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Der Schatz der Könige von Audh

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Der Schatz der Könige von Audh.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Pattersons hinterlassener Brief.

Callao ist wohl der bedeutendste Hafenort der südamerikanischen Republik Peru. Seine günstige Lage als Mittelpunkt des Seeweges von Kalifornien nach den Südseeinseln und Australien hat ihm in wenigen Jahrzehnten einen außerordentlichen Aufschwung gebracht.

Die von Europäern, zumeist Vertretern großer Handelsfirmen, bewohnten Straßen Callaos ziehen sich parallel dem Strande hin. Viele Prachtbauten findet man hier, die modernsten Verkehrseinrichtungen und eine Sauberkeit und Ordnung, die man in dem Eingeborenenviertel mit seinen jämmerlichen Hütten und ungepflasterten Straßen vergebens sucht.

Eines der schönsten Häuser Callaos gehört dem aus Frankreich eingewanderten Rechtsanwalt Jules Galetta. Er nennt sich „Rechtsanwalt und Notar“. In Wirklichkeit ist er alles: Schiffsmakler, Reeder, Großkaufmann, Plantagenbesitzer und … Eigentümer verschiedener Hafenschenken, in denen die Matrosen für teures Geld schlechten Branntwein erhalten. Natürlich ist Jules Galetta längst Millionär. Leider werden ja nur zu oft auch Schurken reich, wenn sie nur schlau genug sind, dem Gefängnis vorsichtig auszuweichen.

Ganz Callao wußte von den unsauberen Geschäften, denen der verschlagene Franzose seine Reichtümer verdankte. Aber ganz Callao beugte sich auch vor der Macht des Geldes und dem Einfluß, den Galetta bei der Regierung besaß. –

Jules Galetta wurde an einem Märzvormittag des Jahres 1915 ein Herr namens Morley gemeldet. Dieser erklärte dem Anwalt, daß sein Freund James Patterson am 2. Dezember 1914 bei der Notariatsabteilung Galettas einen versiegelten Brief mit der Bestimmung hinterlegt habe, das Schreiben an ihn – Morley nach drei Monaten auszuhändigen, falls bis dahin bei Galetta keinerlei anders lautende Befehle eingegangen seien.

„Diese Frist ist gestern abgelaufen“, fügte Morley, auch dem Äußeren nach ein Vollblutengländer, kurz hinzu. „Und, da Patterson seit dem genannten Tage nichts mehr von sich hat hören lassen, bitte ich um Aushändigung des Briefes. Hier meine Ausweispapiere, daß ich tatsächlich jener Freund Pattersons bin.“

Der Anwalt ein schon bejahrter, trotzdem aber stutzerhaft auffallend gekleideter Herr, prüfte sehr sorgfältig die verschiedenen Legitimationen, reichte sie dann Morley mit ein paar sehr verbindlichen Worten zurück und holte aus einem halb in die Wand eingemauerten Stahlschrank das Schreiben Pattersons hervor.

„Bitte, dies ist der Brief“, sagte er mit einer Verbeugung, die bei ihm weniger ein Ausdruck der Höflichkeit, als vielmehr reine Gewohnheitssache war. Höflichkeit kostete nichts. Und in derlei billigen Artikeln war Galetta eben gewohnheitsmäßiger Verschwender.

Aber Archibald Morley ließ sich durch solche Äußerlichkeiten nicht beeinflussen. Er war rücksichtslos genug, um eine Lupe aus der Westentasche zu ziehen und die drei Siegel, mit denen die Klappe des festen Leinenumschlages verschlossen war, sehr sorgfältig zu prüfen.

Als Petschaft hatte James Patterson seiner Zeit aus Vorsicht eine alte, mexikanische Münze benutzt, die sehr selten war und von der nur noch Morley, soweit den Freunden bekannt, ein zweites Exemplar besaß.

Morley konnte daher, als er jetzt die Lupe wegsteckte und seine Münze seiner Börse entnommen hatte, leicht feststellen, daß die Siegel nicht in Ordnung waren. Man hatte diese offenbar entfernt und dann beim Wiederbefestigen beschädigt.

Galetta beobachtete mit innerer Unruhe Morleys Tun. Als dieser jetzt mit drohend in Falten liegender Stirn erklärte, mit dem Brief sei ein schändlicher Vertrauensmißbrauch getrieben, zuckte der vielseitige Notar nur kühl die Achseln und erwiderte, diese Bemerkung genüge vollauf für eine Beleidigungsklage.

Morley ließ sich jedoch so leicht nicht einschüchtern. „Ich bin hier zwar ganz fremd und eben erst mit dem Dampfer von Panama eingetroffen. Aber ich werde mein Recht schon zu finden wissen“, sagte er kalt und erhob sich. „Ich gehe von hier zum englischen Generalkonsulat. Und dieses wird dafür sorgen, daß Sie zur Verantwortung gezogen werden. Als Notar sind Sie verpflichtet, hinterlegte Gegenstände unberührt zu lassen.“

Gerade Morleys eisige Ruhe zeigte Galetta, daß mit diesem jungen Manne nicht zu spaßen sei. Unauffällig drückte er ein paarmal auf einen in die Platte seines Schreibtisches eingelassenen Knopf. Gleich darauf betrat ein riesiger, europäisch gekleideter Mulatte das Zimmer.

„Geleite den Herrn hinaus, Manuel“, befahl der Anwalt kurz.

Dabei winkte er seinem Vertrauten vielsagend mit den Augen zu.

Der Mulatte öffnete jetzt eine niedrige Tapetentür, die in einen langen, halbdunklen Gang führte. Es war dies jedoch nicht die Tür, durch die Morley vorhin eingetreten war.

Trotzdem schritt der junge Mann jetzt ahnungslos, den Brief in die Brusttasche seines Rockes schiebend, hinter dem Mulatten her den Gang entlang. Nun stieß dieser eine Tür zur Linken auf, blieb stehen und machte eine höfliche, einladende Handbewegung.

Gleich darauf erhielt Morley einen kräftigen Stoß in den Nacken, flog vornüber und schlug mit dem Kopf hart gegen die Wand, so daß er für einige Minuten die Besinnung verlor. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in völliger Finsternis. Aber ein paar schnell angestrichene Zündhölzchen belehrten ihn bald, daß er noch am Boden desselben Zimmers lag, welches er nur für einen Durchgangsraum gehalten und in das der Mulatte ihn soeben gewaltsam hineinbefördert hatte. Vorhin hatte hier freilich an der Decke eine dreiarmige, elektrische Krone gebrannt. Die war jetzt ausgeschaltet worden.

In dem mittelgroßen Gemach standen lediglich an den Wänden hohe Aktenregale. Fenster besaß es nicht. Und die Tür war, wie Morley sich überzeugte, von innen mit Eisenblech beschlagen und offenbar sehr dick, besaß auch keinerlei Drücker oder Schloß, sondern nur einen runden Knopf, der aber nur als Handgriff dienen sollte.

Morley war in eine Falle geraten. Er hatte Galetta als Gegner doch unterschätzt. – Kaltblütig überdachte er jetzt seine Lage. Nach einer Weile öffnete er dann seines Freundes Patterson Brief und las ihn, während er ein Zündhölzchen nach dem andern anrieb. Das elektrische Licht dieses Aktenraumes ließ sich ja leider nur von draußen einschalten.

Callao, den 1. Dezember 1914.

Lieber Morley! Dir als dem einzigen Menschen, zu dem ich volles Vertrauen habe, teile ich folgendes mit. Meine Reise nach Hongkong, von der ich Dich letztens in Kenntnis setzte (gleichzeitig schrieb ich Dir von diesem für Dich bestimmten, bei dem Notar Galetta hinterlegten Briefe und den Bedingungen, unter denen Du berechtigt bist, die Aushändigung dieses Briefes zu verlangen), wurde von mir nur zum Schein unternommen. Der eigentliche Zweck dieser Fahrt, die mich durch die Südsee und in die Nähe der Gesellschaftsinseln führen mußte, war der, ein einsames Koralleneiland zu besuchen, das ich im vorigen Jahre zufällig zu betreten Gelegenheit hatte, als ich zu meinem Vergnügen drei Monate lang auf dem Walfischfänger „Lady Minto“ (die Gattin des früheren Vizekönigs von Indien kann sich durch diese tranduftende, schmutzige Namensschwester kaum sehr geehrt fühlen!!) im Stillen Ozean kreuzte. – Auf dieser Insel – es ist ein sogenanntes Atoll, ein ringförmiges Koralleneiland mit einer Lagune in der Mitte – erlebte ich etwas, das tatsächlich wie ein Kapitel aus einem Abenteurerroman klingen mag. In der Lagune jenes Atolls erhebt sich nämlich ein Korallenfelsen, auf dem ein von Korallenkalk völlig überzogenes Wrack wie festgenagelt liegt. Das Wrack fand ich nun von einem offenbar irrsinnigen Greise, einem Deutschen, bewohnt, der, mit Schußwaffen gut versehen, mir den Zutritt zu seiner merkwürdigen Behausung sehr energisch verwehrte. Es gelang mir dann, aus dem verrückten Menschen mancherlei herauszulocken, woraus ich schloß, daß das von den Korallen so vollständig gepanzerte Schiff im Jahre 1859 ein paar an dem großen indischen Aufstand beteiligt gewesene vornehme Inder samt ihren Reichtümern hatte nach Amerika bringen sollen, dann aber in einem Orkan gescheitert, untergegangen und durch ein Seebeben erst nach Jahrzehnten wieder gehoben war. Jener Wahnsinnige betrachtete sich als den Hüter der noch in dem Wrack befindlichen Schätze, ließ sich jedoch durch nichts dazu bewegen, mich in seine leicht zu verteidigende Behausung hineinzulassen. Leider war ich nun nicht der einzige, der von diesem wertvollen Geheimnis des Wrackes erfuhr. Zwei zur Besatzung des Walfischfängers gehörige Mestizen waren Zeugen meiner Verhandlungen mit dem Alten, so daß ich später mit ihnen notwendig gemeinsame Sache machen mußte. Ich habe sie denn auch mit auf meine Reise genommen, ebenso ein seetüchtiges Segelboot, mit dem ich jenes Eiland anlaufen will, um mir die indischen Schätze zu holen. Ich beabsichtige, mich von dem Dampfer „Präsidento Maraso“, der nach Hongkong bestimmt ist, nördlich der Gesellschaftsinseln mit meinem Boot aussetzen zu lassen. Da ich nun jedoch nicht voraussehen kann, ob dieses Unternehmen ganz glatt abläuft, hinterlege ich aus Vorsicht diesen Brief. Wird er Dir übergeben, so ist dies ein Beweis dafür, daß sich tatsächlich irgend etwas Unvorhergesehenes ereignet hat, wodurch ich verhindert worden bin, wieder in bewohnte Gegenden zurückzukehren. Vielleicht weile ich auch gar nicht mehr unter den Lebenden, wenn Du diese Zeilen liest. In diesem Falle sollst Du versuchen, aus meinem Geheimnis Nutzen zu ziehen. Jedenfalls aber bitte ich Dich, Nachforschungen anzustellen, was aus mir und meinen Gefährten, den beiden Mestizen, geworden ist. – Das Eiland liegt etwa hundert Seemeilen nordwestlich der Gesellschaftsinseln auf dem 144. Grad westlicher Länge. Näher vermag ich Dir seine geographische Lage nicht zu bezeichnen.

