Vergiß mein nicht
Bibliothek der besten Romane
Band 321
Roman von
W. Kabel.
Verlag moderner Lektüre, G. m. b. H., Berlin S. 14.
Dresdenerstraße 88–89.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten.
„Kind, ich wünschte, es würde nichts aus der Sache …!“
Gerda gab der Mutter einen Kuß auf die Stirn.
„Warten wir ab, Mama. – Auf Wiedersehen!“
Dann verließ sie die kleine Wohnung. – Draußen war ein Wetter, so recht novembermäßig. Der Himmel schien nicht recht zu wissen, ob er’s regnen oder schneiden lassen sollte. Und dazu sauste ein Wind durch die Straßen, daß es oben um die Giebel der Dächer nur so heulte, und Gerda von Althofen alle Mühe hatte, den Schirm aufzuspannen. Tapfer kämpfte sie nun gegen den Sturm an, der ihr mit rauen Stößen den Lodenmantel fast aufriß und den Schirm mehr als einmal in ernste Gefahr brachte.
Kurz vor der Haltestelle der elektrischen Straßenbahn wurde Gerda von einem Offizier angesprochen, der mit aufgeklapptem Mantelkragen und tief über die Augen herabgezogener Mütze schon eine geraume Weile in der Straße auf und ab gegangen war.
„Guten Morgen, Fräulein Gerda. Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen für wenige Minuten aufdränge, denn nach Ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, sind Sie keineswegs entzückt, mich abermals in Ihrer Nähe zu sehen.“
Das klang sehr kleinlaut, sehr demütig, machte aber trotz des werbenden Tones auf das junge Mädchen nicht den erwünschten Eindruck.
„Sie haben recht, Herr Oberleutnant, ich bin nicht nur nicht entzückt, sondern sogar recht peinlich berührt von der Hartnäckigkeit, mit der Sie mich verfolgen. Zwischen uns gibt es keine Berührungspunkte mehr! Das habe ich Ihnen schon mehr als einmal erklärt. Also bitte, wollen Sie mich allein lassen.“
„Gerda, wie bringen Sie es nur fertig, so hartherzig zu sein …! Ist denn meine Verfehlung in Ihren Augen wirklich so riesengroß, daß es dafür keine Verzeihung gibt?“
Er hatte mit mühsam unterdrückter Erregung gesprochen. Seine Stimme zitterte leicht, und seine Rechte hatte sich wie beschwörend auf ihren den Schirm haltenden Arm gelegt.
Sie schüttelte seine Hand wie eine unsaubere Berührung mit heftiger Bewegung ab.
„Ich bitte dringend, mich nicht weiter zu belästigen,“ sagte sie schneidend. „Nochmals, wir sind miteinander fertig für alle Zeit! Leben Sie wohl!“
Und eilig den Schirm zuklappend schritt sie über den Fahrdamm und stieg in die Straßenbahn, die eben an der Haltestelle angelangt war.
Erwin Berger war bleich geworden. Auch diese Zurückweisung genügte nicht, alle Hoffnung in ihm zu vernichten. Er war stehen geblieben und schaute der Straßenbahn nach, bis sie um die nächste Ecke verschwunden war. Dann seufzte er tief auf und setzte seinen Weg nach der inneren Stadt zu fort.
Am Nollendorfplatz mußte Gerda in eine nach Halensee gehende Linie umsteigen. Sie wußte hier im Westen der Reichshauptstadt wenig Bescheid und sah sich daher, in dem Vorort Halensee angelangt, genötigt, Vorübergehende nach der Katharinenstraße zu fragen, hatte aber insofern kein Glück, als zwei Damen ihr als selbst hier unbekannt, keine Auskunft geben konnten. Ein Schutzmann war nicht in der Nähe, und so wandte sie sich schließlich an einen Herrn, der in seinem etwas abgetragenem Pelerinenmantel und dem zerknitterten, regennassen Filzhut einen recht bescheidenen Eindruck machte.
Er entpuppte sich als ein sehr gesprächiger Mann, der sofort wortreich erklärte, er rechne es sich zum Vergnügen an, der Dame behilflich zu sein.
„Ich will nämlich auch nach der Katharinenstraße. Sie muß dort links vom Kurfürstendamm abbiegen, wie mir der Stadtplan verraten hat. Kommen Sie nur, meine Gnädige, wir werden uns schon zurechtfinden.“
In der ganzen Art des Mannes, der mit seinem glattrasierten, von zahlreichen Falten durchfurchten Gesicht wie ein Schauspieler aussah und keineswegs mehr jung sein konnte, lag etwas Gemütlich-Vertrauenerweckendes, so daß Gerda keinen Anstoß nahm, sich ihm anzuschließen.
„Ein Hunderwetter heute! Und so begrüßt einen müden Wanderer die Heimat! Eigentlich ein schlechtes Vorzeichen!“ fuhr er gutgelaunt fort. „Zehn Jahre habe ich Berlin nicht wiedergesehen. Man soll nicht glauben, was sich inzwischen hier alles verändert hat …! Halensee zum Beispiel kenne ich nicht mehr wieder. Vor einem Jahrzehnt gab es hier noch zu beiden Seiten des Kurfürstendammes Getreidefelder. Jetzt ist alles bebaut. – Ah, da haben wir die Katharinenstraße ja schon! – Welche Hausnummer suchen Sie, meine Gnädige?“
„Nummer 5. – Aber bemühen Sie sich jetzt nicht weiter, mein Herr. Ich danke Ihnen verbindlichst.“
„Keine Ursache! – Im übrigen ein merkwürdiger Zufall. Auch ich will nach Nummer 5. Also bleiben wir schon noch zusammen. – Sie tragen eine Trauerhut und einen Armflor, meine Gnädige? Haben Sie etwa auch einen lieben Angehörigen durch den Krieg verloren?“
„Meinen Bruder, den einzigen, den ich besaß.“ Gerda sagte es ganz leise. Man merkte, wie sehr sie unter diesem Verlust litt.
„Mein aufrichtiges Beileid! – Ja, es ist ein furchtbares Weh, das auf der ganzen Welt lastet. Es gibt ja kaum noch eine Familie, die nicht den Tod eines ihrer Mitglieder zu beklagen hat. Und dann noch all die anderen Folgen …! Dabei kein Ende abzusehen! Jetzt noch Rumänien als neuen Feind …! Halt, da sind wir ja. – Nun, mein Herr Bruder hat sich ja einen recht prunkvollen Kasten von Mietskaserne als neues Heim ausgesuchte. – Das ist die Kehrseite der Medaille, meine Gnädige! Unendliches Leid bei Millionen, kann man mit Recht sagen, bei wenigen aber nur Freude und Genugtuung über das furchtbare Morden, und diese wenigen sind die Herren Kriegslieferanten, zu denen auch mein Bruder gehört. Nun – ich gönne ihm den Aufschwung, falls an diesem Reichtum nicht allzu stark der üble Duft des Wuchers haftet.“
Die reichverzierte, große Haustür stand offen. Der Hauswart breitete in dem mit Marmor ausgelegten Flur die roten Plüschläufer wieder aus.
Gerda und ihr Begleiter traten ein. Das junge Mädchen war durch die letzten Sätze des Fremden aufmerksam geworden.
„Sollten Sie etwa ein Bruder des Herrn Franz Knebbke sein?“ fragte sie jetzt schnell, ihre sonstige Zurückhaltung vergessend.
Er nickte eifrig.
„Zu dienen, Gnädigste. – Gestatten, Helmut Knebbke, Schauspieler, zur Zeit und seit zwei Monaten ohne Engagement. Auf dem Theaterzettel heiße ich zwar stets: ein Diener – Helmut Sorani, oder: ein Offizier, oder: ein Kutscher, – aber das ist nur mein Theatername. Weiter wie zur kleinsten Nebenrollen habe ich es nämlich nicht gebracht. Sie sehen jedoch, mein Humor hat darunter nicht gelitten. Die Enttäuschung, kein Ludwig Barnay oder Joseph Kainz geworden zu sein, ist längst verschwunden.“
Hier mischte sich der Hauswart ein.
„Sie, Fräulein, Sie beschmutzte mir mit Ihrem triefenden Schirm den ganzen Läufer! Zu wem wollen Sie denn?“
Der unfreundliche, fast grobe Ton des Mannes trieb Gerda das Blut ins Gesicht.
Da kam mir schon der Schauspieler zu Hilfe:
„Etwas mehr Höflichkeit würde Ihnen nichts schaden, alter Freund!“ sagte er scharf. „Im übrigen, die Dame und ich wollen zu meinem Bruder, dem Fabrikbesitzer Franz Knebbke.“
Der Hauswart machte sofort ein anderes Gesicht.
„Bitte sehr … Zweite Etage! Wünschen die Herrschaften den Fahrstuhl zu benutzen?“
Der Komödiant, der, wie Gerda jetzt erst sah, bereits weißgraues Haar hatte, lächelte.
„Vogel, wie singst du mit einemmal so anders!! Steht mein Bruder hier so in Ansehen, daß ein Hinweis auf ihn genügt, um selbst einen Berliner Hauswart in einen „Höfling“ zu verwandeln, – „Höfling“ von höflich abgeleitet!“
„Herr Knebbke bewohnt die teuerste Gelegenheit,“ meinte der Portier, wodurch er andeuten wollte, daß für ihn der Gradmesser der Wertschätzung einer Person sich nach der Höhe der Miete richtete.
Der alte Schauspieler zwinkerte Gerda vielsagend zu.
„Umwandlung aller Werte, hervorgerufen durch den Krieg!“ flüsterte er. „Vor nicht zu langer Zeit, als Franz sich noch Sattlermeister nannte und in Charlottenburg einen kleinen Laden besaß, hätte uns der Hauswart kaum als „Herrschaften“ bezeichnet.“ Und dann zu dem Portier gewann mit großartiger Handbewegung:
„Bitte – Fahrstuhl!“
Die Ausstattung des Treppenhauses entsprach der des Vorflurs. Die Gittertür des Fahrstuhls mit dem großen Spiegel in der Mitte war bronziert, die Treppen mit dicken, roten Läufern belegt, die sich protzig von den Marmorstufen abhoben.
Der Aufzug schwebte surrend nach oben, nachdem der Hauswart den beiden Insassen Bescheid gesagt hatte, daß auf den betreffenden Etagenknopf zu drücken sei. In dem engen Kasten standen Gerda und der alte Komödiant sich dicht gegenüber.
„Ich will Ihnen beweisen, gnädiges Fräulein,“ sagte er in seiner stets gegen sich selbst gerichteten, etwas ironischen Art, „daß ich in meiner dreiundzwanzigjährigen Schauspielerlaufbahn wenigstens etwas gelernt habe: Menschenkenntnis! – Eine Bekannte meiner Verwandten können Sie nicht sein. Erstens ist Ihr ganzes Sichgeben nicht danach, als ob Sie sich gerade die Familie eines Sattlermeisters a. D. – das Handwerk in Ehren! Aber alle Menschen passen nun doch einmal nicht zusammen! – zum Verkehr ausgesucht hätten, und dann würde der Herr Hauswart Sie ja auch kennen, wenn Sie schon öfter diesen steinernen „Protzkasten“ besucht haben würden. Mithin führt Ihr Weg Sie zum ersten Mal zu Franz Knebbke.“
Gerda lachte gutgelaunt.
„Ihre Beweisführung vergißt das Wichtigste, Herr … Herr … – Ja, soll ich nun Knebbke oder Sorani sagen …?“
„Knebbke bitte! Der Name leidet ja nicht an Überfluß von Wohlklang. Aber mein braver Vater hatte ihn in Ehren getragen, und … den Helmut Sorani hoffe ich jetzt für alle Zeit begraben zu haben, wo mein Bruder, der Herr Fabrikbesitzer Franz Knebbke, Hochwohlgeboren, die Güte hatte, mir einen Aufseherposten oder dergleichen in seinem Betrieb mit monatlich zweihundert Mark Gehalt anzubieten.“
„Also gut, Herr … Knebbke, – die Hauptsache hatten Sie vergessen. Ihr Beweis für meine bisherige „Unbekanntschaft“ mit der Familie Ihres Herrn Bruders war lückenhaft. Wäre ich schon häufiger hier gewesen, so hätte ich mich wohl auch allein nach der Katharinenstraße hingefunden!!“
„Donnerwetter!!“ er schlug sich mit den Fingerspitzen gegen die Stirn. „Ja, ja, man wird alt!! Na – trotzdem, – die Menschen kenne ich, wenn ich auch nicht gerade sehr geistvoll kombiniert habe.“
Inzwischen hatte der Fahrstuhl längst von selbst in der zweiten Etage haltgemacht. Trotzdem öffnete der Schauspieler die Tür jetzt noch immer nicht, sondern sagte zögernd:
„Ich habe mir soeben überlegt, gnädiges Fräulein, daß es vielleicht besser sein dürfte, wenn ich erst später meine Antrittsvisite bei Knebbkes erledige. Vielleicht kommen Sie in besonderer Absicht, und wenn hier zwei gleichzeitig auftauchen, dürfte die Familie in ein böses Dilemma geraten, wer nun zuerst abgefertigt werden soll.“
Gerda merkte, daß es wirklich nur Rücksichtnahme auf ihre Person war, die ihn zu diesem Entschluß geführt hatte. Ohne Scheu und Verlegenheit erklärte sie nun, daß sie leider ihm nicht den Vortritt lassen könne, da sie zu halb zwölf vormittags bestellt sei.
„Und unpünktlich möchte ich als angehende Gesellschaftsdame doch nicht sein. Das macht einen schlechten Eindruck,“ fügte sie hinzu.
„Gesellschafts … dame bei Franzens Familie, – Sie – Sie?!“
Er schüttelte ungläubig den Kopf. – … „Das ist doch wohl nur ein Scherz?!“
„Im Gegenteil – bitterster Ernst!“
„Aha – bitterster Ernst! Das heißt, Sie sind gezwungen eine solche Stellung anzunehmen! – Nun, da habe ich doppelten Grund, nicht mit Ihnen zusammen Knebbkes meine Aufwartung zu machen. Es würde erheblich stören, wenn der … lieber Onkel Helmut dicht hinter Ihnen auftauchte. Knebbkes dürften sich etwas unfrei fühlend, wenn ich mit meiner anerkannt scharfen Zunge einer Szene beiwohnen würde, bei der diese scharfe Zunge sicherlich ein paar passende oder … unpassende Bemerkungen – wie man’s nimmt! – über Protzentum und so weiter vom Stapel ließe.“
„Sie sind köstlich!“ meinte Gerda heiter
Da hatte er schon die Tür geöffnet. „Bitte, gnädiges Fräulein! Und – viel Glück! Wappnen Sie sich mit Langmut, Gelassenheit und Nachsicht! – Auf Wiedersehen! – Ich fahre wieder zur Unterwelt hinab und werde mich erst eine halbe Stunde später einfinden.“
Gerda reichte ihm die Hand.
„Ja, auf Wiedersehen, Herr Knebbke! Ich habe mich gefreut, Sie kennen zu lernen.“
„Hoher Herr Chef, den Fisch hätten wir wieder glücklich geangelt! Hier ist der Auftrag über zehntausend Sättel und Zaumzeug soeben eingelaufen.“
Der Prokurist der Firma Franz Knebbke, Militärausrüstungen, schwenkte den Brief triumphierend in der Luft.
„Zeigen Sie her, Mann! Ich muß alles schwarz auf weiß sehen, eher glaube ich nichts!“
Herr Max von Angern reichte ihm das Schreiben, und der Fabrikbesitzer Knebbke überflog es mit einem Lächeln hoher Befriedigung. Es war ein magerer, mittelgroßer Mann mit einem harmlosen Gesicht, dem er vergebens durch eine stets in Falten gezogene Stirn und fest zusammengepreßte Lippen einen Ausdruck von Strenge zu geben versuchte. Der graue Schnurrbart war ebenso tadellos gepflegt wie das Kopfhaar einen scharfen Mittelscheitel zeigte. Und auch die Kleidung bewies, daß Herr Franz Knebbke jetzt außerordentlich viel auf sein Äußeres hielt.
In dieser Beziehung übertraf ihn aber noch sein Prokurist um ein bedeutendes. Max von Angern sah genau so aus, als sei er soeben aus einem Modeblatt herausgesprungen. Überhaupt besaß er eine recht auffällige Erscheinung; schlank wie ein Rennreiter, hatte er ein Gesicht, das mit seinen scharfgeschnittenen, energischen Zügen zunächst ganz angenehm wirkte. Für einen besseren Beobachter lag jedoch in den harten, grauen Augen ein verstecktes, lauerndes Blinzeln, als wittere Angern überall eine Gefahr und halte sich jeden Augenblick zur Abwehr bereit.
Der Prokurist hatte eine recht eigenartige Manier, mit seinem Chef umzugehen. Waren beide allein, so behandelte er ihn stets mit überlegener Herablassung, während er in Gegenwart dritter die Untertänigkeit selbst war.
Jetzt nahm er sich ohne Aufforderung eine Zigarette aus Knebbkes auf dem Schreibtisch liegender Zigarettendose, – mattgold, reich verziert, Wert fünfhundert Mark. Dann begann er in dem Privatkontor, das mit seinen schweren Eichenmöbeln und den echten Persern fast zu vornehm für seine Zwecke aussah, langsam auf und ab zu gehen, wobei er den rechten Fuß ein wenig nachschleppte. Das Hinken viel gerade genügend auf, um im Verein mit dem Bändchen des Eisernen Kreuzes im Knopfloch vermuten zu lassen, daß Max von Angern dem Vaterlande bereits an der Front seinen Tribut in Gestalt einer schweren Beinwunde gezahlt habe.
„Also den Auftrag hätten wir!“ meinte er dann mit seiner biegsamen Stimme, die ihren Ton ebenso schnell wechselte wie die grauen Augen ihren Ausdruck. „Hätten wir …!! Aber – er hat auch uns, insofern nämlich, als er ein miserables Geschäft wird, wenn wir das nötige Leder von der Kriegsgesellschaft beziehen müssen.“
Franz Knebbke, der in einem Klubsessel neben dem schmiedeeisernen Rauchtischchen am Fenster saß, betrachtete sich angelegentlich seine Lackstiefel.
„Die Beschaffung der Materialien bleibt nach wie vor meine alleinige Aufgabe, lieber Angern,“ sagte er, eine Gelassenheit markierend, die nicht ganz echt wirkte. „Ich werde schon wieder Mittel und Wege finden, den größeren Teil des Leders unter der Hand zu besorgen, so daß wir die teuren Preise der verd… Ledergesellschaft nicht zu bezahlen brauchen, wenigstens nur für eine solche Menge, daß es nicht auffällt. Mich glückte es …“
„Mir – mir!!“ verbesserte Angern, der seinen Chef dauernd im Auge behielt.
„Also gut – mir glückte es bisher noch stets, bei jedem Auftrag dreißig Prozent Reingewinn herauszuschlagen.“
„Ihnen?! – Wollen sagen – Ihrer Frau, die uns alle mit ihren Geschäftskniffen in die Tasche steckt!“ meinte mit liebenswürdiger Unverfrorenheit der Prokurist, der jetzt vor Knebbke stehen geblieben war und das magere, herausgeputzte Männchen ironisch betrachtete.
„Ihre geheime Lederquelle ist also noch immer nicht versiegt?“ fragte er dann langsam.
Knebbke trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf der Lehne des Sessels.
„Sie wissen, daß ich hierüber nicht spreche,“ sagte er dann mürrisch, vermied es aber, Angern anzusehen.
Dessen hageres Gesicht verzog sich zu einer förmlichen Fratze. Man merkte, wie schwer es dem Prokuristen fiel, diese ablehnende Antwort ruhig hinzunehmen.
Zu einer weiteren Erörterung über diesen Gegenstand kam es nicht, da das Tischtelephon plötzlich zu läuten begann.
Angern nahm den Hörer von den Gabeln.
„Was gibt’s?“ fragte er kurz
Als er eine Weile gelauscht hatte, wandte er sich nach Knebbke hin.
„Na, – Ihr Bruder ist ja nun glücklich auch eingetroffen. Der Pförtner will wissen, ob Sie zu sprechen sind.“
Franz Knebbke sprang auf.
„Der Helmut?! Also doch!“ Erst malte sich deutlich ehrliche Freude auf seinem Gesicht, aber dieser Ausdruck verschwand schnell.
„Sagen Sie Pulicke, er solle Helmut ruhig herschicken,“ erklärte er dann.
Der Prokurist tat’s und legte den Hörer wieder auf die Stützen.
Knebbke rannte jetzt aufgeregt in dem großen Raum hin und her.
„Hören Sie, Angern, ich möchte Sie bitten, meinen einzigen Bruder anständig zu behandeln,“ meinte er zögernd. „Helmut ist es im Leben stets recht schlecht ergangen. Zehn Jahre haben wir uns nicht gesehen – zehn Jahre! Da möchte ich dem Heimatlosen den ersten Eindruck hier nicht dadurch verderben, daß Sie ihn wie einen hergelaufenen Bettler empfangen. Außerdem hat Helmut früher stets ein recht schlagfertiges Mundwerk besessen, und da wäre ein Zusammenprall zwischen Ihnen beiden nicht ganz ausgeschlossen. Sein beißender Spott steht Ihrer verhauenen …“
„Schnauze – bitte, keine Angst, immer raus mit den Kraftworten!“
„… in nichts nach. Deshalb ist auch mir nicht ganz behaglich in dem Gedanken, daß Helmut unseren sozialen Aufschwung – so nennen Sie ja stets diese Veränderung in unseren Verhältnissen – vielleicht zur Zielscheibe seines Witzes machen könnte.“
Da trat der Erwartete auch schon ein.
