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Die schwarzen Katzen

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 183

 

Die schwarzen Katzen

 

Erzählt von

Max Schraut

(Walther Kabel)

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 36, Elisabethufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1926 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Doktor Lanning aus Wachs.

Der freundliche Leser wird sich aus dem vorletzten Band noch auf die geheimnisvolle und ihrem Charakter nach so widerspruchsvolle Persönlichkeit des Doktor Georg Amalgi besinnen und auf unsere gewiß nicht alltäglichen Erlebnisse dort im verwilderten Parke in dem idyllischen Grünheide.

Amalgi entfloh damals zusammen mit seinem treuen, alten Diener Hubert und mit Hilfe jenes kleinen U-Bootes, das er ganz allein und in aller Heimlichkeit erbaut hatte.

Die Polizei hat alles mögliche versucht, des genialen und verbrecherischen Erfinders wieder habhaft zu werden. Die Öffentlichkeit erfuhr wenig von den geradezu großzügigen Maßnahmen, um Amalgi mit seinem Miniaturtauchboot nach abzufassen, bevor er die Gewässer um Erkner herum verlassen könnte. Handelte es sich doch nicht lediglich darum, den Chemiker selbst wegen seines Vorgehens gegen seine Verwandten und gegen seinen Nebenbuhler zur Verantwortung zu ziehen. In der Hauptsache sprach bei dieser polizeilichen Treibjagd wohl der Wunsch mit, Amalgis gefährlichen Strahlapparat, der jeden Menschen im Moment zu lähmen vermochte, näher kennen zu lernen. Dieser Apparat, dessen furchtbare Wirkung wir ja am eigenen Leibe gespürt hatten, war zweifellos auch von höchster militärischer Bedeutung.

Daß die Suche nach Amalgi ergebnislos bleib, habe ich schon im vorletzten Band zum Schluß erwähnt, ebenso, daß wir beide, Harald Harst und ich, unter recht seltsamen Umständen mit Amalgi wieder zusammentrafen.

Nach diesem kurzen Rückblick auf die damaligen Ereignisse will ich nun mit der Schilderung des Problems der schwarzen Katzen beginnen.

Der August brachte uns beiden an Detektivarbeit nur Kleinkram. Unter den fünf Fällen, über die ich mir Notizen gemacht habe, war auch nicht einer, der spannende oder besondere Einzelheiten darbot. Erst am 2. September sollte nach diesem Monat rein handwerksmäßiger Beschäftigung für uns wieder einmal der Zufall eine Arbeit bringen, die die Bezeichnung Problem verdiente.

An diesem 2. September spät abends gegen elf Uhr saßen wir in Haralds behaglichem Arbeitszimmer – lesend, rauchend und zuweilen an einem Glase ostpreußischen Maitranks nippend: Grog, den wir uns gebraut hatten, weil uns nach einer verregneten nächtlichen Jagd auf eine Bande von Orientteppichdieben ein Schnupfen in den Gliedern steckte.

Harald lag im Klubsessel und hatte eine Berliner Zeitung in den Händen, studierte den Anzeigenteil und machte seine Glossen über die Heiratsgesuche …

Ich hatte einen Roman vor, der von der Presse geradezu in den Himmel gehoben worden war und der mich selbst leider aufs bitterste enttäuschte. Schade um die sechs Mark!! Dieser Roman war ein krankhaft-unappetitliches Machwerk, verbrämt mit einem Schwall von Phrasen, deren Doppeldeutigkeit tiefgründige Lebensphilosophie vortäuschen sollte … Zwei dicke Bände, in denen Tuberkelbazillen die Hauptrollen spielten: Ich möchte den Durchschnittsleser sehen, der etwas derartiges zu verdauen vermag!

Mitten in unsere stille Behaglichkeit platzte wie eine schnaubende Dampfwalze ohne Anklopfen die dicke Köchin Mathilde hinein, bereits in Flanelljacke, Unterrock und aufgestecktem Rattenschwänzchen …

Das Fenster der Stube der braven Mathilde geht nach dem Hofe hinaus.

Mathilde war kreidebleich …

Mathilde sank in den zweiten Klubsessel und holte erst einmal japsend Atem …

Mathilde stammelte dann:

„Herr Harald, auf … auf … dem Hofe liegt einer …“

Unserer langjährigen Köchin Ausdrucksweise ist trotz aller Ermahnungen und Belehrungen noch immer wenig genau …

Harald fragte etwas mißmutig:

„Einer?! Ein Mann also … – Stimmt das auch, liebe Mathilde?“

„Gewiß … gewiß … Ich sah zum Fenster raus … und das Licht aus meinem Fenster reicht doch bis in die Mitte des Hofes … Da liegt er …“

Harst erhob sich …

„Na, dann müssen wir mal nachsehen, liebe Mathilde …“

„Um Gottes willen, nehmen Sie die Pistole mit, Herr Harald,“ stieß die dicke, angejahrte Maid hervor … „Wer weiß, was das wieder wird …! Ich habe verflossene Nacht von ’nem Sarg geträumt …“

Harald winkte mir mit kaum merklichem Lächeln … Mathilde hatte schon so häufig Gespenster gesehen …!!

Wir durchschritten den Flur, riegelten die Hoftür auf und ließen die Lichtstrahlen unserer Taschenlampen durch das Dunkel des Hofraumes gleiten.

Wirklich – dort lag neben dem langen Holzfutternapf für unsere Enten ein Mann regungslos auf dem Gesicht …

Harst eilte schon vorwärts …

Beugte sich über die Gestalt …

Ich sah, daß er den Menschen auf den Rücken drehte …

War neben ihm …

Schaute in … das Gesicht einer in einen grauen Anzug gekleideten Wachsfigur …

Einer lebensgroßen, einen jüngeren Mann mit blondem Haar und Spitzbart darstellenden Wachsfigur, deren Kopf tadellos gearbeitet war.

Was mir sofort ins Auge fiel, war ein an dem obersten Jackenknopf der Wachspuppe mit Bindfaden befestigter größerer Brief.

Harald studierte bereits die Aufschrift des Umschlages …

„An mich adressiert,“ meinte er. „Tragen wir das Ding ins Haus …“

Mathilde stand im Flur …

„Herr Gott – bloß man eine Wachspuppe!“ rief sie halb ärgerlich, halb beschämt …

„Bloß man – – durchaus nicht, liebe Mathilde,“ meinte Harald ernst. „Wahrscheinlich ist dies der Auftakt zu einem großen Fall … Gute Nacht, Mathilde …“

Wir legten die Puppe in Haralds Arbeitszimmer auf den Diwan …

Ich schaltete sämtliche Flammen des Kronleuchters ein …

In der Tat, dieser Wachskopf, diese Wachshände waren von Meisterhand hergestellt …!

Harald hatte den Brief vom Jackenknopf gelöst und erst mal den Bindfaden und den Umschlag genau betrachtet …

„Der Bindfaden besagt wenig,“ erklärte er bedächtig. „Ihm haftet ein geringer Geruch von Puder und Parfüm an. Der Puder dürfte ein Albertsheim-Fabrikat und das Parfüm dürfte „Turf“ sein … – Der Umschlag, prima Büttenpapier, Herrenformat … Die Schrift mit lila Damentinte recht energisch, wenn auch auf eine stark nervöse Person hindeutend … Wir werden nachher Umschlag und Brief auf Fingerabdrücke untersuchen …“

Dann schnitt er den Umschlag auf, zog zusammen mit dem Brief fünf Banknoten zu fünfhundert Dollar heraus, also rund gerechnet 10 000 Mark nach deutschem Gelde.

Hier nun der Inhalt des Briefes:

„Herr Harst,

ich bitte Sie, folgenden Auftrag zu übernehmen. Die Wachspuppe ist die bis ins einzelne genaue Nachbildung eines Herrn, der mir einst nahestand und der während einer Vergnügungsreise in Indien spurlos verschwunden ist. Die letzte Nachricht erhielt ich von ihm aus der Stadt Alwar, von wo aus er den großen Salzsee in der Thar-Wüste[1] besuchen wollte. Das war im Mai dieses Jahres. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Der Herr ist im übrigen ein Engländer, heißt Edward Lanning und war Doktor der Philosophie und Privatgelehrter. Da ich kein Bild von Lanning besitze, habe ich Ihnen diese Puppe heimlich zugestellt. Wenn Sie dieselbe genau betrachten, werden Sie unschwer verschiedene besondere Merkmale finden, die es Ihnen erleichtern werden, Lanning zu finden, selbst dann, wenn dieser sich vielleicht nur verborgen halten sollte. – Sobald Sie mir telephonisch Bescheid gegeben haben, ob Sie den Auftrag annehmen, stelle ich Ihnen nochmals 2500 Dollar zu. – Ich bitte Sie im übrigen, nicht nach meiner Person zu forschen, – mehr noch, ich verlange von Ihnen als Gentleman, mir in keiner Weise nachzuspüren. Ich weiß, mit wem ich es zu tun habe, und vertraue Ihnen rückhaltlos. – Weiteres durch Fernsprecher.“

Kaum hatte Harald mir den Brief halblaut vorgelesen, als auch schon das Telephon auf seinem Schreibtisch anschlug.

Er meldete sich …

„Hier Harald Harst … – Gewiß, ich habe den Brief bereits gelesen, gnädige Frau … Ich bin bereit, Ihre Bitte zu erfüllen. Mein Freund Schraut und ich sind ohnedies etwas europamüde, deshalb kommt uns auch ein Auftrag, der mit einer Reise nach Indien verbunden ist, recht gelegen. Nur noch eine Frage: Wann, an welchem Tage hat der Herr zum letzten Male an Sie geschrieben …? – So … am fünfzehnten Mai …? – – Gewiß, das Honorar genügt vollauf. Wie soll ich Ihnen aber, gnädige Frau, nach vielleicht glücklich erledigter Mission Nachricht zukommen lassen? … Ah – – Zeitungsanzeige in der Berliner Tagespost … Gut, ich werde die Anzeige schon derart abfassen, daß nur Sie den Inhalt verstehen … – Weshalb ich Sie mit gnädige Frau anrede? – Nein – Sie sind bestimmt verheiratet, meine Gnädige, sind sehr reich, malen zu Ihrem Vergnügen, benutzen Turf-Parfüm und tragen stets ein Büchschen Albertsheim-Puder bei sich … – Sie sind erstaunt …? – Es stimmt also alles … – Gut, danke … Schluß …“

Ich hatte andächtig zugehört …

Harald trat nun wieder an den Diwan heran, auf dem die Puppe lag …

Ich fragte: „Wie konntest du wissen, daß die Dame verheiratet und Malerin ist?“

Er antwortete nicht, hatte Jacke und Weste und Oberhemd der Puppe aufgeknöpft und so den aus Pappe hergestellten Oberleib des wächsernen Doppelgängers Doktor Lannings freigelegt …

Ich beugte mich tiefer herab …

Sah in der Pappbrust eine Klappe, die von Harald bereits geöffnet wurde …

Und dann … zog er aus dem Hohlraum der Brust … ein schwarzes Katzenfell hervor – – nichts weiter …

Im übrigen war diese Höhlung leer …

Ein schwarzes Katzenfell, tadellos gegerbt, mit Kopf mit Glasaugen, und mit einem dicken, buschigen Schwanz …

 

2. Kapitel.

Vier hinter uns …

Drei Wochen später …

Glühende Hitze lastete über den Sand- und Felsmassen der Thar-Wüste …

Mittag war’s … Zwei Dromedarreiter trabten ein ausgetrocknetes Flußbett entlang und hielten dann auf eine Reihe steiniger Anhöhen zu, an deren Nordseite sich unter dem Einfluß eines von den Höhen herabkommenden Baches eine geringe Vegetation entwickelt hatte: armselige Bäume, Gestrüpp und ein paar grüne Grasflächen …

Die beiden Reiter, die noch ein Lastkamel bei sich hatten, waren Harald und ich. Wir kamen von Amber[2], einem Städtchen südlich von Alwar, waren bereits zwei Tage unterwegs und wollten jetzt rasten und die größte Tageshitze vorüberlassen, bevor wir unseren Ritt nach dem Salzsee fortsetzten.

In kurzem hatten wir den grünen Fleck Erde erreicht und uns im Schatten der Büsche niedergestreckt, während unsere drei Tiere mit gefesselten Vorderbeinen grasten.

Wir waren ziemlich erschöpft, da wir in den beiden letzten Nächten wenig geschlafen hatten, denn Harald hatte durchaus gewünscht, daß wir abwechselnd wachen sollten, eine Vorsichtsmaßregel, die mir recht überflüssig erschien, weil man uns in Amber versichert hatte, daß hier im Südostteile der Thar in letzter Zeit nichts von Räuberbanden zu spüren gewesen sei. – Die Thar-Wüste ist ja, wie ich dies schon in früheren Bänden bemerkt habe, genau wie einst der „wilde Westen“ Amerikas die Zufluchtstätte all derer, die mit den Gesetzen in Konflikt geraten sind und sich einer Verhaftung entziehen wollen.

Harst zündete jetzt ein kleines Feuer an, stellte den Aluminiumnapf darüber und sorgte für unsere Konservenmahlzeit.

Ich lag mit halb geschlossenen Augen da und beobachtete unsere Dromedare, die mit wahrem Heißhunger das Gras rupften und dabei jene grunzenden Töne ausstießen, die wohl nur dem in Ratschputanagebiet gezüchteten Kamelschlage eigentümlich sind.

Jene wohltuende Müdigkeit, die nach langem Aufenthalte in frischer und reiner Luft den ermatteten Körper zu überwältigen und einem tiefen, gesunden Schlafe vorauszugehen pflegt, bemächtigte sich meiner und verlieh meinen Gedanken eine gewisse behagliche Trägheit …

Unwillkürlich geschah’s, daß diese Gedanken rückwärts irrten und den bisherigen Verlauf unseres Abenteuers gleichsam nochmals an meinem inneren Auge vorübergleiten ließen.