Erwähnen will ich noch, daß ich den wirren, unzusammenhängenden Angaben des Alten natürlich nicht ohne weiteres getraut und die Summen, die meine Expedition nach dem Atoll kostete, nicht etwa leichtsinnig aufs Spiel gesetzt habe. Im Gegenteil – gewissenhafter wie ich konnte niemand die geschichtlichen Einzelheiten des großen indischen Aufstandes 1857 bis 1859 mit den halbverrückten Äußerungen jenes Greises vergleichen als ich. Plowners dreibändige Geschichte jenes blutigen Krieges enthält nun eine Stelle, an der davon die Rede ist, daß der Sohn der entthronten Königin von Audh mit zwei anderen indischen Fürsten, die sich gleichfalls den Rebellen angeschlossen hatten, auf der Hamburger Brigg „Ariadne“ aus Indien unter Mitnahme der Diamantenschätze seiner Ahnen glücklich entkommen sei, daß die englischen Behörden dann aber trotz weitgehendster Ermittlungen nie herausbekommen hätten, wo der deutsche Segler die Flüchtlinge abgesetzt habe beziehungsweise was aus ihm überhaupt geworden sei. Da nun ferner jene drei nie wieder auftauchten, nimmt Plowner an, daß die „Ariadne“ ihr unbekanntes Ziel nie erreicht hat, sondern irgendwo samt den Schätzen der Könige von Audh auf dem Grunde des Meeres ruht. – Diese Stelle in dem berühmten Geschichtswerk genügte, um alle meine Zweifel zu beheben. –

Leb’ wohl jetzt, alter Freund! Wir haben stets treu zusammengehalten! Und deshalb vertraue ich gerade dir mein Geheimnis an! Vielleicht ist es das Geheimnis eines Toten! Suche dieses aufzuklären!

Dein alter James Patterson

– – – – – – – –

Morleys Zündhölzchen waren gerade bis auf zwei verbraucht, als er mit der Durchsicht des seltsamen Briefes, von dessen Inhalt sich Galetta offenbar unrechtmäßiger Weise Kenntnis verschafft hatte, fertig war.

Das vorletzte Streichholz benutzte er dazu, sich nochmals die Angaben über die geographische Lage des Koralleneilandes einzuprägen.

Während dieses Hölzchen noch glimmte, wurde plötzlich die elektrische Beleuchtung des Aktenaufbewahrungsraumes eingeschaltet. Gleich darauf trat der Notar in Begleitung des riesigen Mulatten ein.

„Master Morley“, begann er mit übertrieben höflicher Verbeugung, „die vielen abgebrannten Reste der Zündhölzer und der Brief in Ihren Händen besagen mir, daß Sie diesen inzwischen gelesen haben. Ich brauche Ihnen daher nur noch meine Ansicht über Ihres Freundes Geheimnis kurz mitzuteilen, dessen an Sie gerichtetes Schreiben ich letztens einmal in der Zerstreutheit geöffnet habe. Das Geheimnis ist fraglos nicht ohne Wert, und ich komme, um Ihnen den Vorschlag zu machen, mich sozusagen als Teilhaber bei diesem Geschäft anzunehmen. Ich besitze eine kleine Dampfjacht, die noch heute mit meinem Sohn Charles nach der Südsee auslaufen soll. Meiner Ansicht nach ist Patterson ein Unglück zugestoßen. Mithin würden die Schätze der Könige von Audh dem gehören, der sie sich zuerst holt. Ich will nun großmütig sein und Ihnen ein Drittel dieser Reichtümer zubilligen, wenn Sie einen Schein unterzeichnen, den ich hier vorbereitet habe und der Ihre und meine Ansprüche aus dem gemeinsamen Geschäft, eben auf der Suche nach den Juwelen des indischen Königssohnes, regelt. Die Unkosten trage ich. – Wollen Sie den Schein unterzeichnen? – Wenn nicht, so sehe ich mich zu meiner eigenen Sicherheit leider genötigt, Sie als Gefangenen meinem Sohne mitzugeben und irgendwo in der Südsee auf ein entlegenes Inselchen aussetzen zu lassen.“

Morley besann sich nicht lange. Er war im Grunde genau so gewissenlos wie der Notar, und seine gemeinsamen Erinnerungen mit seinem Freunde Patterson umfaßten eine Anzahl von Unternehmungen, bei denen ihnen jedes Mittel recht gewesen war, um zu schnellem Verdienst zu gelangen. Kaltblütig, schlauberechnend und vor dem Äußersten nicht zurückschreckend, sagte er sich, daß er schon eine Gelegenheit finden werde, die ganze Beute sich anzueignen.

Trotzdem spielte er, um Galetta zu täuschen, den vorsichtig Zögernden, erklärte dann aber schließlich, alles solle vergessen sein, was der Notar in diesem Falle sich an Schändlichkeiten geleistet habe, wenn der Anwalt fernerhin ihre Abmachungen genau einhalte.

Sodann unterschrieb er die Urkunde, von der er sich ein zweites, von Galetta unterzeichnetes Exemplar aushändigen ließ.

Der Frieden zwischen zwei ziemlich gleichwertigen Schurken war scheinbar geschlossen. Scheinbar! Keiner von beiden hatte ja die Absicht, den Vertrag wirklich zu erfüllen. Einer glaubte den anderen „glänzend eingeseift“ zu haben, wie man zu sagen pflegt.

 

2. Kapitel.

Schiffbruch.

Der Zufall wollte es, daß an demselben Tage, als sich diese soeben geschilderten Ereignisse in Callao abspielten, ein Segelboot langsam vor einem trägen Winde mitten im Stillen Ozean dahinglitt.

Es war ein gedecktes, mit Kuttertakelage versehenes Fahrzeug, in dem auf der Ruderbank zwei Männer saßen.

Männer paßt als Bezeichnung für die beiden nicht ganz, da der eine nur ein langaufgeschossener, kräftiger Knabe war. Ihre von Luft und Sonne tiefgebräunten Gesichter bewiesen, daß sie schon längere Zeit sich in diesen Breiten aufgehalten haben mußten.

Seltsame Abenteuer lagen hinter den beiden Kameraden, die sich gerade in deutscher Sprache darüber unterhielten, ob es ihnen wohl gelingen würde, die den Vereinigten Staaten von Nordamerika gehörigen Washington-Inseln, also neutralen Boden, zu erreichen.

Denn nicht jede der zahlreichen, dem Kontinent von Australien nordöstlich vorgelagerten Inselgruppen durften sie anlaufen, nachdem sie von dem peruanischen Passagierdampfer „Präsidento Maraso“, um einem englischen Kreuzer zu entgehen, heimlich entflohen waren und sich glücklich auf ein einsames Koralleneiland gerettet hatten. Befand man sich doch mitten im Weltkriege, der den gegenseitigen Haß der beteiligten Nationen ins Ungemessene gesteigert hatte, so daß England jede Gelegenheit wahrnahm, auch von neutralen Schiffen Angehörige der Zentralmächte herunterzuholen und irgendwo zu internieren.

Auf der kleinen Koralleninsel, die ihnen Zuflucht gewährt hatte, waren sie Zeugen von dem Tode dreier Männer geworden, die die Habgier dorthin geführt hatte. Der greise Einsiedler, der dort hauste, hatte sterbend dem jüngeren der beiden Deutschen seine merkwürdige Lebensgeschichte anvertraut. Aber seine Kräfte langten nicht mehr hin, ihnen genau den Ort anzugeben, wo die von ihm bisher treu behüteten Schätze eines indischen Königssohnes verborgen waren. Vergeblich hatten die Flüchtlinge sowohl das Wrack der einstigen Brigg „Ariadne“, das mitten in der Lagune, von Korallenkalk über und über bedeckt, auf einem Felsen lag, als auch die ganze Ringinsel durchsucht. Schließlich waren sie dann vor vier Tagen auf dem Segelboot der drei kläglich ums Leben gekommenen Abenteurer in See gegangen, um wieder bewohnte Gegenden, zunächst die Washington-Inseln, zu erreichen. (Ihre früheren Erlebnisse sind in einem der vorhergehenden Bändchen dieser Sammlung unter dem Titel „Das versteinerte Schiff“ veröffentlicht.)

Leider flaute jedoch der anfänglich günstige Segelwind bald ab, so daß sie jetzt kaum noch merklich vorwärtskamen. In dieser endlosen Wasserwüste, über sich den anhaltend klaren Himmel, von dem die Sonne mit sengenden Glutstrahlen herniederbrannte, trieben die beiden Deutschen nun dahin, trotzalledem guten Mutes, da die Hoffnung, auf neutrales Gebiet, eben die amerikanischen Washington-Inseln, zu gelangen, sie wunderbar belebte.

Nur eines bedrückte sie: die Enttäuschung, daß sie die Schätze der Könige von Audh nicht gefunden hatten. Lediglich Enttäuschung war’s, nicht etwa verbissener Ärger, wie geldgierige Naturen ihn vielleicht empfunden hätten. Nein – geldgierig war weder Doktor Herbert Melcher, der junge Gelehrte, noch sein kleiner Freund und Beschützer Eduard Pachnitz. Aber beide hatten es sich in Gedanken bereits so schön ausgemalt, diese Reichtümer, auf die das stolze Britenvolk Anspruch zu haben glaubte, dem von einer Übermacht von Feinden bedrängten deutschen Vaterlande zur Verfügung stellen zu können. – Damit sollte es nun nie etwas werden – leider!

Soeben hatten sie sich wieder hierüber unterhalten – schon zum so und sovielten Male während ihrer erst viertägigen Seereise. Es war geradezu wie ein innerer Zwang, der sie diesen Gegenstand stets aufs neue berühren ließ.