Die Brüder fielen sich um den Hals. Franz Knebbkes Herzlichkeit war ehrlich und nicht übertrieben. Die Angst vor der Spottsucht des Jüngeren war vergessen.
Über Max von Angerns Gesicht war beim Anblick des bartlosen Charakterkopfes des alten Schauspielers für einen Moment ein Ausdruck heftigen Schrecks hingelaufen. Als er Helmut Knebbke jetzt vorgestellt wurde, war er von einer so bescheidenen Liebenswürdigkeit, daß sein Chef ihm dankbar zunickte.
Der Schauspieler hatte Angern die Hand gereicht – in einer fast herablassenden Weise.
„Freut mich, meines Bruders erprobte Hilfskraft begrüßen zu können. Wie war doch der Name?“
„von Angern,“ entgegnete der Prokurist mit einer Verbeugung, um dann hinzuzufügen: „Die Herren entschuldigen mich. Ich muß nach der Reichsbank. Morgen ist Löhnungstag.“ –
„Na, alter Franz, nun sag’ bloß mal, wie hast du das nur fertiggebracht, so in zwei Jahren derart hochzukommen?“ meinte der alte Schauspieler, sich in einen Sessel werfend.
Franz Knebbke lächelte etwas verlegen.
„Hm – ja, sieh mal, Helmut, darüber spreche ich nicht gern. Eigentlich war’s Berta, die … den Stein ins Rollen gebracht hat, wie der Angern immer sagt. Überhaupt, mein Prokurist, – dem habe ich sehr viel zu verdanken! Nicht nur geschäftlich. Nein, auch so, was allgemeine Bildung und Manieren anbetrifft. Schließlich auch so den äußeren Menschen, die Kleidung usw. Er war mein Vorbild, mein geduldiger Lehrmeister. Auf seine Veranlassung nahm ich abends mit den Meinen noch heimlich Stunden in Deutsch und allgemeinen Kenntnissen, als so die erste halbe Million ungefähr voll war – vor einem Jahr.“
„Oh – sehr interessant! Aber ich wollte eigentlich wissen, wie … wie „der Stein ins Rollen kam“ …“
„Hm – na, das war so. Berta besorgte mir November 1914 einen Auftrag über fünftausend Schafpelze für das Militär. Wie sie das gemacht hat, ist mir heute noch unklar. Mich traf rein der Schlag, als sie mir von der Sache erzählte. Wie sollte ich innerhalb vier Wochen fünftausend Pelze liefern …?! Aber – es ging, es ging! Unsere kleine damalige Wohnung wurde mit den nötigen Nähmaschinen vollgepfropft, Frauen wurden angestellt, wir alle arbeiteten mit, alle, auch die beiden Mädels. Karl war leider schon im Felde. Einen Teil der Pelze vergab ich in Heimarbeit. Wie gesagt, es ging, und die Sachen fielen noch so tadellos aus, daß ich gleich wieder fünftausend Stück in Auftrag bekam. Na – und so allmählich verstand ich den Rummel. Dann lernte ich Angern kennen, und er brachte erst den großen Zug in die Geschichte. Wir mieteten hier in der Katharinenstraße die leeren Autogaragen, bauten sie fix um, und – die Fabrik war fertig, – April 1915. Und dann wurde der Betrieb eigentlich von Woche zu Woche ansehnlicher. Jetzt beschäftigen wir hundertfünfzig Arbeiter und Frauen, besitzen Maschinen im Werte von über dreihunderttausend Mark.“
„Allerhand Achtung, – also deine Frau die treibende Kraft!! Ja, die Berta …!! In der stecke schon immer was! – So, und nun zu diesem Herrn von Angern. Also ein Genie, nicht wahr?“
Franz Knebbke nickte eifrig.
„Der Mensch kann und weiß einfach alles! Er besitzt in Kanada, im englischen Kanada, große Farmen, kam nach Kriegsausbruch als … Dame verkleidet nach Deutschland, um als Reserveoffizier sich zur Verfügung zu stellen, wurde schon Dezember 14 schwer verwundet und als dienstunbrauchbar Februar 15 entlassen, – Beinschuß. Er hinkt etwas. Eines Abends lernten wir ihn zufällig kennen. Wir saßen bei Kempinski, – dem großen Weinrestaurant in der Leipziger, du weißt wohl! – da kam er zu uns an den Tisch, weil sonst alles besetzt war. Berta, die ja überhaupt einen feinen Riecher für Menschen hat, biederte sich schnell mit ihm an. Da die kanadische Regierung seine Farmen eingezogen hat, mußte er sich nach Beschäftigung umsehen. So kam er zu uns.“
„So … so!“ Der Schauspieler hüstelte ein wenig dazu.
Franz wurde aufmerksam.
„Hör’ mal, Helmut, zweifelst du etwa …“
„Gott bewahre! Wie sollte ich wohl! Nein – bist du aber auch mißtrauisch. Ich dachte nur daran, daß der Herr von Angern doch einen ganz guten Mann für deine Älteste abgeben könnte.“
Der Fabrikbesitzer wehrte lächelnd ab. Aber man merkte, daß ihm dieser Gedanke doch nicht so ganz fremd war.
Dann ging der Schauspieler auf ein anderes Thema über.
„Du, Franz, ich traf da vorhin vor eurem Hause mit einer jungen Dame zusammen, die sich um die Stellung einer Gesellschafterin bei euch bewerben wollte. Das junge Mädchen schien aus sehr guter Familie zu sein.“
„Stimmt, stimmt! Das Fräulein Gerda von Althofen. Alter Adel. Der Vater war Rittergutsbesitzer in Ostpreußen, dann Rentier hier in Berlin. Nun zahlt kein Mensch der Witwe Zinsen. Alles Geld steht auf ostpreußischen Gütern nahe der Grenze, wo alles verwüstet ist. Wird wohl auch Schuld der Frau von Althofen sein. Sie ist nicht energisch genug. Na – kurz und gut – die Althofens müssen sich sehr einrichten, und da das Fräulein sich auf unsere Anzeige hin gemeldet. Wir wollen nun nur eine Gesellschaftsdamen nehmen, die wirklich aus den ersten Kreisen stammt. Sieh mal, bei einem solchen sozialen Aufschwung, wie wir ihn erlebt haben, muß man auch im gleichen Verhältnis wachsen, wie Angern sagt. Deshalb brauchen wir eine Dame, die meinen Weibsleuten feinen Schliff beibringt. Angern hat dazu keine Zeit. Er meinte zwar, wir könnten mit dem, was er uns so im Laufe der Zeit an feiner Benehmigung eingetrichtert hat, ganz gut auskommen, aber Berta war anderer Ansicht. So wurde denn, gegen seinen Willen, eine Gesellschafterin gesucht.“
„Wird euch die ständige Anwesenheit des jungen Mädchens nicht sehr auf die Nerven fallen, lieber Franz?! Ich denke es mir nicht gerade amüsant, als Erwachsener sozusagen immer einen Lehrer um sich zu haben.“
Der frühere Sattlermeister stocherte sich mit einem silbernen Zahnreiniger im Munde herum. Der Schauspieler verzog das Gesicht. Mit der „feinen Benehmigung“ schien es noch nicht sehr weit her zu sein.
„Amüsant?!“ meinte Franz Knebbke achselzuckend. „Danach darf man nicht fragen. Sieh mal, wir verkehren da jetzt durch Vermittlung Angerns mit ein paar sehr vornehmen Familien, und da kann man sich bei kleinen Gesellschaften usw. doch auch hinsichtlich Speisenfolge, Tafeldekoration und Bedienung keine Blöße geben.“
„Mit einem Wort, ihr wollt mit aller Gewalt aus eurem bisherigen Kreise heraus. Habt ihr euch denn die früheren Freunde sämtlich abgewimmelt?“
Der Fabrikbesitzer wurde verlegen.
„Abgewimmelt?! Mein Gott, die Bekanntschaften sind eben so langsam eingeschlafen. – Aber ich denke, jetzt gehen wir nach unserer Privatwohnung hinüber. Zu tun habe ich hier nichts Dringendes. Und ich möchte dich doch den Meinen vorstellen, die sich auf den Onkel Helmut kaum noch besinnen.“
„Und sicherlich nicht übermäßig entzückt sind, daß der arme Schauspieler hier sich niederlassen will,“ vollendete der jüngere Knebbke spöttisch.
„Na – das wollen wir nicht sagen, lieber Helmut,“ entgegnete der einstige Sattlermeister verwirrt. „Freilich – dein Pelerinenmantel ist nicht mehr so recht salonfähig – hm, ja! Und wie steht’s mit der Kluft, die darunter steckt? – Dein Gesichtsausdruck deutet den gleichen Garderobenzustand auch dort an. Hör mal, Bruder, verträgst du ein offenes Wort? Hier sind fünfhundert Mark. Ich bestelle meinen Wagen. Der steht in fünf Minuten bereit. Dann fahren wir nach dem Kaufhaus des Westens, statten dich von Kopf bis Fuß neu aus und sind in einer Stunde wieder zurück.“
Der alte Komödiant seufzte in komischer Verzweiflung.
„Wenn es sein muß, meinetwegen! Aber – die fünfhundert Mark betrachte ich als Vorschuß auf mein Gehalt. Verstanden?! – Schenken lasse ich mir nichts! Ich habe auch meinen Stolz!“
Im Schlafzimmer bei Knebbkes vor dem großen, in den mächtigen Kleiderschrank eingelassenen Spiegel war Anprobe.
Mit drei Riesenkartons war die Schneiderin in einem Taxameter vorgefahren und hatte dann mit Hilfe eines mitgebrachten Lehrmädchens die Schachteln glücklich nach oben zu dem Herrn Fabrikbesitzer geschleppt.
Frau Berta Knebbke hatte gerade ein Gesellschaftskleid auf dem rundlichen Leibe und mit der Schneiderin eine lebhafte Auseinandersetzung darüber, daß die Toilette ungünstig für ihre Figur gearbeitet sei.
„Ich sehe so dick aus, so unförmig!“ klagte sie und fuhr mit den Händen über die starken Hüften.
„Aber gnädige Frau …?! Dick – dick?! Keine Spur!“ widersprach die Schneiderin. „Ihre Exzellenz, die Frau Ministerialdirektor von Geigern hat genau dasselbe Kleid geliefert erhalten, nur mit billigeren Zutaten. Und Exzellenz fand sich schlank, obwohl sie mindestens fünfzig Pfund mehr wiegt wie gnädige Frau.“
Frau Berta Knebbke, geborene Mulick, Bäckermeister Augustin Mulicks, Ackerstraße, Berlin N. Tochter, war beruhigt. – Sieh mal an, die Körting arbeitete sogar für richtiggehende Exzellenzen …! Na – die Preise waren ja auch danach! –
Frau Berta strahlte jetzt über ihr ganzes feistes, stark gepudertes Gesicht, als das gleichfalls anwesende Stubenmädchen erklärte:
„Gnädige Frau wollen doch nicht mager aussehen …!! Jedes Alter hat seine Fülle, die dann nur angenehm wirkt. Außerdem – gnädige Frau könnten sich ja etwas massieren lassen. Ich weiß eine erstklassige Masseuse, die auch stets die Frau Prinzessin von Oertringen bedient.“
„Das wäre ein Gedanke, Klara. Gut – bestellen Sie die Masseuse.“ Und Frau Berta ließ sich „das Gedicht aus Spitzen und Seide“, wie die Schneiderin die Abendtoilette nannte, wieder ausziehen.
Sie war eine noch recht stattliche Erscheinung, die geborene Mulick. Das mußte ihr der Neid lassen. In dem dunkelbraunen, reichen Haar war kein Silberfädchen zu bemerken. Und die starken Augenbrauen und die dunklen Augen gaben ihr im Verein mit den vollen roten Lippen und der schmalen Nase entschieden etwas Fremdländisches, an Italienerinnen oder Spanierinnen Erinnerndes.
„So, jetzt kommt Elly heran,“ meinte sie, sich aufatmend in einen seidegepolsterten Korbsessel fallen lassend, der unter ihren einhundertundneunzig Pfund ängstlich aufächzte.
Elly Knebbke war das älteste der drei Kinder des Ehepaares und ein verwöhntes Abbild der Mutter. Die Ähnlichkeit war geradezu auffallend. Nicht zum Schaden der einundzwanzigjährigen jungen Dame.
Fräulein Elly schien der Anprobe kein großes Interesse entgegenzubringen. Wenigstens tat sie so. Mit gelangweiltem Gesicht ließ sie sich das Kleid überstreifen, bemängelte dann sehr viel, alles in müdem, gleichgültigem Ton. Diese Art, sich zu geben, hielt sie für vornehm. Sie hatte mal früher einen Roman gelesen, in dem eine Gräfin die Hauptfigur spielte, und diese Gräfin war als das Muster übersättigter Gelangweiltheit geschildert worden und diente nun Elly Knebbke als Vorbild, was insofern nicht recht paßte, als die junge Dame ihr ungezügeltes Temperament des Öfteren doch nicht verheimlichen konnte und dann also stets recht erheblich aus der Rolle fiel.
Nach Elly kam die jüngste Knebbke heran, ein richtiger blonder Kobold mit einem kecken Knabengesicht, mittelgroß, überschlank, trotzdem von vollen Formen, sehr beweglich, sehr wenig empfänglich für Mamas Kulturbestrebungen und daher der Schrecken der beiden anderen Knebbkeschen Damen, zumal diese entsetzliche Margarete, stets Grita genannt, bei den ungünstigsten Gelegenheiten mit Vorliebe wieder kräftig berlinerte.
Bei Grita ging die Anprobe am schnellsten vorüber. Gerade schlüpfte sie wieder in ihre Hauskleid, das jedoch auch seine zweihundert Mark gekostet hatte, als man draußen die Flurglocke schrillem hörte, und Klara hinauseilte, um zu öffnen.
Frau Berta Knebbke stieß einen Ruf des Schreckens aus.
„Das habe ich ja ganz vergessen …! Es wird die neue Gesellschafterin sein, die sich vorstellen kommt. – Grita, schnell meine Lackhalbschuhe! – Elly, meinen Lorgnette …! – Ja, ja, Fräulein Körting, schon gut … Ich schicke Ihnen am Nachmittag fünfhundert Mark als Anzahlung. Aber – übermorgen müssen die Abänderungen fertig sein, unbedingt! Wir geben am Sonnabend unsere erste Gesellschaft, und bis dahin müssen die Roben wie angegossen sitzen.“
Das Stubenmädchen kam mit sehr rotem Kopf jetzt zurück. Diese Klara war eine jener Zofen, die man nicht gut in Häusern halten kann, wo es erwachsene Söhne gibt. Das weiße Schürzchen über dem schlichten schwarzen Kleide und das weiße Häubchen auf dem kokett frisierten, dunkelblonden Haar im Verein mit einem regelmäßigen Gesicht mit einer fast zarten Hautfarbe machten sie beinahe zu hübsch für einen dienenden Geist.
„Gnädige Frau, – das lasse ich mir nicht gefallen, niemals! Eine solche Behandlung bin ich nicht gewöhnt! Ich habe in den feinsten Häusern gedient, – aber – aber …“
Sie schnappte förmlich nach Luft und vermochte nicht weiterzusprechen.
„Himmel, was ist denn los?!“ fragte Frau Berta Knebbke entsetzt.
„Ja, was ist geschehen?“ forschte auch Elly, indem sie das „geschehen“ sehr stark betonte, damit die Mutter merkte, daß feine Damen nicht sagen „was ist denn los?“
Klara deutete nach dem Flur hin.
„Es ist die … die Gesellschaftsdame, die gnädige Frau mieten will,“ erklärte sie empört. „Nur die Gesellschaftsdame! Na, und als ich sie nach dem Namen und ihren Wünschen fragte, erwiderte sie: „Melden Sie Fräulein von Althofen.“ Und wie ich sie nun im Flur stehen lassen wollte, da rief sie mich zurück und befahl sehr kurz: „Führen Sie mich in das Empfangszimmer! Von Ihren Obliegenheiten scheinen Sie auch nicht viel zu verstehen!“ – Und das mir, gnädige Frau, die ich zuletzt zweite Kammerzofe bei der Prinzessin von Oertringen gewesen bin! – Ich sage hier gleich, kommt die ins Haus, gehe ich – sofort, sofort! Also, gnädige Frau haben die Wahl. Entweder die oder ich!“
Frau Berta Knebbke überlegte ein paar Sekunden. Ohne Überlegung tat sie nichts – nie! Dann erklärte sie sehr hoheitsvoll:
„Sie haben sich auch nicht richtig benommen, Klara. Sie vergessen, daß Fräulein von Althofen eine Dame ist.“
Dann rauschte sie hinaus, gefolgt von Elly, die natürlich neugierig war, die Gesellschafterin kennenzulernen. Aber die Mama machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
„Ich empfange das Fräulein allein, Elly!“ sagte Frau Knebbke sehr bestimmt, wie sie überhaupt, wenn es nottat, ihren Willen allein schon durch die Art ihres Auftretens durchsetzen konnte.
Elly erwiderte müde und schleppend:
„Mir liegt nichts daran. Ich wollte nur achtgeben, daß der erste Eindruck, den die Althofen von unserer Familie erhält, nach Möglichkeit kein zu ungünstiger ist.“
„Da sei ohne Sorge! Ich werde nicht viel sprechen, nur das Nötigste.“
Frau Berta trat vor den Spiegel der Flurgarderobe, drehte die beiden elektrischen Lampen neben dem Spiegel an und zupfte ihr Haar zurecht. Dann nahm sie die an goldener Kette hängende Lorgnette in die Rechte und verschwand im Salon.
Gerda von Althofen war angenehm überrascht, als sie Frau Knebbke nun gegenüberstand. Wahrhaftig, diese Frau sah wirklich wie eine Dame aus, wenigstens für einen flüchtigen Beobachter.
„Nehmen Sie bitte wieder Platz, Fräulein von Althofen,“ begann die geborene Mulick, mit ihrer Lorgnette spielend. –
Ihre anfängliche Verlegenheit war schnell verflogen. Hm – der Anzug der jungen Dame da war wirklich zu bescheiden. Der Lodenmantel und dazu ein Glanzlederhut …!! Recht ärmlich!! – Und das Bewußtsein, zwar ein Adlige, aber doch eine Stellungssuchende vor sich zu haben, gab ihrem Ton etwas Gönnerhaftes.
In knappen zehn Minuten war man einig geworden. Bei dieser Unterredung merkte Frau Berta aber doch sehr bald, daß dieses Fräulein von Althofen diejenige war, die die Situation beherrschte. Gerda stellte ihre näheren Bedingungen: eigenes Zimmer, einen freien Nachmittag und einen freien Abend in jeder Woche. Alles wurde ohne weiteres bewilligt.
Inzwischen hatte Frau Knebbke reichlich Zeit gehabt, auch das Gesicht der neuen Gesellschaftsdame zu mustern. Für ihren Geschmack war es zu schmal; die Nase zu lang, der Mund zu breit. Trotzdem mußte sie sich neidisch eingestehen, daß Gerda von Althofen selbst in Lodenmantel und Lackhut ganz wie eine Vertreterin jener Kreise aussah, in die Knebbkes wenigstens ihrem Gelde nach jetzt hineinzugehören sich einbildeten.
Bevor Gerda sich verabschiedete, klingelte die geborene Mulick noch nach dem Stubenmädchen und ließ Elly und Grita holen.
„Ich möchte Ihnen gern meine Töchter vorstellen, Fräulein von Althofen,“ meinte sie sehr liebenswürdig.
Die Älteste erschienen mit umgehängtem Skunkskragen, den sie kürzlich zum Geburtstag erhalten und der einen Unsummen gekostet hatte, kam sehr langsam auf Gerda zu, neigte leicht den Kopf und sagte nur:
„Ich freue mich, Sie als neue Hausgenossin begrüßen zu können.“ Dann zu ihrer Mutter gewandt: „Mama, der Portier hat wieder die Dampfheizung schlecht versorgt. Ich wenigstens friere stark.“ Die angebliche Kälte in den Zimmern sollte die Zurschaustellung des Pelzkragens begründen.
Anders Grita. Sie reichte Gerda frisch die Hand, beschaute sich kritisch das Gesicht unter dem Lackhut und meinte: „Wir werden uns schon vertragen. Und wenn ich mal ’ne Dummheit mache, bitte mir das dann gleich ehrlich sagen. Ich bin für die Offenheit.“
Gerda gefiel die zierliche Blonde sofort. Die gab sich keine große Mühe, Theater zu spielen, im Gegensatz zu den beiden anderen, die auf bestimmte Rollen leidlich eingeübt zu sein schienen.