Auch dem freundlichen Leser will ich hier die Hauptpunkte der Ereignisse der letzten drei Wochen in kurzem berichten. – Die unbekannte Frau hatte uns tatsächlich am nächsten Morgen abermals 2500 Dollar zugestellt. Am Abend waren wir dann nach Genua abgereist, ohne uns um diese Dame weiter zu kümmern, von der mein Freund so bestimmt behauptet hatte, sie sei verheiratet und Malerin. Als ich Harald gebeten hatte, mir zu erklären, wie er zu dieser Annahme gekommen und was es wohl mit dem in der Pappbrust verborgenen Katzenfell auf sich habe, verfiel er wiederum in seinen alten Fehler und meinte, das habe noch Zeit, darüber könnten wir später sprechen. In Genua bestiegen wir einen nach Bombay bestimmten Dampfer. Am 22. September waren wir in Alwar, von wo aus Doktor Edward Lanning am 15. Mai den letzten Brief an unsere unbekannte Auftraggeberin abgeschickt und von wo er auch, wie wir im Hotel Gardier erfuhren, am 17. Mai in Begleitung zweier indischer Führer nach dem Salzsee aufgebrochen war.

Wir wußten bisher über Lannings Persönlichkeit sehr wenig, jedenfalls nicht mehr, als wir durch die Dame und die Wachspuppe erfahren hatten, die ihm so täuschend ähnlich sehen sollte. Jedenfalls hatte Lanning ein besonderes Kennzeichen in Gestalt einer Narbe über dem rechten Auge, außerdem an der linken Hand nur vier Finger, – der kleine Finger fehlte ihm.

Und nun zurück zu unserem Lagerplatz in der kleinen Oase …

Ich grübelte gerade darüber nach, was wohl das schwarze Katzenfell zu bedeuten haben mochte, das jetzt in einer unserer Satteltaschen zusammen mit dem Wachskopf der Puppe steckte, als ich links von den weidenden Dromedaren ganz zufällig in einem ginsterartigen Gestrüpp etwas Dunkles, Schleichendes bemerkte …

Meine Remingtonbüchse lag neben mir …

Sofort nahm ich sie auf, richtete mich empor und äugte schärfer nach dem Gestrüpp hinüber, – was Harald natürlich nicht entging …

„Es ist nur eine Thar-Katze, mein Alter,“ sagte er …

Und kaum hatte er’s ausgesprochen, als in meinem Gedächtnis die Erinnerung an frühere Erlebnisse hier in der indischen Wüste wieder auflebte …

Daß ich auch nicht früher daran gedacht hatte! Richtig, – hier in der Thar gab es ja eine besondere Art verwilderter Katzen mit sehr buschigen Schwänzen. Diese Katzen waren in den bewohnten Gegenden des unendlichen Wüstengebietes geradezu zur Landplage geworden, genau wie die Kaninchen einst in Australien.

Und nun wußte ich auch, woher das schwarze Katzenfell in der Pappbrust der Lanning-Wachsfigur stammte: der Engländer hatte die Katze wahrscheinlich geschossen und das Fell seiner verheirateten Freundin oder Geliebten zugeschickt, die es dann in der Puppe verbarg, damit es ihr Ehegemahl nicht sähe.

Um mir Gewißheit zu verschaffen, ob meine Kombinationen zutrafen, fragte ich Harald: „Lanning hat die Katze erlegt und das Fell der Unbekannten zugesandt …“

„Erlegt – – wohl kaum …,“ erwiderte Harst, ohne von dem dampfenden Napf aufzublicken. „Bevor ein Fell gut gegerbt ist, vergehen Monate … Er wird es gekauft haben und hat dann die Innenseite, das helle, weiche Leder, als Briefpapier benutzt …“

„Briefpapier?!“ Und meine Müdigkeit war wie weggeblasen …

„Ja … das Fell ist ein Brief. Die Dame jedoch ahnte dies nicht, denn die Schriftzüge sind nur durch starke Sonnenbestrahlung sichtbar zu machen. Wahrscheinlich hat Lanning in einem diesem Geschenk beigefügten Briefe Andeutungen gemacht, was das Fell in Wirklichkeit darstelle. Diese Andeutungen blieben der Frau unverständlich, und sie versteckte den Katzenbalg in der Puppe – ahnungslos, daß der Engländer ihr, seiner Geliebten, bereits … den Laufpaß gegeben und daß sie keinen Grund mehr hatte, um ihn irgendwie besorgt zu sein. Erst im Roten Meer, mein Alter, entdeckte ich in der sengenden Sonnenglut das Geheimnis des schwarzen Felles – zufällig! Ich hatte es in den Händen, die Sonne schien durch das Kabinenfenster, und wie durch ein Zaubermittel erschienen mit einem Male auf dem Leder Reihen von bläulich schillernden Worten …“

Die Satteltasche lag in der Nähe …

Ich griff danach, wollte das Fell herausnehmen und diesen eigenartigen Brief sichtbar werden lassen und lesen …

„Bitte – jetzt nicht!“ sagte Harald da ziemlich scharfen Tones. „Du scheinst noch immer nicht bemerkt zu haben, daß wir von vier Dromedarreitern verfolgt werden, die allmöglichen Kniffe anwenden, um für uns unsichtbar zu bleiben …“

„Ah – – also deshalb wachten wir nachts abwechselnd,“ rief ich mit gelinder Empörung. „Du hättest mir auch getrost schon früher mitteilen können, Harald, daß unser Ritt durchaus nicht so harmlos ist, wie …“

Er nahm den Napf vom Feuer … „Nicht so harmlos wie ein gewisser Max Schraut,“ unterbrach er mich … „Mein Alter, unser Auftrag hat seine bösen Widerhaken, das kannst du mir schon glauben,“ fügte er hinzu und füllte meinen Teller mit dem dicken Brei aus Büchsenfleisch und Kartoffeln. „Ich wurde auf diese vier braunen Gentlemen schon in Amber aufmerksam, wo sie uns nicht aus den Augen ließen … Zwei davon scheinen Perser zu sein, die beiden anderen sind reinblütige Ratschputen mit wahren Rinaldo Rinaldini-Visagen … – So, nun iß nur … Ich will mit dem Fernglas dort auf die Felskuppe klettern und nur mal rasch noch feststellen, ob die fremden Herrschaften uns nicht zu nahe auf den Pelz gerückt sind …“

Warf seine Remingtonbüchse über die Schulter und schritt davon, entschwand meinen Blicken zwischen den Felsblöcken und überließ mich meinen unbehaglichen Gedanken …

Verfolger …!! – Zwei Perser, zwei Ratschputen!! – Wer nur mochte die vier auf unsere Fährte gehetzt haben?! Welches Interesse hatten diese Leute an uns, die wir uns doch in Alwar und Amber für Naturforscher ausgegeben und andere Namen in den Hotels genannt hatten?!

Unbegreiflich blieb’s …! Wer waren die vier?!

Und langsam leerte ich meinen Teller, trank dazu Wasser aus dem Bächlein, das ein wenig nach Natron schmeckte …

Merkte gar nicht, über all dem angestrengten Grübeln, daß Harald längst hätte zurück sein müssen …

Ein Glück nur, daß unsere Dromedare tadellose Nasen hatten … Der leichte Wind kam von Osten, aus der Richtung, woher wir die Oase erreicht hatten … Und das plötzliche unruhige Wesen der Tiere warnte mich noch rechtzeitig …

Ich sprang auf … Schaute durch die Büsche rückwärts. Sah gerade noch, wie zwei Inder in grauen Puljaks (Umhänge, wie die Ratschputen sie tragen) sich blitzschnell hinter Gestrüpp niederwarfen …

Im Nu hatte ich die Büchse entsichert …

Feuerte zwei Schüsse in die Luft ab …

Wollte Harald warnen …

Nahm unsere Satteltaschen und rannte westwärts über die freie Grasfläche bis zu einem Felshügel, den ich rasch erklomm … Von hier hatte ich freies Schußfeld nach allen Seiten …

 

3. Kapitel.

Allein!!

Freies Schußfeld …

Aber – kein Ziel …

Weit und breit regte sich nichts …

Die Zeit verstrich …

Von Harald keine Spur …

Unsere drei Dromedare grasten wieder friedlich …

Unbarmherzig brannte die Sonne mir auf den Rücken …

Ich beobachtete unausgesetzt nach allen Seiten … Überraschen konnte mich niemand …

Und doch: meine Lage war äußerst heikel! Immer stärker befestigte sich mir die Überzeugung, daß unsere vier unbekannten Gegner Harst hinterrücks niedergeschlagen und ihn nun in ihrer Gewalt hatten.

Ich war also auf mich allein angewiesen. Was tun?! Sollte ich zu unserem Lagerplatz zurück? Setzte ich mich nicht, sobald ich die Tiere zu satteln versuchte, nur allzusehr der Gefahr eines unvermuteten Angriffs aus, da das Buschwerk der Oase das Anschleichen den Feinden erleichterte?!

Trotz alledem: Ich mußte unsere Tiere mit mir nehmen und zunächst einmal die Verfolger abzuschütteln suchen, dann aber Harald befreien …! Es handelte sich also hier um ein Stück Indianerromantik, nach Indien und in unsere moderne Zeit verlegt. Nun – ich war kein Neuling selbst auf derartig gefährlichen Pfaden. Ich besaß mancherlei Erfahrungen und traute es mir wohl zu, die vier Gegner hinters Licht zu führen.

Zunächst beobachtete ich nochmals die Dromedare … Sie zeigten keinerlei Unruhe mehr, mithin konnte ihnen der leichte Ostwind auch nicht mehr die Witterung von Fremden zuleiten.

Von jener Seite hatte ich mithin jetzt nichts zu fürchten. Anders leider stand es mit den Felsenhügeln nach Süden hin, in denen man Harald überrumpelt hatte. Von dort aus konnte ich unschwer durch eine Kugel unschädlich gemacht werden, ohne einen Feind auch nur zu Gesicht zu bekommen. Nach Norden zu wieder, ebenso nach Westen, lag die offene, flache Sandwüste wie eine gelbbraune Tenne vor mir.

Ich nahm mein Fernglas wieder zur Hand und beäugte die Felsenhügel, prüfte jede Zacke, jeden Vorsprung, ob da hinter nicht ein verdächtiger Turban sichtbar würde …

Nichts … nichts …

Und eine gewisse Sicherheit, daß dort tatsächlich niemand verborgen, gaben mir auch die dort in kleinen Schwärmen kreisenden Felstauben von jener blaugrauen Art mit gelben Höckerschnäbeln, wie sie Zentralindien überall in gebirgigen Gegenden angenehm bevölkern, denn sie sind leicht zu erlegen und sehr wohlschmeckend.

Unter diesen Umständen besann ich mich nicht lange, trabte zum Lagerplatz zurück, ließ die folgsamen Dromedare niederknien und legte ihnen Zäume und Sättel an, befestigte die Packtaschen, schnürte dem Lastkamel die Wasserschläuche auf und ließ mein Reittier dann in flotter Gangart nach Norden zu in die Sandebene hinauseilen, indem ich die beiden anderen Kamele an einer Leine hinter mir her zog …

Glück hatte ich gehabt, unverschämtes Glück … Denn kaum war ich etwa hundert Meter von unserer Oase entfernt, als links von mir das Singen einer Kugel mein Reittier einen Seitensprung tun ließ … Noch acht weitere Schüsse wurden mir in unregelmäßigen Zwischenräumen nachgeschickt.

Sonntagsjäger!! dachte ich verächtlich. Nicht einmal die Dromedare hatten die Kerle zu treffen vermocht! Es mußten elende Schützen sein, oder ihre Gewehre taugten nichts!

Diese zwecklose Knallerei hinter mir her gab mir neuen Mut … Leute, die derart miserabel schossen, waren selbst zu vieren kaum recht ernst zu nehmen.

Ich jagte also zunächst noch im langen Kameltrab bis zu einer hohen Düne, die den Beginn eines wellenförmigen Wüstenteiles ohne jede Vegetation vorstellte. Nach einer halben Stunde ritt ich dann nach Westen, beschrieb einen Bogen und bewegte mich jetzt, dauernd in Senkungen mich haltend, parallel zu meiner nördlichen Fährte nach Süden zurück, machte nach abermals einer Viertelstunde halt und erklomm zu Fuß eine kahle Anhöhe, von der aus ich, mich sorgsam gegen Sicht deckend, nach den Gegnern ausspähte …

Nichts … nichts …

Ich wartete fünf Minuten, zehn Minuten …

Ich konnte ungefähr berechnen, daß meine nördlichen Spuren von diesem Hügel kaum fünfhundert Meter entfernt sein könnten …

Mein gutes Fernglas brachte mir die ferne Oase und die Felsenhügel ganz nahe …

Keinerlei Lebewesen waren sichtbar … Nur die Taubenschwärme umkreisten dort gen Süden ihre steinigen Nistplätze, und ein halbes Dutzend Aasgeier, diese internationalen geflügelten Leichenfledderer, schwebten schräg über mir in mäßiger Höhe.

Ich war nun im Grunde genommen so klug wie vorher … Mein schöner Plan war ins Wasser gerutscht … Die vier Gegner, die meinen Harald überlistet hatten, gaben sich offenbar mit diesem Teilerfolg ihrer mir unklaren Absichten zufrieden, was immerhin recht merkwürdig war.

So lag ich denn oben auf der Kuppe der einzelnen Sanddüne und ging mit mir zu Rate, wie ich es nun anstellen sollte, Harald zu befreien, ohne mich selbst der Gefahr auszusetzen, in gleiches Schicksal wie er zu erleiden.