Jetzt sagte der frühere Kajütwärter des Dampfers „Präsidento Maraso“ nachdenklich, indem in sein aufgewecktes Knabengesicht ein ernster Zug trat, der ihn weit älter als seine fünfzehneinhalb Jahre erscheinen ließ:

„Ich weiß nicht, Herr Doktor, aber ich werde das Gefühl nicht los, als ob wir doch nicht so schnell das Suchen nach dem Schatz hätten aufgeben sollen …! Gewiß – die Angaben des alten Matrosen, wo er die Kostbarkeiten verborgen hatte, waren ja insofern recht unsicher für uns, als er durch den Tod verhindert wurde, den begonnenen Satz zu Ende zu führen und nur noch erklären konnte: „Der Schatz liegt unter der schrägstehenden ……“ – Was dieses „schrägstehende“ aber sein sollte, ob Baum, Felsen oder irgend ein Teil des Wrackinneren, das hat der alte Friedrich Jensen wohl nur noch denken, aber nicht mehr aussprechen können. – Seit gestern Abend nun quält mich ein seltsamer Einfall, Herr Doktor. Besinnen Sie sich einmal auf den kleinen, geschützten Hafen im Südwestteil der Insel, wo Patterson sein Boot festgemacht hatte. Dort wurde die eine Seite durch Korallenwände gebildet, die beinahe wie mächtige, aneinandergelegte Steinplatten aussahen. Und eine dieser Platten, es war ungefähr die mittelste, hob sich dadurch von den anderen ab, daß sie schräg nach rückwärts geneigt war und mit der oberen Kante beinahe das Steilufer der Küste berührte. Diese Korallenplatte, wenn man’s so nennen darf, haben wir bei unseren Nachforschungen nicht berücksichtigt. Und diese Nachlässigkeit mache ich mir jetzt schwer zum Vorwurf.“

Doktor Melcher jedoch schüttelte lächelnd seinen feingeschnittenen Gelehrtenkopf.

„Laß gut sein, mein Junge! Wir hätten den Schatz dort ebensowenig gefunden, wie an all den anderen Stellen, die wir als möglicherweise in Betracht kommend untersucht haben. Es hat eben nicht sein sollen …!“

Dann richtete er sich etwas auf und schaute sich, an dem nur schwach gefüllten Großsegel vorüber, in der Fahrtrichtung den östlichen Horizont eine Weile an.

„Jene dunkle Wolke dort will mir nicht recht gefallen, mein kleiner Freund“, sagte er mit leiser Besorgnis in der Stimme. „Merkst du nicht auch, daß es plötzlich recht schwül geworden ist? Die Luft ist offenbar mit Elektrizität überladen. Meine Nerven künden mir das ganz deutlich an. Auch vor jedem Gewitter, mag es auch noch so fern sein, empfinde ich stets eine Unruhe, die mich geradezu ängstigt. Wenn wir nur keinen Sturm bekommen …! Unser Boot mag bei einigermaßen anständigem Wetter ganz seetüchtig sein. Einem Orkan, wie er in diesen Breiten urplötzlich losbrechen kann, dürfte es nicht gewachsen sein.“

Der Doktor sollte nur zu richtig prophezeit haben. Mit unheimlicher Geschwindigkeit verbreiterte die Wolke sich zu einer drohenden, schwarzen Wand, deren gelbliche Ränder sich höher und höher schoben. Der Wind war jetzt ganz eingeschlafen. Die Segel schlugen klatschend hin und her, der Großbaum (untere Stange des großen Segels eines Kutters) pendelte unaufhörlich von einer Seite auf die andere.

Die beiden Gefährten wußten, was ihnen bevorstand. Schleunigst refften sie alles Zeug (Segel) und ließen nur die schmalen Vordersegel stehen. Ebenso stauten sie unter Deck sämtliche Gegenstände weg, die beim Stampfen ihres kleinen Fahrzeuges leicht ins Rollen kommen konnten.

Kaum waren sie hiermit fertig geworden, als auch schon der nahende Orkan mit einzelnen Windstößen als Vorboten und einem fernen Brausen, das schnell in einen tiefen, dröhnenden Orgelton überging, sich meldete. Zum Glück verstand Eduard Pachnitz so viel von der Bedienung eines Seglers, um sofort das Steuer herumzuwerfen, so daß das Boot nun in gerade entgegengesetzter Richtung mit wachsender Geschwindigkeit davonlief.

Und dann kam der Sturm einhergerast, führte einen wahren Wellenberg vor sich her, dessen Schaumkronen in einem phosphoreszierenden Lichte erstrahlten. Tiefe Dunkelheit lagerte über der See. Nicht ein einziger heller Fleck war mehr am Himmel zu sehen.

Jetzt hatte der Wellenberg das Boot erreicht. Einen Augenblick schien es, als wolle er es in die grundlose Tiefe hinabreißen. Angstvoll klammerten der Doktor und Eduard sich fest. Ungeheure Wassermengen gingen über sie hinweg. Aber wie ein Kork hob der festgebaute, winzige Segler sich wieder aus den Fluten empor. Ein Glück war es, daß der Knabe noch im letzten Augenblick die Schiebeluke, die die in die kleine Kajüte hinabführende Treppe nötigenfalls wasserdicht abschließen sollte, zugezogen hatte. So war jetzt nur der vertiefte, viereckige Raum für den Steuermann mit Wasser gefüllt, das sich aber leicht ausschöpfen ließ. – –

Vier Stunden später jagte das Boot noch immer, obwohl der Orkan längst nachgelassen hatte, wie ein wildgewordener Renner über die tobende See dahin. Wunderbar hatte sich das Schifflein bewährt, mehr als wunderbar …! Und Eduard war bald sogar derart kühn geworden, daß er nicht mehr blindlings vom Sturme sich treiben ließ, sondern nach dem Kompaß eine bestimmte Richtung einzuhalten suchte, die den wackeren Segler wieder ungefähr auf das vor vier Tagen verlassene Koralleneiland zuführen mußte.

Freilich – mit der Widerstandskraft der beiden Gefährten war es bereits sehr schlecht bestellt. Der stundenlange Kampf mit den Elementen, das fortwährende Anspannen aller Sinne, die ständige Todesgefahr – all das hatte sie vollkommen erschöpft.

Jetzt kam wieder ein wahrer Wasserberg schäumend und gurgelnd herangebraust, schwang das Boot wie ein mit enormen Kräften ausgestatteter Riese auf seinen Rücken und riß es sekundenlang mit schwindelerregender Eile mit sich fort.

Da stieß der Doktor einen heiseren Schrei aus und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Steuerbord hinüber.

Eduard richtete sich auf. Ein Blick genügte … Dort zur Rechten lag ihre alte Laguneninsel … Sie mußte es sein. Die vom Sturm gepeitschten schlanken Kokospalmen schienen zu ihnen hinüberzuwinken. Da war auch an der Nordseite der hohe Korallenhügel ganz deutlich zu erkennen, in den sich von Osten die Grotte hineinzog, die den beiden Flüchtlingen einmal Zuflucht gewährt hatte, da tauchte auch in einer Lücke in dem grünen Baumgürtel das versteinerte Wrack auf …

Der Knabe jubelte laut auf, stemmte sich gegen das Steuer und hielt auf das Eiland zu … Wäre die haushohe Woge nicht gewesen, so würden sie unfehlbar an der Schatzinsel ahnungslos vorbeigefahren sein …! –

Eduard hatte die Absicht, hart an der Südseite des Eilandes entlangzusegeln, dann zu wenden und unter Wind an der Westseite, wo ruhiges Wasser sein mußte, zu landen. Hier aber versagten seine geringen seemännischen Kenntnisse. Er hatte mit der Strömung nicht gerechnet, die jetzt das Boot erfaßte und unaufhaltsam der tollen Brandung zutrieb. Alles Mögliche versuchte der Knabe. Aber weiter und weiter eilte das kleine Fahrzeug der Riffreihe zu, die sich als eine Verlängerung des kleinen Hafens im Südwesten gut zweihundert Meter in die See hineinerstreckte.

An den Riffen glücklich vorüberzukommen war ausgeschlossen. Noch wenige Minuten, und das Boot würde scheitern, in Trümmer gehen. Dann war den Insassen der Tod gewiß …

In dieser höchsten Not faßte Eduard Pachnitz einen verzweifelten Entschluß. Ein paar Worte genügten für den Doktor. Das Großsegel entfaltete sich. Und tief neigte sich das Boot nach Backbord über, richtete sich wieder auf, raste vorwärts, … gerade auf die Brandung zu, hinter der in fünfzig Meter Entfernung die steilen Ränder der Laguneninsel fast senkrecht in die See abfielen.

Im Nu hatte Eduard das Steuer festgebunden, schnitt den an dem niedrigen Kajütenaufbau festgeklammerten Rettungsring los und streifte ihn über die Brust.

Herbert Melcher tat ein gleiches. – Und jetzt waren sie mitten in dem Hexenkessel, in dem infernalischen Konzert der Brandung, jetzt schrammte der Kiel über ein verborgenes Riff. Dann ein Ruck … Der Mast ging über Bord, war wie ein Streichholz geknickt. Aber die nächste Woge hob das Boot noch einmal empor, schmetterte es dann seitlich in die brodelnden, weißen Gischtmassen … und nahm auch die beiden armseligen Menschenkinder spielend wie dürres Laub mit fort …

Eduard hatte im letzten Augenblick krampfhaft die Linke in des Doktors Rock gekrallt, ließ nicht los, so sehr auch die Brandung sich mühte, die Freunde zu trennen.

Eine gütige Vorsehung wachte über sie. Zerschunden, mit Beulen bedeckt, mehr tot als lebendig erreichten sie das steile Ufer, diese hohen Korallenfelsen, an denen einst Millionen von Korallenpolypen viele Jahrhunderte gearbeitet hatten. Von Zacke zu Zacke kletterten sie an einer geeigneten Stelle höher und höher. Nun waren sie oben auf der Höhe angelangt, sanken willenlos in das Gras unter einer niedrigen Pandane, die hier dicht am Rande Wurzel geschlagen hatte.

Vor Ermattung schliefen sie sofort ein. Über sie hinweg raste die Windsbraut, über ihnen rauschten die hellgrünen Blätter des sturmgeschüttelten Tropenbaumes. Sie hörten nichts … Stunde um Stunde verrann. – Längst blinkten die Sterne von dem wieder wolkenfreien Himmel herab, als Eduard als erster erwachte. Er rüttelte den Doktor. Der hatte gerade so angenehm von seinem Berliner Gelehrtenheim geträumt, von einer reichgedeckten Mittagstafel und seiner treusorgenden Mutter, die ihm die Wirtschaft führte …

Verwundert schaute Herbert Melcher um sich. Dann aber lächelte er ein wenig.

„Da wären wir ja glücklich wieder so weit, wie wir vor etwa vier Monaten waren, als wir nach der Flucht von Bord des „Präsidento Maraso“ hier landeten“, sagte er, sich die feuchten Haare aus der Stirn streichend.

Aber Eduard Pachnitz schüttelte energisch den Kopf.