Als Fräulein von Althofen die Treppe wieder hinabstieg, atmete sie erleichtert auf. Es würde sich schon leben lassen mit diesen Menschen, die durchaus ihre Herkunft verbergen wollten, was man ihnen nicht einmal bei dem schnell erworbenen Reichtum verargen konnte.
Vor dem Hause hielt ein Taxameter. Ein noch sehr junger Infanterieoffizier bezahlte gerade den Kutscher, und der Hauswart schleppte einen Koffer und einen Stiefelsack in den Flur.
Gerdas Schirm wollte sich durchaus nicht aufspannen lassen. So fand der Portier Zeit ihr zuzuflüstern:
„Es ist der junge Herr Knebbke. Hat ’nen Armschuß, darf sich aber hier zu Hause behandeln lassen. Die Eltern ahnen noch nichts. Das wird ’ne Überraschung werden …!“
Jetzt erst sah Gerda, daß der Leutnant den linken Arm in der Binde trug. Nun war der widerspenstige Schirm geöffnet, und die Knebbkesche Gesellschaftsdame eilte in dem Schneetreiben dem Kurfürstendamm zu.
Frau von Althofen wohnte in Schöneberg in der Hektorstraße vier Treppen hoch, – erst seit Oktober, als die pekuniäre Notlage schon recht drücken geworden war.
Als Gerda daheim anlangte, kam die Mutter ihr bis in den Flur entgegen. –
Sie war keine angenehme Erscheinung, die geborene Gräfin Trast-Lietzburg. Sehr groß, sehr hager, hatte ihr mageres Gesicht stets einen hochmütig verschlossenen Ausdruck. Nur die Augen konnten auch freundlich dreinschauen – konnten!
„Nun, Kind, wie ist die Sache denn abgelaufen?“ fragte sie, in dem sie leicht aufseufzte.
„Gut, Mama, sehr gut sogar. Doch komm’ – ich erzähle dir im Zimmer näheres.“
Gerda berichtete ihre Erlebnisse ganz eingehen. Nur ihre Begegnung mit Oberleutnant Berger unterschlug sie. Sonst wurde nichts vergessen.
„Also, wie gesagt, das, was man so ekelhafte Protzen nennt, sind die Leute nicht. Und der Schauspieler Helmut Knebbke – eigentlich gehört der ja nur halb zur Familie – ist ein Prachtmensch. Den … „gnädigen Herrn“ werde ich erst später, morgen, kennen lernen. Ich soll ja noch heute Abend „zuziehen“, wie man dies von Dienstboten ja wohl sagt.“
„Wie?! Noch heute Abend?! Aber Kind, das geht doch nicht, das ist ausgeschlossen.“
„Es wird sich schon einrichten lassen, muß sogar! Ich bekomme dann nämlich das Gehalt für den ganzen Monat November. Hundert Mark, Mama, – die sprechen sehr mit.“
„Dann allerdings. – Nun etwas anderes, Gerda. Als du fortgingst, schaute ich dir zufällig nach. An der Haltestelle der Elektrischen schien dich ein Herr zu begrüßen, ein Offizier …“
Aha – Mama hatte wieder einmal den Operngucker zum Spionieren aus dem Erkerfenster benutzt …! – Gerda errötete vor Unwillen.
„Ja – ein Offizier, und zwar Herr Berger,“ erklärte sie kurz. „Du brauchst mich aber gar nicht so strahlend anzusehen, Mama. Ich kann doch nichts dafür, daß er mich abermals aufgelauert hat. Du weißt ganz gut, wie ich über Berger jetzt denke. Meine Schwärmerei für ihn ist verflogen – wirklich!“
„Gott sei Dank! Schade, daß es erst dieses Vorfalles bedurfte, um dich mit deinen zwanzig Jahren zur Vernunft zu bringen. Ich habe mit dir ganz andere Pläne. Du sollst einst Schloßherrin auf Lietzburg werden. Wenn nur erst Frieden wäre und Vetter Erwin heil und gesund bleibt!“
Gerda erwiderte nichts. Nur die Röte auf ihren Wangen verstärkte sich. –
Es war heute wieder das alte Lied. Die Mama zeigte sich von ihrer unangenehmsten Seite. Dieses häßliche Nachspionieren und dann dieses Schmieden von Heiratsplänen, bei denen Gerdas Herz nie befragt wurde …! Jetzt war Erwin Graf Lietzburg, Garderittmeister, an der Reihe …! Vor einem halben Jahre war’s ein Freiherr von Bollschwing gewesen … Das wechselte oft, wenn auch nur die geringsten Anzeichen dafür vorlagen, daß ein begüterter Freier von Stand und Namen Interesse für Gerda hatte. Erwin schickte im Laufe des Sommers häufig Karten aus Siebenbürgen. Das genügte der Mutter schon.
Unwillkürlich dachte Gerda jetzt an Berger. Der hieß ja auch mit Vornamen Erwin, war allerdings nicht Majoratsherr, sondern nur simpler Amtsrichter in Berlin und eine Bekanntschaft vom Gericht, vom Grundbuchamt, her. Und jetzt erst fiel es dem jungen Mädchen ein, daß es den Oberleutnant doch offenbar sehr gereue, damals auf dem halbdunklen Stephanplatz in den einsamen Anlagen sich soweit vergessen zu haben. Fünf Wochen lag das nun bereits zurück. Und täglich hatte er ihr dann in der Hektorstraße aufgelauert, um sie vielleicht sprechen zu können. Fünf Wochen …! Er mußte sie also doch sehr lieb haben, sehr …
„Woran denkst du, Kind?!“ fragte Frau von Althofen argwöhnisch.
Gerda schreckte leicht zusammen.
„An Erwin …“, sagte sie doppeldeutig.
Die Mutter war beruhigt.
„Gehen wir zu Tisch. Es ist bereits ein halb zwei. Du mußt doch auch Hunger haben, Kind.“
Der Empfang Helmut Knebbkes von Seiten Frau Bertas war ziemlich kühl, obwohl sie an seinem äußeren Menschen nicht auszusetzen hatte Elly spielte dem Onkel gegenüber ihre vornehm-müde Gräfin noch mit stärkerer Betonung, um ihm von vornherein zu imponieren, erzielte aber nur den einen Erfolg, daß er sehr teilnehmend fragte, ob sie vielleicht krank gewesen sei. Sie mache ganz so den Eindruck einer Genesenden.
Mit dieser Bemerkung verdarb Onkel Helmut es vorläufig gründlich mit seiner ältesten Nichte.
Auch der Herr Leutnant Knebbke, der noch vor zwei Jahren die Primabänke gedrückt hatte, verhielt sich gegen dem Schmierenoheim, wie er ihn heimlich Elly gegenüber bezeichnete, sehr zurückhaltend. Dem zwanzigjährigen Jüngling war der Leutnant etwas sehr zu Kopfe gestiegen. Sein unerwartetes Erscheinen hatte allgemeinen Jubel ausgelöst. Als er im August auf Urlaub zu Hause weilte, war er noch Unteroffizier gewesen! Und nun Offizier …!! Kein Wunder, daß es bei Knebbkes zum Empfang der „beiden lieben Gäste“ zum Mittagessen Sekt gab. So sagte wenigstens der Fabrikbesitzer. In Wahrheit galt der Sekt nur dem verwundeten Leutnant.
Die vernünftigste war auch jetzt Grita. Der Onkel Helmut war ihr interessanter als alle Schilderungen des Bruders über die Schützengrabenkämpfe zusammen genommen. Das stand ja in den Zeitungen viel genauer und viel packender. Wozu gab es denn Kriegsberichterstatter an der Front mit so berühmten Namen?!
Auch dem alten Komödianten gefiel dieser frische, natürliche blonde Kobold. Der hatte das Herz jedenfalls auf dem rechten Fleck. Das war ein anderer Schlag als diese Elly, die sich stets wie eine blasierte Hochgeborene aus einem Lustspiel älteren Datums benahm, und wie dieser Neffe, der mit seinen strategischen Fähigkeiten einen Hindenburg in den Schatten stellte, schließlich auch anders als die geborene Mulick aus der Ackerstraße, bei der die ererbte Berliner Gerissenheit stets in Konflikt mit dem Streben nach Vornehmtun lag …!
Nun – bei alledem langweilte sich Helmut Knebbke keineswegs! Er hatte seine Freude daran, diese Menschen zu beobachten, die sich zum Teil ständig wie auf offener Bühne bewegten, ein Komödienspiel, das der harmlose Hausherr mehr notgedrungen als freiwillig mitmachte.
Noch amüsanter wurde die Sache, als Gerda von Althofen gegen sieben Uhr abends mit einer Menge Gepäck ihren Einzug hielt und alles sich um die neue Gesellschaftsdame bemühte, als sei eine regierende Prinzessin oder dergleichen bei Knebbkes abgestiegen. Zum Empfange hatte Frau Berta ein Abendessen herrichten lassen, dem niemand die Lebensmittelknappheit anmerkte. Sogar Sekt wurde wieder aufgefahren, und die brave Berta unterschätzte die Wirkung des ungewohnten Getränkes derart, daß sie nachher im Musikzimmer in ihrem Sessel einschlief und die Gesellschaft durch wenig musikalische Schnarchtöne überraschte.
Der Herr Leutnant hielt sich für verpflichtet, Gerda gegenüber den Schwerenöter zu spielen, klappte ständig die Hacken zusammen, näselte leicht und renommierte mit seinen vornehmen Bekanntschaften im Offizierskorps seines Grenadierregiments, das als „halbe Garde“ Litzen trug, so daß auch Karl Knebbkes feldgrauer Offiziersrock durch die silbergrauen Litzen und hellen Spiegel sich merklich von den glatten grauen Kragen der übrigen Infanterie abhob.
Bei der ersten Gelegenheit fragte Helmut Knebbke Gerda dann heimlich, wie ihr dieses Narrenhaus gefiele.
„Aber ich bitte Sie, seien Sie doch nicht so scharf in Ihrem Urteil,“ erwiderte sie ernst. „Ich merke jetzt, daß das Hinabsteigen aus einer Gesellschaftsschicht in die andere offenbar leichter ist als das Umgekehrte.“
Er nickte ihr daraufhin anerkennen zu.
„Sie haben recht. Man muß nachsichtig sein. Jedes neue, bisher unbekannte Kleidungsstück will zu tragen gelernt sein. Der Neger aus Innerafrika wird sich in Lackstiefeln auch nicht gleich zwanglos bewegen.“
Vor dem Abendessen hatte Frau Berta noch mit dem Stubenmädchen einen harten Kampf durchzufechten. Klara wollte durchaus sofort entlassen sein.
„Mit der hochmütigen Personen diene ich nicht in einem Hause zusammen,“ erklärte sie abermals.
Als dann aber die Hausfrau ihr schließlich ankündigte, Klara könne also ihretwegen gehen, sobald morgen Ersatz beschafft sei, brach die hübsche Person in Tränen aus und meinte, das sei nun der Dank für treue Dienste. Knall und Fall werde sie einer Fremden wegen an die frische Luft gesetzt, – eine Verdrehung der Tatsachen, die zur Folge hatte, daß Klara, diese Perle, bei drei Mark Lohnerhöhung blieb und daß die Köchin die gleiche Vergünstigung erlangte. Nachdem dies erledigt war, gab es einen neuen Streitpunkt. Klara wollte durchaus gerade heute Abend freihaben. Ihre Mutter hätte ihr eine Postkarte geschickt, daß sie mit ihr ganz Dringendes zu besprechen habe. Auch hierbei einigte man sich. Von halb neun ab sollte Klara frei sein, obwohl das doch gerade heute wegen der drei neuen Familienzugehörigen sehr unangenehm war.
In dem kleinen Dienstbotenzimmer verwandelte das Stubenmädchen sich nachher in eine vollkommene Dame, schlüpfte eiligst über die Hinterpforte zum Hause hinaus und betrat gegen einhalb zehn Uhr ein vornehmes, kleines Weinrestaurant am Kurfürstendamm in der Nähe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
An einem Tisch etwas abseits saß Herr Max von Angern im tadellosen schwarzen Abendanzug mit Seidenaufschlägen, das Monokel im Auge, vor den Resten einer erlesenen Mahlzeit und einer Flasche teuren Burgunders.
Wie alte, sehr gute Bekannte begrüßten die hübsche Klara und Angern sich. Sachkundig suchte erstere sich dann von der Speisenkarte ein paar Delikatessen aus und ließ Angern dazu eine halbe Flasche Sekt bestellen.
Dann begann eine eifrige, sehr leise geführte Unterhaltung.
„Jedenfalls siehst du, daß wir auf diese Weise nicht zum Ziele kommen,“ meinte Klara. „Diese Spekulation, der Alten heimlich den Hof zu machen, war verfehlt. Die ist zu schlau, wenigstens in allen Dingen, die das Geschäft angehen. Aus ihr wirst du nie etwas herausholen. Das habe ich ja gleich gesagt.“
Angern reinigte umständlich sein Monokel mit dem seidenen Taschentuch und machte ein mißmutiges Gesicht.
„Er, der alte Tapergreis, will meine Andeutungen auch nicht verstehen, daß ich es eigentlich verdient hätte, Geschäftsteilhaber zu werden. Ohne die Elly als Beigabe wird das nicht zu machen sein.“
„Niemals!“ Klares Augen blitzten. „Auf die Weise nie! Das dulde ich nicht! Auf keinen Fall. Ich lasse mich nicht beiseite schieben. Ich habe ein Anrecht auf dich. Und darauf verzichte ich nicht.“
„Aber beruhige dich doch! Ich denke dabei doch nur an unser gemeinsames Interesse.“
„So?! Und wie stellst du dir die Sache eigentlich vor?! He?! Wenn du dich mit ihr verlobst, wird man auf eine baldige Hochzeit drängen. Das gibt es nicht! Für solche Experimente ist die Elly mir zu hübsch. Und – ich warne dich, Karl! Wage es nicht, in diesem Punkte etwa selbstständig zu handeln. Dann sollst du mich kennenlernen!“
„Ich bitte dich, mäßige dich! Man wird drüben auf uns schon aufmerksam. Eine Hochzeit läßt sich doch hinausschieben …! Ich würde schon dafür sorgen, daß ich gleich nach der Verlobung Teilhaber werde. Dann bringe ich so viel beiseite, daß es sich verlohnt, lasse es zum Krach kommen und scheide aus der Firma wieder aus. Wenn nur der Krieg noch ein Jahr dauert! Das ist die Hauptsache. Bekommen wir bald Frieden, so haben wir ohnehin das Nachsehen. – Nein – Eile tut Not! Bedenke das!“
Klara war unschlüssig geworden.
„Und wie ist es mit der Lederbezugsquelle? Läßt sich die nicht als Daumenschraube benutzen?“ fragte sie dann.
„Gewiß – wenn man sie kennt!! Aber leider ist der alte Waschlappen in diesem Punkte schlauer als ein Fuchs, und die Gnädige dito! Ich bekomme es nicht heraus, wo er unter der Hand das billige Material sich besorgt. Und auf den Kopf gefallen bin ich doch wahrlich nicht! In diese Geschichte sind offenbar nur das Ehepaar und der Werkmeister Matthias, der alte Schleicher, der schon bei dem Herrn Sattlermeister Knebbke als Geselle gearbeitet hat, eingeweiht. Ich habe alles versucht, habe nachts spioniert, aufgepaßt, bin dem Matthias nachgeschlichen, – nichts zu machen!! Plötzlich ist dann ein Wagen mit Leder beladen da, den dieser verd… Werkmeister selbst lenkt, – und ich habe wieder das Nachsehen. – Ja, wenn man diese Lederschiebungen aufdecken könnte!! Dann müßte die Gesellschaft ganz nach meiner Pfeife tanzen!“
Er trank sein Glas leer und fuhr dann fort:
„Übrigens, ich bekam heute einen bösen Schreck, als mir dieser Herr Bruder und Schmierenkomödiant vorgestellt wurde. Dem Manne bin ich schon mal irgendwo begegnet. Ich habe mir bisher leider umsonst den Kopf zergrübelt, wo das gewesen sein kann.“
„Das fehlte noch!“ meinte Klara. „Ob er denn mißtrauisch geworden ist?“
„Keine Spur! Da kannst du ganz beruhigt sein. Trotzdem werde ich recht vorsichtig werden. Man kann nie wissen! Wenn man sich auf so gefährlichem Boden bewegt wie ich, darf man nichts unbeachtet lassen. Überhaupt ein Pech, daß es mir nicht gelang, Knebbke von diesem Gedanken abzubringen, seinen Bruder zu sich zu nehmen. Ich will zusehen, daß ich den Schauspieler entweder baldigst rausgraule oder sonstwie kaltstelle. Jedenfalls darf er mit dem Geschäftsbetrieb nicht zu vertraut werden. Ich habe daher Knebbke auch heute Nachmittag davon abgebracht, den Komödianten sozusagen als Oberaufseher zu beschäftigen und veranlaßt, daß er im Bureau als dritter Buchhalter Arbeit findet. Dort habe ich ihn ständig unter Aufsicht. Das muß sein. – Übrigens – die Gesellschafterin haben sie also wirklich engagiert? Ließ sich das nicht hintertreiben, Klara?“
„War nichts zu machen! Ich habe einen netten Tanz mit der Gnädigen aufgestellt …! Alles vergeblich. Aber ich denke, die Althofen wird uns nicht gefährlich werden. Gewiß – unangenehm ist so ein Aufpasser im Hause ja immer. Doch – mich zu durchschauen, dazu gehört schon mehr!“
Die beiden schmiedeten dann allerhand neue Pläne, und erst nach einhalb zwölf war Klara wieder zu Hause. Angern hatte sie in einem Taxameter nach Halensee gebracht, und in dem geschlossenen Wagen war das junge Weib dem Geliebten um den Hals gefallen wie eine Verschmachtende, hatte ihn geherzt und geküßt und im Zustande schrankenloser Hingebung auch darein gewilligt, daß Angern, als es nicht anders ging, sich mit Elly Knebbke verloben solle.
Der Prokurist war ebenfalls ausgestiegen, hatte den Kutscher bezahlt und war dann zu Fuß seiner in der Nähe des Charlottenburger Bahnhofs gelegenen Wohnung zugewandert.
Kaum hatte er Klara aus dem Gesicht verloren, als er auch schon mit einer Verwünschung vor sich hinmurmelte:
„Klette …!! Nicht loszuwerden! Sie hängt sich an mich wie ein Bleigewicht. Ich fühle mich unfrei, bin es ja auch. – Bah – mir zu drohen …!! Lächerlich!! Klara Seddig, ich weiß von dir mindestens ebensoviel wie du von mir! Die Partien ist in dieser Hinsicht gleich, – aber auch nur in dieser einen! Sonst bin ich dir doch wohl so etwas überlegen! Ich heirate Elly Knebbke – nicht nur des Geldes wegen, oh nein! Das Weib reizt mich. Sie ist bildungsfähig. Unter meiner ständigen Obhut wird sie eine brauchbare Lebensgefährtin werden.“
Auch Klara Seddig beschäftigte sich, bevor sie einschlief, noch sehr lebhaft mit der Person dessen, der ihrem Leben eine so ganz andere Wendung gegeben hatte – nicht gerade zum besseren. Als ehrbare, hübsche und gewandte Tochter eines Kutschers des königlichen Marstalles hatte sie alles Mögliche gelernt und war dann bereits mit sechzehn Jahren Kammerzofe bei einer adligen Dame geworden, wechselte mehrmals ihre Herrinnen, sich stets um höher bezahlte Posten bemühend, und kam schließlich sogar zu einer leibhaftigen Prinzessin in Dienst. Inzwischen hatte der Mann ihren Lebensweg gekreuzt, der ihr Schicksal werden sollte. Der jetzige Max von Angern hieß damals allerdings nicht so wie heute. Aber er war doch ein Mensch, dem die Weiberherzen nur so zuflogen. Bald wurde es Klara zur Gewißheit, daß ihr heimlicher Liebhaber recht dunkle Pfade wandeln müsse. Aber in ihrer Liebestollheit war ihr das alles vollkommen gleichgültig. Mehr noch, sie wurde ein gefügiges Werkzeug in Karl Meinerts Händen, der sie dann auch absichtlich als Stubenmädchen bei Knebbkes unterbrachte, als Stubenmädchen und Spionin.
Klara Seddig lag in den Kissen und starrte zur Decke des kleinen Zimmers empor. Marie, die Köchin, deren Bett an der anderen Wand stand, schnarchte in allen Tonarten. Und Klara hätte ihr am liebsten einen Pantoffel an den Kopf geworfen, wie sie dies schon öfters getan hatte, um das Schnarchkonzert zu unterbrechen
Karl … Karl Meinert! – Sie sehnte sich nach ihm, aber der Rausch, in den sie sich in dem Taxameter versetzt hatte, war vorüber. Es wurde ihr nicht leicht, vor sich selbst zugeben zu müssen, daß ihr Geliebter in letzter Zeit ihr gegenüber recht kühl und gleichgültig geworden war. Und doch ließ sich an der Tatsache nichts ändern.
Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr das. Unzählige Beweise konnte sie in kurzem hierfür zusammenbringen, die ihr nun vollends die Augen öffneten.