Ja – was sollte ich nunmehr beginnen?! – Schwierige Frage, zumal ich hier in der prallen Sonnenglut der Mittagsstunde unmöglich auch nur noch fünf Minuten länger ausharren konnte … Ebenso mußte ich auch für die drei Tiere eine schattige Stelle suchen, da die Hitze außergewöhnlich groß war, und da selbst ein Kamel, das bisher in den kühleren Randgebieten der Thar gelebt, derartige Glutwellen nur verträgt, wenn es dauernd in Bewegung bleibt.

Ich hielt also nochmals Umschau … Nach Osten zu, wo der Große Salzsee, unser Ziel, liegen mußte, bemerkte ich dann eine halbe Meile entfernt, eine einzelne, recht hohe und sehr zerklüftete Felsmasse, die mitten aus dem gelbbraunen Sande herauswuchs, wie man dies in der Thar ebenso häufig findet wie in der Sahara.

So ritt ich denn auf diesen gewaltigen, dunklen Granitblock zu, indem ich mich wie bisher stets in den Dünentälern hielt.

Je mehr ich mich dem imposanten Steingebilde näherte, das in seinen Umrissen fast einer Bergruine glich, desto deutlicher erkannte ich die enormen Abmessungen dieses zerrissenen, unregelmäßigen, zackigen und mit tiefen Einkerbungen versehenen Felsens. – Ich freute mich über seine Höhe von gut fünfzig Meter … Denn dort würde ich fraglos ein schattiges Plätzchen entdecken, wo ich in Ruhe über meinem ferneren Schritte nachdenken konnte.

Jetzt hatte ich, aus einem langgestreckten Tale im Trab emporreitend, die Steinmasse dicht vor mir …

Stutzte …

Auf einem Vorsprung, zehn Meter über dem Boden, gewahrte ich eng aneinandergedrängt und fast regungslos dasitzend, etwa zwanzig schwarze Thar-Katzen[3]

Die Tiere schauten mir entgegen, als ob sie der Anblick eines Menschen hoch zu Dromedar durchaus nicht erschrecke …

Von Norden nahte ich mich … Mochte etwa noch dreißig Schritt vom Fuße des mächtigen Felsgebildes entfernt sein, als ich einen schrillen Pfiff vernahm, woraufhin die Katzen blitzschnell verschwanden …

Ich hätte wetten mögen, daß dieser Pfiff durch eine Trillerpfeife und menschliche Lippen hervorgerufen worden war, verwarf diesen Gedanken sofort wieder als allzu phantastisch und sagte mir, daß irgendeinem Vogel, der in den Klüften des Steines hauste, diese schrillen Töne zuzuschreiben seien. Die Katzen waren eben schließlich doch vor mir entflohen, und der Pfiff hatte mit ihrem jähen Verschwinden gar nichts zu tun.

Im Schatten der hier steil aufsteigenden Felsmasse band ich die drei Dromedare fest und begann dann den Steinkoloß, die entsicherte Büchse im Arm, rasch zu umschreiten, um festzustellen, ob ich in der Nähe des Felsens frische, verdächtige Fährten bemerkte.

Nichts davon … Überall war die Sandoberfläche glatt und unberührt, bis auf zahllose Eindrücke von Katzenpfoten …

Bei diesem Rundgang sah ich auch, daß der gewaltige Stein ohne besondere Hilfsmittel von keiner Seite zu erklimmen war, da der sockelartige, fünfseitige Unterteil überall fast senkrecht anstieg.

Ich kehrte zu meinen Tieren zurück, gab ihnen zu saufen und legte mich recht erschöpft zwischen ein paar Steine, steckte mir eine Zigarre an und starrte in den lichtblauen Himmel empor …

Nicht lange …

Ein besonderer Gedanke trieb mich hoch …

Das Katzenfell in der Satteltasche – – dieser ungewöhnliche Brief …!! Gab es eine bessere Gelegenheit als jetzt, wo ich vorläufig doch nichts unternehmen konnte, ihn zu lesen?!

Ich schnallte die Satteltasche auf …

Holte das tadellos gegerbte Fell hervor …

Zwanzig Schritt weiter hörte die Schattengrenze des Felsens auf …

Dort stellte ich mich hin, ließ die pralle Sonne auf die Lederseite des Katzenbalges scheinen …

Und – sehr bald wurde denn auch die Schrift sichtbar. In den Händen das Fell straff haltend, las ich folgendes:

Alwar, den 15. Mai 19…

Anni – einst meine Anni, jetzt nur noch zum geringsten Teile mein, – Anni, ich hoffe, daß du meine Andeutungen in dem gleichzeitig mit diesem Katzenfell und einigen Raritäten an Dich abgehenden Brief, der wie immer postlagernd W57, Berlin, Deiner wartet, verstehen und die Schriftzeichen durch die Kraft der Sonnenstrahlen auf diesem Katzenbalg sichtbar machen wirst.

Anni, das, was ich heute hier mit chemischer Tinte diesem Fell anvertraue, ist der Abschied für immer.

Vielleicht hast du bereits geahnt, daß es meinem innersten Wesen längst widerstrebte, die Frau eines anderen zu meiner Geliebten zu haben, selbst wenn diese Frau einst in freier Hingabe mir gehörte.

Anni, unsere Beziehungen müssen ein Ende haben – – unbedingt! Ich würde moralisch daran zu Grunde gehen, wenn ich sie fortsetzen wollte.

Nicht etwa, daß ich Dich nicht mehr liebe! Nein, Anni, was je in meinem Herzen für Dich an reinen Empfindungen blühte und glühte, wird nie verwelken, nie erlöschen.

Glaube mir, daß es mir unendlich schwer wird, Dir auch noch das letzte mitzuteilen: Doktor Edward Lanning wird fernerhin für die Welt tot sein! Ich werde in der Thar während meiner kleinen Expedition nach dem Salzsee verschwinden. Ich werde auch von Dir, deren Energie und Zähigkeit ich kenne, nie mehr gefunden werden. Gib dir keine Mühe, irgendeinen genialen Detektiv (ich denke hier etwa an den Berliner Harst, den Mann von Weltruf) auf meine Fährte zu setzen. Ich habe Vorsorge getroffen, daß Edward Lanning unter fremdem Namen und mit neuem Gesicht in anderem Erdteil ruhig, wenn auch freudlos, seine Tage als Einsiedler beschließen kann.

So sage ich Dir denn hier Lebewohl auf ewig, meine Anni. Ich … gebe Dir nicht den Laufpaß, wie die deutsche Redensart heißt … Ich will nur uns beide moralisch retten!

Gott gebe Dir Frieden und Glück!

Dein

Edward.

So lautete dieser seltsame Abschiedsbrief …

Ich überflog ihn nochmals, bevor ich in den Schatten zurückschritt und das Katzenfell mit einer gewissen Ergriffenheit wieder in die Satteltasche zu dem Wachskopf packte.

Ergriffenheit …! – Der Brief bewies ja, daß diese Anni und dieser Lanning einst eine selige Liebeszeit miteinander durchkostet haben mußten, daß dann besondere Umstände diese Anni zur Ehe mit einem andern zwangen und daß es dann gekommen war, wie es kommen mußte: Treubruch dem Gatten gegenüber, – erwachendes Gewissen des Liebhabers und nun … das Ende!

Gewiß – alltägliche Menschenschicksale! Und doch umgeben von zahllosen noch ungeklärten Fragen …! – Weshalb diese Ehe mit einem andern – – weshalb?! – Das war der Hauptpunkt des alltäglichen Rätsels …! –

Während ich noch die Satteltasche zuschnallte, vernahm ich wiederum den schrillen Trillerpfiff …

Mein Kopf flog in die Höhe …

Dort oben der Felsvorsprung, wo vorhin die Katzen gesessen hatten …

Dort oben ein Mann im gelben Leinenanzug … Tropenhelm …

Ich traute meinen Augen nicht …

Amalgi war’s …!

Der Chemiker, der Erfinder …!

Winkte mir zu …

Eine lange Hanfleine rollte in die Tiefe, pendelte hin und her …

Er war’s … Er war’s …!!

Und ich war schon auf den Füßen, nahm meine Büchse, begann an der Leine emporzuklimmen …

Schwang mich nun über den Rand der Felsterrasse …

Die Leine war um eine Steinzacke geschlungen …

Die breite Terrasse … leer …

Und nirgends eine Spalte oder dergleichen, in die Doktor Georg Amalgi hätte hineingeschlüpft sein können …

 

4. Kapitel.

Die beiden Laubingers.

Was bedeutete das?!

Amalgi nicht mehr da?! Weshalb hatte er mir denn gewinkt, mir die Leine zugeworfen und mir so das Erklimmen der Terrasse ermöglicht?!

Ich blickte hierhin und dorthin …

Kein Amalgi … Kein Winkel, in dem er sich hätte verbergen können, auch keine Möglichkeit, die Terrasse etwa nach oben hin zu verlassen …

Dann – ein Zufall! – schaute ich nach rechts in die Wüste hinaus …

Sah gerade zwei Dromedarköpfe und die Turbane der beiden Reiter über einem Dünenkamm auftauchen …

Warf mich zu Boden … Am Rande der Terrasse lag genug Geröll, das mich verbarg …

Im Nu hatte ich das Seil hochgezogen …

Äugte zwischen dem Geröll nach den Reitern aus …

Ah – wirklich die vier Gegner und – – mein alter Harald als Gefangener auf einem Lastkamel – – gefesselt, die Augen verbunden …

Überaus vorsichtig näherten die vier sich der Stelle, wo unsere drei Tiere jetzt widerkäuend, im Schatten ruhten. Sowohl die beiden schwarzbärtigen Ratschputen als auch die Perser hielten ihre Gewehre schußbereit …

Trennten sich nun …

Wollten mir, den sie wohl in den Steintrümmern am Fuße der gewaltigen Felsmasse versteckt oder schlafend glaubten, jeden Fluchtweg versperren …

Dann sprangen die Ratschputen von ihren Dromedaren und schlichen auf meinen Lagerplatz zu, während die beiden Perser, die merkwürdig stoppelbärtig aussahen und reichlich korpulent waren, unschlüssig vom Sattel ihrer vorzüglichen Reitdromedare aus das Vorgelände beobachteten, als ob sie jeden Moment eine Kugel erwarteten.

Hinter ihnen, durch zwei Leitseile an die Tiere der Perser befestigt, stand das Lastkamel, auf dem der gebundene Harald hockte, der offenbar in aller Seelenruhe der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensah.

Die Situation war auf diese Weise mit einem Schlage zu meinen Gunsten verwandelt … Wenn ich ebenso brutal wie die vier Gegner, die vor etwa zwei Stunden so wütend hinter mir drein gefeuert hatten, hätte vorgehen wollen, brauchte ich die Ratschputen nur abzuschießen, und die Perser wären mir mitsamt ihrem Gefangenen sicher gewesen.

Ich verzichtete auf jedes Blutvergießen …

Ich konnte mich auf meine sichere Hand in der Führung der Büchse verlassen und mir die Kugeln für den äußersten Notfall aufsparen.

So wurde ich denn von meinem hohen Versteck aus Zeuge, wie die Ratschputen ergebnislos nach mir suchten, bis sie meine Fährte fanden, die ich im Sande hervorgerufen, als ich den Felskoloß umschritt. Diese nach links führenden Spuren schienen den beiden Indern zu besagen, daß ich zu Fuß geflohen sei, als ich die vier nahen sah. Einer der beiden holte nun sein Reittier und trabte ebenfalls nach links davon – mir nach, wie er wohl bestimmt annahm.

Jetzt wagten die Perser, die die übliche Tracht der in Nordwestindien umherreisenden persischen Händler trugen, sich bis zum Lagerplatz hin. Der Ratschpute mußte Harst bewachen, und die stoppelbärtigen Dickbäuche, die mich (welche Torheit!!) in weiter Ferne vermuteten, machten sich jetzt über den Inhalt unserer Satteltaschen her, wobei sie leise miteinander flüsterten …

Da ich keine dreißig Meter, in der Luftlinie gemessen, von ihnen entfernt war, konnte ich ohne Schwierigkeiten verstehen, was nun zu meinem grenzenlosen Erstaunen zwischen ihnen und Harald in englischer Sprache verhandelt und behandelt wurde.

