnuppernd aufrecht gesetzt.

Das kluge Tier führte den ungewöhnlichen Namen Minz.

Allan beobachtete ihn. Minz war vor drei Jahren mit seinem Herrn nach Chartum gekommen, und der energische Allan wurde nie ohne diesen bissigen Begleiter und dessen intimsten Freund, den zahmen Pavian „Mister“ gesehen. Der Affe Mister hockte oben auf einem Balken unter dem Verandadach.

„Was hast du, Minz?!“

Allans Augen überflogen den Garten. Drei Fontänen rauschten dort ganz sanft …

Die Greisin streckte die zitternde Hand aus.

„Allan, du bist grausam …“

In den beiden Zimmern, deren Fenster und Türen auf die Veranda hinausgingen, glitten zwei Schatten über die bunten feinen Bastteppiche. Nur ein Fenster stand offen.

Harald hatte mich entgegen unserer ursprünglichen Verabredung erwartet gehabt und das Terrain bereits sorgfältig erkundet. Wir hatten unbemerkt eine Seitentreppe erklommen und befanden uns nun mitten in der Höhle des Löwen.

„Ich habe nichts mehr“, sagte Allan mit seiner tiefen schroffen Stimme, die stets etwas heiser klang.

Die alte Frau in dem kostbaren Seidenkleid richtete sich in ihrem Krankenstuhl ein wenig auf.

„Du willst nicht!“, stieß sie zornig hervor …

„Nein, – ich will nicht.“

„Und weshalb nicht?!“

„Weil ich es nicht länger verantworten kann, – deshalb!“

Der Terrier schnupperte noch immer mit vorgereckter Nase, schoß dann plötzlich in eine Ecke der Veranda hinter ein Büchergestell, – ein jämmerliches Quieken folgte und eine der übergroßen Wasserratten bezahlte ihre Keckheit mit dem Leben.

Allan lachte. „Brav so, Minz“, lobte er.

Sein braunes Gesicht wurde sofort wieder streng und finster. Er beobachtete die Greisin aus verkniffenen Augen und schob ihr dann wortlos ein Papierstückchen hin.

„Da, – – aber halte Haus damit …“

Die Plantagenbesitzerin, dieses bemitleidenswerte Menschenwrack, griff mit gichtverkrümmten Fingern wie ein Habicht nach dem Papiertütchen.

Harst zog mich von den Fenstervorhängen in die Dämmerung des Zimmers zurück und strebte dem Ausgang zu. Die Treppe führte in den Wirtschaftshof. Der Hof war leer wie vorhin, und wir schlichen davon, die ersten Bäume deckten uns, und hier trennten wir uns, da in den Feldern gearbeitet wurde.

Eine Viertelstunde später trafen wir uns in den kahlen Hügeln, wollten nun unsere Tragkörbe aus dem Versteck hervorholen und drangen in das dornige Gestrüpp ein.

Die Tragkörbe standen noch da, aber die Gestalt, die urplötzlich aus dem Boden wuchs, mißfiel uns.

Bill Tott, in jeder Hand eine seine berühmten Pistolen, trug noch die Verkleidung von vorhin. Auf den Mündungen der Waffen steckten seltsame Zylinder, die Bill auch auf der Bühne benutzte, wenn er auf zwanzig Meter mit achtzehn Schüssen achtzehn kleine Möweneier wegputzte.

Jetzt ließ er die Maske fallen.

„Setzen Sie sich …! So geht das nicht weiter, Mr. Harst. Wir müssen so oder so zu einer Verständigung gelangen. Sie beide und Ihr Jüngling Fred sind mir hier im Wege … Ich habe nicht deshalb mein halbes Vermögen geopfert, um mir von Ihnen nun das Messer aus der Hand winden zu lassen! Geben Sie sich keiner Täuschung hin: Meine zynische Brutalität und mein Gewaltmenschentum sind nicht vorgetäuscht. Ich gehe über Leichen … Ich habe allen Grund dazu, so zu sein, wie ich bin …“

 

6. Kapitel.

Bill Tott verrät etwas.

Auch er nahm Platz. Er hatte harte, unerbittliche, spöttische Augen, und er besaß die Kräfte eines Elefanten. Wir waren für ihn keine Gegner, nur unangenehme Störenfriede.

„Erzählen Sie, – was haben Sie erlauscht!“

Harst betrachtete ihn kühl.

„Mr. Tott, – und wenn ich nicht rede?“

Der Kunstschütze lachte still …

„Dann werden Sie beide und Ihr Fred für Wochen oder Monate verschwinden … Chartum ist Vorposten der Zivilisation … Jenseits der Vorposten ist Feindesland.“

Harald hob die Achseln. „Mr. Tott, hüten Sie sich, daß Sie nicht verschwinden … Die weiße Schlange ist giftig, und ihr Gift besteht nicht lediglich in Kokain und Morphium …“

Tott wurde aufmerksam.

„Rauschgifte? Wie meinen Sie das?! Und weshalb gebrauchen Sie die Bezeichnung Weiße Schlange für …“ – er brach jäh ab.

Harst schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihre Ermittlungen sind noch nicht sehr weit gediehen, Mr. Tott … Ich denke, auch Ihre Fähigkeiten – verzeihen Sie – liegen auf einem anderen Gebiet … Ein Detektiv werden Sie nie werden. Ich glaube, ich erwähnte Ihnen gegenüber bereits die weiße Schlange, und …“

„Lassen Sie das!“

Bill Tott starrte eine Weile ins Leere.

Harst fügte hinzu: „… und von dem „Wohltäter“, der nachts im Eingeborenenviertel Geld ausstreut und die Leute zu blindergebenen Sklaven macht, wissen Sie auch nichts …“

Tott schaute auf.

„Meinen Sie, Mr. Tott, die weiße Schlange wäre so töricht, etwa die Plantagenarbeiter als Hilfstruppe zu verwenden?! – Ach nein, dazu ist das Weib zu klug. Wenn Frauen mit akademischer Bildung an Machthunger leiden, ist das wohl bedenklicher, als wenn eine mäßig intelligente Halbweltdame oder Hochstaplerin die Idee aufgreift, das von reichen Touristen überlaufene Chartum zum Schauplatz sorgfältig vorbereiteter Räubereien und Erpressungen zu wählen. – Ich nehme wenigstens an, daß hier wirklich akademische Bildung vorhanden ist. Allerdings sollen auch Leute den Doktortitel erkaufen und größte Dummköpfe bleiben, – Wissen und Bildung sind ja ohnedies nur Begriffe, die sich ergänzen – oder nicht. – Mr. Tott, – weshalb arbeiten wir nicht zusammen? Das begreife ich nicht. Sie hassen die weiße Schlange … Sie wollen sie vernichten …“

Tott brauste auf. „Nein, das will ich nicht!! Der Tod ist keine Sühne, nur die Einsamkeit ist Sühne!“

Harst nickte nur.

Tott fuhr beherrschter fort: „Sühne muß sein, Mr. Harst … Gut also, arbeiten wir zusammen. Helfen Sie mir, Beatrix Neugold drüben ins Gebirge zu schaffen … Halten Sie sie dort vier Wochen fest, und … ich gebe mich zufrieden.“

Das waren seltsame Vorschläge. Um so seltsamer, als ich in Bill Totts spöttischen, kalten Blicken einen Schimmer von Befangenheit und Hinterlist zu bemerken glaubte.