Er liebte sie nicht mehr …! Vielleicht war sie ihm sogar bereits unbequem. Und ihr leidenschaftliches Herz erstarrte einen Augenblick vor Weh. Schnell aber verwandelte sich dieses Gefühl namenlosen Jammers in die wildeste Eifersucht.
Elly Knebbke …!! Nur sie konnte ihr seine Liebe gestohlen haben – nur sie! Auch hier gab es kleine Beweise genug! Karl verkehrte ja so häufig bei Knebbkes. Und dann hatte Klara bisweilen zu beobachten geglaubt, daß seine Augen mit besonderem Ausdruck das Gesicht und die Gestalt der ältesten Tochter streiften.
Weiter eilten ihre Gedanken. Der heutige Abend … Wie hatte er es ihr nur mit all seiner aalglatten Beredsamkeit klarzumachen versucht, daß für ihre gemeinsamen Pläne eine Verlobung mit Elly das günstigste sei. Und schließlich hatte sie ja auch zugestimmt, froh, daß sie seine matten Zärtlichkeiten wieder einmal genießen konnte …
Die hübsche Klara tat in dieser Nacht kein Auge zu. Und doch merkte ihr am Morgen niemand an, daß sie all die Stunden wachgelegen und finstere Rachepläne geschmiedet hatte, deren Ergebnis war, erst nochmals prüfen, ob er ein falsches Spiel trieb, und dann … dann …
Amtsrichter Erwin Berger kletterte auf dem Leipziger Platz aus der Elektrischen und steuerte dem Eingang des Warenhauses Wertheim zu.
Er trug heute Zivil. Gestern war ihm von dem Ersatzbataillon des Grenadierregiments, bei dem er als Oberleutnant der Reserve den Feldzug mitgemacht hatte, der Bescheid zugegangen, daß er zur Verfügung seiner Behörde aus dem Heeresdienst bis auf weiteres entlassen sei.
Berger zog sehr ungern die Uniform aus. Doch jetzt, wo er nach dem im September erhaltenen schweren Oberarmschuß, der eine allgemeine Schwäche des linken Armes bewirkt hatte, doch nur noch garnisonsdienstfähig war, konnte er dem Vaterlande wohl mehr in seiner Zivilstellung als Amtsrichter nutzen, zumal bei dem starken Mangel an Beamten. Dieser Gedanke tröstete ihn ein wenig.
Erwin Bergers hageres Gesicht mit dem blonden, kurzgeschnittenen Schnurrbart zeigte ein seltsames Gemisch von Merkmalen widersprechender Charaktereigenschaften.
Während die breite Kinnpartie und der stets etwas zusammengepreßte Mund einen hohen Grad von Willensstärke und auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit verrieten, hatten die zierliche Nase und die Augenpartie beinahe etwas weiblich-weiches an sich, ein Eindruck, der noch durch den gütig-ernsten Blick der dunklen Augen verstärkt wurde.
Bergers Bewegungen verrieten wieder eine gewisse nervöse Hast, die allerdings auch als ein männlicher Kraftüberschuß und lebendige Energie gedeutet werden konnte.
Alles in allem war er keine üble Erscheinung mit seiner aufrechten Haltung und seiner tadellosen Kleidung. Jetzt gedachte er bei Wertheims schnell noch einige kleine Einkäufe zu erledigen, um sich dann um halb eins bei dem Präsidenten des Landgerichts 2 Berlin zum Dienstantritt zu melden.
Als er gerade ein paar Stücke Kriegsseife einkaufte, wurde er von einem jungen Offizier, der den linken Arm in der Binde trug, angesprochen.
„Herr Oberleutnant Berger, nicht wahr?“
Der Amtsrichter lüftete den Hut.
„Allerdings. – Mit wem habe ich … – Herr im Himmel – sind Sie’s denn wirklich, Knebbke?! Na – das ist mal ’ne freudige Überraschung. – Verwundet? Böse?“
„Salonschüßchen, Herr Oberleutnant. In vier bis sechs Wochen ist die Geschichte wieder in Ordnung.“
Die beiden Regimentskameraden – Knebbke hatte bei der Kompagnie gestanden, die der Amtsrichter im Felde geführt hatte – blieben eine halbe Stunde zusammen.
Beim Abschied bat Karl Knebbke Berger so dringend, dieser solle ihn doch besuchen, daß der Amtsrichter schließlich zusagte.
„Meine Eltern geben übermorgen eine kleine Abendgesellschaft, Herr Oberleutnant,“ erklärte Karl Knebbke jetzt. „Die müssen Sie mitmachen – ich bitte dringend. Die Meinen würden sich doch sehr freuen, meinen hochverehrten Kompanieführer, dem ich meine Beförderung zum Offizier mit am meisten zu verdanken habe, kennen zu lernen. Fürchten Sie keine steife Abfütterung, Herr Oberleutnant. Ich werde dafür sorgen, daß wir uns nicht langweilen.“
Berger konnte nicht gut ablehnen, bat aber, daß ihm eine Antrittsvisite bei den Eltern liebenswürdigst erlassen bliebe, da er tatsächlich keine Zeit dazu hätte.
„Halensee ist doch ein wenig weit draußen,“ meinte er. Dann trennten sich die Herren an der Haltestelle der Straßenbahn auf dem Leipziger Platz und benutzt nun verschiedene Wagen, um nach Hause zu gelangen.
Leutnant Karl Knebbke war ein schöner Junge. In seiner neuen besseren Uniform, die er sich bei einem ersten Berliner Schneider hatte anfertigen lassen, sah er recht schneidig aus. Dazu noch der verletzte Arm in der schwarzen Binde, der ihm manchen teilnehmenden Blick einbrachte, und endlich die Begegnung mit dem Amtsrichter. Er fühlte sich bester Stimmung und war mit dem bisherigen Verlauf dieses Vormittagsbummels sehr zufrieden.
Ja – der Oberleutnant sollte mal sehen, daß es bei Knebbkes nicht „wie bei armen Leuten“ war. Und die Eltern würden auch sehr einverstanden sein, daß man den Gästen einen älteren Regimentskameraden des Herrn Sohnes vorsetzen konnte.
Karl Knebbke stieg in der Tauentzienstraße im Westen Berlins aus. Hier gab es jeden Mittag einen recht lebhaften Betrieb. Der reine Korso war’s. Meist junges Volk, das Sehen und Gesehen werden wollte.
Der Leutnant ging zunächst in einen Optikerladen und erstand sich zwei Monokel ohne Einfassung, in ganz geringer Schärfe. Mit einem runden Scherbel vor dem rechten Auge betrat er wieder die Straße. Eigentlich war das Ding alles andere als bequem. Aber – man sah so mehr nach aktivem Offizier aus.
Karl Knebbke bummelte nun gemächlich die Tauentzienstraße auf und ab und hielt nach früheren Freunden Ausschau. Vielleicht hatte er Glück. Dieser oder jener würde doch sicher auch Offizier geworden sein und befand sich vielleicht ebenfalls gerade in Berlin.
Und er hatte Glück. – Wahrhaftig – das war ja der Theo Blank[1]! Der hatte ihm noch vor einem Monat eine Karte aus Mazedonien geschickt.
Die Begrüßung fiel mit gedämpfter Herzlichkeit aus. Hier vor so viel Leuten konnte man sich doch nicht benehmen, als ob zwei Backfische sich nach längerer Zeit wiedersahen.
Die beiden kamen überein, die Sache durch eine Flasche Wein zu begießen und schritten nun den Kurfürstendamm entlang demselben Restaurant zu, in dem am vergangenen Abend Angern und Klara sich getroffen hatten.
Leider sollte jetzt Knebbkes glänzende Stimmung einen bösen Dämpfer erhalten.
In eifriger Unterhaltung kam den beiden Offizieren ein Pärchen entgegen, ein Vizefeldwebel von der Infanterie mit dem Bande des Eisernen Kreuzes im Mantelknopfloch und … Grita, das enfant terrible der Familie Knebbke.
Leutnant Knebbke schaute das allerliebst aussehende und sehr flott angezogene Schwesterlein mit wütenden Blicken an und grüßte nur sehr kurz. – Was fiel nur dem Mädel ein!! Wirklich unerhört! Mit dem Sohne des alten Matthias, der jetzt Werkmeister in der Fabrik war, sich öffentlich zu zeigen …!!
Da sagte auch schon Theo Blank:
„Du – war das nicht deine Schwester? – Ich habe sie zwar zwei Jahre nicht gesehen, aber das Gesicht vergißt man so leicht nicht. Hat sich famos rausgemacht, das Fräulein Grita.“
„So? Findest du? Als Bruder sieht man sowas kaum.“
„Wer war denn der Vizefeldwebel? Ein hübscher Mensch, wahrhaftig. Der steckte uns, wenn er Offizier wäre, mit seinem Äußeren beide in die Tasche!“
„Wenn – wenn!! – Er wird es nie werden!“ Er verbesserte sich schnell … „vielleicht nie werden! Ist so eine Art Künstler. Der Sohn von meines Vaters Werkmeister.“
Karl Knebbke schwindelte. Fritz Matthias Künstler zu nennen, hieß den Begriff des Künstlers doch sehr weit ausdehnen. Kunstschlosser war er. Aber dieses Eingeständnis, daß Grita mit einem Schlossergesellen so vertraulich stand, brachte Leutnant Knebbke nicht über die Lippen, besonders nicht Theo Blank gegenüber, dessen Vater Justizrat und sehr angesehen war.
Die beiden Offiziere holten sich dann bei dem Frühschoppen in der Weinkneipe einen ganz kleinen Schwips. Einen ganz unauffälligen, der sich lediglich in stärker geröteten Gesichtern und größerer Lebhaftigkeit äußerte.
Bei Karl Knebbke genügte er aber doch, um gleich nach der Heimkehr Grita in einer Weise über ihr Zusammensein mit Fritz Matthias zur Rede zu stellen, die die Jüngste zunächst mit übertrieben zerknirschtem Gesicht hinnahm, bis der Bruder, obwohl soeben Gerda von Althofen ins Zimmer getreten war, sich zu der mit großem Pathos vorgebrachten Bemerkung verstieg, Grita stelle die ganze Familie durch ihre Extravaganzen bloß.
Da lachte sie ihn plötzlich ausgelassen ins Gesicht.
„Gestattest du, daß ich dein Gedächtnis etwas auffrischen, teures Brüderlein?! Von diesem selben Fritz Matthias hast du dir noch vor dem Kriege stets kleinere Geldbeträge geliehen, soweit ich weiß. Und nun bist du plötzlich in zwei Jahren so vornehm geworden, daß du tust, als handele es sich um einen hergelaufenen Vagabunden?!“
Leutnant Knebbke bekam einen noch röteren Kopf. – Scheußlich, daß auch gerade die adlige Gesellschafterin in Zimmer war …! Aber – irgendwie mußte er die Sachlage wieder zu seinen Gunsten wenden.
„Derartige Geschmacklosigkeiten kannst auch nur du vorbringen!“ sagte er hoheitsvoll. „Im übrigen werde ich Mama den Fall unterbreiten.“
„Bitte!“ meinte Grita sehr ruhig. „Aber tue es erst nach Tisch. Du weißt, Aufregungen verderben Mama den Appetit. Und es gibt eine Gans zu Mittag.“
Karl Knebbke murmelte etwas vor sich hin, was wie „selbst eine Gans!“ klang. Dann verschwand er.
Grita wandte sich jetzt an Gerda, mit der sie sich schon etwas angefreundet hatte.
„Karl ist der Leutnant sehr zu Kopf gestiegen, sehr! Dieser Fritz Matthias ist so eine Art Jugendfreund von uns. Na – ich verleugne ihn jedenfalls nicht! Außerdem ist er auch ein sehr gebildeter Mensch, dem niemand mehr anmerkt, daß er nur eine Volksschule besucht hat. Karl wird sich überhaupt bald wundern … Weswegen, sag’ ich nicht! Das ist mein Geheimnis.“
Dabei huschte über ihr keckes Knabengesicht ein glückliches Lächeln.
Gerda von Althofen nickte ihr freundlich zu.
„Sie tun ganz recht daran, daß Sie nicht stolz sind, wenigstens nicht Leuten gegenüber, die Ihnen gesellschaftlich nicht gleichstehen. Nach oben ist Stolz dagegen bisweilen ganz gut angebracht. – Alles zu seiner Zeit!“
Nachher bei Tisch erzählte der Leutnant sehr ausführlich seine Vormittagserlebnisse.
Die Mitteilung, daß Amtsrichter Berger und Theo Blank am Sonnabend ebenfalls erscheinen würden, fand eigentlich nur bei dem Hausherrn wirklich freudige Aufnahme. Herr Knebbke sen. war glücklich, den Kompanieführer seines Sohnes kennen zu lernen, während seine Gattin nicht recht wußte, ob es den Gepflogenheiten der Kreise entspräche, daß man Gäste auf so formlose Weise nachträglich einlade. Sie schaute daher auch etwa scheu zu der neuen Gesellschaftsdame hinüber. Die mußte doch wissen, ob Karl nicht einen gesellschaftlichen Fehler begangen habe, den man von Seiten der beiden Herren auf das Konto der früheren Sattlermeisterfamilie schreiben könnte.
Frau Knebbke stellte so fest, daß Gerda mit einem Mal sehr rot geworden war, und sie deutete dies zu ihrem Nachteil, indem sie annahm, das Fräulein von Althofen sei darüber verlegen geworden, weil Karl sich unrichtig benommen habe, was die beiden Einladungen anbetraf.
Nun – Gerda dachte an alles andere mehr als an solche Äußerlichkeiten. Der Name Berger – und daß es sich hier um Erwin Berger, ihren hartnäckigen Verehrer handle, unterlag ja keinem Zweifel! – hatte ihren Herzschlag ganz beträchtlich beschleunigt und sie in eine solche Verwirrung versetzt, daß sie eine Weile das Weiteressen vergaß und ganz geistesabwesend vor sich hinstarrte.
Der Platz des ehemalige Schauspielers war rechts von Gerda. Er merkte, daß seine Nachbarin plötzlich mit ganz verändertem Gesichtsausdruck dasaß.
„Gnädiges Fräulein, ist Ihnen nicht gut?“ fragte er besorgt.
Gerda schreckte leicht zusammen, lächelte gezwungen und erwiderte:
„Oh doch.“ Und sich schnell überlegend, daß es am richtigsten sei, sofort zu erwähnen, daß sie Berger kenne, fügte sie recht laut hinzu:
„Herr Amtsrichter Berger ist ein Bekannter von uns.“
„Aha!“ dachte Frau Berta erleichtert, „also deshalb hat sie den roten Kopf bekommen! Es ist ihr unangenehm, hier in ihrer Stellung als bezahlte Gesellschafterin mit dem Oberleutnant zusammenzutreffen. Mithin scheint Karl keinen groben Verstoß begangen zu haben.“
Und zu Gerda gewandt, sagte sie:
„Ah – ein Bekannter! Nun, dann wird der Herr Amtsrichter hier schneller warm werden.“
Helmut Knebbke hüstelte etwas und meinte so nebenbei:
„Warm werden?! Das dürfte Sache des Portiers sein, der die Dampfheizung versorgt.“
Frau Berta merkte, daß der von ihr gewählte Ausdruck nicht ganz „standesgemäß“ gewesen sei und rief daher mit gemachter Heiterkeit, um ihre Verlegenheit zu bemänteln:
„Na, ich wollte ja nur sagen, daß der Herr Amtsrichter sich bei uns wohler fühlen wird, wenn er Fräulein von Althofen bereits kennt.“
Worauf Herr Knebbke sen. erklärte, was das warm werden anbetreffe, so läge das doch auch an den Tischweinen. Und in dieser Beziehung sollte jeder zufrieden sein. Er habe da einen Rheinwein gestern gekauft, wie Öl … wie Öl …!!
„Hoffentlich nicht wie Kriegsöl, bei dem von Unverfälschtheit keine Rede mehr ist,“ warf der Schauspieler ein. Und auf diese Weise lenkte die Unterhaltung auf das Thema „Weinsorten“ über, bei dessen Erörterung Leutnant Karl bewies, daß er in den Kämpfen in der Champagne sich nicht nur das Eiserne Kreuz und die Offiziersachselstücke, sondern auch eine recht gute Kenntnis – theoretische und praktische – edler Traubensäfte erworben habe. – –
Bei Knebbkes gab es eine feststehende Tageseinteilung, an der nur im äußersten Notfalle gerüttelt werden durfte. Frau Berta hielt dieses pedantische Festhalten an einem regelmäßig wiederkehrenden Programm für vornehm. Weshalb, wußte sie wohl selbst nicht. Jedenfalls mußte Herr Knebbke sen. mit dem Glockenschlage drei Uhr durch ein „gesegnete Mahlzeit“ die stets wie zu einem Fest bedeckte und mit Blumen geschmückte Tafel aufheben. Dann ging man in das Musikzimmer hinüber, wo Klara den Kaffee in kleinen Tässchen reichte und die Herren rauchen durften. Um ein Viertel vier zerstreute man sich. Das Ehepaar verschwand im Herrenzimmer, wo der Hausherr sich für eine halbe Stunde ein Verdauungsschläfchen gönnte, während seine Gattin sich an den großen Diplomatenschreibtisch setzte und die Geschäftsbriefe vom Morgen durchsah, die Knebbke ihr mittags mitbringen mußte.
Punkt dreiviertel vier kam dann Klara und meldete Herrn von Angern, mit dem Frau Berta allerlei durchsprach, was die Fabrik anging. Knebbke sen. aber ging in sein Privatkontor im Fabrikgebäude hinüber, um dort den Herrn und Gebieter zu spielen, was aber lediglich auf eine Unterhaltung mit dem Werkmeister Matthias über Tagesereignisse und den Genuß von ein paar guten Zigarren hinauslief.
Auch heute erschien Max von Angern pünktlich wie immer, küßte der gnädigen Frau die nach Parfüm duftende Hand, tauschte mit seinem Chef einen vertraulichen Händedruck aus und rollte sich dann einen Klubsessel neben dem Schreibtisch. Dies war für Knebbke sen. das Zeichen gewesen, von der Bildfläche zu verschwinden.
Angern zündete sich nun eine Zigarette an, löschte das Streichholz mit spitzen Lippen geziert aus und sagte in schmachtendem Tone: „Auf Ehre, Frau Berta, Sie werden jeden Tag jünger. Diese neue japanische Bluse steht Ihnen vorzüglich. Die schwere Stickerei mit den leuchtenden Farben bildet einen so wirkungsvollen Kontrast zu Ihrem reichen, dunklen Haar, und der mattblaue Seidenstoff …“
„Hören Sie auf!“ unterbrach die Gnädigen ihn. Aber man merkte, daß sie derartiges nicht ungern vernahm.
Der Prokurist beugte sich vor und haschte nach ihrer Hand.
„Diese Nachmittagsstunde zu Zweien ist mein Unglück geworden – tatsächlich!“ seufzte er. „Ich habe mich stets gerade zu reifen Frauen so sehr hingezogen gefühlt. Andere bevorzugen das Unfertige, das sogenannte Reine, unberührte. Geschmackssache!! Die Frau in der Blüte ihrer Jahre ist …“
Frau Berta hielt sich in gemachter Verzweiflung die Ohren zu.
„Sie sollen nicht solchen Unsinn schwatzen! Ich bin gut zehn Jahre älter als Sie …!“ rief sie leise. „Überhaupt – es ist eine Imperti… Imperti…“
„…nenz,“ vollendete er. „Impertinenz! Aber jetzt, wo Fremdworte strafbar sind, sagt man mit demselben Erfolg dafür „Frechheit“ oder „Unverschämtheit“.“
Sie ließ die erhobenen Arme sinken. Nur zum Schein hatte sie sich die Ohren verstopft.
„Das klingt aber zu grob,“ erklärte sie lachend.
Es war wirklich auffällig, wie jung diese Frau unter den begehrlichen Augen des Herrn von Angern wurde.
Dann fuhr sie fort:
„Im Ernst Angern, es schickt sich nicht, daß Sie mir als einer Mutter von erwachsenen Töchtern in dieser Weise …“ Sie suchte nach einem passenden Ausdruck.
„… den Hof machen, – oder, … huldigen, – oder … einheizen …“
„Genug!“ sagte sie plötzlich ernst. „Das letzte war wirklich eine Frechheit! Solange Ihre Aufmerksamkeit gewisse Grenzen nicht überschreitet, nahm ich sie als Scherz hin. Ich glaube, Sie verkennen mich! Uns Berlinerinnen da oben aus der Ackerstraße ist eine gehörige Portion „Helligkeit“ mitgegeben. Veralbern lasse ich mich nicht!“
Der Prokurist machte ein ganz verdutztes Gesicht. Heute zum erstenmal imponierte ihm die geborene Mulick auch als Weib – bisher nur als die geschäftstüchtige frühere Sattlermeistersfrau.
Hm – er hätte seine Erziehung doch weniger eingehend betreiben sollen …! Nun war Frau Berta ihm durch eigene Schuld beinahe zu groß geworden. Er mußte jedenfalls den Ton ihr gegenüber ändern. Sonst verdarb er es mit ihr. Seine Spekulation, in der alternden Frau doch Herzenssaiten zum Schwingen zu bringen, war also tatsächlich gänzlich verfehlt gewesen, wie er schon befürchtet hatte. Nun – das sollte heute denn auch der letzte Versuch gewesen sein, Frau Berta zu seinem willfährigen Werkzeug zu machen.