Der eine der dicken Händler hatte jetzt das Katzenfell gefunden, wickelte nun den Wachskopf Edward Lannings aus seiner vielfachen Umhüllung …

Als der Kopf zum Vorschein kam, stierten die beiden Perser ihn wahrhaft entgeistert an …

Dann rief der eine, der kleinere, Harald zu:

„He, Sir, weshalb schleppen Sie dieses Ding mit sich herum, diesen wächsernen Kopf?“

Und Harst erwiderte:

„Als Talisman, Verehrtester, nur als Talisman … Er soll uns Glück bringen …“

Der Perser lachte fettig – ein gluckerndes, unangenehmes Lachen …

„Daß der berühmte Harst abergläubisch sein könnte, habe ich auch nicht geglaubt …“

Da mischte sich der größere ein …

Ohne Frage hatten seine Haltung, seine Art zu sprechen und seine Handbewegungen etwas Gebieterisches. Dieser Perser schien das Befehlen gewöhnt zu sein …

„Nimm dem Gefangenen die Augenbinde ab,“ sagte er sehr kurz …

Es geschah …

Harald überschaute die Szene … Lächelte den größeren Perser freundlich an …

Der fragte nun: „Woher haben Sie diesen Wachskopf?“

„Geschenkt erhalten,“ entgegnete Harst auf deutsch … „Ich denke, wir unterhalten uns bequemer in unserer Muttersprache,“ fügte er mit derselben ironischen Überlegenheit hinzu. „Sie beide sind genau so wenig Perser wie Schraut und ich, meine Herren. Ihr Äußeres verrät Sie … Ein in Indien umherziehender persischer Händler dritter Güte, worauf ihre Kleidung hindeuten sollte, hat keine Goldplomben in den Zähnen und keine so tadellos gepflegten Hände … Geben Sie diese Komödie nur auf … Sie sind Deutsche, und was Sie von mir und Schraut wollen – erpressen wollen, weiß ich ebenfalls, Herr Kommerzienrat Laubinger …“

Der größere schnitt ein Gesicht, als ob er soeben eine Backpfeife erhalten hätte …

Der kleinere glotzte total vertattert zu Harst empor …

Und diesem kleineren nickte Harst jetzt gönnerhaft zu und meinte:

„Sie sind der ehemalige Dampfersteward Gustav Laubinger, das Schmerzenskind der Familie … Gewesener Student, nachher Schuhputzer in Neuyork, dann Kohlentrimmer, schließlich Steward, jetzt von Ihrem reichen Bruder in Gnaden wieder aufgenommen und als Gefährte bei dieser … Vergnügungstour nach Indien infolge Ihrer Weltreisen von einigem Nutzen … – Sie sehen also, meine Herren, daß ich Sie recht genau kenne, obwohl ich Sie in Alwar zum ersten Male und bereits in derselben mäßigen Verkleidung zu sehen bekam … – Haben Sie noch etwas zu fragen, Herr Kommerzienrat?“

Laubinger, der reiche, hatte seine Verlegenheit und seinen Ärger bereits hinuntergewürgt und rief drohend:

„Sie werden mir jetzt die Wahrheit sagen, Herr Harst, wie Sie gerade in den Besitz dieses Wachskopfes gelangt sind, oder … ich werde Zwangsmittel anwenden!!“

Diese Drohung war fraglos nicht nur so hingeredet. Laubingers Miene verriet, daß er zu allem entschlossen war.

Mein alter Harald antwortete kühl:

„Zwangsmittel – – hm?! Ob Sie dazu noch Zeit finden werden?! Ich bezweifle es …“

Und sein Blick ging unmerklich über den Rand der Terrasse hinweg …

Er hatte das Gesicht nach dem Felsen gerichtet … Die Laubingers kehrten mir den Rücken zu …

Kein Zweifel: Harst wußte, wo ich steckte! Harst hatte auch den letzten Satz mit erhobener Stimme gesprochen … Und wünschte, daß ich nun eingreifen sollte …

Das war ein Kinderspiel … Ich brüllte mit voller Lungenkraft:

„Hände hoch …!!“

Und gleichzeitig feuerte ich …

Hatte gut gezielt …

Dem Ratschputen flog die Büchse aus der Hand …

Brüllte nochmals: „Ich knalle euch drei nieder, wenn ihr Harst nicht sofort losbindet!!“

Nun – die drei Gegner da unten waren keine siebenmal gesiebten Wegelagerer, sondern sehr harmlose, leicht einzuschüchternde Kaninchen …

Gehorchten …

Und – – Harald war frei … Hatte seine Remingtonbüchse wieder und …

Mehr sah ich nicht …

Lag noch hinter den Felsstücken …

Bekam urplötzlich von hinten einen Klapps auf den Hinterschädel …

Mein Bewußtsein empfahl sich …

Ich spürte nur noch, daß ich an den Beinen rückwärts geschleift wurde …

Ein letzter rasch erlöschender Gedanke war:

Amalgi …!!

 

5. Kapitel.

Eine Fürstin?!

Mein Bewußtsein empfahl sich …

Nur für kurze Zeit …

Ich traute meinen Augen nicht … Diesen Augen, deren Lider so bleischwer waren …

Die ich kaum öffnen konnte …

Und die ich dann doch vor Staunen ganz weit aufriß …

Da war ringsum eine hohe Felsenmauer … Da waren inmitten dieses großen Tales mit seinen schroffen Wänden die grünen, hochragenden Zeugen einer üppigen Vegetation: Bäume aller Art, selbst Palmen, dazu Sträucher, Gestrüpp, Gras und bunte Blumen …

Und ich selbst – an einen Baum am Rande einer Lichtung gefesselt …

Im übrigen keine lebende Seele außer einer Unmenge … schwarzer Thar-Katzen …

Mindestens hundert, schätzte ich.

Sie trieben sich auf der Lichtung und in den Kronen der Bäume umher, spielten miteinander, fauchten sich an, veranstalteten Hetzjagden in den Wipfeln und nahmen von mir keinerlei Notiz …

Ich stand im Schatten …

Der Sonne nach mußte es etwa sieben Uhr abends sein.

Wo war ich?! Wie hatte man mich so schnell an einen äußerlich so verlockenden Ort schaffen können?!

Und dann – jäh kam mir die Erleuchtung: die riesige Felsmasse war größtenteils ausgehöhlt wie ein ungeheurer Kasten, wie ein Treibhaus … Ich befand mich in dem mächtigen Granitgebilde, in einem wahren Garten Eden inmitten der Wüste!

Als … Gefangener Amalgis!!

Nur Amalgi konnte mich niedergeschlagen und hier an den Baum gefesselt haben!

Aber – was tat Amalgi hier im Südteile der Thar, hier in dieser Unmenge schwarzer Katzen?!

Ich dachte an den schrillen Trillerpfiff, den ich für einen Vogelschrei gehalten hatte und auf den hin die Katzen vom Rande der Terrasse draußen verschwunden waren …

Immer klarer wurden meine Gedanken, obwohl mein Kopf überaus schmerzte und mir’s zuweilen noch in neuer Ohnmachtsanwandlung vor den Augen flimmerte …

Doktor Georg Amalgi …!!

Ja – – er hatte mit uns eine alte Rechnung wettzumachen … Wir hatten störend in sein geheimnisvolles Treiben dort in Grünheide eingegriffen …

Aber – daß er jetzt an mir in dieser Weise …

Da …

Der Gedankenfaden zerriß …

Eine Gestalt erschien drüben unter den Bäumen der Lichtung …

Kein Amalgi …

Eine Inderin …

Ein junges schlankes Weib mit dunklen Glutaugen … Eine braune Schönheit, gekleidet in ein loses, buntes Gewand.

Sandalen aus hellem Leder trug sie …

Im Haar blitzten ihr Juwelen …

Um den Hals schimmerten Perlenketten …

Langsam kam sie auf mich zu …

Stolz, den Kopf leicht zurückgebogen …

Hoheitsvoll die Haltung, jede Bewegung. –

Kaum hatten die Thar-Katzen sie erblickt, als die ganze schwarze, langgeschwänzte Bande auch schon miauend auf sie zueilte, sie umringte, sich an sie drängte.

Seltsames Bild …

Inmitten dieser Katzenherde die Inderin – wie von einer Leibwache umgeben …

Näherte sich mir …

Machte drei Schritt vor mir halt … fragte in fließendem Englisch:

„Wer bist du?“

Hm – – leugnen?! Wohl zwecklos!

„Ich heiße Schraut und bin Detektiv,“ erwiderte ich …

„Was tust du hier in der Thar?“

„Ich suche zusammen mit meinem Freunde Harst einen Mann, der verschwunden ist …“

„Und die vier anderen, – die Ratschputen und die Perser?“

„Zunächst: es sind keine Perser, sondern Deutsche wie wir … Es sind aber unsere Feinde … Weshalb, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es nicht … Harst nannte die beiden, die die Ratschputen wohl als Führer angeworben haben, Laubinger – – Kommerzienrat Laubinger und Steward Laubinger. Woher er ihre Namen kennt, ist mir gleichfalls unbekannt.“

Die Inderin richtete dann noch mehrere Fragen an mich.

Wer uns beauftragt hätte, den verschwundenen Mann zu suchen, und wer dieser Mann sei …

Jetzt … schwindelte ich …

Erklärte, daß die Gattin eines amerikanischen Naturforschers namens Anna Ginnal (das war so etwa der Name Lanning von rückwärts!) unsere Hilfe zur Auffindung ihres Mannes in Anspruch genommen habe …

Die Inderin blickte mich daraufhin verächtlich an …

„Du lügst!“ rief sie … „Der Mann, der verschwunden ist, heißt Doktor Edward Lanning! Und weil du mich in diesem einen Punkte belogen hast, schenke ich deinen Angaben überhaupt keinen Glauben …!“

Wenn jemals das Gebieterische und Hoheitsvolte in dem Wesen dieses jungen Weibes deutlich in die Erscheinung getreten war, so war’s jetzt, als sie mich mit unendlicher Geringschätzung anblickte und gleichzeitig in ihren sprechenden Augen bei Nennung des Namens Lanning ein Haß aufflackerte, der nur demselben Manne gelten konnte, den zu suchen wir ein Viertel des Erdenrunds umkreist hatten …

Haß!!

Weswegen Haß?!

Und jählings kam mir da ein Gedanke – eine Vermutung …

Vielleicht hatte Edward Lanning die Inderin früher gekannt … Vielleicht war auch sie wie jene Frau Anni, seine Geliebte gewesen, war treulos verlassen worden!

Möglich auch, daß Lanning nun zu ihr zurückgekehrt war, um gutzumachen, was er an ihr gefehlt! Doch die braune, glutäugige Schönheit, deren Allgemeinbildung weit größer war, als man es bei einem schlichten Weibe aus den die Thar-Wüste bewohnenden Stämmen vermuten konnte, – dieses Mädchen hatte nichts mehr von der Liebe von einst gewußt, nichts mehr davon wissen wollen …

Meine Gedankenkette wurde plötzlich gestört …

„Willst du jetzt die Wahrheit sprechen, Fremder?“ fragte die Inderin eindringlichen Tones … „Wer bist du? Und wer sind die Leute dort draußen vor dem Felsen, die einen Mann gebunden mit sich führten, den du befreit hast, kurz bevor der Kolben meiner Büchse dich niederwarf?“

Also sie hatte mich niedergeschlagen …! Nun, sie war keine zu verachtende Gegnerin, und wenn ich nicht wollte, daß sie Harald und mich als ihre Feinde betrachtete und danach behandelte, mußte ich mich streng an die Tatsachen halten.

Ich erwiderte daher auch:

„Gut denn, – wir suchen Doktor Lanning … Er ist mit einer Europäerin befreundet, von der wir nur den Vornamen kennen: Anni!“

Ihre bisher zwanglos am schlanken Körper herabhängenden Hände krallten sich zu Fäusten zusammen …

„Ja – – Anni Laubinger!“ stieß sie hervor. „Anni Laubinger, – – jetzt sprichst du die Wahrheit, Sahib!“

Haß – – Haß in ihren Augen …

Haß, der nunmehr jener Anni galt! Haß und Eifersucht – zügellose Eifersucht …!

Und mich hatte sie jetzt Sahib angeredet – Herr … Hatte also angedeutet, daß sie in mir nicht mehr einen Feind sehe.

Fragte weiter:

„Sahib, du bist mir noch Auskunft über die Leute schuldig, die deinen Freund gefangengenommen hatten …“

Sollte ich lügen?!

Nein! Was lag daran, wenn dieses junge Weib erfuhr, daß (und dies mußte ja zutreffend sein!) draußen vor dem Felskoloß der Ehemann jener Anni und dessen Bruder in Begleitung von zwei Ratschputen weilten?!

Als ich nun der Inderin kurz berichtete, wer nach Angabe meines Freundes die beiden als Perser verkleideten Leute seien, lief ein fast dämonisches Zucken über ihr Gesicht hin …

Aber sie hatte sich schnell wieder in der Gewalt …

Bückte sich, band mich von dem Baume los und ließ mir nur die Hände gefesselt …

„Folge mir, Sahib,“ befahl sie … „Vorläufig muß ich dich noch als meinen Gegner betrachten … Meine eigene Sicherheit verlangt dies …“

Sie schritt voran … Durch den üppigen tropischen Wald – auf schmalem Pfade …

Scheuchte die Katzen zurück – die schwarzen Katzen mit den buschigen Schweifen …

Jetzt war der Wald zu Ende …

Dreißig Meter vor mir die Innenwand des enormen hohlen Felsens … Und vor dieser dunklen Granitwand auf flacher, breiter Terrasse ein kleines, zierliches Bauwerk, – ein indischer Palast in Miniaturform …

Vorn fünf Marmorstufen … Dann der Haupteingang: eine Flügeltür aus kunstvoll geschmiedetem Kupfer!

Die Inderin stieß den einen nur angelehnten Flügel auf … – Eine Halle … Mattes Licht … Kostbare Teppiche, kostbare Möbel, mit Gold und Elfenbein eingelegt …

Mitten in der Halle ein schlanker Mann in schlichtem sandfarbenen Touristenanzug …

Die Sportmütze zog dieser Mann …

Sagte zu der Inderin: „Hoheit entschuldigen, daß ich mir erlaubt habe, hier einzudringen … Mein Name ist Harald Harst …“

Hoheit?! Hoheit?! – – Ich war wie vor den Kopf geschlagen … Woher wußte Harald, daß diese Frau eine indische Fürstin war? Eine Rani?!

Und diese Fürstin blickte starr auf die Büchse, die Harald lose im Arm hing, – – und doch jeden Moment schußbereit.

Starr stand sie … Die Partie war für sie verloren …

… Verloren – wirklich verloren?! – –

Man wende die Seite …

Und …

 

 

Der neue Graf von Monte Christo

 

1. Kapitel.

Die Semiramis der Thar.

