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Der Mann von gestern

 

 

Harald Harst

 

Band: 368

 

Der Mann von gestern …[1]

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Max Schraut gewidmet

Wer den deutschen Wald so fühlt wie du,
Und die Stimmung der märkischen Seen dazu,
Und das Ostseegeländ’ und die trutzige Stadt
Alt-Danzig, das dich geboren hat –
Und dessen heimliche Wege man geht
Mit dem Dichter, von Regen und Sturm umweht,
Der für sich und für andere rastlos strebt,
Dessen Menschen man mit ihm liebt und erlebt,
Der Männer schildert, ganz Deutsch von Art,
Im Verbrecher selbst – menschlichen Funken gewahrt,
Der für Deutschland kämpfte als ganzer Mann,
Der ist Deutsch, wie Deutsch nur Deutsch sein kann!

Ein dankbarer Leser

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1934 by Verlag moderner Lektüre, G.m.b.H., Berlin SO 16
Buchdruckerei P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Der Mann von heute …

Harst fügte sehr leise hinzu: – –

„Der Trias und sein Sohn haben Werte im Gesamtbetrage von etwa fünfzehn Millionen zusammengeraubt, aber stets von Ausländern oder im Auslande. Das ganze Tun und Treiben des Trias ist jedenfalls völlig unabhängig von den Machenschaften jener Goldräuber, über die die englischen Blätter jetzt so viel berichten und die Vermutung daran knüpfen, daß den Leuten ein Spionageapparat größten Umfanges zur Verfügung steht. Die Sache, dieses Spionagenetz bloßzustellen, könnte mich reizen.“

So etwa habe ich den vorigen Band beschlossen. Als Harst dies an einem sehr schwülen Augustabend äußerte, waren seit dem Verschwinden des alten Trias drei Tage verflossen, – bekanntlich hatte der „alte“ Trias in Norwegen am Hardangerfjord sein Heim gehabt und seinen Schlupfwinkel verbrannt.

Und nun gehe ich ohne langen Übergang zu dem „Mann von gestern“ über.

In einer jener Sommernächte, die durch ein drohendes Gewitter, durch den bedeckten Himmel und durch die völlige, regenschwere Finsternis die Menschen mit der Ahnung kommenden Unheils erfüllen und auf feinfühlige Seelen ärger wirkten als das Tosen eines Unwetters und das Krachen des Donners, saß in einer jener Kneipen, die an der Havel unweit von Berlin und der Heerstraße zwischen großen Restaurants mit eleganten Bars und Tanzdielen liegen, ein ärmlich gekleideter Mann mit grauer Künstlermähne und schütterem Bart und verzehrte zum Abendessen seine mitgebrachten Brote und trank dazu ein Glas Bier. Neben ihm auf dem Tische lag eine Geige in einem Glanzleinenüberzug.

Der alte Musikus hatte heute schlechte Geschäfte gemacht und klagte darüber mit bewegten Worten dem Wirt der Kneipe ein langes und breites vor und schalt auf das Wetter, das die Ausflügler und Segler heute so früh verjagt hatte.

„Hören Sie auf!“ meinte der Wirt fast grob. „Wie heißen Sie eigentlich?“

„Heute!“ sagte der Musikus gleichgültig.

„Wie, – Sie heißen „Heute“?! Soll das ein Witz sein?!“

„Nein, es ist so. Ich mache nie Witze, nur Scherze. Ich bin ein Mann, der Heute heißt und auch in die heutige Zeit hineinpaßt.“

„So?! Weshalb?!“ fragte der Wirt mißtrauisch, da er vermutete, der Alte wolle ihn zum Besten haben.

„Weil das Geld auf der Straße liegt. Man muß es nur aufzuheben wissen!“

Der Wirt schielte den seltsamen Menschen noch mißtrauischer von der Seite an. Aber ein draußen jäh herniederprasselnder Regenguß lenkte seine Aufmerksamkeit ab, da eine Menge neuer Gäste hereinströmte, die vor dem Unwetter Schutz suchten. Es gab nun für ihn alle Hände voll zu tun, und als der erste Ansturm am Büffet vorüber war, setzte er sich an einen anderen Tisch zu zwei ihm längst bekannten Herren, die ihre kleine Segeljacht hier in nächster Nähe liegen hatten und zu seinen Stammgästen gehörten. Der eine der beiden schimpfte gleichfalls auf das Wetter, und da lachte der Wirt und deutete heimlich auf den Alten, der nun schon das vierte Glas vor sich stehen hatte, denn das Bier war gut.

„Der Bettler da schalt auch auf die Gewitterstimmung!“ Und dann wiederholte er die merkwürdigen Redensarten des Mannes und sagte achselzuckend: „Was der für feine Unterschiede zwischen Witz und Scherz macht!! Wer „Heute“ heißt, sollte sich besser mit ä schreiben, das hat wenigstens Sinn. Unter Häute, Herr Häute … denkt man einen Lederwarenhändler!!“ Dann belachte er seinen sogenannten Witz und fügte hinzu: „Stellen Sie sich vor, der da erklärt, er heiße Heute und sei auch ein Mann von heute! Blödsinn, – ein gerissener Schnorrer ist’s, der leidlich Geige spielt.“

Der eine der Herren blickte verstohlen immer wieder zu Herrn Heute hinüber.

– Als der Regen vorbei, bezahlte der Musikus und schritt davon, nickte dem Wirt nur flüchtig zu und bestieg die Straßenbahn, die zur Stadt fuhr. Er saß in einer Ecke und hatte eine Zeitung hervorgeholt. Es war eine Nummer der Londoner Times. Er las sehr langsam, als ob er im Englischen wenig bewandert sei und die ganze halbe Stunde, die seine Fahrt bis zum Brandenburger Tor dauerte, kam er nicht über die erste Seite hinweg.

Er ging dann nach rechts an den Mauern der Gärten der Wilhelmstraße entlang, schaute sich dabei mehrfach um und verriet ein gewisses Mißtrauen, als könnte ihm jemand folgen. Einmal blieb er stehen und musterte auch die Anlagen jenseits der Straße.

Plötzlich war er dann verschwunden. Das ging so schnell, als hätte ihn der Erdboden verschluckt, und dies geschah unmittelbar vor dem ersten hohen Gebäude hinter der Reihe von Parkmauern.

Hier stand ein uraltes Häuschen, in dem ein ebenso uralter früherer Kastellan seit vielen Jahren als Pensionär wohnte und noch so nebenbei den kleinen Park, der sich an das Gebäude anschloß, in Ordnung hielt.

Der Musikus Heute war der neue Mieter der alten Günzels, und es gab wohl kaum einen solideren Mann als ihn, den der einstige Kastellan mehr aus Mitleid bei sich aufgenommen hatte. Leise stieg der Geiger die Treppe hinan und betrat seine beiden Stübchen, – die Günzels schliefen längst, das wußte er.

Er machte kein Licht, sondern ging in sein Schlafzimmerchen und zog sich nur beim Schein der Straßenkandelaber, die ihm genügend Beleuchtung spendeten, gemächlich, aber sehr sorgfältig um und schaltete nur ganz zuletzt eine Taschenlampe ein und betrachtete sein Gesicht sehr genau in einem feinen ovalen Spiegel.

Dann verließ er sein Heim wieder, aber nicht über die Treppe. –

Dem Häuschen gegenüber standen im Baumschatten die beiden Herren aus der Kneipe, denen der Wirt von dem feinen Unterschied erzählt hatte, den der alte zwischen Witz und Scherz zu machen schien.

„Ich begreife dich wirklich nicht“, sagte ich nochmals zu Harst. „Weshalb stehen wir uns hier die Beine in den Leib?!“

Mein Freund erwiderte schroff: „Da, soeben blitzte droben in dem Häuschen Licht auf. Schau nur hin. Du siehst, daß das Fenster etwas hell ist, aber so, als ob der Mann nur mit einer Taschenlampe hantiert und dabei kniet, – wenn du dazu sein blitzartiges Verschwinden und – hallo, jetzt ist der Lichtschein erloschen. Nun heißt es, gut aufpassen. Irgend etwas stimmt hier nicht.“

Und dann fügte er nach einer Weile hinzu: „Das Häuschen lehnt sich an den großen Mietspalast an. Gehen wir weiter.“

Sehr bald blieb er wieder stehen und musterte nun die Front des Mietspalastes.

Es begann zu regnen. Wir schlugen die Mantelkragen empor, und auch ich sah nun, daß im ersten Stock der eleganten Mietskaserne ein paar Fenster für kurze Zeit hell wurden und dann wieder dunkel.

„Unmöglich …!“ sagte ich, als wir zwanzig Minuten später in einem der vornehmsten Kaffees am Kurfürstendamm im Westen saßen und am dritten Tisch neben uns ein Herr, der die Times las. „Das kann doch nicht der Herr Heute sein! Ich bitte dich, Harald, das ist doch ein ganz moderner und tadellos angezogener Lebemann mit Monokel und …“

„Ja, – ein Mann von heute!“ meinte Harst ebenso leise. „Im übrigen liest er auch die Times wie der Herr Heute in der Straßenbahn, und mir genügt das. Wenn es dir nicht genügt, mein Alter, so mache ich dich auf seine Hand aufmerksam. Es ist dieselbe schmale Künstlerhand wie die des armen Geigers, der nun hier als Mann von heute seine zweite Rolle spielt: Die des Lebemannes! Woran absolut nichts Merkwürdiges wäre, wenn der Herr Heute nicht ausgerechnet die unvorsichtige Bemerkung über Witz und Scherz und „Geld auf der Straße“ gemacht hätte, die den Wirt natürlich als nichtsahnend verhöhnen sollte.“

Das Kaffee war überfüllt. Jetzt nahm noch ein Herr mit einem grauen Spitzbart an dem Tische des Fragwürdigen Platz, nachdem er sich erkundigt hatte, ob die beiden Sessel noch frei seien. Herr Heute hatte ärgerlich genickt. Er wollte offenbar lieber mit seiner Times allein bleiben. – Der Spitzbärtige bestellte beim Kellner ein Glas Portwein, bezahlte dieses sofort, als es ihm gebracht wurde, und verlangte noch einen Chartreuse … – Auch den bezahlte er und stellte ihn auf den freien Platz vor den dritten noch freien Sessel.

Harst hüstelte leise, das hieß: Achtung!!

Ich paßte also haarscharf auf und beobachtete folgendes. Der Spitzbärtige rieb an dem Zündholzbehälter, der auf dem Marmortische stand, ein Streichhölzchen an und langte dabei mit den Händen ziemlich weit über den Tisch … Ich sah genau, wie er dabei mit wahrer Jongleurgewandtheit ein Kügelchen in die noch halb gefüllte Kaffeetasse des Geigers schnellte, ohne daß dieser etwas merkte. Er las eifrig in der Times, und immer noch studierte er die erste Seite.

Ich schaute Harald fragend an, denn es war meines Erachtens unsere Pflicht, den Ahnungslosen zu warnen, da das Kügelchen auch Gift gewesen sein könnte. Harst jedoch schaute so interessiert den Wölkchen seiner Zigarette nach, daß ich nur annehmen konnte, er wünsche keine Einmischung unsererseits. – Ich paßte noch schärfer auf. – Der Geiger, der nun um dreißig Jahre jünger aussah und so vornehm wie ein englischer Lord alten Schlages, wollte gerade nach der Tasse greifen und hatte sie auch schon in der Hand, als eine junge Dame erschien, die ohne weiteres auf den leeren Sessel zusteuerte, sich setzte, den Chartreuse austrank und den Geiger flüchtig musterte, während der Spitzbärtige sich eiligst entfernte, indem er der Dame, die sehr jung und sehr hübsch war, vertraulich zurief: „Ich besorge uns eine Taxe!“

Herr Heute stellte die Tasse wieder hin und rührte mit dem Löffel darin herum. Da er den Kaffee durch viel Milch sehr hell gemacht hatte, konnte ich an den Tropfen, die vom Löffel fielen, sehen, daß der Kaffee jetzt fast schwarz war.

Die junge Dame wandte sich dann an Herrn Heute, den Verjüngten, und fragte mit einem süßen Stimmchen in etwas gebrochenem Deutsch – es klang so etwas nach Englisch –, ob sie vielleicht für kurze Zeit die Times haben könnte, – sie wolle darin nur etwas nachsehen.

„Bitte!“ Unser neuestes Opfer reichte sie ihr hinüber. Sie zog ein Notizbüchlein aus ihrem Krokodilledertäschchen, beugte sich über das große Blatt und schrieb mit einem silbernen Bleistift anscheinend aus den Anzeigen etwas ab. Dann gab sie Herrn Heute die Zeitung zurück und bedankte sich, erhob sich und ging schnell hinaus.

Harst winkte den Kellner herbei. „Zahlen!“

Ich war enttäuscht, – wir brachen wirklich auf, und draußen sagte ich lachend zu meinem mißtrauischen Intimus: „Na, nun bist du wohl kuriert …! Der Mann ist eben einer jener Bettler, die wie du schon vorhin erklärtest, ein Doppelleben führen, was für eine Weltstadt wie Berlin durchaus nichts Ungewöhnliches ist. Die Polizei hat derartige Leute schon häufig überführt und folgerichtig eingesperrt.“

Harst schritt schweigend nach rechts den Kurfürstendamm empor, also in Richtung des Vorortes Halensee. Erst nach einer Weile erwiderte er eigentümlich zerstreut und musterte alle Autos, die an uns vorüberrollten: „Du wirst dich wundern, mein Alter, was bei der Geschichte noch herauskommt. Wir sind da nicht durch Zufall, sondern durch mein ewig waches Mißtrauen auf eine Fährte gestoßen, um die uns ganz England beneiden würde, denn die dortige Polizei hat aus Verzweiflung über ihre bisherigen Mißerfolge nicht weniger als fünftausend Pfund Sterling Belohnung für sachdienliche und erfolgverheißende Mitteilungen aus dem Publikum ausgesetzt …“

Ich blieb stehen. „Denkst du an die Goldräuber und ihr Spionagesystem?“

„Ja!“

Fünf Minuten später verschwanden wir in dem Hause Uhlandstraße 105, und da wir die Pensionsinhaberin noch über ihren Abrechnungen vorfanden, wurde alles Nötige in kurzem erledigt. Wir lagen gegen ein Uhr in frisch bezogenen Betten und besprachen durch die offene Verbindungstür die Erlebnisse dieses Abends und die Aussichten, 5000 Pfd. Sterling zu verdienen.