„Veralbern?!“ meinte er jetzt, den Entrüsteten spielend. „Nichts hat mir ferner gelegen. Aber „der Weg zur Tochter führt über die Mutter“, sagt man.“
Sie schaute ihn prüfend an. Dann begriff sie, was er mit dieser Bemerkung andeuten wollte.
„Ich glaube kaum, daß es meiner Tochter angenehm wäre, wenn ihr Verehrer der Mutter solche Dinge zuflüstert, wie Sie es zuweilen getan haben,“ erklärte sie, schon wieder versöhnt. Und doch gab es für ihre Eitelkeit hier eine ganz kleine Enttäuschung. Es war bisweilen recht anregend gewesen, sich von Angern so etwas … „einheizen“ zu lassen. Auch ein alter Ofen wird ja noch warm, wenn er richtig behandelt wird.
Dann nahm sie die obersten Briefe zur Hand. Sie wollte ihre Gedanken ablenken. Und das gelang ihr schon in kurzer Zeit.
Nachdem die Post erledigt war, wobei Frau Berta – daran war Angern schon gewöhnt – wieder allerlei Fingerzeige für gewandteste Ausnutzung der Konjunktur gab, lehnte sie sich in dem Schreibtischsessel zurück und begann Angern sehr eingehend zu erklären, wie man die Lederabfälle noch besser verwerten könne.
„Gestern erhielt ich einen Brief, in dem mir ein Erfinder ein Patent zur Herstellung von Ersatzschuhsohlen zum Ankauf oder zur gemeinschaftlichen Ausnutzung anbot. Hier ist eine Probe – Ersatzschuhsole, die zwei Wochen getragen wurde. Die Abnutzung ist gering, wie Sie sehen. – Was halten Sie davon?“
Angern holte sein Taschenmesser hervor und kratzte auf der Sohle herum.
„Ah – Lederstückchen, die durch eine Masse zu einem elastischen Ganzen vereinigt sind. Scheint nicht schlecht zu sein. – Und die Herstellungskosten?“
Angern war jetzt ganz bei der Sache, bewies, daß er in jeder Beziehung ein kaufmännisches Genie war.
Als er sich eine halbe Stunde später verabschiedete, hatte man sich dahin geeinigt, den Erfinder als Teilhaber für den neuen Fabrikationszweig aufzunehmen und sofort die Angelegenheit mit allem Nachdruck zu betreiben. Den Namen des Erfinders verschwieg Frau Berta noch.
„Ich werde die Unterhandlungen schon allein mit ihm führen,“ meinte sie. „Auch Franz ist noch nicht eingeweiht.“
„Der spielt hier ja ohnehin nur den Schattenkönig,“ dachte Angern. „Hm! Hinter diesem Verschweigen steckt aber irgend etwas! Sperren wir Augen und Ohren auf!“
Kaum war der Prokurist gegangen, als der junge Offizier eintrat und der Mutter von dem „skandalösen Benehmen“ Gritas berichtete.
Er erlebte denn auch den Triumph, daß die Mama die Jüngste holen ließ und ihr sehr energisch den Kopf zurechtsetzte.
„Fritz Matthias mag ein braver Mensch sein. Aber zu uns gehört er nicht mehr. Gerade wir müssen in der Wahl unseres Umgangs sehr vorsichtig sein. Der soziale Aufstieg erfordert das Abschütteln aller alten Bekanntschaften.“
Der letzte Satz stammte wirklich aus Max von Angerns Weisheitssprüchen.
Grita sagte kein Wort, lächelte nur rätselhaft und ging hinaus, indem sie ihrem Bruder heimlich einen Puff in die Seite versetzte.
Frau Berta war wieder allein und nahm nun den mit Maschine geschriebenen Brief des Erfinders zur Hand, den sie Angern nur vorgelesen hatte. –
Merkwürdig! Der Herr erklärte, er wolle vorläufig seinen Namen noch nicht preisgeben. Er habe seine bestimmten Gründe dafür. –
Wirklich – seltsam … Seltsam …! Postlagernde Antwort …! Was das wohl alles zu bedeuten haben mochte …?!
Die vier Vorderräume der Knebbkeschen Achtzimmerwohnung erstrahlten am Sonnabend schon von sechs Uhr nachmittags an im Lichte all der prunkvollen Beleuchtungskörper. Es war für Kriegszeiten eine unglaubliche Stromverschwendung, und Gerda schaltete denn auch die meisten Flammen wieder aus, als sie bereits fertig für die Gesellschaft angezogen, nochmals die Räume und die im Speisezimmer gedeckte Tafel einer kritischen Musterung unterzog.
Sie hatte absichtlich sehr bescheiden Toilette gemacht. Trotzdem sah sie – oder vielleicht gerade deswegen – sehr eigenartig – vornehm aus. Die Kleider der Knebbkeschen Damen waren jedenfalls für diese Gelegenheit viel zu elegant. Aber das hatte Gerda nicht mehr ändern können, obwohl sie es der Hausfrau zu verstehen gegeben hatte, welchen Unterschied es zwischen einem Ballanzug und einer kleinen Abendtoilette gebe.
Gerda war im übrigen mit den Vorbereitungen zufrieden. Nachdem sie die beiden Lohndiener nochmals über ihre besonderen Wünsche unterrichtet hatte, glaubte sie ihre Schuldigkeit vorläufig getan zu haben, setzte sich im Musikzimmer an den Flügel und spielte auswendig einige harmlose Sächelchen, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie war durchaus keine Künstlerin. Aber in ihrem Vortrag lag viel Gefühl.
Dann hüstelte jemand leise in ihrem Rücken. Sie schaute sich um und erhob sich schnell.
Es war Helmut Knebbke. Der schwarze Jackenanzug mit Seidenaufschlägen und die hellgraue, tiefausgeschnittene Weste standen ihm vorzüglich. Gerda stellte fest, daß der alte Schauspieler ohne Frage das war, was man eine interessante Erscheinung nennt.
Sie reichte ihm die Hand. Zwischen beiden hatte schnell in diesen Tagen ein kameradschaftlicher Ton Platz gegriffen, und auch jetzt meinte der Komödiant scherzend:
„Na – schon gestiefelt und gespornt für die große Zirkusvorstellung?! – Wie ist denn eigentlich die Platzverteilung bei Tisch? Hat man mir auch eine Dame anvertraut?“
„Aber natürlich! Raten Sie mal wen?!“
„Kunststück!! Kenne ich denn jemanden von den Geladenen?! Keine Seele!“
„Aber Ihre Tischdame kennen Sie trotzdem.“
Da lachte er vergnügt auf.
„Sie selbst, gnädiges Fräulein? – Famos! Wir beide werden uns schon amüsieren, dafür garantiere ich.“
Dann wurde er ernst.
„Die Gelegenheit ist günstig. Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm …“, fuhr er fort. „Können Sie schweigen, gnädiges Fräulein?“ Er sah sich vorsichtig um und dämpfte seine Stimme noch. „Wie gefällt Ihnen dieser Angern? Ich traue Ihnen ebenso viel Menschenkenntnis wie mir selbst zu. Sprechen Sie ganz offen. Mir sagte er nämlich nicht zu.“
„Mir auch nicht. Der Herr hat für mich so etwas vom … vom Glücksritter an sich.“
„Aha – da haben wir’s! Ganz meine Ansicht. Um – im Vertrauen! Ich glaube, ich bin Angern schon mal bei einer Gelegenheit begegnet, bei der er sowohl einen anderen Namen führte als auch ein recht zweideutige Rolle spielte. – Freilich – beschwören kann ich das nicht! Er will ja seit zehn Jahren nicht mehr in Europa gewesen und erst nach Kriegsausbruch in einer Verkleidung von Kanada herübergekommen sein. Bewahrheitet sich dies, so liegt meinerseits natürlich eine Personenverwechslung vor. Ob dem so ist, werde ich bald feststellen. Besinnen Sie sich, gestern Abend sagte er doch, er habe zuerst einem rheinischen Infanterieregiment angehört. Welchem – das umging er. Ich gedenke nun bei den in Betracht kommenden Ersatztruppenteilen unter irgendeinem Vorwand Erkundigungen nach ihm einzuziehen. Ist er ein Schwindler, so will er sicher auch meinen Bruder rupfen – oder hat es bereits getan.“
Gerda hatte gespannt zugehört.
„Sie sprechen von einer zweideutigen Rolle, die Angern einmal bei einer Gelegenheit gespielt hätte,“ meinte sie. „Kann ich näheres darüber erfahren?“
„Aber natürlich! – Doch, eine Bitte, alles bleibt unter uns! Meine teuren Verwandten halten Angern ja für so ’ne Art Halbgott. Und Götter muß man sehr vorsichtig von ihren Thronen stürzten. – Also die Sache war folgende. Im Jahre 1913 war ich am Sommertheater in Bad Homburg engagiert und wohnte bei einer „Witwe mit möblierten Zimmern“. Im selben Hause fand nun eines Tages eine Verhaftung statt. Ein angeblicher Kaufmann namens Karl Meinert war’s, der unter dem Verdacht in Untersuchungshaft genommen wurde, einer Prinzessin Oertringen einen Brillantschmuck gemaust zu haben. Auch ich wurde als Zeuge geladen und sollte mich darüber auslassen, ob jener Meinert, der gerade unter mir wohnte, häufiger erst morgens nach Hause gekommen sei. Von Ansehen kannte ich den Mann ja, aber über die an mich gerichteten Fragen vermochte ich beim besten Willen keine Auskunft zu geben. – Kurz und gut, jener Meinert und unserer patenter Max von Angern haben nun eine recht bedeutende Ähnlichkeit.“
Das Gespräch wurde hier durch das Erscheinen der Hausfrau unterbrochen, die trotz der starken Puderschicht die Röte der Erregung auf ihren Wangen nicht verbergen konnte. Frau Berta sah diesem ersten Gesellschaftsabend mit demselben Lampenfieber entgegen wie ein mäßiger Schauspieler einem neuen Stück, für das er die Rolle schlecht gelernt hat und sich daher ganz auf den Souffleur verlassen muß. Der Souffleur war hier Gerda von Althofen. Und Frau Berta nahm die Gesellschafterin denn auch sofort unter den Arm, führte sie ins Nebenzimmer und ließ sich hier nochmals allerlei Verhaltungsmaßregeln geben.
Um acht Uhr kamen dann die ersten Gäste, Geheimrat Stock nebst Frau und zwei Töchtern. Er war früher in Pommern irgendwo Gymnasialdirektor gewesen und hatte bei seiner Verabschiedung den Titel Geheimer Regierungsrat erhalten. Sie besaß entsprechend ihrer Dürre eine sehr scharfe Zunge, während die Töchter sich durch totale Reizlosigkeit auszeichneten. Stocks ging es pekuniären recht schlecht, da die Geheimrätin eine Schwäche für großen Verkehr hatte, mit dem sie allerdings die Nebenabsicht verknüpfte, ihre beiden halb verwelkten Knospen an den Mann zu bringen.
Dann meldete der eine der Lohndiener sehr würdevoll:
„Herr Landgerichtsdirektor Jesper und Frau Gemahlin.“
Und so ging es fort, bis als letzter Amtsrichter Berger erschien und das Dutzend Gäste gerade voll machte.
Mit Ausnahme des Amtsrichters, Angerns und des Leutnants Theo Blank waren die Geladenen sämtlich Bekanntschaften, die von dem in allen Sätteln festen Prokuristen vermittelt worden waren.
Angern hatte sich vor einem halben Jahr Zutritt zu einem in einer Halenseer Weinkneipe tagenden Stammtisch verschafft, dann seinen Chef dort ebenfalls eingeführt und dafür gesorgt, daß aus dieser Stammtischannäherung sich auch Beziehungen zu den Familien der betreffenden Herren entwickelten. Gewiß – all diese zumeist schon pensionierten höheren Beamten sahen in Franz Knebbke, dessen Entwicklungsgang ihnen nicht lange unbekannt bleiben konnte, einen Emporkömmling, ehrten aber doch in seiner Person die Macht des Geldes und nahmen auch Rücksicht auf den allbeliebten Herrn von Angern, der sehr bedauert wurde, weil er jetzt für seine Anhänglichkeit an das deutsche Vaterland dadurch belohnt wurde, daß er, selbst millionenschwerer Farmbesitzer, nun sich hier als invalider Offizier sein Brot verdienen mußte. Außerdem war es ja aber auch ganz angenehm, durch die Familie Knebbke, die auf geheimnisvolle Weise stets über reichliche Vorräte an Lebensmitteln aller Art verfügte, sich dies und jenes „besorgen“ zu lassen, sogar Butter und Fleisch, eine Art von Verführung, der so leicht niemand in diesen Zeiten zu widerstehen vermochte, obwohl es sich dabei stets um Teilnahme an strafbaren Taten handelte.
Man mußte es den Knebbkes lassen, – und das erkannte auch Gerda an –, daß sie sich recht geschickt aus der Affäre zogen, wie Helmut Knebbke es der Gesellschafterin gegenüber bei Tisch heimlich nannte. Ein paar Entgleisungen konnten natürlich nicht ausbleiben, so z. B. daß Frau Berta den Gymnasialdirektor sehr bald nur noch „mein lieber Herr Geheimrat“ anredete, Knebbke sen. einige Sprachschnitzer machte, und Grita sich schon während der Tafel von Leutnant Theo Blank so oft zuprosten ließ, daß beide bald einen ganz erheblichen Schwips hatten, der sich bei Grita zum Entsetzen der Mutter hauptsächlich darin äußerte, daß sie furchtbar berlinerte und mit „ick lach“ und ähnlichen scherzhaften Redewendungen nur so um sich warf.
Amtsrichter Berger hatte eine der frühwelkenden Stockschen Knospen als Tischdame und wurde daher von der Geheimrätin über die Tafel hinweg immer wieder in ein Gespräch verwickelt, was ihm sehr ungelegen kam, da er es weit mehr auf Gerda, die links von ihm saß, abgesehen hatte.
Als Weltmann hatte er sein Erstaunen, Fräulein von Althofen hier als Gesellschafterin wiederzusehen, sehr geschickt zu verbergen gewußt. Gerda selbst war ihm, da sie auch die Begegnung vorbereitet war, ganz unbefangen gegenüber getreten, gab ihm aber wenig Gelegenheit, sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte ja auch genügend damit zu tun aufzupassen, daß alles bei Tisch klappte. Nun – sie konnte zufrieden sein. Nachdem Frau Berta die Tafel genau so aufgehoben hatte, wie es ihr von Gerda mehrmals eingehend vorgemacht worden war, nahm sie diese sofort beiseite und dankte ihr ganz gerührter dafür, daß diese Hauptklippe der ersten Gesellschaft so ohne jeden Schaden glücklich umschifft worden war.
„Tun Sie mir nur den Gefallen, liebstes Fräulein von Althofen, und kümmern Sie sich auch weiter um alles,“ bat sie dann. „Sie haben ja für jede Kleinigkeit ein Auge. Ich bewundere Sie geradezu.“
„Das macht die Übung, gnädige Frau,“ meinte Gerda und eilte davon, um sich weiteren Dankesworten zu entziehen. Aber erfreut war sie doch, weniger über die ihr gezollte Anerkennung als über die Ehrlichkeit, mit der Frau Berta zugegeben hatte, daß der Gesellschaftsdame das Hauptverdienst an dem Gelingen des Abends gebührte.
Endlich glückte es Amtsrichter Berger dann doch, der ihn förmlich belagernden Geheimrätin zu entschlüpfen und Gerda im Speisezimmer beim Herrichten des Teewagens helfen zu dürfen.
„Gut, Sie können bleiben,“ hatte Gerda gesagt „aber kein Wort über … alte Geschichten! Sie verstehen mich wohl!“
„Leider, leider!“ Er schaute sie dabei so flehend an, daß es ihr wirklich schwer fiel, ihn weiter so kühl zu behandeln.
Nachdem Berger von seiner neuen Tätigkeit als Untersuchungsrichter gesprochen hatte, um ein unverfängliches Thema anzuschneiden, bei dem von dem Einst auch nicht eine Silbe erwähnt zu werden brauchte, fragte er ganz unvermittelt:
„Im Vertrauen, gnädiges Fräulein, – aber bitte auch wirklich zu niemanden nicht einmal eine Andeutung! – Können Sie mir näheres über diesen Herrn von Angern mitteilen? Der Prokurist interessiert mich.“
Sie dachte an das Helmut Knebbke gegebene Versprechen.
„Ebenfalls im Vertrauen, wenden Sie sich dieserhalb an den Bruder des Hausherrn.“
Dann wurde von anderen Dingen gesprochen.
Inzwischen hatte Karl Knebbke die Vorbereitungen für die große Überraschung des Abends getroffen.
Im Musikzimmer war ein großer, für heute geliehener Lichtbildapparat aufgestellt worden, den ein ebenfalls gemieteter „Kinooperateur“ bedienen sollte. Gezeigt wurden Filme, die in Berlin noch unbekannt waren, als Aufnahmen von Kriegsschauplätzen, auf denen Leutnant Knebbke selbst gefochten hatte. Er gab zu einzelnen Szenen ganz spannende Erklärungen und erntete zum Schluß wohlverdienten Beifall.
Sämtliche Gäste fanden die Idee reizend, glänzend, originell und so weiter. Aber auch die Familie der Gastgeber strahlte, sogar die müde, blasierte Elly. Hatte doch Angern es verstanden, sich mit ihr während der Vorführungen im Dunkeln abseits zu setzen, und hier die gute Gelegenheit dazu benutzt das nachzuholen, was er bisher etwas vernachlässigt hatte, bei der müden Elly den Eindruck hervorzurufen, daß er sterblich in sie verliebt sei und sich ihrer Mutter bis jetzt nur deshalb so viel gewidmet habe, um die Bahn für seine Herzenswünsche zu glätten, wie er sich ausdrückte. Bis zur heimlichen Händedrücken war es zwischen den beiden schon gekommen. Das genügte Angern fürs erste.
Kurz vor Schluß der Vorführungen verabschiedete er sich dann von Elly und bat sie, ihn bei den Eltern zu entschuldigen. Er habe jedoch noch eine wichtige Verabredung.
Leise schlich er in den Flur hinaus und traf hier mit Klara zusammen, die ihm, während sie ihm in den Mantel half, einen Zettel zusteckte und ihm dann den Fahrstuhl aufschloß. Hier in dem Aufzug überflog Angern sofort die flüchtig gekritzelten Zeilen.
Ich warne dich! Du weist, ich habe meinen Entschluß geändert. Mit E. darf es nichts werden. Trotzdem hast du ihr soeben den Hof gemacht, ihre Hände gestreichelt. Ich stand eine Weile hinter euch! Morgen neun Uhr erwartete ich dich bestimmt an alter Stelle.
Wütend ballte er den Zettel zusammen und warf dann die kleine Papierkugel achtlos auf den Boden des Fahrstuhls unter die Polsterbank. Wäre er innerlich nicht so erregt gewesen und hätte er nicht für diese Nacht außerdem etwas vorgehabt, daß seine ganzen Gedanken gefangen nahm, so würde er nie diese Unvorsichtigkeit begangen haben.
„Kind, jetzt, nachdem du länger als drei Wochen bei den Leuten bist, wirst du dir doch aber wohl ein Urteil über sie gebildet haben.“
Frau von Althofen sagte es etwas ungeduldig. Gerda kannte den Ton. Es war der der früheren, an Befehlen und unbedingten Gehorsam gewöhnten Frau Rittergutsbesitzer, auch derselbe Ton, der noch vor kurzem bei Gerda jeden Widerspruch, und damit eigentlich auch jede Selbständigkeit, sofort im Keime erstickt hatte.
„Gewiß, Mama. Jetzt habe ich mir ein Urteil gebildet, aber auch erst jetzt,“ erwiderte sie gelassen. „Menschen lernt man selbst bei täglichem Beisammensein erst nach längerer Zeit wirklich kennen. Daher bin ich bisher derartigen Fragen eben ausgewichen, um nicht ungerecht zu sein. – Also, Knebbkes sind sämtlich Menschen, die bei gewissen Eigenheiten, die sich von selbst aus ihrem plötzlichen Reichtum und dem damit verbundenen Sprung in eine andere Gesellschaftssphäre ergeben, das Herz auf dem rechten Fleck und sogar gewisse Vorzüge vor anderen haben, die sie mir recht sympathisch machen. Das, was man so gewöhnlich Protzen nennt, – das sind sie wirklich nicht! Sie genießen ihren Reichtum, lassen aber auch andere mitgenießen, sind wohltätig, ohne dabei gleich die Reklametrommel zu schlagen, bildungshungrig und erkennen – wo findet man das sonst so leicht?! – mit Freuden alles an, was man in ihrem Interesse tut, um ihnen den Weg nach oben zu erleichtern, geben auch zu, daß sie noch hinzulernen müssen, und beweisen trotzdem häufig genug ein natürliches Taktgefühl, das selbst Zugehörigen unserer Kreise fehlt.“
Frau von Althofen schüttelte unzufrieden den Kopf.