Und man versetze sich in Gedanken in eine Halle mit bunten Fenstern … Man vergegenwärtige sich das Bild: Ich hinter der Fürstin, sie vor mir, vor ihr mein alter Harald …

Büchse im Arm, rechte Hand am Büchsenschloß …

„Hoheit, Sie werden meinem Freunde sofort die Fesseln abnehmen,“ sagte er nun mit derselben Höflichkeit …

Die Inderin richtete sich höher auf …

„Sahib Harst, – hier haben Sie zu gehorchen …! Im übrigen scheinen Sie mich mit jemand anders zu verwechseln … Ich bin keine Fürstin, ich heiße Arowa, und mein Vater …“

Sie stockte vor Haralds überlegenem Lächeln …

Aber dieses Verstummen währte nur Sekunden …

Dann rief sie nach der rechten Hallenwand hin, wo einer jener mächtigen Schränke stand, deren Metallverzierungen von Kennern mit Gold aufgewogen werden …

Rief: „Galbi …!!“

Nur dies eine Wort …

Den einen Namen …

Die Schranktür öffnete sich halb …

Ans dem dunklen Innern streckten sich zwei Karabinerläufe vor …

Ich schaute wie gebannt dorthin …

Sah nicht, daß hinter einer der sechs Säulen zwei Leute vorschnellten …

Harald in den Rücken …

Ich war wehrlos …

Ein kurzes Ringen, dann hatten die beiden riesigen Ratschputen Harald bereits die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt, stellten ihn wieder auf die Füße …

Verschwanden …

Genau wie die beiden Karabiner …

Die Schranktür schloß sich …

„Folgen Sie mir, meine Herren!“ befahl die Inderin wieder …

Sich widersetzen?! Zwecklos!!

So ging’s denn aus der Halle in einen kurzen, durch Öllampen erhellten Flur … Eine Steintreppe hinab …

Kühle Luft umstrich uns …

Die Inderin hatte eine der Lampen aus den zierlichen Ketten ausgehakt. …

Hier waren in eine natürliche Grotte, in die eine Treppe von dreißig Stufen hinablief, zahllose kleine Gelasse mit ebenso kleinen eisernen Türen eingebaut …

Eine davon öffnete die braune Schönheit …

Eine Handbewegung …

Wir sollten eintreten …

Harst zögert …

„Rani Gadwura Arowa, Sie sollten …“

Er kam nicht weiter …

Im trüben Lichtkreis der Öllampe erschienen zwei hohe Gestalten – die Ratschputen, die Diener der Inderin …

Packten zu …

Hatten Riesenkräfte …

Unsanft beförderte man uns so in das schmale, lange Gelaß, in die Finsternis hinein …

Die Eisentür dröhnte …

Riegel kreischten …

Und Harald, dicht neben mir stehend, meinte leise:

„So, nun werde ich dir zunächst mal die Handfesseln aufknoten, und dann erweist du mir denselben Liebesdienst … Womit die Rani gerechnet hat …“ –

Wir hatten die Hände frei …

Und sofort auch blitzte Harsts Taschenlampe auf …

Wir sahen …

Sahen ein paar niedere Betten mit Kissen und Decken … Ein paar Schemel mit Ledersitzen … zwei kleine Tischchen, auf diesen eine Öllampe, Teller, Kannen, Messer und Gabel, eine Aschenschale, ein Glaskästchen mit Zigaretten …

Sahen auf dem einen diwanähnlichen Bett eine Gestalt, einen Mann, der auf dem Bauche lag und uns vergnügt anlächelte …

Einen Mann mit einem schmalen, klugen, energischen Gesicht:

Doktor Georg Amalgi!!

„Tag, meine Herren …,“ begrüßte er uns mit leiser Ironie. „Ein unverhofftes Wiedersehen ist’s, Herr Harst … für alle Teile … Ich war nicht wenig überrascht, als ich Ihren Freund Schraut draußen in der Wüste erkannte und ihm dann auf die Felsterrasse helfen konnte … Leider hatte die Fürstin diese Eigenmächtigkeit jedoch sehr übel vermerkt und ließ mich durch ihre Schergen hier nach unten bringen, während ich mich bisher in dieser bewaldeten Riesenschüssel frei bewegen konnte …“

Er setzte sich jetzt aufrecht …

„Ich werde die Lampe anzünden, damit Sie die Batterie Ihrer Taschenlampe schonen können, Herr Harst …“

Tat’s …

„So, nun nehmen Sie Platz … Wir werden uns gegenseitig mancherlei zu berichten haben, denke ich … Dort sind Zigaretten … Hier in dieser Kanne ist Wein … Die vier Becher dort sind sauber …“

Und so tranken wir denn einen Willkommenschluck – – wir drei – – in der Thar, in einem Kerker, unterhalb der eigentümlichsten Oase, die ich je in einer Sand- und Steinwildnis angetroffen habe …

Feurigen Bahawalpur-Wein, gewachsen auf den Ostabhängen der fernen Berge von Belutschistan, wo dieses Landes Grenze sich mit der des indischen Riesenreiches vereinigt …

Die altertümliche Öllampe schickte einen dicken Qualmfaden zur Decke der Zelle empor … Wohlriechend das Öl, durchtränkt mit Ambra … Ambraduft in diesem Kerker, als ob wir uns in einer Kirche befänden …

„Wer beginnt?“ fragt Amalgi, nachdem wir uns Zigaretten angezündet hatten …

„Sie bitte, Herr Doktor,“ meint Harst. „Wie sind Sie hier in die Thar geraten?“

Amalgi zuckt die Achseln …

„Die Thar ist mir nicht fremd … Ich habe vier Jahre in Indien gelebt, habe hier in Indien die alten Geheimwissenschaften der Drawiden studiert, habe mit schmierigen Yogis monatelang in stinkenden Hütten gehaust und alle Kasteiungen und Selbstfolterungen durchgemacht, die uns Menschen schließlich zur Vorstufe wahrer Macht führen: zur Gewalt des Geistes über den Leib – diesen jämmerlichen Leib, der uns ständig vorlügt, er sei die Hauptsache an der Gesamtheit Mensch! – Frecher Schwindel! Nichts ist nebensächlicher als dieser sichtbare Körper, nichts ist, wenn man auch nur die Vorstufe wahrer Herrschaft der Seele über den … sterblichen Kadawer erlangt hat, gleichgültiger wie dieses Gebilde aus chemischen Bestandteilen …! – Da, Herr Harst, – bitte … fühlen Sie mir den Puls …“

Harald tat’s …

„Was stellen Sie fest?“ fragte Amalgi lächelnd …

„Soeben war Ihr Puls noch außerordentlich kräftig … Jetzt ist er sehr schwach … jetzt gar nicht mehr zu spüren … Tatsächlich – – Ihr Herz scheint nicht mehr zu schlagen, der Blutumlauf stockt … – Ich gebe zu, daß ich dieses Kunststück bisher nur bei indischen Yogis und bei einem einzigen Europäer beobachtet habe …“

Amalgi nickte … „Vielleicht findet sich noch Gelegenheit, Ihnen beiden einen tieferen Einblick in die Geheimlehre der Drawiden zu gewähren … – Jetzt zu etwas anderem … Also – – ich entwich aus Grünheide in Gesellschaft meines alten Dieners Hubert und mit Hilfe des U-Bootes … Wie wir beide nach Indien gelangten, darüber möchte ich vorläufig nicht sprechen … Ich ließ Hubert dann in Amber zurück, da ich ganz allein ein Geheimnis ergründen wollte, das seine verschlungenen Fäden aus weiter, weiter Vergangenheit hinüberreckt bis in die Gegenwart. Ein Zufall führte mich vor einem Monat zu diesem gewaltigen Felsgebilde. Die Katzenspuren ringsum gaben mir zu denken … Ich suchte den Felsen zu erklettern … Es gelang mir auch …“

Harald unterbrach ihn …

„Wie, Herr Doktor? Wie gelang es Ihnen?“

Amalgi senkte etwas den Kopf und schwieg … Erwiderte erst nach einer Weile:

„Halten Sie mich bitte nicht für unhöflich, Herr Harst … Diese Ihre Frage berührt ein Gebiet, das ich bis auf weiteres allein beherrschen möchte …“

Harald meinte höflich: „Wir werden uns in Ihre Geheimnisse nicht eindrängen, Herr Doktor … Wir überlassen es Ihrem Gutdünken, uns vielleicht später …“

Amalgi streckte ihm die Hand hin, unterbrach ihn …

„Herr Harst, Sie werden einst mein Erbe werden, Sie werden einst mein Vermächtnis antreten, – – und dann werden Sie und Ihr Freund erst merken, daß es in der Tat Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die niemand bisher auch nur im entferntesten ahnt. Ich weiß, daß ich nur noch einen Monat zu leben habe. Anfang November werde ich … sterben, – was die Menschen so sterben nennen … Mein Leib wird verwesen, und doch wird Georg Amalgi … – Aber nein,“ begann er mit kurzer Handbewegung einen neuen Satz, „Sie beide würden mich für einen Phantasten halten, wenn ich Ihnen mitteilen wollte, auf welche Art von Fortexistenz ich rechne …“ –

Ich will hier gleich für meine Freunde und Leser bemerken, daß dieses Vermächtnis Amalgis mir den Stoff zu einer in sich abgeschlossenen Erzählung gab, die einen der späteren Bände dieser Sammlung umfaßt. –

Amalgi berichtete uns dann noch, wie es ihm von der nördlichen Felsterrasse aus gelang, in das Innere des Steinkolosses zu kommen, indem er den geheimen Gang entdeckte, der dort in das Gestein eingesprengt und dessen Eingänge sorgfältig durch geschickt angelegte Türen aus Granitplatten verborgen waren.

Die beiden riesigen Ratschputen überfielen ihn dann unversehens, und die Inderin gestattete ihm nachher nur deshalb sich innerhalb des Felsens frei zu bewegen, weil er versprach, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Wie er heute mich und damit auch Harald vor den Laubingers beschützt hätte, ist bekannt. – Über Doktor Edward Lanning wußte er nichts … Der Name war ihm völlig fremd …

Hiermit waren Amalgis Erklärungen beendet. Harald kam an die Reihe …

 

2. Kapitel.

Was nachts geschah …

Kam … nicht an die Reihe …

Anderes kam …

An der Eisentür Geräusche …

Amalgi meinte: „Wir erhalten scheint’s Besuch …“

Einer der Ratschputen trat ein …

„Sahib Harst wird gebeten, zu der Memsahib Arowa zu kommen,“ sagte der Riese in sehr stolperigem Englisch …

Harald erhob sich sofort …

Nickte uns zu …

„Wiedersehen …!“

Die Tür wurde von außen wieder verriegelt.

Amalgi nahm eine frische Zigarette …

„Merkwürdige Frau, die Inderin, Herr Schraut,“ begann er aufs neue die Unterhaltung.

„Allerdings,“ stimmte ich ihm zu. „Harst nannte sie Hoheit, wußte auch ihren Namen: Gadwura Arowa!“

Amalgi schien außerordentlich überrascht …

„Wirklich Gadwura Arowa?“ fragte er gespannt …

„Ja. – Freilich wies die Inderin den Titel Hoheit zurück und behauptete, Harald verwechsele sie mit jemand anders. Aber Harst irrt sich selten. Woher er die Fürstin kennt, weiß ich nicht.“

Amalgi schaute mich nachdenklich an …

„Haben Sie den Namen Gadwura Arowa denn noch nie gehört oder gelesen, Herr Schraut?“

„Nein …“

„Hm – das ist sonderbar, denn diese Rani von Jaisulmir[4] – so heißt ja das winzige selbständige Fürstentum westlich des Salzsees in der Thar – wurde doch vor einem Jahr etwa von dem Vizekönig von Indien des Thrones für verlustig erklärt und sollte vor Gericht gezogen werden, weil sie hier in der Thar so etwas die Semiramis gespielt hatte … Sie soll Europäer nach ihrer Hauptstadt Jaisulmir, übrigens nur ein besseres Dorf, gelockt und diese Leute nachher, nach zärtlichen Liebesstunden, spurlos haben verschwinden lassen …“

Als Amalgi diese Sätze aussprach, fielen mir unwillkürlich die vielen Türen hier unten neben unserer Zelle ein … Sollte die Rani etwa ihre Liebhaber hier eingekerkert haben?!

Amalgi sprach weiter … „Die Fürstin wurde jedoch von ihrer drohenden Verhaftung noch rechtzeitig durch einen Verräter unter den nach Jaisulmir beorderten Polizeibeamten benachrichtigt, entwischte mit all ihren Schätzen und konnte nicht mehr ermittelt werden, obwohl man sich die redlichste Mühe gab, ihr Versteck zu entdecken. – All dies war nicht nur in englischen, sondern auch in deutschen Zeitungen zu lesen, und es wundert mich daher, Herr Schraut, daß Ihnen diese Artikel damals entgangen sind …“

Jetzt entsann ich mich plötzlich, daß Harald vor längerer Zeit einmal mir einige Zeitungsausschnitte zum Einreihen in unsere Sammlung besonderer Vorgänge eingehändigt, und daß ich diese Ausschnitte ganz flüchtig überflogen hatte. Es waren die Pressemeldungen über die Semiramis der Thar-Wüste gewesen. –

Amalgi und ich waren überzeugt, daß Harst recht hatte und daß die Inderin die Rani von Jaisulmir war, ebenso, daß deren verschwundene Liebhaber hier unten in den Zellen des Steingewölbes festgehalten würden.

