Harald Harst: Aus meinem Leben
Band: 270
Erzählt von
Max Schraut
Die Schlacht, war geschlagen, und wir hatten sie gewonnen. Der Nebenerwerb der Firma Rapsom war tot. –
Die Umstände brachten es mit sich, daß wir nicht sofort wieder den Kurs von Casablanca heimwärts richten konnten. Gesetzlich war Lady Jane Lavandy Erbin der Weltfirma. Sie, die Wohltäterin der Armen, drängte uns als Geschenk die am Meeresstrande im Europäerviertel gelegene Villa Rapsom auf, und so wurden wir Eigentümer eines vornehmen Heims an der Nordwestküste Afrikas.
Auch Zacharias Rummel nebst seiner Tochter Anni leisteten uns in dem großen behaglichen Hause Gesellschaft. John Gottropp Rapsom saß noch in Untersuchungshaft, aber dem Einfluß des Kriminalchefs Jomak Bey, mit dem uns innige Freundschaft verband, gelang es sehr bald, den alten Mann freizubekommen, und an einem kostlichen, windfrischen Julimorgen trug ein großer Luxusdampfer Lady Lavandy, Helene Gussow und die anderen Lieben über den rauschenden Atlantik nordwärts gen Tanger. Zacharias und Anni blieben bei uns, wir winkten vom Kai den Scheidenden nach und fuhren dann wieder zur Villa Rapsom zurück.
Mitten in einer kleinen, grünen Oase von Palmen und Büschen lag der gelbe Ziegelbau des Rapsom-Hauses, Front nach der See, mit großer überdachter Terrasse, gepflegtem Garten, hoher Steinmauer und einer Fülle einheimischer Bäume und Büsche. Die neue Dienerschaft, die Jomal für uns besorgt hatte, waren zumeist würdige Araber, der Koch ein Chinese, der Gärtner ein Mischling von ziemlich heller Haut und straffem Haar.
Von der Terrasse konnte man eine Motorjacht beobachten, die unweit des Strandes Lotungen anstellte. Es mußte ein Regierungsfahrzeug sein.
Anni lag in einem Liegestuhl und blätterte in einer englischen Zeitung. Zacharias, hager wie ein Stockfisch und mit dauernd ruhelosen Augen, hatte ein Fernglas in Händen und stand an der Brüstung. Harst schrieb am Tische mit Füllfeder einen Brief an seine Mutter. Als er jetzt Anni etwas fragte, machte die Goldfeder nicht die geringste Pause.
„Annichen, – mal ehrlich, Kind, – Sie haben etwas auf dem Herzen, nicht wahr?“
Zunächst erfolgte keine Antwort. Vater Zacharias hatte sich langsam umgedreht. Sein mageres Gesicht mit den scharfen Schauspielerzügen (die Tätigkeit bei der Detektei „Globus“ hatte dem Polizeisekretär a. D. alles Bürokratische genommen) verriet Überraschung. „Ich wüßte nicht, was Anni auf dem Herzen haben sollte,“ sagte er bedächtig. „Obwohl mir auf der Herfahrt von Tanger auf dem Dampfer einiges auffiel. – Weshalb ließest du dir eigentlich von Herrn Schraut den Bohrer geben, Kind?!“
„Vater, mit einem Bohrer, Durchmesser 0,5, kann man spionieren – durch ein Loch. Ich habe Herrn Schraut zwar erklärt, ich wollte nur einen Gummiabsatz an .meinem Schuh erneuern – und so weiter, aber das war Schwindel …“
„Die Eule?!“ warf Harald ein und schrieb weiter.
„Eule?!” – Ich hatte hier im Garten allerdings Eulen bemerkt, da ganz hinten an der Mauer die Überbleibsel eines maurischen uralten Häuschens verborgen waren und allerlei Viehzeug Unterschlupf gewährten. Aber diese Eulen konnten doch mit dem Entleihen des Bohrers an Bord des Dampfers Sultana nichts zu tun haben.
Jetzt sank die Zeitung. Anni hatte über der Nase drei senkrechte Falten, und ihre Miene verriet den gleichen gedankenschweren Ernst.
„Ich dachte mir, daß Miß Morfax Ihr Interesse erregt hätte, Herr Harst,“ sagte sie sehr bedächtig.
Harst nahm einen neuen Briefbogen in Angriff.
„Es war eine Porzellaneule mit Glasaugen,“ erklärte er, und die Feder flog …
Zacharias schaute mich verdutzt an. „Herr Schraut, Anni und Harst scheinen da Eigentümliches auf der Sultana beobachtet zu haben.“
Jetzt war ich im Bilde.
Die grauhaarige Miß Elsa Morfax, ein Ekel von Frauenzimmer, aufgeblasen und hochmütig, hatte die Kabine neben der Annis gehabt, mit Fenster auf den Promenadengang des Mitteldecks hinaus. Dieses Fenster stand selbst abends offen, und zuweilen hatte ich diese Vertreterin der Londoner Times beim Schreiben beobachten können. Auf ihrem Klapptisch, auf der festen Wandleiste, hatte ich einen jener Rauchverzehrer und Luftverbesserer bemerkt, die in recht geschmackvollen Tierformen in den Handel kommen. Der Fuß dieser Porzellangehäuse läßt sich abschrauben und bildet ein Gefäß, in das man eine mit Wasser verdünnte Essenz hineingießt. Der Oberteil enthält eine Glühbirne, die in die Flüssigkeit hineinreicht. Außen an dem „Luftverbesserer“ ist noch eine Seidenschnur mit einem Stecker für eine Lichtdose befestigt. Schaltet man den Stecker ein, so glüht die Birne, das ganze Gehäuse leuchtet nett, die Birne bringt die Flüssigkeit zum Verdampfen, der Dampf teilt sich durch kleine Locher der Luft mit, und man genießt Tannennadelduft oder andere Gerüche, je nach Geschmack.
Zacharias, wie ich nunmehr im Bilde, sagte wegwerfend: „Ach, die lächerliche Spielerei!! Die Morfax hätte sich lieber im Magen einen Alkoholverzehrer anbringen lassen sollen!! Das Weib soff – pardon.”
Anni blickte ihren Vater groß an.
„Väterchen, glaubst du, daß ich nur der Eule wegen das Loch in die Holzwand zwischen unseren Kabinen bohrte?!“
„Nein,” sagte Harst. „Diese Eule hatte ihre Besonderheiten, Zacharias. Miß Elsa Morfax hat im Innern des Kopfes noch einen besonderen Mechanismus angebracht, der durch einen kleinen Gummiball nebst Schlauch betätigt wird. Sie kann die Augen je nach Wunsch von innen abblenden.“
Zacharias strich sich nachdenklich über sein dünnes graues Haar. „Also … Signale!”
„Ja …“ – Harsts Goldfeder hupfte beschwingt. „Signale für jemand, der an der Reling lehnte … Das Fenster war meist offen.”
„Für den alten Mr. James Cracer,“ ergänzte Anni. „Auch ein Ekel.”
„Und ob!“ pflichtete ich bei. „Der Kerl ist total verniggert … Pflanzer an der Goldküste, kein Wunder!“
„Interessant!” meinte Zacharias und beobachtete Harald verwundert. „Läßt die Sache Sie so kalt, Herr Harst?!“
„Bei dreißig Grad wäre das sehr merkwürdig. Die Sultana läuft zwischen Tanger und Casablanca, und Cracer stieg hier nicht aus, nur die Morfax mit ihrer Eule. – Na, Annichen, – weiter nun!“
„Ach, Sie wissen ja doch schon alles,“ – das klang bitter enttäuscht. „Und ich hatte mir eingebildet, es wäre mein alleiniges Werk. – Also, die Morfax wohnt noch im Excelsior-Hotel drüben am Großen Platz. Die Eule steht abends am offenen Fenster, und die Augen klappern wie auf der Sultana: Signale! – Für wen?! Cracer ist längst in Accra. Für wen also?“
„Irrtum!“ sagte Harst. „Der Dampfer braucht von hier drei Tage bis dorthin. Cracer kann heute erst dort landen. – Jomak läßt das hiesige Telegraphenamt überwachen – auf meine Bitte. Wir werden sehen, ob die Eule an Cracer ein Kabel schickt.“
„Also wird auch die Morfax beobachtet?“ fragte Zacharias mit einer Spannung, die er bisher nicht gezeigt hatte.
Harst legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. „Kollege,“ sagte er, und er wußte, daß er Zacharias mit dieser Anrede die größte Freude bereitete, „wenn eine Frau wie diese Elsa Morfax, die die ganze Welt kennt und sicherlich nicht zu den Dümmsten gehört, es für angebracht hält, die Vorsicht im Verkehr mit James Cracer, der an der ganzen Goldküste den allerschlechtesten Ruf genießt und der bereits x-Mal vor Gericht gestanden hat, ohne daß ihm je etwas nachgewiesen werden konnte, – diese Vorsicht so weit zu treiben und zu solche eigentümlichen Verständigungsmitteln zu greifen, dann muß unbedingt dahinter etwas außerordentlich Gefährliches stecken, das heißt also: Die Morfax und dieser alte Aschantibändiger, der wie ein tückisches Raubtier ausschaute, sind irgendwie Verbündete in einer Angelegenheit, die gesetzlich unter hohe Strafe gestellt ist.“
Zacharias warf seiner Tochter einen prüfenden Blick zu. „Das mag stimmen, Herr Harst … Anni pflichtet Ihnen sogar uneingeschränkt bei. Ich sehe es ihr an. Ich selbst – ja, – ich möchte nur fragen: Kümmert sich denn die Morfax hier in Casablanca um uns?! Um Sie?! Meinen Sie, daß die Frau von Ihrer Seite aus Ungelegenheiten befürchtet?“
„Die Morfax, betone ich, setzte auch hier vom Hotelfenster aus ihr Spiel mit der leuchtenden Eule fort. Anni sah es, ich sah es, aber da der große Platz auch abends sehr belebt ist, konnte ich nicht feststellen, wem die Zeichen galten. Die Morfax hat hier ebenfalls Verbündete. Ihre Kabine auf der Sultana hatte sie bis Accra belegt, bezahlt. Dennoch ging sie hier schon an Land. Von unserer Anwesenheit auf der Sultana wußte sie nichts, wir reisten unter anderen Namen und tadellos verkleidet. Erst vorgestern erfuhr sie durch die Vorgänge im Geschäftspalast Rapsom, daß Harst, Schraut und deutsche Kriminalbeamte Casablanca beehrt hatten. Ich habe seitdem scharf acht begeben, ob wir nunmehr beobachtet werden würden. Ich habe nichts davon gemerkt. Mithin fürchtete die Morfax auf dem Dampfer irgendeinen anderen Menschen, der ihr das Spiel verderben könnte. Wen, das entzieht sich meiner Kenntnis. – So liegt die Sache vorläufig …“
Zacharias schüttelte leicht den Kopf. „Nein, so liegt sie nicht, Herr Harst …“ Er deutete auf das Meer hinaus. „Die weiße Motorjacht dort gefällt mir nicht … Sie war schon gestern den ganzen Tag über dort … Sie stellt scheinbar Lotungen an. Was gibt es da zweihundert Meter vom Strande immer in demselben geringem Umkreis zu loten?! Das ist Spiegelfechterei …!“
Laute, schrille Hupentöne erklangen plötzlich vom Gartentor her, und ein elegantes Auto, gesteuert von dem uns gut bekannten Chauffeur Jomak Beys, lockten uns alle an die Terrassenbrüstung. Der Kriminalchef, wie stets in tadellosem weißen Anzug ohne Abzeichen, nur mit dem landesüblichen Fes auf dem Kopf, sprang heraus und eilte die Stufen empor. Sein durchaus kaukasisches Gesicht, zu dem auch das Blondhaar so prächtig paßte (Jomak war eben ein Nachkömmling germanischer Eroberer, die vor langer Zeit sogar Nordafrika unterjocht hatten) verriet eine ungewöhnliche Erregung. Wir hatten uns vor kaum anderthalb Stunden am Kai von ihm verabschiedet. Was war inzwischen geschehen?!
Er begrüßte uns kurz. „Lieber Harst,“ sagte er in seinem fehlerfreien Englisch, „vor zehn Minuten ist auf dem Dachgarten des Hotel „Mogador“ der englische Oberst Mac Olden erschossen aufgefunden worden.“
Jomaks Aufregung war verständlich. Mac Olden, Oberst außer Dienst, diplomatischer Vertreter Englands hier in Casablanca, Junggeselle, sehr reich, etwas Sonderling, spielte in der Europäerkolonie mit die Hauptrolle, – ein sehr ruhiger, liebenswürdiger Gentleman, eifriger Sportler, kaum vierzig, bestechende Erscheinung. Sehnsucht aller Mütter mit ledigen Töchtern, Vollblutbrite, sehr klug, sehr belesen, sehr vorsichtig, jedes Wort abwägend … Den Eindruck hatte ich von ihm gestern abend im Klubhause empfangen, wohin er uns eingeladen hatte.
„… Begleiten Sie mich, Harst … Ich habe den Dachgarten absperren lassen, ich habe dort nichts angerührt …“ – Jomak war übernervös. „Es wird ungeheures Aufsehen erregen, Harst, … Bedenken Sie, Mac Olden weilte hier seit Monaten in besonderer Mission … Nicht einmal ich weiß, worum es sich dabei handelt. Der Sultan – Allah schütze und erhalte ihn! – hatte uns angewiesen, ihm mit besonderer Auszeichnung zu begegnen. Er bewohnte vier Prunkräume im Mogador, er war ganz allein auf dem Dachgarten, drei Kugeln erhielt er, zwei Brustschüsse, einen Kopfschuß … Niemand hat einen Schuß gehört, und das Hotel liegt doch sehr ruhig abseits der Hauptverkehrsstraßen … Kommen Sie …!“
Harst zögerte. „Ist Ihnen die Jacht dort draußen bekannt?“ fragte er merklich zerstreut.
Jomak blickte hin, ließ sich dann von Zacharias das Glas geben und stellte es sorgfältig ein.
Wir sahen, daß das kleine schnittige Fahrzeug plötzlich wendete und Kurs in die offene See nahm.
„Nein, ich kenne es nicht,“ erklärte Jomak. „Es führt auch keine Flagge …“
„Es führte eine,“ sagte Zacharias Rummel ernst. „Und zwar die Ihres Landes, Jomak-Bey. Soeben erst wurde die Flagge eingeholt.“
Jomak schaute den hageren Mann forschend an. „Bringen Sie die Jacht mit dem Morde irgendwie in Verbindung?“
„Das nicht,“ erwiderte Freund Zacharias hastig. „Ich habe nur gesehen, daß man von der Brücke der Jacht aus mit Ferngläsern unsere Villa hier beobachtete, und ich glaubte, es konnte vielleicht ein Zusammenhang zwischen diesem fremden eleganten Fahrzeug, Miß Morfax und ihrer Eule und James Cracer bestehen.“
„Unmöglich!“ rief Jomak … „Oberst Mac Olden und Miß Morfax kennen einander nicht. Im übrigen ist diese Frau mit ihrer Signaleule zu derselben Zeit, als Mac Olden starb, auf dem Telegraphenamt gewesen. Hier ist die Depesche, die sie nach Accra aufgegeben hat … Mein Beamter ließ sich sofort eine Abschrift anfertigen. Das Kabel ist adressiert an Howard Morfax, Accra, Goldküste, Morfax-Haus, – der Text lautet:
Habe Fahrtunterbrechung nicht bereut, hier durch Harst-Berlin Firma Rapsom schwer bloßgestellt, abreise morgen Wiedersehen Elsa Morfax, Excelsior, Casablanca.