„Ob du die Verhältnisse dort nicht allzu sehr durch eine rosa gefärbte Brille siehst?! Überhaupt, manches, an dem, was du eben sagtest, behagt mir nicht. Es atmet so einen Geist der Gleichheit und Brüderlichkeit. – Es kommt mir vor, als hättest du in dem Hause dort bereits so etwas vergessen, wo du herstammst. Der Adel muß gerade in der heutigen Zeit, wo Gefahr besteht, daß das Volk als Entgelt für die im Kriege gebrachten Opfer größere Freiheiten fordern wird, fester denn je an seine alten Anschauungen sich anklammern und mit allen Mitteln die Vorrechte verteidigen, die ihm seiner Entwicklungsgeschichte nach gebühren.“
„Über diese Dinge kann man verschiedener Ansicht sein,“ meinte Gerda ruhig.
Frau von Althofens Kopf schnellte hoch. Ihr Blick saugte sich förmlich im Gesicht ihres Kindes fest.
„Verschiedener Ansicht?! … Verschiedener Ansicht?! Was höre ich?! Ich bin entsetzt – entsetzt!! Das sagst du, die mit Familien des ältesten Adels so nahe verwandt ist?! Ah – ich merke, daß man dir dort bei jenen Leuten das Gift sogenannter politischer Aufklärung tropfenweise eingegeben hat …! Schon bei deinen letzten Besuchen schien es mir auch so, als lebte in dir ein gewisser Geist der Auflehnung. Ich hatte dir wiederholt befohlen, an Vetter Erwin häufiger auch Briefe ins Feld zu schicken. Du gebrauchtest Ausflüchte. – Übrigens – ist es jetzt geschehen?“
„Nein. Ich dränge mich niemandem auf, am wenigsten einem heiratsfähigen Manne.“
Frau von Althofen, geborene Gräfin Trast-Lietzburg, saß einen Moment wie erstarrt da.
„Ah – also steht es so!!“ sagte sie dann eisigen Tones. „Also Ungehorsam – offenbarer Ungehorsam! Nun – den werde ich zu brechen wissen! Du wirst dich sofort hinsetzen und jenen Leuten schreiben, daß du die Stellung bei ihnen aufgibst, wirst überhaupt nicht mehr dorthin zurückkehren. Deine Sachen werden wir abholen lassen. Besser noch, ich werde selbst schreiben! Und dabei bleibt es!“
Eine Flut von Vorwürfen übergoß jetzt Gerda, aus denen lediglich die Enttäuschung darüber hervorleuchtete, daß die Tochter es wage, sich den ehrgeizigen Heiratsplänen der Mutter zu widersetzen.
Nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen hielt Frau von Althofen endlich innen.
Gerda verlor auch allen diesen kleinen Ungerechtigkeiten und Verdrehungen gegenüber ihre kühle Gelassenheit in keiner Weise. Sie, die bisher in ständiger Abhängigkeit von der zum Herrschen geradezu geschaffenen Mutter gelebt hatte, war in der so ganz anderen Luft des Knebbkeschen Hauses, wo das Dasein von ihr aus so gänzlich fremden Gesichtspunkten aus beurteilt wurde, zum ersten Mal zum Nachdenken über Dinge angeregt worden, die ihr bisher selbstverständlich vorgekommen waren, so besonders auch über den widerspruchslosen Gehorsam den Eltern gegenüber und das Selbstbestimmungsrecht erwachsener Kinder.
Bescheiden, aber festen Tones, begann sie der Mutter nun auseinanderzusetzen, daß sie nie mehr auf deren Heiratsplänen ohne weiteres eingehen würde. Es folgte schließlich eine mindestens ebenso lange Rede, wie Frau von Althofen sie vorhin, nur mit schneidender Schärfe, gehalten hatte.
Gerda fühlte selbst, daß, während sie sprach, sich sozusagen zwischen der Mutter und ihr eine tiefe Kluft öffnete. Aber in ihrer ganzen Art mußte doch etwas liegen, daß dieser Frau, die an Gebieten stets gewöhnt gewesen war und der der Mangel an Geldmitteln jede Lebensfreude genommen hatte, imponierte.
Frau von Althofen begehrte nicht auf, als Gerda geendet hatte. Nur die Blässe ihres Antlitzes verriet ihre Erregung.
„Gut, bleibe bei jenen Leuten, wenn du dir dein Brot auf diese Weise weiterverdienen zu müssen glaubst. Aber mir laß bitte Zeit, mich erst in den Gedanken hinein zu leben, daß meine Tochter, von dem Gift der modernen Zeit verseucht, völlig vergessen hat, was sie ihrem alten Namen und der Familie ihrer Mutter schuldig ist.“
Das hieß nichts anderes als: „Stelle deine Besuche bei mir vorläufig ein!“ –
Gerda war es, als ob eine kalte Hand ihr Herz zusammendrückte. Und unwillkürlich dachte sie an des alten Komödianten Worte, die letztens bei einem ihrer häufigen Gespräche gefallen waren:
„Glauben Sie mir, nichts ist schwerer für Eltern, als zur rechten Zeit lernen, in den Kindern erwachsene, selbstständige Menschen zu sehen. Gerade in Ihren Kreisen, wo Familien- und Hausgesetze einen eisernen Ring um alle Mitglieder der Familie schmieden, tritt dieses Streben nach dauernder Bevormundung am meisten zutage.“ –
Der Abschied zwischen Mutter und Tochter war wie zwischen Fremden, mehr noch, beinahe wie zwischen Todfeinden, die einen schweren Kampf miteinander vorausahnen, – wenigstens von Seiten der Frau von Althofen, die noch ganz zuletzt Gerda mit schriller Stimme nachrief:
„Solltest du vielleicht beabsichtigen, den bürgerlichen Amtsrichter, dem du ja dort bei jenen Emporkömmlingen jetzt öfters begegnest, doch noch zu heiraten, so ist zwischen uns jedes Band zerschnitten – jedes …!!“
Gerda errötete bis unter die Haarwurzeln, erwiderte aber nichts.
Als sie am Wittenbergplatz dann in die nach Halensee gehende Elektrische stieg, traf sie mit Helmut Knebbke zusammen, der in der Stadt etwas zu erledigen gehabt hatte. Da wurde ihr wieder leichter und froher ums Herz. Sie merkte, wie ehrlich sich der frühere Schauspieler über diese Begegnung freute. Überhaupt, so gütig und väterlich fürsorglich, wie Helmut Knebbke sich ihr gegenüber benahm, hatte es der leiblicher Vater nie getan. Sie hatte ihn geradezu liebgewonnen. Wie gute Kameraden tauschten sie jetzt einen festen Händedruck aus und setzten sich nebeneinander auf eine der gepolsterten Querbänke.
Knebbke betrachtete Gerda prüfend von der Seite und sagte dann leise:
„Ihnen ist etwas Unangenehmes passiert. Habe ich recht?“
Sie nickte ernst.
„Wären wir allein, würde ich mich gern aussprechen,“ meinte sie, indem sie einen bezeichnenden Blick auf die umsitzenden Mitfahrenden warf.
„Steigen wir doch aus und gehen zu Fuß. Bei dem leichten Frost heute Nachmittag ist’s ein Vergnügen,“ erwiderte er sofort.
Gerda war einverstanden. An der Ecke der Joachimstaler Straße verließen sie den Wagen und schritten den Kurfürstendamm entlang, diese vornehmste Straße des Berliner Westens, deren Baumreihen jetzt ihre häßlichen, rußgeschwärzten kahlen Äste und Zweige wie riesige Besen in die Luft reckten. Wenig Verkehr herrschte hier. Der Krieg machte sich mit der Zeit bemerkbar.
Gerda erzählte freimütig von ihrer Aussprache mit der Mutter.
„Glauben Sie, daß ich unkindlich handelte, als ich meinen Standpunkt in durchaus bescheidener Weise vertrat?“ fragte sie zum Schluß, da in der Tiefe ihres Herzens die Angst schlummerte, irgendwie ein Zuviel der Mutter gegenüber gewagt haben zu können.
Helmut Knebbke beruhigte sie.
„Alles hat seine Grenzen, – alles! Auch die elterliche Gewalt. Und so, wie ich Sie kenne, werden Sie es an der schuldigen Achtung bei aller Betonung der eigenen Selbstständigkeit nicht haben fehlen lassen.“
Dann glitt ein schnelles Lächeln über sein faltiges, glattrasiertes Gesicht. Gerda hatte ihm zwar verschwiegen, daß die Mutter auch den Amtsrichter erwähnt hatte, aber der alte Schauspieler als guter Menschenkenner reimte sich dies selbst zusammen. Kannte er doch von Berger die unglückliche Geschichte von dessen Liebe zu Gerda und sagte er sich doch, daß Frau von Althofen bei einer solchen Aussprache fraglos auch die Person des Amtsrichters erwähnt habe.
„Wissen Sie auch, von wem ich eben komme?“ meinte er jetzt mit besonderer Betonung.
Sie war ganz ahnungslos. Daß sich zwischen Helmut Knebbke und Berger gewisse nähere Beziehungen entwickelt hatten, wußte sie ebensowenig wie irgend ein anderer Mensch, den dies hätte interessieren können.
„Von Ihrem Schneider,“ rief sie auf gut Glück.
„Ah, weil ich letztens von einem neuen Frack sprach …! Oh nein – falsch gepfiffen, liebe Nachtigall! – – Von Amtsrichter Berger!“
Sie glaubte sich verhört zu haben.
„Wirklich – von Amtsrichter Berger?“ wiederholte sie.
„Tatsache! Und ich habe ihn heute nicht zum erstenmal besucht.“ Er stellte durch einen schnellen Blick fest, daß seine Begleiterin sehr rot geworden war, lächelte wieder befriedigt und dachte: „Ja – ja – der verräterische Farbenwechsel!! Wäre er ihr ganz gleichgültig, würde diese zarten Wangen sich bei Erwähnung dieses Namens nicht verfärben!“
Laut aber fuhr er fort:
„Unser Verkehr, wenn man es so nennen darf, hat einen sehr ernsten Zweck, die Entlarvung Angerns! – Ich wollte Sie schon längst in diese Dinge einweihen, Fräulein Gerda, kam jedoch wieder davon ab, damit Sie nicht etwa durch ein verändertes Benehmen den Prokuristen argwöhnisch machten. – Besinnen Sie sich, – Sie waren es, die Berger, als er sich über Angern bei Ihnen erkundigte, an mich wiesen. Das war damals an dem ersten Gesellschaftsabend, der ja nun bereits zwei Neuauflagen erlebt hat, die dank Ihrer Unterstützung – beinahe hätte ich Regie, auf deutsch Spielleitung, gesagt – ebenso gut gelangen wie … die Uraufführung. Na – Berger und ich verabredeten, um uns in aller Ruhe aussprechen zu können, an jenem Abend ein Stelldichein im Pschorr-Bräu am Potsdamer Platz. Auch Angern und unsere Zofe waren da – doch sie sahen uns nicht. Nach Schluß der Vorstellung, ich meine beim Aufbruch der Gäste – benutzte ich nach ihnen allein den Fahrstuhl und fand dort auf der Polsterbank ein Papierkügelchen, das sich als ein beschriebener Zettel entpuppte. Den Inhalt weiß ich auswendig.“
Er wiederholte nun wirklich das, was Klara Seddig in ihrer Eifersucht Angern auf diesem Wege mitgeteilt hatte.
„Nach kurzem Nachdenken,“ fuhr er dann fort, „reimte ich mir zusammen, wer allein die Schreiberin des Zettels und der Empfänger gewesen sein konnten. Ich hatte nun also ein sehr wichtiges Beweisstück in Händen, aus dem hervorging, daß Angern und das hübsche Stubenmädchen unter einer Decke steckten. Am folgenden Abend, an dem die beiden sich um neun Uhr „an alter Stelle“ treffen wollten, da änderte ich mein Äußeres – für einen Schauspieler kein Kunststück! – schlich dem süßen Klärchen nach und stellte fest, daß das Pärchen bei allerlei Delikatessen und gutem Wein in einer kleinen Kneipe des Kurfürstendamms in der Nähe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche seine Herzens- und anderen Angelegenheiten erledigte. Dort haben sie sich dann noch zwei weitere Male zusammengefunden, während an einem der Nachbartische ein blondbärtiger Herr saß, in dem auch Sie, Fräulein Gerda, mich schwerlich wiedererkannt haben würden. – Amtsrichter Berger war nun das, was ich ihm zu erzählen wußte, aus dem Grunde so überaus interessant, weil auch ihm Angern, wenigstens der Ähnlichkeit nach, bereits einmal begegnet war. Berger hatte damals als Assessor in Magdeburg am Landgericht gearbeitet. Im Herbst 1911 war’s. So hatte er auch als Beisitzer an einer Strafkammer teilgenommen, vor der sich ein Mann wegen verschiedener Hochstapeleien verantworten mußte, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Der Betreffende hat nun, was dem Amtsrichter sofort bei der Vorstellung auffiel, mit Angern eine so auffallende Ähnlichkeit, daß an einen Doppelgänger hier schwer zu glauben war. – So kam es, daß Berger und ich uns zu gemeinsamem Kampf gegen Angern zusammentaten. Zunächst waren unsere Erfolge gering. Die Angaben Angerns über seine Personen schienen zu stimmen. Bei dem X-ten rheinischen Infanterie-Regiment hatte wirklich ein Reserveoffizier dieses Namens den Anfang des Feldzuges mitgemacht, war tatsächlich von Kanada herüber gekommen und schließlich nach schwererer Verwundung entlassen worden. Auch sonst war dem Prokuristen nicht beizukommen, so daß wir uns sagten: „ist er ein Betrüger, so habt ihr es mit einem selten geriebenen Schurken zu tun“. – Kurz – unser Wagen war so ein wenig stecken geblieben. Da machte ich den Vorschlag, die Photographie, die Angern meinem Bruder geschenkt hat und die ihn in Uniform darstellt, dem Ersatztruppenteil des genannten Regiments einzusenden zwecks Feststellung, ob dieser Leutnant Angern mit dem dort bekannten identisch sei. Gestern ist nun die Antwort eingelaufen. Das Bild sei das eines beim Ersatzbataillon nie eingestellt gewesenen Offiziers! – Jetzt haben wir den Burschen aber schon so ziemlich fest. Berger wird nun das Bild an das hiesige Polizeipräsidium schicken, damit im Verbrecheralbum nachgesehen wird, ob sich nicht in dessen Schönheitsgalerien ein genialer Kopf findet, der dem des patenten Prokuristen der Firma Franz Knebbke gleicht. – Na, Fräulein Gerda, was sagen Sie nun?!“
„Oh, ich bin weniger starr, als Sie denken! Daß Angern ein Schwindler ist, hatte ich sehr bald gemerkt. In seiner Höflichkeit liegt so etwas Lakaienhaftes, in seinen Witzen offenbart sich oft eine große Gefühlsrohheit und in seinem Auftreten Ihrem Bruder gegenüber die Frechheit und Anmaßung des Kellners eines feinen Restaurants im Verkehr mit einfacheren Gästen.“
„Donnerwetter – allerhand Achtung! Sehr gut beobachtet und noch richtiger bezeichnet! – Jedenfalls ist es jetzt also die höchste Zeit, daß ich meinen Bruder und meine Schwägerin warne. Angern hat es ja offenbar auf Elly abgesehen, und Gott mag wissen, wie er bereits mit ihr steht, obwohl den beiden ja nichts anzumerken ist. Der Bursche ist eben vorsichtig – der eifersüchtigen Klara wegen! – Eine nette Gaunerkomödie, in die wir da hineingeraten sind, Fräulein Gerda, nicht wahr?! Wer uns das vorhergesagt hätte, als wir uns damals an jenem häßlichen Novembertage auf der Straße kennen lernten …!!“
Im Herrenzimmer bei Knebbkes fand zu derselben Stunde großer Kriegsrat statt.
Anwesend waren das Ehepaar Knebbke, Angern und der Werkmeister Matthias.
Das Wort führte Frau Berta, die jetzt, nachdem sie die ersten Erfolge mit ihren Gesellschaften eingeheimst und in dem neuen Bekanntenkreis festen Fuß gefaßt hatte, sich eine zwanglosere Art von Benehmen angewöhnt hatte, die besser zu ihr paßte als das bisherige „mit aller Gewalt Vornehmtun“.
„Ich habe die Herren hergebeten“, hatte sie begonnen, „um mit Ihnen eine sehr wichtige und sehr dringende Angelegenheit zu besprechen. Angern ist bereits teilweise eingeweiht.“
Sie berichtete von dem Angebot des Erfinders der Ersatzschuhsohlen, erwähnte jetzt auch, daß der Mann seltsamerweise seinen Namen verschwiegen habe, so daß sie schon gefürchtet hätte, aus dem ganzen Geschäft würde nichts werden.
„Heute früh nun erhielt ich jedoch einen Schreibmaschinenbrief ohne Unterschrift, in dem der Erfinder mir mitteilte, daß ihm von einer anderen Firma bereits weit günstigere Bedingungen zwecks gemeinsamer Ausnutzung seines Patentes gestellt seien, und er daher – nun kommt das geradezu Unglaubliche! – mit der Firma Franz Knebbke nur gemeinsame Sache machen werde, wenn – wenn wir ihm Grita zur Frau geben!!“
Frau Berta freute sich, daß dieser letzte Satz ganz nach Erwarten gewirkt hatte. Die drei Herren saßen wie versteinert da. Als erster faßte sich Angern. Ehe er aber noch eine Bemerkung machen konnte, hatte Frau Knebbke schon einen großen Brief zur Hand genommen und las daraus folgendes vor:
„Ich bin äußerlich durchaus kein Scheusale, leidlich gebildet, 27 Jahre alt, unbestraft und – die Hauptsache, seit langem in Fräulein Grita heimlich verliebt. Auf eine Mitgift verzichte ich. Ich weiß, daß meine Erfindung mich in kurzem zu einem wohlhabenden Manne machen wird. Damit Sie sehen, daß ich jede Minute mit der anderen Firma abschließen kann, füge ich deren Brief auf mein Angebot bei.“
Frau Berta legte das Schreiben wieder weg.
„Die Angelegenheit steht also demnach leider für uns nicht sehr günstig,“ meinte sie. „Grita wird sich weigern, einem beliebigen Manne sich verschachern zu lassen, was ihr auch niemand verdenken kann. Schade ist es ja, daß das Geschäft kaum für uns perfekt zu machen sein dürfte. Aus den Briefen der anderen Firma geht hervor, daß man in einem halben Jahre mit einem Reingewinn von einer Viertelmillion bestimmt rechnen kann. – – So, meine Herren, – nun raten Sie mir! Vielleicht finden Sie einen Ausweg. Deshalb habe ich auch Matthias hergebeten. Er hat zuweilen recht gute Einfälle.“
Der Werkmeister, ein kleines, spindeldürres Männchen mit dünnem grauen Vollbart, verbeugte sich geschmeichelt.
Herr Franz Knebbke hielt sich nun als „Schattenkönig“ der Firma für verpflichtet, als erster sein Urteil abzugeben. Dieses ging dahin, dass man … „die Sache ruhig zum alten Eisen legen könne“.
Dann ließ sich Angern vernehmen:
„Alles hängt von Fräulein Grita ab. Ein Mädchenherz ist ein unbegreiflich Ding. Schreiben wir also diesem schmachtenden Erfinder, ihm werde Gelegenheit gegeben werden, mit seiner Herzallerliebsten hier im Knebbkeschen Hause zusammenzukommen und er solle dann versuchen, ob er bei Grita Erfolg habe. – Man kann nicht wissen, wie dieses Experiment ausläuft. Vielleicht hilft es uns – vielleicht nicht!!“
Der alte Matthias sagte leise: „Bravo …!! Großartig!!“ Und Frau Berta wieder erkannte auf’s neue, daß Angern stets den Nagel auf den Kopf traf.
Der Kriegsrat endete also nach einer halben Stunde mit dem einstimmig angenommenen Beschluß, daß Angern an den Unbekannten ein Antwortschreiben aufsetzen und ihn ersuchen solle, bei Knebbkes seinen Besuch zu machen. Die Eltern Gritas würden ihn unterstützen, soweit dies möglich sei.
Der Prokurist und der Werkmeister verabschiedeten sich und verließen gemeinsam das Haus. In der Katharinenstraße trafen sie Gerda und den Schauspieler. Man begrüßte sich, tauschte einige Redensarten und trennte sich wieder. Immerhin erfuhr Helmut Knebbke auf diese Weise, daß seine Verwandten daheim seien. Er gedachte diese Gelegenheit sofort zu benutzen, um den Fall „Angern“ mit ihnen durchzusprechen.
Herr und Frau Knebbke hatten inzwischen unter sich noch eine andere Sache erörtert, bei der der Prokurist gleichfalls die Hauptrolle spielte.