„Was sie wohl von Ihrem Freunde wollen mag?“ meinte der Doktor nun und nippte an seinem Weinbecher. „Vielleicht möchte sie ihn dazu bestimmen, daß er sie nicht verrät und daß …“

Neue Unterbrechung …

Die Riegel kreischten …

Die Tür ging auf …

Harald trat ein …

Die Tür schlug zu …

Er setzt sich wieder auf seinen Lederschemel …

Sein Gesicht zeigt scharfe Falten … Die Stirn desgleichen … In den Augen liegt ein Ausdruck, der mich beunruhigt …

„Was gibt’s?“ frage ich ungeduldig …

Er langt mit einer zerstreuten Handbewegung nach einer Zigarette … Ich reiche ihm Feuer …

Drei Züge raucht er …

Dann – ganz leise:

„Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir das Tageslicht nicht mehr zu sehen bekommen … Die Fürstin verlangte von mir gleichzeitig auch für Sie, Herr Doktor, und für Schraut das ehrenwörtliche Versprechen, daß wir ihre Geheimnisse für uns behalten würden – eine unmögliche Forderung, da sie hier nicht weniger als acht Europäer eingekerkert hält. – Sie kennen doch die Geschichte der Semiramis der Thar-Wüste, Herr Doktor?“

„Gewiß … Und es war nur recht von Ihnen, daß Sie diese Zusage ablehnten, Herr Harst. Es ist sogar unsere Pflicht als Europäer, daß wir alles Erdenkliche versuchen, diese Ärmsten zu befreien …“

Harald zuckte die Achseln …

„Befreien?! Wie wohl?! Man hat uns jetzt alle Waffen abgenommen, und …“

„Oh – Sie irren, Herr Harst,“ fiel ihm Amalgi ins Wort … „Es gibt Waffen, die hier ihr Versteck haben …“ Und er tippte sich leicht gegen die Stirn … „Wir drei, Herr Harst, sind doch schließlich nicht Durchschnittsware … Wo mit Gewalt nichts zu machen ist, muß der Geist den Stahlbohrer und die Brechstange spielen …“

Harald lächelte trübe …

„Herr Doktor, Frauen von der satanischen Schlauheit dieser Fürstin wissen ihre Kerker zu sichern. Draußen im Gange sind als Wächter etwa fünfzig Thar-Katzen jetzt eingesperrt, denen, wie die Rani betonte, die Krallen vergiftet worden sind und die durch irgendein Teufelskraut … tollwütig gemacht worden sind, und dennoch den Ratschputen noch gehorchen – nur uns nicht! Erbrechen wir also die Tür, so sind wir geliefert … – Oder hoffen Sie etwa, diese Felswände und Mauern bezwingen zu können …?!“ – und er deutete auf die Wände, den Fußboden und die Decke: überall Fels oder doch Felsquadern mit dunklem Mörtel in den Fugen, Quadern, die vielleicht selbst einer Dynamitpatrone widerstanden hätten …!

Amalgis Gesicht wurde nun gleichfalls von banger Sorge umwölkt …

Seine Selbstsicherheit, sein Selbstbewußtsein schwanden dahin vor Haralds trockenen Tatsachen …

„Nette Aussichten!!“ meinte er …

Wollte wohl noch mehr hinzufügen …

Wieder Geräusche … Der eine Ratschpute brachte uns das Abendbrot, der andere stand in der offenen Kerkertür, in jeder Hand eine Pistole …

Und hinter ihm drängte sich wie ein Haufen kleiner schwarzer Teufel mit funkelnden Augen die Katzengesellschaft … fauchend, miauend …

Katzen mit vergifteten Krallen …

Katzen, deren Wildheit und Gefährlichkeit uns nun an einem widerwärtigen Experiment warnend vor Augen geführt wurde …

Denn der Ratschpute an der Tür bückte sich …

Rief:

„Achtung, Sahib Harst …“

Hob einen Kasten empor, öffnete dessen eine Seite …

Und – – eines der wilden Thar-Kaninchen schlüpfte heraus …

Schoß angstvoll in unsere Zelle hinein, verkroch sich unter eine der Lagerstätten …

Der Ratschpute aber packte eine der Katzen und trieb sie mit einem uns unverständlichen Zuruf unter das Bett.

Das Kaninchen stieß jene quäkenden Angsttöne aus, wie man sie auch von angeschossenen Hasen zu hören bekommt.

Erschien mit blutender Kratzwunde über der Nase vor unserem Tisch, taumelte, sank sterbend um, streckte wie im Krampf die Beine und lag still …

Der Ratschpute, der das große Teebrett mit dem Essen gebracht hatte, stieß den Kadawer mit dem Fuße bis zur Tür und scheuchte die Katze hinaus …

Die Kerkertür fiel zu …

Wir drei konnten unsere Abendmahlzeit beginnen …

Uns war jedoch der Appetit so ziemlich vergangen, da dieser Beweis der Gefährlichkeit unserer Wächter ebenso eindrucksvoll wie überzeugend gewesen war.

Eine Weile saßen wir drei stumm da und betrachteten mit etwas gemischten Gefühlen die reiche Auswahl an Delikatessen, die uns die offenbar sehr gut verproviantierte Rani gespendet hatte …

Schließlich hob Harald von dem Teebrett eine Flasche herab und schaute das buntgedruckte Papierschildchen an …

„Kognak Mercier,“ meinte er, zog den Zierpropfen heraus und füllte drei hochstielige Likörgläser … „Trinken wir auf unser Wohl …! Der Kognak wird unsere Nerven wieder etwas einrenken …“

Nun – der Mercier gab uns auch den Appetit wieder … Amalgi langte nach einer bereits geöffneten Büchse Sardinen … Ich sah mir eine Dauerwurst genauer an, und Harald widmete sich einem pfundgroßen Stück kalter, gebratener Hammelkeule …

Da wir dann auch dem Kognak noch weiter alle Ehre antaten, überkam uns sehr bald nach der Mahlzeit ein Gefühl wohliger Müdigkeit. Zum Glück erschienen die beiden Ratschputen schon nach kurzer Zeit und räumten den Tisch ab, brachten uns noch jedem ein Kissen, und stellten in die äußerste linke Ecke des langgestreckten Raumes gerade unter eins der Ventilationslöcher (es gab davon drei dicht unter der Decke) einen Zinkeimer mit doppeltem Deckel aus Holz, über dessen intime Bestimmung ich mich wohl nicht weiter zu äußern brauche.

Es war jetzt halb neun Uhr abends …

Wir rauchten jeder noch eine Zigarette und legten uns dann auf unsere Lagerstätten, die recht bequem waren. Harald löschte die Öllampe aus, und wir sagten uns gute Nacht.

Ich war im Moment eingeschlummert. Aber wie stets, wenn man übermüdet ist und wenn noch seelische Erregungen dem Nervensystem besonders hart zugesetzt haben, war dieser Schlaf nur jenes merkwürdige Schweben zwischen Wachsein und wirren, jagenden Traumbildern – ein Zustand, in dem äußere Eindrücke den Träumen sofort eine andere Wendung geben …

Ich fühlte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter …

Glaubte, daß eine der schwarzen Katzen mir ihre vergifteten Krallen in die Achsel schlagen wolle … Fuhr empor … Greller Lichtschein verwirrte mich noch mehr … Ich stierte in den Leuchtkegel einer Taschenlampe …

Hörte Haralds flüsternde Stimme:

„Munter werden, mein Alter!!“

Der Lichtkegel glitt zur Seite …

Neben meinem Bett standen Harald und der Doktor …

Wir drei lauschten … Denn auch ich hatte jetzt ein Geräusch gehört, das in unregelmäßigen Zwischenräumen wiederkehrte und etwa aus der Ecke des Blecheimers zu kommen schien …

„Was … … ist das?“ fragte ich damals …

„Jemand, der unter dem Steinboden unserer Zelle mit Werkzeugen arbeitet – ein menschlicher Maulwurf,“ erwiderte Harald mit vorsichtig gedämpfter Stimme …

Und er schlich nun auf Fußspitzen jener Ecke zu … Amalgi und ich folgten. Harst hatte die Linse seiner Taschenlampe halb mit der Hand bedeckt und ließ nur einen dünnen Strahl dicht vor dem Eimer über das Gestein gleiten …

Da sahen wir denn, daß gerade in diesem Winkel unserer Zelle der natürliche Felsboden fehlte und ein großes Stück aus Steinquadern mit Mörtelfugen bestand …

Wir beugten uns tiefer …

Deutlich waren die Schläge eines Hammers auf einen Meißel oder dergleichen zu vernehmen …

Wir warteten …

Unsere Spannung wuchs, da sich zwischen zweien der Steinquadern Teile des grauen Mörtels (in der Thar verwendet man hierzu feinen Sand, Kuhdünger und Kalk) sich bewegten und nach oben herausflogen …

Dann fuhr durch eine der Fugen ein Eisen hindurch, wurde aber sofort zurückgezogen …

Das Eisen war offenbar ein Stück von einem Türgelenk. – Harald hatte jetzt die Taschenlampe völlig ausgeschaltet … Amalgi raunte uns zu:

„Ein Ausbrecher natürlich …! Der Mann hofft vielleicht, daß er hier bei uns einen Ausgang ins Freie findet … Er wird bitter enttäuscht sein, und …“

Amalgi verstummt …

Einer der Steine des Fußbodens, die etwa vierzig Zentimeter im Quadrat groß waren, verschwand plötzlich …

In dem Loche gleißte Licht …

Unterhalb des Loches kniete ein Mensch in einer Höhlung und legte den herausgemeißelten Stein beiseite …

Ein Mensch, der sich aus einer der braunen großen Schlafdecken, wie sie die Hirten der Thar benutzen, eine Art Kutte ohne Ärmel hergestellt hatte …

Graues, langes Haar wallte dem Unbekannten über den Rücken …

Jetzt erhob sich der Mann, blickte zu uns empor … Das Licht seiner Öllampe traf ein abschreckend mageres Gesicht von fahler Farbe, durchkerbt von zahltosen Runzeln … Ein bartloses Gesicht mit unnatürlich großen Augen …

Bartlos …

Ein Weib … eine Europäerin … ein lebendes Skelett, und doch von einer Energie, von einer Kraft, wie vielleicht kein Mann in ähnlicher Lage dies aufgebracht hätte …

Ein Weib …!

Und Harst kniet am Rande der Öffnung, sagt leise:

„Miß Honoria Goord, nicht wahr?“

In den großen Augen malt sich Staunen …

„Wer sind Sie?“ fragt die Frau gleichfalls in englischer Sprache …

„Harald Harst, Miß Goord … Ein deutscher Detektiv … Jetzt Gefangener der Rani von Jaisulmir …“

Miß Goord richtet sich in der engen Höhlung vollends auf und steckt den Kopf durch das Loch im Fußboden …

Sagt mit einer Stimme, die zerbrochen und trostlos klingt:

„Ihr Name ist mir fremd, Mr. Harst … – Sie sprechen da von einer Rani von Jaisulmir … Lebt denn der Radscha Gadwuri nicht mehr?“

„Nein, Miß Goord … Er starb vor zehn Jahren, also zwei Jahre nach Ihrem Verschwinden … Ich besitze als Detektiv ein vorzügliches Gedächtnis. Sie waren von dem Radscha als Erzieherin seiner Tochter, der jetzigen Rani, engagiert worden. Auf einem Jagdzuge sollen Sie sich von Ihren Begleitern getrennt haben. Man vermutete, daß ein Tiger, der sich in die Thar verirrt hatte, Sie zerrissen habe, obwohl in den Zeitungen damals auch andere Möglichkeiten erörtert wurden …

Miß Honoria Goord nickte … „Ja – – und die schlimmste dieser Möglichkeiten hat vielleicht niemand berücksichtigt, denn der Radscha hat mich hier einkerkern lassen, weil ich einem merkwürdigen Geheimnis auf die Spur gekommen war … Zwölf Jahre habe ich hier als Gefangene gehaust – endlose Jahre … Doch – das will ich Ihnen meine Herren, nachher berichten … Jetzt helfen Sie mir bitte, noch drei der Bodenplatten zu lockern … Dann können Sie mich begleiten … Dann … sind wir frei!!“

Wie ein triumphierendes Leuchten ging’s über ihr hageres Antlitz …

Und leiser fügte sie hinzu:

„Frei – – frei!! Mit mir sollen Sie fliehen, sollen etwas zu sehen bekommen, wogegen alle Reichtümer amerikanischer Nabobs nur ein elendes Nichts sind! Wie ein weiblicher Graf von Monte Christo habe ich mir diesen unterirdischen Weg in die Nachbarzelle gebahnt, um … einen Gefährten zu gewinnen … Drei habe ich gefunden – – desto besser!“

Ein flüchtiger Gedanke, ob diese Frau etwa in ihrer trostlosen, einsamen Kerkerhaft den Verstand verloren, glitt durch mein Hirn … – Weiblicher Graf von Monte Christo?! Ungeheure Reichtümer?! – Vielleicht alles nur Phantastereien einer Wahnsinnigen …!!