Ein zweites Kabel sandte sie an die Times nach London – wie schon vorgestern, es betraf lediglich den Fall Rapsom und enthielt Einzelheiten, die ihren ersten Bericht ergänzen sollten.“
„Also hat sie einen Verwandten in Accra,“ meinte Harald gleichgültig. „Vielleicht einen Bruder … Das interessiert mich wenig. Wichtiger sind mir die Platanenzweige dort oben …“ Er zeigte auf den höchsten Baum unseres Gartens. „Gestern hatte die Platane noch eine volle Krone … Heute fehlt dort ein Stück … ein paar Äste, aber auch das mag nebensächlich sein – wahrscheinlich, obwohl … – also dann vorwärts, Jomak … Wir nehmen den Kollegen Zacharias und Anni natürlich mit. Anni hat große Fertigkeit darin, durch ein Brett zu schauen, nachdem sie ein Loch hineingebohrt hat, und Zacharias fiel ebenfalls die weiße Jacht auf. Wir können in diesem Falle jede Kraft gut brauchen – jede … Hier geht’s nicht um Kleinigkeiten, lieber Jomak, – dieser Mord hängt doch mit der vertrockneten Eulen-Miß zusammen, behaupte ich, – und ich werde Ihnen das sehr bald beweisen …“ –
Das Hotel Mogador ist mehr ein Luxuspensionat. Es liegt von der Villa Rapsom keine vierhundert Meter entfernt auf einer flachen Erhebung, hat drei Stockwerke, bildet abends den Sammelpunkt der ganz exklusiven Europäerkreise, auf dem Dachgarten konzertiert dann eine erstklassige Jazzband, man tanzt, schlürft unter den riesigen Seidenschirmen an Marmortischen teure Eisgetränke, flirtet, klatscht, amüsiert sich und genießt die Aussicht auf die mondbeschienene See oder die ausgedehnte, eigenartige Stadt, in der sich Orient und Okzident feierlich die Hände zu gemeinsamem Erwerb reichen.
Das Mogador gehört einer Schweizerin, Witwe eines Hoteliers, – einer Frau mit borstigen Haaren auf den falschen Zähnen … Mit Frau Therese Höldy ist nicht gut Kirschen essen. Sie hält auf strenge Zucht, sie soll ihren braunen Angestellten gegenüber ein sehr lockeres Handgelenk haben, – sie empfing uns mit eisiger Ruhe und nahm die Ermordung Mac Oldens scheinbar ohne Anteilnahme hin. –
Der Dachgarten wird am Tage kaum benutzt. Was den Oberst hier nach oben gelockt hatte, blieb unklar.
Mac Olden lag dicht an der westlichen Brüstung halb auf der Seite. Der Polizeiarzt untersuchte jetzt den Toten, während der Photograph den Apparat schon wieder einpackte und zwei Kriminalbeamte, Araber mit intelligenten Gesichtern, die nötigen Messungen anstellten.
Harst und wir anderen hielten uns mehr im Hintergrund. Jomak diktierte dem Protokollführer das Ergebnis des ärztlichen Befundes, – ein paar Hotelangestellte wurden auch bereits vernommen: Es war das exakte Arbeiten einer sorgfältigen Maschinerie, – nicht anders wie daheim in Berlin.
„… Mac Olden empfing die Kugeln aus naher Entfernung von vorn,“ diktierte Jomak. „Die Brustschüsse waren bereits tödlich, der Kopfschuß muß als letzter getroffen haben. – Kaliber der Waffe etwa sieben Millimeter, glatter Einschuß, glatter Ausschuß, keine wesentliche Vergrößerung der Ausschußwunden.“
Der Arzt trat ab.
Jomak durchsuchte Mac Oldens Taschen. Der Protokollführer schrieb:
„Der Tote, gekleidet in einen weißen Leinenanzug, ohne Hut, hatte in den Taschen: Zigarettenetui, seidenes Tüchlein, Portefeuille mit dreißig Pfund in kleineren Noten, Briefe, Zeitungsausschnitte, Taschenbürste, Messer, goldene Kapseluhr mit dünner Platinkette, Schlüsselbund mit vier Kofferschlüsseln …“
Es folgte erneut die Befragung der Hotelangestellten. Sie ergab mit aller Bestimmtheit, daß sich außer Oberst Mac Olden niemand hier oben befunden hatte. Ein Hausdiener hatte gerade den letzten Absatz der Treppe gesäubert, Olden war an ihm vorübergegangen, der Araber hatte ihm nachgeschaut, der Oberst war sehr eilig nach der Westseite des Dachgartens gelaufen – gelaufen!, betonte der Mann, – weiter wußte dieser nichts, da er seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, bei der ihn dann ein Kellner störte, der nach Mac Olden fragte, – der Oberst würde am Telephon verlangt. Der Kellner fand Mac Olden tot auf der Seite liegend vor – in einer kleinen Blutlache, – stürzte ins Hotelbüro und meldete das Geschehene seiner Herrin, die dann ebenso umgehend die Polizei verständigte. – Der Hausdiener kam als Täter nicht in Frage. Er hatte sich in der kritischen Zeit während des Säuberns der Treppe mit dem Liftboy unterhalten, der vor der Fahrstuhltür im dritten Stock gestanden hatte. –
Jomaks Urteil über diesen Tatbestand lautete: Mac Olden wurde von einem Unbekannten erschossen, der die an der Westfront des Hauses angebrachte eiserne Feuerleiter erklettert hatte und nachher auf demselben Wege in den Hotelgarten entkam.
„Und Ihre Ansicht, Harst?“ fragte er dann etwas zaghaft.
Zacharias, Anni und wir beide saßen unter einem der großen bunten Gartenschirme und hatten bisher nur Zuschauer gespielt. Mac Oldens Leiche war fortgeschafft worden, die anderen Beamten hatten sich ebenfalls entfernt. Nun sollte also Harald reden. Aber Jomaks Blick war bei dieser Frage auch über Annis pikantes Gesichtchen hingeglitten. Mir hatte es schon gestern ganz so geschienen, als ob der blonde Araber und Gentleman und Kriminalchef, der durchaus einem sehr sonnverbranntem Europäer glich, für Annichen weit mehr Interesse bekundete, als dies die weltmännische Höflichkeit verlangt hätte. Es wäre auch nicht wunderbar gewesen, wenn Anni in ihm wärmere Empfindungen ausgelöst hätte. Dieses ranke, schlanke, zierliche, dabei so frische, kraftvolle Mädel besaß einen natürlichen Charme, der unbedingt bestach. Sie fiel auf. Sie hielt sich sehr gerade, sie hatte köstlich-abgerundete Bewegungen, in denen verhaltene Kraft lag.
Haralds Augen wanderten nun gleichfalls zu Annis nachdenklichem Gesichtchen hinüber, ihre Blicke begegneten sich, beide lächelten unmerklich und schauten gleichzeitig in das Innere der Wölbung des Schirmes empor, der uns vor den sengenden Strahlen der Sonne schützte.
„Nun, Kind?!“ meinte Harst in seiner gemütlich-vertraulichen Art. „Bitte – Vortrag!“
Anni fragte Jomak: „Fanden Sie Erdteilchen auf den Leitersprossen?“
„Ja, ganz frische.“
„Haben Sie das Personal auch darüber ausgeforscht, ob nicht einer der Leute die Leiter heute benutzt hat?“
„Das allerdings nicht … Wer sollte auch die Leiter emporklettern?!“ Aber Jomaks Stimme verriet Unsicherheit …
Anni deutete auf den Fliesenboden des Dachgartens. „Die bunten Bastmatten hängen dort über der Brüstung zum Trocknen, – der Boden ist noch feucht, in den Fugen steht Wasser. Man hat hier gesprengt. Es gibt hier zwei Wasserhähne mit Gewinde zum Anschrauben eines Sprengschlauches, – dort der eine, dort der andere. Möglich, daß der Gärtner mit demselben Schlauch den Hotelgarten sprengt und es vorzieht, die Leiter zu benutzen.“
Harst nickte. „Es war der Gärtner. Ich habe vorhin Frau Höldy gefragt. Der Gärtner hat hier kurz vor Mac Oldens Ermordung wie jeden Vormittag gründlich gesprengt.“
Jomak war nicht empfindlich. „Dann ist meine Theorie falsch,“ sagte er achselzuckend.
Anni wollte ihm offenbar ein wenig behilflich sein, die richtige Fährte zu finden. Sie erklärte schlicht: „Der Polizeiarzt hat mit dazu beigetragen, den Tatbestand zu verdunkeln. Hier in diesem Schirmstock steckt eine Kugel. Herr Harst dürfte nicht ohne Absicht diesen Tisch gewählt haben. Dort ist der Kugeleinschlag, Jomak-Bey. Die Kugel sitzt nicht allzu tief. Schneiden Sie sie heraus.“
Der junge Kriminalchef von Casablanca blickte an dem Schirmstock entlang, und seine Augen hafteten schließlich auf einigen Löchern in der bunten Schirmseide. Er erhob sich schnell und meinte kopfschüttelnd: „Das ist sehr merkwürdig! Es müssen Kugeldurchschläge sein, ich zähle acht Löcher, genau genommen sechszehn, – die Kugeln haben die Seide oben infolge der Wölbung des Schirmes an zwei Stellen durchschlagen.“
Er nahm sein Taschenmesser und wollte nun das Geschoß aus dem Holz entfernen. „Bemühen Sie sich nicht,“ sagte Harst und streckte ihm die linke Hand hin. In dieser Hand lagen ein Stückchen Marmor von der Kante einer Tischplatte und ein flach gedrücktes Stück Blei, dem man jedoch noch die ursprüngliche völlig runde Kugelform ansehen konnte. „Jomak, dies ist für heutige Waffen ein sehr ungewöhnliches Geschoß, nur ein größerer Rehposten, freilich Hartblei, aber ohne jeden Nickel- oder Kupferüberzug, wie ihn doch die modernen Langbleigeschosse besitzen. – Fräulein Anni, – was nehmen Sie an?“
Anni entgegnete prompt: „Der Mörder erschoß den Oberst von einem der Bäume des Hotelgartens aus. Ich denke, dort jener hohe Baum dürfte mit seiner dichten Krone ein vorzügliches Versteck abgeben. Wenn der Täter eine Pistole benutzte, deren Patronen er verändert hatte, indem er die Rundbleikugeln in die Hülsenöffnung drückte, wenn er ferner einen Schalldämpfer auf den Lauf steckte, so vermied er zweierlei: Erstens, die Ausschußöffnungen im Körper wurden infolge des Rundbleis nicht wesentlich größer als die Einschüsse, zweitens, die Detonationen wurden zu geringen unauffälligen dumpfen Knallen. – Der Arzt entschied: Aus nächster Nähe ermordet! Er kam zu diesem Trugschluß durch die Ausschußöffnungen. – Der Mörder ist sehr schlau vorgegangen.“
„Und muß ein miserabler Schütze sein,“ fügte Jomal hinzu. „Da – acht Kugellöcher im Schirm! Dazu die drei tödlichen Treffer, ferner die Kugel, die den Tischrand traf: Der Mensch hatte zwei Pistolen bei sich!“ Er streifte Harsts Gesicht mit raschem Blick. „Sind Sie anderer Meinung?“
„Der Mann,“ erwiderte Harald mit allem Nachdruck, „hatte mehr präparierte Patronen zur Verfügung, als man ohne weiteres annehmen konnte. Sein Opfer lockte er hier auf den Dachgarten und zwar an die westliche Brüstung. Wie gelang ihm dies? – Ich denke, wir besichtigen jetzt einmal Mac Oldens Zimmer, dann kommt der Baum an die Reihe. Bäume spielen hier überhaupt eine Rolle. Bei uns in der Villa Rapsom hat man nachts mit einer Säge den Platanengipfel gelichtet. Ihr solltet das nicht vergessen! – Gehen wir!“
Die vier Prunkräume Mac Oldens lagen nach Norden hinaus, hatten große Balkons und waren sicherlich sehr teuer. Vor den beiden Flurtüren standen Jomaks Wachen. Als wir den Salon betraten, fanden wir zwei weitere Kriminalbeamte vor, die hier die drei Diener Mac Oldens bisher scharf im Auge behalten hatten. Der Kammerdiener war ein älterer, kleiner krummbeiniger Engländer, ein früherer Bursche des Obersten, der Reitknecht ein Araber und der Chauffeur, zugleich auch Privatsekretär, ein Mischling. Diese drei, auch bereits zu Protokoll vernommen, hatten nichts von Bedeutung bekunden können. Allan Fraser, der Kammerdiener, war seit zehn Jahren Mac Oldens Vertrauter und ständiger Begleiter. Auf ihn fiel keinerlei Verdacht, etwa mit dem Mörder irgendwie verbündet zu sein. Auch der Chauffeur und Sekretär Rabradi Sakore, ein Inder mit viel weißem Blut in den Adern, diente seinem Herrn schon fünf Jahre. Nur der Reitknecht war erst hier in Casablanca vor fünf Monaten gemietet worden. Jomak kannte den Mann und hatte ihn Mac Olden als zuverlässig empfohlen.
Allan Fraser führte uns durch die Zimmer und berichtete nochmals, was der Oberst an diesem Vormittag getan hatte. Wie immer war Mac Olden von halb acht bis halb neun mit dem Reitknecht ausgeritten. Um halb neun hatte er in seinem Arbeitszimmer seine Korrespondenz erledigt und den Inder mit einigen Briefen zur Post geschickt. Gegen halb zehn hatte er Fraser gerufen und sich Zigaretten holen lassen. Als Fraser zurückkehrte, war sein Herr bereits tot aufgefunden worden. Der Reitknecht hatte sich nach dem Morgenritt in den Stallungen aufgehalten und war überhaupt nicht mehr im Hotel gewesen.
Mac Oldens Arbeitszimmer interessierte Harst am meisten. Der Schreibtisch stand rechts neben der offenen Balkontür. Die Schreibtischplatte enthielt eine Menge Bücher, Zeitschriften, Papiere, – alles ohne Belang.
Harst nahm im Schreibsessel Platz und schaute durch die offene Tür über die staubige Straße hinweg. Auf der anderen Straßenseite zog sich eine hohe Parkmauer hin.
Dann besichtigte er die Dinge auf dem Schreibtisch. Rechts neben dem Schreibzeug aus Kunststein lag ein Stückchen von einem rotbraunen Ziegelstein, kaum faustgroß. Er nahm es und drehte es hin und her, schaute wieder über die Straße hinweg auf die Parkmauer und dann auf die grüne Löschblattunterlage. Unter dieser lag ein zerknitterter Zettel. Das Löschblatt hatte sich deshalb an der einen Stelle etwas gewölbt. Er strich den Zettel glatt, las und reichte ihn Jomak …
„Maschinenschrift … Reiseschreibmaschine, kleine Typen, Text:
Kommen Sie punkt halb zehn auf den Dachgarten, Westseite, bei der Feuerleiter.
Rohrstuhlgeflechtkünstler I, II, V.