 

2. Kapitel.

Der Basar „Echt Orient“.

Im Pensionat Toost war es üblich, da es sich eben um ein wirklich vornehmes Familienheim handelte, daß die Mahlzeiten möglichst gemeinsam in dem als Wintergarten sehr geschmackvoll hergerichteten Speisesaale eingenommen wurden. Als wir – wir kannten die Eigentümlichkeiten des Hauses Toost von einem anderen Falle her – um neun Uhr an der Frühstückstafel erschienen, fanden wir den palmengeschmückten Raum bis auf einen an dem breiten Fenster stehenden Korbsessel leer. Wir waren vorbereitet und daher so gleichgültig gegenüber der bildhübschen jungen Dame, wie es zwei Leuten gesetzten Alters zukommt. Eine höfliche Verneigung, und auch wir nahmen Platz, das Serviermädchen brachte die Teebretter mit dem Frühstück, und wir unterhielten uns über den Trias in aller Zwanglosigkeit und gerade nur so laut, daß die junge Dame drüben, die erst heute früh zugezogen war, teilweise verstehen konnte, was wir sprachen. – All das war vereinbart, auch das Erscheinen der Frau von Toost und die Art, wie sie uns dem Neuling vorstellte.

„Miß Cortwriht, dies sind zwei ziemlich bekannte Herren“, sagte die grauhaarige, aber noch immer sehr imposante Frau von Toost. „Die Herren Harst und Schraut beehren mich zuweilen, wenn sie Ursache haben, ihr eigenes Heim in der Arnoldstraße zu meiden.“

Wir hatten uns erhoben, Miß Gerda Cortwriht kam nun auf uns zugetrippelt und reichte uns mit bezauberndem Lächeln die Hand. „Ich kenne Ihre Namen natürlich. Ich freue mich sehr. Darf ich bei Ihnen Platz nehmen?“

Dann plauderte sie ebenso zwanglos über ihre Berliner Besuchsabsichten.

„Sie werden es nicht für möglich halten, aber man findet hier in Berlin weit mehr wirklich echte antike Sachen als bei mir daheim in London … Als Einkäuferin eines Spezialgeschäfts muß ich sehr vorsichtig sein …“ und so weiter … – Schließlich kam das, was wir erwartet hatten … „Sind Sie auch jetzt wieder beruflich hier bei Frau von Toost?“

„Leider …“, erwiderte Harald mit einem sehr echten Seufzer, mindestens so echt wie Miß Cortwrihts Angaben über ihre geschäftliche Tätigkeit. „Leider!! Sie haben ja sicherlich in den Zeitungen vom Trias gehört. Nun also … Er ist uns entkommen, auch das werden Sie wissen. Gestern glaubten wir durch einen Zufall eine Spur von ihm entdeckt zu haben, aber es war Täuschung, war ein Irrtum … Der Mann, den wir beobachteten, stellte sich als harmlos heraus – –“ Er strich sich ein neues Brötchen und fügte hinzu: „Jetzt heißt es, die bisherige Fährte wieder aufnehmen, die uns veranlaßte, zeitweilig unser Heim zu meiden. Mehr kann ich Ihnen leider nicht verraten, Miß. Es dürfte sie auch kaum interessieren.“

Sie lächelte süß und nickte. „Nicht allzu sehr, Herr Harst. Ich habe andere Sorgen. Ich soll nämlich für einen sehr reichen Londoner Sammler von Buddhafiguren, der sich an unsere Firma gewandt hat, einen ganz bestimmten recht seltenen Buddha und zwar einen in Ton gebrannten beschaffen, den sogenannten „mütterlichen Buddha“ mit einem Säugling im rechten Arm, eine äußerst gesuchte Darstellung, weil sie eben so sehr selten und nur in chinesischem Ton wirklich echt ist.“

„Hängt für Sie von der Beschaffung des mütterlichen Buddha denn so sehr viel ab, Miß Cortwriht?“

In ihren langen Wimpern erschienen plötzlich Tränen. Sie kämpfte sie tapfer und mit noch tiefer gerunzelter Stirn sehr schnell nieder und antwortete leichthin: „Ich verliere sonst meine Anstellung. Mein Chef ist ein äußerst rücksichtsloser Herr, aber er bekommt für mich allezeit Ersatz.“

Dann erhob sie sich und schritt nach einigen Abschiedsworten davon. „Ich muß mich auf die Suche machen. Auf Wiedersehen, meine Herren …“

Auch wir machten uns nun zum Ausgehen fertig. Wir wußten nun ja, woran wir mit Herrn „Heute“ und mit der Miß und mit dem Herrn mit dem Spitzbart waren. Wir gaben auf der Straße sehr scharf acht, ob uns jemand folgte, und schon unten am Kurfürstendamm an der Gedächtniskirche kannten wir den Gentleman, der uns so emsig und so vorsichtig nachschlich. Es war ein Gentleman! Alles an ihm war modernster Londoner Schick. Trotzdem war der Mann ein Gauner, wie ich Harald gegenüber betonte, was eigentlich überflüssig war, und mein Freund nickte dazu.

Unser Programm stand fest. Zunächst mußten wir den unbequemen Herrn loswerden, dann wollten wir uns das Häuschen einmal anschauen, in dem Herr „Heute“ als Geiger wohnte. Wir bestiegen am Eingang zum Zoo eine Taxe, und gerade als sie sich in Bewegung setzte, fuhr eine andere an uns dicht vorüber und eine behandschuhte Herrenhand warf einen gefalteten Zettel in unser Auto.

Das ging alles sehr flink, und es war keine Rede davon, den Menschen etwa zu verfolgen, dazu hatte er die Sache zu schlau angefangen.

Harst las den Zettel: „Hüten Sie sich! Lebensgefahr!!“

Das war alles.

Harst lachte. „Zu romanhaft!!“

Und ich sagte geringschätzig: „Als ob Drohungen bei uns je etwas verfangen hätten!!“

Er schaute mich von der Seite an. „Drohungen?! Ach so, du meinst, daß der Zettel von den Leuten mit der Vorliebe für den mütterlichen Buddha kommt! Das dürfte ein Irrtum sein oder ein logischer Denkfehler.“ – Er betrachtete den Zettel nochmals. Die Handschrift war wie gestochen und verriet eine große Fertigkeit im Rundschriftschreiben. Mein Freund schob den Zettel in die Westentasche und gab dem Schofför neue Anweisungen. Als wir fünf Mark voraus bezahlt hatten, bog die Taxe schon in das Gassengewirr der urältesten Berliner City ein. An einer scharfen Ecke sprangen wir hinaus und betraten das uns längst bekannte Durchgangshaus. Gleich darauf schritten wir an der Spree entlang und waren den feinen Gentleman losgeworden.

Der Tag war warm und sehr schwül. Wir nahmen eine zweite Taxe und ließen sie gegenüber dem Häuschen halten – nicht allzu lange, um nicht aufzufallen. Im ersten Stock waren die Vorhänge des Fensters, hinter dem in der Nacht der Lichtschein aufgeblitzt war, zugezogen. Dann verließ ein alter würdiger Herr mit dickem Wachtmeisterschnurrbart das Häuschen und wanderte in den ganz nahen Tiergarten. Wir paßten wieder sehr genau auf, ob dem Manne jemand nachging, denn unsere Annahme, hier auf eine Fährte der großen Spionagezentrale der Goldräuber gestoßen zu sein, hatte vieles für sich und zwang uns zur allergrößten Vorsicht.

Niemand folgte dem alten Herrn, wir stiegen aus, ließen die Taxe warten und sprachen ihn an, nannten unsere Namen, und Harald hatte in fünf Minuten alles über Herrn „Heute“ erfahren, was wir wissen wollten. Der alte Günzel, der frühere Schloßkastellan, durfte natürlich nicht ahnen, daß uns sein Mieter, der sich bei ihm Georg Netteler nannte, irgendwie verdächtig erschien, er konnte uns im übrigen auch nur wenig berichten und seinen Mieter nur loben, der stets bis in den Mittag hineinschlief, dann mit seiner Geige seinem Beruf nachging und nie Post erhielt, da er auf der Welt ganz allein dastand.

Herr Günzel versprach uns zu schweigen, und wir schieden von ihm mit freundlichem Händedruck. Er war offenbar sehr stolz darauf, uns Auskunft gegeben zu haben, und ahnte nicht im entferntesten, daß Georg Netteler unser Jagdobjekt sein könnte. Harald hatte vor ihm da eine rührselige Geschichte erzählt, die zu des braven Günzels Charakterveranlagung paßte. –

In dem Basar „Echt Orient“, der in dem großen Mietspalast im ersten Stock linker Hand lag, also nach der Seite des Häuschens der Günzels hin, erschienen bald darauf zwei Herren, die von einem krummbeinigen Manne im roten Fes empfangen wurden. Dieser Türke zeichnete sich durch ein Riechorgan von ungeheuren Dimensionen und durch eine Sprache aus, die nur wenig an Stambul erinnerte. Immerhin spielte der Inhaber des Basars seine exotische Rolle recht gut.

„Wir möchten fragen, ob Sie einen sogenannten mütterlichen Buddha vorrätig haben“, brachte ich unser Anliegen wie vereinbart vor. Wir pflegten die Rollen stets genau zu verteilen.

Der Türke rieb sich die mit Brillantringen besteckten und dafür etwas unsauberen Hände und dienerte aufs tiefste.

„Ein reiner Zufall, meine Herren, ein reiner Zufall, bei Gott, ein Zufall, – aber das Stück ist noch da …“

Die vielen Beteuerungen waren der beste Beweis, daß der Mann log. Wir folgten ihm in den zweiten Raum, wo die Prunkstücke aufgebaut waren, zum Teil wirklich wertvolle Dinge, dafür hatten wir einen Blick. Aus einem alten Geldschrank, der mit Hilfe eines Sauerstoffgebläses in drei Minuten zu öffnen war, holte er den Buddha hervor und reichte ihn mir. Es war eine aus Ton gebrannte Figur, und sie schien echt zu sein.

„Was kostet der Buddha?“

Der Türke zögerte. Ich war also schon auf einen gepfefferten Preis vorbereitet.

„Tausend Mark!“

Das war eine Unverfrorenheit, kein Preis. „Hören Sie mal, Sie haben sich wohl versprochen, Herr Ben Akiba?!“

Er glotzte mich dumm an und grinste und sagte mit erneuten Bücklingen:

„Ich heiße Hassan, mein Herr. Ich kenne keinen Ben Akiba. Und was den Preis angeht: Einfach geschenkt! Zu verschenken habe ich nichts. Auch die schöne Miß, die vorhin hier war, wollte nur die Hälfte zahlen. Ich mußte bedauern …“

Harst mischte sich jetzt erst ein. „Siebenhundertfünfzig! Zum ersten und …“ – Er wartete etwas … Das „Zum letzten“ sprach er nicht aus, und der Türke Hassan, der keinen Ben Akiba kannte, krümmte sich wie ein getretener Wurm und stöhnte: „Ausgeschlossen! Ich habe selbst für die Figur so viel bezahlt. Eigentlich müßte sie Tausenddreihundert kosten.“

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen holte Harst sein Scheckbuch hervor, schrieb einen Barscheck aus und reichte ihn dem Türken.

„Schicken Sie mir die Figur in das Pensionat von Toost, Uhlandstraße 105 – für Herrn Harst. – Ich wohne zur Zeit dort.“

„Sehr wohl, Herr Harst, sehr wohl! Verzeihen Sie, sind Sie vielleicht der Privatdetektiv Harst aus der Arnoldstraße, Berlin W?“

„Bin ich. – Also dann heute mittag ein Uhr. Bis dahin können Sie den Scheck eingelöst haben. Guten Morgen …“

Aber Herr Hassan hatte plötzlich noch private Wünsche. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck von pfiffiger Schläue an, und er flüsterte vertraulich:

„Herr Harst, Sie können die Figur gratis haben, wenn Sie mir einen kleinen Dienst erweisen wollen. Betrachten Sie mich als Ihren Klienten und folgen Sie mir bitte in mein Privatkontor. Der andere Herr ist doch sicherlich Ihr Freund, Herr Schraut?“

„Sicherlich!“ und wir folgten ihm.

 

3. Kapitel.

Ein geheimnisvoller Auftrag.

Das Privatbüro des Hassan war einfach pompös eingerichtet. Hier roch es geradezu nach leicht verdientem Geld aus einer Zeit, wo die reichen Familien und Sammler ihre Kostbarkeiten den Inflationshyänen in den Rachen werfen mußten.

Hassan bot uns echt türkische Zigaretten an, die wir dankend annahmen und die echter waren als der Auftrag der schönen Einkäuferin Miß Gerda Cortwriht.

Der Türke rückte seine Brille zurecht, streichelte seine Nase, zog bedächtig an seiner wulstigen Unterlippe und legte nach diesen Vorbereitungen los!

„Meine Herren, zwischen Klient und Detektiv muß volle Offenheit bestehen.“

Als Einleitung war das recht hübsch gesagt.

„Beginnen Sie damit“, nickte Harst etwas sehr zweideutig, aber Hassan verstand den Witz nicht, die feinen Unterschiede, die Herr „Heute“ zwischen Witz und Scherz machte, hatte er noch nicht begriffen.

„Also“, begann Herr Hassan, „also die Sache ist die. Vorhin war eine junge Engländerin bei mir, deren Benehmen mir verdächtig erschien. Ich meine die Dame, die auch den Buddha kaufen wollte und die wie Sie im Pensionat Toost wohnt.“

Er legte eine nachdenkliche Pause ein und schielte uns fragend an. Er schielte sogar sehr gut, fast künstlerisch, man wußte nie, ob er einen ansah oder seine Nasenspitze musterte, die voller Schweißperlen stand. Nachdem er dann genügend nachgedacht hatte, fuhr er fort: „Die Miß“, – er hob das Miß hervor, um seine englischen Kenntnisse zu beweisen – „die Miß gab mir Namen und Adresse an und wollte telefonisch Bescheid geben, ob sie sich dennoch zu dem Kauf entschließen würde, ich erklärte ihr jedoch, ich behielte mir das freie Verfügungsrecht über den Buddha vor, womit sie einverstanden war.“

Abermals schwieg er und überlegte offenbar jedes Wort. Ich gewann den Eindruck, daß dieser Türke ein sehr gerissener Knabe war und daß man gut täte, sich vor ihm in acht zu nehmen.