Da – neben mir flüstert Amalgi:

„Miß Goord, nur eine Frage …“ Man merkt, wie erregt er ist … Seine Stimme vibriert leicht … „Miß Goord, meinen Sie die Insel im Großen Salzsee der Thar-Wüste, der mit zu dem Fürstentume Jaisulmir gehört?“

Sie blickt ihn scharf an …

„Ja,“ erwidert sie dann zögernd …

Harald mahnt zur Eile, will nicht, daß diese Fragen noch weiter ausgesponnen werden …

Wir helfen der Engländerin …

Die drei Steinplatten werden gelöst …

Und als erster steigt nun Harst in die Höhlung hinab …

 

3. Kapitel.

Verfolger …

Haralds Taschenlampe beleuchtet hier unten Wände von mürbem, rissigem Gestein mit breiten Spalten, die sich in die Tiefe und nach den Seiten hinziehen …

Miß Goord erklärt flüsternd: „Ohne diese Spalten hätte ich den herausgemeißelten Schutt niemals beiseiteschaffen können … Dort oben sehen Sie das Loch, das in meine Zelle führt … Und hier diese breite Kluft, die schräg abwärts verläuft, mündet nach einigen Biegungen an der Außenseite des Dschebel Hammak, des Felsens der Tauben, wie die Tharbewohner die gewaltige Steinmasse nennen, in der schon der Vater des Radscha Gadwuri den kleinen Palast errichten ließ – in aller Heimlichkeit, kurz nach dem indischen Aufstand des Nena Sahib und seiner Getreuen … In der Bibliothek des Radschaschlosses in Jaisulmir fand ich zufällig Aufzeichnungen darüber. Der Radscha hat damals die mit dem Bau beauftragten Arbeiter sämtlich in aller Stille töten lassen, damit sie nichts ausplaudern könnten … – Doch – – nun will ich Ihnen voran in die Spalte hinabklettern … Eine Schwierigkeit ist noch zu überwinden … Die Mündung der Spalte nach der Wüste hin ist so eng, daß ein Mensch nicht durchkommt … Wir werden diesen Ausgang erweitern müssen …“

Und sie hob vom Boden ihren Meißel und einen Stein in Keulenform auf, der ihr als Hammer gedient hatte …

Begann den Abstieg …

Amalgi trug die Öllampe …

Harald machte den Beschluß des kleinen Zuges …

Und kaum war ich Amalgi gefolgt, als aus der Nähe eine drohende Stimme erklang:

„Zurück, Sahib, – – zurück!“

Es war einer unserer Ratschputenwächter …

Unsere Flucht war entdeckt!

„Schneller!!“ rief Harald … „Schneller …!!“

Ich rutschte abwärts …

Brachte Amalgi beinahe zu Fall …

Da – – hinter uns ein Schuß …

Dann wieder Haralds Stimme:

„Weiter … schneller …!!“

Wieder ein Schuß …

Miß Goords Stimme schräg unter uns:

„Mr. Harst, nehmen Sie meine Steinkeule …!!“

Und Amalgi reicht sie mir …

Ich reiche sie Harald …

Rutschte weiter …

Zerfetzte mir die Haut der Hände … Mein Gesicht blutet, ist zerschunden …

Ein dritter Schuß …

Ein Schrei …

„Den sind wir los,“ ruft Harst … „Der Wurf gelang …“

Wie wir vier dann bis zum Ausgang gelangten, wie Amalgi hier mit Hilfe eines zentnerschweren Steines die Ausgangsöffnung derart erweiterte, daß wir gerade hindurchkriechen konnten, – wie wir im hellen Mondlicht aus diesem Felsloche fünf Meter abwärts in den Wüstensand sprangen und uns doch nicht in den umherliegenden Felsstücken die Knochen zerbrachen, – – ein Wunder war’s!

„Und jetzt?!“ fragte Amalgi, der genau wie ich vor Aufregung dicke Schweißperlen auf der Stirn hatte …

Harald zeigte nach Norden. nachdem er sich kurz nach den Gestirnen orientiert hatte …

„Dorthin …!! Dort lagern vielleicht noch die beiden Laubingers mir ihren Führern … Dort finden wir Waffen, Reittiere, Wasser, Proviant …“

Er setzte sich in Trab … Er erwähnte mit keiner Silbe mehr, daß er uns den gefährlichen Ratschputen vom Halse geschafft, daß er sich für uns den Pistolenkugeln ausgesetzt und für uns sein Leben gewagt hatte …

Er trabte voran … Neben ihm Miß Honoria Goord. Doktor Amalgi und ich dicht hinterdrein.

Die Mondnacht war so hell, daß man weithin alles überblicken konnte … Der Vollmond stand noch tief, und unsere scharf umrissenen Schatten begleiteten uns getreulich, machten alle Sprünge über Felsstücke und Felsgeröll mit und bewiesen uns, daß wir das Lager der Laubingers rechtzeitig wahrnehmen müßten …

Die Laubingers!! – Noch immer war die Frage offen geblieben, wie Harald ihnen entkommen sein mochte und wie er dann in den Miniaturpalast des Dschebel Hammak gelangt war …

Und noch immer wußte ich ebensowenig, ob etwa Doktor Edward Lanning sich in der Gewalt der flüchtigen und hier in der Verborgenheit lebenden Rani Arowa befand … –

Wir hasteten weiter …

Stets in der Nähe der steilen Wände des Felskolosses uns haltend …

Bis ein unerklärliches Gefühl, daß uns von rückwärts Gefahr drohe, mich geradezu zwang, einmal den Kopf zu wenden …

Zum Glück …!!

Denn – dort kamen sie angerast, die vierbeinigen Getreuen der entthronten Fürstin – – die schwarzen Katzen.

Kamen in langen Sätzen daher …

Eine Rotte giftiger, langschwänziger Teufel …

Eine Schar höllischer Dämonen – – mindestens ein halbes Hundert …

Nur Katzen …

Und doch für uns genau so bedrohlich, als ob es Tiger gewesen …

Hundert Meter mochte die Entfernung zwischen uns und den kleinen Raubtieren noch betragen …

„Harald – – die Katzen!!“ rief ich warnend …

Sein Kopf fuhr herum …

Auch Miß Goord und Amalgi blickten zurück …

Harald verdoppelte das Tempo …

Aus Trab wurde Galopp …

Wir keuchten bald vor Anstrengung …

Und – unseliger Zufall: gerade hier kein Felsgeröll, kein höherer Block, der uns hätte Zuflucht bieten können …

Keine Möglichkeit also auch, die kleinen Bestien irgendwie von sich abzuwehren …

Wieder schaute ich zurück …

Sah nun auch, daß einer der riesigen Ratschputen hinter den Katzen herraste …

Sah die grünlich funkelnden Augen der geschwänzten Bestien, sah, daß die Entfernung kaum mehr dreißig Meter betrug …

Da hatten wir auch schon eine der Ecken des Dschebel Hammak erreicht …

Nun scharf nach rechts – nach Norden …

Dort die Steintrümmer … dort war die Stelle, wo die Laubingers von mir bedroht worden waren …

Dort auch ein paar höhere Blöcke …

Dorthin wandte sich Harald …

Hatte gerade den richtigen Block erwählt … Einen steilen Felsen wie eine fünfseitige Pyramide mit abgeplatteter Spitze … So steil, daß selbst eine Katze dort keinen Halt fand …

Harald schwang sich empor, warf sich oben bäuchlings nieder, riß Miß Goord hinauf, half dann mir …

Amalgi war ohne Hilfe in Sicherheit gelangt …

Wir lagen nebeneinander …

Auf einer Fläche, die etwa den Fußbodenmaßen eines kleinen Zimmers entsprach …

Wir lagen und schnappten nach Luft …

Die schwarzen Teufel waren schon heran …

Wie dunkle Bälle schnellten sie hoch …

Wollten zu uns empor …

Fielen zurück …

Und zehn Schritt ab der Ratschpute als hohnvoller Zuschauer dieses Angriffs …

Hohnvoll und grimmig sein Ruf …:

„Ihr werdet sterben!! Rechnet nicht auf Hilfe! Eure Landsleute mit ihren beiden Führern sind längst nach Westen zu auf und davon …“

Ich merkte, daß Harald den Felsboden der Kuppe nach Steinen abtastete …

Tat dasselbe …

Fand ein Steinstück, lang und schwer, – treffliche Hiebwaffe …

Die schwarzen Bälle mit den funkelnden Augen setzten derweil ihre Versuche, unsere Feste zu stürmen, ohne Unterlaß fort …

Ohne Unterlaß sprangen sie mit kurzem Anlauf an den Granitwänden hoch …

Manche kamen uns auch so nahe, daß wir mit den aufgerafften Steinen die runden Köpfe in wuchtigem Schlage zerschmettern konnten …

Mit grellem Winseln kollerten die Getroffenen abwärts.

Aber – es waren ihrer zu viele, und nur zu bald hatten sie sich an die schräge Fläche der Wände gewöhnt und es gelernt, wie sie am besten ihr Ziel erreichen könnten …

Wir hatten uns geteilt …

Wir mußten jeder eine der fünf Wände überwachen, Harald sogar zwei …

Mit lauten Zurufen feuerten wir uns gegenseitig an …

Der Schweiß lief uns über die Gesichter …

Die Nacht war warm und schwül …

Mein rechter Arm, der die schwere Steinkeule schwang, schmerzte bereits … Nicht jeder Hieb saß so, wie er sitzen sollte … Katzen haben ein zähes Leben … Und dies hier waren Katzen, in der Wildnis aufgewachsen, größer als die größten unser deutschen Hauskatzen, – waren dazu noch irgendwie in einen Zustand von halber Raserei versetzt …

Mein Arm erlahmte …

Drei – vier der kleinen Bestien stürmten jetzt auf meiner Seite die Wand empor … Rutschten zurück … Krallten sich wieder fest, krümmten sich zusammen, schnellten höher …

Zweimal schlug ich vorbei …

Beizender Schweiß trübte meinen Blick …

Da tauchten dicht vor meinem Gesicht die schwarzen, runden Schädel mit den grüngelben Augen auf …

Ich … gab mich verloren …

Mein Arm war wie verdorrt …

Das höhnische Gelächter des Ratschputen drang an mein Ohr …

Noch etwas …

Etwas wie zwei klatschende Schläge … Und – – die beiden Katzen, die bereits oben festen Fuß gefaßt hatten, kollerten zurück …

Dann vernahm ich auch die Schüsse, – – denn – – zwei Kugeln hatten mich von langschwänzigen Bestien befreit …

Drüben zwischen dem Felsgeröll blitzte jetzt ein dritter Schuß …

Der Ratschpute warf die Arme hoch und fiel regungslos nach vorn auf das Gesicht …

Wieder Schüsse … von drüben …

Die Horde der Angreifer stutzte …

 

4. Kapitel.

Eifersucht.

Stutzte nur …

Sammelte sich wie auf ein geheimes Zeichen auf meiner Seite …

Fünfundzwanzig mochten es noch sein …

Fünfundzwanzig jagten nun wie auf ein neues Signal dorthin, woher die Kugeln kamen …

Flogen über Sand und Steine hinweg …

Auf unsere Retter zu …

Neue Schüsse …

Schüsse, die nichts mehr ausrichteten …

Gar nichts …

Vier Männer drüben hatten sich erhoben, verteidigten sich mit den Büchsenkolben …

Gegen Feinde, die gewandter und flinker wie Akrobaten waren …

Gegen erbärmliche Katzen …

Und wir vier hier oben mußten mit ansehen, wie diese wütenden kleinen Ungeheuer den Männern dort in die Gesichter flogen …

Den vier Männern – – den Laubingers und den Ratschputen …!!

Konnten nicht helfen, wir vier …

Konnten nicht …

Nur … einer von uns blieb nicht untätig: Harald!!

Glitt an der Felswand hinab … Holte des erschossenen Ratschputenriesen Waffen: zwei Pistolen, einen Karabiner, einen Dolch und den kurzen, gekrümmten Säbel, wie ihn auch alle Hirten in der Thar tragen …

Wollte gleichfalls hinüber …

„Harald!!“ hielt ich ihn zurück … „Zu spät, Harald!! Das Gift hat schon gewirkt …“

Ja – – hatte gewirkt …

Die vier drüben waren umgesunken … Verschwunden zwischen den Steintrümmern …

Harst schwingt sich wieder neben uns …

Drüben tummeln sich die kleinen Bestien, – erscheinen, werden unsichtbar, erscheinen von neuem …

Sammeln sich …

Gleiten wie Schatten daher …

Zurück zu unserem Felsblock …

Der Mond steht höher … Und – – wir haben jetzt Waffen …

Etwa fünfzehn Katzen sind’s noch …

Nur noch fünfzehn …

Karabiner und Pistolen knallen …

Trotzdem neuer Angriff …

Miß Goord haut mit wütendem Hieb der vorletzten, noch lebenden Katze den Kopf glatt vom Rumpf …

Die letzte erledigt Amalgi …

Um unseren Steinblock herum ein Leichenfeld … Katzenkadawer …

Nicht alle tot …

Noch nicht …

Miß Honoria Goord rutscht von der Kuppe in den Sand.

Ihr Säbel vernichtet die nur noch schwach flackernden Lebensfünkchen einiger Bestien …

Dann treibt es uns hinüber zu der Unglücksstätte …

Und – – finden vier Männer mit entsetzlich verstümmelten Gesichtern, mit ausgekratzten Augen, mit grauenvollen Bißwunden … Nichts mehr von Gesichtern – – blutige Klumpen …

Und um die Leichen liegen die langschwänzigen, giftigen Mörder …

Wir aber stehen da … stehen und starren auf die Toten, die sich für uns geopfert haben …

Keiner von uns spricht ein Wort … Etwas wie Schuldbewußtsein bedrückt uns …

Und doch sind wir schuldlos …

Konnten nicht mehr helfen …

Zu schnell hatte sich dieses nächtliche Drama abgespielt.

Viel zu schnell hatte das Gift gewirkt …

Und diese vier reglosen Gestalten machen uns erst so recht klar, welches Schicksal uns zuteil geworden, wenn wir den Felsen nicht mehr erreicht hätten und – – was diese Rani Arowa für ein Geschöpf sein mußte, – – erbarmungslos, blutgierig, ohne jede weichere Regung …

Semiramis der Thar …!!