Eine sonderbare Unterschrift, finde ich,“ meinte Harst. „Der Zettel ist vorsichtshalber gänzlich mit Fett durchtränkt, damit er keine Fingerabdrücke annimmt. – Ich rechnete damit, ihn noch zu entdecken. Wir wußten, daß Mac Olden nicht telephonisch auf das Dach bestellt worden war, daß auch kein Fremder in der fraglichen Zeit das Hotel betreten hatte. Wir wußten weiter, daß der Oberst noch nie in der glühenden Tageshitze den Dachgarten besucht hatte. Also konnte er die Anforderung nur kurz vor der Tat durch einen Zettel, der um einen Stein gewickelt und hier ins Zimmer geschleudert war, erhalten haben. Natürlich muß ihm die seltsame Unterschrift „Rohrstuhlgeflechtkünstler I, II, V.“ bekannt gewesen sein. Der Inder Sakore und Fraser betonten, ihr Herr hätte vor ihnen sehr viele Heimlichkeiten gehabt. Niemand kennt so recht Mac Oldens Mission hier, nicht einmal Sie, Jomak-Bey, sind eingeweiht. – Fragen wir nochmals die beiden Leute, die sicherlich mit so manchem vor uns zurückhalten.“
Der Inder und der kleine, kummbeinige Diener wurden gerufen.
Fraser erklärte: „Wenn irgend jemand den aufrichtigen Wunsch hat, daß der Mörder gefaßt wird, bin ich’s … Das innige Verhältnis zwischen meinem armen Herrn und mir kennt jeder hier. Wenn Sie, Mr. Harst, von mir nun im Interesse der polizeilichen Ermittlungen verlangen, alles zu sagen, was ich über die Tätigkeit meines Vorgesetzten weiß oder vermute, muß ich meine früheren Angaben erheblich erweitern. Der Herr Oberst, betone ich, führte seit seiner Verabschiedung vor fünf Jahren – so lange ist auch Rabradi Sakore bei uns – ein sehr unstätes Leben. Wir sind dauernd unterwegs gewesen, bald monatelang in Australien, bald nur einige Wochen in China, Japan oder sonstwo. Stets reiste mein Herr angeblich in besonderer diplomatischer Mission für das Handelsministerium in London, stets wurden wir, wo es auch war, auf das zuvorkommendste behandelt. Daß ein Kammerdiener wie ich selbst bei noch so großer Vorsicht seines Herrn allerlei herausfindet, ist wohl selbst-verständlich. Der Oberst besitzt zum Beispiel Koffer, die sämtlich Geheimfächer mit sehr sorgfältig verborgenen Kunstschlössern haben. Durch einen Zufall merkte ich dies. In den großen Schrankkoffer ist auch ein Kristallspiegel eingebaut. Beim Putzen dieses Spiegels berührte ich einen der Zierknöpfe, der Spiegel klappte herab, und in dem dahinter liegenden Fach sah ich Perücken, Bärte, Schminken, Farbwässer und vieles andere. Ein zweiter Koffer enthält eine schmale, große Stahlkassette. Der Koffer ist aus lederüberzogenem Aluminium angefertigt, die Kassette scheinbar an den Bodenteil angenietet. Unter der Kassette gibt es ein größeres Fach mit vier Anzügen oder besser Maskenkostümen, sogar ein Damenkleid ist darunter. – Ich will nicht zu ausführlich werden. Jedenfalls hat mein Herr diese Verkleidungsstücke zweifellos sehr häufig benutzt. Er blieb auch oft ganze Tage und Nächte weg, selbst hier in Casablanca. Meines Erachtens war er ein höherer Beamter der geheimen politischen Polizei des Auswärtigen Amtes. – Was das Ziegelsteinstück betrifft: Ich habe hier sehr häufig im Papierkorb solche Steinstücke gefunden. Einen Zettel mit der Unterschrift jedoch nie. Mein Herr war bei all seiner Güte sehr verschlossen und sehr mißtrauisch. Er ließ niemals Schriftstücke umherliegen. Ich fand jedoch sehr oft Aschenreste von Papier im Aschbecher. Er duldete niemals Hotelbedienstete in seinen Zimmern. Überall, wo wir abstiegen, legte er Wert darauf, im ersten Stock zu wohnen, die Fenster mußten stets entweder nach dem Garten oder einer Nebenstraße hinausgehen. Er besitzt eine seidene Strickleiter mit Haken zum Festklammern und mit Schnüren zum Emporziehen. Diese Strickleiter diente ihm wohl dazu, nachts unbemerkt seine Zimmer zu verlassen. Sakore und ich mußten stets neben seinem Schlafzimmer untergebracht werden – wie hier. Es mußte eine Verbindungstür zwischen den Zimmern vorhanden sein, – anderseits fügte er in alle Türschlösser amerikanische Schloßsicherungen ein, so daß das Hotelpersonal ausgesperrt war. Viermal sind nachts auf ihn Anschläge verübt worden, – er sicherte jedoch auch Fenster und Balkontüren durch besondere Alarmvorrichtungen. In Hongkong erschoß er nachts zwei Chinesen, – die Alarmglocken funktionierten damals nicht, und die Gelben hätten ihn im Schlaf erstochen, wenn er – – in seinem Bett gelegen hätte. Er schlief nie im Bett, sondern nur auf einem Diwan, das Bett richtete er so her, als ob darin jemand läge, er besitzt einen aus starkem Gummi gefertigten, aufblasbaren Kopf mit einer Perücke, der ihm entfernt gleicht. Dieser Gummikopf, Sakore wird das bestätigen, täuschte einen schlafenden Menschen vor. – Der Oberst muß erbitterte Feinde haben. Er fürchtete sich vor nichts, er besaß jenen Mut, der nie in Tollkühnheit ausartet, er war stets Herr seiner Nerven, er traute niemandem, er kannte die Menschen, zweimal hatte er mich selbst verkleidet auf die Probe gestellt und mir Riesensummen geboten, wenn ich den „Oberst“ vergiften würde. Auch Sakores Treue prüfte er auf die gleiche Weise. Wir hingen an ihm mit fast hündischer Ergebenheit, denn er war eine Persönlichkeit, die jeden leicht für sich gewann.“
Der Inder hatte zu diesen abenteuerlichen Angaben wiederholt genickt. Er ergänzte Fraser durch folgendes:
„Als ich zu Mac Olden kam, hatte ich gerade in Cambridge meine Studien beendet. Ich habe Anrecht auf den Titel eines Doktors der Staatswissenschaften, ich war jedoch arm, und so trat ich in Mac Oldens Dienste, der mich stets als Gleichgestellten behandelt hat. Mein Gehalt war fürstlich, meine freie Zeit gestattete mir, meine Studien fortzusetzen, ich führte ein sehr angenehmes Leben, – es trifft jedoch zu, was Fraser vorhin erklärte: Der Oberst traute niemandem völlig, auch uns nicht. – Ich glaube, was seine Tätigkeit angeht, genau dasselbe, was Fraser annimmt: Mac Olden war Detektiv! Worin seine Aufgaben bestanden, die uns durch alle Erdteile führten, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie waren jedoch zweifellos höchst gefährlicher Art. – Seine Briefe, die er mir datierte, gingen zumeist an seine Mutter in London und enthielten belanglose Dinge. Ich hatte den Eindruck, daß diese Brieftexte irgendwie eine zweite Bedeutung haben mußten, bin jedoch nie dahinter gekommen. Die Briefe, die er selbst schrieb, brachte er immer persönlich zur Post. Die Schreiben, die er erhielt, ebenso die zahlreichen Depeschen, kamen sämtlich von seiner Mutter oder waren Freundesbriefe. Er verstand es vortrefflich, seine Geheimnisse zu verbergen, er verkehrte nirgends, in keiner Stadt mit Polizeibeamten, er empfing nie Besucher, nur man räumte ihm überall jedes Hindernis aus dem Wege, man beschützte ihn unauffällig, man erfüllte ihm jeden Wunsch, – in Tokio erlebten wir es, daß für ihn in einer Stunde ein Kreuzer seeklar gemacht wurde, mit dem wir nach Hongkong dampften, – aber unterwegs stiegen wir auf eine Privatjacht über, die einem amerikanischen Millionär gehörte. Wir erlebten unendlich viel Merkwürdiges, wir erlebten jedoch nichts, was die Schleier gelüftet hätte, die Mac Oldens Tun umgaben. – Hier in Casablanca, Mr. Harst, wiederholte sich das alte Spiel. Am Tage ging der Oberst lediglich seinen sportlichen Neigungen nach, abgesehen von der Vormittagsstunde, die der Erledigung der Korrespondenz gewidmet war. Nur insofern trat heute etwas Außergewöhnliches ein, als er mich mit Briefen zur Post schickte. Es waren drei: Der eine an seine Mutter gerichtet, der zweite an Major Scammon in Accra, der dritte an seinen Freund General Powder in London.“
„Accra?!“ warf Harald ein. „Jomak, lassen Sie diese drei Schreiben sofort anhalten. – Weiter, Mr. Sakore …“
„Nun die Zettel mit der eigentümlichen Unterschrift: „Rohrstuhlgeflechtkünstler“! – Fraser erklärte, er habe nie einen solchen Zettel bemerkt. Das wird wohl stimmen, – er fand nur noch Steine und Asche, ich fand jedoch an verschiedenen Tagen und in großen Zwischenräumen drei solcher Nachrichten. Der Oberst hatte sie stets hier unter die grüne Löschblattunterlage geschoben und dann wohl vergessen. Der erste dieser fettigen, zerknitterten Zettel, die noch Spuren von rotbraunem Ziegelmehl zeigten, hatte folgenden Inhalt:
Vorsicht. Abgereist. Nachts wie bisher.
Rohrstuhlgeflechtkünstler V, III, I.
Beachten Sie, Mr. Harst, die Ziffern hinter der Unterschrift. – Der zweite lautete:
Die Datteln reifen. Der Sack wird gefüllt werden. Morgen nacht Garten.
Rohrstuhlgeflechtkünstler III, I, II.
Der dritte, und den fand ich vorgestern:
Berliner hier. Doppelte Vorsicht. Nicht mehr nachts. Mißtrauen.
Rohrstuhlgeflechtkünstler I, II, III.
Ich glaube mich nun wohl kaum zu täuschen, wenn ich vermute, daß mit „Berliner“ Sie und Ihr Freund gemeint waren. Ich mag mich täuschen. Es ist aber zu seltsam, daß vorgestern hier bekannt wurde, daß Sie den sträflichen Nebenerwerb der Firma Rapsom aufgedeckt hatten, und Sie und Ihr Freund sind Berliner, Mr. Harst. Weshalb, frage ich mich nun als Laie, – weshalb brauchte der Verbündete Mac Oldens, den niemand hier kennt, von dem ich nie etwas bemerkt habe, ihn vor den Berlinern zu warnen?! Wüßte ich nicht, daß der Oberst in seiner so vollkommen verschleierten Tätigkeit in jeder Beziehung einwandfrei ist, so konnte man fast den Gedanken weiterverfolgen, er sei vielleicht ein internationaler Schwindler oder Verbrecher ungewöhnlichen Formats, seine Reisen hätten nur Raubzüge dargestellt und seine Empfehlungen an ausländische Regierungen wären freche Fälschungen. Möglich ist heutzutage alles …“
Daß wir diesen Äußerungen eines Mannes, der sich als Studierter, als Jurist und tadelloser Gentleman entpuppt hatte, mit noch größerer Spannung lauschten wie denen des etwas schwerfälligen Allan Fraser, war begreiflich. Vor uns tat sich hier ein förmliches Wunder auf, wir blickten in ein Menschendasein hinein, das seit Jahren nur aus vieldeutigen Geheimnissen sich zusammensetzte.
Harsts nächste Frage an den Inder, einen sehr Sympathischen Menschen, traf sozusagen den Nagel auf den Kopf.
„Mr. Sakore, haben Sie vielleicht auch in anderen Städten, die Sie mit Mac Olden besuchten, bemerkt, daß er auf ungewöhnliche Art Nachrichten empfing?“
Rabradi Sakore bejahte. „Überall spielte sich Ähnliches ab … Ich kann wohl mit Recht behaupten, daß der oder die Verbündeten Mac Oldens äußerst phantasievolle Leute sein müssen, denn die Art der Nachrichtenübermittlung wechselte beständig. Einmal in New York im Walldorf-Astoria-Hotel wurden von oben Apfelsinenschalen auf unseren Ballon hinuntergeworfen, sie enthielten, eingeritzt in die Innenhaut, ähnliche knappe Anweisungen. Ein andermal in Berlin operierte jemand mit einem Heliograph, in Rom … – aber dies alles ist schließlich nebensächlich. – Noch etwas mochte ich betonen: In keinem fremden Lande trat Mac Olden zu den offiziellen Vertretern Englands, zu Konsuln, Gesandten oder dergleichen in Beziehung – genau wie hier, er mied sie sogar, er machte ihnen einen Antrittsbesuch, indem er mich mit einer Besuchskarte hinschickte, – das war alles. Seine Besuche wurden auch nie erwidert, nicht einmal in dieser rein pflichtgemäßen Form der Kartenabgabe.“
Harst hatte sich eine seiner Mirakulum angezündet, – er saß noch immer in dem Schreibsessel, die linke Hand spielte mit dem letzten durchfetteten Zettel, der den Oberst vor die Mündung der Pistole seiner Feinde gelockt hatte. – Anni lehnte an der Schreibtischkante, ihre Augen ruhten gedankenverloren drüben auf der Parkmauer, deren Oberrand mit hellem Zement bedeckt war, in dem lange scharfe Glassplitter steckten. Ich beobachtete sie still.
Noch einer beobachtete sie: Jomak-Bey, freilich mit anderen Augen. Er sah in ihr wohl nur das Weib. Und sie?! Bisher hatte sie immer, wenn von Liebe und Heiraten einmal im Scherz unter uns die Rede gewesen war, sehr ernst erklärt, sie würde sich nie von ihrem Vater trennen. – Jetzt aber?! In jedem Mädchenherzen erwacht plötzlich das große, heilige Sehnen …
Meine Gedanken waren abgeirrt. Ich hatte nicht mehr darauf geachtet, was Harald soeben gesagt hatte, – ich fuhr zusammen, – Anni hatte blitzschnell die große Marmorbüste ergriffen, die auf der rechten hinteren Ecke des Schreibtisches stand, hatte diese schwere, etwas unkünstlerische Büste Seiner Majestät des Sultans von Marokko ebenso blitzartig emporgeschwungen, sich vorgebeugt, die Büste sinken lassen und sie als Schild vor Haralds Kopf gehalten …
Fast gleichzeitig ein scharfes, helles Aufklatschen, – Marmorsplitter flogen umher, – Annis Stimme schrillte:
„Schnell – drüben im Park, – – schnell, Jomak!!“
Jomak-Bey, der Inder Sakore und zwei von Jomaks Beamten stürzten auf den Ballon, kletterten über das Geländer, hingen dann einen Augenblick über der Straße, ließen sich herabfallen, – die Tiefe war unbedeutend, – rannten zur Mauer, bildeten eine lebende Leiter, – Jomak warf seine Jacke auf die Glasspitzen, – seine Signalpfeife schrillte …
Und doch, – in dem großen Park, der dem französischen Generalkonsul gehörte, war nichts mehr zu entdecken, – der Schütze, den Anni gerade noch im letzten Moment in einer Baumkrone bemerkt hatte, war entkommen.
Seine Majestät, der Sultan, hatte die Nase verloren, die Kugel hatte die Nasenspitze getroffen, und was wir nachher an Bleispritzern fanden, bewies einwandfrei, daß es sich hier abermals um eine richtige Hartbleikugel gehandelt hatte.