Harst, der schon vorhin eine Zigarette angezündet hatte, schnippte die Asche ab und erwiderte etwas belustigt:

„Wie denken Sie sich das?! Menschenraub?! Wir! Auf welche Beweise hin?! Wenn uns die Polizei erwischt, kommen wir in ein verwanztes Gefängnis. Und dann noch eins, Mr. Tott: Wir haben da ein neues halb ausgeplündertes Opfer auf einem Wohnboot …“

Der Kunstschütze winkte ab.

„Ich weiß … Mr. Percy Wendnor ist bereits nach Kairo unterwegs …“

Harald murmelte nur: „Schade! – Sie arbeiten schnell, aber ungeschickt …“

Tott lachte grimmig. „Sollte ich warten, bis das Fräulein Doktor den Amerikaner im Nil schwimmen ließ?!“

Harst schwieg.

Totts Augen wurden noch unruhiger.

„Also, Herr Harst“ – er sprach plötzlich ein recht fließendes Deutsch – „wollen Sie Beatrix Neugold, die hier seit zwei Jahren so … so viel Unfug anrichtet.“

„… Verzeihung, – – Unfug?! – Aber meinetwegen … Also Unfug!“

„… anrichtet, fernerhin gewähren lassen?! Schaffen Sie sie in die Berge … Ich will Ihnen drüben im Dschebel Mirr eine Stelle zeigen, wo man Leute jahrelang verborgen halten kann …“

Harst … schwieg.

Aber unter seinem Blick senkte Tott schnell den Kopf.

Eine drückende Stille trat ein. Der Kunstschütze atmete immer hastiger. Irgend etwas ging da in seiner Seele vor, das ich zunächst nicht recht begriff. Seine Züge zuckten, seine Nervosität wuchs, und urplötzlich rief er heiser:

„Sie glauben mir nicht!“

„Nein!“

Das Fieber, das Bill Tott schüttelte, packte auch mich.

Ich war ja völlig im unklaren darüber, worum es hier ging. Das Problem Weiße Schlange hatte sich immer mehr verwirrt.

„Nein, ich glaube Ihnen nicht, Tott“, sagte Harst erstaunlich milde und nachsichtig. „Ich habe Sie, ohne daß Sie etwas direkt zugaben, doch zu gewissen Eingeständnissen gezwungen. Ihr Interesse an diesem Weibe beruht auf früheren allerengsten Beziehungen. Ich weiß einiges über Ihre Vergangenheit. Heute in der Zeit der Funktelegrafie kann man selbst von Chartum schnellstens aus Amerika mit Hilfe der Polizei genaue Auskünfte erhalten. Sie sind nie Cowboy gewesen, sondern etwas ähnliches: Besitzer einer Riesenhazienda in Texas und vielfacher Millionär. Vor fünf Jahren heirateten Sie eine Erzieherin, die auf einer Nachbarplantage die Kinder des Eigentümers betreute. Ihre Frau verschwand dann nach einem Jahr, – man sagt, ihre Verschwendungssucht habe Ihre Ehe zerstört. Sie selbst verkauften bald darauf Ihren Besitz und reisten unstät durch die Welt. Kunstschütze sind Sie erst seit einem halben Jahr. – Ich behaupte nun, Ihre aus Amerika geflüchtete Frau ist mit der weißen Schlange identisch, und Sie haben Ihre Frau die ganzen letzten Jahre gesucht und endlich hier aufgestöbert … Sie wünschen nicht, daß Ihre Gattin vor Gericht kommt und wollen selbst Richter spielen. Deshalb soll Beatrix Neugold von uns verschleppt werden.“

Tott blickte stier zu Boden.

Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seinem mächtigen Brustkasten …

Dieser wahrhaft herkulisch gebaute Mann preßte die Hände vor das Gesicht und rührte sich nicht. Seine Pistolen hatte er fallen lassen.

Harst beobachtete ihn.

Vielleicht tat Tott ihm leid. Er sagte leise: „Tott, Frau Mildred Ganderlay ist dem Kokain verfallen … Ihr Neffe Allan hat mit ihr einen sehr schweren Stand, sie verlangte von ihm Kokain, sie flehte darum, aber er hat wohl seine Gründe, ihr es gerade jetzt vorzuenthalten … – Das war alles, was wir erlauschen konnten … gesehen habe ich noch mehr.“

Totts Hände sanken herab. Sein verstörtes Gesicht zuckte wieder wie im Krampf.

„Was sahen Sie? Was?!“, fragte er bedrückt.

„Die Wahrheit!“, entgegnete Harst kurz …

Tott fuhr empor …

„Die … Wahrheit?!“

„Ja … Und diese Wahrheit ist eigentlich zu fantastisch, als daß man sie noch Wahrheit nennen könnte. Offenbarung wäre richtiger.“

Tott stand in schlaffer Haltung da, seine Finger betasteten seinen Pistolengurt.

„Und … und Sie haben … Beweise, Harst?!“

„Keine, die für das Wichtigste ausreichten … keine.“

Bill Tott bückte sich und hob seine Waffen auf.

Mit einem Schlage war wieder der brutale, höhnisch-überlegene Zug in seinem Gesicht.

„Herr Harst“, warnte er ernst, „lassen Sie die Finger von dieser Sache weg …!! Sie kämpfen gegen drei gleich rücksichtslose Parteien … – Sie werden auch nie die Beweise beibringen können, die nötig wären, die weiße Schlange zu überführen, glauben Sie mir das!!“

Er wollte sich nach dem Flusse entfernen.

„Also Kampf?!“, rief Harald ihm nach …

Tott beachtete den Zuruf nicht.

Harst nahm eine neue Zigarette.

„Armer Teufel, es kann sein Ende sein – – oder auch unser Untergang.“

Mich ließ dies alles vorläufig kalt.

„Harald, ist Beatrix Neugold die weiße Schlange?“, fragte ich eindringlich.

„Weil sie verschwinden soll?! – – Nein, sie ist es nicht. Und jetzt müssen wir schleunigst und unauffällig zur Pension Tompson zurück. Hier siegt nur und lebt nur der, der flinkere Gedanken hat und Pläne am raschesten in die Tat umsetzt.“ –

Dicht vor Chartum in einer leeren Hütte verwandelten sich zwei Marabuts in zwei bei Frau Witwe Tompson wohnende bekannte Herren und lagen dann sehr bald in ihren Betten, um genau drei Stunden zu ruhen.

Unser Fred hatte uns gemeldet, daß das Fräulein Doktor noch nicht heimgekehrt sei, und erhielt neue Befehle. Er hatte inzwischen wenigstens etwas ausruhen können und bedurfte keiner Schonung.

Leider war Harald – üble Gewohnheit – nicht zu bewegen gewesen, mich über seine „Beobachtungen“ auf der Plantage Ganderlay aufzuklären, – noch weniger mir endlich zu sagen, wer nun eigentlich die weiße Schlange sei. – Es war ein Weib, zweifellos. Aber wer?! – Als wir um ein Uhr mittags in blendend weißen Tropenanzügen das Haus Tompson abermals verließen, war Fred noch nicht wieder da. Ein Mietauto brachte uns vor die stilvolle Fassade des kleinen „Hotel Elite“ unweit der weit umfangreicheren Neppbude Zum Blauen Nil.