„Erlauben Sie, Herr Doktor …!! Sie übersehen, daß wir jetzt sofort wieder das Wrack beziehen können, das uns nach dem Tode des alten Friedrich Jensen als Wohnung diente, während wir nach den Schätzen der Könige von Audh suchten.“

Der Schatz …!! – Das eine Wort brachte Leben in des Doktors zusammengesunken dasitzende Gestalt.

„Junge – kleiner Freund, – richtig, die Juwelen!“ meinte er eifrig. „Nun haben wir ja Gelegenheit zu prüfen, ob die Vermutung zutrifft …!“

Eduard gähnte und reckte sich. „Juwelen hin, Juwelen her …! Erst will ich schlafen – schlafen auf einem weichen Lager bis in den hellen Tag hinein …! – Kommen Sie, Herr Doktor, – suchen wir unsere alte Grotte auf. Der Seetang, auf dem wir seinerzeit ausgeruht haben, muß noch vorhanden sein, auch der kleine Herd, in dem so gemütlich unser Feuer prasselte. Jetzt noch die Lagune zu durchschwimmen – nein, dazu habe ich keine Lust! – Schade, daß wir unser kleines Floß zerstört haben, bevor wir die Reise nach den Washington-Inseln antraten! Da hätten wir so schön trockenen Fußes nach unserem versteinerten Schiff hinübergelangen können.“

Hinkend und sich gegenseitig stützend traten sie dann die kurze Wanderung nach dem Nordteil des Ringeilandes an, wo jener mächtige Korallenfelsen sich erhob, der nach Osten zu eine tiefe Aushöhlung besaß. Langsam schritten die Gefährten zunächst dem flachen Innenstrande zu, hatten nun die stille Lagune vor sich, in deren Mitte auf breitem Korallensockel das kalküberzogene Wrack lag. Jeden Schritt Bodens kannten sie hier, beinahe jeden einzelnen Baum. Es war ihnen, als ob sie nach kurzer Abwesenheit an eine liebe Heimatstätte zurückgekehrt seien. –

Des Doktors Feuerzeug hatte dicht gehalten. Bald knisterten in der Grotte die Flammen, fraßen gierig an den trockenen Zweigen. Rötlicher Lichtschein huschte über die grauen Wände hin, beleuchtete Herbert Melchers Gestalt, die langausgestreckt auf den trockenen Seepflanzen im Hintergrunde sich behaglich dehnte. – Eduard kam mit einigen Pandanenfrüchten herein, die er draußen schnell aufgelesen hatte. Eine kurze Mahlzeit, neues Holz auf das Herdfeuer, – und dann wurde es still in der Grotte. – –

 

3. Kapitel.

Um Millionen.

Neu gestärkt erhoben die beiden Kameraden sich am folgenden Tage erst gegen Mittag von ihren Lagerstätten.

Heller Sonnenschein lag über dem Eiland. Ein leiser Wind rauschte nur noch als letzte Nachwehen des Orkanes in dem Blätterschmuck der Bäume. Die zahlreichen Papageien lärmten übermütig in den Zweigen, und selbst die Brandung hatte sich inzwischen wieder beruhigt, so daß ihr gleichmäßiges Brausen nur noch wie etwas Angenehmes von den Gefährten empfunden wurde.

Nachdem sie schnell eine aus Kokosnußfleisch und -milch bestehende Mahlzeit eingenommen hatten, begaben sie sich zunächst zum Südoststrande hinab, wo ihr wackeres Boot Schiffbruch gelitten hatte. Ihre Hoffnung, wenigstens noch einige Trümmer davon aufzufinden, die sie verwerten könnten, erfüllte sich. Die traurigen Reste des kleinen Fahrzeuges – zumeist einzelne Bretter, Planken und Überbleibsel der Inneneinrichtung, hatte die Strömung allerdings auf die im Südwesten der Insel vorgelagerten Korallenriffe geworfen. Sie sofort zu bergen, hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Erst wollten die beiden Deutschen das Wrack besuchen. Es war wie die Sehnsucht nach einem liebgewonnenen Heim, die sie dorthin trieb. Schnell legten sie die Oberkleider ab und durchschwammen die Lagune. Jetzt waren sie neben dem mächtigen Kalkfelsen angelangt, der dem Wrack als Sockel diente. Die Strickleiter hing noch vom Deck des einstigen stolzen Seglers, dem die Naturgewalten eine so merkwürdige letzte Ruhestätte gegeben hatten, herab, und eiligst kletterten die beiden an Bord, um durch den einen Deckaufbau in die beiden Kajüträume hinabzusteigen, die vor ihnen der Matrose Friedrich Jensen wahrscheinlich mehr denn zwanzig Jahre bewohnt hatte.

Dieser mußte, obwohl sein Geist zeitweilig durch die Schrecken jenes Erdbebens völlig umnachtet war, welches die mitten in der Lagune gesunkene Brigg nach vielen Jahren, als die Korallenpolypen die ganzen Außenteile des Schiffes bereits mit ihren Kalkabsonderungen überzogen hatten, wieder weit über die Flutgrenze gehoben hatte, ein außerordentlich geschickter und praktisch veranlagter Mensch gewesen sein. Die rostbedeckten, noch vorhandenen Geräte hatte er, soweit er sie brauchte, wieder gesäubert und verwendungsfähig gemacht. Und ganz behaglich ließ es sich in den beiden Schiffskammern hausen, in denen sogar ein kleiner eiserner Ofen nicht fehlte. Auch die übrigen Räume der vollständig aus Eichenholz seinerzeit erbauten Brigg hatten durch das jahrzehntelange Liegen im Wasser verhältnismäßig wenig gelitten, ebenso wie Jensen auch Teile der verschiedenartigen Ladung noch benutzbar gefunden hatte.

Nachdem die Gefährten sich überzeugt hatten, daß in ihrer seltsamen Behausung seit ihrer fünftägigen Abwesenheit keinerlei Veränderungen eingetreten waren, nahmen sie ein paar von den durch Jensens Hand selbstgefertigten Kokosfaserstricken mit und kehrten, die Lagune abermals durchschwimmend, nach der Ringinsel zurück. Sie wollten jetzt zusehen, möglichst viel von den Trümmern des Bootes zu bergen.

Beide, sowohl der Doktor wie Eduard, waren jedoch auffallend schweigsam. Noch hatte keiner den Schatz irgendwie erwähnt. Und doch dachten sie unausgesetzt daran. Jetzt mußte es sich ja herausstellen, ob der Knabe recht behalten würde und die Kostbarkeiten tatsächlich unter der schrägstehenden Kalkplatte des kleinen, natürlichen Hafens am Südweststrande verborgen lagen.

Wenn sie zu den Schiffstrümmern auf den Riffen wollten, mußten sie dicht an dem engen Bassin vorüber. Nun standen sie hoch über diesem auf den gerade hier wildzerrissenen Felsen der Steilküste, schauten hinab auf die schmalen, plattenförmigen Korallenbänke, von denen die eine sich weit zurück dem Felsenufer zuneigte. – Da war es der Knabe, der endlich das Schweigen brach.

„Eigentlich könnten wir doch gleich einmal nachsehen, ob Jensen die Juwelen hier wirklich versteckt hat, wie ich vermute“, meinte er, möglichst gleichgültig tuend. Und doch sah es in Eduard Pachnitz’ Innerem ganz anders aus. Die Entscheidung stand bevor. Ihm klopfte das Herz vor Aufregung und Spannung.

„Das könnten wir!“ entgegnete der Doktor kurz, dem es, was seine Gemütsverfassung anbetraf, nicht viel anders ging.

Gleich darauf standen sie nebeneinander auf dem Felsenabsatz, dessen Wand die merkwürdigen Korallenkalkplatten bildeten. Diese Felsgalerie lag mindestens einen Meter über der höchsten Flutgrenze, so daß, falls sich hinter jener schrägstehenden einzelnen Platte das Versteck befand, der Ort vor den Unbilden der Witterung und dem Seewasser aufs beste geschützt war.

Die betreffende Platte war unregelmäßig viereckig, gut anderthalb Meter breit und zwei Meter hoch. Jetzt zwängte sich der schlanke Junge in den Raum zwischen dem Felsgestade der Küste und dem schrägen Korallenfelsstück hinein. Der Boden war hier wie überall in der Nähe mit Trümmern von Korallen bedeckt. Eduard scharrte sie mit den Händen zur Seite. Dann stieß er plötzlich ein lautes „Hurra – ein Stück Eichenbrett!!“ aus. –

Das Brett war über eine breite Spalte gedeckt, die sich tief in das Kalkgestein hineinzog. Und in dieser Spalte ruhte in einem zermürbten, brüchigen ledernen Sack der Schatz der Könige von Audh.

Der Sack war schwer, so schwer, daß es Eduard einige Anstrengung kostete, ihn herauszuheben und dem Doktor zuzureichen. – Die Trümmer des Bootes waren vergessen, vergessen war all die Todesangst des verflossenen Sturmtages … Auf dem Felsenabsatz zu Füßen der beiden Kameraden gleißte, funkelte und sprühte es in den Falten des schnell geöffneten unscheinbaren Behältnisses in allen Regenbogenfarben. Diamanten, vom wasserklaren, farblosen bis zum noch kostbareren schwarzen, ferner Smaragde und Saphire waren in allen Größen und Schliffarten vertreten, teils zu Schmuckstücken vereinigt in schwer goldenen, altertümlichen Fassungen, die meisten aber ohne Fassung. Daneben gab es Perlen und Perlenschnüre von wunderbarster Schönheit und ganz unschätzbarem Wert. Und all diese Reichtümer hatten, als sei es nutzloser Tand, bunt durcheinander in dem löcherigen Ledersack gelegen, hatten früher die Prachtgewänder der jetzt längst von den Engländern entthronten Könige von Audh geschmückt und lagen nun hier weitab von dem Märchenlande Indien, ihrer Heimat, auf dem Felsenvorsprung des kleinen Laguneneilandes, hell bestrahlt von der warmen Sonne, und schienen mit ihren zuckenden Lichtbündeln dem Äther die Geschichte ihrer mannigfachen Schicksale zu erzählen …

Die beiden Deutschen standen lange Zeit regungslos da, vollständig geblendet von dieser unermeßlichen Pracht, verwirrt von dem Gedanken, daß sie jetzt Besitzer von Millionen und Abermillionen waren …

Dann hob der Doktor dieses oder jenes Stück auf, streichelte es förmlich und gab seinem kleinen Freunde Aufklärung über Art, Namen und ungefähren Wert. Eduard konnte nur immer wieder den Kopf schütteln. Nie hatte er geahnt, daß ein Stein von Fingergliedgröße, ein durchsichtig klarer Smaragd, überhaupt kaum noch abzuschätzen sei. Aber das richtige Verständnis für die Begeisterung des Doktors besaß er doch nicht. Bald wurden ihm des älteren Gefährten beinahe andächtige Erläuterungen langweilig. Und schließlich meinte er, schon etwas ungeduldig:

„Alles sehr schön, – aber die Bergung der Bootstrümmer, die für uns so wichtig ist, dürfen wir über dem Schatz nicht vergessen …! Kommt ein neuer Sturm auf, so werden sie womöglich weggeführt. Und das darf nicht geschehen. Die Planken brauchen wir ja zu einem Floß für die Lagune nur zu nötig.“

So wurden die Kostbarkeiten denn zunächst wieder in ihr altes Versteck getan. Den Rest des Tages waren die Kameraden vollauf damit beschäftigt, die Trümmer des Bootes mittels Stricke über die Riffe nach der Insel zu ziehen, wo sie dann abends so viel Bretter zusammen hatten, um daraus ein Floß herstellen zu können, das ihnen gestattete, das versteinerte Schiff trockenen Fußes zu erreichen. Vor Einbruch der Dunkelheit fand dann noch die Überführung des Schatzes in das Wrack statt. Hier hatte Eduard inzwischen einen vortrefflichen neuen Aufbewahrungsort ausgekundschaftet, der für einen Uneingeweihten vollständig unauffindbar war. Auf dem mit Korallenkalk gleichfalls überzogenen Deck der ehemaligen deutschen Brigg gab es vorn an der Spitze in dem Kalküberzuge eine bis auf die Holzplanken herabgehende Aushöhlung, die dadurch entstanden war, daß durch irgend welche Einflüsse ein keilförmiges Stück sich losgelöst hatte. Benutzte man die abgesprengte, breite Grundfläche dieses Keiles, der genau in die Öffnung hineinpaßte, als Deckel, so war bei der rauhen, unregelmäßigen Oberschicht des gesamten Korallenüberzuges selbst für das schärfste Auge dieses Versteck nicht herauszufinden. – –

Fünf Tage gingen nun für die beiden Gefährten ohne besondere Ereignisse hin. Der Doktor und Eduard führten jetzt wieder im allgemeinen dasselbe Leben wie in den verflossenen Monaten, als sie vergeblich fast jeden Quadratmeter des Eilandes nach den indischen Kostbarkeiten abgesucht hatten. Das Wetter blieb anhaltend klar und windstill, und infolge des Früchtereichtums der Insel, der alle Nahrungssorgen von ihnen fernhielt, hätten sie sich eigentlich recht zufrieden und glücklich fühlen können, wenn sie jetzt nicht ständig von dem heißen Wunsche beseelt gewesen wären, irgendwie Mittel und Wege zu finden, ihr Eiland verlassen und die Washington-Inseln erreichen zu können. Besonders der unternehmungslustige Knabe war es, der allen Ernstes mit dem Plane umging, ein seetüchtiges Boot zu bauen, ein Gedanke, der insofern recht nahe lag, als der alte Matrose ihnen eine ganze Menge teils selbstgefertigten, teils leidlich wiederhergestellten Handwerkszeuges hinterlassen hatte, mit dessen Hilfe es bei der nötigen Geduld und Geschicklichkeit wohl möglich sein mußte, ein einigermaßen brauchbares Fahrzeug zusammenzuzimmern.

Am Abend dieses fünften Tages hatten die Kameraden gerade einen Spaziergang um ihre Laguneninsel herum gemacht und dabei den hohen Hügel im Norden erklettert, um von hier aus den nach Sonnenuntergang prachtvoll in rotem Glanze erstrahlenden Horizont zu bewundern, als der Doktor plötzlich mit einem Ruf der Überraschung nach Nordosten deutete, wo soeben auf der schon dämmerigen See die verschwommenen Umrisse eines hellgestrichenen Dampfers, dessen Schornstein eine lange Rauchfahne hinter sich herzog, aufgetaucht waren und zusehends schärfer und schärfer hervortraten.

Eduards kundige Augen hatten in dem sich nähernden Schiff sofort eine schlankgebaute, mittelgroße Privatjacht erkannt. Das Gefühl freudiger Überraschung, das die beiden Robinsons im ersten Augenblick über den bevorstehenden Besuch des weißen, eleganten Dampfers empfunden hatten, wurde jedoch nur zu bald von allerlei wohlberechtigten ernsten Bedenken abgelöst. Die Möglichkeit, daß es sich um ein feindliches, wahrscheinlich englisches Schiff handelte, lag nur zu nahe. In diesem Falle wäre es mit der Freiheit der beiden Deutschen und all ihren schönen Plänen endgültig vorbei gewesen. Aber selbst wenn die Jacht eine neutrale Flagge führte, so war es mehr als gewagt, sich dem unbekannten Besitzer oder Kapitän anzuvertrauen. Es ließ sich kaum bewerkstelligen, den Schatz mit an Bord zu nehmen, ohne durch dieses einzige Gepäckstück die Neugierde der Fremden zu erregen. Und die Habgier ist ja nur zu leicht geweckt, und mit ihr alle schlechten Instinkte, die im Menschen schlummern …! – Mithin bedeutete das Auftauchen der Jacht letzten Endes für die beiden Kameraden nur eine Quelle der verschiedensten Befürchtungen. Nach kurzem Beratschlagen einigten sie sich dahin, das Dampfboot zunächst zu beobachten und durch keinerlei Zeichen ihre Anwesenheit zu verraten. Alles weitere mußte sich dann aus den Umständen ergeben.

Die Dunkelheit brach jetzt mit der tropischen Gegenden eigentümlichen Plötzlichkeit herein. Immerhin blieb es aber hell genug, um die Jacht von der Höhe des Felsens aus mit den Augen weiterverfolgen zu können. Langsam umfuhr der schlanke Dampfer das Eiland und ging schließlich unter Wind an der Südseite vor Anker. Da er dann kein Boot aussetzte, nahmen die Gefährten an, das fremde Schiff würde erst nach Tagesanbruch Leute auf das Laguneneiland schicken, die sich hier vielleicht nach Trinkwasser umsehen oder frische Früchte einsammeln sollten. In welcher Absicht konnte wohl auch sonst die Jacht das einsame, kleine Inselchen angelaufen haben?! – Dieser Gedanke beruhigte die Freunde etwas. Sie sagten sich, daß die Matrosen der Jacht sich kaum die Mühe machen würden, nach dem merkwürdigen Felsen in der Lagune, den sie als versteinertes Wrack kaum zu erkennen vermochten, hinüberzuschwimmen. Trotzdem schlug der vorsichtige Eduard vor, man solle die Nacht über abwechselnd am Südstrande Wache halten und den Dampfer fortgesetzt beobachten.

Der wackere Junge übernahm dann auch freiwillig die erste Wache. Inzwischen sollte der Doktor zunächst alles vorbereiten, damit das Floß durch Beschweren mit Korallenfelsstücken jeder Zeit schnell versenkt werden könnte, und sich dann in der Nähe von Eduards Beobachtungsstelle unter den Bäumen zur Ruhe niederlegen.

Nachdem jeder sich noch mit einem der Vorderladergewehre bewaffnet hatte, die die gescheiterte Brigg in verlöteten Kisten als für Mexiko bestimmte Ladung im Raum gehabt und die der alte Jensen auch gelegentlich sehr wirkungsvoll zur Verteidigung des Wracks benutzt hatte, wurde alles ganz programmäßig ausgeführt.

Eduard hatte am Außenstrande unter einem Brotfruchtbaum Posten bezogen. Von hier aus vermochte er die Jacht deutlich zu erkennen. Herbert Melcher lag nicht weit davon, eingehüllt in ein großes Stück Ölleinwand, im Grase und war auch bald eingeschlafen. – Der Knabe neigte jetzt doch mehr der Ansicht zu, daß es mit dem Dampfer eine eigene Bewandtnis haben müsse. Dieser hatte nämlich sämtliche Lichter ausgelöscht. Nirgends zeigte sich an Bord der Schein einer der von den internationalen Bestimmungen für ankernde Schiffe vorgeschriebenen Laternen. Nicht ein einziges der Fenster des Heckaufbaus war auch nur für einen Moment erleuchtet worden. Das machte die Jacht unbedingt verdächtig. Offenbar wollte sie vermeiden, von zufällig vorbeikommenden Fahrzeugen bemerkt zu werden.

So nahte die Mitternachtstunde. Mittlerweile war das unzählige Heer der Sterne am nächtlichen Firmament mit glitzernder Pracht aufgegangen und hatte die Dunkelheit in eine mäßige Dämmerung verwandelt. Daher bemerkte der wachsame Knabe auch frühzeitig einen dunklen Punkt, der mit einem Male sich von der Jacht loslöste und dem Lande zustrebte. Es schien eine Jolle zu sein, eins der kleineren Boote des Dampfers. Besetzt mit nur zwei Personen, strebte sie lautlos und unter Vermeidung jedes Rudergeräusches der Insel zu. Auch diese offensichtliche Absicht, selbst den geringsten Lärm zu verhüten, vermehrte noch Eduards Argwohn. Er gewann den bestimmten Eindruck, daß die Insassen der Jolle sich heimlich von der Jacht entfernt hatten, deren übriger Besatzung dieser nächtliche Ausflug ohne Zweifel verborgen bleiben sollte.

Schnell weckte er daher den Doktor. Als das kleine Boot unter Wind einen passenden Landungsplatz suchte und durch einen ihm günstigen Zufall durch die vorgelagerten[1] Riffe den natürlichen, engen Hafen im Südwesten aufgefunden hatte, mußte Doktor Melcher schleunigst mit dem Floß nach dem Wrack zurückkehren und ersteres dann versenken. Der Knabe blieb noch auf der Insel, um womöglich die beiden fremden Männer zu belauschen und etwas über deren Absichten zu erfahren.

Dies gelang ihm wirklich. – Das kleine Boot stellte sich als einer jener leicht fortzuschaffenden, zusammenlegbaren Nachen heraus, die, mit wasserdichtem, starkem Stoff überzogen, in Gegenden mit stromschnellenreichen Flüssen gern benutzt werden, um in der Lage zu sein, die Fahrzeuge um die gefährlichen Wasserfälle auf dem Lande herumtragen zu können. Auch die beiden Männer schafften das Boot, nachdem sie kaum den winzigen Hafen erreicht hatten, über die Steilküste hinweg auf das Trockene, ohne sich vorher über die Beschaffenheit der Insel zu unterrichten. Dieses Verhalten bewies deutlich, daß ihnen das Vorhandensein des Felsens in der Mitte der stillen Lagune bekannt sein mußte, womöglich auch der wahre Charakter des seltsam geformten Korallenblocks, der oben auf dem breiten Felssockel ruhte. – Eduards Schreck war infolgedessen nicht gering. Sofort dachte er an den Engländer Patterson, der mit seinen beiden Begleitern hier auf der Ringinsel vor etwa drei Monaten ein gewaltsames Ende gefunden hatte. Patterson hatte das Geheimnis des versteinerten Schiffes gekannt, und die Möglichkeit war nicht ausgeschlossen, daß er vor Antritt seiner Reise zur Auffindung der Schätze der Könige von Audh noch dritte Personen hinsichtlich des Zweckes seines Abstechers in die Südsee ins Vertrauen gezogen hatte.