„Außer der Schönheit der jungen Dame fiel mir an ihr der Name auf, Herr Harst. Ich habe seinerzeit in Stambul gelebt und hatte dort ein Teppichgeschäft. Das war in den Jahren neunzehnhundertneunzehn bis einundzwanzig, dann wurde ich Finanzberater des Königs von Ispahan, aber bekanntlich hielt sich die neue Monarchie nur ein halbes Jahr, und ich siedelte nach Berlin über, wo ich Verwandte hatte.“

„Sie sind wirklich sehr ehrlich“, sagte Harald mit einer schwachen Verbeugung. „Sie kamen also hier gerade zur Inflation zur rechten Zeit!“

Hassan schwippte geringschätzig mit den Fingerspitzen. „Die Inflation hatte nie das geringste Interesse für mich. Dazu bin ich zu großzügig. Derlei überlasse ich kleineren Gaunern.“

Um meine Lippen zuckte ein Lächeln, und Harst grinste für ein paar Sekunden ganz unverhohlen. Mochte Herr Hassan sich teilweise auch recht gewandt ausdrücken, zuweilen entgleiste er doch zu seinem Schaden. Immerhin war er ein Typ für sich, und kein ungefährlicher. – Er setzte seine Rede nach reichlichem Kneten seiner Nase fort: „Der Name Cortwriht war mir bekannt. Der unglückliche König von Ispahan – er wurde leider aufgehängt, und ich entkam mit knapper Not demselben Schicksal – hatte damals einen Engländer desselben Namens, also Cortwriht, Chester Cortwriht, als Feldmarschall seiner Armee engagiert. Die Armee zählte leider nur dreitausend Mann, und es waren alles Söldner. Hierauf kommt es an: Söldner! – Denn dieser Cortwriht verschwand in den Tagen, wo das Königreich zusammenbrach, mit der Kasse.“

„Mithin rechtzeitig“, warf Harald ein, dem diese Unterredung größtes Vergnügen bereitete.

„Ja, – leider rechtzeitig! Die Kasse war gerade durch Agenten einer Großmacht, die an der Existenz des Königreiches Interesse hatte, frisch gefüllt worden.“

„Eine Gemeinheit!! Sie kamen also zu spät!!“

„Das ist richtig. Ich kam zu spät, ich wollte die Kasse für meinen König retten …“

„War der damals schon aufgehängt?“

„Aber nein doch, er lebte noch, und wenn er das Geld gehabt hätte, während die Soldaten ihm treu geblieben.“

„Das müssen ja Prachtkerle von Soldaten und Offizieren gewesen sein!“

Hassan überhörte das. Vom Soldatenhandwerk verstand er wohl nichts, er war zweifellos immer nur garnisondienstfähig für Büro gewesen.

„Meine Bitte geht nun dahin, Herr Harst, daß Sie mit aller Genauigkeit feststellen, ob diese Miß Gerda eine Tochter jenes Feldmarschalls ist. Er erzählte mir nämlich damals, daß er verheiratet sei und ein Kind habe, eine Tochter. Er war englischer Kolonel gewesen und verstand sehr viel von militärischen Dingen.“

„Was er bewiesen hat! Wer rechtzeitig mit der Kasse auskneift, ist kein Dummkopf. Zumindest verstand er etwas von eiligem Rückzug ohne größere Verluste, sogar mit Gewinn!“

Hassan schielte virtuosenhaft und hüstelte vornehmen. Das Thema war ihm peinlich.

„Ich beabsichtige nicht etwa, den Kolonel irgendwie zur Rechenschaft zu ziehen“, beteuerte er fromm. „Die Sache ist die, daß dieser Oberst Chester Cortwriht von mir noch Papiere mitnahm, die sich auf meine Herkunft beziehen und die ich notwendig brauche, weil ich damit ein Erbrecht nachweisen will. Wenn ich nun ganz ehrlich mich an die Miß dieserhalb wenden würde, dürfte der Oberst die Rückgabe der Papiere von der Zahlung einer sehr großen Summe abhängig machen, denn er war schon damals ein ganz geriebener Gauner.“

„Deshalb schenkten Sie ihm auch wohl Vertrauen und übergaben ihm Ihre Papiere! Waren auch Strafauszüge darunter?“

„Verzeihung“, sagte Hassan, „ich war nie Soldat!“ Aber diesmal hatte er doch etwas gemerkt und beobachtete uns schärfer, und Harst unterließ daher fernerhin seine bissigen Bemerkungen, die mich geradezu gemartert hatten, da ich beständig mit dem Lachen gekämpft hatte. – „Nein, ich hatte nie für das Soldatentum Interesse, nur immer für Finanzen und Teppiche und Raritäten. Würden Sie also den Auftrag übernehmen, Herr Harst? Honorar für die Beschaffung der Papiere dreitausend Mark, dazu den Buddha gratis und Ersatz aller Barauslagen für Sie und Ihren Freund während des Aufenthalts in England und während der Überfahrt.“

Harald beugte sich wie aufs angenehmste überrascht weit über den Tisch.

„Ist das Ihr Ernst, Herr Hassan?“

„Gewiß! Sie erhalten den Buddha sofort, dazu tausend Mark Anzahlung und Ihren Scheck zurück. Bitte!“

„Hand her“, rief Harald. „Abgemacht!“

Bevor wir den Basar der echten Orientsachen verließen, holte Herr Hassan den Buddha aus dem Tresor und packte ihn in unserer Gegenwart ein. Dazu gab er uns einen Brief, den er schnell noch fertig machte, und der eine Empfehlung an einen seiner Londoner Geschäftsfreunde enthielt, sowie eine Preisliste über die Waren, die er führte. Sein Freund hieß Siegfried Treuherz und wohnte Oxfordstreet 103.

Wir verabschiedeten uns mit festem Händedruck von dem ehemaligen Finanzminister, bestiegen eine Taxe und fuhren zur Pension Toost zurück.

Wer nun etwa denkt, daß Hassan, der offenbar wirklich Hassan hieß, uns einen unechten Buddha angeschmiert hatte, der irrt sich, der kennt Herrn Hassan noch nicht, wir kannten ihn ja selbst erst zu ein Viertel – höchstens!

Mein Freund war in der Taxe auffallend still und versonnen, nur zuweilen murmelte er ein paar Worte vor sich hin, und wenn diese sich auf Hassan bezogen, waren sie für den Türken oder Perser nicht gerade schmeichelhaft.

Wir trafen dann im Lesezimmer des Familienheims die reizende Miß Gerda, und das erste, das sie uns erzählte, war ihr Besuch bei Hassan. „Es ist eine Frechheit, für den Buddha tausend Mark zu verlangen“, empörte sie sich.

Harst wickelte die Figur aus der Papierumhüllung und reichte sie Gerda.

„Bitte, von mir bekommen Sie sie für die Hälfte. Hassan hat uns nämlich einen so gewinnbringenden Auftrag zugeschanzt, daß ich mir das Vergnügen machen kann, Ihnen, Miß Cortwriht, eine Freude zu bereiten.“

Mir kam dieser Großmut Harsts völlig überraschend, da er jedoch nie etwas ohne Sinn und Zweck tut, war ich froh, als Gerda nach anfänglichem Zögern zugriff und sich herzlich bedankte.

Während sie noch strahlend ihren Buddha besichtigte, wurde für Harald durch einen Dienstmann ein Brief abgegeben, der eine Adresse in Rundschrift trug. Er lautete, und damit begann für uns das Problem des „Mannes von Gesternnicht“:

„Fahren Sie persönlich nach London und schicken Sie keine Stellvertreter. Hüten Sie sich. Lebensgefahr.

Der Mann von Gesternnicht.“

Mein Freund machte zu dieser Nachricht ein ganz merkwürdiges Gesicht. Er gab mir den Brief und sagte nur leise, während Gerda noch immer ihren Buddha bewunderte: „Das ist sehr kennzeichnend!“

Ich überflog den kurzen Inhalt, und nachher, als wir allein waren, fragte ich geradeheraus: „Der Mann, der uns den Zettel in die Taxe warf, und dieser Absender sind ein und dieselbe Person. Wer aber? Ahnst du es?“

„Ja. Wenn ich dir aber, mein lieber Alter, heute schon mitteilen würde, wer der Mann sein könnte, würdest du mich für einen Phantasten halten, obwohl ich schlüssige Indizienbeweise habe. Doch darauf gebe ich nichts. Indizienbeweise sind so ungefähr im Strafverfahren dasselbe wie ein zugeschobener Eid im Zivilprozeß.“

Das war eine Antwort und das war auch wieder keine.

 

4. Kapitel.

Unser Besuch in London.

Nach dem gemeinsamem Mittagessen saßen wir dann noch mit der nun sehr zutraulich gewordenen Gerda, die eine recht amüsante Plauderin sein konnte, im Gesellschaftszimmer und unterhielten uns über alles Mögliche. Mir gegenüber hatte Harald jede Aussprache über die schwebenden Fragen abgelehnt und war zu meinen logischen Schlüssen absolut still geblieben.

Ich darf dem Leser diese meine Ansichten in aller Kürze auftischen, was davon richtig, wird sich später zeigen. Zunächst der Herr „Heute“. Ich war überzeugt, daß zwischen dem Häuschen des alten Schloßkastellans Günzel und dem Mietspalast, in dem im ersten Stock der Basar lag, eine Verbindung bestand, die Herr Heute in der gestrigen Nacht benutzt hatte, denn er war ja aus dem Mietspalast auf die Straße getreten, sehr verjüngt und sehr elegant. Ich war weiter überzeugt, und das hatte Harst allerdings schon zugegeben, daß Gerda und der Mann mit dem Spitzbart den Herrn Heute vor uns in dem Kaffee gewarnt hatten: Beweis – das Erscheinen der Miß Cortwriht im Pensionat Toost! Sie war eben als Spionin abgeschickt, und ihre Tränen waren doch Theater gewesen.

Ich war fernerhin der Meinung, daß Gerda uns nach einem mit ihren Komplicen genau vereinbarten Plan auf den Buddha und den Basar und auf Herrn Hassan aufmerksam gemacht hatte, und ich zweifelte auch daran nicht, daß die Bande der Spione des Goldräuberkonzerns uns beide hatte nach London abschieben wollen, daß also der Auftrag unseres neuen schielenden Klienten völlig erfunden war – ein Bluff, ein feiner Kniff, ein geriebener Trick.

Ich hatte schließlich auch die felsenfeste Überzeugung, daß die Zentrale der Spione des G.-Konzerns, wie ich ihn abkürzen will, in dem Basar sich befinde, und ich war hiervon um so mehr durchdrungen, als durch die Presse in den letzten Tagen Meldungen gegangen waren, die eine über ganz Europa verteilte Organisation von Spionen behandelt hatten, deren Hauptzweck der sei, der am besten zahlenden Großmacht jede nur gewünschte Auskunft aus der Rüstungen, über Fabrikationsgeheimnisse und anderes zu liefern. Die Zeitungen hatten betont, daß in Paris eine Menge Verhaftungen stattgefunden hätten, daß man jedoch den Führern der Organisation nicht auf die Spur gekommen sei … Auch in London hatte man Verhaftungen vorgenommen, und die Kriminalpolizei beider Länder schätzte die Zahl der von der R.-Organisation beschäftigten Agenten auf zweitausend, von denen siebzig Prozent Frauen sein sollten. (R.-Organisation = Rüstungsspionage, G.-Org. = Goldräuberspionage). War es nun nicht sehr gut möglich, daß beide Organisationen in Wahrheit nur eine einzige bildeten?! – Sehr vieles sprach dafür, das wird sich jeder der Leser ganz von selbst sagen. Im übrigen bemerke ich hier, daß meine Angaben über die beiden oder besser die vereinigte Organisation nicht Erfindung sind.

Nach dieser knappen Abschweifung kehre ich zu unserer Unterhaltung mit Gerda zurück. Das hübsche und kluge Mädel war zu uns wirklich sehr zutraulich geworden und kam ganz von selbst darauf zu sprechen, daß sie sich mit ihrem Vater leider entzweit habe, eine Mutter besäße sie nicht mehr.

Harsts Taktik demgegenüber war einfach und hatte Erfolg. Wenn der Auftrag an uns wegen der Papiere des Herrn Hassan nur Bluff war und uns aus Berlin entfernen sollte, dann würde Gerda sehr geheimnisvoll tun, um uns noch mehr zu reizen, London zu besuchen.

Mein Freund fragte denn auch geradezu: „War Ihr Vater auch Kaufmann, Miß Cortwriht?“

Sie senkte schnell den Kopf und wurde verlegen.

„Nein …“ Und dann seufzte sie schwer.

„Er war Offizier“, erklärte sie weiter. „Er hat jetzt eine Beschäftigung, die nicht meinen Beifall findet. Er ist nämlich dasselbe wie sie, Herr Harst: Privatdetektiv, und Sie wissen wohl, wie wenig angesehen dieser Beruf in England ist, wo die Polizei derart trefflich organisiert ist.“

„Das weiß ich. Ich bedaure Sie, Miß Cortwriht.“

Sie machte nur eine müde Handbewegung.

„Ich habe mir notgedrungen mein Dasein nun selbst so gestaltet, wie ich es liebe und schätze“, sagte sie ganz leise. „Papa und ich haben vieles gemeinsam, nur das eine trennt uns: Die Auffassung, wie weit man zur Erreichung eines Zieles gehen darf.“

„Das heißt also, Ihr Vater geht nach Ihrem Geschmack zu skrupellos vor.“

Sie schwieg, erhob sich dann und verabschiedete sich etwas unvermittelt.

Harst schaute ihr still nach.

Erst nach einer Weile meinte er flüsternd: „Wenn Sie eine Agentin der G.- und R.-Organisation ist, dann ist sie zweifellos die gefährlichste und klügste. Wir tun gut, mein Alter, diesmal schlauer als schlau und vorsichtiger denn je zu sein. Diesen Leuten käme es auf ein Menschenleben nicht an.“

Eine Stunde drauf meldete uns unsere Vertraute, daß Gerda spazieren gegangen sei. Frau von Toost betonte dabei, daß Miß Cortwriht vorher vier Telefongespräche geführt habe und dann in aller Hast sich auf den Weg gemacht habe und ganz verstört gewesen sei.