Annis Geistesgegenwart verdiente höchstes Lob. Lachend wies sie jedoch Haralds herzliche Dankesworte zurück … „Der Bursche hatte ja vorbeigeschossen! Mindestens eine Handbreit! Es war ein Araber, Herr Harst. In gelbem Anzug mit hohem Fes …“ –
Inzwischen war der Beamte, den Jomak nach der Post geschickt hatte, mit den drei Briefen zurückgekehrt. Auch die vier Verfolger des Attentäters hatten sich wieder eingefunden … Das Bild in Mac Oldens Arbeitszimmer war das gleiche, nur – dem Sultan auf der Schreibtischecke hatte der Zwischenfall die Allerhöchste Nase gekostet.
Jomaks strahlende Augen ruhten eine Weile bewundernd auf Anni. Dann öffnete er die Briefe. Der an Mac Oldens Mutter und der zweite an des Obersten Freund enthielten nichts Wichtiges. Nur der nach Accra an Major Berty Scammon, Accra, Gouvernement, bestimmte gab uns allen neue Rätsel auf. Er enthielt nur wenige Zeilen in Mac Oldens grob hingehauener, schmuckloser Schrift:
Casablanca, Datum d. P.-St.
Lieber Berty,
ich hoffe zuversichtlich, daß meine jahrelange Arbeit nun endlich von Erfolg gekrönt sein wird. Das Netz zieht sich zusammen. Du hast Deinerseits nichts mehr zu tun, als die Betreffenden wie bisher ganz unauffällig im Auge zu behalten. Zur Zeit habe ich auch die hiesigen Fäden fest in der Hand.
Wiedersehen.
Dein
Mac.
Harst nahm dem Krimmalchef das Schreiben ab. „Gestatten Sie … Ich möchte ein kleines Experiment vornehmen. – Sagen Sie, Fraser, trank der Oberst sehr gern Milch?“
„Nur so viel wie nötig,“ meinte der ältliche, bärbeißige Kammerdiener seufzend.
„Und doch hat er vom Frühstück das Milchnäpfchen zurückbehalten. Dort steht es hinter der Vase.“
„Das tat er häufiger,“ erklärte der Inder ebenso bekümmert wie Fraser. Den beiden war erst allmählich bewußt geworden, daß die guten Tage nun vorüber seien. Einen neuen Herrn, der so glänzend zahlte und so wenig verlangte, würden sie so leicht nicht wiederfinden.
Harst wandte sich an einen der Beamtem „Holen Sie mir eine flache Schale und Brennspiritus.“
In wenigen Minuten war das Gewünschte zur Stelle.
Harst goß Spiritus in die Schale, brannte ihn an und hielt den ausgebreiteten Briefbogen über die Flamme. Das Papier wurde gelb … Aber der Erfolg blieb aus.
Da drehte er den Bogen um und bräunte die leere Innenseite. Was ich vermutet hatte, geschah: Auf dem verfärbten Papier traten deutlich braune Buchstaben hervor.
„Mac Olden hat mit Milch geschrieben,“ meinte Harst. „Eine sehr harmlose Art von unsichtbarer Schrift …“ – Er überflog die Zeilen. „Hm – Sie sind ja Ihrer Leute sicher, lieber Jomak … Ich werde vorlesen:
Casablanca, den 16. Juli 192…
Mein letzter Wille.
Da ich auch hier andauernd beobachtet werde und mit einem Attentat rechne, bestimme ich für den Fall meines Todes Folgendes. – Ich ernenne den Major Berty Scammon, Polizeichef in Accra, Goldküste, zu meinem Testamentsvollstrecker. Ich habe zwei gleichlautende Testamente den heute an meine Mutter und an meinen Freund General Warren Powder, London, gerichteten Briefen anvertraut. – Mein Vermögen, das von der City-Bank, London verwaltet wird, beträgt etwa eine halbe Million Pfund Sterling. Hiervon sollen erhalten
Sollte Letztgenannte vor mir sterben, so soll der ihr zustehende Nachlaßanteil gleichmäßig unter die Erben 1-4 verteilt werden, mit der einen Einschränkung, daß der zu 4. genannte Verein insgesamt nur 20 000 – zwanzigtausend – Pfund Sterling erhält.
Percy Richard Mac Olden,
Oberst a. D.
Allan Fraser begann kläglich zu schluchzen … Der Inder beschattete die Augen mit der Hand, auch er war tief gerührt.
In dieses Schweigen, das nur durch Frasers leises Weinen gestört würde, platzte ein Beamter hinein. Er überbrachte Jomak-Bey eine Besuchskarte.
„Die Dame bittet sofort vorgelassen zu werden.“
Die Karte trug den Aufdruck:
Elsa Morfax
Korrespondentin der Times, London.
„Die fehlte noch!“ sagte Harald leise. „Herein mit ihr, Jomak!“
Sie kam. Wir kannten sie ja bereits vom Dampfer her, dieses Weib mit der leuchtenden Eule, das mit James Cracer aus Accra dunkle Geschäfte trieb. Sie war selbst eine Eule, die rote Nase, die Brille, der zerdrückte Strohhut, das braune schlumpige Leinenkostüm: Wie eine Weltstadtzeitung eine solche Hexe zur Korrespondentin erwählen konnte, hatten wir bisher nicht begriffen. Zuweilen geht einem erst später ein Licht auf.
Sie hatte vorgebaute Zähne, dünne Lippen, einen Anflug von Schnurrbart, kalte, stechende, hochmütige Augen und hielt sich gerade wie ein Ladestock. Sie grüßte nicht, sie schaute uns alle der Reihe nach an, zog einen Stuhl herbei, setzte sich und sagte zu Jomak:
„Sie sind der Chef der Kriminalabteilung … Ich hörte, Oberst Mac Olden ist erschossen worden. Bitte teilen Sie mir Einzelheiten mit.“
Ihre Stimme war wie sprödes Glas, schrillte, – aber es lag Energie darin.
Jomak erwiderte höflich: „Ich bin nicht in der Lage, Ihnen Material für eine lange Depesche zu liefern, Miß Morfax. Warten Sie bis zum Abend, dann gebe ich einen Bericht für die Presse aus.“
„So?! Bis zum Abend?!“ Sie grinste unverfroren. Sie knipste ihre Handtasche auf und nahm ein Telegramm heraus. „Interessiert Sie das Ergehen der Mutter Mac Oldens, Jomak-Bey? Wenn ja, so liefern Sie mir das Material, und ich lese Ihnen diese Depesche vor – von meiner Zeitung, chiffriert, Jomak-Bey, also für Sie nutzlos, falls Sie sie mir amtlich abnehmen.“
Harst winkte Jomak verstohlen zu.
Nachdem Miß Morfax alles Nötige auf ihren Notizblock stenographiert hatte, sagte sie:
„Mac Oldens Mutter und einzige Angehörige ist gestern abend elf Uhr in ihrer Villa in Westend, London, von unbekannter Hand erschossen worden.“
Die Totenstille, die diesen Sätzen folgte, zerriß durch Allan Frasers gellenden Schrei …
„Das – das kann nicht wahr sein!“ brüllte er … „Frau Mac Olden war ein Engel, war die beste, gütigste barmherzigste Dame, die je …“
Die Morfax fixierte ihn eisig.
„Wer ist das?“ fuhr sie dazwischen.
Dann erhob sie sich, trat dicht vor Fraser hin, lachte höhnisch und beugte sich zu ihm herab. Sie war zwei Köpfe großer als er. Was sie ihm zuraunte, verstanden wir nicht. Aber Fraser prallte zurück, ward leichenfahl, die Augen quollen ihm heraus, seine Linke tastete nach der Kehle, als ob ihm die Luft ausgegangen wäre, und mit einem qualvollen Gurgeln stöhnte er dann:
„Es … ist … gut …!“
Nichts weiter sagte er.
Die Morfax drehte sich gleichgültig um und meinte: „Wir kennen uns nämlich so ein wenig, der alte brave Fraser und ich … Die Freude über dieses Wiedersehen benahm ihm den Atem. – Haben Sie noch etwas zu fragen, Jomak-Bey?“
Mein Blick hatte während dieses unerquicklichen Vorganges zufällig das Gesicht Doktor Rabradi Sakores gestreift. Die etwas starre Ruhe seiner Züge, die bei so vielen Orientalen von Jugend an halb ererbte Eigentümlichkeit, halb angelernte Maske sein dürfte, war für Sekunden wie weggewischt. Ebenso schnell erlosch diese innere Flamme, wurde wohl absichtlich erstickt, und Sakore spielte abermals den mehr Unbeteiligten, dem lediglich der Tod seines Wohltäters nahe ging. Diese Trauer um Mac Olden war nicht erheuchelt. So weit bin ich doch Menschenkenner. –
Miß Morfax Frage an den Kriminalchef blieb zu-nächst unbeachtet. Frasers seltsames Benehmen hatte sowohl Jomak als auch Harst übergenug Stoff zum Nachdenken gegeben. Die unsympathische Frau wiederholte die Frage. „… Meine Zeit ist beschränkt,“ fügte sie hinzu. „Ich bin in erster Linie Korrespondentin … Also …?!“
Jomak mißfiel der anmaßende Ton gründlich. Er entgegnete schroff: „Wollen Sie sich an meinen Freund Harst wenden. Ich für meine Person hätte nichts dagegen einzuwenden, daß Sie sich entfernten.“
„Mr. Harst geht mich nichts an,“ meinte sie hochmütig. „Ich verabschiede mich also …“
Sie schritt zur Tür, hatte schon den Drücker in der Hand, als Harst ihr nachrief:
„Ich fürchte, Miß Morfax, daß Sie sich mit meiner Person viel zu nachdrücklich beschäftigen. Ich bin nicht so ungalant, ein solches Interesse nicht zu erwidern. Finden Sie die Marmorbüste dort nicht außerordentlich wertvoll?!“
Sie drehte nur den Kopf zurück. Aber die verstümmelte Marmorstatue beachtete sie nicht, und das war unbedingt ein grober Fehler. Sie schaute nur Harst mit offenem Hohn ins Gesicht und meinte anzüglich: „Die Deutschen stehen heute nicht mehr so hoch im Kurse, daß man sie zu beachten brauchte. Und Sie … schon gar nicht. Ich danke für Ihr Interesse. Verschwenden Sie dieses besser für fragwürdige Herrschaften Ihrer Umgebung.“
Dann knallte die Tür zu.
Harst lächelte still. „Sie fühlt sich sehr sicher … – Fraser, nun einmal ehrlich,“ redete er den krummbeinigen kleinen Kerl gemütlich an. „Wie steht’s um Ihre Bekanntschaft mit dieser Frau? Haben Sie etwas auf dem Gewissen?“
Fraser nickte schwach. Er hockte jetzt ganz gebrochen auf seinem Stuhl. „Mr. Harst, – es hat wohl jeder einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit. Ich betone, der Oberst wußte darum. Ich habe in Bombay in einer Hafenkneipe in der Trunkenheit bei einer Rauferei drei braune Banditen niedergeknallt und mich dann schleunigst gedrückt. Zufällig war Miß Morfax, damals schon Korrespondentin für die Times, studienhalber ebenfalls in der Spelunke. Vorhin raunte sie mir hier zu: „Sie sind der Mensch, der drei Hafenkulis zu Krüppeln schoß … Ich erkenne Sie wieder … Ich habe Sie damals nicht verraten und werde es auch jetzt nicht tun.“ – Das war alles, Mr. Harst. Sie können sich denken, wie mir der Schreck in die Knochen fuhr! Die Sache liegt ja fünf Jahre zurück …“
„Hm, man sollte Ihnen lieber keine Pistole anvertrauen, mein guter Fraser,“ sagte Harald mehr scherzend.
Hiermit war auch das Thema erledigt, und wir wandten uns anderen Dingen zu, durchsuchten Mac Oldens Koffer, fanden die Verkleidungsrequisiten, fanden jedoch sonst auch nicht einen Fetzen Papier, der das Geheimnis dieser Persönlichkeit irgendwie geklärt hätte.
Wir verließen das Hotel, Jomak fuhr zum Regierungsvertreter, rief uns nachher an und meldete, daß die Regierung jede Auskunft über Mac Olden verweigere. Selbst den englischen Generalkonsul hatte Jomak noch ausgefragt. Der Herr versicherte, er wüßte nichts, gar nichts.
Nach diesem Telephongespräch mit Jomak sagte Harald zu Zacharias Vater und Tochter und mir: „Wir rennen hier gegen Granitmauern an … In solchem Falle muß man Sprengstoff verwenden. – Anni, – bitte Ihre Meinung?!“
Das ranke Mädel entgegnete prompt: „Geben Sie mir eine Erklärung dafür, weshalb man nachts heimlich einen Teil der hohen Platane in unserem Garten abgesägt hat, und ich werde meine Ansicht offen darlegen.“
„Dann … schweige ich lieber – – vorläufig,“ lautete Haralds ernste Antwort.
Nach dem Mittagessen hielten wir auf der Terrasse die gewohnte Siesta. Zacharias Rummel schlief in seinem Liegestuhl den Schlaf der Gerechten. Der schwere Marokkanerwein will in bescheidenen Quantitäten getrunken werden. – Anni stichelte an einem Florstrumpf herum, bei dem eine Masche gefallen war, – ich glaube, so lautet der Kunstausdruck. Ich bin Junggeselle, und meine kunstseidenen Socken werfe ich weg, sobald die Sohlenlöcher zu umfangreich werden. – Harst hatte sein Notizbuch vor und schrieb, – ich schrieb nicht, sondern plauderte leise mit meinem Günstling Annichen. Vom Atlantik her fauchte ein frischer Wind, die Brandung rauschte und donnerte, die Palmen knisterten mit ihren schönen Wedeln und von der Stadt her erklang das Konzert der Hupen und das Geräusch schwerer Lastwagen. – Casablanca kann ein Paradies sein. Ich habe diese moderne Großstadt in den vorigen Bänden genügend gewürdigt. – Kann!! Wenn man aber das unangenehme Bewußtsein hat, daß irgendwo düstere Ehrenmänner mit verderblichen Knallbüchsen nur auf die Gelegenheit warten, einem einen unbekömmlichen Salat aus Bleibohnen zu servieren, – wenn man selbst der Bewachung durch sechs Kriminalbeamte, die rund um das Grundstück verteilt sind, nicht recht traut, – nicht etwa, daß die Leute unzuverlässig waren! – dann dämpft dies die Freude an einer neuen ungewohnten Umgebung beträchtlich.