 

7. Kapitel.

Die seltsame Madame Clairon.

Der Portier bedeutete uns, Madame Claire Clairon sei stets erst nachmittags um drei Uhr zu sprechen, da sie nachts und bis in den Vormittag hinein sich dem Geschäft widme.

Madame bewohnte im übrigen, wie wir wußten, den zweiten Stock des Elite und sollte einfach fabelhaft luxuriös eingerichtet sein.

Wir hatten uns das Haus sehr genau von außen angesehen, und das, was uns aufstieß, war die Tatsache, daß es gleichfalls einen schmalen Seitenflügel hatte, der sich an die alte Festungsmauer anlehnte genau wie zweihundert Meter weiter der Harem-Flügel des Prunkbaus Zum Blauen Nil.

Harst übergab dem Portier seine Karte, auf die er ein paar Zeilen gekritzelt und die er in einen Umschlag getan hatte.

„In Sachen Weiße Schlange“,

die Aufschrift sollte die schwarzhaarige Walküre ausnahmsweise schon um halb Zwei ermuntern.

Der Portier schnitt ein sehr zweifelhaftes Gesicht, worauf er läutete, worauf eine fesche Zofe erschien und wir gebeten wurden, droben im Salon der Wohnung zu warten.

Der Salon der Madame Clairon verriet Geschmack.

Das heißt, es war der Geschmack, wie man ihn dieser Schmierenherzogin zutrauen durfte.

Auf einem Damenschreibtisch stand ein Telefon.

Die Zofe war kaum wieder entschwebt, als Harald katzengleich zum Tische schlich und den Hörer abhob.

Er gab mir ein Zeichen, auf die Türen, die dichte Vorhänge hatten, aufzupassen.

Er horchte eine Weile, – dann war er wie ein Blitz wieder in der andern Ecke und nahm eins der auf dem Tischchen ausgelegten Bücher zur Hand. Ich richtete mich nach ihm, – wir horchten, und urplötzlich war die Zofe, zweifellos ein Halbblut, wieder da.

Das gepuderte Mädel mit dem huschenden Katzenblick knixte und meldete, Madame würde sich mit der Toilette beeilen … Es würde jedoch noch eine halbe Stunde dauern.

„Macht nichts, Kleine …“, meinte Harst mit einem Schmunzeln, als ob er die Kleine äußerst begehrenswert fände.

Sie kokettierte etwas und zog sich zurück. Die Tür fiel ins Schloß.

Harst war sofort auf den Beinen, öffnete dieselbe Flurtür ganz lautlos und horchte.

Selbst ich vernahm nun das Klirren der Glasscheiben der Etagentür. Das Mädel hatte die Wohnung verlassen.

Harald wagte jetzt etwas, das äußerst riskant war. Er öffnete die Tür zum Nebenraum, der als Bibliothek und Kontor, aber ebenfalls mit überladenem Luxus, eingerichtet war. Das dritte Zimmer war ein üppiger Schlafraum mit kostbarsten Möbeln, das Bett mit Betthimmel, der Frisiertisch – – alles modernste Stücke.

Das Bett war leer.

Harst hätte sich nun mit der Feststellung, daß Madame nicht geschlafen hatte (das Bett war zugedeckt) begnügen können.

Nein, er hob die Seidendecke ab und beschaute die Bettwäsche, brachte alles wieder in Ordnung und blickte sich in dem dämmerigen Raume suchend um.

Worauf er aus war, ahnte ich nicht.

Ich sollte es sofort erfahren.

Die eine Seitenwand ihres Zimmers stieß, ohne Tür, an den ominösen Seitenflügel. In der Mitte dieser Wand hing das Kolossalgemälde eines Herrn im Cut und Zylinder, – wahrscheinlich der etwas sagenhafte Gatte der Madame, von der niemand so recht wußte, ob sie Witwe oder geschieden oder ob die zugehörige Null von Mann noch irgendwo ein Schattendasein führte.

Das Bild in breitem Goldrahmen schien mit vier vergoldeten Haken allseits befestigt zu sein.

Mit starkem Herzklopfen beobachtete ich, wie Harst mit Seelenruhe an den Haken herumfingerte. Plötzlich glitt das Bild in die Höhe, und dahinter kam eine einfache Holztür zum Vorschein, die nur etwas Wertvolles an sich hatte, ein Patentschloß mit Buchstaben.

Harst zuckte die Achseln, ließ das Gemälde wieder herabgleiten und winkte mir.

Wir saßen dann abermals im Salon Sessel an Sessel, und er flüsterte mir ins Ohr:

„Erstens, – das Telefon … Es war eine bloße Vermutung von mir, Madame könnte nicht im Hause sein. Ich belauschte so die Zofe, die ihre Herrin übrigens mit du ansprach und ihr sichtlich erregt mitteilte, wir seien da und sie habe meinen Brief geöffnet, es stände etwas von weißer Schlange darin, und Madame sollte schleunigst kommen. – Die Antwort Madames war ein kräftiger Fluch: „Ich komme, Celeste.“ – Zweitens: Das Prunkbett in Madames Schlafzimmer wird nie benutzt, die Seidenbezüge zeigen noch die Falten und Kniffe frischer Stücke, und das Bett riecht nicht nach Benutztwerden. Mithin schläft Madame niemals hier. – Drittens: Das Gemälde hat mich endlich auf einen Gedanken gebracht, der etwas abenteuerlich sein mag, aber durchaus im Bereiche des Möglichen liegt. – – Still jetzt, zu viel wollen wir nicht miteinander tuscheln, wir werden bestimmt beobachtet, vorhin klirrte die Glastür wieder …“

Minuten später trat die Erwartete ein. Madame Clairon war wie immer in großer Toilette. Daß auch sie etwas Negerblut in den Adern hatte, bewiesen schon ihre Augen und Fingernägel. Bisher war uns das zweifelhafte Vergnügen nicht zuteil geworden, diese Walküre persönlich unter die Lupe nehmen zu können.

Nun, es gab da allerlei zu sehen. Der Juwelenladen, den sie mit sich herumschleppte, interessierte mich weniger als das eine fast bescheiden anmutende Armband, – – eine weiße Schlange!! Genau, wie Percy Wendnor es beschrieben hatte.

„Womit kann ich dienen?“, fragte die Walküre steif, nachdem sie Platz genommen hatte.

„Mit einer Kleinigkeit nur, Madame …“ Harst war die Liebenswürdigkeit selbst. „Bei Ihnen wohnt ein Mr. Wendnor, hier im Hotel … Wir lernten ihn zufällig kennen … Er soll abgereist sein.“

„Er ist abgereist.“ Madame hatte einen Baß, der Angst erregte. Ihre Glotzaugen suchten Harald zu hypnotisieren. „Weshalb fragen Sie danach, Mr. Harst? Sie haben mir doch eine Karte geschickt, auf der Sie etwas von einer weißen Schlange vermerkten.“

„Natürlich. Beides hängt ja innigst zusammen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Ich ja. Wendnor ist der weißen Schlange wegen abgereist. – Wer holte sein Gepäck?“ – Harst ging also ganz unvermittelt zum Angriff über.