Harald ließ das gleichgültig. Frau von Toost lieh uns zwei Koffer, wir bezahlten unsere Rechnung, gaben überreiche Trinkgelder und fuhren mit den leeren Koffern heim, denn wir mußten die Koffer zum Schein wegen der immerhin möglichen Spione mit uns nehmen.

Damals hatten wir als Hausbesorger, Koch und Diener und Mädchen für alles einen Mann zu uns genommen, der uns schon sehr wertvolle Dienste geleistet hatte. Gustav Paudel war in der östlichen Großstadt Krojanke Stadtwachtmeister gewesen und aus Gründen, die nur wir würdigen konnten, frühzeitig pensioniert worden. Diese Gründe setzten sich zusammen aus Gustavs großer Schnau… Schnabel, der stets alles besser wußte, dann aus einer zweifellos vorhandenen Befähigung für den Beruf eines Kriminalisten und drittens aus seiner unbestechlichen Redlichkeit. Er war ein guter Deutscher von altem Schrot und Korn, er hatte seine zwölf Jahre bei den Maikäfern abgedient und diente nun uns als Sechzigjähriger mit einer Hingabe, die nur zuweilen durch seine große Schn… Schnabel getrübt wurde, er wußte eben alles besser, und mitunter hatte er sogar recht behalten, und dadurch war er nur frecher oder nein, nur unverfrorener geworden.

Gustav war von uns natürlich unterrichtet worden, weshalb wir zu Frau von Toost übergesiedelt waren und hatte auch inzwischen noch andere Instruktionen erhalten, die er getreulich und schlau wie stets ausgeführt hatte. Er empfing uns in gewohnter Weise mit einer Rüge.

„Herr Harst, wenn Sie einen Engländer zu mir schicken, der nur so viel Deutsch kann wie ein Baby von zwei Jahren, dann sorgen Sie auch für einen Dolmetscher! Mit dem Kerl konnte ich mich wirklich nicht verständigen, und als er schließlich das dritte Mal hier war, schmiß ich ihn raus! Er hat einen Wisch zurückgelassen, da liegt er … Rundschrift, aber auf Englisch!“

„Wollen sehn, lieber Gustav“, sagte Harald besänftigend. „Ich habe niemanden hergeschickt.“

„Das dachte ich mir, deshalb schmiß ich den Gent auch raus!“ triumphierte Gustav. – Der Wisch lautete:

„Falls wir uns bei Aufspürung der G.- und R.-Org. begegnen sollten, wollen wir weiter getrennt arbeiten.

Der Mann von Gesternnicht.“

Also wieder der geheimnisvolle Warner, der zweifellos über all unsere Schritte bestens unterrichtet war!

Harst verlor kein Wort darüber. „Gustav, wie steht es mit den beiden Vertretern vom Argus?“ (Argus war die Detektei, die wir vielfach in Anspruch nahmen.)

„Alles erledigt. Sie kommen heute abend, der eine als Telegrafenbote, der andere als Taxenschofför wie befohlen. Aber ich rate dringend davon ab, Herr Harst. Wenn die Schufte unser Haus beobachten, so werden sie …“

Abends kurz vor zehn Uhr, als es gerade regnete, verließ zuerst ein Postbote unser Haus, und dann fuhr eine Taxe mit uns beiden zum Fernbahnhof Charlottenburg. Wir hatten Schlafwagenplätze für den Zug nach Aachen belegt, und die beiden Vertreter, die uns markierten und in Maske waren, hatten diese Aufgabe schon häufiger durchgeführt, wußten genau Bescheid und waren zudem die besten Spürnasen vom Argus.

Um halb Elf trafen sich der Telegrafenbote und der Schofför in einer kleinen Kneipe an der Heerstraße bei Pichelswerder dicht am Wasser. Es war dieselbe Kneipe, die hier in meiner Geschichte im ersten Kapitel erwähnt ist, und der Wirt war als alter Bekannter von uns so zuverlässig, daß wir ihn getrost einweihen konnten, so daß wir fürs erste eine Jachtkajüte als Quartier bezogen, aber nicht die unserer Jacht, sondern die eines Freundes, und der hieß Bechert und ist meinen Lesern als Kriminalkommissar Fritz Bechert kein Fremder mehr.

„Der Teufel hole euch beide, wenn ihr mich eines Quarkes wegen hier herausgelotst habt!“ lautete seine Begrüßung.

Offenbar befand sich der gute Bechert in sehr kriegerischer Stimmung.

Er gab hierzu denn auch sofort die nötige Aufklärung.

„Ich habe nämlich augenblicklich alle Hände voll zu tun. Die Londoner und Pariser sind da hinter einer Bande von recht merkwürdigen Spionen her, und sie behaupten, hier in Berlin befände sich die Zentrale der Organisation, was natürlich Blech ist und uns wüste Arbeit macht.“

„So … so …“ brummte Harald nur. „Komischer Zufall!! Auch Schraut und ich haben wüste Arbeit mit denselben Knaben …!!“

„Na nu, wie das?!“ Und Bechert machte ein sehr interessiertes Gesicht.

Mein Freund ging heute ausnahmsweise von seiner sonstigen Manier, alles möglichst für sich zu behalten, vollkommen ab und berichtete Bechert ganz genau unsere bisherigen Erlebnisse.

„Sehen Sie, lieber Bechert, ich als guter Deutscher, und das darf ich ohne Eigenlob von mir sagen, habe erkannt, daß die Lahmlegung dieser beiden Organisationen, die bestimmt in einer vereinigt sind, nationale Pflicht ist. Deshalb will ich auch diesmal nicht allein die Verantwortlichkeit tragen und unterbreite Ihnen als dem Leiter des Sonderdezernats alle meine Trumpfkarten.“

„Was ich sehr anerkenne!“ meinte Bechert äußerst ernst. „Ihre Ermittlungen können uns sehr viel weiter helfen. Uns liegt daran, die R.-Organisation insbesondere lahmzulegen, weil bestimmt dahinter jene Kreise stecken, die uns einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen suchen. Na, Sie wissen ja Bescheid!!“

Das Endergebnis unserer Unterredung kam darauf hinaus, daß wir beide ganz auf eigene Faust weiterarbeiten sollten und die Polizei genau so. Nur sollten wir uns gegenseitig dauernd auf dem laufenden halten.

Dann jedoch, als Bechert schon aufbrechen wollte, rückte Harst mit der Hauptsache heraus. „Bleiben Sie noch. Hier ist der Katalog, den mir Herr Hassan für seinen Busenfreund Siegfried Treuherz, London, Oxfordstreet 103, mitgab … Komisch, daß all diese treuherzigen Gauner, die die wahre Arbeit wie die Pest scheuen, sich so kriegerische Vornamen zulegen! Also der Katalog. Ich habe mir das Ding heute nachmittag daheim angesehen. Daß der Katalog geheime Nachrichten enthält, ist für mich erwiesen, und ich habe sie auch gefunden, nur nicht entziffern können, und das wird wohl niemandem gelingen, der nicht den Schlüssel besitzt.“

Er reichte Bechert das dünne Heft, und der riß es Harst förmlich aus der Hand.

„Hier auf Seite zwei beginnen die Meldungen, die ich natürlich als unverdächtige Person Herrn Treuherz überbringen sollte. Sehr raffiniert ausgedacht, nur vorbeigedacht!! Schauen Sie mal her. Hier unter der Abbildung des japanischen Räucheraltars stehen die Preise in Mark, Schilling und Franc. Die Preise sind aber so verschieden, daß mir dies auffallen mußte. Ich will mich kurz fassen: Die Preise unter den meisten Bildern sind Zahlengeheimschrift!“

Bechert prüfte Harsts Angaben nach. „Sie haben recht!! Aber werden die Kerle in London nicht Verdacht schöpfen, wenn der Katalog nicht dem Treuherz ausgehändigt wird?!“

„Natürlich würden sie Verdacht schöpfen! Deshalb habe ich ja die Zahlen und alles Wichtige hier genau abgeschrieben und übergebe Ihnen eine der Abschriften.

Den Katalog schicken Sie mit Sonderflugzeug sofort nach London an die Adresse. Das bin nämlich ich oder vielmehr mein Stellvertreter.“

„Glänzend! Wird gemacht!“ – Bechert hatte Eile, gleich darauf waren wir allein.

 

5. Kapitel.

Wir stoßen auf Herrn Gesternnicht …

Es regnete die ganze Nacht über. Ich konnte nicht schlafen, das ewige Trommeln der Regentropfen auf das Dach der Kajüte und gegen die Fenster des Oberlichts störte mich und ließ mich verdächtige Geräusche aller Art vernehmen. Erst als es draußen hell wurde, schlummerte ich ein. Aber auch das war nur ungesunder Halbschlaf. Ich war denn auch morgens wie zerschlagen, und nur eine Tasse Mokka machte mich leidlich lebendig. Harst hatte sie gekocht, und beim Frühstück berieten wir den Schlachtplan für den heutigen Tag.

Wir hatten von dem Wirt der Kneipe „Zum alten Maat“ gehört, daß der Geiger gestern nicht wie sonst erschienen war, mithin schien Herr Georg Netteler sich die Sache überlegt und sein Handwerk aufgegeben zu haben. Hierauf wies Harald bei der zweiten Tasse besonders hin. – „Ich behaupte, er ist auch von Günzels ausgezogen, mein Alter. Bechert wird das ja feststellen. Es fragt sich nun, weshalb der Geiger überhaupt hier als Geiger herumlungerte. Als Mitglied von Spionagezentralen, die über unbeschränkte Geldmittel verfügen, hatte er einen Nebenverdienst nicht nötig.“

Das war ein Punkt, der mir bisher völlig entgangen war, auch Bechert.

„Mithin hatte der Herr „Heute“ hier anderes im Auge als Verdienst“, fuhr Harald fort und griff nach einer Zigarette. „Dies herauszubekommen, muß unsere nächste Aufgabe sein … Unsere Masken sind so vorzüglich, daß uns nicht einmal unser alter Freund, der Wirt, wiedererkannt hat … Wir können uns also getrost einzeln ins Freie wagen, ohne befürchten zu müssen, daß wir als die, die wir sind, durchschaut werden. Der Tag verspricht Aufheiterung des Wetters, die Sonne bricht bereits durch, und wenn wir Glück haben, kommen wir einen gehörigen Schritt weiter …“ –

Es war elf Uhr vormittags. Auf dem Waldwege, der vom Kaiser Wilhelm-Turm am Havelufer nach Pichelswerder läuft, schritt ein sehr hübsches junges Mädchen in Begleitung eines Herrn dahin, der sehr erregt und verärgert aussah. Für schärfere Augen war es deutlich ersichtlich, daß der sehr elegante bartlose Mann ein Engländer war. Sein Kinn war weit vorgebaut, die Oberlippe war recht kurz und ließ die langen Vorderzähne sehen, und der kalte, abweisende Ausdruck seines Gesichts verlor sich selbst jetzt in der Erregung nicht. – Das Paar bog nun nach links ab und betrat einen der Restaurationsgärten, setzte sich an einen Tisch dicht am Wasser und bestellte bei dem Kellner Frühstück. Der Herr legte ein Fernglas neben sich und beäugte später unausgesetzt das andere Ufer des toten Havelarmes, wo gleichfalls Jachten vertäut lagen. –

All dies beobachteten auch wir. Die junge Dame war unsere Freundin mit doppeltem Fragezeichen aus der Pension Toost, also die Miß Gerda Cortwriht. Ihr Begleiter aber war bestimmt der Gentleman mit dem Vollbart, der Herrn „Heute“ in dem Kaffee vor uns gewarnt und Gerda veranlaßt hatte, auf die Times, die sie sich geliehen, die Warnung in bestimmterer Form aufzuschreiben. Die Pille, die der Schwarzbärtige in die Kaffeetasse befördert hatte, war nur Farbe gewesen und hatte durch die schwarze Farbe den Herrn „Heute“ aufmerksam machen sollen. – Nunmehr erkennt auch der Leser, der bisher diese Warnungsmethoden der Leute nicht durchschaut haben sollte, mit welchen Mitteln die Organisation arbeitete. Manchem mag das romanhaft klingen, wer aber weiß, wie zum Beispiel während des Krieges die feindliche Spionage sich betätigt hat, dürfte gar nicht so sehr erstaunt sein.

Ich saß am Ufer und angelte, Harst tat fünf Schritte weiter dasselbe, und da wir uns auf der anderen Uferseite befanden (der tote Havelarm ist dort sehr schmal), hatte ich bald heraus, wem die häufige Benutzung des Fernglases des Engländers galt.

Es lag kaum fünfzehn Minuten weiter eine Jacht vertäut, die schon durch ihre Größe auffiel. Es war eine Motorjacht mit Schonertakelung, und bestimmt war sie auch für Fahrten auf See zu benutzen. Sie hieß „Stoßvogel“, und ihre Gallionsfigur, die vergoldet war, zeigte einen weißen Adler mit ausgebreiteten Schwingen und starken Krallen, – die rechte Kalle hielt ein (zuerst erkannte ich nicht, was es sein sollte) … ein Ferkelchen, die linke einen zuckenden Blitz. – Das Schweinchen war das Merkwürdigste an dieser Gallionsfigur.

An Deck saß ein Matrose, der in einem Buche las, und unter dem Sonnensegel achtern lag ein Mädchen in einem Liegestuhl und schien zu schlafen. Den breiten Panama mit Nackenschleier hatte sie tief herabgezogen und rührte sich kaum, nur mitunter bewegte sie die eine Hand wie im Traume. Zwischen den Kiefern, Weiden und Erlen am Ufer hinter der Liegestelle des „Stoßvogel“ war ein schuppenartiges Gebäude sichtbar, – es war vom Ufer vielleicht zwanzig Meter entfernt und sah sehr verwahrlost aus.

Mir wurde es immer unzweideutiger, daß Miß Gerdas Begleiter es tatsächlich auf diese Jacht abgesehen hatte, und wenn darüber noch der geringste Zweifel bestehen konnte, so wurde auch dieser dadurch zerstreut, daß das Mädchen sich nun erhob und in der Heckkajüte verschwand, sich dort zu einem der Fenster hinauslehnte und nach dem Schuppen hin Zeichen gab, die von dem Paare in dem Restaurationsgarten nicht beobachtet werden konnten. – Leider mußte ich mich bei meinen eigenen Beobachtungen sehr in acht nehmen, um nicht aufzufallen, ich verhedderte also meine Angelschnur absichtlich und bemühte mich nun scheinbar, sie wieder in Ordnung zu bringen, wobei ich genügend Zeit fand, mich um die weitere Entwicklung der Dinge zu kümmern.

Ich stellte so folgendes fest. – Die Signale nach dem Schuppen hin gab das junge Mädchen durch Fingerzeichen, indem sie immer verschiedene Finger abspreizte.

Auch Harst schien seine Angelschnur zu verlängern, jedenfalls war auch er ein aufmerksamer Beobachter und blinzelte mir verstohlen zu. In dem Schuppen gewahrte ich an einem zerbrochenen und verstaubten Fenster einen ärmlich gekleideten und stoppelbärtigen älteren Menschen, der sehr genau auf die Zeichen achtete, aber vom Restaurant aus auch nicht bemerkt werden konnte, da die Erlen ihn nach dorthin verdeckten.

Jagdfieber stellte sich bei mir ein. So war es noch immer gewesen, wenn unsere „Fälle“ in ein entscheidendes Stadium traten, – dann verlor auch ich meine durch zahllose ähnliche Abenteuer längst ziemlich unerschütterliche Ruhe und Gleichgültigkeit. Ich paßte auch auf Harald auf, denn ich vermutete mit Recht, wie sich sehr bald herausstellte, daß er die Signale, die ja nur ganz einfacher Art sein konnten, das heißt leicht ablesbar, verstanden habe. Vielleicht würde er mir irgendwie neue Anweisungen geben, es war also nötig, auch ihn zu beobachten.

Das Erwartete trat schneller ein, als ich gedacht hatte. Er packte sein Angelgerät zusammen und gab mir einen verstohlenen Wink, ihm zu folgen, und verschwand zwischen den Büschen nach der Heerstraße zu. Ich zauderte noch eine Weile, bis auch ich dann aufbrach, ich wählte jedoch den kürzeren Weg, bestieg unser kleines Beiboot, ruderte über den toten Havelarm und legte am Bootsstege drüben an. Niemand kümmerte sich um mich. Da mein Freund nicht sofort erschien, konnte ich nur vermuten, daß er in der Kneipe auf mich wartete. Diese hatte einen Vorgarten mit Lauben, und in einer dieser Lauben saß auch wirklich mein Herr Chef und Lehrer und begrüßte mich mit den hastig hervorgestoßenen Worten: „Die Sache wird nun brenzlich, mein Alter. Die Bande plant offenbar einen Überfall auf die Jacht „Stoßvogel“ für diese Nacht, und die Leute der Jacht haben das irgendwie erfahren. Die Signale besagten, daß der Mann im Schuppen baldigst an Bord des „Stoßvogel“ kommen solle.“

Er schaute mich dabei etwas prüfend an und fragte: „Hast du gemerkt, daß hier eine neue Jacht erschienen ist? Sie liegt mehr nach der Havel zu mitten im Fahrwasser und dürfte genau so seetüchtig sein wie der „Stoßvogel“. Wenn das nicht das Schiff der Spionagezentrale ist, will ich nicht länger Harst, sondern „Heute“ heißen!!“

Ich überlegte mir meines Freundes Verdacht sehr genau. „Dann kann nur das Erscheinen der neuen Jacht die Leute des „Stoßvogel“ argwöhnisch gemacht haben, Harald.“

„Natürlich!“

„Und wer steckt auf dem „Stoßvogel“?“

„Herr Gesternnicht, wie er sich nennt … Freilich habe ich dafür vorläufig keinerlei Beweise.“

„Aber Vermutungen?“

„Ja. Denn er schrieb, falls wir uns bei Aufspürung der Organisation begegnen sollten … und so weiter. Mithin rechnete er vielleicht mit den Schlußfolgerungen, die uns hier als Angler tätig sein ließen.“

Nachdem wir dann in der Kneipe Mittag gegessen und uns davon überzeugt hatten, daß der Geiger abermals nicht an seinem gewohnten Platz erschienen war, begaben wir uns einzeln an Bord unseres Benzinkahnes, um Vorrat zu schlafen. Wir wußten ja nicht, was die nächste Nacht bringen würde, – es konnten sogar mehrere schlaflose Nächte werden, und wir wollten recht frisch und ausgeruht sein, da wir es mit Gegnern zu tun hatten, die uns nicht schonen würden. Das Verschwinden mehrerer Personen in London und Paris, die man für unzuverlässige Agenten der Organisationen hielt, warnte uns. Die Betreffenden waren so spurlos verschwunden, daß man von dem einen Manne, einem Engländer, nur gerade noch einen halb verkohlten Fuß in der Brandruine einer Hütte entdeckt hatte. Die Spione machte eben nicht viel Federlesens mit zweifelhaften Genossen.

Wir legten uns angezogen auf die Wandsofas in der kleinen Kajüte und hatten den Kneipenwirt angewiesen, uns sofort zu wecken, falls eine der beiden Jachten ihre Liegestelle verließe oder auch nur Anstalten dazu träfe. Mithin konnten wir uns in aller Ruhe dem wohlverdienten Schlummer hingegeben.

Daß es damit nur eine kurze Freude werden sollte, war nicht unsere Schuld.

Jemand hämmerte gegen die verschlossene Tür. Harst fragte, wer draußen sei.

„Ich!!“ kam die Antwort, „der Mann von Gesternnicht!“

Das brachte uns mit Windeseile auf die Beine.

Gesternnicht stand vor uns, unrasiert, mit Künstlertolle, alles in allem mehr ein Stromer als ein Gehilfe der Leute vom „Stoßvogel“.

Uns war der Mensch völlig fremd.

Er hatte einen etwas traurigen Ausdruck in den Augen und war auch etwas verlegen. „Entschuldigen Sie die Störung, meine Herren“, begann er.

„Keine Redensarten“, fiel Harst sofort ein. „Setzen Sie sich. Wer sind Sie?“

Der Mann nahm etwas umständlich Platz, als wollte er Zeit gewinnen, sich die Antwort zu überlegen.

„Ich bin ein unglücklicher Vater“, erklärte er dann. „Ich habe meinen Sohn verloren. Nicht daß er starb, nein, aber er geriet in schlechte Gesellschaft, und es besteht die Gefahr, daß er für seinen Leichtsinn schwer büßen muß.“ – Er machte eine Pause und starrte trostlos vor sich hin. – Seine Stimme hatte einen eigentümlich rauhen und heiseren Klang, und seine Angst um seinen Sohn schien sehr groß zu sein und seinen Geist etwas verwirrt zu haben, denn er fuhr plötzlich ganz ohne Übergang fort: „Meine Millionen haben es den Schurken angetan. Sie wollen von mir ein Lösegeld für Erich haben, das mich zum armen Manne, zum Bettler machen würde. Ja, für Erich! Ist Ihnen, Herr Harst, noch nie die Zusammensetzung des Vornamens Erich aufgefallen? Erich gleicht doch „er“ und „ich“, also er ich – Erich. Ich liebe meinen Jungen als einziges Kind meiner verstorbenen Frau über alles und daher nenne ich ihn Erich, denn er und ich sind eins.“

Wir schauten uns heimlich vielsagend an, und dann erwiderte Harald tröstend: „Was können wir für Sie tun, Herr Gesternnicht? Zunächst erklären Sie uns aber, wie Sie auf uns aufmerksam geworden sind.“

Gesternnicht blickte auf, und in seinen Augen waren ein Jammer und ein Leiden und eine Qual, die ans Herz griffen.

 

6. Kapitel.

Der Gegenschlag der Org. G. und R.

Gesternnicht nahm sich zusammen und erzählte. Seinen richtigen Namen jedoch verschwieg er auch weiterhin, er hatte sich nur uns gegenüber Gesternnicht genannt zum Unterschied von dem anderen Menschen, dem Herrn „Heute“.

Er berichtete kurz und sachlich, aber doch immer mit derselben Verzagtheit. Wie sein Sohn in die Gesellschaft der Leute der beiden vereinigten Organisationen geraten war, wußte er nicht, er war für längere Zeit verreist gewesen. Als er heimkehrte – auch seinen Wohnsitz gab er nicht an – fand er seinen Jungen nicht mehr vor und erhielt auch keinerlei Nachricht von ihm. Dann wollte er gemerkt haben, daß er ständig beobachtet würde, und dies hatte ihn nach langen mühseligen persönlichen Nachforschungen hier nach Pichelswerder geführt, wo er seine Jacht dann vertäute, um stets zur Stelle zu sein. Die junge Dame bei ihm an Bord war die Braut seines Sohnes, eine Waise, die er sehr gern mochte und die ihm getreulich half, ebenso der Matrose Karl, sein Diener.

Ich will hier nun die Angaben Gesternnichts nicht im einzelnen wiederholen, denn sie sind, wie der Leser bald sehen wird, ziemlich belanglos.

Er wußte über die beiden vereinigten Organisationen nicht mehr als wir, nur daß die Leute über alle modernen Hilfsmittel, über Kurzwellensender, Flugzeuge und Kampfgifte gefährlichster Art, verfügten. Letzteres hob er hervor, um uns zu warnen. Wie er immerhin dies alles herausgebracht hatte, blieb sein Geheimnis, – sehr offen war er uns gegenüber nicht.

Und doch hatte er Angst, sogar eine verzehrende Angst, die immer stärker zum Ausdruck kam, je länger er uns bestürmte, ihm zu helfen.

Mein Freund beschränkte sich auf die Zusage, daß wir am besten wie bisher uns nur gegenseitig unterstützten durch vorsichtigen Nachrichtenaustausch und rechtzeitige Warnungen. „Das wäre wohl auch in Ihrem Sinne, Herr Gesternnicht. Sie haben mir den Vorschlag ja bereits schriftlich gemacht, und da Sie mit der vollen Wahrheit nicht herausrücken wollen, wüßte ich nicht, wie wir anders arbeiten sollten.“

Gesternnicht vergrub das Gesicht in beide Hände und stöhnte verzweifelt. Aber das war auch alles, so daß Harald nun ungeduldig wurde und ihn etwas schroff fragte: „Was wissen Sie über den Türken Hassan?“

„So gut wie nichts, vielleicht weniger als Sie, Herr Harst.“

„Und über die Miß Gerda Cortwriht?“

Da ließ er die Hände sinken. „Über die weiß ich allerdings sehr viel“, gab er zögernd zu. „Ihr Vater war Kolonel und zuletzt in Diensten des Königs von Ispahan, der nachher aufgeknüpft wurde. Jetzt sitzt der Oberst drüben mit seiner Tochter in dem Restaurant. Er ist der, der mir den Brief geschrieben hat, daß mein Sohn nur gegen Hingabe meines ganzen Vermögens freigelassen werden würde.“

Harst fuhr halb empor, und seine Stimme verriet jetzt einen Grimm, der echt und stark war: „Herr, und das alles lassen Sie sich wie mit der Zange Wort für Wort herausholen?! Herr, wir vertreten hier auch die Interessen unseres Vaterlandes, das berechtigten Wert darauf legt, diese Organisation zu zerschlagen! Sie selbst sind Deutscher, wie Sie zugegeben haben.“

Unter dem vorwurfsvollen und traurigen Blick des Gesternnicht verstummte er.

„Ich lasse mir nichts herausholen“, verteidigte sich Gesternnicht sehr bescheiden. „Ich weiß ja gar nicht, was alles Ihnen bekannt ist, Herr Harst.“

„Da haben Sie mal zur Abwechslung recht“, nickte Harald versöhnlich. „Wie steht der Kolonel mit seiner Tochter?“

„Gar nicht, sie hilft ihm nur widerwillig.“

„Also doch! – Armes Mädel, ihre Tränen waren also echt! Und wie verhält es sich mit den Papieren Hassans, die der Oberst im Besitz haben soll?“

Gesternnicht zauderte etwas. Es war ihm unangenehm, zuzugeben, daß er doch weit besser unterrichtet war, als er anfänglich eingeräumt hatte. „Auch das ist richtig. Hassan ist ein steckbrieflich verfolgter Gauner, aber ein sehr intelligenter Bursche, wenn auch nur als Verbrecher. Die Beweise gegen ihn befinden sich in Händen des Kolonel.“

„So – so!! Und hat der Kolonel Cortwriht wirklich den König von Ispahan bestohlen?“

„Ja, um etwa anderthalb Millionen Schilling.“

„Donnerwetter!!“ entfuhr es Harst und mir gleichzeitig.

„Und der Schluck aus fremder Flasche genügte diesem Ehrenmanne noch nicht?“

„Nein. Und dies aus dem einfachen Grunde, weil ihm das Geld wieder von anderen geraubt wurde.“

Harald rieb sich die Stirn. „Warten Sie einen Moment, Herr Gesternnicht – das muß ich erst verdauen. Wer bestahl denn den Kolonel?! Das muß ja ein Künstler im Stehlen gewesen sein, denn einem so feinen Spitzbuben etwas zu … pardon … zu klauen, ist doch kein Kinderspiel!!“

Unser Kajütengast senkte den Kopf ganz tief.

„Es – war – sehr – schwer, allerdings!“

Wir beide waren wie vor den Kopf geschlagen.

„Wie, – Sie bestahlen den Oberst?!“ rief Harst.

„Ja, ich! Aber nicht aus Eigennutz.“ Er hob den Kopf und blickte uns fest an. „Nicht aus Eigennutz!“ wiederholte er. „Ich habe das ganze Geld damals einer Truppe zugestellt, die für Deutschlands Freiheit kämpfte, freilich auf verlorenem Posten.“ – Er nannte ein Freikorps, das sehr bekannt war und ewig im Herzen jedes guten Deutschen einen Ehrenplatz behalten wird.

Harst schüttelte leicht den Kopf. „Herr Gesternnicht“, sagte er milde, „Sie sind ein sehr geheimnisvoller Mann!“

„Das bin ich“, erwiderte Gesternnicht noch leiser.

Und wieder senkte er den Kopf, und über seine Lippen kam ein schwerer Seufzer. Dann raffte er sich auf, verabschiedete sich sehr eilig und wollte sichtlich nicht noch mehr von seinem Wissen preisgeben. – Harald hielt ihn höflich zurück.

„Einen Augenblick, Herr Gesternnicht, was befürchten Sie denn nun eigentlich?“

„Das Giftgas!“ entgegnete er leise. „Nur das Giftgas. Ich darf noch nicht sterben. Ich habe eine Mission zu erfüllen.“ – Er stand bereits in der offenen Tür. „Ich habe Helga an Bord des „Stoßvogel“. Auch Karl ist dort. Ich will nicht, daß meinetwegen jemand sein Leben einbüßt.“

Er schaute zu Boden und zuckte hilflos die Achseln.

Harst beobachtete ihn mit einer Wachsamkeit, die mir verdächtig schien. Ich ließ kein Auge mehr von diesem seltsamen Herrn Gesternnicht.

„Und wann sollen Sie den Erpressern das Geld zahlen?“

„Morgen abend“, flüsterte Gesternnicht. „Morgen ist der achte August, morgen zehn Uhr läuft die Gnadenfrist ab. Die Schurken werden dann Ernst machen, das weiß ich, deshalb kam ich zu Ihnen, Herr Harst. Helfen Sie mir!“

Mein Freund hatte die hohe Stirn scharf gekraust.

„Weshalb wenden Sie sich nicht an die Polizei?“ fragte er sehr gedehnt.

„Das hätte keinen Zweck. Ich habe keine Beweise und Sie haben sie auch nicht, Herr Harst. Bedenken Sie, der Oberst verkehrt in London in der ersten Gesellschaft und hat Beziehungen, gegen die niemand, der nur mit Verdachtsgründen aufwarten kann, aufkommt.“

„Das stimmt allerdings! – Herr Gesternnicht, ich will mir die Sache reiflich überlegen. Lieben Sie Ihre Schwiegertochter Helga sehr?“

„Ja, genau wie meinen Jungen.“

Dann ging er.

Wir schauten ihm nach. Er benahm sich sehr geschickt, und niemand beobachtete ihn, was ich befürchtet hatte, aber es war überflüssig gewesen.

Harst saß wieder am Kajüttisch, blies sehr schöne Rauchringe und sann vor sich hin. „Was hältst du von Gesternnicht, mein Alter?“

Ich schwieg.

„Er hat uns belogen, wenigstens in den Hauptpunkten“, erklärte Harald ohne jede Schärfe. „Ich bedaure den Mann, und daher werden wir ihm helfen.“

„Einem … Lügner?!“ warf ich ein.

„Einem Lügner, der ein Held ist, wenn auch ein Verbrecher dem Buchstaben des Gesetzes nach.“

Zu weiteren Aufschlüssen zeigte er sich nicht bereit. – Ich mußte Kaffee kochen. –

Bechert schickte um sieben Uhr abends einen Beamten in Zivil und ließ uns Verschiedenes melden, was von höchstem Interesse war. – Zunächst: Unsere Stellvertreter in London hatten chiffriert an Gustav Paudel ein Radiogramm geschickt, das folgendermaßen lautete:

Treuherz behauptet, Oberst sei in Berlin und Hassan wüßte dies. Papiere befinden sich in des Kolonels Wohnung wahrscheinlich in sehr gutem Versteck. Treuherz riet zu Einbruch dort und Suche. Hat keinen Verdacht gegen uns geschöpft. – Verhältnis zwischen Oberst und Hassan nur scheinbar gut, in Wahrheit Todfeinde, – bitte Verhaltungsmaßregeln.

Der Beamte berichtete weiter. Die Polizei hatte festgestellt, daß Hassan sehr viel mit dem Besitzer eines Pariser Orientbasars schriftlich verkehrte und daß der Pariser bei der dortigen Polizei sehr schlecht angeschrieben war und als Hehler galt. Weiter hatte die hiesige Polizei ermittelt, daß der Mann, der sich „Heute“ genannt hatte, tatsächlich Georg Netteler hieß und als Einkäufer für Hassan unter seinem richtigen Namen hier in Berlin am Fehrbelliner Platz eine kleine Villa besaß und ein Auto, daß er sein Heim nun wieder aufgesucht hatte und dort ohne Dienerschaft hauste und nur einen Pförtner im Erdgeschoß untergebracht hatte, der nebenher Hausierer war und einen Wandergewerbeschein für die Havel als Verkäufer von Erfrischungen besaß.

Das waren immerhin sehr wertvolle Neuigkeiten. Harst gab dem Beamten einen Brief an Bechert mit, und dann wollten wir, als der Beamte sich verabschiedet hatte, im Beiboot uns die Jacht der Organisation ansehen.

Wir schlossen die Kajüte ab, standen noch an Deck und blickten zum „Stoßvogel“ hinüber, als dort eine gewaltige Wassersäule emporstieg und die Jacht am Heck regelrecht explodierte und zwar so, als wäre das Benzin durch Unvorsichtigkeit in Brand geraten.

Der „Stoßvogel“ sank im Umsehen. Auf dem Wasser schwammen noch brennendes Benzin und Öl.

Aber wir sahen auch das kleine offene Motorboot mit dem Sonnensegel, unter dem ein bärtiger Kerl neben seinen Kästen mit Erfrischungen hockte.

Das war der Gegenschlag der Zentrale der Org. G. und R. gegen … ja, gegen was, wogegen?!

Harst sagte leise: „Gott sei Dank, daß ich Gesternnicht riet, den Diener Karl und Helga an Land zu schaffen!“

Und nach kurzer Pause fügte er hinzu: „Das war der Gegenschlag gegen diese Vorsichtsmaßregel Gesternnichts!“

Nun wußte ich es, und es mußte stimmen.

 

7. Kapitel.

Herr Heute bekommt Besuch …

Georg Netteler war bestimmt ein Künstler, – glaubte er. Weil ihm beim Geigenspiel die besten Einfälle kamen, – nicht etwa musikalische, nein, die brachten ja nichts ein, denn Kompositionen loszuwerden, darauf hatte er längst verzichtet. Er war nunmehr, da er seinen Beruf als Primgeiger aufgegeben und zur Internationalen Garde der Großverdiener übergegangen war, ein sehr kühler Rechner geworden.

An diesem wundervollen Sommerabend spielte er bei geschlossenen Fenstern mit viel Gefühl die Barcarole und überlegte dabei, wie er den Oberchef gründlichst schröpfen könnte.

Dann betrat ein dicker, bärtiger und vierschrötiger Mann, der eine Art Seemannsanzug trug, den stilvollen Musiksalon und pflanzte sich mit den Händen in den Taschen vor seinem Herrn auf und sagte in unverfälschtem Berlinisch: „Die Schohse wär’ jemacht!! Ne Kleenigkeet for unsereenem …!!“

Herr „Heute“ setzte die Geige ab und fragte gespannt: „Alle tot?“

„Halten Sie mich für dämlich?!“ lautete Anton Mielkes freche Erwiderung. „Denken Sie, ich will meine Kohlrübe der Jefahr aussetzen, von einem Henkerbeil rasiert zu werden?! Nee, so dumm bin ich nicht, und Sie erst recht nicht! Auf dem Kahn war keine Seele, aber wejjesackt is er wie ne Bleiente bei’s Silvestergießen.“

Herr Heute nickte verständnisvoll.

„Da gebe ich Ihnen recht, Anton. Den Hauptverdienst stecken ja doch die Oberbonzen ein, wir werden mit Kleingeld abgefunden! Was will es besagen, daß du für die Geschichte fünfhundert Mark bekommst?! Eine Lappalie!!“

Mielke, der offenbar sein eigener bester Gast war, warf sich in den nächsten Sessel und gähnte und duftete dabei noch mehr nach Schnaps. „Wenn man nur wüßte, wer diese Oberbonzen sind!“ grollte er finster. „Aber die Kerle bleiben ja immer im Hintergrunde. Bald sehen sie so aus, bald wieder so.“

Er gähnte nochmals und fügte noch übler gelaunt hinzu: „Wenn ich außerdem genau wüßte, daß Ihre Vermutung doch stimmt und der Harst hinter uns her ist, würde ich überhaupt ausscheiden. Der Boden könnte uns sonst sehr leicht hier zu heiß werden, Netteler, mit dem Harst ist nicht zu spaßen!“

Er sprach plötzlich wie ein gebildeter Mensch, und das war er auch, er hatte noch vor zwei Jahren mit Netteler im selben Orchester gesessen und den Kontrabaß bedient.

Georg Netteler lachte. „Harst ist nach London gefahren, es stimmt schon, ich hatte ein Telegramm von Treuherz. Und im übrigen, Anton, auch ein Harst hat nicht das Pulver erfunden und vermag nichts auszurichten, dazu ist die Organisation zu fein aufgebaut. Ich selbst habe die besten Methoden ausgeklügelt, wie wir jedem Verrat rechtzeitig vorbeugen können!“ Er betonte das Wort Verrat unmerklich, schaute dabei jedoch den Baßgeiger so vielsagend an, daß es diesem recht unbehaglich zumute wurde.

Im Nebenzimmer schlug eine Standuhr mit Gongton Elf.

Anton zählte mit. „Donnerwetter, schon Elf!! Zeit, in die Falle zu kriechen, höchste Zeit!“ Er gähnte noch herzhafter und erhob sich. „Also dann gute Nacht, Georg. Angenehme Ruhe!“

„Gleichfalls.“

Als Georg Netteler wieder allein war, schritt er eine Weile mit den Händen auf dem Rücken hin und her und setzte sich dann an den Bechsteinflügel und drehte am Schalter der elektrischen Klavierlampe, – er drehte dreimal, und beim ersten Male leuchtete die Lampe auf, dann erlosch sie bei der zweiten Drehung, und bei der dritten hätte sie eigentlich wieder aufleuchten sollen, aber sie blieb dunkel.

Netteler überlegte und starrte die Tasten an, als ob er über einem sehr schwierigen Problem brütete. Nach einer Weile ertönte aus dem Lautsprecher eines modernen Radiogerätes, das auf einem Tischchen neben dem Flügel stand, ein Schnurren wie das einer gedämpften Fernsprecherglocke, und Netteler tippte nun mit einem Finger auf eine der Tasten des Flügels und zwar im Diskant und dann auf andere Tasten und setzte dieses unmelodiöse Spiel eine geraume Zeit fort. Er machte den Eindruck eines Kindes, das sich unbeholfen eine Melodie zusammensuchen will, aber sie nicht findet und beständig daneben greift …

Endlich hörte er damit auf, wartete nun anscheinend auf irgendeine Erleuchtung und stierte zur getäfelten Zimmerdecke empor.

Dann kam wieder aus dem Lautsprecher derselbe Schnarrton, und Netteler nickte befriedigt und schaltete die Lampe wieder aus, die gar nicht eingeschaltet war.

Nebenan schlug der Gong der Standuhr halb Zwölf.

Herr Heute saß noch immer am Flügel und überlegte.

Wenn der im Souterrain schnarchende Anton ahnen würde, was ihm bevorstand, hätte er sicherlich nicht so ruhig geschlafen.

Netteler zuckte wie bedauernd die Achsel. Der Anton war eben zu unzuverlässig. Was ging es ihn an, wer die Obermacher der Organisation waren?!

Herr Heute schreckte plötzlich empor.

Eine schwere Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt.

Eine Stimme sagte schnell: „Sobald Sie schreien oder sonst Geschichten machen, haben Sie eine Messerklinge im Magen, und die verdaut sich nicht ohne Schmerzen, Herr Heute!!“

Der Geiger, der vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein mochte, schaute in ein ihm völlig fremdes, blondbärtiges Gesicht, das sehr eindeutig lächelte.

Aber das Messer in der Hand des Fremden war ein spitzes großes Brotmesser und bedrohte seine Magengegend.

„Wer sind Sie“, flüsterte er vorsichtig.

Der Blonde schaute ihn lange durchdringend an.

„Kennen Sie mich wirklich nicht oder wollen Sie mich nicht kennen?!“

Seine Stimme klang rauh und heiser und sehr tief.

„Ich gebe Ihnen mein Wort, ich kenne Sie nicht“, flüsterte Netteler noch ängstlicher, denn die Messerspitze bohrte sich in seine Weste ein und zwang ihn zum Zurückweichen.

Der Blonde, der eine untersetzte Gestalt hatte und einen Schlapphut trug, dazu eine blaue Hornbrille und einen dunkelgrauen Gummimantel, lachte wieder in sich hinein und sagte dann:

„Ich bin der, dessen Sohn Sie geschnappt haben!! Deshalb spielten Sie den Bettlermusikus bei Pichelswerder. Deshalb! Nun bin ich hier, um Ihnen meine Bedingungen zu stellen, falls Sie weiterleben wollen. Es stirbt sich mitunter schneller als man denkt!!“

Herr Heute wurde leichenblaß. Er konnte nur mehr stottern. „Sie sind der Trias?! Sie?!“

„Leider. Ich wünschte, ich wäre es nicht! Bisher habe ich nicht gemordet, heute werde ich es tun! Falls Sie nicht gehorchen!! Drehen Sie sich um! Sofort! Ich will Sie fesseln!“

Netteler schwitzte vor Todesangst. Er wußte genau, daß er von dem Manne kein Erbarmen zu erwarten hatte. Er gehorchte.

„Arme nach hinten!“

Stahlfesseln schnappten um Nettelers Handgelenke zu.

„Setzen Sie sich dort in den Sessel!“

Es war der Sessel neben dem Flügel.

Der Trias setzte sich auf den Klavierschemel. „Es wird nun von Ihnen abhängen“, erklärte er kalt, „ob sie diese schöne elegante Wohnung mit einer engeren aus acht Brettern für immer vertauschen wollen. Wo befindet sich mein Sohn?“

Der Trias saß mit dem Rücken nach den Vorhängen zum Nebenzimmer hin.

Diese Vorhänge teilten sich lautlos und ein Mann trat ein, der vor dem Gesicht eine lila Seidenmaske trug.

Der Mann war groß und schlank, hatte einen Schlapphut auf und trug einen leichten dunklen Regenmantel, an dem nur etwas auffallend war: Der Kragen war hochgeklappt, und an der Unterseite der Kragenecken waren mit Silberfäden ein G. und ein R. eingestickt.

Netteler sah den Mann und seine Augen leuchteten insgeheim auf. Das Blut schoß ihm vor innerer Erregung ins Gesicht, und der Trias, dem diese Veränderung nicht entging, wollte sich gerade umdrehen, als der Maskierte mit einem Gummiknüppel brutal mit vollster Kraft dem Trias über den Kopf schlug. Der Schlag rief auf dem weichen Filzhut des Trias ein Geräusch hervor, als ob man auf eine Kokosnuß mit einem Stocke einschlägt, und der Trias sank lautlos zu Boden und riß den Klavierschemel mit um, aber der Maskierte griff schnell zu und setzte den Schemel wieder aufrecht.

Dann wandte er sich an Netteler. „Sie sind sehr unvorsichtig!“

Seine Stimme war offenbar verstellt und klang unter der Seidenmaske noch dumpfer.

„Sehr unvorsichtig!!“ wiederholte er. „Wenn mich nicht ein Zufall zur Kontrolle meiner Leute auch zu Ihnen geführt hätte, würden Sie mich und uns wohl aus Todesfurcht verraten haben. Widersprechen Sie nicht, – Sie hätten es getan, und vielleicht würde ich Ihnen das unter den Umständen gar nicht so sehr verargt haben, denn der Trias hätte Sie ermordet. Stehen Sie auf, Netteler, ich werde Ihnen die Stahlfesseln abnehmen.“

Als Netteler sich wieder setzte oder besser und genauer gesagt auf den Sessel zurückfiel, meinte der Oberchef der Org. G. und R. zu seinem Untergebenen: „Ihre Nerven sind nicht in bester Ordnung, mein Lieber. Ich werde Ihnen aus Ihrem Eßzimmer Kognak holen.“

Herr „Heute“ starrte ihm nach und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Er erinnerte sich an das Gespräch von vorhin mit Anton Mielke, und er gab ihm völlig recht: Der Oberchef sah jedesmal anders aus!!

Dann kehrte dieser mit einer Kognakflasche und zwei Gläschen zurück und schenkte beide Gläser voll.

„Da, trinken Sie, Sie haben es nötig.“

Der Herr Heute, der keine Witze, aber Scherze machte, trank gleich vier Gläschen hintereinander und atmete dann tief auf.

„Ich danke Ihnen, daß Sie mich befreit haben. Was wird nun aber aus dem da?“ Er zeigte auf den regungslos am Boden liegenden Trias.

„Meine Sorge! Eine andere Frage: Was macht sein Sohn? Ich habe mich um den nicht weiter kümmern können.“

„Der ist im Keller glänzend aufgehoben, Mielke sorgt für ihn.“

„Flucht ist unmöglich?“

„Ganz ausgeschlossen!“

„Hat das Gelaß Fenster?“

„Nein. Das hatte ich ja schon gemeldet.“

„Richtig. Ich vergaß es über den Sorgen um die Einmischung Harsts. Der Mann ist unbequem. Er wird in Oberst Cortwrihts Haus einbrechen, und der Diener wird ihn überraschen und niederschießen, – es ist alles schon vereinbart. Trotzdem werde ich froh sein, wenn er und sein Freund erledigt sind, und Sie können es auch sein, denn wem Harst sich mal an die Fersen heftet, der ist dem Zuchthaus näher als einer Tanzdiele.“

Der Oberchef erhob sich. „Wie fühlen Sie sich, Netteler? Wieder besser?“

„Ja, – vollkommen gut. Ich danke Ihnen nochmals.“

„Lassen Sie das Geschwätz! Wir müssen jetzt den Alten da wegbringen. Holen Sie Ihr Auto aus der Garage. Aber in aller Stille, und stellen Sie es vor die Gartenpforte. Dann tragen wir den Trias hinein, als ob es ein Bezechter wäre. Ich fahre allein. In einer halben Stunde bin ich zurück. Die Spree ist nicht weit, und der Trias kann schwimmen lernen …“

Netteler erbleichte aufs neue.

„Muß das sein?!“ stotterte er.

„Maul halten! Holen Sie das Auto.“

Netteler schaute dem Wagen lange nach. Ihm fror in der warmen Sommernacht. Unwillkürlich faßte er sich an den Hals. Was hatte doch der Anton da vorhin gesagt?! Richtig: Kohlrübe nicht mit dem Henkerbeil rasieren lassen!!

Er erschauerte. Dann eilte er ins Haus und goß noch ein paar Kognaks … – –

 

8. Kapitel.

Oberchef, Trias und ein Herr Gesternnicht.

Der Oberchef hielt den Wagen schon in der Nähe der Anlagen des Krematoriums an und wandte sich dem bewußtlosen Trias zu.

„War das Gummipolster unter deinem Schlapphut dick genug, mein Alter?“

Ich erwiderte lachend: „Vollkommen …!!“

Harst lachte auch, und selten habe ich ihn so herzlich lachen gehört.

„Unser Plan ist über Erwarten gut gelungen. Wir wissen nicht nur, wo der Sohn des Trias gefangen gehalten wird, sondern wir haben auch festgestellt, wie der Bechsteinflügel als Telegraf benutzt wird. Ein netter Gedanke von Herrn Netteler, diese Art der Fernverständigung.“

„Und was nun?“ fragte ich gespannt, denn dieser erste Erfolg hatte mich unternehmungslustig gemacht.

„Ich bringe nun zunächst das Auto zurück und trinke mit Netteler noch einen Kognak, und nach dem Kognak wird er sehr müde werden. Dann holen wir den jungen Trias aus dem Keller und bringen ihn anderswohin.“

Ich schwieg eine Weile. –

„Harald, warum hast du mir nicht gleich gesagt, daß Gesternnicht der alte Trias ist?“

„Weil ich es selbst nur vermutete, die Bestätigung lieferte mir erst die Angst Nettelers, bis dahin war alles nur Schlußfolgerung, und mit Kombinationen allein kann man nicht operieren.“

„Das stimmt!“ Ich stieg aus, und wir vereinbarten das weitere, dann fuhr Harald davon und ich folgte ihm zu Fuß.

Netteler war über die schnelle Rückkehr des Oberchefs entsetzt, und er trank den Kognak nur zu gern, denn die grausame Gleichgültigkeit, mit der der Maskierte über die Schwimmpartie des Trias in der Spree sprach, jagte ihm wieder Eisesschauer über den Leib.

Als sein Herr und Gebieter dann gegangen war, setzte er sich in den Sessel neben den Flügel und wollte das Erlebte nochmals überdenken, seine Gedanken verwirrten sich jedoch, und er schlief ein.

Unten im Keller der Villa lag auf einem eisernen Klappbett ein junger, stoppelbärtiger Mann und wälzte sich ruhelos hin und her. Seit drei Tagen war er nun hier eingesperrt und hörte jeden Tag so und so oft von dem meist betrunkenen, aber nicht gerade rohen Mielke dieselbe Frage: Immer dieselbe eine Frage – nur eine! – Und er antwortete nie! Er hätte sich lieber ermorden lassen, denn er wußte ja, daß das Geheimnis oder dessen Preisgabe ebenfalls seinen Tod bedeuten würde!

Es war stockdunkel in dem engen Kellergelaß. Die Mauern waren so dick, daß er nicht einmal die Geräusche der Straße wahrnahm. Er hatte auch längst jede Schätzung für die Zeit verloren. Seine Uhr und alles andere hatte man ihm abgenommen, nachdem er so leichtsinnig gewesen, mit dem alten Geiger im Walde sich auf ein Gespräch einzulassen und von dessen Schnaps zu trinken. Da hatte er das Bewußtsein verloren. Er erwachte erst hier in seinem Kerker und wußte noch immer nicht, wo er sich befand, nur der Mann, der ihn bediente, nannte sich Mielke, aber auch der Name war bestimmt falsch.

Er hatte hier in seiner trostlosen Verlassenheit Zeit genug gehabt, über die Vergangenheit nachzusinnen, und er hatte diese Vergangenheit mit allen Einzelheiten wieder aufleben lassen, und dabei war so allmählich die Reue gekommen, und er hatte seine Eigenmächtigkeiten verwünscht und immer wieder der Mahnungen des Vaters sich erinnert und dabei oft Tränen in den Augen gehabt wegen seines verlorenen Glückes.

Wie sehr er Helga liebte, merkte er jetzt erst.

Sie, die stille Norwegerin, die hier in Berlin Musik studiert hatte, ahnte nicht, wer er war: Der Sohn des großen Trias!!

Nein, das ahnte Helga nicht. Sie hätte sich sonst von ihm vielleicht mit Schaudern abgewendet, denn er war ein Unreiner geworden, weil er die Gaben, die ihm verliehen, zum Schluß in jäh erwachender Selbstsucht zu seinem Vorteil ausgenutzt hatte. Dafür war er nun auch bestraft worden.

Er hob plötzlich lauschend den Kopf. Irgendwo hatte ein Mensch gerufen, aber der Schrei verklang sehr schnell.

Dann wurde an der dicken Tür gerüttelt, der Schlüssel wurde ins Schloß geschoben, und ein Lichtschein fiel durch das Schlüsselloch. Die Tür ging auf.

Der Sohn des Trias sah sich zwei Leuten gegenüber, die Masken und Schlapphüte trugen und die in Regenmäntel gehüllt waren.

„Stehen Sie auf!“ befahl er eine dumpf. Er gehorchte.

„Wollen Sie mich töten?“ fragte er gleichgültig, denn der Tod hatte keine Schrecken für ihn, nur der Verlust Helgas und der Verrat am Vater schmerzten ihn.

„Nein, wir werden Sie nicht töten, nur in eine andere Zelle bringen“, erklärte derselbe Mann. „Fürchten Sie nichts! Ich spreche die Wahrheit. Wir werden nun andere Methoden anwenden, auch von Ihnen die Wahrheit zu erfahren. Lassen Sie sich getrost die Augen verbinden und einen Knebel im Mund befestigen.“

Der junge Trias lachte bitter. „Ich muß ja gehorchen …!“

Er ließ alles mit sich geschehen. Die Zeiten, wo er mit den Menschen wie mit Marionetten gespielt hatte, waren vorüber. Seine Machtmittel hatten gegenüber der brutalen Gewalt versagt.

Er wurde in ein Auto gesetzt, und Harst fuhr davon. Ich selbst saß neben dem einzigen Kind des großen Trias und achtete darauf, daß der Gefangene uns nicht durch irgendwelche Torheiten Ungelegenheiten bereitete. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich gewußt hätte, was mein Freund eigentlich vorhatte und wohin die Fahrt gehen sollte. Es war Herrn „Heutes“ Auto, und Harald legte ein rasches Tempo vor. Ich nahm an, wir würden als Ziel Pichelswerder haben, aber ich irrte mich gründlichst und erkannte wieder einmal, daß Harald mich wiederum über seine Absichten im unklaren gelassen hatte.

Wir hielten nach kurzer Fahrt vor unserem eigenen Häuschen in der Arnoldstraße.

Unser unübertrefflicher Paudel hatte alles aufs beste hergerichtet und erklärte stolz: „Herr Harst, Ihre eiligen telefonischen Anweisungen habe ich mir sinngemäß ergänzt. Nur her mit dem Schurken! Aus dem Kerker, den ich zurechtgemacht habe, kneift keiner aus!!“

„Es ist kein Schurke!“ sagte Harald ernst. „Sie werden den Herrn sehr höflich behandeln. Nur werden Sie nachts vor der Kerkertür wachen und sehr gut aufpassen, daß er uns nicht entwischt. Es ist ein armer Geisteskranker und schwatzt noch mehr Unsinn als Sie zuweilen, lieber Gustav.“

Der liebe Gustav aus Krojanke murmelte ziemlich vernehmlich etwas von Unverschämtheit.

Dann überließen wir ihm den jungen Trias.

Wir brachten das Auto in Herren Heutes Garage zurück, und da auch Anton Mielke vorhin etwas hatte schlucken müssen, was zu einem noch tieferen Schlaf verhilft als der beste Kognak, brauchten wir nicht allzu leise zu sein.

Dann fuhren wir wirklich nach Pichelswerder hinaus in einer Taxe, deren Schofför ein Angestellter vom Argus war, – und auch davon wußte ich bisher nichts, daß Harald diese Taxe in die Nähe des Fehrbelliner Platzes beordert hatte.

 

9. Kapitel.

Um Helga Svenson und ein Lebensglück.

Die Aufregung unter den Gästen der Kaffeegärten über die Benzinexplosion und über das schnelle Wegsacken des „Stoßvogel“ hatte sich bald gelegt. Man nahm allgemein eine Selbstentzündung des Benzins an, und nur der Eigentümer der Jacht und seine Vertrauten wußten, daß die Dinge denn doch wesentlich anders lagen, aber sie schwiegen und waren im Grunde noch froh, daß die Wasserpolizei sich nicht weiter einmischte, da ihnen nichts daran lag, mit der Öffentlichkeit näher in Berührung zu kommen. Daß Anton Mielke, der Flußhausierer und Pförtner des Herrn Netteler, das Unheil sehr geschickt in höherem Auftrag befingert hatte, blieb vorläufig geheim. Das Leben und Treiben an dem toten Havelarm nahm seinen gewohnten Verlauf, und auf den warmen Tag war nun diese ebenso warme sternenklare und mondhelle Nacht gefolgt, in der sich bereits so einiges ereignet hatte und noch weit mehr ereignen sollte.

Den Schuppen und das an diesen sich anschließende alte kleine Häuschen hatte der Besitzer des „Stoßvogel“ gemietet und dort nun auch seine Getreuen, die hübsche Helga und den Diener Karl, und sich selber einquartiert. Das Häuschen, zur Not für Sommergäste möbliert, lag auf einer kleinen Lichtung dieser romantischen Wildnis von Halbinsel und konnte für verwöhnte Leute kaum als Wohnung in Frage kommen, aber denen, die nun hier ihr Heim aufgeschlagen hatten, war es nur lieb, daß es so versteckt und so wenig sichtbar im Grünen dahinträumte.

Gegen Mitternacht war Herr Gesternnicht, dessen Identität mit dem großen Trias der Leser nun bereits kennt, noch munter und saß zusammen mit Helga im Erdgeschoßzimmer am Sofatisch und besprach mit ihr im Flüsterton die jähe Wendung der Dinge, die durch den Verlust der Jacht hervorgerufen worden.