Anni sagte flüsternd: „Lieber Herr Schraut, Vater meinte vorhin, der Tod Frau Mac Oldens hätte doch Allan Frasers Erbteil verdächtig erhöht.“
„Allerdings,“ sagte ich. „Und Fraser war nicht im Hotel, als der Oberst starb, Fraser holte Zigaretten, behauptete er. Er wird auch Zigaretten geholt haben, aber wie lange er wegblieb, läßt sich nicht mehr kontrollieren.“
Sie blickte mich an. „Vater betonte, bei einem Morde müßte man stets fragen: Wem zum Vorteil? – In diesem Falle ist Fraser sehr reich geworden, denn auch das Vermögen Frau Mac Oldens war dem Sohne, dem Oberst, bereits vor dessen Tod zugefallen, mithin wird auch das ganze große Vermögen zur Verteilung gelangen.“
„Hm, – sollten diese Gedanken nicht Ihrem Köpfchen entsprungen sein?!“ – und ich drohte ihr scherzend mit dem Finger. „Mir scheint, Annichen, Sie verzichten allzu sehr auf eigenen Ruhm.“
Sie errötete. „Sprechen wir nicht darüber … – Was Fraser betrifft: Kann er nicht die Testamente gefälscht haben?!“
Sie gab hier nur einem Verdacht Ausdruck, der mich längst beschäftigte. „Wie sollte er das getan haben?!“ wandte ich ein. „Die drei Briefe hat zweifellos Olden geschrieben, die Milchschrift, also die gleichlautenden Testamente, scheinen doch von derselben Hand geschrieben zu sein.“
Harst sagte ohne aufzublicken: „Wenn Fraser ein Fälscher ist, ist er sehr geübt. Wenn er aus dem Karton das Briefpapier, aus dem die Briefbogen und die Umschläge stammten, heute in aller Frühe entnommen und auf die nächsten leeren Bogen die Testamente mit Milch geschrieben hat, dann mag Olden die Bogen ahnungslos mit Tinte für seine Korrespondenz nachher benutzt haben.“ Er legte das Notizbuch weg und faßte in die Innentasche der Jacke. „Ich habe mir erlaubt, die nächste Lage Briefbogen aus dem Karton heimlich verschwinden zu lassen. Hier sind sie. Sie sehen etwas gelblich aus, denn sie haben bereits die Feuerprobe hinter sich. Mac Olden hatte die Angewohnheit, die Briefbogen erst außen, dann innen zu beschreiben. Die Milch-Testamente fanden mir innen. Und hier – – aus dieser Lage Briefpapier waren die beiden ersten Bogen gleichfalls mit „Testatmenten in Milch“ versehen – bitte!“
Anni und ich starrten ziemlich verdutzt Harsts wichtige Entdeckung an. „Es ist nun wohl ausgeschlossen,“ fügte er hinzu, „daß Mac Olden fünfmal dasselbe Testament niederschrieb. Nein, – Fraser tat’s. Der Bursche ist sehr helle. Wenn er merkt, daß diese leeren Bogen in dem Karton fehlen, dürfte er gewarnt sein. Das ließ sich aber nicht umgehen. Ich habe Vorsorge getroffen, daß Fraser nicht einen Augenblick unbeobachtet bleibt. Jomak in diese Wendung der Dinge völlig einzuweihen, hielt ich nicht für richtig. Er als Beamter würde sofort zugreifen und dadurch das verhindern, worauf es mir ankommt: Frasers Spießgesellen herauszufinden! – Er hat Verbündete, wahrscheinlich sogar eine ganze Anzahl, – es handelt sich hier um ein groß angelegtes Komplott, aber …“ – die bei ihm übliche Kunstpause – „Allan Fraser ist nicht Mac Oldens Mörder, nicht persönlich, und Miß Elsa Morfax hat mit diesen Dingen nichts zu tun, jedoch mit anderen, die auch den Oberst betreffen müssen. Es laufen hier zwei grundverschiedene Aktionen parallel, die man nicht miteinander vermengen darf, es gibt hier zwei Parteien, die es auf Mac Olden abgesehen hatten, die eine aus Eigennutz, die andere aus Furcht. – Ihr werdet all dies noch nicht verstehen, genau wie ich auch erst die Enden der Fäden in den Händen halte. Wohin diese Fäden führen, kann ich schon jetzt sagen: Nach Accra! Dort befindet sich die Zentralstelle, dort befindet sich die dunkle Macht, die den Oberst ruhelos durch die Welt trieb.“
Andächtigere Zuhörer wie Anni und mich wird es wohl nie gegeben haben. Wir pflückten Harald die Worte von den Lippen, wir blieben eine Weile stumm, als er nichts mehr hinzufügte, bis Anni begeistert rief:
„Herr Harst, daß Sie an die Briefbogen dachten, war einer Ihrer besten Einfälle!“
Harald preßte die Lippen zusammen. Sein Gesicht umwölkte sich. „Sagen Sie das nicht, Kind … Der Gedanke an sich mag gut gewesen, nur, wie ich schon betonte, die sofortige Entnahme der Lage Briefpapier war übereilt und allzu gefährlich. Es wäre mir lieb, Anni, wenn Sie und Ihr Vater heute abend abreisen würden. Ein deutscher Bananendampfer, der hier noch Fracht aufnimmt, geht um acht in See. Ich habe telephonisch zwei Plätze belegt, zwei Kabinen waren gerade noch frei. Sie beide dürfen nicht hierbleiben. Eine Frau hindert unsere Bewegungsfreiheit, wir müßten Rücksichten nehmen, wir – um ganz offen zu sein – sind hier weit schwerer bedroht, als Sie es ahnen, woran ich schuld bin – ich und das Briefpapier dort, die beiden weiteren Testamente also.“
Das blonde Mädel reckte sich hoher. Mit einer unmerklichen ruckartigen Kopfbewegung sagte sie:
„Ich bleibe! Ich … bin keine Null, Herr Harst …“ Ein leises Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. Ganz ungeniert griff sie in ihre vorn geknöpfte weiße Bluse hinein, die sich jugendfrisch über der Brust wölbte. „Bitten – es mag nur eine Liliputpistole sein, Herr Harst … Treffen kann ich, und schießen und treffen ist nicht eins! Außerdem“ – sie zögerte – „außerdem kann ich Ihnen vielleicht auch sonst von Nutzen sein. Die kleine Anni wird zuweilen auch von innen erleuchtet, wie Miß Morfax Eule … Darf ich mit Ihnen, was die halb abgesägte Platanenkrone betrifft, konkurrieren …“ Ein spitzbübisches Schmunzeln stahl sich um ihren taufrischen Mund.
„Konkurrieren Sie!“ sagte Harald, aber er schien doch etwas überrascht zu sein.
„Selbst wenn ich Ihnen eine reife Frucht vor der Nase wegpflücke?!“ – Jetzt war sie durchaus ernst.
Harst hatte den Kopf gehoben und nickte ganz wenig, erhob sich halb im Korbsessel und blickte in die Baumkronen hinein. Etwas wie steigende Unruhe zeigte sich auf seinem hageren, braunen Gesicht.
Anni erklärte zaubernd, – ich merkte, auch sie horchte auf das rasch näherkommende Surren eines Propellers, – Casablanca hat einen tadellosen Flugplatz, und die Polizei verfügt über drei große moderne Eindecker …:
„Oberst Mac Olden wurde nicht von Fraser erschossen … Die vielen Kugeleinschläge in dem Schirm machten mich stutzig … Zwei Pistolen hätte der Mörder abgefeuert haben müssen, bevor er traf, und das ist doch, wie ich mir nachher sagte, zu viel des Guten, das …“
Harst war vollends ausgesprungen …
„Hinwerfen!“ brüllte er …
Im gleichen Moment riß er auch den schlafenden Zacharias sehr rücksichtslos aus dem Liegestuhl …
„Hinwerfen – – Bombe!“ kreischte er, und seine Stimme überschlug sich.
Ich lag schon flach aus dem Bauche, – der verschlafene Zacharias glotzte uns blöde an, Anni lag neben mir, Harst drei Meter näher der Steinbrüstung, – er hatte die Clement in der Hand, – ein kleines Sportflugzeug glitt dicht über die Bäume hinweg … ein Arm schleuderte ein dunkles Etwas, – – Harst feuerte … alle neun Schuß … Dann ein ohrbetäubender Krach. Ziegel flogen umher, die halbe Brüstung war wegrasiert, – Fensterscheiben klirrten, Baumäste krachten … Staub wirbelte auf, Sandwolken hüllten uns ein, – eine Palme knickte um und krachte dröhnend auf das Glasdach der Terrasse, – die Mattscheiben gingen in Trümmer …
Dann Stille …
Harst stand auf … „Ist jemand verletzt?“
Zacharias jammerte … „Ein Stein … mein künstliches Gebiß … auch die Lippen bluten …“
Er hatte vier Zähne verloren, aber zum Glück nur falsche.
Wir klopften uns den Sand von den Kleidern.
„Zwei Meter näher,“ meinte Harald, „und die Wurfbombe hätte uns früher als uns lieb in den Himmel verholfen … Vielleicht hätte der Schuft genauer geworfen, aber die Kugeln störten ihn wohl …“
Wir waren alle etwas bleich.
Jomaks Beamte kamen herbeigelaufen, aber hier gab’s nur noch das metertiefe Loch im Rosenbeet anzustaunen …
Harst ging ins Zimmer, drehte die Ziffernscheibe und ließ sich mit Jomak verbinden.
„… Fragen Sie beim Flugplatz an, ob nicht einer der Sporteindecker fehlt …“
– Einer fehlte. Drei Leute, drei Europäer hatten ihn zu einem Rundflug gemietet.
„Dann dürfte der arme Flugzeugführer kaum mehr am Leben sein,“ sagte Harald bitter. „Diese Schufte sind großzügig, ich machte euch ja bereits darauf aufmerksam.“
Jomak-Bey habe ich nie in einem solchen Zustande verbissenen Ingrimms gesehen wie damals. Er beherrschte sich, – er war Orientale, und nur die hellen Flecken neben der schmalen Nase und der starre Blick verrieten, wie gedemütigt er sich dadurch fühlte, daß in Casablanca, wo er die Kriminalpolizei so modern ausgebaut und wo er so zahlreiche Erfolge gehabt hatte, derartige Dinge sich hatten ereignen können.
Die Trümmer waren inzwischen weggeräumt worden, wir saßen wieder auf der Terrasse beieinander, die gestürzte Palme ruhte noch auf dem zertrümmerten Dach wie ein warnendes Ausrufungszeichen.
„Wer inszenierte das Attentat?“ fragte Jomak gepreßt und schaute Harst forschend an. „Sie wissen es, Harst … Und ich muß es wissen …“
„Ich weiß es nicht,“ erwiderte Harald prompt. „Ich habe die Auswahl zwischen zwei Parteien, Jomak, und ich mochte keine ungerecht verdächtigen. – Aber – da scheint Besuch zu kommen, – es ist Mac Oldens Auto, der Doktor Sakore sitzt am Steuer, und hinten zwei Leute, der eine ist Fraser, der andere einer jener chinesischen Händler, die sich an der alten Stadtmauer herumdrücken und mit echt marokkanischen Raritäten, hergestellt in Birmingham, handeln …“
Das Auto fuhr im Bogen vor die Terrasse, stoppte vor dem Bombenloch, die drei Insassen stiegen aus. Fraser trug einen breiten Trauerflor am linken Ärmel und eine schwarze Schleife, sein Gesicht hatte eine scheußliche Erdfarbe, die Wangen waren eingesunken, er stützte sich schwer auf den Inder, der auf diese Zeichen äußerlicher Trauer verzichtet hatte. – Die interessanteste Erscheinung war der kleine, hagere Chinese, der in einem ärmlichen, zerknitterten Leinenanzug steckte und um den Hals einen zerplatzten Gummikragen trug – ohne Krawatte, darunter ein Seidenhemd mit seinem Muster.
„Das ist Fung Li,“ sagte Fraser mit einer tiefen Verbeugung. „Das ist der Vertraute meines armen Herrn … Er hat viel zu berichten, Mr. Jomak. Er kam vorhin ins Hotel und stellte sich uns vor.“
Fung Li hatte klare, schräge Augen mit einem stillen, unergründlichen Ausdruck. Seine winzige Nase ließ den vorgebauten Mund, die schmalen Lippen und die starken weißen Zähne noch mehr hervortreten.
„Fung Li von der Polizei in Schanghai,“ ergänzte er in tadellosem Englisch. „Wenigstens früher, bis der Oberst mich in seine Dienste nahm. Man rühmt mir nach, der beste Detektiv im Osten gewesen zu sein. Das ist übertrieben, meine Herren, denn auch mir glückte es nicht, den Mann zu finden, den Mac Olden suchte. Er suchte in allen Erdenwinkeln, wir arbeiteten getrennt und doch vereint. Der Mann, den wir finden wollten, war …“
„… Mac Oldens Bruder Charly Oskar,“ fiel Harald ein.