Madame wurde unruhig. „Haben Sie ein Recht, derartige Fragen zu stellen, Mr. Harst?“

„Ja. Hier sehen Sie einen Ausweis des Polizeimajors Ali Mansur. Wir stehen zur Zeit in Polizeidiensten.“ – Den Ausweis hatte Fred morgens besorgen müssen.

Die Walküre beleckte sich die tadellos getuschten Lippen, und ihr schwammiges Gesicht zerfloß vor Unterwürfigkeit. „Das ist natürlich etwas anderes, Mr. Harst … Wendnor schickte einen Zettel, daß ihm sein Gepäck nach Kairo nachgesandt werben sollte.“

„Ist das schon geschehen?“

„Nein …“

„Dann führen Sie uns bitte sofort auf Wendnors Zimmer … – Keine Ausflüchte, Madame. Die Sache ist bitter-ernst, der weißen Schlange werden in kurzem alle Giftzähne gezogen werden …“

Frau Clairon betupfte sich die Stirn …

„Wie Sie befehlen, Mr. Harst … Ich werde läuten … Der Kellner wird …“

„Halt!“

Harst hatte blitzschnell zugepackt.

„Halt, – es ist ja fabelhaft, wie viele Druckknöpfe hier unter der Tischplatte angebracht sind …“ Er hatte sich gebückt … „Gleich fünf Stück, und jeder in verschiedener Farbe … Sogar an einem Salontischchen … – Nein, Sie sollen uns persönlich Wendnors Zimmer zeigen … – Vorwärts!“

Das Weib, das sicherlich aus den Südstaaten Amerikas stammte und den Gerüchten nach in New Orleans ein sehr zweifelhaftes Lokal besessen haben sollte, gehorchte widerwillig. –

Ich muß mich kürzer fassen, denn das Problem Weiße Schlange erfordert noch viel Papier und Nerven.

In Wendnors Wohnsalon lag auf dem Schreibtisch mitten auf der grünen Löschblattunterlage ein Ding, das Madame Clairon eiligst mit ihrem Taschentuch zu bedecken suchte.

Es gelang ihr nicht, Harst schob sie beiseite und hob die merkwürdige aus Papier geschnittene Spirale empor.

Es war eine Spirale in Schlangenform, den Kopf zierten drei weiße Emaillepünktchen: Ersatz für die Diamanten des Armbandes!

Harald pfiff leise durch die Zähne. „Schau’ an, – – eine Warnung der weißen Schlange für Wendnor!!“ Er faßte die so harmlos wirkende Papierspirale am Schwanzende, so daß der andere Teil, durch die Emaillepünktchen beschwert, nach unten hing.

Madame Clairon sank mit einem asthmatischem Seufzer in den Schreibsessel. Ihr Gesicht war aschgrau, und die durch die Schweißperlen längst verlaufene Schminke tropfte in rosigen Bächlein auf ihren Busenausschnitt.

Harst betrachtete sie mit jenem still sinnenden Blick, der schon so manchen Übeltäter zum Geständnis gezwungen hat.

„Ja, die weiße Schlange … Ein schauerliches Sudan-Märchen, Madame … Zwölf reiche Fremde verschwinden in zwei Jahren … Und seit etwa zwei Jahren sind auch Sie hier ansässig … Merkwürdig!!“ Er ließ die Spirale auf und ab wippen … „Sehr merkwürdig! Sehr unheimlich! Aber man darf sich dadurch die kühle Logik nicht trüben lassen. Nein … Das wäre verfehlt, etwa anzunehmen, daß Ihr trostloser Zustand, Madame, nur auf den Fund dieser Papierschlange zurückzuführen wäre … Meine ursprüngliche Kombination ist falsch … Dieses kleine Untier aus Papier sollte …“ – er sprach plötzlich mit eisiger Schärfe – „sollte … töten und zwar mich oder Schraut oder vielleicht auch andere unbequeme Leute … – Bitte, Madame, wollen Sie einmal freundlichst den Papierkopf befühlen … Die blanken weißen Emailletröpfchen sind nämlich noch feucht … – Bitte, fassen Sie den Papierkopf an, … wenn auch die harmlosen Farbtupfen zerdrückt werden … Bitte!!“

„Ich … tue es nicht!“ kreischte das Weib halb von Sinnen …

„Also … Gift! Natürlich ein Hautgift, das …, – wollen mal sehen …“

Er nahm sein Messer und schabte eines der Pünktchen weg.

In der „Emaille“ lag ein winziger Metallknopf ähnlich einem Reißnagel, die haarfeine Spitze nach oben.

Neben uns ein schwerer Krach.

Madame lag bewußtlos auf dem Teppich.

 

8. Kapitel.

Ein Mund verstummt …

„Telefoniere, mein Alter … – Nein, öffne das Fenster … Fred muß ja in der Nähe sein.“

Fred Steen lehnte drüben in einem Hauseingang.

„Hallo, Fred … Sofort zu Major Mansur … Schicken Sie auch alle Beamten her, denen Sie begegnen.“

Der semmelblonde Jüngling mit der frechen Stupsnase warf seinen Zigarettenstummel weg.

„Herr Schraut, Vorsicht!“ rief er zurück. „Sie ist in der Nähe …!“

Dann trabte er davon.

Wenige Minuten später wurde Madame Clairon sowie die Zofe Celeste, übrigens Madames Tochter, verhaftet. Auch Major Mansur hatte sich eingefunden.

Als die schwarze Barmutter wieder zu sich gekommen war, hatte sich ihre wahnwitzige Angst in nervenpeinigenden Schreikrämpfen Luft gemacht.

Zwei riesige nubische Geheimpolizisten schleiften sie die Treppe hinab in das unten vor dem Hotel vorgefahrene Auto. Die Straße war abgesperrt worden, das hysterische Geheul des Weibes verstummte jedoch plötzlich, und die hohe, korpulente Gestalt sank schlaff zusammen.

Mansur sprang zu. Auch Harst war im Augenblick draußen. Das Verhängnis hatte jedoch bereits seinen Lauf genommen, und von Madame Clairon würden wir nicht eine Sterbenssilbe mehr erfahren. Ein geräuschloser Schuß hatte ihr eine Kugel mitten vor die Stirn gesetzt. Wer diesen Schuß abgegeben hatte, woher er gekommen, blieb dunkel. Es war jedenfalls kein Nahschuß, und nur eine sehr sichere Hand konnte diese Pistole bedient haben.

Unser Fred, den Harst sofort wieder zum Pensionat geschickt hatte, würde vor Major Mansur kaum erwähnt haben, daß Beatrix Neugold in der Gasse gesehen worden war. Wir beließen Mansur bei dem Glauben, den Schützen nicht zu kennen, und die Unterredung im Salon der toten Frau Clairon drehte sich um andere Fragen.

Der junge, sehr energische, sehr kluge und sehr sympathische Ali Mansur deckte erst jetzt vor uns seine Karten ehrlich auf.