Gleich darauf sollte Eduard dann über diese Fragen Gewißheit erhalten. Die beiden Männer hatten mit dem Transport des Stoffbootes über die Insel hinweg genug zu tun und kümmerten sich nicht viel um ihre Umgebung, mochten auch überzeugt sein, daß das Eiland unbewohnt sei. Daher konnte der Knabe sich auch, ohne Gefahr zu laufen, ganz in ihrer Nähe halten.

Jetzt sagte einer der Fremden, ein schlanker, sehniger Europäer, zu dem anderen, der gleichfalls der weißen Rasse angehörte und ebenfalls eine Art Sportanzug aus grauem Leinen trug, in englischer Sprache:

„Hallo, Galetta, da ist ja der Felsen …! Schaun Sie – genau wie Patterson ihn in seinem hinterlassenen Briefe beschrieben hat! Wir befinden uns also wirklich am rechten Orte.“

Diese Äußerung genügte Eduard vollkommen.

Während die beiden Männer nun ihr Boot wieder fahrbereit machten, schwamm er von der Nordseite der Lagune her, so daß das dazwischenliegende Wrack ihn deckte, nach diesem hinüber. In steigender Hast teilte er hier dem Doktor alles Nötige mit.

Der nickte ernst und entschlossen.

„Freiwillig geben wir den Schatz nicht heraus! Da stimme ich Dir bei! Es geht um Millionen, die uns rechtmäßig gehören. Wir werden sie zu verteidigen wissen …!“

 

4. Kapitel.

Eine Belagerung.

Charles Galetta, der Sohn des gewissenlosen Notars, führte in dem Stoffboot die Ruder.

„Kein Mensch würde dem Dinge da ansehen, daß es ein von den Korallen mit Kalk gepanzertes Schiff ist, Morley!“ sagte er, den Kopf nach dem mächtigen Felsen hinwendend.

Der Freund Pattersons war sehr schweigsam geworden und nickte nur zerstreut. Soeben hatte er auf dem etwas schrägliegenden Deck des Wracks etwas wie einen dunklen Schatten gesehen, der aber schnell wieder verschwand. „Zum Teufel, da drüben sind Menschen – zum mindesten einer“, flüsterte er Galetta, einem recht verlebt aussehenden, schwächlichen Burschen von einigen zwanzig Jahren, zu. „Sollte es Patterson oder einer der Mestizen sein …?!“

Leise Enttäuschung klang durch die letzten Worte hindurch. Hatte er sich doch schon völlig in den Gedanken eingelebt, daß Patterson tot und er selbst damit der einzige sei, der ein Anrecht auf den indischen Schatz habe; denn mit Galetta wollte er schon fertig werden. Der sollte sich wundern, wie glatt er mit ihm für die Vergewaltigung im Hause des Anwaltes in Callas abrechnen würde …!

Morley wollte sich Gewißheit verschaffen, formte die Hände zum Schalltrichter und rief nach dem Wrack hinüber:

„Patterson he, – bist Du’s, alter Knabe?“

Auf dem versteinerten Schiff blieb alles still. Inzwischen war das Boot bis auf fünfzig Meter dem Felssockel nahe gekommen.

„Die Geschichte will mir nicht gefallen“, meinte Morley zu Charles Galetta. „Rudern Sie langsamer. Für alle Fälle will ich meinen schwarzen Bullenbeißer in Stand setzen …!“

Er zog eine Mehrladepistole hervor und schob die Sicherung zurück.

Da erklang auch schon von der Höhe des Wracks eine drohende Stimme herab:

„Zurück Ihr da im Boot! Ihr habt hier nichts zu suchen!“

Es war der Doktor, der Morley und Galetta dergestalt den Weg nach dem Wrack versperrte. Wider seinen Willen feuerte dann der Knabe sogar einen Schuß ab, freilich hoch in die Luft, also mehr als Schreckmittel als in ernster Absicht. Eduard war ja überhaupt ein leidenschaftlicher Schütze, und dabei auch ein ziemlich sicherer. In dieser Beziehung konnte Herbert Melcher viel von ihm lernen, der zu sehr Gelehrter war, um irgend einem Sport größeres Interesse entgegenzubringen.

Die beiden Männer in dem Stoffboot hatten es mittlerweile vorgezogen, wieder eine weitere Entfernung zwischen sich und das Wrack zu legen. Dann versuchte Morley es, mit den Bewohnern des versteinerten Schiffes zu verhandeln. Er ahnte ja nicht, daß er zwei Leute vor sich habe und zwar zwei Angehörige jener Nation, die politisch und wirtschaftlich zu vernichten Englands Kriegsziel war. Vielmehr nahm er an, es nur mit dem alten, von Patterson als wahnsinnig hingestellten Matrosen aufnehmen zu müssen, mit dem er durch List leicht fertigzuwerden hoffte. Aber er täuschte sich. Vom Wracke her erhielt er auf alle seine listenreichen Reden keinerlei Antwort. Nichts regte sich dort.

So verging eine gute Viertelstunde. Dann erschienen am Ufer der Lagune mehrere Leute von der Besatzung der Jacht. Der Schuß war auf dem Dampfer gehört worden, worauf der Kapitän der „Alexandra“ – so hieß die Jacht des Notars – sofort ein Boot ausgeschickt hatte um festzustellen, was auf dem Eiland eigentlich vorgehe. – Das Auftauchen der Matrosen kam Morley sehr ungelegen. Hatte er diesen doch nach Möglichkeit den nächtlichen Ausflug nach der Insel verheimlichen wollen, ebenso wie er ihnen auch als den eigentlichen Zweck der Reise lediglich Nachforschungen nach dem Verbleib des verschollenen Patterson angegeben hatte. Selbst der Kapitän, ein Peruaner namens Orgida, war in den wahren Sachverhalt nicht eingeweiht worden.

Galetta mußte jetzt das Stoffboot auf Morleys Geheiß schleunigst an den Lagunenstrand zurückrudern. Der Engländer erklärte den Leuten dann, daß Patterson offenbar drüben auf dem Wrack gefangen gehalten würde und daß man die Pflicht habe, ihn baldigst zu befreien. Die Matrosen, sämtlich faules, träges Volk, waren viel zu beschränkt, um diese Angaben in Gedanken näher nachzuprüfen. Als ihnen Charles Galetta dann noch eine besondere Belohnung versprach, wenn sie wacker bei dem Befreiungswerke mithelfen würden, versprachen sie hoch und heilig, nötigenfalls die Felsenfeste zu stürmen.

Alle kehrten dann an Bord der Jacht zurück, wo sofort eine gemeinsame Beratung zwischen Morley, Galetta, dem Kapitän und dem Steuermann über die zweckdienlichsten Maßnahmen zur Bezwingung des Verteidigers des versteinerten Schiffes stattfand. Hierbei erklärte der verschlagene Morley, der Bewohner des Wracks würde natürlich leugnen, Patterson und vielleicht auch die Mestizen als Gefangene zurückzuhalten. Hierauf sei aber nichts zu geben. Wozu würde wohl sonst der Alte ihm und Galetta so nachdrücklich das Betreten des Wracks verwehrt haben …! – Auf diese Weise suchte der Engländer allen unbequemen Fragen aus dem Wege zu gehen, was ihm auch tatsächlich gelang. Es wurde dann beschlossen, am Morgen den Bewohner der gescheiterten Brigg nochmals zur Übergabe aufzufordern. Sollte dies erfolglos bleiben, so wollte man Gewalt gebrauchen. –

Nach dem Abzuge der Fremden war Eduard sofort auf das Eiland hinübergeschwommen, um auszukundschaften, was die Feinde – als solche mußten die beiden Gefährten die Insassen der Jacht nunmehr betrachten – fernerhin unternehmen würden. Kaum hatte der Knabe gesehen, daß beide Boote nach dem Dampfer zurückkehrten, als er eiligst an den Lagunenstrand hinunterlief und dem Doktor zurief, das Floß, welches mit einem Tau noch mit dem Deck des Wracks verbunden war, wieder hochzuziehen und flottzumachen. Dies war weiter nicht schwierig, da die das Floß in der Tiefe festhaltenden Korallenfelsstücke von selbst herabkollerten, als durch das Tau die eine Seite beträchtlich gehoben wurde.

In größter Hast schafften die beiden Kameraden nun Kokosnüsse und Früchte der zahlreichen Pandanen und Brotfruchtbäume in ihre Wasserfestung. Dabei verabsäumten sie es nicht, zwischenein immer wieder die Jacht zu beobachten, ob von dort nicht etwa ein Boot abstieße. Aber zwei Stunden verstrichen, und die Feinde schickten sich noch immer nicht zu einer neuen Landung an. Dann aber, als im Osten die ersten Anzeichen der Morgendämmerung sich bemerkbar machten, sah Eduard, der an der Südwestküste Wache hielt, ein großes Boot von dem Dampfer her sich nähern. Schnell schwamm er nun nach dem Wrack zurück, wo der Doktor in der letzten halben Stunde, wie zwischen ihnen vereinbart worden war, allerlei Vorbereitungen für den Empfang der gegnerischen Streitmacht getroffen hatte. Das Floß lag schon wieder in der Tiefe der Lagune neben dem Felssockel. Und oben auf Deck standen jetzt hier und da, kleinen Verschanzungen gleich, losgesprengte Stücke der Korallenschicht derart aufgerichtet, daß die beiden Verteidiger des indischen Schatzes, ohne vom Lande aus gesehen zu werden, ihren Platz kriechend bequem wechseln konnten und außerdem auch gegen feindliche Kugeln geschützt waren. Hinter diesen Steinblöcken aber lagen überall geladene Gewehre, von denen die Gefährten im ganzen über einige zwanzig Stück verfügten, die bereits sämtlich von dem alten Jensen in Ordnung gebracht worden waren. Pulver, Kugeln und Zündhütchen besaßen sie ebenfalls reichlich, so daß sie den kommenden Dingen mit ziemlicher Ruhe entgegensahen. Hatte doch Eduard dem zuerst etwas kleinmütigen Doktor klar gemacht, daß die Jacht ihrer Größe nach kaum mehr als zehn Mann Besatzung haben könne, ihn ferner auch darauf hingewiesen, wie schwierig es sei, das Deck des auf dem steilen Sockel ruhenden Wracks zu erklimmen. –

Eine Viertelstunde später, gerade als die Morgenröte den östlichen Horizont in zarte Farben hüllte, kam dann das Stoffboot, welches Morley auf dem Langboot hatte verladen lassen (Langboot ist das größte Rettungsboot eines Seeschiffes), der versteinerten Brigg bis auf achtzig Meter nahe, und der Engländer begann nun unter allerlei Drohungen die seltsame Feste zur Kapitulation aufzufordern. Aus seinen Worten merkten die beiden Gefährten erst, daß die Fremden des Glaubens waren, es nur mit einem einzelnen Manne zu tun zu haben. Gerade dieser Irrtum der Angreifer brachte Eduard auf eine eigenartige List, die aber erst später durchgeführt werden konnte. Zunächst galt es, den Fremden, die mit Hängen, Erschießen und sonstigen Liebenswürdigkeiten drohten, von vornherein gehörigen Respekt einzuflößen. Verborgen hinter den Kalkfelsen, von denen immer zwei so aneinander gelehnt waren, daß sie schießschartenähnliche Öffnungen freiließen, feuerten der Doktor und sein kleiner Freund, ohne auf Morleys Reden auch nur eine Silbe zu erwidern, bald hier, bald dort einen Schuß ab, zielten aber absichtlich stets zu hoch, da sie jedes Blutvergießen nach Möglichkeit vermeiden wollten.

Morley stieß bei diesem heißen Empfang, der ihn schnell zu der Überzeugung brachte, es doch mit mehreren Personen zu tun zu haben, die lästerlichsten Flüche aus, kehrte dann aber doch an das Ufer zurück, wo sich inzwischen die Leute der Jacht unter den Bäumen gelagert hatten und jetzt, nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, nur noch wenig Neigung zu spüren schienen, in offenem Angriff gegen das Wrack vorzugehen, wie sie dies noch in der Nacht mit wenig ernst gemeinten Eiden zugesagt hatten.

Morley versuchte denn auch vergeblich, sie zu einem Sturm auf das Wasserfort zu bewegen. Selbst Charles Galettas Geldversprechungen zogen nicht mehr. Die Leute waren nicht gewillt, ihre Haut zu Markte zu tragen, und wenn man ihnen auch ein volles Monatsgehalt als Extrabelohnung hingezählt hätte.

Daher verging denn auch dieser erste Tag ohne weitere aufregende Ereignisse. Die Fremden beschränkten sich darauf, das Wrack ständig vom Lagunenufer aus zu überwachen, wo Morley an drei Punkten Posten aufgestellt hatte.

Infolgedessen konnten die beiden Belagerten auch abwechselnd bis zum Einbruch der Dunkelheit sich zum Schlafe niederlegen, um für die Nacht Kräfte zu sammeln, wo erhöhte Wachsamkeit nötig war. Während der Doktor schlief, fertigte Eduard dann aus Kokosnußfasern und dem Hanf aufgedrehter Taue falsche Bärte und eine Art von Perücken an, die auf die Entfernung die Gesichter der beiden Verteidiger völlig unkenntlich machen mußten. Dies war eben die List, die dem Knaben am Morgen eingefallen war. Dadurch wollte er bei den Angreifern den Eindruck erwecken, als ob sich eine ganze Anzahl von Männern auf dem Wrack befand. Der Doktor erklärte diese Idee für recht eigenartig, zweifelte aber, ob die Fremden sich würden täuschen lassen. –

Der Abend brach an. Die Nacht war sternenklar wie die verflossene. In dem stillen Wasser der Lagune spiegelte sich das Firmament mit seinen glitzernden Lichtern flimmernd und gleißend wider, so daß der Doktor gegen elf Uhr deutlich ein paar Köpfe erkannte, die sich wie dunkle Flecke auf das Wrack zubewegten. Schleunigst weckte er den auf Deck schlafenden Knaben. Ein paar Schüsse genügten dann, die Schwimmer zu verscheuchen.

Morley, der vom Ufer aus den Erfolg dieses Angriffs abwartete, sah ein, daß auf diese Weise den Schatzhütern nicht beizukommen war und befahl, vorläufig alle weiteren Unternehmungen einzustellen.

Ein neuer Morgen zog herauf. Eduard, der gerade Wache hatte, machte sich jetzt das Vergnügen, bald hier, bald da hinter der Brustwehr, stets mit anderen Bärten und Perücken geschmückt, nur für einen Augenblick den Kopf vorzustrecken. Nach einer Weile pfiff dann aber eine Kugel in recht bedrohlicher Nähe an seinem rechten Ohr vorüber und lieferte ihm den Beweis, daß die Feinde mit weittragenden Büchsen ausgerüstet sein mußten. Dies beunruhigte ihn nicht wenig. Die Entfernung vom Lagunenufer nach dem versteinerten Schiff betrug ja allerhöchstens zweihundert Meter, und für einen sicheren Schützen war es daher sehr gut möglich, ein größeres Ziel zu treffen, besonders wenn er einen der breitästigen Brotfruchtbäume erstieg, die in einzelnen Exemplaren dicht am Innenstrande wuchsen und von deren Gipfel aus das Deck des Wracks leicht zu überschauen sein mußte. Der Knabe hoffte zwar, daß die Angreifer nicht auf diesen Gedanken kommen würden. Aber immerhin erschien ihm seine und des älteren Gefährten Lage jetzt doch weniger angenehm und sicher als bisher.

Doch auch dieser Tag verging leidlich ruhig. Die Leute der Jacht durchstreiften das Eiland, sammelten Früchte ein und kümmerten sich wenig um das versteinerte Schiff und seine Verteidiger. Selbst die Nacht brachte keinen neuen Angriff. Aber gerade diese Untätigkeit der Fremden machte die beiden Belagerten nervös. Am Vormittag gegen zehn Uhr sollte die Sache dann jedoch ein ernsteres Aussehen bekommen. Was Eduard im Stillen gefürchtet hatte, trat nun wirklich ein: Morley und der Kapitän, beides gute Schützen, hatten zwei Bäume erklettert und gleichzeitig das Stoffboot, in dem drei Leute hinter eisernen Reservekesselplatten wie hinter Schutzschilden hockten, gegen die Wasserburg vorgehen lassen. Während nun der Doktor und Eduard das Boot unter Feuer nahmen, schlugen um sie her schräg von oben kommende Kugeln ein und ließen die Kalkstücke der Korallenschicht des Decks weit umherspritzen. Zum Glück schützte die Brustwehr sie jedoch so weit, daß auch diese neue Angriffsmethode den Fremden zunächst keinen Erfolg einbrachte. Dann aber erklomm der Engländer einen anderen Baum, von wo aus er das Deck der Länge nach bestreichen konnte. Inzwischen hatte sich das von mehreren Kugeln durchbohrte Stoffboot wieder zurückgezogen. Nun wurde die Lage der Verteidiger eine recht verzweifelte, besonders als auch der Kapitän seinen luftigen Platz gewechselt hatte und ebenso wie Morley das Deck vom Bug nach dem Heck hin zu befeuern vermochte. Nachdem ein Geschoß des Doktors Bein leicht gestreift hatte, blieb den beiden Gefährten nichts anderes übrig, als sich kriechend in das Innere ihrer Festung zurückzuziehen. Sie taten’s schweren Herzens und in der Überzeugung, nun doch sehr bald sich auf Gnade und Ungnade den Fremden übergeben zu müssen. Hinter sich verrammelten sie den einzigen Eingang zu den Räumen des Wracks mit Felsstücken und Planken, die als Brennholz auf dem Deck gelegen hatten. Einige Zeit hofften sie sich ja noch im Innern ihrer Felsenburg behaupten zu können. Aber der Ausgang des ungleichen Kampfes war kaum mehr zweifelhaft, falls nicht irgend ein Wunder geschah.

 

5. Kapitel.

Wie der indische Schatz für immer verloren ging.

Morley, der sich dank seiner geistigen und körperlichen Überlegenheit schnell zum eigentlichen Führer der ganzen Expedition aufgeschwungen hatte, triumphierte. Seine Maßnahmen hatten endlich Erfolg gehabt. An seiner Stelle postierte er nun den Steuermann oben auf dem Baume und bestieg dann mit Galetta allein das Stoffboot, dessen Schußlöcher bald wieder abgedichtet worden waren. Möglichst väterlich-fürsorglichen Tones erklärte er den Leuten der Jacht, er wolle sie nicht den Gewehren der Wrackbewohner aussetzen und daher zunächst nur in Begleitung des Sohnes des Notars das versteinerte Schiff betreten.

Charles Galetta wieder hatte er vorgeredet, es sei besser, wenn sie ohne jeden weiteren Zeugen mit den Verteidigern des Wracks verhandelten – zur besseren Wahrung des wertvollen Geheimnisses. Der junge Galetta ahnte nichts Böses. Und doch trug sich Morley mit den schurkischsten Gedanken. Nachdem er festgestellt hatte, daß in Wirklichkeit nur zwei Leute in der gescheiterten Brigg anwesend waren – Eduards List hatte ihn diese Zahl tatsächlich zuerst weit höher annehmen lassen –, war er überzeugt, daß die kleine Besatzung nunmehr zu Übergabeverhandlungen bereit sein würde. Er wollte den beiden, die er mit Bestimmtheit im Besitze des indischen Schatzes vermutete, einen Teil desselben versprechen, sie dann aber ebenso wie Galetta niederschießen, indem er einen heftigen Kampf vortäuschte, und auf irgend eine Weise die Juwelen heimlich an sich bringen.

Ungehindert gelangten sie mit dem Stoffboot bis an den mächtigen Kalksockel, ungehindert konnten sie einen eisernen Haken, der an einem Tau befestigt war, auf das Deck des Wracks schleudern, wo er sich in einer der Unebenheiten des Kalküberzuges festkrallte. Bald standen sie oben auf dem seltsamen, gepanzerten Fahrzeug, hielten sich aber zunächst in vorsichtiger Entfernung von dem verbarrikadierten Eingang.

Morley näherte sich diesem dann von rückwärts und rief die beiden Verteidiger an, stellte seine Bedingungen, sicherte ihnen freien Abzug und die Hälfte des Schatzes zu, bekam jedoch keine Antwort, so daß er es schließlich wagte, vorsichtig von der Seite her die Barrikade fortzuräumen. Um gegen Schüsse besser gedeckt zu sein, hatten er und Galetta die Kesselplatten mitgebracht, in deren sicherem Schutz das Hindernis bald ganz beseitigt war.