Fung Li blickte Harst ruhig an. „Sie fanden also das Bild, Mr. Harst?“
„Ja, es lag in dem Kofferfach hinter dem Spiegel, und ich habe es zu mir gesteckt, da ich aus dem letzten Briefe Oldens an seine Mutter durch einige Redewendungen auf den Gedanken kam, dieser Charly Oskar Mac Olden konnte der … Schandfleck der Familie sein. Die Geschichte hat vor sechs Jahren viel Staub aufgewirbelt. Es war zu jener Zeit, als England sich genötigt sah, die französische Währung zu stützen. Oskar Mac Olden, ein leichtsinniger Bursche, ein Spieler, Wetter und Schürzenjäger, stand längst im Verdacht, zu Londoner Verbrecherkreisen Beziehungen zu unterhalten Als der Goldtransport in aller Heimlichkeit nach Paris geschafft wurde, muß Oskar Mac Olden sich irgendwie vorher davon Kenntnis verschafft haben, er verkehrte ja noch immer in der besten Gesellschaft, seine Stellung als Rechtsanwalt schuf ihm überall günstige Verbindungen. Der Dampfer, der die Goldkisten in einer Bucht unweit Dover an Bord nahm, erreichte niemals das europäische Festland. Seit jener Nacht war der jüngere Mac Olden verschwunden. Gerüchte tauchten auf, daß das Schiff im Kanal geentert, die Besatzung ermordet und das Gold, zehn Millionen, von einer fremden Jacht entführt worden sei. Beweise ließen sich nicht erbringen, alles blieb bloße Vermutung, alle Nachforschungen zerrannen in Nichts, – schließlich begnügte man sich mit der Annahme, daß der plötzlich aufgekommene nächtliche Orkan den Goldtransport mit Mann und Maus in die Tiefe geschickt hätte. Trotzdem wird der Oberst sich schon durch den auf seinem Bruder lastenden Verdacht entehrt gefühlt haben, er zog die für einen Offizier einzig mögliche Konsequenz, nahm seinen Abschied und versuchte nun seinerseits die geheimnisvolle Angelegenheit aufzuklären. Er muß auch bestimmte Anhaltspunkte dafür gefunden haben, daß tatsächlich ein Piratenstreich vorläge, er muß gewissen Spuren hartnäckig nachgegangen sein, – was er in Wahrheit ermittelte, entzieht sich meiner Kenntnis.“
„Es stimmt,“ sagte Fung Li mit einer knappen Verneigung gegen Harst. „Jetzt, wo sowohl Frau Mac Olden, diese bedauernswerte Mutter, und der Oberst tot sind, darf ich sprechen.“ Er nahm in einem Korbsessel Platz und senkte den Kopf, legte die Fingerspitzen seiner winzigen, tadellos gepflegten Hände aneinander und erklärte ohne merkliche Betonung: „Oskar Mac Olden hat das Gold geraubt. Seine Verbündeten waren keine eigentlichen Verbrecher, sondern alles dunkle Existenzen wie er. Fünf Jahre lang haben wir in heimlichem Forschen die einzelnen Mitglieder dieser Bande zu fassen gesucht. Wir kannten sie, aber wir … fanden sie nicht. Jede Spur, die wir aufnahmen, verlief im Sande. Diese Piraten müssen glänzend organisiert gewesen sein, sind es noch. Wo die Millionen sich befinden – es handelte sich um zehn Millionen Pfund Sterling, zumeist in Goldbarren, zum Teil aber in hochwertigen Banknoten, konnten wir ebenfalls nicht herausbringen. Acht Mitglieder der Bande waren uns sogar dem Namen nach bekannt, wir hatten Photographien von ihnen, aber Gesichter lassen sich verändern, und falsche Pässe sind nicht teuer für Leute, die über solche Schätze verfügen. Im ganzen waren, soweit wir feststellten, zwanzig Leute beteiligt gewesen, – einer war der Kapitän und Eigentümer eines alten Frachtdampfers, und dieses Schiff führte den Streich aus. – Wollte ich Ihnen hier Einzelheiten über unsere Bemühungen mitteilen, meine Herren, müßte ich stundenlang sprechen. Ich erwähne nur noch das eine: Unsere Arbeitsmethode erforderte äußerste Vorsicht, – wir, der Oberst und ich, trafen uns stets nur nachts, er war dann verkleidet, und die Zettel, meine Herren, die ich ihm hier ins Zimmer warf, rührten bis auf den heutigen, der ihn auf den Dachgarten bestellte, von mir her. Aber dieser eine Zettel beweist, daß diese Art Nachrichtenübermittlung irgendwie der Bande verraten worden war. Man täuschte Mac Olden heute, und er ging ahnungslos in den Tod. Die Mörder sind jene Piraten, – wie sie ihn erschossen, habe ich noch nicht ergründen können.“
Fung Li hob den Kopf und betrachtete die halb zerstörte Brüstung. „Ja – sie wenden sehr moderne Mittel an,“ nickte er. „Der Oberst war sich seines Lebens keine Minute sicher, und Sie, Mr. Harst, kann ich nur eindringlich warnen.“
„Das ist wirklich nicht mehr nötig,“ meinte Harald trocken. „Ich bin auf alles vorbereitet. – Zwei Fragen noch, Mr. Fung Li. Erstens: Haben Sie hier in Casablanca Erfolg gehabt?“
Der kleine Chinese mit den undurchdringlichen Zügen erwiderte leise: „Ich bedauere, darüber nicht sprechen zu können, wenigstens nicht hier, Mr. Harst. In einer Stunde reise ich nach Tanger. Ich habe bereits ein Flugzeug bestellt. Der Oberst versah mich so reichlich mit Geldmitteln, daß ich meine Arbeit fortsetzen werde. Ich bin es ihm schuldig, wir waren Freunde und Brüder geworden, die vielfachen Gefahren hatten uns mit den edelsten Fesseln aneinander gekettet: Wir achteten und liebten uns. Wenn Sie, Mr. Harst, mit Ihrem Freunde zum Flugplatz kommen wollen, werde ich Ihnen einige Winke geben, die vielleicht für Ihre Bemühungen von Vorteil sind.“
Harst überlegte. „Wir werden kommen … – Nun die zweite Frage: Was sollte die merkwürdige Unterschrift unter den Zetteln, Mr. Fung Li? Rohrstuhlgeflechtkünstler und dann die Ziffern dahinter, – das blieb mir völlig unklar.“
Der Chinese lächelte sanft. „Die Erklärung ist sehr einfach. Die Unterschrift hatte Mac Olden erdacht. Sie war eine Sicherheitsmaßregel, denn das lange Wort wurde von mir auf meiner Reisemaschine stets absichtlich so getippt, daß diejenigen Buchstaben, die durch die römischen Ziffern bezeichnet wurden, recht stark getippt wurden. – Haben Sie den heutigen Zettel zur Hand, Mr. Harst? – So, danke … Sie sehen hier, daß dieser nicht von mir herrührende Zettel diese Merkmale der Echtheit gleichfalls ausweist. Der erste, zweite und fünfte Buchstabe fallen auf, sind sehr kräftig. Die Mörder Mac Oldens haben also sogar diesen einfachen Trick, Fälschungen der Mitteilungen zu verhüten, herausgefunden und mit angewandt. Wie sie dahinter gekommen sind, weiß ich nicht. Es kann aber nur so sein, daß jemand mehrere der Zettel miteinander vergleichen konnte. – Nehmen Sie das nicht auch an, Doktor Sakore?“
Der Chinese schien keine Antwort zu erwarten, sondern fügte hinzu: „Daß Sie, Doktor Sakore und Mr. Fraser keine Verräter sind, daß Sie beide Treue halten und alles getan haben, was zum Nutzen des Ganzen erforderlich schien, – daran zweifele ich keinen Augenblick.“
„Das wäre ja auch mehr als verletzend für uns!“ sagte Fraser achselzuckend. „Was der Oberst von uns hielt. hat er durch sein Testament bewiesen … Ich bedauere nur, daß Sie leer ausgegangen sind, Fung Li. Ich werde mich jedoch nicht lumpen lassen, ich schenke Ihnen zwanzigtausend Pfund.“
Der kleine Chinamann strahlte geradezu.
„Fraser, ich danke Ihnen … Ich nehme alles an, was Sie mir bieten …“ Er stand auf und verneigte sich. „Alles, Fraser, – ich muß für die Rache sorgen, und vielleicht wird das viel Geld kosten. – Meine Herren, ich muß mich nun leider verabschieden. Eine gewisse Spur lockt mich nach Tanger. In einer Stunde bin ich auf dem Flugplatz. – Fahren wir zur Stadt zurück, Doktor Sakore.“
Als das Auto mit den dreien verschwunden war, trat Harst an die Brüstung und blickte in das Bombenloch hinab. „Wir wollen es nicht zuschütten, Jomak,“ sagte er. „Wer Ohren hatte, zu hören, verstand den Doppelsinn mancher Sätze des wackeren Chinesen. Vielleicht verscharren wir in dem Loche gerade denjenigen, der für dieses Attentat verantwortlich ist.“
„Und das wäre?“ fragte Jomak hastig.
„Das könnte Miß Elsa Morfax sein,“ antwortete Harald trübe. „Ich fürchte, es wird bei dieser Angelegenheit noch mehrere Tote geben. Hoffentlich ist keiner von uns darunter. Halten Sie jedenfalls die Morfax, Fraser und Sakore unter strengster Bewachung und lassen Sie keinen Brief, keine Depesche von ihnen durch, dulden sie auch keine Ausflüge, – mögen die drei ruhig merken, daß ihre Tage gezählt sind. Und wenn irgend etwas geschieht, was Ihnen Schwierigkeiten bereitet, lieber Jomak, wenden Sie sich an Miß Anni. Wäre ich fünfzehn Jahre jünger, würde ich Anni heiraten, und dann könnten alle Verbrecher Konkurs anmelden. Nun, möglich daß jemand anders sich für unsere Anni findet. – Schraut und ich begleiten Fung Li nach der Goldlüste, – denn „Tanger“ ist natürlich Schwindel.“
In den Köpfen derer, die nie die Nase über die Grenzen ihrer engeren europäischen Heimat hinaus gesteckt haben, bestehen von dem heutigen Afrika vollkommen irrige Bilder. Gewiß, nicht jeder ist in der Lage, einen kleinen Abstecher bis Marokko und noch weiter südwärts zu bezahlen, – wir Deutschen schon gar nichts Und die dünne Schicht unseres Volkes, die aus Inflation und Not große Vermögen sichergestellt hat, zeigt geringes Interesse für ferne Länder. Ihnen genügen die Neppnester an der Riviera, an der Adria und die belgischen und französischen Seebäder und Spielhöllen. Unterstützt wird diese geradezu sträfliche Unwissenheit durch die nicht wegzuleugnende Abneigung gegen Reisewerke. Jeder öde, verlogene Tendenzroman, dem Publikum mit dem adligen Reklame-Tam-Tam offeriert, erlebt Riesenauflagen. Die absolute Kritiklosigkeit des „Publikums“, die gedankenfaule Nachbeterei dessen, was die Presse unter „Bücherbesprechungen“ stets mit demselben Schwulst zu sagen weiß, fordert ein literarisches Banausentum, das grotesk-lächerlich wirkt. Man tippe einmal in größerem Kreise behutsam an, wer von den Anwesenden Sven Heddin, Filchner, Amundsen – und wie all diese Herren des Forschertums heißen, kennen mag, der Erfolg ist beschämend. Daß dies nicht nur die übliche Erscheinung in Kreisen von Durchschnittsintelligenz ist, sondern daß sogar in Lehrbüchern für Schulen sich bedauerlicher Unsinn über fremde Länder findet, habe ich bereits erwähnt.
Goldküste?! – – Allgemeines Achselzucken … Vielleicht brüstet sich dann irgendein Jemand mit der halb verschollenen Schulweisheit, daß der Große Kurfürst an der Goldküste Handelsniederlassungen schuf, Friedrichsburg, Accada, Taccanary, die dann leider an Holland verkauft wurden. Gespräche über Kolonialbestrebungen sind unbeliebt geworden. Das große, brutale Hackmesser von Versailles, dem man aus Nützlichkeitsgründen keinen ehernen Schild entgegenhielt, hat Deutschland auch die blühenden Kolonien wegrasiert, darunter Togo, das östliche Nachbargebiet der Goldküste.
Goldküste, ein enorm reiches Land, – natürlich englische Kolonie. Accra, vor zwanzig Jahren ein Hafenort von 17 000 Einwohnern, – heute sind’s dreißigtausend etwa, heute residiert der englische Gouverneur in dem benachbarten Christiansborg, das ebensogut ein eleganter Villenvorort Londons sein könnte.
Die sumpfige Fieberküste, die einst ganz unzulänglichen Hafenanlagen, – in zwanzig Jahren hat sich alles vollkommen verändert. Früher war der Küstenstrich für den Europäer geradezu verderblich, heute kommen Malaria und Sumpffieber dort nicht häufiger vor als in anderen heißen Ländern.
Hat man ein einziges Mal in Accra die Auffahrt elegantester Autos vor dem Haus des Native Klub miterlebt, hat man ein einziges Mal den fabelhaften Luxus angestaunt, mit dem die schwarzen Handelsherrn in Accra sich umgeben, – bestaunte man ein einziges Mal das Stutzertum der eingeborenen Rechtsanwälte, die am Vormittag in Talar und weißer Perücke ihre Termine wahrnehmen, dann geht einem das richtige Verständnis dafür auf, was „Goldküste“ heißt und was wir an unserer afrikanischen Kolonie verloren haben. –
Es gibt heutzutage keine Entfernungen mehr. Das erfuhren wir wieder einmal, als wir mit Fung Li zunächst zum Schein gen Norden sausten, als dann der Bleriot-Eindecker wendete und bei prächtigstem Wetter südwärts in tausend Meter Höhe dahinschwebte. – Wir hatten keinerlei Gepäck bei uns, nicht mal Zahnbürsten, aber andere Bürsten - hinten in der Schlüsseltasche. Sie bürsten, wenn’s schlimm kommt, die Seele aus dem Leibe.
Fung Li hatte es sehr eilig gehabt. „Einsteigen, nachher reden …“ – dann rollte das Flugzeug auch schon an. – Der Flugzeugführer, ein junger patenter Araber, war nebenbei Kriminalbeamter. Fung Li schien mit Jomaks Vorgesetzten sehr gut zu stehen.
Die Kabine mit vier federnden Sitzplätzen und leicht gewölbten Fenstern enthielt über der winzigen Tür zum Motorenraum ein großes gedrucktes Schild in vier Sprachen:
Rauchen strengstens verboten.
Verbote sind dazu da, übertreten zu werden.
Fung Li sagte abgeklärt: „Der Oberst und ich haben immer geraucht, wir sind sehr viel geflogen, man muß nur die Fenster etwas öffnen, daumenbreit …“ Er rollte sich eine Zigarette und verstaute seine drei Koffer. „Was Ihnen fehlt, kaufen Sie in Accra …“ sagte er. „Wir werden übermorgen dort sein, nachts landen, und Major Berty Scammon wird uns empfangen. Ich habe ihm telegraphiert.“
Fung Li’s selbstverständliche Art wirkte sehr beruhigend. In seiner Gegenwart hatte man immer das Gefühl, daß die schützende Hand eines asiatischen Engels über einem schwebe. „Sehr interessant ist der erste Teil der Reise gerade nicht,“ bemerkte er, als er wieder Platz nahm und uns aus seinem Koffer tadellosen Whisky anbot. „Trinken Sie … Die Luft über diesen Wüstenstrichen ist sehr dünn. Das Herz braucht eine Stärkung. Wir tanken zum erstenmal in Wadan, wo die Franzosen eine Flugstation angelegt haben, dann in Cumarela an der Sahara-Bahnlinie … Hoffentlich haben wir keine Panne.“
Eine Panne hatten wir nicht, aber dafür ein anderes Erlebnis, das durchaus modern war. Wir mochten vielleicht eine Stunde unterwegs sein, und Casablanca lag kaum erst einige zehn Meilen hinter uns im Nordwesten, als unser eifriges Gespräch jäh verstummte. Harst saß rechts am Fenster, er erblickte den Sporteindecker zuerst. Der helle kleine Vogel kam uns von Süden schräg entgegen.
„Es wird der Bombenschmeißer sein,“ meinte Harald „Man hat uns also doch aufgelauert …“
Fung Li nahm sein Fernglas. „Er ist’s … Die Bande denkt an alles … Ich auch.“
Er zog den einen Koffer herbei.
„Helfen Sie mir – – schnell …“
Unter Anzügen und Wäsche lag ein kleines Maschienengewehr, ein Spielzeug fast. – „Man borgte es mir in Casablanca,“ erklärte der Chinese sachlich. „Allerneueste Konstruktion, Lütticher Fabrikat, für Gebirgstruppen bestimmt …“
Harst ging nach vorn und verständigte sich mit dem Araber.
Der Kugelspucker schob seine lange Nase zum Fenster hinaus, der Patronengurt wurde eingeführt, Fung Li meinte kaltschnäuzig: „Die da drüben werden schleunigst verduften … Mir liegt nichts daran, sie zum Absturz zu bringen, wir finden sie besser lebend in Accra wieder.“
Das Sportflugzeug war achthundert Meter entfernt, als der Spucker zu rattern begann. Fast gleichzeitig klatschte es gegen unsere Gondel, Splitter flogen, eine Scheibe ging flöten, aber die Herrschaften von der Gegenpartei ließen es auf ein Feuergefecht nicht ankommen und sausten im Gleitflug abwärts.
Fung Li grinste und streichelte den Spucker. „Mr. Harst, – sie hatten auch einen … und ohne diesen hier lägen wir nun unten in den kahlen Felsen, der Tank würde explodieren, und unsere Leiber würden morgen Festbraten für Hyänen sein.“
Er beugte sich hinaus, beobachtete, nickte, und wir packten den Lebensretter wieder ein, hüllten die Teile in Seide, reinigten den Lauf und tranken noch einen Whisky.
„Wovon sprachen wir doch gerade?“ begann Fung Li und rollte sich eine neue Zigarette. „Über Elsa Morfax – richtig …! Was Sie mir erzählt haben, ist sehr wichtig. Natürlich habe ich die Signaleule gleichfalls am Fenster des Hotel Excelsior bemerkt, – ein guter Gedanke, diese leuchtende Eule … Man lernt doch immer wieder etwas Neues, und man staunt, wie sehr ein solcher Kampf um Millionen die Phantasie anfeuert. – Die Morfax gehört mit zu den Piraten.“
Fung Li liebte derartig knappe Schlußsätze. „Auch dieser James Cracer ist Mitglied der Bande, ferner der Bruder der Morfax in Accra. Sie hat ihn ja durch die Depesche vor Ihnen gewarnt, Mr. Harst.“
„Und Allan Fraser?“ fragte Harald, indem er seine chiffrierten Notizen einsah.
Fung Li’s Gesicht verzog sich verächtlich. „Nur eine Nebenfigur, einst ein anständiger Mensch, dann bestochen aufgehetzt … Doktor Sakore blieb treu. Ich hatte den Oberst längst vor Fraser gewarnt. Zu spät erkannte er die hinterhältige Gefährlichkeit dieses Menschen. Natürlich hat Fraser gelogen, was Elsa Morfax’ geflüsterte Worte betrifft. – Schließlich sind das alles nur Stücke des Ganzen, Mr. Harst, einzelne Stücke, die Hauptteile fehlen noch. Wenn wir sie in Accra nicht finden, finden wir sie vielleicht nie. Meine Aufgabe ist, Charly Oskar Mac Oldens Verbleib zu ermitteln. Denn er ist nie mehr gesehen worden.“
Was wir sonst noch erörterten, war ebenfalls Stückwerk. Eine Übersicht über den inneren Zusammenhang der Dinge bringe ich erst zum Schluß.
Wir überflogen den Westzipfel der Sahara, der Bleriot hielt sich tadellos, Fung Li’s Papiere verschafften uns an den Tankstellen das größte Entgegenkommen, – nachts sahen wir dann die grellen Finger des Drehlichtes des Flugplatzes von Accra, wir landeten, ein hagerer Engländer begrüßte uns wortkarg: Des Obersten Freund, Berty Scammon. Sein Auto stand bereit, wir bogen in eine dunkle Straße von Jamestown, der Eingeborenenstadt, ein, und der Chauffeur fuhr langsamer. Einzelne Laternen glotzten durch die gewitterschwere Finsternis, aus grell bemalten Kneipen erklang das Gröhlen betrunkenen Gesindels, aus Lehmhütten keiften Weiberstimmen, dann brach ein Platzregen los, der uns im Augenblick durchnäßte. Aus einer Seitenstraße erschien plötzlich ein Trupp Schwarzer, vorn drei Kerle mit großen Antilopenfelltrommeln, dann ein Baldachin, unter dem ein bunt herausgeputzter Häuptling saß … Ein infernalischer Lärm übertönte das Prasseln des Regens, – Stocklaternen blinkten – im Nu war die Straße gesperrt, das Auto hielt, und der Niggerhäuptling brüllte Major Scammon irgend etwas zu.
„Es ist Memhe, der König von Jamestown,“ flüsterte der Major wenig erbaut. „Die Kerle haben das Homovo-Fest diesmal verlegt … Der goldene Stuhl wird morgen gewaschen … Vorgestern fand man zwei weiße Strolche mit durchschnittenen Kehlen im Busch … Das ist immer so vor dem Homovo.“
Er sprach für uns in Rätseln.
„… König Memhe lädt uns ein, das Gewitter in seinem Palast abzuwarten. Ich kann nicht gut ablehnen …“
Das war uns weniger rätselhaft, denn die Engländer behandeln ihre farbigen Untertanen seit dem Weltkrieg wie die rohen Eier … Die Schwarzen haben auf den Schlachtfeldern Frankreichs und als Besatzungstruppen in Deutschland jeden Respekt vor der weißen Rasse verloren. Es gärt überall … England wird einst die Stunde verfluchen, wo es sich auf das große blutige Schachergeschäft einließ.
Das Auto fuhr auf einen freien Platz, – von der Veranda eines langgestreckten Hauses wurden wir von einigen fünfzig schwarzen Damen, dem Harem Memhes, mit Freudengeheul begrüßt …
Alles war wie ein wüster Traum, bis wir in Memhes „Thronsaal“ in europäischen Ledersesseln bei elektrischen Licht den „König“ in nächster Nähe vor uns hatten. – Memhe ist ein hochgewachsener Accra mit scharfen, brutalen Zügen. In seinen Augen glitzert die Verschlagenheit, um seine Wulstlippen ist ein Lächeln eingefroren, das jeder sich nach Wunsch deuten kann. – Vorhin bei der Rückkehr von der Vorfeier zu dem Homovo-Fest hatte er Landestracht angehabt: Das togaähnliche bunte Gewand, Stirnreif, Armspangen, Halsketten (alles gediegenes Gold) und den goldbeschlagenen Speer in der von Brillantringen funkelnden Hand. Die englische Kolonialregierung verlangt nämlich sehr energisch von den Herren Oberhäuptlingen und Unterhäuptlingen bei festlichen Gelegenheiten Landestracht. Das berührt seltsam. Der Zweck dieser Verordnung ist mir nicht klar geworden, Major Scammon antwortete ausweichend.
König Memhe hatte sich inzwischen erstaunlich schnell umgekleidet. Sein weißer Tropenanzug saß einwandfrei, die Jacke hatte Uniformschnitt, als Achselstücke waren daran goldene Stäbchen befestigt, auf Memhes linker Bruft prunkten allerlei Orden. Er beherrscht das Englische fast fließend, er begrüßte uns wie ein eitler, aufgeblasener Gentleman, – Eitelkeit und ruheloser Ehrgeiz sind neben einer raffinierten Hinterhältigkeit seine Haupteigenschaften. Mochte er sich auch vor Major Scammon sehr tief verbeugen, – mochte der Polizeichef von Accra ihm auch durch den kühlen Gegengruß die Kluft zwischen Schwarz und Weiß sehr deutlich zu verstehen geben: Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Memhe jene Zeiten nicht vergessen hatte, wo der Sultan von Kumassi den Engländern erbitterte Kämpfe geliefert hatten – und die Hauptstadt des Aschanti-Landes liegt nur drei-hundert Kilometer entfernt … – All dies war jedoch im Augenblick ganz bedeutungslos gegenüber der für uns recht peinlichen Tatsache, daß sich im Gefolge dieses Tyrannen von Jamestown ein uns nur zu bekanntes Gesicht befand: Der alte Cracer, dieser widerliche Bursche, mit dem Miß Elsa Morfax nur durch die „Eule“ zu verkehren gewagt hatte.
„König“ Memhe stellte mit großem Pathos vor: „Hier mein Freund James Cracer, dessen Stadtvilla dicht hinter meinem Hause liegt, – dies die Herren …“ – er stockte, er hatte die Namen vergessen …
Da trat der kleine Fung Li, der sich bisher hinter Haralds immerhin langer Gestalt verborgen hatte, rasch hervor und sagte mit sanfter Stimme:
„… Dies die Herren Harst und Schraut, – und ich soll Ihnen, Mr. Cracer, einen letzten Gruß von Mac Olden bestellen … Was … macht … die … Wilhelminje?!“
Cracer konnte uns nicht wiedererkannt haben. Aber Fung Li kannte er zweifellos. Und die Bedeutung des Namens Wilhelminje war ihm noch gegenwärtiger. – Unter den buschigen Augenbrauen, die wie Schnurrbarte die Augen bedeckten, schoß ein tödlich erschrockener Blick über uns hin. Der Mann wurde erdfahl, seine rechte Hand zuckte hoch – sicherlich nach der unter der schmierigen Jacke verborgenen Waffe …
Fung Li ließ ihm keine Zeit, wieder zur Besinnung zu kommen. „Major Scammon, verhaften Sie diesen Menschen, – er ist einer der Piraten, die den Golddampfer vor sechs Jahren kaperten und die ganze Besatzung ersäuften … Er ist auch Oberst Mac Oldens, Ihres besten Freundes, Mörder! Seine Jacht war’s, die vor Casablanca kreuzte, seine Jacht schickte er aus, um die Mordgesellen auszubooten … Sorgen Sie dafür, Major, daß niemand diesen Raum verläßt, daß keine Silbe von dem schon jetzt bekannt wird, was hier gesprochen wurde. – Schließen Sie die Türen, Mr. Harst. – an die andere Tür, Mr. Schraut! Diese Banditen müssen noch in dieser Nacht ausgehoben werden, oder wir können aufs neue den ganzen Erdteil nach ihnen absuchen!“
Das große Gemach mit den europäischen Prunkmöbeln, dem seltsamen Thronsessel aus Elefantenknochen und Leder und blitzenden Goldbeschlägen glich für Sekunden einer Totenkammer. Totenstille herrschte. Harst und ich sperrten die Türen ab, Major Scammon hatte langsam eine Pistole zum Vorschein gebracht, – er war einer jener alten Kolonialkämpen, die nichts mehr überraschen kann.
James Cracer stand zusammengeduckt da, den häßlichen Schädel vorgeschoben, – sprungbereit … Aber sein Freund Memhe hatte bereits als kluger Politiker die Sachlage für sich geklärt, war zwei Schritt seitwärts getreten, - Cracer stand isoliert, – von niemandem hier hatte er Hilfe zu erwarten. Memhes Gefolge, acht Unterhäuptlinge, die man daheim bei uns vielleicht als Bezirksbürgermeister bezeichnen würde, alles reinblütige Accraneger von imposanter Große, starrten neugierig auf ihren bisherigen Intimus, der hier so plötzlich das Unheil über sich hereinbrechen sah.
Fung Li, ein Zwerg im Vergleich zu diesen Niggern und diesem weißen Verbrecher, war bewundernswert. Daß er einmal aktiver Detektiv gewesen, bewies er jetzt durch die Fixigkeit, mit der er Cracer die Hände fesselte. Gleich einem Zauberer hatte er aus der Tasche ein Paar eigenartige, dünne Stahlfesseln hervorgeholt, aber die Dinger waren an der Innenseite scharf gezähnt, und wer die erst einmal an den Gelenken hatte, tat gut, die Pfoten nicht viel zu bewegen, denn diese Stahlzähne hätten auch die dickste Hornhaut zernagt.
Major Scammon hatte bisher kein Wort gesprochen. Er sagte auch jetzt nur: „Ich werde meine Beamten holen. Wie viele brauchen Sie, Fung Li?“
„Dreißig, Major,“ erwiderte der Kleine sofort. „Bitte lassen Sie Cracers Stadthaus einkreisen, niemand darf hinaus oder hinein, die Telephonleitung muß zerschnitten werden – oder noch besser, dort hängt ein Apparat, das Postamt soll keine Verbindung von Cracers Haus herstellen und die Gespräche ablauschen …“
Scammon nickte und trat an den Apparat, nahm den Hörer ab …
Im selben Moment erlosch das Licht …
Harsts Stimme schrillte warnend: „Vorsicht, Major, – hier …“
Er hatte seine Taschenlampe eingeschaltet, ein dünner blendender Strahl glitt über die reglosen Gestalten der Häuptlinge …
Ein zweiter Lichtkegel blitzte auf, er kam aus meiner Linken, – die beiden Strahlen flossen ineinander und beleuchteten eine kleine Gestalt am Boden, – es war Fung Li, und über die feinen Bastteppiche breitete sich langsam ein dunkler Fleck aus.
Fung Li lag mit durchschnittener Kehle auf dem Rücken, – James Cracer war verschwunden.
Scammon war mit zwei Schritten neben dem Sterbenden, beugte sich über ihn, – des Chinesen brechende Augen ruhten mit einem weltenfernen Blick auf des Majors braunem Gesicht …
Scammon sagte laut, und seine Stimme klang wie Stein an Stein, hart, sprühend vor Grimm: „Fung Li, – Sie werden gerächt werden! So wahr ich Mac Olden liebte, – diese Schurken werden baumeln.“
Ein sanftes Lächeln umspielte Fung Li’s dünne Lippen … Er schloß die Augen, er lag ganz still, – nur ein unmerkliches Zucken der Glieder verriet, daß dieses treue Asiatenherz zu schlagen aufgehört hatte.
Scammon ging wieder zum Telephon, rief in die Muschel, horchte, ließ den Hörer fallen … „Keine Verbindung, – die Kerle haben vorgesorgt.“
Plötzlich flammte das Licht wieder auf. Memhe stierte wie versteinert auf die Leiche … Er zitterte, dieser brutale Wicht, der seine Weiber wie Vieh behandelte, der den Ärmsten die letzten Schillinge abpreßte, der trotzdem der Abgott der Jamestown-Bewohner war.
„Mr. Scammon,“ murmelte er vollständig verstört, „ich wußte nicht, daß Cracer die Tür dort hinter dem Vorhang des Thronsessels kannte … Es muß ein Fremder hier eingedrungen sein … –
Diese Nacht war die, in der Accra seit Jahren seine größte Sensation erlebte.
Ich muß nun notwendig hier einiges über das Homovo-Fest der Accra-Leute einschalten, was uns Scammon erst später erzählte. – Das Homovo läßt sich am besten mit einem Erntedankfest, gleichzeitig mit einem christlichen Totensonntag vergleichen. Dem Namen nach gehört der überwiegende Teil der Bevölkerung der Methodisten-Kirche an. Aber niemand ist ein so flauer Bekehrter wie der Neger. Heidnische Gebräuche von einst spielen in seinen religiösen Vorstellungen mindestens eine so bedeutsame Rolle wie die schamloseste Profitgier im Geschäftsleben. An diesem Homovo-Fest wird zunächst unheimlich viel getrunken, dann werden Umzüge veranstaltet, fanatische alte Weiber heulen wie Besessene, Trommeln wirbeln, Baldachine schwanken zur Lagune, wo der eigentliche Festakt sich abspielt: Die Waschung des heiligen goldenen Stuhles von einst, gleichzeitig Fetisch der ehemaligen obersten Gottheit, – Totenopfer werden dargebracht, – – und die „Waschung“ des Fetischstuhles erfolgt mit Blut! Das ist der eine Punkt, über den der Major nicht recht mit der Sprache herausrückte. Jedenfalls ist erwiesen, daß der Fetisch früher durch Menschenopfer bei guter Laune erhalten wurde, – jetzt sollen es nur Ziegen sein, die ihr Leben an diesem Tage lassen müssen, aber seltsamerweise verschwinden regelmäßig vor dem Fest zwei oder drei Fremde, mit Vorliebe verlodderte Weiße von jener Sorte, die in den Kolonien sich allein noch sicher fühlen dürfen und irgendwo in einer Niggerhütte versteckt hausen. – Man sagt (und Kenner der Verhältnisse behaupten es allen Ernstes), daß der goldene Stuhl noch immer mit Menschenblut gewaschen wird, – daß kein Neger hierüber ein Sterbenswortchen verraten würde, selbst wenn man ihn bei lebendigem Leibe rösten wollte. Der Abschluß der heiligen Waschung, der sich natürlich alle Europäer und reichen Neger fernhalten (man wurde auch keinen Weißen in der Nähe dulden!) verpufft in allgemeiner „Feststimmung“. An diesem Abende ziehen starke Polizeistreifen durch die Straßen, die Europäerviertel werden von der Polizei abgeriegelt, und das moderne Accra versinkt so für zwölf Stunden etwa in die finstersten Zeiten schwarzer Bestialität zurück, – Schlägereien, Schießereien, Brände, ein paar kleine Totschläge, viele Wunden, erhöhte Tätigkeit der Ärzte, gewinnbringender Alkoholkonsum sind die Folgen … –
Das ist das Homovo-Fest. Betrachtet man es als völlig Unparteiischer, so kommt man zu dem einen Urteil: Es ist einer der kritischsten Tage für die weißem Bevölkerung, – ein einziger Wink des Königs Memhe würde genügen, die fremden Unterdrücker sämtlich abschlachten. Aber – noch scheint diese Zeit nicht gekommen zu sein. Sie kommt sicherlich. Überall bei den farbigen Untertanen Englands gärt es … Es wird ein blutiger Wein werden, eine blutige Quittung für die freventliche Dummheit, uns Deutschen Neger, Inder, Araber, Siamesen im Kriege gegenüberzustellen. Die Weltgeschichte wird einst dieses Kapitel in rotem Sperrdruck zeigen. – –
Diese Nacht war die, in der Accra seit Jahrzehnten seine größte Sensation erlebte.
Cracer war verschwunden, der arme Fung Li hatte seine Treue mit dem Tode gebüßt, das Telephon versagte, und als Scammon den seidenen Vorhang hinter dem Thronsessel zur Seite riß und die kleine Tür öffnen wollte, war sie von außen verrammelt.