„Mr. Harst“, begann er etwas verlegen, „ich bin auch Ihnen gegenüber nicht ganz offen gewesen. Die Dinge liegen so … Ich kenne als Chef der politischen Geheimpolizei diese kleinen Papierschlangen mit den drei Emailletröpfchen längst. Ich weiß, daß sich durch große Teile des Sudan neuerdings eine Geheimorganisation erstreckt, die wohl neben verbrecherischen Zwecken – Geldbeschaffung – letzten Endes auf die Errichtung eines selbstständigen Sudanreiches abzielt … Wer die Leiter dieser Organisation sind, war nicht zu ermitteln. An Madame Clairon, in der ich nur eine sehr geschäftstüchtige Barbesitzerin, Kupplerin und Rauschgifthändlerin sah, habe ich zu allerletzt gedacht. Nun, – sie ist tot, und mit ihr „Blansery“, die weiße Schlange.“

Harald schwieg.

„Sind Sie anderer Ansicht?“, fragte Mansur schnell.

„Ja!“

Der Chef der G. P. P. stutzte.

„Inwiefern?“

„Madame war nur ein Werkzeug der weißen Schlange“, sagte Harald gedämpft.

„Und wer ist die wahre Schuldige?“

„Mein lieber Major, mit Polizeimethoden ist dem Weibe nicht beizukommen. Gut, zugegeben, ich kenne sie. Würden Sie sie aber verhaften, dürfte es Ihnen schwer werden, auch nur das allergeringste Belastungsmaterial gegen sie beizubringen. Arbeiten wir also nach meiner Methode. Verhören wir erst einmal Celeste, die nebenan bewacht wird, und überzeugen wir uns davon, daß selbst sie nichts weiß oder nur sehr wenig und … daß sie schweigen wird. – Holen Sie sie …“

Das Mädchen erschien, setzte sich, und ein Blick traf Harst, der töten sollte.

Sie hatte sich vollkommen in der Gewalt, sie erklärte mit kaltem Hohn:

„Verschwenden Sie keine Fragen an mich … Meine Mutter starb … Töten Sie mich! Ich werde Sie auslachen!“

Harald saß zurückgelehnt da und drehte eine Zigarette zwischen den Fingern.

„Celeste Clairon, Sie werden uns nicht auslachen.“

Er nahm seine Taschenlampe und beleuchtete die eine untere Tischkante mit den fünf farbigen Knöpfen.

„Celeste, was geschieht, wenn ich der Reihe nach auf diese Knöpfe drücke?“

„Bitte!!“, höhnte sie.

„Ah so, – es wäre damit also eine gewisse Gefahr vorhanden … – Major, stellen Sie drei Beamte neben diesen Tisch. Celeste, Sie kommen mit …“

Celeste trug Handschellen.

Sie blieb sitzen. Sie war nun doch ängstlich geworden.

Ein Beamter riß sie hoch und schob sie hinter uns her …

Wir machten im Schlafzimmer der Erschossenen halt.

Harst deckte das Bett auf.

„Unbenutzt, Major! Bluff! Frau Clairon schlief stets anderswo.“

Sein berühmter nachdenklich-durchdringender Blick ruhte auf dem Mädchen. „Celeste, wo schlief Ihre Mutter?“

Schweigen …

Harst deutete auf das Riesengemälde des eleganten Herrn.

„Ihr Vater?“

„Ja!“

„Wo befindet er sich?“

„In … Amerika …“

„Amerika ist groß … In New Orleans?“

„Vielleicht …“

Sie wurde bereits wieder anmaßender und höhnischer.

„Oder … auf der Hazienda, die einst Bill Tott gehörte?“

Der Hieb saß.

Celeste senkte schnell den Kopf.

„Nein … nicht dort“, flüsterte sie scheu. „Ich kenne diese Hazienda gar nicht …“

„Was Sie sagen!! Und dabei ist Bill Totts Gattin die Verbündete Ihrer Mutter gewesen … und Ihre Verbündete Blanche Tott, Celeste, ist nämlich die vielgesuchte weiße Schlange.“

Jetzt taumelte das Mädchen zurück …

„Sie … Sie wissen?!“

„Ja, – wie Sie hören: Ich weiß! Blanche Tott hat Ihrer Mutter das Geld zur Verfügung gestellt, die Bar und dieses Hotel zu erbauen, denn diese von Machthunger zerfressene Frau wollte hoch hinaus: So etwa Kaiserin des Sudan, – – etwas Ähnliches …! Königin der wilden Stämme hier unten am Blauen und Weißen Nil …“

Celeste regte sich nicht. Wie eine Erstarrung hatte es sie befallen.

Es war nichts mehr aus ihr herauszuholen, nichts.

Harst stand noch immer neben dem Gemälde.

Plötzlich ließ er es hochschnellen.

Das Geräusch weckte Celeste. Sie schrie leise auf.

Das Buchstabenschloß der festen Brettertür hatte acht Buchstaben.

Acht!!

„Blansery?“, fragte Harald scharf.

Celeste ließ sich überrumpeln.

„Ja …“, hauchte sie zitternd.

Als die Tür aufschwang, schauten wir in einen schmalen dunklen Gang.

„Mansur, geben Sie dem Mädchen einen Knebel … Sicher ist sicher … Lampen und Pistolen heraus!“

Celeste mußte mit.

Der Gang war bestimmt erst nach Erbauung des Hotels hergestellt worden und lief durch den Seitenflügel bis zu einer eisernen kleinen Tür, die gleichfalls ein Buchstabenschloß besaß.

Celeste weinte leise.

Inzwischen waren uns noch vier Beamte gefolgt, und als nun auch diese Eisentür geöffnet war, befanden wir uns innerhalb der alten Festungsmauer.

Eine Holztreppe lief in die Tiefe …

Das erste Gemach hier war Frau Clairons wahres Schlafzimmer, dahinter lagen Vorratsräume für Waffen und Munition, und an diese schlossen sich sechs Zellen an, – – die vier hier vorhandenen Wächter wurden vollständig überrumpelt.

In den Zellen hausten je zu zwei ein Dutzend völlig verwahrloste, verkommene Gefangene der weißen Schlange: Die zwölf verschwundenen reichen Touristen und Kaufleute. – –

Die beiden in Chartum erscheinenden Zeitungen brachten abends folgenden Polizeibericht:

„Heute in den frühen Nachmittagstunden ist es der Polizei gelungen, endlich eine Verbrecherin zu entlarven, die als „Blansery“ im Eingeborenenviertel seit langem ihr Unwesen trieb.

Es handelt sich um die Eigentümerin der Bar Zum Blauen Nil. Bei ihrem Abtransport wurde die Verhaftete von unbekannter Hand erschossen. Ihre Tochter Celeste sitzt in strengster Einzelhaft, scheint jedoch an den Vergehen ihrer Mutter keine Schuld zu tragen. Das Elite-Hotel ist geschlossen worden und polizeilich besetzt.“

Dieser dürftige Bericht wurde auf Harsts Anregung herausgegeben.

Die zwölf Befreiten waren nun im Hotel Elite heimlich untergebracht worden, und von alledem, was wir sonst noch in Frau Clairons heimlichem Schlafgemach und Geschäftskontor entdeckt hatten, erfuhr niemand etwas. Major Mansur gab sich mit alledem zufrieden. Harst hatte ihm versprochen, ihm die weiße Schlange in den nächsten Tagen, nachdem sich die Erregung in der Bevölkerung gelegt hatte, in die Hände zu spielen.

 

9. Kapitel.

Blanche Tott, Kaiserin des Sudan.