„Angern ist mir bisweilen ein Rätsel,“ hatte Frau Berta die Angelegenheit eingeleitet. „Denk’ dir nur, Elly erzählte mir gestern, daß sie jetzt sichere Beweise dafür hat, daß Angern sie geradezu ängstlich meidet, ihr aus dem Wege geht und dennoch, wenn er mal notwendig mit ihr sprechen muß, so tut, als sei er in unsere Älteste verliebt bis über beide Ohren. Nach jenem ersten Gesellschaftsabend, wo er doch Elly während der Kinovorführung recht kräftig den Hof machte, war anzunehmen, daß es eine Verlobung im Galopptempo geben würde. Und nun sind Wochen verstrichen, und die Geschichte kommt nicht vom Fleck, – nein, sie geht sogar eher rückwärts. Das begreife ein anderer!“
Franz Knebbke waren derartige Aussprachen mit seiner Gattin stets recht peinlich. Er wußte, daß er dabei doch nur die Rolle des zum Ja sagen verdammten Ehemannes spielte. Und nur wenn es etwas gab, was Frau Berta unbequem war, wälzte sie Ausführung und Verantwortung auf ihren Gatten ab.
Er hüllte sich daher auch jetzt in Schweigen und erreichte so, daß seine bessere Hälfte schneller mit ihren Absichten hervor rückte.
„Deine Pflicht ist es, Mann, mit Angern mal allen Ernstes über dieses mehr als komische Benehmen zu sprechen,“ fuhr die geborene Mulick fort. „Du mußt andeuten, daß sich Elly jetzt noch eine andere sehr gute Partien in dem Sohne des Geheimen Oberfinanzrates Beyer bietet, der offenbar ernste Absichten hat. Angern wäre mir freilich als Schwiegersohn lieber. Ein Genie wie ihn findet man nicht oft.“
Hier mußte dieses Thema vorläufig fallen gelassen werden, da Helmut Knebbke eintrat, dem Ehepaar guten Abend wünschte, sich eine Zigarre anzündete und erzählte, er sei mit Fräulein von Althofen beinahe den ganzen Kurfürstendamm zu Fuß entlang gewandert.
Er setzte sich dann in einen Klubsessel, streckte die Beine weit von sich und fragte, ob Angern eben hier gewesen sei. Die Luft wäre so schlecht; es röche so stark nach des Prokuristen süßlichem Parfüm.
Worauf Franz Knebbke brummig meinte, hinter dieser Bemerkung mit der schlechten Luft stecke doch mehr. Was Helmut denn eigentlich an Angern auszusetzen habe?! Ihm sei schon öfters aufgefallen, daß viele der Redewendungen Helmuts so etwas wie geheime Spitzen gegen den Prokuristen, diese anerkannt erste Kraft, enthielten und zwar ganz ungerechtfertigter Weise.
„So?!“ erwiderte der Schauspieler. „Ungerechtfertigter Weise?! Bist du dessen so sicher, lieber Franz?“
Der Chef der Firma war ein Lamm. Aber wenn es sich darum handelte, Angern herauszustreichen oder wie jetzt zum ersten Mal geradezu zu verteidigen, wurde er, wenn auch nicht gerade zum reißenden Wolf, aber doch zum stolzen Vater, der seinen Lieblingssohn beredt gegen Verdächtigungen schützt.
„Ja, mein lieber Helmut, in dem Punkte bin ich ganz sicher!“ sagte er eifrig. „Angern ist von mir mehr als einmal erprobt und für tadellos in jeder Beziehung befunden worden. Und da könnte selbst … selbst“ – er suchte nach einer recht gewichtigen Persönlichkeit –“ selbst ein Staatsanwalt kommen und mir, mit einem dicken Aktenbündel bewaffnet, beweisen, daß Angern ein Schurke ist, ich würde ihm ins Gesicht rufen „Gehn Sie nach Hause und verkaufen Sie Ihre Akten als Makulatur, Herr Staatsanwalt! Ich kenne meinen Prokuristen besser als Sie! Der steckt Sie mit Ihrer Paragraphenweisheit tausendmal in die Tasche!! Der hat mir so ein knappes Milliönchen mit verdienen helfen, und …“!“
„… und das ist bei mir das Ausschlaggebende,“ vollendete der alte Komödiant ironisch.
Da wurde auch Frau Berta böse.
„Lieber Schwager, – ich gebe Franz vollkommen recht, vollkommen! Du magst eben Angern nicht leiden, – das ist’s!“
„Und wenn ich nun Beweise hätte, daß …“
„Beweise – Beweise!!“ rief der Chef der Firma hohnlachend. „Ich sage ja, Staatsanwalt mit Aktenbündel!! – Geh, Bruder, nimm ein Bad und laß dir deine Vorurteile gegen Angern gründlich abscheuern.“
Helmut Knebbke blies den Rauch in kunstvollen Ringen von sich und meinte gelassen:
„Vorurteil?! Ich wünschte in eurem Interesse, es wäre so! Aber leider, leider steht fest, daß, wenn ihr zulaßt, daß Elly sich mit Angern demnächst verlobt, vielleicht schon ein paar Tage später euer Schwiegersohn nach Moabit ins Gefängnis gebracht wird.“
Frau Berta erhob sich, ordnete die Goldketten ihrer Lorgnette, ließ ihre Brillantringe dabei blitzen und sagte, den müden, gelangweilten Tonfall ihrer Ältesten nachahmend:
„Derartige Bemerkungen sind wenig geschmackvoll und übersteigen die Grenzlinien des Scherzes.“ Diese Wendung stand auch von Angern. „Ich will derartiges nicht mit anhören. Ich gehe.“ Und gemessenen Schrittes rauschte sie hinaus, – rauschte, da die Knebbkeschen Damen nur seidene Unterkleider trugen.
Der Schauspieler verlor jetzt die Geduld.
„Frage doch mal Fräulein von Althofen, teuerste Schwägerin, was die von eurem Liebling hält …!!“ rief er ihr nach. „Vielleicht gibst du auf deren Urteil mehr als auf das meine. Auch Amtsrichter Berger …“
Da schlug Herr Franz Knebbke sich knallend aufs Knie und sang den Vers aus einem neuen Gassenhauer – sehr falsch und ohne Spuren von Stimme:
„Kochst du dir jetzt ein Hühnerei,
na warte,
ohne Eierkarte,
flugs ist der Staatsanwalt dabei,
holt dir es aus dem Topf,
haut dir eins auf den Kopf!!“
„Ihr habt ein Brett vor dem Schädel!“ meinte Helmut Knebbke. „Gut – rennt in euer Verderben! Ich wasche meine Hände in Unschuld!“
„Was noch immer besser ist wie mit Kriegslehmseife!“ witzelte der Chef der Firma und folgte seiner Gattin ins Musikzimmer.
Der ehemalige Schauspieler blieb noch eine Weile sitzen. Dann ging er den langen Korridor entlang bis an die letzte Tür des Seitenflügels und klopfte bei Gerda an.
Auf ihr „herein“ öffnete er nur ein wenig und sagte:
„Ich bin’s. Eine Mannsperson. Darf ich eintreten?“
„Gewiß – bitte! – – Sie scheinen ja sehr guter Laune zu sein, Herr Knebbke.“
„Galgenhumor, Gnädigste, Galgenhumor! Den Angriff auf Angern hat das Ehepaar soeben im ebenso hartnäckiger wie bornierter Verteidigung abgeschlagen. – Wollen Sie nicht mal versuchen, ob Sie mehr Erfolg haben?“
Gerda lehnte ab. Ihre Gründe für diese Weigerung waren durchaus einleuchtend. Ihre Stellung als Gesellschafterin verbiete ihr, sich in diese Dinge einzumischen, zumal es sich dabei doch noch nebenbei um eine Verlobung handele, die hintertrieben werden solle.
Der alte Komödiant seufzte bekümmert.
„Unheil – dann nimm deinen Lauf!“ meinte er, reichte Gerda die Hand und ging wieder. –
Im Musikzimmer aber war das Ehepaar Knebbke mit Grita zusammengetroffen, die dort gerade Noten auspackte, die sie sich vorhin im Kaufhaus des Westens erstanden hatte.
Frau Berta hielt die Gelegenheit für recht geeignet, bei ihrer Jüngsten mal so etwas auf den Strauch zu schlagen, wie diese sich zu dem Heiratsprojekt verhalten würde.
Sehr vorsichtig und doch die große Liebe des unbekannten Erfinders zu Grita wirkungsvoll betonend teilte sie ihrer Tochter mit, daß demnächst ein Herr Besuch machen würde, der … Und dann kam die ganze merkwürdige Geschichte von dem Ersatzschuhsohlen-Patent und dem, was dazu gehörte.
Grita lachte vergnügt.
„Wenn er nicht gerade uralt oder bodenlos häßlich ist – warum nicht?!“ meinte sie. „Eine Vernunftehe ist zuweilen glücklicher als ’ne andere!“ fügte sie altklug hinzu.
Frau Berta nahm daraufhin den blonden Kobold in die Arme und küßte ihn.
„Sehr verständig von dir, wirklich, Kind! Und denke mal, eine Viertelmillion in sechs Monaten!! Das hat der Papa kaum verdient! Aber, wie gesagt – zwingen tun wir dich zu nichts!“
„Würde euch auch schwerfallen! Ich bin eine Knebbke! Und der Schlag ist echt berlinsch! – Kopp aus Eisen, Herz aus Kohle, – brennt schwer an, wenn aber, dann glüht’s ordentlich!!“
Bei Franz Knebbke hatten die an sich ja noch unklaren Verdächtigungen Angerns durch den Schauspieler doch im Gegensatz zu Frau Berta eine nachträgliche Wirkung ausgeübt, obwohl er sich geradezu mit Begeisterung für seinen Prokuristen ins Zeug gelegt hatte, woraus wieder einmal zu ersehen war, daß der Schattenkönig der Firma zuweilen erst sprach und dann überlegte, was in keinem Falle zu empfehlen ist.
Franz Knebbkes Stunde eifrigster geistiger Tätigkeit war die morgens gleich nach dem Erwachen. Dann fühlte er sich, im warmen Bett liegend, frisch genug, auch die schwierigsten Probleme zu lösen.
So auch am Morgen nach der Unterredung mit seinem Bruder Helmut.
Hm – Helmut war nun eigentlich nicht der Mensch, der jemanden grundlos angeschwärzte. Sicher – ganz sicher hatte er Beweise – und wenn es auch nur Scheinbeweise waren, die sich leicht entkräften ließen. – Ob man der Sache doch nicht lieber etwas nähertrat? – Dann durchzuckte den Schattenkönig plötzlich ein böser Schreck. –
Die geheime Lederquelle!! Angern wußte, daß eine solche vorhanden sein mußte, daß die Firma nur einen Teil des Materials von der betreffenden Kriegsgesellschaft bezog! – Himmel – das konnte äußerst peinlich werden, wenn mit Max von Angern wirklich nicht alles so ganz in Ordnung war …! –
Franz Knebbke wurde mit einemmal siedendheiß … Wenn er sich nur Angern nicht so vollständig in die Hände gegeben hätte …! Der konnte sein Wissen nur zu leicht ausbeuten …! –
Aber wenn man vielleicht versuchte, die Sache mit der Lederquelle jetzt noch wegzuleugnen, so recht unauffällig und geschickt?! – Das war doch ein Gedanke!
„Machen wir!“ dachte Franz Knebbke, und war schon wieder leidlich beruhigt.
Als er dann zwei Stunden später in sein Privatkontor im Fabrikgebäude kam, ließ er sich den Werkmeister rufen und hatte mit ihm eine längere, leise geführte Unterredung.
Matthias erklärte, bestimmtes wisse Angern ja nicht. Da brauche man sich keine Kopfschmerzen zu machen.
Nachher kam Angern selbst, als der Werkmeister wieder verschwunden war. Patent, selbstbewußt wie immer in bester Laune wünschte er Franz Knebbke guten Morgen.
„Wir haben wieder einen neuen Auftrag erhalten,“ meinte er. „Nur Kavalleriesättel, dreitausend Stück, lieferbar in acht Wochen.“
Der Schattenkönig zuckte die Achseln.
„Ganz schön,“ erklärte er scheinbar verstimmt. „Aber viel Verdienst wird dabei nicht abfallen.“
„Na nu?! Mit einemmal?! Gibt die Quelle kein Wasser mehr?!“
„Nein – die dänische Firma liefert jetzt ausschließlich notgedrungen an England,“ erwiderte Franz Knebbke. „Gestern erhielt ich die Nachricht.“
„Dänische Firma?!“ fragte Angern auflachend. „Hoher Herr Chef, – die existiert doch nur in Ihrer Phantasie! Wozu wollen Sie mir denn plötzlich diesen Bären aufbinden?!“
„Die Firma existiert! Jetzt, wo die Verbindung mit ihr aufgehört hat, brauche ich ja kein Geheimnis mehr daraus zu machen. Ich wollte nur nicht, daß womöglich die Konkurrenz gleichfalls von dieser Quelle erfuhr. Das ist der Witz!“
„Witz?! Schwindel ist’s – nichts weiter. – Aber – wie Sie wollen! Meinetwegen auch diese Lesart!“
Im stillen dachte Angern aber: „Gib acht! Das hat etwas zu bedeuten. Die Geschichte hat sich Knebbke vorher genau überlegt, mithin steckt etwas dahinter …!“
Und dieser Argwohn war es, der ihn jetzt veranlaßte, eine Frage aufzurollen, die ja eigentlich schon längst spruchreif war.
Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, rückte er damit heraus. Er gestatte sich den Vorschlag zu machen, ihn als Teilhaber in die Firma aufzunehmen. Verdient hätte er es. Und er sei entschlossen, seine jetzige Stellung zu kündigen, falls man ihm nicht entgegenkäme.
Dem Schattenkönig kam diese Gelegenheit sehr zu paß. Da konnte ja auch gleich die Geschichte mit Elly ins Reine gebracht werden.
„Hm – Teilhaber?! – Aber, lieber Angern, wäre da meine Gegenforderung nicht ganz berechtigt, daß Sie dann auch Ihre Beziehungen zu meiner Familie enger gestalteten? Wir wollen offen miteinander reden. Meiner Frau und mir ist es nicht entgangen, daß Sie sich für Elly interessieren. Warum zögern Sie, warum machen Sie nicht Ernst? Einen Korb werden Sie sich nicht holen. Andererseits tut auch Eile not. Da ist jetzt ein Herr aufgetaucht, der als Bewerber um Ellys Hand uns nicht gerade ungelegen käme, falls Sie in dieser Beziehung ausscheiden. – Na, wie denken Sie darüber?!“
„Hm – also die Teilhaberschaft hinge von dieser Ehe ab?! – Geht mir sehr gegen den Strich, ist gegen mein moralisches Empfinden! Eine Heirat aus geschäftlichen Gründen widerstrebt mir. Bei näherer Prüfung habe ich eingesehen, daß Fräulein Elly trotz aller ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge zu mir nicht paßt. Ich hoffe aber, daß Sie sich bereitfinden werden, auch ohne derartige Familienbeziehungen meinem Wunsche nachzukommen. Es gibt zwischen uns ja noch andere Beziehungen, die einen mindestens ebenso festen Kitt darstellen, – so zum Beispiel die … Lederquelle.“
Franz Knebbke konnte seine Unruhe schlecht verbergen. Da war ja schon das gefürchtete Gespenst …!! Das eben war nichts als eine versteckte Drohung gewesen …! Nun hieß es schlau sein und zunächst mal feststellen, was Angern vorhatte, wie weit er gehen würde.
„Lederquelle als Kitt …?! Mir etwas unverständlich, lieber Angern, – tatsächlich!“ meinte der Schattenkönig, den Erstaunten spielend.
In den Augen des Prokuristen erschien ein drohendes Flackern. Sehr scharf und kurz erwiderte er:
„Spielen wir keine Komödie! Ich weiß, daß Sie im Winter 14/15 riesige Lederankäufe machten und sich ein Lager anlegten, dessen Bestände Sie nachher bei der Bestandsaufnahme unterschlagen haben.“
Knebbke fuhr auf.
„Das – das ist nicht wahr! Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?!“
Angern lächelte teuflisch.
„Ah – also so steht die Sache! Ich solltet verdienen helfen, aber in Dummheit erhalten werden!! Na – da kennen Sie mich schlecht, Verehrtester! Bin ich in vierzehn Tagen nicht Teilhaber, so trete ich aus und …“
„Und … ?“
„Den Schluß können Sie sich selbst hinzufügen. Als Ehrenmann kann ich es nicht dulden, daß in diesen ernsten Zeiten derartige Schiebungen gemacht werden zur Bereicherung eines Einzelnen.“
Franz Knebbke war blaß geworden, saß ganz regungslos da. Nun war es heraus! Angern wollte erpressen, was man ihm nicht freiwillig gab …!
„Schiebungen?! – Angern, Mensch, wie kommen Sie auf diese Idee?! – Bei mir ist alles reinlich – alles!“ Aber des Schattenkönigs Ton war wenig überzeugend.
„Gut! Also ganz offene Karten! Wie Sie wollen! – Besinnen Sie sich, daß ich an Ihrem ersten Gesellschaftsabend vorzeitig aufbrach? – Na, damals schlich ich mich ungehört und ungesehen auf den Fabrikhof und kletterte unter die Öltuchplane unseres Kastenwagens. Das hatte ich nämlich schon seit acht Tagen jede Nacht getan. Um halb eins kam Matthias, spannte den Braunen ein und fuhr davon. Sein Ziel war die Ernstburger Straße zwischen Halensee und Wilmersdorf, wo es nur Holzlagerplätze und wenige ärmliche Wohngebäude gibt. Dort wohnt ja auch Matthias in einem Hause ganz allein mit seiner Frau, das früher ein Bildhaueratelier gewesen ist. Und von dort holte der Werkmeister eine Ladung Kernleder ab, machte die Tour viermal hin und zurück. Mit einem Wort, Matthias’ Wohnung mit ihren Riesenräumen, von denen er nur drei benutzt, ist – die Lederquelle!“
Angern wartete eine Weile, bis seine niederschmetternde Eröffnung genügend gewirkt hatte. Dann fuhr er in völlig verändertem, liebenswürdig harmlosem Ton fort:
„Es dürfte sich mithin empfehlen, daß wir auch ohne verwandtschaftliche Bande fernerhin zusammenarbeiten. Überlegen Sie sich die Sache in aller Ruhe! Vielleicht geben Sie mir in acht Tagen endgültig Bescheid. Länger möchte ich aber auf keinen Fall warten. – Machen Sie doch nicht ein so unglückliches Gesicht, bester Knebbke! Geht es Ihnen so nahe, daß ich doch eine ganze Portion schlauer bin als Sie?! Das hätten Sie doch eigentlich längst wissen müssen! – Morgen! – Auf Wiedersehen!“
Dann verließ er das Privatkontor.
Franz Knebbke sah sich hilflos um. Die Erkenntnis, Angern jetzt auf Gnade und Ungnade ausgeliefert zu sein, versetzte ihn förmlich in einen Zustand von Betäubung.
Dann durchzuckte plötzlich ein rettender Gedanke sein Hirn: Helmut – Helmut, – vielleicht wußte der ein Mittel, aus den Krallen dieses Tigers von Angern herauszukommen. –
Aber er mußte vorsichtig sein. Der Prokurist sollte nicht merken, daß er sofort mit Helmut unterhandelte. Erst als er nach einer Stunde festgestellt hatte, daß Angern geschäftlich in die Stadt gefahren war, holte er den Bruder in sein Privatkontor.
Der Schauspieler merkte sofort, daß dem Chef der Firma etwas sehr Unangenehmes begegnet sein mußte.
Als Franz Knebbke ihm dann seinen verängstigtes Herz, ohne die Riesenschiebung mit der Lederquelle zu verheimlichen, ausgeschüttet hatte, und fast flehend zum Schluß hinzufügte: „Was weißt du Belastendes von Angern? – Vielleicht kann man ihn dadurch loswerden,“ da pfiff Helmut erst leise durch die Zähne und schaute den Älteren nun kopfschüttelnd von oben bis unten an.
„Franz – also klebt wirklich Schmutz an deinem Gelde!!“ sagte er schneidend. „Das hätte ich von dir doch nicht gedacht! Schade um unseren alten, ehrlichen Handwerkernamen – schade!!“
Dann blickte er mit ernstem Gesicht eine Weile vor sich hin.
„Wärest du ehrlich gewesen – von vornherein, hättest du mir all diese unsauberen Dinge anvertraut, – du wärest noch zu retten gewesen! So aber …?!“ Er zuckte die Achseln.
Und nun erfuhr Franz Knebbke von der gemeinsamen Treibjagd, die Amtsrichter Berger und Helmut auf den angeblichen Angern abhielten und die demnächst zu des Prokuristen Verhaftung führen mußte.
„Berger wird sich nie dazu verstehen,“ meinte der alte Komödiant fast schmerzlich, „Angern entschlüpfen zu lassen, um dich zu schonen. Du verstehst mich wohl. Der Prokurist ist nicht der Mensch, der schweigt, wenn ihm die Schlinge um den Hals liegt. Er wird dich mit in seinen Untergang hineinziehen, dich und … Berta, die deine Mitwisserin ist, ebenso Matthias …“
Knebbke dem Älteren standen jetzt dicke Schweißperlen auf der Stirn. Sein Gesicht sah ganz käsig aus.