Und – – neben mir ein anderes Weib – – Miß Goord …

Verblüht, verhärmt, früh gealtert in zwölfjähriger Kerkerhaft im Dschebel Hammak … Als achtzehnjährige vertrauensvoll zum Radscha Gadwuri gekommen, dann – ihr Unheil! – ein Geheimnis zufällig entdeckend, – – und bis heute eine Gefangene des … anderen Weibes, der sie Erzieherin gewesen …

Wir schweigen …

Und mir ist, als ob die Ereignisse der letzten Stunden – seit dem Augenblick, wo Harald mich in der Zelle weckte und wo wir das Hämmern unter den Steinplatten vernahmen, – als ob diese Geschehnisse mit ihrem tollen Wirbel von Einzelheiten bereits endlos lange zurücklägen, gleichsam mir ferngerückt durch den Tod dieser vier Männer hier, die unsere Gegner gewesen und die dann doch für uns eingetreten waren – – mit ihrem Leben, freilich ahnungslos, daß die Schar der kleinen, schwarzen Bestien derart gefährlich sein könnten …

Wir schweigen … Bis Harald mit einem Blick nach den nahen Büschen sagt – denn dort stehen nicht nur unsere Dromedare, sondern auch die der Toten: „Miß Goord, Sie und Doktor Amalgi könnten jetzt hier die Tiere bewachen … Schraut und ich haben noch im Innern des Dschebel Hammak eine Angelegenheit zu ordnen, die nur uns und die Rani etwas angeht. Alles weitere findet sich später.“

Wir schreiten zum Lagerplatz hinüber …

Harald nimmt den Wachskopf Edward Lannings an sich, ebenso das Katzenfell, den merkwürdigen Brief …

Honoria Goord richtet einige Fragen an Harst … Der bittet sie, sich von Amalgi Aufschluß geben zu lassen … „Wir, Schraut und ich, haben es eilig, Miß Goord … Dort im Osten wird es bereits hell … Und ich möchte vor Tagesanbruch wieder im Innern des Felsens sein …“ –

Wir beide haben Waffen, haben Taschenlampen … Wir beide eilen den Weg nach dem Ausgang der Felsspalte zurück, durch die wir entkommen sind … – Bei der Leiche des erschossenen Ratschputen macht Harald halt, und mustert flüchtig die Stirn des Toten … „Es ist derselbe, den ich mit der Steinkeule niederschlug,“ erklärt er nur … Und fügt hinzu: „Du möchtest gern wiesen, wie ich den Laubingers entkam, mein Alter … Es ist ja überhaupt noch manches zu erörtern … Zum Beispiel, woher ich wußte, daß unsere Auftraggeberin, die ihren Namen verschwieg, Anni Laubinger hieß, und die Gattin des bekannten Großindustriellen Friedrich Laubinger ist, oder besser war – jetzt dessen Witwe … Das Katzenfell verriet mir den Vornamen, und die an Bord unseres Dampfers täglich im Salon durch Lautsprecher verkündeten allerneuesten Radiomeldungen machten mich mit der Tatsache bekannt, daß der Berliner Großindustrielle Laubinger eine Orientreise mit einer gemieteten Jacht angetreten habe, und daß seine Gattin Anni, in der Berliner Gesellschaft durch ihre Wohltätigkeitsbestrebungen bekannt, vorher von ihrem Manne wegen völligen Nervenzusammenbruchs nach einem Sanatorium geschafft worden sei … – Für jeden denkenden Menschen enthielt diese Radiomeldung einen auffallenden Widerspruch. Welcher Ehemann wird eine Orientreise unternehmen, wenn seine Frau so schwer krank ist?! Mithin mußten für Friedrich Laubinger außerordentlich zwingende Gründe für diese Reise vorgelegen haben. Und als die Laubingers dann, nachdem du mir den Weg zur Freiheit durch dein „Hände hoch!“ eröffnet hattest, durch meine Büchse in Schach gehalten, ohne weiteres zugaben, daß sie Kenntnis von dem Telephongespräch zwischen mir und Frau Anni erlangt hätten, und uns daher nach Bombay vorausgeeilt seien, weil der Kommerzienrat endlich in Erfahrung bringen wollte, wem in Wahrheit das Herz seiner Gattin gehöre, die ihn nur geheiratet hatte, weil ihr Vater, Buchhalter bei der Firma Laubinger, Unterschlagungen begangen, – da wußte ich genug, da erklärte ich dem verkleideten Kommerzienrat, daß er mit seinen Begleitern sich schleunigst auf und davon machen und unseren Weg nicht mehr kreuzen möge … Er hatte eben Anni zu dieser Ehe gezwungen … Er ist bekannt als Frauenverehrer, als … Wüstling! Nun – er hat gebüßt …! – – Dort ist schon der Ausgang der Felsspalte … Vorsicht jetzt!! Wenn ich auch hoffe, daß nur der eine Ratschpute der Rani unsere Flucht bemerkt hat, so wollen wir doch nichts unterlassen, uns vor diesem Weibe, dieser Semiramis der Thar zu schützen … Ihr kommt es auf ein paar Menschenleben wahrlich nicht an …“

 

5. Kapitel.

Der zweite Lanning …

Zwei Stunden später …

Der neue Tag war angebrochen …

Während wir uns durch die Felsspalte in die Zelle Miß Goords geschlichen hatten, deren Tür der nachher getötete Ratschpute offengelassen hatte, war Harald, redselig wie selten, gern bereit gewesen, mir auch die Frage zu beantworten, ob er vermute, daß Edward Lanning sich gleichfalls hier im Innern des Felskolosses befände …

„Er ist bestimmt hier,“ sagte er leise, und betrat den Zellengang … „denn als ich von der Terrasse im Norden aus mir Zutritt zu dem Schlupfwinkel der Rani verschafft hatte, um dich wieder herauszuhauen, mein Alter, da entdeckte ich am Rande der Lichtung vor dem kleinen Palast etwas, das mir sofort einen klaren Begriff davon gab, wessen die Fürstin fähig …! Etwas – – nämlich Lanning selbst, der gefesselt an einem Baumast hing … Der Strick war ihm unter den Armen durchgezogen … Vielleicht hängt er noch dort. Ich erkannte ihn sofort, den Ärmsten … Und ich hätte ihn befreit, wenn er nicht so vollkommen den Eindruck eines noch völlig bei Kräften befindlichen Menschen gemacht hätte … So wollte ich mich denn zunächst um dich bekümmern …“

So flüsterte er, während wir bereits die Steintreppe zu dem Erdgeschoß des Miniaturpalastes emporstiegen …

Totenstille hier … Die Rani Gadwura Arowa und ihre Getreuen schienen ahnungslos noch der Ruhe zu pflegen.

Ungehindert kamen wir ins Freie …

In den tropischen Wald, der hier im Innern des Dschebel Hammak – ein kleines Naturwunder! – emporgesprossen …

Schoben uns weiter durch das Gestrüpp im Lichte des anbrechenden Morgens …

Hielten die Schußwaffe bereit …

„Ohne jede Schonung!“ hatte Harald als Losung ausgegeben …

Und erblickten dann, nachdem wir einen von Büschen halb umgebenen mächtigen Stein erklettert hatten, gerade vor uns einen Inder mit einem Karabiner im Arm – – gerade vor dem Baume am Rande der Lichtung, an dessen stärkstem Ast Doktor Edward Lanning hing … bewacht von dem braunen Burschen, um den herum im Grase ein paar Thar-Katzen hin und her strichen …

Katzen, die uns vielleicht gewittert und verraten hätten, wenn nicht jetzt im Morgengrauen die Dolden des hier überreich vorkommenden Mawistrauches sich geöffnet und ihre scharfen, würzigen Düfte mit fast betäubender Stärke ausgestrahlt hätten …

Wir lagen also in guter Deckung und warteten …

Warteten geduldig … Wußten, daß die Rani dem Manne, den sie haßte, sofort einen Besuch abstatten würde, – – um sich an der kläglichen Lage ihres Gefangenen zu erfreuen …

Warteten nicht umsonst …

Die Fürstin kam … Mit ihrem langgeschwänzten Anhang, den schwarzen Katzen …

Es war heller Tag geworden …

Auf einen Wink der Fürstin verschwand der Wächter …

Das gewissenlose, grausame Weib stand vor dem Manne, dem sie einst ihre Liebe geschenkt hatte …

Blickte zu ihm empor …

Der jungen Sonne erste Strahlen schossen über die zackigen Ränder des Dschebel Hammak hin …

Die Rani rief Lanning höhnend zu:

„Damit du es weißt, Edward, – zwei Deutsche hatte deine Geliebte ausgesandt, um dich zu suchen … zwei berühmte Detektive … Sie befinden sich genau wie du in meiner Gewalt …“

Lanning blieb stumm …

Trotz des um sein Kinn sprossenden Bartes sah ich das verachtungsvolle Lächeln – seine ganze Antwort!

Und der schwarze, behende Anhang der Fürstin, hatte indessen in übermütigem Spiel zum Teil den Baum erklommen … Ein paar der kleinen Bestien waren sogar Lanning auf die Schultern gesprungen … Andere schnellten sich, geschickt wie Kletteraffen, bis zu seinen Füßen hoch, krallten sich fest, und brachten den an dem Strick hängenden Engländer in langsam pendelnde Bewegungen … –

Mit einem Male war Harald von meiner Seite verschwunden … So lautlos hatte er sich entfernt, daß ich nicht das geringste Geräusch vernommen hatte …

Was beabsichtigte er?! Weshalb hatte er mich in sein Vorhaben nicht eingeweiht?!

Ich schaute mich um …

Auch hinter dem Steinblock im Gestrüpp war nichts mehr von ihm zu bemerken …

So wandte ich meine Aufmerksamkeit denn wieder der Rani und Lanning zu.

Von neuem begann da die Fürstin – nur noch haßerfüllter, erregter, noch weniger beherrscht als bisher …

„Edward, du hast mich verlassen, mich, eine Fürstentochter, nachdem …“

Jetzt fiel ihr Lanning ins Wort …

„… verlassen, weil du mich mit dem Privatsekretär deines Vaters betrogst, Arowa, – – deshalb …!! Und zurückgekehrt bin ich hier in die Thar, weil ich allein ahnte, wo die Männer geblieben, die deine Huld genossen hatten …! Ich kannte den Dschebel Hammak … Ich wollte dir ins Gewissen reden, wollte …“

Der Rani schrilles Lachen übertönte seine Stimme …

„Niemals mehr wirst du lebend diesen meinen Schlupfwinkel verlassen …!! Keiner von all den Männern, die ich hier festhalte …! Und auch der eine, dem man fast übernatürliche Gaben des Geistes beimißt, wird …“

Sie schwieg … fuhr herum … Ein Geräusch links von ihr in den Büschen hatte sie gewarnt …

Und dort, halb umrahmt von grünen Blättern, war jetzt die Gestalt eines Mannes sichtbar – – ein zweiter Edward Lanning, und doch nur Harst, der sehr geschickt seinen eigenen Kopf hinter den Zweigen verbarg und dafür den Wachskopf der vor Entsetzen wie gelähmt hinstarrenden Rani zeigte …

Ein zweiter Edward Lanning …

Eine Erscheinung aus einer anderen Welt für die Fürstin … Eine Erscheinung, die sie mit vorgestreckten Händen zwei Schritt zurückweichen ließ … Dann taumelte sie … Ihre Rechte faßte noch mit matter Bewegung nach dem Herzen … Dann sank sie zur Seite – in das hohe Gras …

Tot, – – wie wir gleich darauf feststellten, – von einem Herzschlag getroffen …

„Das habe ich nicht gewollt …,“ sagte Harald erschüttert … „Nein, das wollte ich nicht … Nur strafen wollte ich diese in ihren Leidenschaften so unbändige Frau durch einen Schreck, durch ein Grauen, das ihr ihre Unzulänglichkeit beweisen sollte …“

Dann befreiten wir Edward Lanning … Hatten keine Zeit, mit ihm uns irgendwie auszusprechen … Mußten an die anderen Gefangenen denken, an unsere eigene Sicherheit …

Unnötig war’s … Jemand war uns zuvorgekommen, eine Frau, die wohl ein Recht hatte, mit den noch hier im Dschebel Hammak befindlichen Dienern der Rani nicht gerade sanft umzuspringen … – Miß Honoria Goord war uns heimlich gefolgt … Und als wir nun den kleinen Palast betraten, fanden wir in der Vorhalle vier ältere Inder und den zweiten Ratschputen … erschossen vor … Lagen nebeneinander, die fünf Leichen, und die grauhaarige Miß saß kerzengerade mit steinernem Gesicht in einem Sessel, meinte trocken: „Ich wollte Ihre Abrechnung mit der Fürstin nicht stören, Herr Harst … Sechs Gefangene befinden sich noch unten … Die anderen sind inzwischen leider verstorben …“

Und diese sechs sahen nun das Licht der Sonne endlich wieder … Diese sechs taumelten ins Freie wie Trunkene … Diese sechs brachten wir dann nach Amber, wo ihr Erscheinen die ganze Stadt in Aufregung versetzte und von wo aus sich dann die Kunde von der Semiramis der Thar und von unserem Eingreifen über die ganze Welt verbreitete …

Nur etwas erfuhr diese Welt nicht: daß einer unserer Gefährten Amalgi hieß, und daß wir beide, Amalgi und Miß Goord von Amber sofort wieder aufgebrochen waren, um das Geheimnis der Insel des Großen Salzsees kennen zu lernen. –

Edward Lanning ist heute glücklicher Gatte seiner … Anni! Wir aber sind glückliche Besitzer eines der merkwürdigsten Andenken an den Salzsee der Thar und an die Insel mit den … – Doch davon im nächsten Band, in …:

 

Das Eiland der Toten.

 

 

Anmerkungen:

  1. „Thar-Wüste“ / „Tharwüste“ – beide Schreibweisen vorhanden, alles auf „Thar-Wüste“ geändert. Siehe auch Wikipedia: Thar-Wüste
  2. Siehe auch Wikipedia: Amber.
  3. „Thar-Katzen“ / „Tharkatzen“ – beide Schreibweisen vorhanden, alles auf „Thar-Katzen“ geändert.
  4. Siehe auch Wikipedia: Jaisalmer (Stadt) und Jaisalmer (Staat).