Drei Tage vergingen, und es geschah nichts.

Vor dem Elite-Hotel wanderten Polizisten auf und ab, die Neugierigen wurden immer seltener, zumal ein zweiter Zeitungsbericht gemeldet hatte, daß die Polizei aus den umliegenden Orten Verstärkungen zusammengezogen hätte und daß Major Mansur annähme, die Helfershelfer der Madame Clairon seien längst geflüchtet.

Von den zwölf Befreiten, von der hohlen Festungsmauer und vielem anderen erfuhr die Welt nicht ein Wort.

Und wir?!

Wir drei im Pensionat Tompson taten das Möglichste, jeden Verdacht zu zerstreuen, die Polizei hielte hier mit der Wahrheit zurück.

Unser Verhältnis zu unserer Hausgenossin Fräulein Doktor Neugold blieb – sagen wir – neutral. Harst hatte dem recht anmaßenden Blaustrumpf unter vier Augen erklärt, es widerstrebe ihm, eine Landsmännin vor der Polizei anzuschwärzen. Fräulein Doktor hatte überhaupt nichts geantwortet. Wir grüßten uns, wechselten, wenn unumgänglich nötig, die üblichen nichtssagenden Höflichkeitsphrasen, und – – das war alles. –

Hatte Beatrix Frau Clairon erschossen, damit diese nichts verraten könnte? – Das blieb eine offene Frage. Harald äußerte sich dazu nicht.

Fred wieder, der doch damals das Elite-Hotel beobachtet hatte, versicherte nachdrücklichst, Frau Clairon sei nicht durch die Gasse in das Hotel geschlüpft, als wir sie „wecken“ ließen. Anderseits war das Bett in der fünf Meter starken Mauer unberührt gewesen. Mansur nahm an, die Clairon sei in der Bar gewesen. Von dem Haremsflügel der Bar führte ebenfalls ein geheimer Zugang in die Mauerräume. – Harst schwieg dazu. –

Celeste Clairon wieder gab nichts, gar nichts preis. Bei Vernehmungen lachte sie höhnisch und drohte nur durch ungewisse Andeutungen.

Bill Tott trat nach wie vor auf. Die Bar hatte noch stärkeren Zulauf als früher, – kein Wunder. Acht von den Angestellten waren verschwunden, und der vom Gericht eingesetzte Verwalter änderte nur weniges an dem Betriebe. Jedenfalls konnte Bill Tott nicht der Mörder der Clairon sein. Es war ermittelt worden, daß er sich zur selben Zeit in Omdurman befunden hatte.

Das Ganze war ein sehr trügerischer Frieden.

Mochte die Sonne auch genau so heiß wie sonst auf die Stadt zwischen den Nilarmen herniederbrennen, mochte auch der Karawanenstrom wie bisher von allen Oasen gen Chartum stocken und mochten auch die Straßen das gewohnte Bild darbieten, – – gleichsam hinter den Kulissen arbeiteten Kräfte, die zum Endkampf rüsteten.

In der Eingeborenenstadt standen die Männer mit finsteren Gesichtern beisammen, neue Gesichter tauchten auf, und nachts zogen Eseltreiber durch die stinkenden Gassen, deren Tiere schwere Lasten trugen und die Augen überall hatten. Weiße Papierschlangen mit Emaillepünktchen flatterten in die Hauseingänge zusammen mit englischen Pfundnoten, und der tadellos verkleidete Harst, dessen kräftiger Lastesel einen großen Lederballen schleppte, in dem ich Ströme von Schweiß vergoß, war dreimal dem vermummten „Blansery“, der echten weißen Schlange, dicht auf den Fersen. Ich selbst beobachtete durch einen Schlitz des Sackes, wie diese „Blansery“ ihre Schlangen und Geldscheine ausstreute. Aber Harst faßte nicht zu.

Die Zeit war noch nicht da.

Derweil mußte Fred, nun nachts ebenfalls ewig als schmieriger Farbiger auf den Beinen, das Fräulein Doktor bewachen.

Und auch sie schlich stets vor Mitternacht verkleidet davon und irrte durch die Eingeborenenstadt, als ob sie etwas suchte.

In der dritten Nacht konnten wir feststellen, daß sie jetzt mit Bill Tott zusammenarbeitete und daß der Kunstschütze drei Leute als Wache hinter sich hatte, auch Europäer, auch verkleidet, seine bezahlten Helfer, stramme Kerle wie er.

Im Eingeborenenviertel, in den Dörfern ringsum, bei den Nomadenstämmen gährte es.

Aber diese schwelende Glut eines Aufstandes hielt sich noch immer unter der Asche zurück und schickte keine Flamme empor in das Brennmaterial der erkauften Massenseele.

Der vierte Tag kam. Mansur wurde ungeduldig. Er fürchtete Blutvergießen.

Harst zerstreute seine Bedenken.

„Warten Sie ab, Mansur … Sie werden zum Schluß einen hohen Orden bekommen und befördert werden.“

So nahte der vierte Abend mit bewölktem Himmel, fernen Gewittern und Sturm. Von Westen her fegte der Wind über die Wüste und trieb den feinen Staub bis in die strahlend hellen Straßen.

Im Blauen Nil war Hochbetrieb.

Gegen zehn Uhr trat Bill Tott auf.

Wir saßen im Zuschauerraum in einer dunklen Loge.

Tott schoß heute schlecht.

Seine Haupttricks mißlangen … Der Beifall war mäßig. Tott lächelte verächtlich.

„Mansur, darauf habe ich gewartet“, flüsterte Harald. „Die Sache geht los …!“

Bill Tott wohnte jetzt im Omdurman-Hotel im Nebengebäude, Erdgeschoß, Gartenseite.

Um elf Uhr verließ Tott sein Zimmer durch das Fenster und schritt zum Nil hinab, hinter ihm seine Wache: Drei amerikanische Detektive, wie wir bereits ermittelt hatten, immer verkleidet …

Ein Maultierwagen, mit Säcken beladen, rumpelte ebenfalls zum Flusse und einer der Verladebrücken.

Tott traf sich mit Beatrix Neugold auf einem wracken Lastkahn.

Dann schritt er, einen Burnus über seinem gewohnten Cowboykostüm und einen bunten Turban um den Kopf, dem Gäßchen zu, in dem der Seitenflügel der Bar sich an die dicken Mauerreste lehnte.

Er blickte sich immer wieder um. Seine Leibwache war weit zurück. Es war nach Mitternacht, und die linker Hand im Staubsturm sich verbergenden Palmen der Gärten der Einzelvillen waren kaum sichtbar. Die Luft war voll feinsten Sandes.

Wir beide waren Tott vorausgeeilt. Harst ahnte wohl, wohin sich Tott wenden würde.

Wir lagen hoch droben auf der Mauerkrone zwischen Grasbüscheln, die Gesichter mit dunklen Schleiern bedeckt.

Tott kletterte unter und schräg an der Mauer hoch.

Plötzlich war er verschwunden.

Harst sprang auf. „Laufen – – Galopp!!“

Vor dem Elite-Hotel trafen wir Mansur.