„Die verfl… Geldgier!!“ ächzte er. „Die verfl… Geldgier!“
* * *
Inzwischen hatte Max von Angern sich in seine Wohnung am Charlottenburger Bahnhof begeben, um seine Zigarettentasche frisch zu füllen und noch einen Brief zu schreiben.
Der Prokurist hatte sich seine Behausung mit gediegener Vornehmheit ausgestattet. Geschmack hatte er. Das mußte man ihm lassen, wenn er selbst auch stets übertrieben elegant gekleidet war. Eine ältere Frau besorgte ihm die Wirtschaft. Und sie war es, die ihm, nachdem er den Brief kaum begonnen hatte, „das Fräulein“ meldete – also Klara Seddig.
„Sie ließ sich nicht abweisen, obwohl ich sagte, der Herr sei nicht zu Hause,“ erklärte sie entschuldigend.
Da erschien auch schon Klara selbst hinter ihr in der Tür.
„Ich sah dich das Haus betreten,“ meinte sie schneidend. „Gehen Sie, Frau Maifeld!“
Angern schob unauffällig eine Zeitung über den angefangenen Brief, den er nicht mehr hatte wegschließen können, und erhob sich mit einem harmlosen Lächeln.
„Aber Klara – gleich wieder so erregt! Du bist wirklich in letzter Zeit sehr nervös geworden. Mein Wunsch, ungestört zu bleiben, bezog sich doch nicht auf dich!“
Aber sie behielt ihre finstere Miene bei. Ihr Gesicht war bleich, ihre feinen Nasenflügel bebten … Ein schrilles Lachen kam aus ihrer Kehle.
„Spare dir die Phrasen …!! Ich habe dich jetzt durchschaut! In den letzten Wochen hast um mich wieder in eine gewisse Sicherheit eingelullt. Heute früh sind mir aber die Augen aufgegangen …“
„Kind, das kann nur ein bedauerliches Mißverständnis sein, wirklich! Ich bin sehr gespannt, um was es sich handelt.“ Er blieb ganz ruhig, haschte nach ihrer Hand und wollte sie an sich ziehen.
Sie stieß ihn zurück. Wieder das heisere Lachen …
„Ich lasse mir von dir nicht mehr den klaren Verstand durch Zärtlichkeiten verdunkeln …!! Rühre mich nicht an! – Heute Morgen belauschte ich ein Gespräch zwischen der Gnädigen und dieser Elly. Es handelte sich dabei um deine Person. Und da sagte Frau Knebbke: „Wenn du ihn gern für dich haben möchtest, – er wird dich heiraten, bestimmt! Er wird eben Teilhaber, sehr einfach! Das ist so sicher, als wir in zwei Wochen Weihnachten haben.“ – Nach – was erklärst du nun hierzu, he?!“
„Das deine Urteilsfähigkeit sehr infolge deiner grundlosen Eifersucht getrübt ist,“ meinte er gelassen. „Gerade vor einer Stunde habe ich dem Alten ganz offen ins Gesicht gesagt, daß ich Elly nicht heiraten werde!“
„Lüge – Lüge!! Das erzähle einer anderen, nicht mir!! Kein Wort glaube ich dir – kein Wort!! Du hast mir vorgestern noch erklärt, daß du jetzt selbst annimmst, du habest Knebbke mit dem Verdacht einer gesetzwidrigen Beschaffung des nötigen Ledermaterials Unrecht getan. Die Daumenschraube fällt also für dich fort! Und da wirst du dir unter diesen Umständen die Gelegenheit entgehen lassen, auf andere Weise, eben durch eine Heirat, Einfluß auf diese Leute zu gewinnen, gerade du, der nur ein Streben kennt, Reichtümer zu sammeln und eine große Rolle zu spielen!!“
Angern biß sich auf die Lippen. Er hatte Klara verschwiegen, daß er die Lederquelle entdeckt habe. Diese Klette von Weib durfte nicht noch tiefer in all seine dunklen Machenschaften eingeweiht werden, als sie es schon war. – Hm, jetzt sah er ein, – es war eine Dummheit von ihm gewesen, Knebbke als einen Mann hinzustellen, dem durch Drohungen nicht beizukommen war … Klara war ja vollständig toll, verrückt vor Eifersucht!
Während er noch so dastand und sich überlegte, ob er ihr nicht doch die Wahrheit sagen sollte, – daß er Knebbke nunmehr vollständig in der Tasche habe! – schlüpfte sie an ihm vorüber zum Schreibtisch hin, schob die Zeitung beiseite und riß den Brief an sich, von dem Angern erst etwa sieben Zeilen geschrieben hatte … –
* * *
„… die verfl… Geldgier!“ hatte Franz Knebbke soeben ächzend wiederholt.
Da schrillte das Telephon. Helmut nahm den Hörer zur Hand. Sein Bruder war ja unfähig sich zu regen.
„… Jawohl, hier Firma Franz Knebbke. – – Jawohl, hier Helmut Knebbke. – – – Was sagen Sie – erschossen?! – – Laufen Sie sofort zur Polizei, nein, – telephonieren Sie! Wir sind im Augenblick bei Ihnen …“
Der ältere Knebbke war aufmerksam geworden.
„Was gibt’s denn eigentlich, Helmut? – Erschossen? Wer – wo …?!“
„Angerns Wirtschafterin teilt mit, daß unser Prokurist und unser Stubenmädchen Klara einen sehr lebhaften Wortwechsel in seiner Wohnung gehabt hätten, daß plötzlich kurz hintereinander zwei Schüsse gefallen wären und dann die ins Zimmer stürzende Frau Maifeld die Beiden auf dem Teppich liegend wie tot aufgefunden hätte.“
Helmut Knebbke hatte das ganz langsam, jedes Wort betonend gesagt. Nun fügte er hinzu: „Anscheinend will das Schicksal nicht, daß unser Name entehrt wird! – Komm’, überzeugen wir uns, was bei Angern vorgefallen ist!“
Die Polizei war bereits in der Wohnung. Der anwesende Kommissar zeigte den beiden Knebbkes den angefangenen Brief des Prokuristen, der zwischen den Leichen auf dem Teppich gelegen hatte.
„Eifersuchtsdrama ohne Frage,“ meinte er. „Sie hat zuerst ihn, dann sich selbst erschossen. Der Brief ist an eine bekannte Heiratsvermittlerin gerichtet und besagt schon in den wenigen Zeilen, daß Angern sich um eine millionenschwere Witwe mit etwas anrüchiger Vergangenheit bemühte.“
Die Brüder verließen sehr bald wieder Angerns Wohnung und gingen zu Fuß den nicht gerade weiten Weg nach Halensee zurück.
Nach einigen Minuten begann der alte Schauspieler dann:
„Wie hoch schätzt du die Summe, die du unrechtmäßiger Weise durch die Zurückhaltung der Ledervorräte verdient hast? – Ich sage gleich, daß ich mit euch nichts weiter zu tun haben will, wenn du mir nicht durch bedingungsloses Eingehen auf meine Vorschläge beweist, daß dich deine Handlungsweise aufrichtig gereut.“
Franz Knebbke schob seinen Arm in den des Bruders.
„Du sollst mit mir zufrieden sein, Helmut! Ich habe heute den Abgrund zum ersten Mal so recht deutlich bemerkt, an dessen Rand ich bisher entlang gewandert bin. – Ein Viertelmillion hochgerechnet, – so wahr ich nie wieder unsaubere Geschäfte machen werde!“
„Gut. Du wirst diese Summe auf irgendeine Weise, ohne deinen Namen zu nennen, dem Verein für Volksspeiseküchen überweisen. Dann soll Amtsrichter Berger nie erfahren, weshalb der Tod Angerns der Familie Knebbke so sehr gelegen kam.“
Und so geschah es auch. Frau Berta erhob hiergegen nicht die geringste Einwendung. Im Gegenteil, sie bedanke sich sogar noch bei Helmut dafür, daß er ihnen den Weg gewiesen habe, wieder „ganz anständige Menschen zu werden“, wie sie sagte. –
Ob hierbei das in der Ferne einen Augenblick drohende Gefängnis und der damit verbundene Sturz von der stolzen Höhe der neuen, mühsam erkämpften gesellschaftlichen Stellung eine gewichtige Sprache mitredete oder ob die geborenen Mulick im Grunde ihres Charakters wirklich ein „anständiger Mensch“ war, ließ Helmut Knebbke dahingestellt, war aber eher geneigt, das letztere anzunehmen.
Drei Tage darauf fand sich gegen Abend Amtsrichter Berger wieder einmal bei Knebbkes ein. Er brachte eine Menge Neuigkeiten mit. Inzwischen war nämlich durch die Berliner Kriminalpolizei das Vorleben Max von Angerns alias Karl Meinerts ziemlich lückenlos festgestellt worden.
Meiner war noch vor sieben Jahren Steward auf einem Dampfer des Norddeutschen Lloyd gewesen. Dann begann er, gestützt auf vielseitige Sprachkenntnisse, gewandtes Auftreten und eine seltene Gerissenheit seine Hochstaplerlaufbahn. Zu Beginn des Krieges als Ersatzreservist eingezogen, hatte er mit dem echten Leutnant von Angern bei einer Kompanie gestanden und war dessen Bursche gewesen. Angern, im Oktober zu einem Regiment im Osten versetzt, nahm Meinert mit, verstarb aber unterwegs im Eisenbahnzuge, wo der auf sein bisheriges Glück bauende Hochstapler dann dem Toten in dem nur von ihnen beiden besetztem Abteil die Uniform auszog und ihn in den Gemeinen Karl Meinert, Burschen bei Leutnant Angern, verwandelte. Der Betrug glückte. Angern wurde irgendwo auf einem Dorfkirchhof in Ostpreußen beigesetzt, und der Schwindler übernahm die Rolle des Offiziers, den niemand bei dem neuen Regiment kannte, in dessen Reihen er gleich am dritten Tage nach seinem Eintreffen schwer verwundet wurde. Die weitere Durchführung dieses Betruges war nur dadurch möglich, daß der echte Angern ganz allein dastand und in Deutschland weder Verwandte noch Bekannter hatte. Immerhin gehörte aber ein Verbrechergenie wie das Karl Meinert dazu, all die Klippen zu vermeiden, die ihm hätten gefährlich werden können. Erst das Auftauchen Helmut Knebbkes brachte den Stein ins Rollen, und dieser Stein sollte dann nicht nur den Schuldigen, sondern auch seine Mitwisserin auf eine Weise zermalmen, die niemand hatte voraussehen könnten.
Als Berger mit seinem Bericht fertig war, meinte der alte Schauspieler ernst:
„Was hätte nicht aus diesem Menschen werden können, wenn er seine Talente und Geistesfähigkeiten in ehrlicher Arbeit ausgenutzt haben würde …!“
Worauf der Amtsrichter erwiderte, daß die Erfahrung leider lehre, daß es gerade der Trieb zum Bösen und der Reiz der mit der Begehung von fein ausgeklügelten Straftaten verbundenen Gefahren sei, die auf den Geist solcher Menschen befruchtend wirkten, wären diese wahrscheinlich im ehrbaren Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft vollständig versagen würden.
Berger blieb zum Abendessen da. In seinem Verhältnis zu Gerda war keine wesentliche Änderung eingetreten. Die Gesellschafterin wich ihm nach Möglichkeit aus. So auch heute, indem sie Kopfschmerzen vorschützte und auf ihrem Zimmer blieb.
Hier suchte sie dann kurz vor Tisch Helmut Knebbke auf, – ein Vorrecht, von dem er in letzter Zeit schon wiederholt Gebrauch gemacht hatte.
Sie bat ihn Platz zu nehmen und bot ihm auch eine ihrer Zigaretten an, da sie hin und wieder selbst rauchte, aber nie in größerem Kreise.
Erst sprachen sie über Karl Meinert. Der frühere Schauspieler erzählte, was Berger soeben drüben im Musikzimmer über den Prokuristen mitgeteilt hatte.
Dann lenkte er die Unterhaltung vorsichtig auf den Amtsrichter über. Gerda wurde unruhig. Sie hatte sehr bald das Gefühl, daß Helmut Knebbke dies in bestimmter Absicht tue. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Mit einemmal sagte er in verändertem Ton, so recht väterlich, was Gerda stets so angenehm berührte, weil man ihr auf diese Art so selten begegnet war:
„Liebes Fräulein von Althofen, würden Sie wohl einem alten oder doch jedenfalls älterem Manne gestatten, heute hier für einen Menschen ein gutes Wort einzulegen, der sehr schwer darunter leidet, daß er sich einmal zu einer halben Taktlosigkeit hat hinreißen lassen, an der doch nur übergroße Liebe schuld war? Dieser Herr begleitete einmal, um den Fall kritisch zu beleuchten, eine junge Dame nach Hause, der er gern sein braves Mannesherz zu Füßen gelegt hätte. Es war bereits dunkel, als die beiden durch die mäßig erhellten Anlagen des Stephanplatzes kamen. Hier blieb der Herr stehen und machte der Dame einen Antrag. Dabei ging er etwas stürmisch zu Werke, wollte eben als … Oberleutnant die Festung im ersten Anlauf nehmen und zog die leicht Widerstrebende in seine Arme, – ich betone, die „leicht“ Widerstrebende! Zum Unglück tauchte in demselben Augenblick eine Rotte halbwüchsiger Burschen auf, die sofort das Pärchen mit allerlei unflätigen Rufen zu belästigen begannen. Die junge Dame, so unsanft aus dieser zarten Maienstimmung herausgerissen, begann vor Empörung zu weinen und lief, vor Scham und Verlegenheit kaum wissend was sie tat, ihrem Begleiter davon. Nachher schob sie ihm allein die Schuld an diesem Erlebnis, von dem sich ihrem Gedächtnis nur der häßliche Ausgang eingeprägt hatte, in die Schuhe und ließ sich nicht wieder versöhnen, obwohl der arme Oberleutnant ihr bewies, daß selbst Sturm und Regen ihn nicht abhielten, irgendwie ein Wiedersehen herbeizuführen. – Wie gesagt, diesen Herrn habe ich jetzt sehr gut kennengelernt. Er würde vortrefflich für die junge Dame als Begleiter durchs ganze Leben passen. – Was meinen Sie wohl, Fräulein Gerda, ob er wohl hoffen darf, daß ihm eines Tages doch noch verziehen wird?“
Gerda saß blutübergossen mit tief gesenktem Kopfe da. Wie es um ihr Herz stand, wußte sie längst. Und nur die noch allzu lebendige Erinnerung an jenen Spätnachmittag und die Rotte der rohen Burschen und auch ein gewisser Trotz hatten bisher ihrem Benehmen Erwin Berger gegenüber eine ablehnende Kälte gegeben, die im Widerspruch zu ihren wahren Empfindungen stand.
Helmut Knebbke war aufgestanden und hatte jetzt ihre Hände in die seinen genommen.
„Ein väterlicher Freund fragt Sie, Fräulein Gerda,“ sagte er leise. „Darf der Oberleutnant hoffen?“
Da kam ein schüchternes „Ja“ über ihre Lippen, dem sofort ein Strom heißer Tränen folgte.
Der alte Schauspieler verließ das Zimmer, eilte den Flur entlang, holte sich Berger aus dem Kreise der Familie unter einem Vorwand heraus, nahm ihn bei der Hand und … brachte ihn zu Gerda.
Als sie auf sein Klopfen „Herein!“ gerufen hatte, schob er den Amtsrichter einfach ins Zimmer hinein, schloß die Tür wieder und ging als Ehrenwache im Flur auf und ab.
Drüben im Musikzimmer ahnte man nichts. Kaum waren die beiden Herren verschwunden, als draußen auf der Diele das Telephon sehr anhaltend läutete. Grita eilte als die leichtfüßigste hinaus, kam sehr bald zurück und erklärte, ein Herr wünsche Frau Knebbke zu sprechen.
Frau Berta war recht erstaunt.
„Ein Herr? – Hat er denn seinen Namen nicht genannt?“
„Nein, Mama. Er sagte nur, er sei der Ersatzschuhsohlen-Erfinder.“
„Ah so – der geheimnisvolle Unbekannte, den wir morgen Mittag zu Tisch geladen haben.“ Und Frau Berta hastete an Grita vorbei nach dem Telephon.
„Hier Frau Knebbke. – So, Sie haben morgen nicht Zeit. Sehr schade. – – Ob Sie vielleicht uns heute Abend noch Ihre Aufwartung machen dürfen? – Aber natürlich …! Bitte, kommen Sie nur. – Auf Wiedersehen!“
Die Nachricht, daß dieser merkwürdige Herr, der seinen Namen erst bei der persönlichen Vorstellung nennen wollte, alsbald erscheinen würde, rief im Musikzimmer einen wahren Aufstand hervor. Aber lange sollte die allgemeine Aufregung nicht dauern. Wieder schrillte auf der Diele eine Glocke, – jetzt die Türklingel, nicht der Fernsprecher. Kaum drei Minuten waren vergangen, seit Frau Berta dem Erfinder mit Schmelz ihr „auf Wiedersehen“ zugerufen hatte.
Dann kam das neue Stubenmädchen und meldete Herrn Fritz Matthias.
„Ah – der Fritz!“ meinte Knebbke. „Herein mit ihm! Er wird eine Bestellung von seinem Vater auszurichten haben.“
Fritz Matthias trat ein. Er hatte einen tadellos sitzenden dunkelbraunen Zivilanzug an und sah tatsächlich wie ein „richtiggehender Herr“ aus, wie Leutnant Karl feststellte. Sehr ruhig, sehr sicher begrüßte er das Ehepaar, machte den anderen seine Verbeugungen und sagte dann gelassen:
„Ich hatte eigentlich damit gerechnet, meines an sich harmlosen Beinleidens wegen erst morgen den bunten Rock endgültig auszuziehen. Nun hat sich die Entlassung gewissermaßen verfrüht. Deshalb fragte ich auch von den nahen Postamt soeben telephonisch an, ob ich heute schon mich als Erfinder der patentierten Ersatzschuhsohlen vorstellen dürfe.“
Die Wirkung dieser Worte auf die Mitglieder der Familie Knebbke, die in alles eingeweihte Grita ausgenommen, war die gleiche. Für eine halbe Minute saßen oder standen vier Menschen wie die Standbilder da.
Frau Berta faßte sich zuerst. Sie dachte an den Brief der Konkurrenzfirma, die dem Erfinder ein noch weit günstigeres Angebot gemacht hatte, und an die in einem halben Jahr mit Sicherheit zu verdienenden zweihundertfünfzigtausend Mark, erhob sich, ging auf Fritz Matthias zu, reichte ihm die Hand und fragte mit einem sehr vornehm gewinnenden Lächeln:
„Weiß Grita Bescheid, Sie böser Intrigant?“ Letzteren Ausdruck hatte vorhin Berger verschiedentlich gebraucht, und Frau Berta sprach ihn sogar ganz richtig aus.
„Natürlich, gnädige Frau! Wir sind uns schon seit vier Wochen ganz einig.“
„Dann habt Ihr hiermit unseren Segen, Kinder! Werdet glücklich miteinander!“
Der blonde Kobold flog dem Ersatzschuhsohlen-Erfinder mit einem Jubelruf um den Hals.
Dann gab es ein lautes, fröhliches Gratulieren. Auch Leutnant Knebbke erinnerte sich plötzlich, daß er den neuen Schwager früher ja geduzt habe, war die Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit selbst und bewies so, daß er gegen den Zivilisten Matthias nichts mehr einzuwenden habe.
Mit einemmal klopfte es sehr laut an die auf die Diele führende Tür.
Zunächst erschien Helmut Knebbke mit sehr feierlichem Gesicht.
„Ich habe die hohe Ehre und das nicht minder hohe Vergnügen, den geehrten Herrschaften das neueste Brautpaar vorzustellen,“ sagte er im Ton eines Jahrmarktausrufers. „Bitte einzutreten, Herr Amtsrichter, – herein mit Ihnen, Fräulein Gerda! – So – meine Herrschaften, als Verlobte empfehlen sich diese meine beiden Schützlinge!“
Arm in Arm waren Erwin Berger und Gerda jetzt in der Tür erschienen, – strahlend wie eitel Maisonnenschein. – –
Kein Wunder, daß dieses doppelte frohe Ereignis bei der Abendtafel reichlich mit Sekt begossen wurde und daß Leutnant Karl bereits gegen zehn Uhr sanft von Onkel Helmut zu Bett gebracht werden mußte, da er – natürlich nur vor Freude – etwas sehr selig war und nicht mehr ganz fest auf den Beinen. –
Frau von Althofen, geborene Gräfin Trast-Lietzburg, grollte genau sechs Tage. Dann, am Weihnachtsabend, nahm sie den Schwiegersohn in Gnaden auf.
Die müde Elly verlobte sich Silvester mit ihrem neuen Bewerber, dem Regierungsassessor Beyer, bei Gelegenheit der ersten großen Gesellschaft zu dreißig Personen, die Knebbkes gaben und die jetzt auch ohne Gerda von Althofens Hilfe so tadellos klappte wie etwa die fünfzigste Aufführung eines Theaterstückes.
Damit wäre der Geschichte der Knebbkeschen Lederquelle nichts weiter hinzuzufügen.
Anmerkungen: