Sie sind hier

Das Geheimnis um die Marga

 

 

Harald Harst

 

Band: 372

 

Das Geheimnis um die „Marga“

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1934 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Der große Goldtransport.

Es war ein sehr wenig gesprächiger Besucher, der sich an einem düsteren Aprilabend überraschend bei uns einfand. Daß der Mann eine Verkleidung trug, sah ich sofort.

Joe Parkinson hatte bestimmt große Sorgen. Sein Benehmen war das eines Menschen, der sich nicht recht traute, sein Anliegen vorzubringen. Erst Harsts eindeutiges Gähnen veranlaßte ihn, mit den hastigen Sätzen herauszuplatzen:

„Herr Harst, Sie müssen uns helfen. Es geht um fünf Millionen.“

Mein Freund erklärte hierauf: „Eine lohnende Sache also für die, denen an dem Besitz von Gold gelegen ist! – Es handelt sich also um einen Goldtransport, nehme ich an. Denn nur bei solchen Gelegenheiten ist wirklich noch ein Geschäft zu machen.“

Parkinsons helle Fischaugen wurden etwas weiter und lebendiger. Er unterließ jedoch alle Bemerkungen über Harsts schnelles Erfassen der Hauptsache und teilte uns folgendes mit – sehr knapp und wohltuend übersichtlich:

Er gehörte einer englischen Großbank als Leiter des Detektivkorps an. Die Bank hatte zahllose Filialen in allen Teilen Englands, und er hatte nebenher auch die Sicherheitsmaßnahmen der Filialen zu kontrollieren. – Daß vor nicht langer Zeit die englische Finanzwelt durch die häufigen Überfälle auf Goldtransporte sehr in Unruhe geraten war, und daß weiter gerade wir dem internationalen Konzern dieser rührigen und sehr gewandten Verbrecher eine Schlappe zugefügt hatten, habe ich bei anderer Gelegenheit bereits erwähnt. Von einer völligen Vernichtung der Organisation war leider keine Rede gewesen, wie sich hinterher herausstellte. – Jedenfalls war Joe Parkinson nur in Sorge um die fünf Millionen, die per Schiff nach New York abgehen sollten. Er bat uns, den Hafen Swinemünde zu überwachen und festzustellen, ob dort irgendwie verdächtige Gestalten in letzter Zeit aufgetaucht seien.

Daß mein Freund sich mit diesen für eine solche Aufgabe doch wohl zu geringfügigen Andeutungen – mehr war es ja kaum – zufrieden gab, wunderte mich.

Parkinson schien darüber recht erleichtert zu sein und verabschiedete sich nun mit einer Hast, die wohl auf seinen Wunsch zurückzuführen sein mochte, nicht durch ein Verhör nach Harst’scher Art noch mehr preisgeben zu müssen. Ich geleitete ihn zur Gartenpforte und schaute ihm noch eine Weile nach. Es regnete, und der Regen war mit Schnee vermischt.

Es war jetzt halb zehn. Ich verschloß die Vorgartenpforte und hatte den Gartenweg bis zum Hause noch nicht zur Hälfte hinter mir, als ich angerufen wurde. Es war eine verschleierte Frau, die nun nochmals und recht aufgeregt sich meldete:

„Herr Schraut, – Herr Schraut, – lassen Sie mich bitte sofort ein …!!“

Ich eilte hin, schloß die Pforte wieder auf. Die Frau – der Stimme nach mußte sie jung sein – lief an mir wie gehetzt vorüber und stellte sich in die Haustürnische. Als ich die Pforte nun abermals versperrte, vernahm ich von der nahen Kreuzung der Uhlandstraße einen schrillen Schrei, dann sauste eine Limousine in ganz unvorschriftsmäßiger Schnelligkeit unsere Gasse entlang und verschwand in dem noch lebhafter fallenden Regen.

Dem dunklen Auto folgte ein Motorradler, – von der Straßenkreuzung ertönte nun auch der Lärm aufgeregter Stimmen, und ein paar Männer liefen – ebenfalls wohl als Verfolger der Limousine – an mir vorüber, – der eine brüllte mir zu: „Überfahren haben sie einen Herrn …!! Es war Absicht, – ich sah es!!“

„Einen Augenblick …“, bat ich den Mann. „Wer ist das Opfer?“

„Ein Rothaariger! Er war sofort tot. Die schwarze Limousine schwenkte ganz scharf auf ihn zu, als er die Straße überquerte.“

Plötzlich stand Harst neben mir. „Sie sind doch Herr Metzner von schräg gegenüber? Von Ansehen kennen wir uns ja. – Glauben Sie bestimmt, daß es ein wohlüberlegtes Attentat auf den Rothaarigen war?“

„Bestimmt!! Herr Harst, Sie sollten sich um die Sache kümmern. Das wäre doch etwas für Sie.“

„Leider sind wir zur Zeit sehr beschäftigt. Wenn Sie aber so liebenswürdig sein wollten und mal feststellten, wo die Leiche hingeschafft wird – falls der Herr wirklich tot ist –, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Rufen Sie uns doch an. – Wie gesagt, wir haben zu tun, sonst würde ich Sie bitten, persönlich bei uns vorzusprechen.“

In unserem Büro, das gleichzeitig Wohnzimmer ist, saß die Fremde und labte sich an einem Glas Portwein, das Harald ihr eingeschenkt haben mußte. Sie hatte nun den Schleier emporgeschlagen, und wir erblickten ein Gesicht von reifem und doch seltsam kindlichem Liebreiz. Große, bange Augen starrten Harst forschend und verängstigt an.

„Was – bedeutete der Schrei –?“, flüsterte sie scheu.

Sie saß in der Sofaecke und streifte nun langsam die Handschuhe ab.

„Was der Schrei bedeutete –?!“, sagte Harald gedehnt. „Sollten Sie das nicht wissen?!“

Dieser versteckte Vorwurf genügte, die Züge der Frau völlig zu verzerren und so farblos zu machen, als hätte sie vor dem, was nun folgen mußte, nämlich vor einem peinlichen Verhör, die größte Angst.

Harst ließ ihr Zeit, sich erst einmal zu fassen. Die Fremde überwand auch in kurzem diese Anwandlung von Schwäche und erwiderte mit einem gewissen Trotz: „Und wenn ich etwas wüßte, – ich würde nichts verraten! Um keinen Preis! Woraus schließen Sie übrigens auf meine Mitwisserschaft, Herr Harst?!“

„Ich habe nichts von Mitwisserschaft gesagt, nichts! Ich habe nur angenommen, daß Sie zu Mister Parkinson gehören und ahnten, daß auf ihn ein Überfall geplant sei.“

Sie hörte sofort zu weinen auf. „Ich bin allerdings eine Detektivin der Londoner City-Bank[1].“ Und nach einigem Überlegen: „Mein Name ist Frau Magda Renker. Ich bin Witwe –. Ich nahm die Stellung mehr aus Not an, Herr Harst. Mein Mann war Schiffskapitän und Deutscher.“

Harst krauste leicht die Stirn und schien über irgend etwas nachzugrübeln.

„Etwa den Frachtdampfer Gonzales?“, fragte er dann.

Frau Renker nickte nur –

„Dann sind Sie die Ärmste, die Witwe wurde, bevor Sie richtig verheiratet waren“, fügte er hinzu. „Der Dampfer ist seit einem Jahr als vermißt gemeldet, und man nimmt an, er sei auf der Reise nach New York versenkt worden. Er führte eine kleinere Goldladung mit sich, und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß das Schiff ausgeplündert und die ganze Besatzung ermordet wurde.“

Unser schöner und trauriger Gast bejahte zögernd. „Herr Harst, ich vermag Ihnen sonst gar nichts mitzuteilen. Nur das weiß ich: Parkinson fürchtete Feinde! – Wen er aber fürchtete, entzieht sich meiner Kenntnis – –“

Das Telephon auf dem Schreibtisch schnurrte. Harst nahm den Hörer ab. Er klopfte, während er mit unserem Anrufer sprach, andauernd mit einem Papiermesser gegen das Marmortintenfaß, – offenbar, damit Frau Renker nichts verstünde, denn der Apparat spricht sehr laut an. – Er legte den Hörer wieder weg, nachdem er sich für den Anruf bedankt hatte, und sagte nur zu uns: „Ja, – er ist tot –“ Dann geschah das Unglaubliche: Er rief die nächste Polizeiwache an!

„Bölke, Sie selbst? – Das freut mich. – Kommen Sie sofort hierher. – Die andere Sache hat Zeit. – Wir haben hier eine Dame bei uns, die Ihnen so allerlei über den Toten angeben wird. – Wenn sie sich weigert, behalten Sie sie dort.“

Frau Magda Renker flog aus ihrer Ecke hoch. „Herr Harst, – das hätte ich Ihnen nicht zugetraut!!“

Er kam langsam zum Sofatisch zurück. „Man vertraut mir im allgemeinen zu viel oder zu sehr, Frau Renker. – Ich biete nie meine Hand dazu, einen Tatbestand zu verschleiern. Vor mir wollten Sie nicht sprechen. Vor der Kriminalpolizei müssen Sie sprechen. – Was sollte ich also wohl tun?! Sie haben mich ja zu diesem Schritt gezwungen.“

Da die Polizeiwache in nächster Nähe liegt, war der Kriminalassistent Bölke in kurzem zur Stelle. Er richtete an Frau Renker verschiedene Fragen, – sie antwortete nicht. – Gleich darauf waren wir allein, und Harald erklärte mir ohne jede Einleitung oder Begründung: „Du wirst dir schon ein paar Stunden ohne meine Gegenwart mit der Lektüre der Zeitungsausschnitte über den Dampfer Gonzales die Zeit vertreiben und hier Telephonposten spielen müssen. Ich habe Verschiedenes vor, mein Alter. Sollte ich bis morgen früh acht Uhr nicht zurück sein, so frage mal bei Herrn Otto Renker in der Ratsgasse, unweit des Rathauses, nach. Wiedersehen!“

Er hatte es sehr eilig. – Als er unser Heim verlassen hatte, nahm ich das Adreßbuch zur Hand – –

Otto Renker, Korvettenkapitän a. D., Auskunftei Renker, Berlin C, Ratsgasse 13.

 

2. Kapitel.

Über den Dampfer Gonzalez …

Telephonwache, – um halb zwölf meldete sich nicht das Telephon, sondern die Flurglocke. Ich ging zur Gartenpforte. Es war der Assistent Fritz Bölke, den wir recht gut kannten.

„Entschuldigen Sie, Herr Schraut. Aber ich mußte einen von Ihnen unbedingt noch sprechen, denn diese Frau Renker, – ich sage Ihnen: ein Rätsel! Nichts ist aus ihr herauszubekommen, nichts! Dabei weiß sie bestimmt etwas sehr Wichtiges. – Was wollte eigentlich der Parkinson bei Ihnen? Auf meine Verschwiegenheit können Sie sich verlassen.“

Das wußte ich. Ich gab ihm kurz Auskunft, und er wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. – „Ein merkwürdiger Auftrag!! Aber noch viel merkwürdiger ist folgendes: Ich rief den Vater der Frau Renker an und wollte ihn bitten, zur Wache zu kommen und seiner Tochter ins Gewissen zu reden. Er lehnte rundweg ab und sagte mir, ich solle seiner Tochter nur bestellen, daß er sich jetzt von ihr völlig lossage. Mit einer Frau, die in dunkle Geschichten verwickelt sei, wolle er nicht mehr das geringste zu tun haben. – Mir erklärte er, seine Tochter sei ohnedies gegen seinen Willen englische Detektivin geworden, und er hätte mit ihr kaum noch korrespondiert. – Frau Renker blieb zu alledem ganz gleichgültig und sitzt nun in einer Zelle. – Was halten Sie von ihr?“

Was ich von ihr hielt? – „Ich bedauerte die Frau. Ich hatte ihre Augen studiert und las darin ein großes Leid und einem verbissenen Willen, irgendein Ziel zu erreichen, das sie nicht nennen mochte.“

Bölke nickte. – „Ja, denselben Eindruck habe auch ich gewonnen. Sie dürfte nicht einmal ihrem Vater Einblick in ihre wahre Gedankenwelt gewährt haben, zumal der alte Renker ein sehr eigentümlicher Kauz ist. Er nennt sein Unternehmen Auskunftei. Er dürfte außer uns, außer der Kriminalpolizei, die beste Kartothek über die berüchtigtsten Verbrecher besitzen. – Sie staunen?! Ja, es ist sein Steckenpferd. Daß Sie beide nie bisher von ihm gehört haben, wundert mich nicht weiter, denn Otto Renker lebt als Einsiedler unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Wir ziehen ihn häufiger zu Rate, – er wehrt sich gegen jeden Besucher, aber wie gesagt, seine Kartothek ergänzt er mit Hilfe der Presse der ganzen Welt und hat doch nie versucht, sich irgendwie praktisch zu betätigen, obwohl er sehr schlau und weit über den Durchschnitt intelligent ist.“

Mir war das alles vollkommen neu. Aber Berlin ist eine Viermillionenstadt, und wie soll man da jeden seltsamen Kauz kennen?!

Wir sprachen noch eine Weile über Renker, und dann warf ich die Bemerkung hin, daß mir an Parkinsons Angaben über den großen Goldtransport das eine am auffälligsten erschienen sei, – nämlich der Hafen Swinemünde – – „Bedenken Sie, Bölke, der Transport geht von London nach New York. Weshalb soll der Dampfer noch in die Ostsee und gerade Swinemünde anlaufen?! Mir gänzlich unverständlich!“

Bölke gab das zu. Auch er hatte schon an diesen sinnlosen Umweg gedacht.

Dann las ich ihm die Zeitungsausschnitte vor, die Frau Magda Renker betrafen. – Sie hatte einen entfernten Vetter Rolf Renker vor nunmehr vierzehn Monaten in London geheiratet, und zwar am Tage der Ausreise des Dampfers Gonzalez, dessen Kapitän dieser Renker war. Die Trauung auf dem deutschen Generalkonsulat war eine Stunde vor der Ausreise erfolgt, und das junge Paar war hinterher nicht eine Sekunde ohne Gesellschaft geblieben, worüber sich die Zeitungen in London sehr den Kopf zerbrochen hatten.

Bölke lächelte etwas. „Also eine jungfräuliche Witwe, ohne Zweifel. Und so jung!! Fünfundzwanzig! Und so blendend schön!! – Was nur der Alte, ihr Vater, zu der Heirat gesagt haben mag?! Vielleicht billigte er sie nicht.“

„Kennen Sie den Renker persönlich?“

„Und ob!! Das heißt, Herr Schraut, – kennen?! Haben Sie eine Ahnung, was das für ein Unikum ist!! Der spielt immer den verschrobenen Alleswisser und Menschenfeind. Gehen Sie mal zu ihm!“ Er lachte jetzt. „Ich bin überzeugt, er hat Harst grob abgewimmelt und – –“

Das Telephon meldete sich. Es war Harst. – „Hör mal zu, mein Alter – Du kannst sofort nach der Ratsgasse kommen – – wir treffen uns vor dem Häuschen des alten Renker – – Er ist wütend auf mich und hat mich rausgeworfen, weil ich seine Tochter der Polizei übergeben habe. Dich will er jedoch empfangen. Er hält mehr von dir, als von mir – – Hat Bölke sich gemeldet?“

Als ich ihm erklärte, Bölke säße hier bei uns, mußte der Doktor an den Apparat. – Ich hörte mit. – „’N Abend, Bölke – – der Alte ist fuchsteufelswild auf die Polizei und auf sein einziges Kind – – Ich warne die Frau. Er hat nicht einmal gewußt, daß Magda hier in Berlin ist – –“

Fritz Bölke lächelte. – „Oh, ich kenne ihn ja – – Woher aber weiß er, daß Sie seine Tochter durch mich abholen ließen?! Ich habe nichts verraten, und Sie werden es ihm doch auch nicht gesagt haben!“

„Ich hätte mich gehütet! Ich kann nur annehmen, daß Otto Renker doch irgendwie Leute beschäftigt, die ihm schnelle Nachrichten zutragen. Geld hat er ja.“

„Er beschäftigt niemanden!“, versicherte Bölke mit allem Nachdruck. „Er hält sich nur eine Aufwartung und hat nicht einen einzigen Angestellten. Seine Auskunftei ist reinstes Possentheater! Er sammelt nur wie ein Besessener Zeitungsausschnitte und ergänzt danach seine Kartei.“ – Dann verabschiedete Harst sich und Bölke hängte ab. –

Die Ratsgasse ist so schmal, daß der Autoverkehr dort verboten ist. Ich stieg also vorher aus und ging das letzte Stück zu Fuß, betrachtete die uralten Häuser und fand meinen Freund, Zigaretten rauchend, vor der Haustür von Nummer 13.

„Wunder dich über nichts bei diesem Unikum, mein Alter“, meinte er zerstreut und doch erregt. „Renker ist Menschenfeind. Mich hat er einfach unglaublich behandelt.“ Er zog mich unter die nächste Laterne, streifte seinen Ärmel auf, und ich sah einen ganz frischen Verband. Der Mantelärmel hatte ein Loch mit frischen Blutspuren.

„Andenken an vorhin, als ich unser Haus verließ!! Aus einer Limousine kam der Schuß mit Schalldämpfer. Wir werden gut tun, fernerhin sehr vorsichtig zu sein! – Nun geh nach oben zu Renker. Benimm dich klug und weise, mein Alter. Sprich wenig. Dieser frühere Marineoffizier, der das Unglück hatte, mit seinem Kanonenboot vor zwanzig Jahren einen Dampfer zu rammen und der dann abgesägt wurde, ist außerordentlich empfindlich. – Hals- und Beinbruch! Ich erwarte dich hier unten.“

Als ich die unversperrte Haustür öffnete, brannte im Flur Licht.

Ich blickte in ein Treppenhaus hinein, das mit seiner im Hintergrunde sichtbaren, reich geschnitzten Treppe und den vielen Andenken aus fremden Ländern, die hier wie in einem Museum aufgebaut waren, eigentümlich vornehm und behaglich wirkte.

Plötzlich erlosch das Licht. Es war eine eiserne Laterne, in der eine Glühbirne hing. – Eine sehr heisere und brutale Stimme fragte von oben her, wer soeben geläutet hätte.

„Hier Schraut, Herr Korvettenkapitän“, meldete ich mich.

„Jetzt, um diese Stunde?! Herr, Sie sind wohl des Teufels!! Scheren Sie sich nur wieder nach Hause und kommen Sie morgen wieder, Punkt sieben früh!“

„Entschuldigen Sie bitte! – Also dann morgen. Gut Nacht!“

„Halt!! – Bleiben Sie! Warten Sie! Ich ziehe mich nur wieder an. Setzen Sie sich dort an das chinesische Tischchen.“

 

3. Kapitel.

Ein Unikum oder …?!

Es mochten etwa zehn Minuten vergangen sein, da rief Renker mich mit seinem unangenehm heiseren Organ nach oben. Ich fand auch den oberen Flur matt erleuchtet und betrat ein Zimmer, dessen Tür offenstand. Es war vollständig als Büro eingerichtet, hatte eine Schranke, und hinter dieser saß Renker in einem mächtigen Ohrensessel beim Scheine einer Petroleumlampe, die nur gerade den Stuhl beleuchtete, der für Besucher hinter dem Schreibtisch bereit stand. Von dem alten Herrn war so gut wie nichts zu erkennen, man sah nur einen grauweißen Spitzbart von Seemannsschnitt und eine große Hornbrille mit lichtblauen Gläsern. Renker trug einen Schlafrock mit rotem Besatz und ein Käppchen, das einer Mütze ohne Schirm glich.

„Ihr Freund ist wirklich ein ganz niederträchtiger Kunde!!“, begann er mit einer noch krächzenderen Stimme voller Wut und Haß. „Ich habe ihn rausgeschmissen!“

Er hustete. – Möglich, daß das für mich eine Aufmunterung sein sollte.

Dann redete er weiter. – „Sie scheinen ein sehr vorsichtiger Herr zu sein. Wie stellen Sie sich denn zu Harsts Benehmen?! Obwohl mir ja an Magdas Ergehen verdammt wenig gelegen ist, so habe ich als Vater immerhin ein Interesse daran, daß der Name Renker nicht durch eine Renker in den Schmutz gezogen wird.“ – Wieder Pause. – Ich verharrte bei meiner abwartenden Haltung und verneigte mich lediglich zustimmend.

Er hüstelte wieder. – „Sie gefallen mir. Schwätzer mag ich nicht! Ihr Freund wollte mich zweifellos aushorchen. Worüber, – he?!“

Diesmal mußte ich antworten. – „Wahrscheinlich wollte er lediglich die eine Frage an Sie richten, Herr Kapitän, ob Sie mit der Heirat Ihres Neffen mit Ihrer Tochter seinerzeit einverstanden gewesen sind.“ – Diese Frage hatte mir Harald als wichtigste ans Herz gelegt.

Renker zauderte etwas mit der Antwort. – „Weshalb, zum Deubel, wollen Sie das wissen?!“, grobste er mich an. „Nun denn, – ich war damit nicht einverstanden, selbstverständlich nicht, denn Heiraten zwischen Verwandten halte ich für ein Verbrechen. Aber Magda setzte ihr Stück durch. Immerhin war sie noch vernünftig genug, mit diesem Luftikus von Rolf nur eine Ehe zu schließen, die ja keine Ehe wurde!! Er hatte keine Gelegenheit, Magda nach der Trauung ohne Zeugen zu sprechen. Sie verstehen mich! – Ich mochte diesen Rolf nicht, der junge Bursche war mir zu selbstbewußt und hatte keinerlei Respekt vor dem Alter! Wenn meine Tochter anders gehandelt hätte, würde ich sie auch enterbt haben! Verliebte Frauenzimmer sind gräßlich! Oder nicht, Herr Schraut?!“

„Schon möglich. Ich habe darin keine Erfahrungen.“

Sofort polterte er wieder los. „Sind Sie aber eine weiße Salbe!! Diplomaten imponieren mir aber! Leute, die den Mantel nach dem Winde hängen, bringen es weit! Ich habe Lehrgeld bezahlt!“

Der alte Herr wurde mir immer unbegreiflicher. Was sollte das alles?! War er nun ein Narr, oder stellte er sich nur so an und wollte mich dumm machen?!

Ich ging auf seinen Ton ein. – „Diplomaten sind notwendig, Herr Kapitän. Der größte Diplomat, den ich kenne, ist mein Freund Harald, allerdings mit der Einschränkung, daß er trotzdem Rückgrat besitzt.“

Renker lachte scheußlich. – „Der, der und Rückgrat?! Wo hat er das sitzen? Wo?! – Herr Schraut, ich habe Ihres Freundes Tätigkeit genau verfolgt und kann nur sagen, daß ich die Stunde segnen werde, wo er von dieser Bühne für immer abtritt!“

Ich horchte scharf hin. Mit einem Male ging mir ein Licht auf: Eifersucht war’s, die Renker so sehr gegen Harald einnahm! Nur das!

Ich erhielt nun auch sofort die Bestätigung für diese meine Annahme. – Er fügte geradezu haßerfüllt hinzu: „Am meisten hat es mich stets gewundert, daß Sie die Art Behandlung, wie er sie Ihnen angedeihen ließ, schweigend hinnahmen. – Ich mache Ihnen einen Vorschlag, der nur Ihr Selbstgefühl heben wird. Harst sah in Ihnen immer nur die zweite Kraft, den Notbehelf! Bei mir würden Sie der Leiter des Außendienstes werden, und die pekuniäre Seite würde Ihnen auch zusagen.“

„Herr Kapitän, jedes weitere Wort erübrigt sich! – Sie gestatten, daß ich mich verabschiede.“ – Wie ich dann auf die Straße gelangte, weiß ich nicht recht, ich erinnere mich nur, daß die Haustür unter wüstesten Schimpfworten Renkers hinter mir zuknallte, und ich an der Ecke meinen Freund mit den grimmen Sätzen begrüßte: „Zu dem verdammten Narren bringen mich keine zehn Pferde mehr hin!!“

Harst lächelte etwas. „Ein komischer Kauz, das stimmt!“

„Komisch?!“, brauste ich auf. „Das nennst du komisch, wenn ein von Neid Zerfressener mich dazu zu bewegen sucht, dir untreu zu werden und in sein Lager überzuschwenken?! Das ist eine Frechheit und eine Beleidigung für mich!!“

„Hat er das wirklich getan?“

„Ja!“

Wir nahmen eine Taxe und fuhren zur Polizeiwache unseres Reviers. Bölke saß in seinem Zimmer und empfing uns mit den ärgerlichen Worten: „Ich werde die Magda Renker laufen lassen müssen. Der Chef will es, es läge nichts gegen sie vor! – Was nun, Herr Harst?!“

Achselzucken – –

Fritz Bölke meinte finster: „Man müßte sie beschatten! Aber ich wage es nicht! – Herr Harst, könnten Sie mir nicht helfen? Sie sind doch gleichfalls davon überzeugt, daß die Frau mehr weiß, als sie je zugeben dürfte. Joe Parkinson ist ermordet worden, – er war einst einer der Besten von Scotland Yard. Ich möchte wetten, daß die Renker mit den Goldräubern irgendwie unter einer Decke steckt.“

„So ähnlich wird es wohl sein“, erwiderte Harald sehr bedächtig. „Ja, ich will Ihnen helfen, aber nur unter einer Bedingung: Sie dürfen vorläufig nicht von mir verlangen, daß ich Ihnen über das Ergebnis meiner weiteren Schritte etwas mitteile.“

Bölke war einverstanden. – Gleich darauf wurde Magda Renker entlassen. Wir standen schon mit einer Autotaxe, deren Fahrer wir genau kannten, bereit. Auf Harsts Anruf folgte die Frau, die so geheimnisvoll tat, willigst seinem Wink und stieg zu uns in den Wagen, der dann augenblicklich mit höchster Schnelligkeit davonsauste. Nach einer wilden Kreuz- und Querfahrt hielten wir, ohne einen Verfolger bemerkt zu haben, in der Parallelstraße unserer stillen Gasse und benutzten den gewohnten Durchgang über den Hof der früheren Möbeltransportfirma zum vorsichtigsten Betreten unseres Grundstücks.

Mein Freund schloß die Innenläden des Büros, die keinen Lichtschein durchlassen, und schaltete die Sofatischlampe ein. Ich half Frau Renker aus dem Mantel. Frau Magda war sehr erschöpft und nahm die ihr dargebotenen Erfrischungen dankbar an. Erst nachdem sie sich genügend erholt hatte, erst als sie sich mit einem Ausdruck wohltuender Entspannung zurücklehnte und versonnen eine Zigarette rauchte, meinte Harald mit aller Behutsamkeit: „Daß Ihr Herr Vater Sie nicht mehr zu sehen wünscht, ist sehr bedauerlich. – Weshalb heirateten Sie damals vor etwa vierzehn Monaten jenen Rolf Renker? – Liebten Sie ihn?“

Das war eine Frage, die ein taktvoller Mann nie an eine Dame richten wird. Und Harst ist voller Takt und Zartgefühl. – Der Erfolg seiner Frage war erstaunlich. Frau Magda erbleichte so tief, daß ich schon fürchtete, sie könne ohnmächtig werden. Sie warf meinem Freunde einen schwer zu beschreibenden Blick zu und senkte den aschblonden Kopf, seufzte verstohlen und entgegnete leise: „Natürlich liebte ich ihn!“ – Es lag ein gewisser Trotz in dieser Antwort, ein gewisses Sichauflehnen gegen Harsts Indiskretion.

Er sagte nichts. Er schien mir merkwürdig verwandelt. Irgend etwas Fremdes war in seinem ganzen Sichgeben zu spüren, – man mußte ihn schon sehr genau kennen, um dies wahrzunehmen.

Es lag jedenfalls ein seltsames Fluidum in der Luft, das bestimmt von dieser Frau ausgestrahlt wurde. Es war ein unnennbares Etwas um uns drei, das die Zungen lähmte, die Gedanken jedoch eiliger als sonst fluten ließ.

Harald erwachte aus seinen Träumereien. „Man befürchtet einen Anschlag auf hoher See auf den Golddampfer. Die Goldkisten sollen in Swinemünde umgeladen werden. – Nur so wäre es verständlich, daß das Schiff den überflüssigen Umweg über die Ostsee macht.“

Magdas Lider schlossen sich, öffneten sich wieder. Diese unmerkliche Bewegung der Lider machte ganz den Eindruck, als ob die Frau durch meines Freundes schnelle Schlußfolgerungen unangenehm überrascht worden sei. – Sie nickte unmerklich und erwiderte leise: „Es ist so. Der deutsche Dampfer, der die Ladung übernehmen soll, heißt Marga. Es ist eine ganz neues Schiff.“

„Mithin“, meinte Harst hastig, „mithin hat Parkinson irgendwie herausgebracht, daß der Anschlag auf das Gold diesmal nicht durch die gewöhnlichen Mittel zu vereiteln ist. Er muß sogar über die Pläne der Organisation recht genau unterrichtet sein. – Wurde er etwa gewarnt – – durch ein anonymes Schreiben?“

Die Frau wurde immer rätselhafter. Sie errötete jäh, lehnte sich noch weiter zurück und sagte dann widerstrebend: „Er – wurde gewarnt – – Er deutete es mir gegenüber nur an. Durch einen Brief mit sehr genauen Einzelheiten, die jedoch alle belegt waren.“

„Brief in Maschinenschrift?“

Sie zauderte – – „Ja“ – Und fügte schnell hinzu: „Ich nehme das an. Ich entsinne mich nicht mehr genau, ob Parkinson direkt von Maschinenschrift sprach – –“

Sie holte mehrmals sehr hastig Atem. – „Ich möchte nun in mein Hotel zurückkehren“, sagte sie beklommen und noch unsicherer. „Ich bin sehr müde – –“

Mein Freund erhob sich langsam. Sein Gesicht war wie eine Maske, ohne jeden bestimmten Ausdruck. Er sprach mit gedämpfter Stimme. „Sie werden dieses Haus nicht früher verlassen, bis Sie mir drei Fragen klar und eindeutig beantwortet haben. – Es tut mir leid, Frau Renker, aber Sie zwingen mich zu diesem Vorgehen.“

„Erste Frage“, begann er. „Schrieben Sie den anonymen Brief an Parkinson?“

Sie richtete sich kerzengerade auf. Ihr Mund war nur noch eine schmale, verzerrte Linie. Und zwischen diesen fest zusammengepreßten Lippen stieß sie kaum hörbar hervor: „Ich – antworte nicht –!!“

„Meine zweite Frage sollte lauten: Woher haben Sie Ihre genauen Kenntnisse der Pläne der Goldräuber? – Meine dritte: Weshalb heirateten Sie Rolf Renker, den Sie nie geliebt haben – nie!“

Ihr Kopf sank fast ruckweise nach vorn. Man merkte es ihr an, wie ihre Widerstandskraft nachließ.

Sie flüsterte nur: „Und – was werden Sie nun mit mir beginnen, Herr Harst?“

„Sie – einsperren –!“ erklärte er hart. „So einsperren, daß niemand Sie befreien kann! – Schraut, – richte den Keller her! Dort haben schon wiederholt Leute gesessen, die – nicht ohne Makel waren und deshalb etwas zu fürchten hatten – wie dies –!“ Und er schob bedächtig seinen Ärmel empor und zeigte ihr den Verband um den Unterarmschuß.

Erst schwieg sie – Dann – „Auch – Sie –?!“, – und sie sank Harald bewußtlos in die Arme – –

 

4. Kapitel.

Eine unruhige Nacht …

„Auch“ Sie –?! – Ja, sie hatte eine Fleischwunde im linken Oberarm. Wir stellten das sehr bald fest. Ich fragte Harst: „Sie floh also doch aus Angst vor den Meuchelmördern hier zu uns?“

„Deine Frage ist überflüssig, mein Alter“, erklärte er nur.

Er befahl mir dann, den bewußten Kellerraum schleunigst in Ordnung zu bringen. – Eine halbe Stunde darauf hatten wir Frau Magda in den recht behaglichen, allerdings fensterlosen Kerker geleitet und ihr eine gute Nacht gewünscht.

Es goß draußen. Der April weckte winterliche Empfindungen. Zuweilen hagelte es. Zuweilen schneite es. Im Ofen des Büros bullerte ein Holzfeuer und warf durch die Zuglöcher der Innentür vier lange, rötliche Streifen über den Teppich.

Harst saß am Schreibtisch und machte sich irgendwelche Notizen. Ich ging auf und ab. Dann schnurrte das Telephon – –

„Hier Bölke –“ „’N Abend, lieber Bölke –“ – Harst hatte ein sanftes Lächeln um die Lippen. – „Na, was gibt’s?“

„Wir sind da einem der Bande schön aufgesessen, Herr Harst – – Der Anruf kam gar nicht vom Präsidium –“

„Welcher Anruf?“

„Nun der, auf den hin ich die Renker entlassen habe. – Der Anrufende muß das Stichwort gekannt haben, das ich mit Kommissar Basch vereinbart hatte – zur Verhütung von Schwindeleien – wie jetzt diese!“

„Verstehe. – Also sollten Sie die Renker in Haft behalten?! – Das nennt man Pech, denn sie ist auch uns durch die Lappen gegangen. – Wer aber mag nur das Stichwort gekannt haben?!“

„Keine Ahnung. – Ist die Renker Ihnen aus dem Auto entwischt?“

„Nein, – wir hatten sie nach ihrem Hotel gebracht, und vor der Tür dort schlüpfte sie in einen bereitstehenden Wagen. Im Nu war sie auf und davon, und wir hatten das Nachsehen – –“

Bölke schwieg eine Weile. – Harald schaute mich von der Seite vielsagend an und kniff das eine Auge zu.

Bölke meldete sich nicht wieder.

Harald warf mir einen zweiten langen Blick zu, kniff das linke Auge klein und – hängte ab. Die Flurglocke, zugleich auch Vorgartenklingel, meldete sich jetzt in so stürmischer Weise, daß ich schnellstens hinauslief und mir nur den Gummimantel umhing und die Mütze hastig überstülpte. Harst rief mir noch halblaut nach: „Vorsicht!!“, – ich war schon draußen. Daran, daß der späte Gast einer der unangenehmsten Menschen sein könnte, die wir kannten, dachte ich nicht, obwohl die Vermutung ziemlich nahelag, daß Rick Basch etwas flinker denken und handeln könnte, als sein Untergebener, der Anfänger Bölke.

„N’ Abend, Schraut. – Na, schon daheim, ihr beiden Halodris –?! – Wo habt Ihr denn die Renker gelassen?“

Basch war sehr gefährlich. Ich rief daher nicht allzu leise: „Ach, Sie sind es –!! Sie, lieber Basch –!! – Einen Augenblick, das verdammte Pfortenschloß klemmt – –“

Ehe ich mich’s versah, war Basch schon mit einem Satz über den Zaun hinweg – –

Das sah ihm so ganz ähnlich. – „Sie denken doch nicht, Schraut, daß ich seit unserem letzten Zusammensein verdummt bin?! Sie wollten Harst nur Zeit geben, irgend etwas zu verstecken oder beiseite zu schaffen. Das Schloß ist in bester Ordnung, nur hier bei euch ist etwas in Unordnung!“ – Damit lief er an mir vorüber in den Flur, schaltete das Licht ein und rüttelte an der Tür zum Büro. Sie war jedoch von innen versperrt.

„Harst, aufmachen!! Hier Polizei!!“

Er rüttelte noch stärker. Er schrie wütend: „Öffnen Sie, – im Namen des Gesetzes!!“

Ein sehr stark gähnender Harst machte auf und starrte den unangenehmen Basch ungläubig an. „Mann, wo kommen Sie denn her?! Bei dem Sauwetter?!“

Basch drängte ihn zur Seite – – „Sparen Sie Ihre Scherze für eine bessere Gelegenheit auf!!“ – Er war in der Tat sehr gereizt. „Wo steckt Frau Renker?! Raus mit der Sprache!! Sie ist hier!“

„Haben Sie sie denn mitgebracht?! – Sie war hier – – war!“

Basch wurde nun ganz förmlich. „Herr Harst, Sie scheinen zu vergessen, daß es sich hier um die Aufklärung eines Mordes handelt! Ich bin dienstlich hier und habe draußen drei Beamte stehen!“

„Arme Kerle, – bei dem Guß!! Rufen Sie sie doch herein – –“

Basch, ein sehr magerer und sehr schlauer und wenn nötig auch sehr rücksichtsloser Mann, trat in die noch offene Haustür und pfiff – –

„Viel Lärm um nichts!!“, murmelte Harald recht deutlich. – Die Beamten sprangen über den Zaun und traten ein, sie schienen sehr genaue Verhaltungsmaßregeln erhalten zu haben. Ihr Benehmen zeigte von vornherein eine gewisse eisige Zurückhaltung, – es war also wirklich das eingetreten, was ich sofort gefürchtet hatte: Basch ahnte, daß wir Frau Renker bei uns behalten hatten und daß der Anruf mit dem Kennwort Alex auf Harald zurückzuführen war.

Aber die nun folgende Durchsuchung des Hauses und der Keller blieb ergebnislos. Der Kellerraum, den wir gelegentlich als Versteck benutzten, wenn einmal jemand für einige Zeit besser unsichtbar blieb, war unverschlossen, und sogar die Betten von dem Diwan waren verschwunden, desgleichen die notwendigen Dinge für den Aufenthalt einer Dame. – Der Kerker sah aus wie ein Raum zur Unterbringung für unbenutzte Möbel. So hatte er immer ausgesehen, wenn einmal wie heute die Notwendigkeit sich ergab, Fremden unser Heim zu zeigen.

Rick Basch, mit vollem Vornamen Richard, schnüffelte und schnüffelte. Es roch jedoch nur nach Mottenkampfer. – „Herr Harst, wozu brauchen Sie diesen Kellerraum hier?!“

„Wie Sie sehen, als Dunkelkammer, als chemisches Laboratorium und als“ – er wies auf ein Bücherregal – „als Bibliothek.“

Basch gab es auf, aus uns etwas herauszuquetschen, wir gingen nach oben ins Büro, und hier folgte nun doch eine sehr unruhige Viertelstunde. „Herr Harst, hören Sie, was der Assistent Gruber zu berichten weiß“, begann Basch sehr dienstlich.

Gruber begann: „Ich hatte den Befehl, das Haus des alten Renker zu beobachten. Ich traf dort zehn Minuten vor halb zwölf ein und sah Sie, Herr Harst, aus der Ratsgasse in die Jüdenstraße sehr eilig einbiegen, folgte Ihnen und sah weiter, daß Sie von dem nächsten Automaten aus telephonierten.“

Harald nickte. „Stimmt. Ich rief Schraut an und bekam zunächst keinen Anschluß.“

„Herr Schraut war droben bei Herrn Renker“, platzte Basch dazwischen.

„Gewiß. Ich wollte eben Schraut noch Verhaltungsmaßregeln geben.“

Basch lachte spöttisch und schaute mich an. „Na, und hat Harst mit Ihnen bei Renker gesprochen?!“

„Ja –“ – Aber sehr behaglich war mir bei diesem Schwindel nicht.

Basch nahm den Hörer vom Apparat und wählte Renkers Nummer, die er im Kopf hatte.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen bestätigte Renker dann, daß tatsächlich Harst mich angerufen habe, während ich bei ihm, bei Renker, war.

Rick Basch, der Unangenehme, – so hieß er nämlich unter den Stammkunden des Alex, sagte ärgerlich: „Fein alles verabredet!!“ – Und zu Gruber: „Berichten Sie weiter!“

„Ich folgte dann heimlich Herrn Harst, der sich über den Hof des Nachbargrundstücks und durch ein offenes Fenster in das Renkersche Haus von hinten einschlich und etwa fünf Minuten oder auch zehn, das vermag ich so genau nicht zu sagen, dort blieb. Dann kam er wieder heraus und traf später mit Herrn Schraut zusammen.“

Ich war sprachlos! – Davon, daß mein Freund mir heimlich gefolgt war, wußte ich nichts. Ich tat jedoch völlig gleichgültig und wartete auf Haralds Gegenerklärung. Er bestätigte die Angaben des Beamten sehr kühl und sagte mit einer wundervollen Selbstverständlichkeit: „Renker hatte das Fenster für mich offen gelassen, wir hatten das so vereinbart.“

Wieder rief der Unangenehme den Alten an und fragte diesmal vorsichtig: „Zuerst war doch Herr Harst in dieser Nacht bei Ihnen. Hatten Sie mit ihm etwas Besonderes verabredet für die Zeit, wo Herr Schraut bei Ihnen weilen würde?“

Renker schrie wütend in die Muschel hinein – jedes Wort war zu verstehen: „Was geht Sie das an, Herr Kommissar?! Gar nichts!! Aber wenn Sie es durchaus wissen wollen: Harst hatte mich gebeten, unten das eine Fenster nach dem Hofe zu nur anzulehnen, da er Schraut gern belauschen wollte!! Feine Freunde, wie?! Der eine traut dem andern nicht, und der Schraut ist so töricht und hält noch immer an diesem Harst fest!!“ – Dann brüllte er zum Schluß: „Sollten Sie nochmals wagen, mich zu stören, werde ich saugrob, Sie – Sie – Unangenehmer!“

Basch biß sich auf die Lippen. Seine hellen, klugen Augen hingen fest auf Harsts Gesicht. – „Ich wünschte, ich könnte jetzt Ihre Gedanken lesen!!“

„Zum Glück können Sie das nicht!“, meinte Harald mit einer knappen Verbeugung.

 

5. Kapitel.

Harst in Angst …

Kaum hatte ich die Beamten hinausgelassen, wobei Basch mir noch zuraunte, er würde den Schwindel schon noch aufhellen, – kaum war ich wieder im Büro, als Harald die Vorhänge, die die Tür zu seinem Schlafzimmer verdeckten, zur Seite schob und auf die Tapete drückte – –

Dann warteten wir auf das Gegensignal unseres unfreiwilligen Gastes – –

Nichts erfolgte – nichts. Wenn alles in Ordnung gewesen wäre, hätte nun hinter der Tapete auch die kleine Glocke schnarren müssen.

Harald läutete nochmals. – Die Leitung lief in den Kerker hinab oder genauer, in den Nebenraum, der hinter dem Bücherregal, das als Tür diente, verborgen war. – Wir hatten Magda sehr sorgfältig instruiert. Sie hatte auch die erhaltenen Anweisungen getreulich befolgt, nur jetzt war da irgend etwas nicht in Ordnung.

Harst warf mir einen sehr ernsten Blick zu und eilte hinaus – hinab in den Keller. – Magda Renker hatte leider die gute Gelegenheit benutzt und war geflüchtet.

Harald war außer sich. Ich habe ihn kaum je derart verstört gesehen, wie damals; – nur im Anfange unserer Bekanntschaft, als er den Mörder seiner Braut gesucht hatte, gab es bei ihm ähnliche Stunden einer völligen Apathie, aus der er sich allerdings mit der ihm eigenen Elastizität und Energie schnell wieder aufraffte und dann doppelt und dreifach körperlich und geistig gesammelt an die Arbeit ging. – Ja, an die Tage damals vor über zehn Jahren mußte ich nun denken, als ich ihn im Sessel sitzen sah, die Hand über die Augen gedeckt und in eherner Ruhe und Unbeweglichkeit verharrend. In solchen Minuten überhörte er alle Fragen und Vorschläge und freundlichsten Ermahnungen. Ich grübelte darüber nach, wie es nur möglich sei, daß gerade das Schicksal Magda Renkers ihm so nahe ging. War es nur das Ungeklärte des Falles „Goldpiraten“, das ihn derart mitnahm?! Es gab ja bei alledem übergenug Ungeklärtes.

Plötzlich ließ Harald die Hand von den Augen sinken und sprang auf, ging zum Schreibtisch und schrieb ein Depeschenformular aus. – „Bitte, mach dich fertig, mein Alter“, sagte er dabei. „Wir werden sehen, ob sie ihr Gepäck aus dem Hotel abgeholt hat.“

Wir verließen das Haus auf dem Umweg über das rückwärtige Grundstück. Die Depesche wurde auf dem nächsten Nachtpostamt aufgegeben, – drahtlos an die City-Bank, London, Text: „Parkinson tot. Erbitte Auskunft, wieviel Beamte P.’s, außer Frau R., hier tätig waren. – Harst. – Postlagernd Swinemünde.“

Die Taxe brachte uns zu dem Hotel am Bahnhof Friedrichstraße. Der Nachtportier erklärte, Frau Renker sei noch nicht zurück. – Während Harald noch nach dem Gepäck der Flüchtigen sich erkundigte und der Portier erwiderte, sie haben nur einen Handkoffer mitgebracht, tauchte Basch auf. Er war sichtlich überrascht, uns hier vorzufinden. – „Sollte ich Ihnen doch unrecht getan haben?!“, meinte er höflich. – „Es scheint so?“, erwiderte Harald nur. „In jedem Falle haben Sie den Anstoß dazu gegeben, daß Frau Renker nun in ernstester Gefahr schwebt. Machen Sie die Sache dadurch gut, daß sie den Portier veranlassen, uns das Zimmer zu öffnen.“

Basch betrachtete den hohläugigen Harst ganz erstaunt und tat ihm den Willen. In dem Hotelzimmer wurde alles genau untersucht. Der Handkoffer enthielt nichts von Belang, auch sonst blieb die Suche ergebnislos. Ich war etwas nachdenklich geworden, als ich den Kofferinhalt gesehen hatte. – Unten vor dem Hotel verabschiedeten wir uns von Basch, der es nicht recht wagte, sich uns anzuschließen. Harsts finsteres Schweigen machte den „Unangenehmen“ kopfscheu. Wir bestiegen die Taxe. – „Arnoldstraße!“, befahl Harald. Niemand folgte uns. In der Siegesallee rief mein Freund dem Schofför zu: „Kehrt! Weidendammer Brücke!“

„Auch dir ist der ungenügende Inhalt des Koffers aufgefallen“, fragte ich.

„Ja. – Außerdem hat Magda Renker doch ihr Zimmer aufgesucht gehabt, nachdem sie uns entflohen war. Das eine Fenster war nur angelehnt, links daneben läuft die Feuerleiter in die Tiefe. Sie muß vieles aus dem Koffer mitgenommen haben. Aber das Wichtigste: Sie ließ diesen Zettel unter der Schreibunterlage zurück.“ – Er reichte mir das Papier. Ich knipste die Taschenlampe an und las: „Renker guter Rat für Renker!“ – Das war der ganze Inhalt.

Ich grübelte über diese merkwürdige Botschaft nach, die nur für uns bestimmt sein konnte. – An der Weidendammer Brücke entlohnte Harald den Schofför, und nach zehn Minuten führte uns eine andere Taxe in die alte City. Ich verkniffe mir alle Fragen, zumal ich jetzt ahnte, was der Zettel besagen sollte: Magda hatte bei ihrem Vater Unterkunft gesucht, – guter Rat wies auf die Ratsgasse hin. – Abermals stand ich so vor einer ungeklärten neuen Frage. Wie kam es, daß Magda, die doch mit ihrem Vater so schlecht stand, sich nunmehr zu ihm begeben hatte?!

Die letzte Strecke gingen wir zu Fuß, und erst kurz vor der Ratsgasse bat Harald mich, allein den Alten herauszuklingeln und ihn nachher wieder an der Ecke zu erwarten. „Renker würde mich nicht einlassen“, lautete seine Begründung, die mir nicht recht in den Kopf wollte.

Ich läutete, – ich hatte nicht nötig, längere Zeit im Regen zu stehen, droben öffnete sich ein Fenster, und Renker warf mir den Schlüssel herab.

Wieder saß ich nun unten in der Diele und konnte die Zeitungen studieren, aber die Nervosität, hervorgerufen durch das viele angestrengte Nachdenken und Kombinieren, trieb mich aus dem Sessel hoch, ich stellte mich an eines der schmalen Fenster und schaute auf die dunkle und regennassen Straße hinaus. Eine geraume Weile bemerkte ich nichts, was mich irgendwie interessiert hätte, – dann erkannte ich Basch, der draußen herumstreifte und drüben auf der anderen Seite der Gasse sich in den Schatten einer Haustürnische klemmte und dort verharrte, – nur ein dunkler Fleck bei dieser Finsternis. Dann huschte eine Männergestalt mit einem umfangreichen Koffer auf der Schulter draußen vorüber. Der Schlapphut und der hochgeklappte Mantelkragen ließ mich vermuten, daß es Magda sei. Basch verließ denn auch sein Versteck und folgte der Gestalt. Ich öffnete die Haustür und blickte ihnen nach. Basch hatte Pech: Der Mann mit dem Koffer mußte eine Taxe an die Ecke beordert haben, sprang hinein und fuhr davon! – Der Kommissar gab die Verfolgung auf und kehrte in die Türnische zurück. – Dann hörte ich droben den Alten krächzen, ich solle mich in sein Büro hinaufbemühen.

Ich fand ihn in dem Ohrensessel wie vor Stunden. Die Petroleumlampe brannte, und Renker war gröber und unliebenswürdiger denn je. – „Eine Frechheit, mich aus dem Bett zu scheuchen!!“, fauchte er mich an. „Zum Deubel, Herr, was wollen Sie!!“

War das ein Ekel, der alte Herr!! – Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um nicht aufzuspringen und ihm gründlich meine Meinung zu sagen. – „Herr Kapitän, war nach mir noch jemand hier bei Ihnen“, fragte ich diplomatisch.

„Ja, meine Tochter! Soeben habe ich ihr die Tür gewiesen! Durch die Hintertür machte sie sich davon. Das hat sie davon, daß sie Detektivin spielt!! Man stelle sich vor: Eine geborene Renker Detektivin für ein englisches Bankinstitut! Eine Blamage, ein Skandal!!“

Und abermals kam dann seine Anfrage, ob ich nicht in seine Dienste treten wollte. – Inzwischen war mir doch so allerlei Ungereimtes aufgestoßen. Wenn er wirklich mit seiner Tochter nichts mehr zu tun haben wollte, dann hätte er wohl nie geduldet, daß sie sein Haus überhaupt betrat!

Ich erwiderte vorsichtig: „Meinen Freund völlig im Stich zu lassen, widerstrebt mir. Immerhin bin ich nicht abgeneigt, für Sie eine Zeitlang zu arbeiten.“

Er kicherte – „Zu arbeiten?! Sagen Sie doch gleich, daß Sie hier spionieren wollen! – Nein, – wenn Sie mir nicht Ihr Ehrenwort geben, Harst nichts, aber auch gar nichts davon zu verraten, was Sie hier treiben werden und was Sie hier in Erfahrung bringen, dann verzichte ich – –!“

Trotz des sehr spärlichen Lampenscheines hatte ich inzwischen auf seinem Schreibtisch doch etwas bemerkt, was mich nun veranlaßte, auf den Handel einzugehen.

Unter einer ausgebreiteten Zeitung lag nämlich das schlichte, kleine Filzhütchen mit dem schwarzen Schleier, das Magda getragen hatte, als sie zu uns gekommen war. Sie hatte sich hier also zweifellos umgezogen, und der alte Sonderling und Grobian nahm es mit der Wahrheit, was sein Verhältnis zu seiner Tochter betraf, sehr wenig genau: Er log offenbar! – Weshalb log er?! –

Er erklärte mir nun meine nächste Aufgabe. – „Sie werden jetzt zu Harst, der Sie ja draußen erwartet, zurückkehren und mit ihm in Ihre gemeinsame Wohnung sich begeben und mir ein Bild seiner Braut verschaffen.“

Ich glaubte mich verhört zu haben. – „Wie, – ein Bild seiner Braut?!“

„Ja! – Ich brauche es! – Verschwinden Sie jetzt!“ – Er warf mich förmlich hinaus.

 

6. Kapitel.

Die „Marga“ am Kai.

„Bitte, frage mich nicht, was ich mit Renker verhandelt habe“, sagte ich sofort in der Taxe zu meinem Freunde, der genau so still und in sich gekehrt war wie vorhin. „Jedenfalls ist Frau Magda bei ihm gewesen, ich sah ihr Hütchen und den Schleier unter einer Zeitung auf dem Schreibtisch liegen. Ich beobachtete auch, wie sie sich entfernte. Sie war als Mann verkleidet.“

Harst blieb stumm. – Selbst als ich dann hinzufügte, daß die Umstände es mit sich gebracht hätten, daß ich nun eine Weile allein für mich arbeiten und zu Renker übersiedeln müßte, äußerte er sich dazu in keiner Weise. – Es war Zerstreutheit bei ihm, wie ich sehr bald merkte, denn ganz zusammenhanglos fragte er mit einem Male: „Ob du Renker irgendwie dazu bewegen könntest, dich nach Swinemünde zu schicken?“

„Versuchen werde ich’s“, erwiderte ich wenig überzeugt. Dann waren wir daheim, und dann geschah wieder etwas sehr Merkwürdiges.

Harst schien sich mit seinen Gedanken völlig in die Vergangenheit verloren zu haben, holte nun mitten in der Nacht alte Päckchen Briefe und anderes hervor und dachte gar nicht an Schlafengehen. Ich war sehr müde. Ich nickte in der Sofaecke halb ein und erwachte nur immer für kurze Augenblicke. Dann sah ich, wie er Briefe las, sich die Bilder anschaute und alles sortierte und immer wieder neue Andenken an seine besten Jahre hervorkramte und sich in trübe Erinnerungen versenkte.

Mittlerweile zog der neue Tag herauf. Die Sonne schien. Ich hatte mich leise erhoben und war in den Vorgarten gegangen. Harald schlief ganz fest in seinem Sessel.

Während ich mich so in der frischen Morgenluft ermunterte, dachte ich immer wieder daran, daß ich meinen Freund soeben – bestohlen hatte. Das klingt häßlich, war aber leider Tatsache. Die einzige Entschuldigung für mein Tun waren meine Beziehungen zu Renker. Ich hoffte mit aller Bestimmtheit, bei dem Kapitän unschwer etwas für uns Wichtiges zu erfahren, und wenn ich auch Harald davon nichts mitteilen durfte, so konnte ich doch meine Handlungen danach einrichten und uns auf die Weise weiterhelfen, was den Fall „Marga“ anging. Ich hatte Harald also eine der vielen Photographien seiner Braut heimlich weggenommen. Die Bilder und die Briefe lagen noch alle auf dem Tische. Er würde das Fehlen des einen Bildes nicht bemerken, und ich mußte ja, um Renkers Vertrauen zu erwerben, ihm das geforderte Bild verschaffen.

Als ich es nun, indem ich nach dem Hofe unseres Grundstückes abbog, hervorholte und genauer betrachtete, erschrak ich.

Ich muß erwähnen, daß Harst seit langem alle Bilder seiner Braut, die bis dahin auf dem Schreibtisch oder sonstwo gestanden oder gehangen hatten, entfernt und weggepackt hatte. Das war damals geschehen, als unser erstes Heim abbrannte und seine Mutter und die alte, treue Mathilde kurz hintereinander gestorben waren. Mithin erschien es einleuchtend, daß ich die Gesichtszüge der Braut Haralds doch nicht mehr so ganz in der Erinnerung hatte.

Wie gesagt: Ich erschrak! – Es war nicht Überraschung, sondern ehrlicher Schreck, denn jetzt begriff ich, weshalb Harst das Geschick Frau Magdas, der Witwe, die nie Gattin gewesen, so sehr am Herzen lag. – Es gibt Ähnlichkeiten, die im ersten Augenblick verblüffen. Und es ist durchaus nicht notwendig, daß solche frappanten Ähnlichkeiten auf Blutsverwandtschaft beruhen. Keineswegs. Der Zufall schafft zuweilen willkürlich Gesichtszüge, deren Übereinstimmung größer ist, als die von Zwillingen.

Dies war hier der Fall. Ich konnte mir unschwer vorstellen, wie Harald beim Anblick Frau Magdas förmlich das Herz stehen geblieben sein mochte. Er hatte sich zunächst nichts anmerken lassen. Dann aber mußten offenbar bei ihm die Erinnerungen von einst immer lebendiger geworden sein, und er übertrug die starke Liebe, die er nie überwunden hatte, in Form inniger Freundschaft auf die fremde Frau, auf Frau Magda. – Dies erklärte alles, was mir bisher über Haralds Sorge für die Gehilfin Parkinsons unklar gewesen.

Um neun Uhr vormittags weckte ich ihn. Der Abschied war kurz und eigentümlich beklommen von beiden Seiten.

Er drückte mir lange wortlos beide Hände und schaute mich mit einer gewissen Melancholie an. – „Also, dann hoffentlich auf Wiedersehen in Swinemünde“, waren seine letzten Worte. „Mag es dir gut gehen, mein lieber Alter!“

In sehr trüber Stimmung fuhr ich mit meinem Koffer zu Otto Renker.

Es war, als ob eine innere Stimme mir schon damals zuraunte, daß ich Harst wohl wiedersehen, aber nie mehr – –

Doch ich will nicht vorgreifen und nicht unnötig kaum vernarbte Wunden wieder aufreißen. Ich habe überwunden, soweit sich ein derartiger Verlust überhaupt überwinden läßt.

Um ein Viertel Elf war ich dann bei meinem neuen Chef, der mich droben im Büro bei geschlossenen Vorhängen und bei dem üblichen Petroleumlicht und mit den üblichen Unliebenswürdigkeiten empfing. – „Unpünktlichkeit ist für mich genau so schlimm wie Diebstahl“, grobste er mich an. – „Zeitverlust ist Diebstahl, wenn der Verlust auf Kosten eines anderen geht!“

Ich ließ ihn getrost reden. Ich dachte an Harald und nahm mir vor, sofort den Versuch zu machen, ob ich Renker nicht bewegen könnte, mich nach Swinemünde zu schicken.

Er kam mir zuvor. – „Sie brauchen sich gar nicht erst hier häuslich einzurichten“, meinte er, nachdem er das Bild der Braut meines Freundes lange betrachtet hatte. Er schob es dann in eine Schublade seines Schreibtisches. – „Sie müssen noch heute nach Swinemünde fahren, am besten mit dem Mittagszuge. Hier sind für Auslagen tausend Mark. Knausern Sie nicht mit dem Gelde! Verstanden! Daß Sie mich nicht betrügen werden, weiß ich. – Ihre Aufgabe besteht darin, meine Tochter zu überwachen, damit sie nicht noch mehr Dummheiten macht, die sie mit der Polizei in Konflikt bringen könnten.“ Er blätterte in einem Fahrplan. „Ihr Zug geht um ein Uhr, Sie benutzen die zweite Klasse und werden sich etwas anders herrichten. Das verstehen Sie ja als früherer Schmierenkomödiant. Wählen Sie die Maske eines älteren Herrn mit Spitzbart, etwas seemännisch. Das fällt in einer Hafenstadt wie Swinemünde am wenigsten auf. – Ich muß jetzt ausgehen. Berichten Sie mir täglich telegraphisch. Meine Tochter dürfte gleichfalls verkleidet sein. Ihre Leidenschaft sind Hosenrollen.“ – Er lachte ironisch und verließ mit diesem Lächeln das Zimmer.

– – Swinemünde begrüßte mich mit strahlendem Sonnenschein. Ich kannte es längst. Wir hatten hier verschiedentlich beruflich zu tun gehabt, und zum Beispiel drüben in Osternothafen, wo der Leuchtturm steht, sehr aufregende Stunden verlebt. Ich stieg in dem kleinen Hotel „Zum goldenen Anker“ am Hafen ab und bekam ein Zimmer im ersten Stock mit Erker. Die uralte Linde vor der Tür streckte ihre Äste bis zu meinen Fenstern hin und kam mir sehr gelegen. Es war ein Weg, der mir das Benutzen der Tür unten ersparte.

Ich aß auf dem Zimmer und hatte derweil auch schon festgestellt, daß mir schräg gegenüber ein Frachtdampfer mit dem Namen „Marga“ am Kai lag und zur Zeit seine Ladung löschte. Er mochte dreitausend Tonnen Ladegewicht haben und war ganz neu und blitzsauber.

Wer Swinemünde kennt, weiß, daß der Hafen durch den Swinefluß gebildet wird, der durch eine Insel gegenüber der Stadt in zwei Arme sich teilt. Die Swine kommt aus dem Stettiner Haff und fließt im Bogen an Osternothafen vorüber und zwischen Molen hindurch in die Ostsee.

Noch während des Mittagessens – ich hatte den Tisch in den Erker gestellt – machte ich die erste eigentümliche Beobachtung.

Neben der Marga lag eine Segeljacht von vielleicht zehn Meter Länge, die die dänische Flagge führte. Die Jacht hieß Bornholm und hatte einen recht hohen Kajütaufbau. Die Oberlichtfenster waren hochgestützt, und ein jüngerer Matrose putzte daran zum Schein herum. Seine Arbeit war Bluff. Daß er sich das Gesicht mit schwärzlichem Zeug beschmiert hatte, ließ mich vermuten, er sei nur verkleidet. Vielleicht war auch der blonde Schnurrbart falsch. Aber Frau Magda konnte es nicht sein. Der Kerl war zu klein.

Nach einer geraumen Weile merkte ich, daß der Bursche auch alle vorübergehenden Personen scharf aufs Korn nahm. Ich war froh, daß ich mich unter diesen Umständen für den „Goldenen Anker“ entschieden hatte.

Nach Tisch legte ich mich zu einem ergiebigen Schläfchen nieder und wachte erst um neun Uhr auf. Es war dunkel geworden und regnete. Ich nahm ein Bad, setzte mich nachher unten in die Kneipe und hatte sehr bald Anschluß an zwei Herren gefunden, die einen dritten Mann zum Skat suchten. Der eine war ein Lotse, der andere ein Motorbootbesitzer, der mit vier Booten den Verkehr über die Swine nach Osternothafen unterhielt. Beide stellten sich als wertvoll heraus, der Lotse konnte mir über die Marga allerlei angeben, und der andere wieder hatte mit dem Besitzer der Jacht Bornholm Freundschaft geschlossen. Ihm käme die Jacht etwas merkwürdig vor, weil sie gerade nachts häufig kurze Ausflüge in See unternehme. – Daß die beiden Skatbrüder von mir gründlichst ausgehorcht wurden, merkten sie nicht, denn ich spielte so miserabel und verlor soviel an sie, daß die Freude über ihren Gewinn jeden Argwohn beseitigte. Wir trennten uns erst gegen zwei Uhr morgens, ich begleitete sie noch ein Stück und schlich mich bei der Rückkehr in die Nähe der Jacht, auf der noch Licht brannte. – Der Regen fiel nur noch recht dünn, so daß es weiter keine Überwindung kostete, auch eine Strecke auf dem Bauch zu rutschen.

Ich sah meine Geduld, mit der ich hinter einem alten an Land liegenden Kutter wohl eine halbe Stunde kauerte, belohnt. Es mochte nach halb drei Uhr morgens sein, als sich der Jacht eiligst zwei Männer näherten, die ohne weiteres die Jacht betraten und denen auf ein bestimmtes Klopfzeichen die Kajütentür geöffnet wurde. Der eine rief dem ihm Öffnenden freudig auf Englisch zu: „Wir haben den einen!!“ – Dann fiel die Tür zu.

– – Den einen?! – Ich schöpfte sofort Verdacht. Sollte sich das etwa auf Harst bezogen haben?!

Ich beschloß zu bleiben. – Unter dem umgekippt liegenden Kutter war es trocken und nicht zu kühl. Dann erlebte ich eine noch größere Überraschung: Mit einem Male tauchte neben mir eine Gestalt auf, die mich zu spät bemerkte. Es war ein bärtiger Kerl in Schiffertracht mit Ölrock. Ich hatte den Burschen sehr schnell beim Genick und zog ihn vollends unter den Kutter. Der leise Aufschrei des Menschen klang sehr hell und sehr nach Weiberstimme.

„Frau Renker?!“ flüsterte ich hastig.

„Ja – Herr Schraut?!“

„Gewiß. – Wo steckt Harst? Sahen Sie ihn?“

Sie begann plötzlich zu schluchzen. – „Man hat ihn im Auto entführt. Wohin, weiß ich nicht. Es ging alles so sehr schnell. Wir waren zusammen und gingen die Strandpromenade entlang. Unweit des Krankenhauses bemerkte ich – –“

– – Hier wurde sie durch das Erscheinen der beiden Leute, die vorhin die Jacht betreten hatten, unterbrochen. Sie schwieg und wir beobachteten. Wir sahen, wie der eine Mann nach dem Dampfer hin mit einer Laterne mit grüner Scheibe Signale gab, die sofort erwidert wurden – vom Lande her, etwa aus der Richtung des Hotels Goldener Anker. – Frau Renker hatte vor Erregung meinen Arm umklammert und raunte mir zu: „Sie werden ihn an Bord der Marga bringen! Warten Sie hier. Ich verständige die Polizei.“ – Im Nu war sie verschwunden.

Aber hier zeigte sich wieder einmal, wie verkehrt es ist, irgend etwas zu überhasten. Sie war noch keine drei Minuten unterwegs, als ich ein eigentümliches, gurgelndes Stöhnen vernahm und undeutlich gewahrte, wie drei Männer die davoneilende Frau ergriffen und niederrangen. Sie hatte inzwischen Kehrt gemacht und wollte bestimmt zum Wasser hinabflüchten und in den Fluß springen und schwimmend zu entkommen suchen. – Die kurze, wilde und doch fast geräuschlose Szene spielte sich in meiner nächsten Nähe ab und bot mir doch keine Gelegenheit, Frau Magda zu Hilfe zu eilen, – ich sah mich hier einer Übermacht gegenüber, die zu groß war, als daß ich es hätte wagen dürfen, vorzuspringen und etwa mit der Waffe in der Hand einzugreifen. Außerdem sagte ich mir, daß es ratsamer sei, die Burschen erst nach getaner Arbeit abzufassen. An eine direkte, unmittelbare Gefahr für das Leben Harsts und Frau Magdas glaubte ich nicht.

 

7. Kapitel.

… Als der Morgen graute …

Der Kutter, der hier auf dem Kai, Boden nach oben, zum Teeren unweit der Jacht lag, war nur achtern gedeckt. Da ich damit rechnen mußte, daß es sehr bald hell werden würde, kroch ich in die kleine Achterkajüte hinein und streckte mich auf dem Lukendeckel des Treppenniedergangs der Länge nach aus. Die beiden Bulleis[2], die als Oberlicht in die Bugseite des niederen Aufbaus eingelassen waren, gestatteten einen bequemen Ausblick nach dem Flusse hin.

Meine Vermutung, man würde nun zuerst Frau Magda entweder auf die Jacht oder auf den Frachter schaffen, traf nicht zu. Niemand zeigte sich. Und doch war ich davon überzeugt, daß die Leute äußerst wachsam sein würden. Es war durchaus möglich, daß ihre in Berlin weilenden Freunde, die den Chefdetektiv Parkinson bereits erledigt hatten, und die auch auf Harst und Frau Renker geschossen hatten, meine Abfahrt hierher beobachtet haben könnten, obwohl ich weder in Berlin noch hier Anzeichen von Spionen hatte wahrnehmen können. Allergrößte Vorsicht war in jedem Falle dringend geboten.

Ich hatte nun reichlich Zeit, mir jeden meiner weiteren Schritte aufs sorgfältigste zu überlegen. Ich entwarf ein ganzes Programm, überprüfte es immer von neuem und verbesserte es in den Einzelheiten zu einem vielverzweigten Plane, bei dem mir jeder Fehlschlag ausgeschlossen erschien. Wenn je ein Mensch sich seiner Verantwortung bewußt war, so ich! Das muß ich hier betonen. Ich wollte das Beste. Daß es nachher anders kam und aus alledem sich eine vollkommen unerklärliche Tragödie entwickelte, war nicht meine Schuld. Das bekannte Sprichwort: „Wer sich selbst entschuldigt, klagt sich an“, trifft hier auf meine Person nicht zu. – Ich handelte wohlüberlegt und hatte meinerseits jede Möglichkeit eines widrigen Zwischenfalles ausgeschaltet.

Der Morgen nahte. Der Himmel blieb bedeckt. Ein hohler Wind fegte den Fluß entlang. Der Hafen erwachte. Drüben, wo die Werften und die Fabriken liegen, meldete sich der Auftakt zur Arbeit, die Dampffähre über die Swine fuhr bereits, Dampfkräne rasselten, – – nur hier am Bollwerk blieb es noch still.

Dann vernahm ich das leise Surren eines Automotors, – das Surren verstummte, – gleich darauf schleppten zwei Kerle einen bewußtlosen Menschen in aller Eile an Bord der Marga. Im Nu hatten die beiden Kerle den Bewußtlosen, über dessen Gesicht ein buntes Tuch geknotet war, in den Raum des Dampfers hinabgeschafft. Das Tuch war verrutscht: Ein Gesicht, das nicht das meines Freundes zu sein schien, zeigte mir die Augenpartie! – Trotzdem war es Harst, nur mit dunkler Perücke und mit schräg geklebten schwarzen Augenbrauen!

Mein Herz tat ein paar schnellere Schläge, dann beruhigte es sich wieder.

Nun würden sie auch Frau Marga bringen, – – glaubte ich.

Die beiden Kerle tauchten wieder auf, liefen über die Laufplanke an Land und auf das in nächster Nähe haltende Auto zu.

Ich wartete. Sie kamen auch. Sie trugen einen großen Schrankkoffer.

Was der Inhalt dieses Kofferungetüms war, konnte ich mir denken. – Der Koffer wurde durch die Vorderluke auf einem Gleitbrett in den Laderaum befördert, – die beiden Leute blieben an Bord, – das Auto fuhr davon, und in den nächsten zehn Minuten geschah nichts. Dann erhielt ich hier in meinem Versteck Besuch. Es war der „Unangenehme“, es war Rick Basch. – „Schraut – –, Sie – –?!“, fragte er, indem er an meinen Stiefeln rüttelte. „Sie sollten für die Maske eines biederen Badegastes nicht derart zerplatzte hellbraune Schuhe wählen!!“

Nie ist mir dieser rücksichtslose und kluge Beamte so willkommen gewesen wie jetzt. – „Haben auch Sie alles beobachtet, Herr Basch?“, fragte ich schnell.

„Was denn?!“ – Er hatte nichts gesehen, er war soeben erst mit vier Beamten im Auto von Berlin eingetroffen, nachdem die Londoner City-Bank der Berliner Polizei auf Eilanfrage hin mitgeteilt hatte, was man mit dem Goldtransport zu unternehmen gedächte: Umladen in Swinemünde auf die Marga!

Basch war sprachlos, als ich ihm meine Beobachtungen mitteilte. Er zögerte nicht, auf meine Vorschläge sofort einzugehen, entfernte sich eiligst und schickte mir den netten Doktor Fritz Bölke als Hilfskraft, falls inzwischen etwas geschehen sollte. Bölke war Feuer und Flamme für dieses Piratenstückchen, wie er es nannte.

Wieder verstrich eine Viertelstunde, – dann bemerkte ich, wie genau Basch sich an meinen Plan hielt: Auf dem Wasser erschienen zwei Motorboote, – auf dem Kai nahte ratternd und puffend ein Lastauto, und vier Lotsen, drei Zollbeamte und Basch tauchten an der Laufplanke der Marga auf. Basch winkte, Bölke und ich verließen unser Versteck, schlossen uns den Beamten an und begaben uns an Bord des Frachters, wo nur eine einzige Deckwache an der Brücke lehnte und maulfaul erklärte, hier schliefe noch alles. Der Kapitän wurde herausgetrommelt. Es hieß Mettow und war ein pockennarbiger, wortkarger und sehr unhöflicher Bursche mit einem funseligen, grauen Spitzbart.

Basch wies sich als Kriminalkommissar aus und erklärte, das ganze Schiff müßte durchsucht werden, niemand dürfe sich von Bord entfernen. – Er sprach sehr energisch und deutete auf den Fluß und die bemannten Motorboote. – „Ich habe Befehl gegeben, sofort zu schießen!! Merken Sie sich das!!“

Kapitän Mettow blieb die Ruhe selbst, schüttelte nur wiederholt den Kopf und meinte, er verstünde von alledem gar nichts, – „Was ist denn eigentlich los, Herr Kommissar?! Meinetwegen können Sie die Marga um und um krempeln!“

Schon angesichts dieser Ruhe des Kapitäns wurde mir recht schwül zumute. Ich ahnte, was kommen würde. – Es war ja auch selbstverständlich, daß die Burschen sich nach jeder Richtung hin gedeckt hatten.

Die Durchsuchung begann. Drei Beamte blieben an Deck. Wir stiegen in den Vorderraum hinab. Hier stand der ominöse Riesenkoffer. Er war zerkratzt und trug die Buchstaben A. M. in weißer Farbe.

„Wem gehört der Koffer?“, fragte Basch den Kapitän.

„Meiner Frau, die heute vormittag an Bord kommt und die Reise wie immer mitmacht.“

„Haben Sie die Schlüssel zu dem Ungetüm?“

„Bitte.“ – Der Koffer enthielt nur Kleider, Wäsche und allerlei Damensachen, auch Bücher. – Das war der erste Reinfall. – Nun wurde der Dampfer von einigen Zollbeamten durchsucht. Und die verstehen sich aufs Suchen. Sogar die Kohlen mußten umgeschaufelt werden. – Stunden vergingen. Inzwischen spielte der Telegraph, und Basch prüfte die Angaben Mettows nach, was dessen Frau und so weiter betraf.

Die Marga war für eine Fahrt nach New York und weiter nach der Südsee für ein halbes Jahr von einer englischen Firma gechartert worden. – Das war uns nichts Neues. Die Londoner Firma stand eben mit der City-Bank in Verbindung. Der englische Dampfer mit der Goldladung sollte morgen hier eintreffen. Auch das stimmte. Es stimmt leider alles, an der Besatzung war nichts zu bemängeln, alle Papiere waren in bester Ordnung, und Mettow genoß bei seiner Hamburger Reederei das allergrößte Vertrauen.

Nichts wurde gefunden. – Nun ging Basch auf andere Art zum Angriff über. In der Kajüte des Kapitäns fand das Verhör der beiden Leute statt, die den bewußtlosen Harst und den Koffer an Bord gebracht hatten. Beide Männer leugneten nichts und grinsten nur, sie waren Deutsche und Matrosen mit besten Zeugnissen. Der eine erklärte vergnügt, der Jan Maat, den sie an Bord geschleppt hätten, läge schwer betrunken in seiner Koje. Sie hätten zu dreien in der Stadt gezecht und dann dem durch Grog erledigten Freunde, weil er wie ein Besessener gebrüllt hatte, ein Tuch über den Mund gebunden.

Basch prüfte all dies ebenfalls nach. Es stimmte. Der Taxenschofför, der den Betrunkenen hierher gebracht hatte, gab an, daß er die Drei im Badviertel an der Promenade angetroffen habe. – Der Kneipenwirt, wo die Kerle gezecht hatten, erschien ebenfalls und war auch völlig unverdächtig und bestätigte die Angaben mit allem Nachdruck. Ihm und dem Schofför wurde der sinnlos Betrunkene gezeigt, der gar nicht zu ermuntern war. – Ich schaute mir den Mann sehr genau an. Er hatte wirklich einige Ähnlichkeit mit meinem Freunde, – das heißt, mit dem Harst, den ich für verkleidet gehalten hatte. – – Ich nahm Basch beiseite. „Wissen Sie, die Gesellschaft ist schlauer als schlau, Basch. Das alles ist vorbereitet und aufs feinste durchdacht. Der Koffer hat bestimmt Frau Renker beherbergt, die Weibersachen waren bereits hier an Bord und sind hinterher eingepackt worden. Man hat ferner meinen Freund so hergerichtet, daß er dem Matrosen ungefähr glich. Der Matrose hat sich erst hier so betrunken und ist sicherlich schwimmend an Bord gelangt. – Fragen Sie jetzt, welche Taxe zum Transport des Koffers von der Bahn hierher benutzt wurde –“

Auch das ergab nur die scheinbare Harmlosigkeit der Besatzung. Und doch waren wir überzeugt, daß hier ein ganz groß angelegter Plan tadellos geglückt war. – –

Basch forderte noch mehr Zollbeamte an, und die Durchsuchung des Schiffes wurde wiederholt. – Ergebnislos!!

Mittlerweile war es zehn Uhr geworden. Kapitän Mettow hatte an seine Reederei depeschiert und um deren Eingreifen gebeten. – Basch konnte dies nicht verhindern oder verbieten. – Um elf war die Antwort da: Energischer Protest der Reederei und Beschwerde an Baschs Vorgesetzte!!

Wir befanden uns noch immer an Bord. Der Kommissar und ich sahen ein, daß wir die Sache aufgeben mußten, wir waren hineingelegt worden, bestimmt, – die ganze Besatzung steckte unter einer Decke. – Ich teilte Basch nun auch meinen Verdacht mit, daß die Reederei, der der Dampfer gehörte, mit zu der Bande gehöre. Er nickte nur. Er war sehr verärgert und voller Wut über seine Ohnmacht gegenüber diesen schlauen Schurken. – Kapitän Mettow forderte uns sehr schroff zum Verlassen der Marga auf. Wir mußten gehen. Wir hatten alles getan, was irgend möglich, um die Schufte zu überführen. Wir setzten uns in die Schankstube des Goldenen Ankers und besprachen die Angelegenheit nochmals zu dreien, der dritte war Bölke. Der junge Assistent hatte soeben darauf hingewiesen, daß doch der eine Punkt nicht geklärt sei: Frau Renker sei doch verschleppt worden, und mein Zeugnis, sagte er, würde mehr ins Gewicht fallen, als daß der beiden Matrosen, die erklärt hatten, ich müßte wohl geträumt haben, sie hätten nie eine Frau überfallen.

Das war an sich wohl richtig, was Bölke hier vorbrachte, aber gegenüber den negativen übrigen Feststellungen würde man mein Zeugnis doch nur gering bewerten. Immerhin bot dieser Punkt die einzige Möglichkeit, den Dampfer auch fernerhin zu bewachen, wenn auch nur vom Bollwerk und vom Flusse aus, was Basch schon angeordnet, genau wie er mit dem Berliner Präsidium sich telephonisch in Verbindung gesetzt hatte. Ihm war auf seine Vorstellungen hin gestattet worden, weiterhin nach eigenem Gutdünken zu handeln, nur die Besatzung solle er vorläufig in Ruhe lassen.

So lagen die Dinge um zwölf Uhr mittags.

 

8. Kapitel.

Das Unikum Otto Renker mischt sich ein.

Wir drei hatten uns Mittagessen bestellt und nahmen nun eine sehr schweigsame Mahlzeit ein.

Damals meldete sich bei mir zum ersten Male eine unbestimmte Angst, daß die beiden Opfer der großen internationalen Organisation, deren Führer in London sitzen mußten, vielleicht nie wieder auftauchen könnten.

Ich war sehr niedergeschlagen. Basch schwieg wütend, Bölke grübelte und schien noch immer Hoffnung zu hegen, uns könnte es doch gelingen, die Schufte zu überführen. Er war der einzige, der hin und wieder sprach und dies und jenes anregte, – leider alles Vorschläge, die undurchführbar blieben. – Das Wetter hatte sich derweil gebessert und die Sonne schien. Nach dem Essen verabschiedete ich mich und ging auf mein Zimmer, um ein wenig zu ruhen. Ich fand keinen Schlaf. Dann fiel mir etwas Besonderes ein. Wir wußten jetzt, daß Parkinson tatsächlich nur Magda Renker mit nach Berlin genommen hatte. Ich erinnerte mich an Haralds Behauptung, daß Frau Magda diejenige gewesen, die Parkinson anonym gewarnt habe. Ich fühlte, daß hier noch vielerlei mitspräche, wovon wir bisher keine Ahnung hatten, und daß Harald leider wieder einmal zur Unzeit das Wichtigste für sich behalten hatte. Er war in seinen Schlußfolgerungen bestimmt weiter gediehen als wir, und mußte auf besondere Zusammenhänge gestoßen sein. Da ich seine Methode, wenn er sich bedroht fühlte, genau kannte, begab ich mich durch die sogenannte Plantage, durch den großen Naturpark Swinemündes, nach der Stelle der Strandpromenade, wo nach Frau Renkers Angaben der Überfall auf sie und Harald erfolgt war, – sie hatte noch flüchten können, ihn hatten sie gefaßt.

Die Stelle war unschwer zu finden. – Ich suchte sie sorgfältig ab, ich fand auch das, was ich suchte. Der Zettel war vom Regen durchweicht und lag zwischen Grasbüscheln am Wege, hatte aber die Form eines kleinen Pfeiles, wie Kinder ihn aus Papier falten, bewahrt.

Mir klopfte das Herz wie ein Schmiedehammer. Ich steckte den Zettel schnell zu mir und schaute mich mißtrauisch um. Meine Augen hafteten auf der dürren Gestalt des alten Otto Renker. Er stand hinter einem Busch und winkte mir, schritt dem Strande zu und bog in die hohen, dicht bewachsenen Dünen bei der Westmole ein.

Hier in den Dünen, wo wir weithin einen bequemen Rundblick hatten, saßen wir nebeneinander. – „Sie sind mir ein feiner Detektiv!!“, grobste er mich an. „Ich weiß alles. Ich bin in der Nacht per Auto hierher geeilt, nachdem ich erfahren hatte, daß auch Basch hierher führe. Ich wohne wie Sie im Goldenen Anker.“ Dann änderte er plötzlich den Ton, nahm meine Hand und sagte vertraulich: „Herr Schraut, ich bin nicht so, wie ich mich gebe. Ich liebe mein einziges Kind über alles. Aber ich liebe auch den Namen Renker. – Lesen Sie jetzt erst den Zettel, dann wollen wir beraten.“

Ich entfaltete das Papier mit aller Behutsamkeit und fand innen sehr verlaufene Schriftzüge, aber bestimmt Haralds Schrift. Er hatte einen Tintenstift benutzt – leider! – Damals ahnte ich noch nicht, daß dieser Zettel das teuerste Andenken für mich werden würde – und das letzte!

Die Entzifferung stieß auf größte Schwierigkeiten, da die Nässe die Schrift sehr verwischt hatte, ich betone hier gleich, daß auch die späteren Versuche, die Schrift durch photographische Vergrößerung und durch allerlei andere Mittel deutlicher zu machen, scheiterten. Es blieb nur Stückwerk, und die wichtigsten Stellen fehlten. – Ich gebe hier den Inhalt mit den Lücken genau wieder:

„Mein lieber Alter, seit einiger Zeit quält mich eine dumpfe Vorahnung, als ob unser so behagliches und herzliches Zusammenleben jäh ein Ende finden könnte. Ich werde hier in Sw. dauernd überwacht, und die Art, wie dies geschieht, hat mich erkennen lassen, daß unsere Gegner Leute von überragender Intelligenz sind, woran ich auch nie gezweifelt habe, denn eine Organisation in dieser Weise aufzuziehen und für die Org. Mitglieder zu gewinnen, die … (hier fehlten anderthalb Zeilen) … – … Sorge um sie entsprang der Ähnlichkeit mit einer lieben Toten. Daß in mir jäh nochmals ein Empfinden aufblühen könnte, das alles andere in den Schatten drängt, hätte ich nie für möglich gehalten, und doch ist es der Fall, und meine Zukunftsgedanken … (zwei unleserliche Zeilen) … bin also überzeugt, daß die Londoner Polizei, um einen Hauptschlag gegen die Organis. zu führen, die City-Bank veranlaßt hat, diesen Trick vorzubereiten, denn die Erklärung der Bank, sie habe Geld sparen wollen und deshalb keines der großen Schiffe für den Transport nach New York gewählt, ist natürlich Bluff. Sollte man mich also trotz all meiner Vorsicht erwischen, so setze dich mit der Londoner Polizei in Verbindung. Wahrscheinlich dürften Beamte von Scotland Yard hier in Sw. weilen, sich jedoch nicht einmischen wollen. Sollte auch Frau Magda von den Leuten … (drei Zeilen fehlen) … schließen, du weißt nun alles Wichtige. Wenn das Schicksal diesmal wider mich ist und gerade jetzt, wo mein Leben einen besonderen Inhalt wie ein köstliches Geschenk erhalten hat, – wenn meine Vorahnungen nicht trügen und … (anderthalb Zeilen fehlen) … denke an die Möglichkeit, daß der erste große Schlag auf See, den die Goldräuber wagten, mit der Person des … (der ganze Schluß bis auf die Unterschrift unleserlich) …

Dein H. H.“

Schweigend reichte ich dem Vater der Frau, die mein Freund liebte, weil sie einer Toten so ähnlich sah, den feuchten Zettel hin.

Renker las. Ich beobachtete ihn. Er las voller Gier, anders vermag ich dieses hastige Überfliegen nicht zu bezeichnen, – er atmete deutlich auf, als er den Zettel ein zweites Mal gelesen hatte, und dieses Ausatmen glich durchaus einem Seufzer der Erleichterung, als hätte er irgend etwas Besonderes befürchtet.

Seine nächsten Worte bestätigten dies. – „Ob man die verwischten Stellen wieder durch künstliche Mittel wird auffrischen können, Herr Schraut?“ – Die Frage war so eigentümlich ängstlich gestellt, daß sofort in mir der Verdacht aufstieg, Renker hätte das lebhafteste Interesse daran, daß die Stellen unleserlich blieben!

„Ich hoffe es. Und was hoffen Sie?!“, lautete meine unfreundliche Antwort.

Er blieb stumm. Erst nach einer Weile erklärte er: „Unsere Ziele sind nun die gleichen, Herr Schraut. Und dennoch betrachten Sie mich nicht als Ihren Verbündeten, obwohl ich mein Kind über alles liebe und immer geliebt habe. – Die Umstände sind – ja – sie sind grausam!! Ich kämpfe für und gegen die Wahrheit. Sie können mich nicht verstehen. Keiner kann das, nur mein Kind, und ob Magda noch lebt, bezweifle ich – –“

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich hörte, daß er mit Tränen rang, und seine Stimme schwankte. – Er erhob sich jäh. Ohne Abschied eilte er der Strandpromenade zu und betrat das Kurhaus. –

Ich habe damals noch eine volle Stunde allein im Sonnenschein in den Dünen gesessen und mir den Kopf zermartert, um eine Lösung für diese unsinnigen Widersprüche im Benehmen des alten Herrn zu finden. Ich habe damals die Gewißheit mit nach dem Goldenen Anker genommen, daß ich meinen Freund aus der Reihe der Lebenden streichen müßte. – Ich traf vor dem Hotel mit Fritz Bölke zusammen und berichtete ihm auf meinem Zimmer, was ich soeben mit Otto Renker besprochen und was der seltsame Alte geäußert hatte, ich gab Bölke den Zettel zum Lesen, und dann fand sich auch Basch ein, – wir drei berieten und rieten hin und her und entdeckten keine Möglichkeit, Renker zum Preisgeben seiner doch bestimmt sehr wichtigen Kenntnisse über die inneren und innersten Zusammenhänge dieser dunklen Dinge zu veranlassen.

Basch hatte es hinterher doch versucht. Renker wurde sogar in Berlin später vorgeladen. Er gab zu Protokoll, daß ich ihn mißverstanden haben müßte, er wisse nichts. – Dabei blieb er.

Doch zurück nach Swinemünde. – Basch hatte sich drahtlos mit Scotland Yard in Verbindung gesetzt. Abends um zehn erschien er auf meinem Zimmer in aller Heimlichkeit mit demselben Mann, mit dem ich Skat spielt hatte, dem angeblichen Motorbootbesitzer Franz Kersten. Gewiß, Kersten hatte die Motorboote vor zwei Monaten gekauft, wohnte auch hier in Swinemünde, trotzdem war er ein Oberinspektor von Scotland Yard und hieß Daniel Groover, war Spezialist für Seeverbrechen und hatte hier den Goldräubern eine Falle stellen sollen. – Er gab zu, daß er nun genau so ratlos sei wie wir.

Dann schnitt er ein Thema an, das ich absichtlich bisher hier nicht berührt habe: Die Jacht Bornholm! – Wie stand es mit den Leuten der Jacht?! – – Die Bornholm war genau wie der Dampfer trotz des wütenden Protestes des Besitzers, eines dänischen Kaufmanns, sorgfältig durchsucht und die drei Insassen einem strengen Verhör unterzogen worden. Ich trat als Ankläger auf, ich warf den Männern vor, daß sie mit der Besatzung der Marga gemeinsame Sache gemacht hätten und wies auf die Signale und auf die von mir deutlich gehörten Worte hin: „Den einen haben wir!!“

Die drei leugneten sehr schlau, stellten all das als ganz harmlos hin und fanden auch recht glaubwürdig klingende Erklärungen, deren Einzelheiten ich hier fortlassen kann.

Dan Groover zählte zu den wenigen Oberinspektoren, die nicht von der Pieke an gedient hatten, er war Fliegeroffizier und dann bei der Nachrichtenabteilung, also Spion, gewesen, war noch jung, eignete sich hervorragend zum Detektiv und mochte alles in allem nur zu sehr den Typ des wahrhaft vornehmen Engländers verkörpern. – Ob er uns aber alles mitteilte, was er wirklich dachte, bezweifle ich noch heute.

Unsere Unterredung blieb leider müßiges Herumraten. Wir sprachen über die Frau des Kapitäns Mettow, die nun längst eingetroffen war, – übrigens war sie gebürtige Dänin, – Basch hatte sich mit ihr eine Weile unterhalten, und sie hatte ihn wegen des Verdachts gegen ihren Mann ausgelacht. – – Wenn ich ehrlich sein soll: Mich peinigte dieses nutzlose Geschwätz, und Basch hatte wohl dasselbe Empfinden, denn er stand schließlich achselzuckend auf und meinte, es sei Zeit, schlafen zu gehen, es käme bei alledem ja doch nichts heraus. – –

Dann war ich wieder allein, konnte meinen eigenen Gedanken nachhängen und eigene Pläne schmieden. – –

 

9. Kapitel.

Die Hand am Bollwerk …

Es war Mitternacht. Der sonnige Tag war entschwunden, gegen Abend hatte sich der launige Aprilhimmel wieder bewölkt und der Regen sang draußen ein eintöniges melancholisches Lied, das so ganz in meine Stimmung hineinpaßte und mir auch sehr gelegen kam.

Unten in der Kneipe war Hochbetrieb. Der Lärm drang bis zu mir empor, und das Grammophon hatte keine Minute Pause.

Ich kletterte zum Erkerfenster hinaus, blieb eine Weile in der Baumkrone sitzen und spähte argwöhnisch umher. Nichts Verdächtiges. Es war stockfinster. Die Laternen, deren Scheiben vor Nässe trieften, gaben nur wenig Licht. So wagte ich mich denn hinab und schlich auf Umwegen zu der bereits vorgesehenen Stelle, wo am Bollwerk ein einfacher, kleiner Bretterkahn lag mit zwei selbstgearbeiteten Riemen. Ich öffnete das einfache Vorlegeschloß der Bootskette mit einem Nachschlüssel und ließ den Kahn dann mit der Strömung treiben, half mit den Riemen nur etwas nach und befand mich sehr bald zwischen dem Frachter und der Jacht am Bollwerk völlig im Schatten und in einer Finsternis, die es den Leuten des Dampfers unmöglich machte, mich zu bemerken. Den Kahn hatte ich vorn und achtern so vertäut, daß er nicht gegen das Bollwerk hauen und keinen Lärm machen konnte. Zwei dicke Pfähle standen in nächster Nähe, beide mit grünen Algen bewachsen und beide mit tiefen Rillen von Trossen und Ketten wie mit ehrenvollen Wunden bedeckt.

Es goß. – Auf der Jacht brannte Licht. Ich dachte an die Erklärung, die der Jachtbesitzer für seine nächtlichen Ausflüge in See angegeben hatte: Spazierfahrten zum Zeitvertreib!! – Wer sollte ihm das widerlegen?! – Die Zeit schlich. Ich fror. Ich hatte mich warm angezogen, – es waren Nerven, es war die dauernde Anspannung der Nerven seit Haralds Verschwinden. – Und es war doch nur der Beginn einer traurigen und viel trostloseren Zukunft, die nur durch die Zeit überwunden wurde.

Der eine der Pfähle war nur etwa einen Meter von meinem Sitz entfernt. Ich hatte mich achtern im Boot zusammengekauert, weil ich so am besten die Jacht beobachten konnte. Ich war überzeugt, daß die Jacht weit wichtiger sei als die Marga.

Irgendwo schlug eine Uhr zwei Schläge: Also zwei Uhr morgens! – Und gerade da, als die Schläge verhallt waren und ich das Nutzlose meiner Wache hier einzusehen begann, – – da spürte ich unter dem Boden des Kahnes eine leichte Erschütterung, als ob etwas von unten dagegen stieße.

Ich wurde mißtrauisch und faßte in die Tasche.

Nichts geschah mehr.

Es könnte ein treibendes Stück Holz gewesen sein, redete ich mir ein, aber der Argwohn, hier sei etwas nicht in Ordnung, blieb.

Ich war wacher und wachsamer denn je. Ich blickte mit verkniffenen Augen dauernd in die Runde. Und dann – sah ich etwas – an dem nahen Pfahl. – –

Ich hielt den Atem an. Ich beugte mich weit über Bord. Ich bemerkte – ja, es war eine Hand – eine menschliche Hand, die aus der Tiefe herauslangte und an dem glitschigen Pfahl nach oben griff, als ob sie dort einen Halt suchte.

Wären meine Nerven damals besser in Stand gewesen, hätte ich wohl einen schnellen Entschluß gefaßt. So aber überlief mich ein Frösteln der Furcht vor etwas Übernatürlichem.

Das wars: Die abergläubische Vorstellung, mein Freund winke mir einen allerletzten Gruß zu, war so vorherrschend in meinen aufgescheuchten Gedanken, daß ich wie erstarrt regungslos blieb und die Hand dann wieder versinken sah. Still, lautlos glitt sie in die Tiefe zurück. – –

Und da erst vermochte ich die Erstarrung von mir abzuschütteln, da erst, als es zu spät war. – – Denn die nackte Hand erschien nicht wieder. – – Eine halbe Stunde verstrich. Ich grübelte und grübelte. Ich war damals meiner Sinne so wenig sicher, daß ich an eine Täuschung glaubte. Ich traute meinen Augen nicht mehr. – – Es war kein Wunder. Denn andauernd nur dem trostlosen Gedanken nachzuhängen, daß es wirklich Wahrheit werden könnte, daß ich den einzigen Menschen, der mir alles bedeutete, womöglich für immer verloren hätte, – – das macht mürbe und matt und – ja – das läßt eine Verzweiflung aufkeimen, gegen die nichts hilft – nichts!

Nein, die Hand kam nicht wieder. – –

Anderes geschah. Der Beweis ward erbracht, daß nichts unterblieb, das Geheimnis um die Marga aufzuhellen – –

Nicht einmal mich hatten Basch und Dan Groover eingeweiht. – Wie durch Zaubermacht wurde die ganze Umgebung des Dampfers und der Jacht, des Flusses und des Kais urplötzlich taghell, mindestens vier Scheinwerfer streuten ihre grellen Lichtgarben aus, und das Puffen von Motorbooten, die auf dem Strom wachten, mischte sich in das Wutgebrüll des Kapitäns Mettow, den man aus der Kajüte geholt hatte. Beamte schwärmten an Deck umher, – Beamte waren überall aufgetaucht: Man suchte abermals nach den Verschwundenen und verschonte auch nicht die Jacht. – Doktor Bölke, dieser sympathische junge Mensch, zog mich beiseite. – „Herr Schraut, das ist ja alles Unsinn. Mit solchen Methoden kommt man doch den – den Kerlen nicht bei!! – Was haben Sie da unten in dem Kahn getrieben?!“

Wenn es einen Menschen gab, dem ich mich in diesen Stunden der ärgsten Zweifel an jeglicher Gerechtigkeit des Schicksals und der beginnenden Verzweiflung gern anvertraute, dann war es dieser warmherzige und höfliche und bescheidene Bölke. Ich erzählte von der – Hand – –!!

Er sagte gar nichts, war mit einem Male verschwunden und tauchte erst nach reichlichen zehn Minuten wieder auf. – „Herr Schraut, kommen Sie mit –!!“ Er war ganz blaß.

„Was gibt’s?!“ – Die Angst schnürte mir die Kehle zu.

Er führte mich zum Bollwerk und kletterte in den Kahn, half mir und deutete dann auf den bewußten Pfahl, an dem die Hand aus der Tiefe emporgekommen war. – –

Das Scheinwerferlicht ließ jede Einzelheit genau erkennen. Da hingen die grünen Flechten und Algen und die Muscheln und die weißlichen Pilze. Da waren die Rillen, die Ehrenmale des Pfahles. – – Was wollte Bölke mir hier zeigen?!

„Sehen Sie es?“, fragte er heiser.

Ich riß mich zusammen. Wenn es hier etwas Besonderes zu sehen gab, mußte auch ich es bemerken. Wer weiß, was Bölke für wichtig hielt in seinem Übermaß von Hilfsbereitschaft?! – Ich strengte meine Augen an. Auch ich sah etwas. Da waren die weißen Schimmelpilze, ein ganzes Feld – eingebettet zwischen Grün. Ich starrte hin und überlegte und fühlte, wie mir das Blut aus den Wangen wich. Ich berechnete blitzschnell, wo etwa die Hand den höchsten Punkt an dem Pfahle erreicht hatte. Es konnte stimmen. Es konnte das weiße Pilzfleckchen sein.

Bölke raunte mir zu: „Es soll ein doppeltes lateinisches großes „H“ sein, – bestimmt!!“

Wir sahen uns an.

Es konnte so sein. Aber ich wollte nicht daran glauben, denn dann war ich mit Schuld daran, daß Harald hier elend ertrunken war!!

„Es kann sein“, meinte ich heiser und belog mich selbst. – Ich dachte an den Schlag gegen den Boden des Nachens. – „Es kann sein“, wiederholte ich hartnäckig, denn – es durfte nicht so sein! Ich wehrte mich mit aller Kraft dagegen. Der Gedanke, daß ich nur hätte zuzupacken brauchen, um einen halb Ertrunkenen, der mit allerletzter Kraft sich zu retten suchte, wirklich zu retten, war – – unausdenkbar!!

„Aber so sehen Sie doch, die Kratzer, die das H darstellen, sind doch ganz frisch –!!“, raunte der unbarmherzige Bölke mir abermals zu – –. „Ganz frisch!!“

„Ein Zufall“, murmelte ich matt. „Ich bin sehr erfroren – nein, durchgefroren. Ich muß ins Bett –“ Ich wußte wirklich nicht mehr recht, was ich sprach.

Bölke begriff wohl plötzlich, wie es um mich bestellt war. – – „Ich bringe Sie ins Hotel.“ Er blieb dann noch eine Stunde bei mir und suchte meine selbstanklägerischen Gedanken zu zerstreuen. Er holte mir schließlich aus der Apotheke ein Schlafmittel und legte sich auf das Sofa und spielte Wache bei mir.

Am andern Tag war ich wieder Herr meiner selbst. Ich hatte getan, was ich tun konnte, ich fuhr dann heim, als alles vorüber und nur die Ungewißheit trotzdem blieb – – die Ungewißheit – –!! Ich wollte nicht glauben, was sogar Bölke glaubte. – –

Ich fuhr heim mit Bölke. Er hatte Urlaub genommen. Ich brauchte einen Menschen wie ihn. – –

 

10. Kapitel.

Das letzte Harst-Abenteuer, – endgültig!

Die Fenster des Büros, das jetzt kein Büro mehr ist, stehen weit offen. Draußen grünen die Sträucher, und die Bäume tragen vollen Blattschmuck. Draußen blühen die Rosen und zirpen die Spatzen. Eine Drossel pfeift. – –

Man schreibt Mitte Juli. – –

Ich schreibe den Grabgesang eines wahrhaft gütigen und warmherzigen Menschen. Er hieß Harst, und viele haben ihn geliebt, – weit mehr haben ihn geliebt, als die Öffentlichkeit es weiß. – –

Neben mir liegt ein Zeitungsausschnitt. Ich kann mir die Arbeit leicht machen.

Die Geschichte der „Marga“. Wir setzen heute unseren eingehenden Bericht über den geheimnisvollen Golddampfer fort, nachdem wir gestern unseren Lesern von dem Verschwinden der Frau Magda Renker und des Herrn Harst alles das unterbreitet hatten, was darüber bekannt geworden ist. – Der englische Dampfer mit den vierzig Goldkisten traf pünktlich in Swinemünde ein, und da die City-Bank Befehl gegeben hatte, daß die Anordnungen, wie vorher befohlen, weiter durchgeführt werden sollten, wurden die Kisten unter schärfster, aber unauffälliger Bewachung im Tresorraum der Marga untergebracht, worauf diese sofort die Anker lichtete und ihre Reise antrat. Eine Stunde vor ihr hatte die Jacht Bornholm den Hafen verlassen. – Alle Eingeweihten waren nun auf die Entwicklung der Dinge außerordentlich gespannt. Aber eingeweiht waren nur wenige. Die Bevölkerung Swinemündes hatte man bei dem Glauben belassen, es handele sich um eine große Schmugglersache. Oberinspektor Dan Groover verriet selbst der deutschen Polizei nicht, wie man der Organisation G. auf den Pelz rücken und diesen Pelz gründlich durchkämmen wollte. Die Marga verließ also den Hafen, und zwar genau um drei Uhr nachmittags bei strahlendem Sonnenschein. Im Westen stand jedoch eine schwarze Wolkenwand, und es war sehr schwül und drohte mit Gewitter, die See erschien trotz des Sonnenlichtes eigentümlich düster und drohend. Das Schiff verschwand am Horizont. Nur eine einzige, lange Rauchfahne hing in der Luft nach Nordwest zu: die der Marga! Im übrigen war die See leer. – – Die in Swinemünde zurückbleibenden Eingeweihten warteten voller Spannung auf der Ostmole, ob sich bereits in den nächsten Stunden etwas ereignen würde. Man hatte einen sehr schnellen Motorkutter bereit, um jeder Zeit eingreifen zu können. Oben auf dem Leuchtturm war ein Lotse mit vorzüglichen Augen und einem noch besseren Fernglas aufgestellt worden. – Wie schon gestern von uns hervorgehoben, hatte auch Herr M. Schraut, Harsts langjähriger Freund und Vertrauter, sich den Beamten auf dem Molenkopf angeschlossen und stand mit dem Kriminalassistenten Dr. phil. Bölke etwas abseits und beobachtete die Signale, die vom Leuchtturm her gegeben wurden. Plötzlich erscholl dann der Alarmruf: „Die Marga kehrt zurück – –!!“ Tatsächlich: die Marga lief unter Bedeckung eines – und nun kommt das Wesentliche! – eines englischen U-Bootes modernsten Typs auf die Hafeneinfahrt zu, hatte englische Polizei an Bord und machte im Hafen an der Ostseite, unweit des Leuchtturms, fest. – Was war geschehen? – Folgendes. – Die im Westen lagernde Wolkenbank hatte ihre weitesten Ausläufer über Rügen hinweggeschoben und hüllte die Marga in jähe Gewitterschauer. Das U-Boot, das den Frachter sozusagen auf Schritt und Tritt hatte bewachen sollen, kam im Schutze der Dunkelheit näher heran und erspähte die Jacht Bornholm, die hier offenbar auf die Marga gewartet hatte. Als die Bornholm dann an der Marga angelegt hatte, griff der Kommandant des U-Bootes zu, schickte zehn Beamte an Bord und fand den ersten Steuermann des Dampfers in wütendem Streit mit dem Jachtbesitzer Svendsen vor. – Weshalb der Streit?! – Betrogene Betrüger entzweien sich sehr leicht. Der Goldschatz, den die Bornholm zum Teil hatte übernehmen sollen, war nicht mehr vorhanden! – Nicht eine einzige der Kisten wurde gefunden. Auch nicht der Kapitän Mettow mit seiner Frau. Wie die beiden die Marga verlassen hatten und wann und wo, blieb genau so ungeklärt wie der Raub der Goldkisten. Bis zur Stunde steht man allgemein vor einem der größten Rätsel, das je Verbrecher von mehr als Durchschnittsintelligenz der Polizei gestellt haben. – Tatsache ist also: Die scharf bewachte Marga verläßt mit vierzig Goldkisten und Kapitän und Frau den Hafen, und drei Stunden später sind die Kisten und das Ehepaar spurlos verschwunden! – Wie konnte das geschehen?! – Niemand weiß es. – – Die Verbrecher, insbesondere der Besitzer der Jacht und der erste Steuermann des Dampfers, die man getrennt verhörte, verrieten nun aus Wut und Enttäuschung alles, was man bisher auf Seiten der Polizei nur vermutet hatte. Herrn Schrauts Angaben über seine nächtlichen Beobachtungen wurden voll bestätigt: Die Verbrecher hatten Frau Renker und Harst wirklich geschnappt, an Bord geschleppt und dem Kapitän übergeben. Was dieser mit den beiden Gefangenen tat, möchte man besser nicht einmal in Form einer Vermutung aussprechen. Jedenfalls hat niemand der Besatzung der Marga sie wieder irgendwie gesehen, und die entsetzliche Annahme, Mettow habe sie beseitigt und durch die Strömung der Swine ins Meer treiben lassen, erscheint nur zu wahrscheinlich. – – Morgen werden wir den Lesern weiter berichten, was es über die Marga noch zu sagen gibt.“

Morgen – –?! – Es gab nichts mehr zu berichten. – Heute im Juli ist das Rätsel genau so dunkel wie damals im April, nur eins ist gewiß:

Harst lebt nicht mehr. Seine völlig entstellte Leiche wurde vor zwei Wochen unweit von Trelleborg an Land gespült und von mir an den Kleidern und den Zähnen (Plomben) wiedererkannt.

Nein, – er lebt nicht mehr. – Dennoch lebt er. – Erinnerungen wie die, die uns miteinander verbinden, leben ewig! Ich will nicht rührselig werden. Das läge auch nicht in meines toten Freundes Sinne, dessen Testament mir nahelegt, in unserem Häuschen fernerhin als stiller Privatmann meinen Neigungen nachzugehen und – –, – nun, es gibt keinen Harst mehr, es gibt kein Büro mehr, – – es war einmal – – –

Hier hatte ich das Manuskript vorläufig abgeschlossen, da es mir zu schwer fiel, über diese Dinge ohne innere Anteilnahme rein sachlich zu berichten. Sobald ich nur des Freundes gedenke, sehe ich stets eine Hand vor mir, die an einem Pfahle mit den Fingernägeln als allerletztes Zeichen ein H einkratzt in weiße Pilzschicht. – – Es sind nun wieder acht Tage vergangen. Bölke und ich sitzen bei offenen Fenstern am Frühstückstisch. Ich studiere die Morgenzeitungen und finde eine Notiz über die Verurteilung der Verbrecher der Organisation G. gleich Gold. – Die Bande ist unschädlich gemacht, nur das Haupt hat man nicht fassen können: Mettow! Und seine Frau! – Ich blätterte weiter und stoße auf einen Aufsatz über – –

– – Und springe auf. Rufe Bölke zu, der nun mein Freund geworden: „Sagen Sie, – besinnen Sie sich darauf, ob man damals auf der Marga bei der letzten Durchsuchung vor der Ausfahrt – – gefunden hat oder bemerkt hat?“

Bölke starrt mich groß an. „Ja, derlei wurde gefunden – –“

Ich packe ihn bei den Schultern. „Dann rufen Sie sofort Basch an. Die englische Polizei hat uns damals mit ihrem U-Boot-Kniff geschlagen. Jetzt werden wir das Gold herbeischaffen!!“ – – Bölke fragt noch etwas. Dann verlangt er die Nummer von Basch, telefoniert. – – –

Am selben Abend in Swinemünde. Mitternacht fast. Regen und Finsternis. Am Hafen an der Stelle, wo damals die Marga gelegen hat und neben ihr die Jacht, schleichen Männer umher und loten das Wasser ab und entdecken einen sogenannten Kolk, das heißt ein durch die Strömung tief ausgespültes Loch auf dem Flußgrunde. Ein Boot liegt bereit. In dem Boote hockt ein Taucher mit voller Ausrüstung und steigt nun in den Kolk hinab, bleibt zehn Minuten unten und gibt Signal: „Trosse empor!!“ – Die Trosse wird gefiert, unten an der Trosse hängt eine von Morast schwarze, triefende Kiste. –

„Wie ich darauf kam – –?!“, sage ich zu Basch. „Ich fand in der Zeitung einen Aufsatz über moderne Taucherapparate ohne Schlauchleitung. Und da fiel mir – die Hand ein, Basch, – Sie wissen ja, – Einzelheiten ersparen Sie mir. – –“ Ich beiße mir auf die Lippen, um das qualvolle Stöhnen hinabzuwürgen. – Basch nickt unmerklich. – „Ja, die Hand!“ Dann fügt er lauter und energischer hinzu: „Die Marga liegt noch immer drüben als beschlagnahmtes Schiff. Sehen wir uns den Tresor an.“

Was wir finden werden, weiß ich. – Der Boden der kleinen Stahlkammer ist eine Klapptür, und unterhalb dieser äußerst raffiniert angelegten Tür befindet sich ein Ballasttank mit Bodenventil. – Kapitän Mettow und Frau brauchten nur den Tresorboden nach unten kippen zu lassen und den Ballasttank zu öffnen, und die Goldkisten sanken in den Kolk hinab. Sie brauchten nur die modernen Taucheranzüge anzulegen und während der Ausfahrt der Marga auf demselben Wege das Schiff zu verlassen und an einsamer Stelle an Land zu gehen, und sie waren spurlos verschwunden. Daß sie die Kisten bisher nicht geborgen hatten, lag an der Ungunst der hellen Sommernächte. Sie wollten eben den Herbst abwarten. – – Soweit war das Geheimnis um die Marga nun enthüllt. Das Harald und Frau Magda noch gelebt hatten, als wir den Dampfer zuerst durchsucht hatten und als ich die Hand sah, – es ist grauenvoll, muß aber gesagt werden: Sie lebten, sie steckten in Taucheranzügen, und Mettow hätte sie geschont, falls sein Plan nicht geglückt wäre. – Mehr will und kann ich hierüber nicht ausführen. Es gibt Dinge, die man nicht ausdenken mag bis zur allerletzten Konsequenz. – –

Das Gold war gefunden. – Und wie ein guter Einfall oder eine schnelle, richtige Schlußfolgerung stets mehrere andere gebiert oder doch den Verstand schärft: Auf der Rückfahrt nach Berlin überdachte ich den Fall Marga nochmals und kam dabei von dem einen Punkte nicht los: Weshalb hatte Harald Frau Magda Renker auf den Kopf zugesagt, sie habe den Warnungsbrief an Parkinson geschickt?! – – Vom Stettiner Bahnhof fuhr ich sofort ohne Bölke zu Otto Renker.

Renker empfing mich unliebenswürdiger denn je, obwohl ich inzwischen bei ihm gewesen war. Er mußte noch immer geheime Spione haben, denn er platzte sofort heraus: „Glauben Sie mich etwa mit Ihren Neuigkeiten aus Swinemünde überraschen zu können?! Wenn auch die Presse noch nichts weiß, ich weiß, daß die Kisten gefunden sind. – – Doch dadurch wird mein Kind nicht wieder lebendig!!“

Ich erwiderte leise: „Nein, das vermag niemand. – Wer ist Kapitän Mettow?“

Er stierte mich wild an. Beugte sich über den Schreibtisch. Sein Gesicht kam in den Schein der Petroleumlampe, die auch am Tage brannte. Dieses Gesicht war farblos und voller Schweißperlen. – „Schraut –“, preßte er hervor, „wie kommen Sie zu dieser Frage?!“

„Mettow war Ihr Halbneffe Rolf Renker“, erklärte ich mit aller Bestimmtheit. „Sie und Ihre Tochter wußten, daß er ein Verbrecher war und den Dampfer damals vor vierzehn Monaten ausplündern wollte. Ihre Tochter heiratete ihn in der Hoffnung, ihn von dem teuflischen Plane abbringen zu können, – Ihre Tochter wußte auch, daß er längst verheiratet war, daß er zwei Namen führte und – –, – nun, genug davon: Sie warnte Parkinson, sie wollte mit Ihrer Hilfe den Namen Renker vor Unehre bewahren.“

Ich entfernte mich leise und ließ den alten Herrn, der beide Hände vor das Gesicht gedrückt hatte, allein. Er weinte. – –

– – Abermals sind nun Monate vergangen. Mettow oder besser Renker und Frau sind bisher nicht aufgespürt worden. Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, daß sie Europa damals schleunigst verlassen haben. Sie glaubten ihren Raub in dem Kolk im Flusse wohlgeborgen, denn selbst beim Ausbaggern der Fahrrinne wären die Bagger infolge der Tiefe des Kolkes nie auf die Kisten gestoßen. – Ich hatte das Manuskript nun endgültig abschließen wollen. Eine innere Stimme hielt mich davon ab. Bölke und ich erörterten immer noch sehr häufig die Ereignisse in Swinemünde, und dabei kamen allmählich wieder neue Gesichtspunkte zum Vorschein. Der Doktor verstand als Chemiker so allerlei von modernen Taucherausrüstungen und von den Sauerstoffpatronen, die in einem Tornister von den Tauchern mitgeführt werden, so daß eine Schlauchleitung sich erübrigt. Er wies auch darauf hin, daß seiner Meinung Frau Magda und Harald ganz bestimmt zunächst von Renker in solche Taucheranzüge gesteckt worden seien, wobei es ja genügt hätte, den beiden statt der einen Bleiplatte an den Schuhen deren drei oder vier mit unter Wasser anzubringen, die dann genügten, den zweifellos Gefesselten jede Flucht unmöglich zu machen. Harald müsse, so betonte Bölke weiter, die Armfesseln abgestreift gehabt haben, als ich die Hand am Pfahle bemerkte. – Doch das war ein Thema, das ich sehr widerwillig selbst von dem mitfühlenden Bölke behandeln ließ. – Wie gesagt, – es sind nun wieder Monate ins Land gegangen, ich lebe vollständig als bescheidener Rentner und verfolge nur insgesamt ein bestimmtes Ziel: Mettow-Renker aufzustöbern! Mitunter besuche ich den alten Otto Renker, der jetzt bestimmt dieselben Pläne verfolgt wie ich, wenn auch nie darüber sich äußert und herzerfrischend grob bleibt. Bölke beobachtet ihn. Wir kommen jedoch keinen Schritt vorwärts. Heute vormittag war ich wieder bei dem alten verbitterten Sonderling. Der Winter hat seinen Einzug gehalten. Frischer Schnee liegt in den Straßen. – Der Alte sagte zu mir unter anderem in seiner bissigen und doch nie verletzenden Art: „Schraut, Sie spielen ja noch immer mit Hoffnungsgedanken. Geben Sie das nur ruhig zu. Sie sind doch nicht so fest davon überzeugt, daß die Leiche die Harsts war. Ersticken Sie alle diese Hoffnungen! Harst wird nie mehr die Rechtsbrecher beunruhigen. Das war einmal. Finden Sie sich damit ab!“ – Seine heisere Stimme hatte einen warmen, herzlichen Unterton. – Wir schieden mit der üblichen gegenseitigen Verneigung. Nie hat der Sonderling mir die Hand gereicht. Von ihm fuhr ich zum Friedhof an Haralds Grab. Aber dieses Grab gibt mir nie den Trost, den ich suche und den vielleicht andere an Gräbern ihrer Lieben finden. Die Erinnerung an den lebenden Freund ist mir wertvoller als die eindringliche Vorstellung, daß dort unter dem Hügel etwas Verwesbares ruht. Nur in unserem Häuschen mit seinen tausend Andenken an anderthalb Jahrzehnte innigsten Zusammenlebens fühle ich den Frieden weihevollen Gedenkens.

Hiermit verabschiede ich mich auch von meinen Lesern und Freunden für immer. – – Mit diesem Bande sind die Harald Harst-Abenteuer endgültig abgeschlossen:

 

Es war einmal – – –!

 

 

An unsere Leser!

Als wir im Jahre 1920 mit der Herausgabe der Erlebnisse Harald Harsts begannen, beabsichtigten wir dem Wunsche weiter Leserkreise nach Kriminalerzählungen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus aber beabsichtigten wir der leider auf diesem Gebiet vorherrschenden ausländischen Literatur und den darin verherrlichten ausländischen Personen den Typ eines deutschen Detektivs entgegenzusetzen und gleichzeitig dem Leser die Kenntnis exotischer Länder, Sitten und Gebräuche unaufdringlich zu vermitteln.

Es ist dem Autor – einem alten Frontkämpfer, Juristen und deutschen Waffenstudenten – in all den Jahren vorzüglich gelungen, die Figur des

Deutschen Detektiv Harald Harst

lebenswahr zu gestalten. Deutsch war sein Handeln, deutsch seine Sprache, deutsch sein Empfinden. Tausende von Zuschriften aus dem Leserkreise, und zwar aus allen Schichten der Bevölkerung haben unser Bestreben anerkannt und uns ihre Zustimmung ausgedrückt.

Weiterhin ist es dem Autor ebenso vorzüglich gelungen,

deutschen Familiensinn, deutsche Freundschaft

in diesen anspruchslosen Heften zu pflegen und zu fördern. Nur in deutschen Familien kann sich ein derart inniges Verhältnis zwischen Mutter und Sohn und zwischen Freund und Freund ausgestalten, festigen und zu behaglichen, erwärmenden Grundlage eines herzlichen Gemeinschaftslebens werden.

In diesem Sinne haben Autor und Verlag an dem

sittlichen und ideellen Wiederaufbau des deutschen Volkes und Vaterlandes

mitzuarbeiten sich bemüht und sich auch durch keinerlei Angriffe und Anfeindungen hierin beirren lassen, die stets nur dem stark betonten Deutschtum Harald Harsts galten. Und so soll es auch weiterhin sein. Unsere anspruchslosen Heftchen, bestimmt zur Unterhaltung und Entspannung nach des Tages Last und Mühen, werden auch fernerhin eine Stätte der Pflege des deutschen Gedankens, der deutschen Familie und des deutschen Menschen sein.

Unsere Leser aber bitten wir, uns in unserem Streben zu unterstützen und durch Empfehlung unserer Heftchen zu deren Weiterverbreitung beizutragen.

Herausgeber und Verlag

 

 

Anmerkungen:

  1. „City-Bank“ – „Citybank“ – beide Schreibweisen vorhanden. Alles auf „City-Bank“ geändert.
  2. Bulleis (engl. Bullseyes) = Bullaugen.