Der alte Trias betonte, wie bedenklich es ihm erschiene, daß man von Harst so gar nichts mehr gehört habe. – Helga Svensons graublaue Nordlandsaugen blickten starr ins Leere. In ihrem jungen Herzen waren nur noch Hoffnungslosigkeit und stille Verzweiflung, wovon sie aber den armen Mann nichts merken lassen wollte, der ihr hier nun genau so niedergebrochen gegenübersaß und keine Worte mehr für sein großes Leid fand. – Karl, der treue Diener, patrouillierte draußen auf und ab und bewachte den Schuppen und das Häuschen. Er war ein stämmiger Mensch mit einem trotzig-verbissenem Gesicht, und alles, was er an Anhänglichkeit zu vergeben hatte, gehörte nur seinem Herrn.

Plötzlich gewahrte er zwischen den Erlen eine Gestalt, die sich eilig näherte. Er rief den Mann an und hielt seine Waffe, einen langen Bootshaken, bereit; aber es war zum Glück nur Herr Harst, der ihn nun freundlich begrüßte und fragte, was Herr Gesternnicht täte. Karl gab Auskunft, und Harst bat ihn darauf, er solle Herrn Gesternnicht herbeiholen, er habe mit ihm etwas Dringendes zu besprechen.

Gesternnicht kam. Er war unrasiert und sein langes Haar hing ihm wirr in das intelligente, aber von Sorgen zerquälte Gesicht. Harst drückte ihm kräftig die Hand.

„Sie hätten mir sofort sagen sollen, wer Sie sind“, meinte er gedämpft, denn der Diener befand sich noch in der Nähe. „Ich habe Ihre Angaben zunächst bezweifelt, was die Entführung Ihres Sohnes betraf, Sie stellten die Sache auch so dar, als wäre Ihr Sohn in schlechte Gesellschaft geraten. Ich kenne nun die volle Wahrheit.“ Er blickte dem alten Trias fest in die Augen, – „Die volle Wahrheit!“ wiederholte er.

Der Mann mit den klugen und doch so vergrämten Zügen senkte schnell den Kopf. –

Inzwischen war ein zweiter Mann in der Stube erschienen, wo nun Helga ganz allein saß. „Erschrecken Sie nicht“, sagte ich zu dem jungen Mädchen. „Ich bin Schraut, und wir, mein Freund und ich, brauchen Ihre Hilfe.“

„Meine Hilfe?! – Wie das?!“ fragte sie verwirrt und ungläubig.

„Kommen Sie mit mir“, bat ich eindringlich. „Ich möchte Sie zu dem Manne führen, dem Ihr Herz gehört. Wir haben ihn befreit, aber sein Vater darf vorläufig nichts davon wissen, so will es Harst, und ich muß gehorchen. Machen Sie mir’s nicht allzu schwer, bitte!“

Mein Auftrag war nicht ganz einfach, zumal ich gar nicht imstande war, Helga etwa stichhaltige Gründe für mein Ansinnen zu nennen, denn ich wußte ja selbst nicht, worauf das alles hinauslaufen sollte.

Helga war aufgesprungen. „Wirklich, Sie haben ihn befreit …?“ stammelte sie ganz fassungslos. „Aber ich weiß, – Sie würden mich nicht belügen. Es ist gut, ich begleite Sie, ich will meinen Verlobten auch zuerst allein sprechen, er wird von mir …“ und dann brach sie jäh ab und schwieg, als hätte sie schon zu viel verraten.

Sie nahm ihren Mantel und Hut und huschte mir voraus ins Freie. Ich hatte kaum Zeit ihr zuzuraunen, wo unser Auto wartete. Niemand bemerkte sie. Aber es lag mit in meinem Auftrag, Harst nun davon zu verständigen, daß sein Vorhaben auch nach dieser Richtung geglückt sei. Ich schlich durch die Büsche, dann rief mich der Diener an und auch der Trias bemerkte mich.

„Herr Harst, – dort – ein Fremder!“

Der alte Gesternnicht deutete atemlos auf die im Mondschatten entschwindende Gestalt.

Harst beruhigte ihn. „Es dürfte Schraut sein. Hier, lesen Sie diesen Zettel nachher. Ich muß mich verabschieden, “ und er entfernte sich eiligst.

Der alte Herr begab sich in das Stübchen und fand es leer. Er rief nach Helga, niemand antwortete. Dann stieg in ihm eine besondere Vermutung auf. Er überflog den Zettel: „Machen Sie sich Helgas wegen keine Sorgen. Wir bringen sie sehr bald zurück und noch jemanden dazu. – Harst.“

Der Trias fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er stöhnte leise. „Es wird Ihnen nie gelingen, und es darf Ihnen auch nicht gelingen! Ich wandere nicht ins Gefängnis!!“ – Er sank auf den Stuhl und vergrub das zerfurchte Gesicht in den Händen.

Der junge Trias, der in seinem abenteuerlichen und geheimnisvollen Dasein so viele Namen geführt und so viele Masken getragen hatte, wanderte ruhelos in dem hell beleuchteten und sehr wohnlich hergerichteten Kellerraume umher und zergrübelte sich den Kopf, was die Wendung der Dinge zu bedeuten haben könnte. Seine Verfehlungen konnte er kaum mehr gutmachen, er durfte sein allerletztes Geheimnis nicht preisgeben, denn er hätte den Vater mit ins Unglück gestürzt, und das durfte nicht sein. Er sah keinen Ausweg mehr, er hoffte auf nichts mehr. – wie sollte er auch? Niemand konnte helfen, niemand!

Dann vernahm er draußen im Kellergang Schritte. Eine Stimme drang an sein Ohr, die er aus Tausenden herauserkannt hätte. Die Tür ging auf. In der Tür stand seine Braut, und hinter ihr Harst und Schraut.

Helga flog auf ihn zu, er preßte sie an sich, er küßte sie, fühlte, wie die Tränen ihm die Augen trübten und wie seine Seele sich sehnte nach einem restlosen Geständnis. Alles, was ihm noch anhaftete aus jenen Zeiten, als er sich ein Gott gedünkt und mit Menschen gespielt hatte wie mit Puppen, die keinen eigenen Willen hätten, fiel von ihm ab, und er wurde das, was ihn einzig und allein wieder für die Umwelt zum brauchbaren Mitglied der Menschheit machen konnte: Ein Mensch wie jeder andere, nicht mehr der Schüler der Lamapriester von einst.

Er schob Helga sanft von sich und wandte sich Harst zu und erklärte ohne Zaudern und getrieben von dem Wunsche, sein und seines Vaters Geschick in die gütigen Hände eines Mannes zu legen, der für alles Verständnis und Nachsicht und Hilfe bereit hatte: „Ich werde Ihnen das Versteck nennen. Tun Sie als mitfühlender Mensch Ihre Pflicht …!“

 

10. Kapitel.

Das Ende des Trias – Problems.

Georg Netteler erwachte, nachdem Mielke ihm so und so viele Tassen schwarzen Kaffees einflößte hatte. Anton Mielkes kräftige Natur hatte dem Schlaftrunk widerstanden, und als er nach kaum einer halben Stunde erwachte, als er den Kerker des Gefangenen leer fand, eilte er nach oben und bemühte sich um seinen Herrn.

Netteler erzählte ihm nun, was er erlebt hatte. Mielke lachte rauh. „Das war niemals der Trias, und das war erst recht nicht der Oberchef! Netteler, ich habe die Sache satt. Wir beide sind nur Werkzeuge von Leuten, die uns ausnutzen. Ich gehe zur Polizei und melde, was ich weiß.“

Netteler sah wohl ein, daß sein Pförtner recht hatte, aber er dachte auch daran, daß er Mielke vorhin als unzuverlässig der Zentrale gemeldet hatte. Er war nicht feige, er hatte sich nur durch das angenehme Leben und den leichten Verdienst verführen lassen. Außerdem steckte in ihm ein Stück Abenteurernatur, und auch das hatte mitgeholfen, ihn auf diese dunkle Bahn hinabgleiten zu lassen. Er raffte sich auf.

„Anton, ich habe dich der Zentrale gemeldet, “ sagte er reumütig. „Wir wollen schleunigst die Villa verlassen, denn wer weiß, wann die Obermacher dich richten wollen.“

Mielke war weder erstaunt noch ergrimmt über dies Geständnis. Er lachte hart und pochte mit dem Zeigefinger gegen seine Brusttasche. „Mögen sie nur kommen!! Lebend kriegen sie mich nicht! Gut, daß Sie mich gewarnt haben!“

Er horchte und schlich zum Lichtschalter, und das Zimmer wurde dunkel. Dann schob er den Fenstervorhang beiseite und spähte hinaus.

„Eine Autotaxe“, flüsterte er. „Eine Dame steigt aus. Da, jetzt läutet sie. Soll ich öffnen?“

Netteler stand hinter ihm. „Es ist Gerda Cortwriht, öffne!!“

Gerda stürmte an Mielke vorüber, und er lief hinter ihr drein und hörte noch die Worte, die sie Netteler zurief: „Flieht, flieht sofort!! Mein Vater und Hassan sind unterwegs hierher und wissen nun, daß Harst hier in Berlin ist. Alles ist verloren. Vater glaubt, Ihr hättet der Polizei verraten, was …“

Sie fieberte vor Erregung. Sie konnte nicht weiter sprechen … Eine Depesche aus London war vorhin eingetroffen, daß der Inhalt des Katalogs Hassans entziffert worden sei und daß man Treuherz verhaftet habe. Gerda schwanden die Sinne, – ohne jeden Laut sank sie vor dem Flügel zusammen.

Durch die noch offenstehende Tür schlüpften zwei Gestalten.

„Verräter!!“

Zwei Arme schnellten hoch, ein dritter war noch flinker. Vier kurze, blecherne Knalle. Dann das triumphierende Lachen Mielkes. Er wischte sich die leichte Blutspur von der Wange.

„Wer von beiden ist nun der Oberchef, Netteler?!“

Der sterbende Hassan hob matt den Kopf. „Cortwriht ist’s“, stieß er mit letzter Kraft hervor. „Ich hatte Harst den Katalog absichtlich übergeben. Cortwriht sollte …“ – und dann sank sein Kopf zurück, und alles war aus. –

„Nehmen wir das Mädchen mit zur Polizeiwache“, meinte Netteler und richtete sich straffer auf. „Vorwärts, Anton, – es war schändlich von uns beiden, gegen unser eigenes Land zu intrigieren. Die Organisation G. und R. sollen wenigstens von hier verschwinden!“

Mielke machte das Auto fertig, und dann fuhren sie davon, vielleicht dem Zuchthaus entgegen, aber das war ihnen gleichgültig, genau wie dem jungen Trias sein weiteres Geschick gleichgültig war. – –

Kriminalkommissar Bechert saß trotz der frühen Morgenstunde noch immer in seinem Büro. Es war jetzt vier Uhr morgens. Er trat ans Fenster, vernahm hoch über dem Dächermeer des Alexanderplatzes ein Dröhnen und Surren von einem Großflugzeug und beugte sich zum Fenster hinaus, denn es überraschte ihn, daß um diese Stunde eine Maschine unterwegs war. Dann schlug das Telefon an, er meldete sich: „Ah, Sie, Harst! Etwas Neues wieder?“ – – Dann eilte er die Treppen hinab und bestieg seinen Dienstwagen und fuhr gen Pichelswerder.

In dem Stübchen des Herrn Gesternnicht saßen ihm Frühsonnenschein, der durch die Tür hereinfiel, drei Herren und rauchten und warteten. Auf dem Tisch lag Harsts Armbanduhr. Als die Uhr genau fünf Uhr zeigte, erklärte Harst dem nervösen Kriminalkommissar: „Ich gewährte den vier Flüchtlingen drei Stunden Vorsprung. Wahrscheinlich dürften sie ein Flugzeug benutzt haben. Sie sind nun in Sicherheit, und der Fall Trias ist fast beendet. – Machen Sie kein so böses Gesicht, Freund Bechert, hören Sie erst das, was Ihnen völlig neu sein dürfte: Der alte Trias war ein Patriot durch und durch. Er raubte nicht für sich diese Millionen, nein, er wollte sie der deutschen Allgemeinheit zukommen lassen. Sein Sohn aber, plötzlich verführt durch Habgier, verbarg die Beute und geriet dann in die Hände des Kolonel Cortwriht, der das Oberhaupt der Organisationen G. und R. war …“ – Mein Freund erwähnte einige Einzelheiten und schloß dann:

„Die gesamte Beute ruht …“ – er machte eine kurze Pause – „ruht hier unter den morschen Dielen dieses Stübchens. Schraut und ich haben bereits nachgesehen. Der junge Trias hat nicht gelogen und er hätte auch nie mehr gelogen, denn was an ihm unvollkommen und schlecht, hat die Liebe aus seiner Seele entfernt. Frauen galten ihm bis dahin nichts, er war eben im Kloster von Srinawir in Indien so erzogen worden. Dann lernte er Helga kennen, und allmählich setzte nun die Wandlung bei ihm ein. Ich bitte Sie, Bechert, lassen Sie die vier nicht verfolgen. Das Trias-Problem soll hiermit eine endgültige und friedliche und erfreuliche Lösung gefunden haben …!“

Becherts sann eine Weile vor sich hin. Dann streckte er Harald stumm die Hand hin.

„Und was wird aus der armen Gerda Cortwriht, lieber Harst?“

„Das fragen Sie besser Netteler!“ meinte Harald mit merklichem Lächeln. „Der Herr Heute ist kein schlechter Kerl und außerdem gründlich kuriert. Man sollte ihn nicht zu hart bestrafen, denn durch seine Angaben ist doch in der Hauptsache die Spionagezentrale im Basar des Hassan restlos für das Gebiet Deutschlands ausgehoben und vernichtet worden.“

Bechert drückte Harsts Hand noch kräftiger.

„Stellen Sie Ihr eigenes Licht nicht zu sehr unter den Scheffel!! Schon allein der Trick, wie Sie den Kerker des jungen Trias herausfanden, verdient patentiert zu werden!“

Dann gingen wir drei hinaus an den Fluß und sahen die Sonne auf dem Wasser leuchten und freuten uns des wundervollen Morgens.

 

Nächster Band:

Die Oase der Träume.

 

 

Anmerkung:

  1. Hefttitel auf der Umschlagseite mit Auslassungspunkten (…), innen ohne Punkte.