„Schnell, – – die zwölf in die Zellen – – schnell, – – in Lumpen! Ist alles vorbereitet?“

„Alles. Sie sind schon dort …“, meinte der Chef der G. P. P. stolz. –

Derweil hatte Tott sich noch behutsamer durch die uns bisher verborgen gebliebenen Räume bis in Madame Clairons Schlafgemach und Geschäftszimmer geschlichen. Seine Karbidlaterne beleuchtete die mit Brettern verkleideten Wände und die Seidenbespannung, – dann setzte er sich und starrte vor sich hin. Totenstille herrschte.

Ein gramvoller Zug lag um den brutalen Mund des Kunstschützen.

Minuten verstrichen.

Er horchte, hob den Kopf …

Plötzlich öffnete sich die Tür nach dem Lagerraum, und in heller seidener Abendtoilette trat ein blondes Weib ein, an dessen nackten Armen zahlreiche kostbare Armbänder blinkten.

Sie lächelte …

Ein Sphinxlächeln, – stolz, herausfordernd, lüstern, demütig, – alle Nüancen von Lächeln waren darin vertreten.

Wir, hinter der anderen durchlöcherten Tür lauernd, waren verblüfft … Die sinnliche Schönheit dieses Weibes benahm den Atem.

Tott hatte sich erhoben.

Musterte die weiße Schlange …

„Da bin ich“, sagte sie melodisch und neigte den Kopf in Demut. „Ich bin deinem Rufe gefolgt, Bill, obwohl ich der Polizei nicht traue … Freilich, die Gefangenen stecken noch in ihren Löchern, und …“

„Schweige!!“

Bill packte ihr Handgelenk …

„Schweige, Blanche …!! Wenn du nicht vor dem Gesetz noch immer mein Weib wärest, würde ich dich nicht schonen!!“

„Weil … du mich noch immer liebst, Bill, – sprich doch die Wahrheit!“

Sie machte sich von ihm frei.

Er ließ es geschehen.

Er stand wie ein todwunder Stier da …

Kampfstier in der Arena …

Der Torero war Blanche …

Ihr lüsternes Lächeln verstärkte sich …

„Was verlangst du, Bill?“

„Immer dasselbe“, erwiderte er gequält. „Flucht mit mir, – – Flucht vor Harst!“

„Ah – – Harst!!“

Ein spöttisches Kichern …

„Herr Harst, – – ah, den fürchtest du! Ich nicht.“

„Närrin!!“, rief er in jäh auflodernder Empörung. „Du bist genau wie diese eigenwillige, aufgeblasene Beatrix! Du warst immer so, nur – – machthungriger! Was hast du alles verbrochen … Grauen müßte mich schütteln …“

Wieder das Kichern.

„Müßte! Du liebst mich!!“

„Höre auf damit! Ich will dich retten, und du wirst gehorchen, oder – – du … stirbst!!“

Achselzucken … „Sterben?! Bill, das schreckt mich nicht … Wer so viel wagte wie ich, hat den Tod stets neben sich …“

Sie wandte sich kokett dem Spiegel zu.

„Bill, ein anderer Vorschlag …: Kaiser des Sudan!! Lockt das, Bill?!“

Bill fühlte sich hier allzu sicher, aber sein Weib war in den letzten Jahren durch eine Schule gegangen, die ihr alle Kenntnisse der Unterwelt vermittelt hatte.

„Du bist toll!“, sagte er eisig. „Ich frage dich zum letzten Mal …: Willst du sofort mit mir fliehen? Jetzt ist’s noch Zeit … Harst weiß nicht alles, obwohl er die Plantage Ganderlay besser kennt als für uns nützlich! Blanche, nimm Vernunft an. Harst war im Wohngebäude … Ich zittere für deine Sicherheit …“

Das traf.

Ihre Züge strafften sich …

Unter Schminke und Puder trat gleichsam ein zweites Gesicht hervor. Trotzdem: Wer war diese Blanche?! Ich hatte sie noch nie gesehen …

Sie überlegte …

„Ist das wahr, Bill?“

„Ja …!“

„Dann … Dann allerdings“, – – und sie löste vorsichtig das weiße Armband von ihrem Handgelenk …

„Hier, Bill … Die weiße Schlange überreicht dir das Symbol ihrer Macht …“

Sie hielt ihm die Schlange so hin, daß der flache Kopf mit den drei blitzenden Diamanten ihm entgegenfunkelte.

Er griff zu …

„Ich danke dir, Blanche! Wenn du auch eine Mörderin bist, die Frau Clairon …“

„Rede nicht über Belanglosigkeiten …“

Plötzlich ließ er das Armband fallen … –

Betrachtete seinen Daumen …

„Blanche, – ich … habe mich gestochen, und diese weiße klebrige Masse …“ – ihm versagte die Stimme, er taumelte …

Ein Lachen gellte …

Die Laterne erlosch …

Wir stießen die Tür auf, stolperten über Bills Körper, rannten durch die übrigen Räume …

Leer …

Blanche war entkommen, obwohl alle Ausgänge besetzt gewesen. Es mußte noch einen weiteren geheimen Durchschlupf nach draußen geben … Wir fanden ihn nicht. Mansur fluchte … Tott war eine starre, leblose Masse, vergiftet von der Frau, die er liebte und die er hatte retten wollen.

Harst nahm Mansur und mich beiseite.

„Mansur, morgen oder besser heute vormittag werden Sie der weißen Schlange das gefährliche Armband, das mit ihr verschwunden ist, abnehmen können. Mein Wort darauf!“

 

10. Kapitel.

Die Brusttaschen und die Taschentücher.

Vormittags acht Uhr …

Soeben wird der Krankenstuhl der Frau Mildred Ganderlay durch einen Diener auf die Veranda geschoben, wo Mister Allan Ganderlay seine Tante bereits erwartet.

Die Greisin sieht heute frischer aus, und kaum hat sich der Diener entfernt, als sie in rührender Dankbarkeit stammelt:

„Allan, – das neue Pulver ist weit besser als das letzte. Aber … ich habe nichts mehr davon … Gib mir ein Päckchen …“

„Gern … hier ist’s, liebe Tante …“

Allan Ganderlay ist zerstreut. Sein braunes Gesicht, dessen regelmäßige Züge ohne diese Sonnenbräune fast weibisch erscheinen würden, hat das Lächeln verlernt.

Sein Terrier und der Affe sind in dieser Nacht verschwunden, und das beunruhigt ihn, neben vielem anderen.

Wie zumeist trägt er eine lose Khakibluse mit aufgesteppten Brusttaschen, und in jeder Brusttasche steckt kokett ein buntseidenes Taschentuch.

Er füllt der Tante die Teetasse, schiebt ihr die Röstschnittchen hin und schlürft selbst nur ein Glas reinen Whiskys.

Durch sein rühriges Hirn flattert unausgesetzt derselbe Gedanke, der sich in dem Namen Harst konzentriert.

Nun, er hat seine Vorkehrungen getroffen …

Seine Anhänger zählen nach Tausenden, und noch heute abend werden fünf Menschen mit Steinen an den Füßen im Nilschlamm liegen: Beatrix, Mansur und die drei Deutschen! Dann ist für ihn die Bahn frei!

Nur, – – wo sind der Hund und der Affe?!

Das macht ihn nervös …

Er trinkt, raucht, spricht über geschäftliche Dinge, und die Greisin schnupft das glitzernde Pulver und lächelt selig. –

Der Tag ist warm, leicht windig, und der Garten, frisch gesprengt, leuchtet in wundervollen Farben.

… Wo sind der Terrier und der zahme Affe?!

Allan trinkt …

Eine merkwürdige Unruhe macht seine Nerven zittern …

Vorahnung?!

Hat Bill doch recht gehabt, daß …

… Er fährt hoch …

Ein Motorrad biegt in toller Fahrt in den Garten ein …

Hält …

Beatrix springt ab…

Leichenblaß …

Schweißtriefend …

An der Treppe taumelt sie vor Schwäche …

„Blanche, fliehe!! Harst weiß alles, – – ich wollte dich retten, du hörtest nicht auf mich …“, – sie sinkt zusammen, ein kraftloses Bündel überreizter Nerven.

Allan Ganderlay ist fahl geworden … Sein schwarzes, volles Haar sticht grell gegen das erdige Gesicht ab.

Die Greisin flüstert scheu:

„Beatrix, – – hier in Chartum?! Und das hast du mir verschwiegen, Allan?!“

Allan Ganderlay betupft die beperlte Stirn.

Dabei verschiebt sich die Perücke, und eine blonde Locke ringelt sich bis zur Nase – – wie eine Schlange.

Der Benzindunst des Motorrades streicht stinkend über die Veranda …

Wieder flüstert die Greisin: „Allan, ich …“

„Still!!“

Sie duckt sich scheu zusammen.

Allan wendet sich der Glastür zu, will ins Haus …

Und prallt zurück …

Auch die entnervte Greisin schreit auf …

Drei Männer springen zu, Allan fühlt die Handschellen, und ein Blick unsäglichen Hasses trifft Harst.

Im Garten erscheinen wie hingezaubert bewaffnete Beamte, und mit einem hochmütigem Lächeln sinkt Blanche Tott wieder in ihren Sessel zurück.

Major Ali Mansur spricht die kalte Formel, die hier den Tod bedeutet: Verhaftung, Gericht, – – Strang.

Die ohnmächtig gewordene Greisin wird weggebracht, ein Protokollführer setzt sich an den Tisch, ein Arzt bemüht sich um Beatrix Neugold.

Harst schaut die große Verbrecherin still an.

„Blanche Tott, – wenn Weiber am Machtkitzel leiden, werden sie gefährlicher, skrupelloser, brutaler und heimtückischer als die vertiertesten Banditen …“

„Schon möglich. Ist das Ihre ganze Weisheit?!“

… Im Hintergrunde erklingt das Schluchzen Beatrix Neugolds …

Harst bleibt sachlich, kühl, überlegt.

„Sie hören Ihre Schwester weinen … Rührt denn gar nichts mehr an Ihr Herz?“

„Nichts!“

Uns Männer überläuft ein Frösteln …

„Blanche Tott, Ihre Lebensgeschichte ist ein tragischer Roman … Ihre Eltern starben früh, Ihre Mutter, eine geborene Engländerin namens Ganderlay und Schwester der hiesigen Mildred Ganderlay, bat Frau Mildred auf dem Totenbett, für Sie zu sorgen.“

„Familienchronik!“, spottet Blanche belustigt.

„… Ihr ungezügeltes Temperament trieb Sie nach Amerika … Reich werden, das war Ihr Wunsch! Und nebenher spukten wohl schon andere Pläne in Ihrem überhitzten Hirn…“

„Mein Hirn war nie überhitzt, stets eisgekühlt …“

„Vielleicht … – Sie heirateten Tott, den Millionär, Sie bestahlen ihn, Sie gaben Frau Clairon das Geld, damit sie hier den Boden vorbereite …“

„Ja – leider … Sie war sehr unintelligent …“

„Dann entflohen Sie Ihrem Gatten und veranlaßten Ihre Tante, die ohnedies Morphinistin war, aus rein praktischen Erwägungen aus Ihnen einen Neffen Allan Ganderlay zu machen, damit die Plantage durch einen Mann regiert würde …“

„Tante hat nie etwas zu sagen gehabt …“, bemerkte Blanche kalt.

… Im Hintergrunde weinte Beatrix Neugold …

„… Es war schwierig, dem sagenhaften Blansery auf die Spur zu kommen …“

„Das glaube ich, Sie haben Glück gehabt.“

„Nein, – Sie hatten Pech, denn Ihre Leute flohen hierher, nachdem sie Ihren Gatten niedergeschlagen hatten …“

„Und dann schlichen Sie sich hier ein …“

„… Und belauschten Sie … Ich sah Ihre aufgesteppten Brusttaschen mit den beiden Taschentüchern. Zwei Taschentücher sind etwas viel, dachte ich mir, und da erkannte ich den Zweck: Die aufgesetzten Taschen sollten Ihre weiblichen Formen maskieren …“

„Ah – – nicht schlecht kombiniert, Herr Harst!“

„Ich hörte die Unterhaltung mit Ihrer Tante … Für mich steht es fest, daß Sie Frau Mildred sehr bald keine Rauschgifte mehr geliefert hätten … Dann wäre sie gestorben …“

Blanche schwieg.

Ein kalter, hochmütig-überlegener Zug prägte sich immer schärfer in ihrem Gesicht aus.

Ihre gefesselten Hände lagen im Schoße. Sie saß kerzengerade …

„… Daß Sie Frau Clairon erschossen haben, sagten Sie selbst zu Bill …“

„… Ich leugnete es nicht ab, – aber das ist ja einerlei, Herr Harst, wo haben Sie Minz, meinen Terrier, gelassen, – – und dessen Freund, den Affen?“

Etwas wie Sorge klang durch ihre Stimme, die sie jetzt nicht mehr verstellte.

Harald winkte …

Im Garten erklang ein Bellen, und zwei Tiergestalten flogen auf die Veranda …

Minz war mit einem Satz auf dem Schoße seiner Herrin, die jetzt glücklich lächelte …

„Minz, ich danke dir …“, sagte sie laut und klar.

„Herr Harst, Minz’ Pfote erwies mir den letzten Liebesdienst … Um meinen linken Unterarm ist das Schlangenarmband geschlungen, und – – es war frisch gefüllt, ich fühlte den Stich. Herr Harst, ich bleibe doch Siegerin … Nehmen Sie sich meiner … Tiere … an … und …“

Ihr Körper zuckte …

Die Sprache war nur noch ein Stammeln … –

Die weiße Schlange starb durch eine weiße Schlange, und zu ihren Füßen kniete die schluchzende Beatrix, die alles daran gesetzt hatte, die Schwester von ihren verbrecherischen Pfaden wieder auf den schmalen Weg der Ehrbarkeit zurückzuführen …

Auf der Veranda war’s im übrigen totenstill.

… Die Fontäne plätscherte leise, die Palmen rauschten …

Vom Nil herüber erscholl eine Dampfersirene …

Minz, der Terrier, winselte …

Der zahme Affe starrte wie gebannt in ein lebloses Antlitz …

Die tote Blanche lächelte – – wie erlöst …

Die Weiße Schlange war hinausgeschwebt über alle Eitelkeiten dieser bunten Welt …

… Und die Palmen rauschten …

… Und wir schwiegen …

 

Nächster Band:

Die Geheimagentin.