Als er daran rüttelte, knallte draußen ein Schuß, – mehrere folgten, Kugeln schlugen durch die lackierten Bretter, Scammon flog zur Seite, einer der Unterhäuptlinge wälzte sich brüllend am Boden, ein Querschläger war ihm in den Bauch gefahren …
Infernalisches Geheul ertönte vor den verhängten Fenstern, – die Scheiben zersplitterten unter einem Steinhagel, hunderte von halb verrückten, halb betrunkenen Schwarzen umschwärmten das Haus, – Vorderlader spuckten ihren Bleihagel, Wurfmesser fuhren in die Vorhänge …
Wir alle hatten uns lang hingeworfen. Memhes erdiges Gesicht zuckte in wahnsinniger Wut …
Denn dies war nicht sein Werk, dies war Betrug der Massen, – – und Memhe bewies in diesem kritischen Moment jene Art von Wut, die kühnster Berechnung entspringt.
Er trat an das eine Fenster, – er stellte sich bloß, er opferte sich, er ahnte die Ursache dieses Sturmes auf seinen Palast.
Mit einem Satz war er auf dem Fensterbrett … Fackellicht beleuchtete ihn, – seine Stimme glich einer der Posaunen von Jericho, – Totenstille trat draußen ein.
„Man hat euch belogen!“ brüllte er … „Ich lebe. Niemand tat mir etwas zuleide, – dort drüben Cracers Haus, umzingelt es, laßt keinen heraus, – gehorcht mir, – Verbrecher wohnen dort …!!“
Er winkte uns …
Wir folgten der heulenden Rotte … Wir fieberten. Der Himmel dröhnte, Blitze zuckten herab, – aber der Regen hatte aufgehört …
Es waren nicht Hunderte von Schwarzen, es waren tausende … Der Haufe wuchs, alle Kneipen, alle Hütten spien ihre Insassen aus, – in rasender Fahrt jagten drei dicht besetzte Polizeiautos herbei … –
Die Rechnung der Banditen war falsch gewesen …
Jamestown umlagerte Cracers Stadthaus, das tolle Jamestown bildete eine dicke Mauer um die Gebäude in denen die Mörder Mac Oldens ihre letzte Jahresversammlung hatten abhalten wollen …
Nicht ein einziger der Schurken entging der wohlverdienten Strafe.
James Cracers Stadthaus lag auf einem kahlem Hügel, war ein einstöckiger Bau aus hellen Ziegeln mit hohen Fundamenten, – die Wirtschaftsgebäude nur Bretterhäuser, aber das ganze umgeben von einer ungewöhnlich hohen Mauer mit Stacheldrahtverlängerung. An jeder Hausseite hing an dem weit überragenden Zinkdach eine elektrische Bogenlampe, weiße Ampeln, noch immer tot, ohne Strom, – das ganze Hans dunkel …
Die Signalhupen der Polizeiautos heulten durch die Nacht, – die Schwarzen schleppten Leitern herbei, – wir standen vor dem eisernen Torweg, Scammon drückte auf den Klingelknopf …
Die Antwort war ein rasendes Schnellfeuer aus den finsteren Fenstern, – Menschenleiber torkelten von der Mauerkrone, Schmerzensschreie schrillten, – aber der besessene schwarze Wall von Leibern, aufgepeitscht durch König Memhes tollen Grimm, achtete nicht der Toten und Sterbenden …
Fackeln flogen auf die Holzdächer der Stallungen, einigen Kerlen gelang der Sprung in den Hof, – das versperrte eiserne Tor flog auf, – Handgranaten der Polizei sausten gegen die Mauern, explodierten, – von den Autos rasselten Maschinengewehre, sandten ihren Bleiregen streichend über Fenster und Veranden …
Die Holle war los …
Von der Stadt her kam Verstärkung, der gerade im Hafen ankernde Kreuzer Belfast schickte zweihundert Mann, – Herren im Abendanzug tauchten, vom Klub herbeieilend, mit allerlei Waffen auf …
Und die schwarze Welle, durch nichts mehr zurückgehalten, uns einfach beiseite stoßend, flutete gegen die Hausmauern, brandete empor zu den Fenstern …
Es gab kein Halten mehr.
Der schwarze Pöbel von Jamestown lechzte nach Blut … –
Achselzuckend hielt Major Scammon uns zurück …
„Bleiben Sie!“ sagte er hart. „Von denen dort drinnen werden wir keinen mehr ins Verhör nehmen können. Soll ich die Neger niederknallen lassen?!“
Die Schuppen brannten …
Im Hause rasten finstere Teufel, vor uns nun ebenfalls eine lebende Mauer … Dann flammten die Bogenlampen auf, beleuchteten zugleich mit den Polizeischeinwerfern die Stätte des Grauens …
Körper flogen durch die Fenster in den Hof …
Halbtote, Sterbende …: Weiße …!
Dann durchbrach die geschlossene Masse der Matrosen den schwarzen Damm, wir stürmten mit, – hinein durch die zertrümmerte Haustür …
Die Neger verschwanden wie Gespenster … Aber es war zu spät. Scammon kannte seine Brut …
Nur Cracer lebte noch … Eines jener kostbaren Schwerter mit Elfenbeingriff, wie die Aschanti-Schmiede sie einst herstellten, steckte ihm bis zum Griff in der rechten Brustseite … Er lag quer über einem Diwan, blutigen Schaum auf den Lippen … Wir standen vor ihm … Ein letzter entsetzlicher Fluch gurgelte über die farblosen Lippen …
„Sucht doch das Gold – sucht es, – und fahrt zur Hölle!“
So starb James Cracer, der den Oberst Mac Olden ermorden ließ, den wir auf dem Dampfer getroffen hatten, als er von London zurückkehrte, wo er die Beseitigung Frau Mac Oldens vorbereitet hatte … –
Genug des Grausigen.
Leuchtend stieg die Sonne über der wieder beruhigten Eingeborenenstadt empor. Ein enger Polizeikordon schloß das halb verwüstete, halb ausgeplünderte Haus des Verbrechens gegen die Außenwelt ab.
Die Negerbevölkerung rüstete zum Homovo-Fest, dumpfer Trommelwirbel erklang aus dem Gewirr der Gassen und Gäßchen, Böllerschüsse begrüßten das Tagesgestirn, ganze Salven aus uralten Flinten leiteten den Tag des Aberglaubens ein. Diese Neger sind im Grunde unreife Kinder, unfertige Menschen, – äußere Eindrücke sind ihnen alles, bis in ihr Inneres dringt nur das, was das ererbte Blut ihnen mitgab: Fetischdienst, uneingestandene Angst vor den alten Göttern, die neben dem Christengott regieren.
Für uns hatte der Rest der Nacht keine Ruhe gespendet. Major Scammon hatte König Memhe als kluger Politiker, als Kenner der Volksseele öffentlich im Schein der Bogenlampen gedankt und die Hand gedrückt. Memhe von Jamestown war geschwollen vor Eitelkeit und Wichtigtuerei, – noch nie hatte er beweisen können, daß all diese Tausende von heimlichen Fanatikern ihm so blindlings ergeben waren. Er hatte Richter gespielt, unter den Kugeln und Speeren und Messern seiner Leute waren Cracers Verbündete hingesunken wie kranke, überreife Saat.
Scammon machte weiter kein Hehl daraus, daß ihm dieser Ausgang endlose Gerichtsverhandlungen erspart hatte. Aber – es war noch nicht alles getan.
In James Cracers großem Arbeitszimmer hatten am langen Tisch diese geldgierigen Schurken gesessen und beraten. Aus den Papieren, die wir fanden, schälte sich das Bild vergangener Schandtaten klar heraus. Diese Piraten, keiner dem anderen trauend, in steter Furcht vor ihrem unerbittlichen Verfolger Mac Olden, hatten sich gegen Verrat des Einzelnen gesichert. Mitten auf dem Tische stand eine Stahlkassette. Ihren Inhalt zu verbrennen, fanden die Banditen keine Zeit mehr. Das Unheil der Vergeltung war über sie hereingebrochen wie eine Sturmflut, die Kassette enthielt das von allen Beteiligten unterzeichnete Dokument ihrer Schuld.
Die Schrift lautete:
Wir, die wir dieses Geständnis unterschrieben haben, damit keiner von uns je Verrat übe, erklären Folgendes: Charly Oskar Mac Olden, jüngerer Bruder des Oberst Mac Olden, war Mitglied eines kleinen Klubs in London, in dem sich Männer und Frauen zweifelhaften Rufes zusammengetan hatten. Zu ihnen gehörte auch James Cracer, einst Hausmeister der Familie Mac Olden, dann Plantagenbesitzer unweit Accra, Goldlüste. Als Cracer einmal wieder die Heimat besuchte, teilte ihm Oskar Mac Olden, damals schon mit seiner Familie zerfallen, ohne bestimmte Absicht mit, daß der Golddampfer nach drei Tagen heimlich in See gehen würden Cracer und die anderen Klubmitglieder beschlossen, das Gold zu rauben. Cracer gab das Geld her, den holländischen Dampfer Wilhelminje zu chartern, Bob Fennon übernahm die Führung des Schiffes, und in jener Nacht überfielen wir den Golddampfer, töteten die Besatzung, brachten die Goldkisten auf die Wilhelminje und verbargen nachher den Raub, indem wir einander schworen, den Schatz erst dann zu teilen, wenn wir keine Entdeckung mehr zu fürchten hätten. Wir wollten uns nicht durch größere Geldausgaben verdächtig machen. Jedes Jahr kamen wir einmal zusammen, entnahmen dem Schatze kleinere Beträge und berieten, was gegen Oberst Mac Olden, der uns nachspürte, zu unternehmen sei. Wir suchten ihn zu beseitigen, – er war vorsichtig, – wir bestachen schließlich seinen Kammerdiener Allan Fraser, der ihn vergiften sollte. Fraser kannte persönlich niemanden von uns, die Unterhandlungen mit ihm hatte Elsa Morfax verkleidet geführt. – Charly Oskar Mac Olden, dem wir den großen Tipp verdankten, hatte sich an dem Gewaltstreich nicht beteiligen wollen, drohte mit Verrat und wurde stumm gemacht. Einige drangen darauf, ihn zu töten, die meisten waren dagegen, und er wurde für alle Zeiten in sicheren Gewahrsam gebracht. – Wir bekennen, daß wir alle gleich schuldig sind.
Accra, im Februar 1926.
(Folgen die Unterschriften.)
Ein zweites Dokument ähnlicher Art, begonnen in dieser Schreckensnacht, war nicht zu Ende geführt worden.
„Wir bekennen des weiteren, daß wir alle auch an dem Tode des Oberst Mac Olden die gleiche Schuld tragen, daß wir es nunmehr auch auf das Vermögen der Mac Oldens abgesehen und Allan Fraser bestimmt hatten, ein Testament zu fälschen, das ihm den Hauptanteil des Erbes sicherte. Cracer traf mit Elsa Morfax in London zusammen, wo Bob Fennon auf ein bestimmtes Telegramm der Morfax hin, gerichtet an ihre Zeitung, Frau Mac Olden töten sollte. Am nächsten Tage sollte dann der Oberst in Casablanca sterben. – Ein Anschlag auf den Deutschen Harald Harst mißlang, ebenso ein zweiter. Das Flugzeug mit dreien von uns zerschellte. Nur einer gelangte noch lebend nach Casablanca und sandte uns die Warnung, daß Harst unterwegs nach Accra sei. Dieses Kabel traf soeben für Cracer ein, der sich daraufhin in den Palast Memhes begab, wo, wie wir wußten, die Deutschen und …“
Hier brach die Niederschrift ab.
Um diesen Beratungstisch der Verbrecher saßen jetzt acht Männer herum, die nichts von dem in der Eingeborenenstadt erwachenden Festtrubel vernahmen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit ernsteren Dingen.
Der Gouverneur der Goldküste präsidierte dieser kleinen Versammlung.
„Mr. Harst, Sie erzählten, das Sportflugzeug sei Ihnen entkommen,“ sagte er fragend.
„Das sagte ich nicht,“ erwiderte Harald bedächtig. „Fung Li teilte uns mit, der Eindecker ginge im Gleitflug nieder. Fung Li täuschte sich, er hatte doch wohl besser getroffen, als er annahm.“
Seine Exzellenz fragte weiter: „Wer erschoß Mac Olden?“
Harst schwieg erst. „Dieser Mord, Exzellenz, war so schlau vorbereitet, daß nur ein kleiner Fehler der Mörder, die sich auf Cracers Jacht befanden, mich auf die richtige Spur brachte. Sie wollten Mac Olden von der Jacht aus mit einem Maschinengewehr und mit runden Geschossen toten. Ein Teil der Baumkrone der Platane im Garten der Villa Rapsom war ihnen im Wege. Sie lichteten die Krone, um freies Schußfeld zu haben, sie feuerten dann mit einem großen Schalldämpfer auf der Mündung, sie feuerten zuerst über das etwa neunhundert Meter entfernte Ziel hinweg, durchlöcherten die Seidenschirme – und trafen. Mac Olden erhielt drei Kugeln. – So starb er – als Soldat vor dem Feinde.“
Exzellenz blickte Harst bittend an. „Werden Sie uns nach dem Schatz und nach dem unglücklichen Bruder des Oberst suchen helfen?“
Harst zögerte wieder. „Ich fürchte, das Suchen wäre zwecklos, Exzellenz. Ich rate, versprechen Sie Miß Morfax milde Bestrafung, und sie wird alles verraten. Es ist der einfachste Weg, der schnellste. Telegraphieren Sie an Jomak-Bey, und Jomak wird Miß Morfax zu einem Geständnis bringen.“ –
Abends, als ganz Accra von dem Gröhlen der Trunkenen widerhallte, traf Jomaks Antwort ein. Die Kisten waren in einem Geheimkeller unter den niedergebrannten Schuppen verborgen, Charly Oskar Mac Olden, ein Gescheiterter, jetzt ein reuiger, gebrochener Mann, wurde in einer Hütte im Dickicht unweit der Plantage Cracers gefunden, einer früheren Fetischhütte in einem heiligen Hain, den kein Schwarzer zu betreten wagte. Er war dort angeschmiedet wie ein wildes Tier, er war schneeweiß geworden, sechs Jahre hatte er in Gestank und Unrat zugebracht.
Er erholte sich bald, er erbte die Millionen der Mac Oldens, er belohnte Doktor Rabradri Sakore aufs glänzendste, er gab sein Riesenvermögen für Werke der Liebe hin und blieb in Accra und bewirtschaftet einsam und menschenscheu eine kleine Plantage – noch heute.
Allan Fraser büßt in einem englischen Zuchthaus, – die leuchtende Eule hat Harst sich ausgebeten …
Wer uns einmal besucht, wird sie auf der rechten Schreibtischecke finden. Wenn mein Freund ihren Stecker an die Lichtleitung anschließt und die Augen des Tieres glühen und der feine Duft verdampfender Tannenessenz das Zimmer füllt, brauche ich nur die Augen zu schließen:
All die wilden Szenen im fernen Accra werden dann wieder lebendig, ich sehe Memhe, den König, auf dem Fenster stehen und höre seine Pofaunenstimme …
Die Eule hält den Kopf etwas schief. Die Alten nannten sie den Vogel der Weisheit. Unsere Eule war ein Vogel kalter verbrecherischer Berechnung. Jetzt ist sie nur noch Andenken und … Rauchverzehrer. –
Nächster Band:
Die Kakteen der alten Mamsell.
Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16