Der Engländer war kein Feigling, obwohl er im übrigen kaum noch eine gute Charaktereigenschaft besaß. Hier lockte noch der Millionengewinn, und deshalb scheute er sich um so weniger, nach Wegräumung der Barrikade in das Innere des Wracks einzudringen. Galetta folgte ihm, indem er ebenfalls eine der Platten wie einen Schutzschild vor den Oberkörper hielt, in der Rechten aber einen schußbereiten Revolver trug. –

Was war inzwischen nun mit den beiden Deutschen geschehen, und aus welchem Grunde setzten sie den Fremden weiter keinerlei Widerstand entgegen …? – Sehen wir zu, was sich mittlerweile im Innern des versteinerten Schiffes zugetragen hatte.

Um die Barrikade noch zu verstärken, war Eduard in den Kielraum der ehemaligen Brigg hinabgestiegen, wo als Ballast eine Menge schwerer Steine auf dem Schiffsboden aufgehäuft waren, die er nach oben tragen wollte, während der Doktor den Eingang bewachte. Beim Schein einer Laterne kletterte der Knabe über den Ballast hinweg. Noch nie waren die Gefährten bis hierher vorgedrungen, hatten sich nur einmal flüchtig überzeugt, daß der Kielraum lediglich einen Haufen Steine enthielt. – Da – plötzlich unter den Füßen Eduards ein dumpfes Krachen, ein Poltern und Splittern von Holz … Unter ihm wich der Boden, und zugleich mit einem Teil des Ballastes sauste er in die Tiefe hinab. Vor Schreck stieß er einen gellenden Schrei aus, umklammerte aber trotzdem krampfhaft die Laterne. Wie durch ein Wunder blieb er bei diesem Sturz bis auf einige unbedeutende Quetschungen unverletzt. Nachdem er sich wieder etwas erholt hatte, hob er neugierig die Laterne hoch und leuchtete die Umgebung ab. Er befand sich jetzt in einem höhlenartigen Raum, der offenbar bereits unter der Wasserlinie der Lagune lag. Über ihm gähnte ein dunkler Schacht, der nur durch den Felssockel hindurchführen konnte. Bald war er sich klar darüber. Der Schiffsboden, der an dieser Stelle über dem Schacht vollständig verfault gewesen sein mußte, war unter der Last des durch das Körpergewicht des Knaben noch mehr beschwerten Steinballastes durchgebrochen. – Während Eduard noch staunend den höhlenartigen Raum musterte, der sich nach Norden zu als schmaler Gang immer mehr in den Tiefen der Erde zu verlieren schien, erklang aus dem Kielraum herab des Doktors besorgte Stimme, der sich dann nach kurzer Beratung an einem Tau eiligst zu seinem Gefährten hinabließ. Beide wollten jetzt schnell noch den Höhlengang ein Stück weiter verfolgen, der ihnen als letzte Zufluchtsstätte ganz geeignet schien. Der Knabe eilte voran. Bald merkten sie, daß dieser unterirdische, von starren Felswänden eingeschlossene Pfad, der eine Menge von Spalten und Rissen aufwies, wieder anstieg. Plötzlich bemerkte Eduard auch einen hellen Fleck vor sich, einen Schimmer von Tageslicht. Sie stellten dann fest, daß sie sich dicht vor der Hinterwand jener Grotte befanden, die in dem Felshügel im Nordteile des Eilandes lag. Nur eine dünne, teilweise durchsichtige Wand von Korallenkalk trennte sie noch von dem Wege ins Freie. Ganz verwirrt von dieser wunderbaren Entdeckung machten sie nun schleunigst wieder kehrt, um ihren Verteidigerposten wieder zu beziehen.

Da, als sie gerade in der Mitte des Felsenganges waren, erschütterte ein dumpfes Rollen den Boden unter ihren Füßen. Erdstöße folgten, die Felswände schienen zu schwanken, und stickiger Qualm drang aus den Rissen hervor.

Der Doktor war leichenblaß geworden.

„Ein Seebeben – ein Erdbeben unter dem Meere!“ schrie er entsetzt, packte Eduards Arm und zerrte den Knaben in wilder Hast wieder nach der Grotte zurück, wo sie dann verzweifelt die trennende Korallenschicht der Rückwand zu zertrümmern suchten.

Inzwischen hatten die unterirdischen Gewalten sich wieder beruhigt. Jedoch nur für wenige Minuten. Kaum waren die beiden Gefährten durch das enge Loch, das sie mit Hilfe von Felstrümmern herausgeschlagen hatten, hindurchgekrochen und standen nun bleich und zitternd in der hellen Grotte, als ein neuer, furchtbarer Erdstoß die ganze Insel erschütterte.

Da wartete der Doktor, der das Kommende voraussah, nicht einen Augenblick länger. In wilden Sätzen rasten sie um die ringförmige Insel, während unter ihnen die Erde durch fortwährende Erdstöße erzitterte, Bäume umsanken und die Wasser der Lagune plötzlich zu hohen Wellen aufgerührt wurden, nach Westen zu herum, nur getrieben von dem einen Gedanken, auf der Jacht als der jetzt einzigen leidlich sicheren Zufluchtsstätte Aufnahme zu finden. –

Inzwischen hatten der Kapitän, der Steuermann und die Matrosen, als Morley und Galetta ungehindert im Innern des Wracks verschwunden waren, aus Neugierde noch vor dem ersten, das Seebeben ankündigenden unterirdischen Rollen die Lagune durchschwommen und sich an Deck des versteinerten Schiffes versammelt.

Zu spät erkannten sie, welch furchtbare Katastrophe sich hier vorbereitete. Auch Morley und Galetta waren inzwischen wieder nach oben geeilt und mischten sich unter die Besatzung. Das Wrack begann jetzt gleichfalls auf seinem Sockel zu schwanken. Mit wahnsinnigen Schreckensrufen drängte alles nach dem einen Tau hin, das zum Wasser der Lagune hinabführte. Aber diese, aufgerührt bis in ihre tiefsten Tiefen, dampfte und brodelte jetzt als ob sie mit kochendem Wasser gefüllt sei.

Die Ärmsten, die sich auf Deck des Wracks dergestalt von einem wahren Hexenkessel eingeschlossen sahen, benahmen sich in ihrer wahnwitzigen Angst und Verzweiflung, als habe ihnen das Entsetzen jede klare Überlegung geraubt. Wie wilde Tiere kämpften sie um den Vortritt an dem scheinbar rettenden Tau.

Aber nicht einer der Unglücklichen sollte mit dem Leben davonkommen. Gerade als der Doktor und Eduard das unter Wind neben dem kleinen Hafen vertäut liegende Langboot der Jacht erreicht hatten, neigte sich das versteinerte Schiff zur Seite und fiel mit donnerähnlichem Aufklatschen von seinem bisherigen Sockel in die Lagune hinein, alles Lebende mit sich in die Tiefe reißend – auch den auf dem Vorderdeck verborgenen indischen Schatz.

Immer stärker wurde jetzt das dumpfe Krachen unterhalb des Eilandes. Kanonenschußähnliche Explosionen von Gasen erfolgten, das Meer begann gleichfalls unruhig zu werden, warf unregelmäßige Wellen, obwohl beinahe völlige Windstille herrschte. An alledem waren die Erschütterungen der Erdrinde schuld, die ihrerseits wieder durch das Ausdehnungsbestreben des feuerflüssigen Erdinnern hervorgerufen wurden.

Inzwischen hatten der Doktor und Eduard das schwere Langboot glücklich losgemacht. Jeder ergriff jetzt ein Ruderpaar, und dann mühten sie sich mit Aufbietung all ihrer Kräfte, angefeuert von höchster Todesangst, verzweifelt ab, aus der Nähe der Insel fortzukommen.

Dabei mußten sie ziemlich dicht an der Jacht vorüber. An der Reling standen zwei berußte Heizer und der Maschinist, die als einzige auf der „Alexandra“ zurückgeblieben waren, während alle übrigen Leute sich an der Belagerung des nunmehr wieder versunkenen, versteinerten Schiffes beteiligt hatten.

Der Maschinist rief das Boot an. Er ahnte noch nicht, was mittlerweile auf dem Eiland geschehen war. Die beiden ihm unbekannten Leute in dem Langboot kamen ihm verdächtig vor.

„He – Ihr da, legt sofort am Fallreep an, sonst renne ich Euch in Grund – verstanden!“

Eduard ließ einen Augenblick die Ruder feiern.

„Seht zu, wie Ihr selbst dem Unheil entgehen könnt“, brüllte er zurück.

Dann tauchte er die Ruder wieder ein, und weiter ging’s in die offene See hinaus.

Der Maschinist hatte eine leere Drohung ausgestoßen. Das Feuer unter den Kesseln der Jacht war ausgelöscht worden. Sie war gar nicht imstande, die beiden Gefährten in dem Langboot irgendwie zu belästigen.

Der unregelmäßige Wellengang erforderte, zumal hier nur vier Arme das große Boot zu regieren hatten, die angestrengteste Aufmerksamkeit. Mancher Spritzer kam über Bord. Längst waren die beiden Kameraden bis auf die Haut durchnäßt.

Dann erschütterte urplötzlich ein Knall von unerhörter Stärke die Luft. Der Doktor und Eduard fuhren förmlich von ihren Sitzen hoch …

Dort, wo noch soeben das Laguneneiland mit seinem Kranz von grünen Bäumen über das wildbewegte Meer hinausgeragt hatte, schoß eine dunkle Wolke aus der See hervor, der sofort eine wahre Feuerfontäne folgte. Nur Sekunden dauerte diese schaurig-schöne Erscheinung. Dann abermals Explosionen, als ob unzählige Batterien schwerster Geschütze gleichzeitig abgefeuert wurden. Weißer, alles verhüllender Dampf lagerte über der Oberfläche der See, trieb langsam mit dem Winde gerade auf das Boot zu, umschloß erst die Jacht, dann auch die Flüchtlinge, die jetzt mit schmerzenden Muskeln verzweifelt weiterruderten. – –

Eine halbe Stunde später konnten sie sich als gerettet betrachten.

Das große Boot der Jacht war nicht nur mit Proviant und Wasser, sondern auch mit einer leicht aufzurichtenden Kuttertakelage ausgerüstet. Bald hatten die Gefährten den Mast in die vordere Ruderbank eingefügt und die Segel gehißt. Die Dampfschleier waren jetzt wieder verschwunden. Aber vergeblich spähten die beiden Deutschen nach Norden zu aus, wo ihre Insel und die peruanische Jacht noch hätten sichtbar sein müssen.

Von beiden war keine Spur übrig geblieben. Das Seebeben hatte ihnen den Untergang gebracht. Und irgendwo dort in der Ferne rollten jetzt auch die Wogen des Stillen Ozeans über jene Stelle hinweg, wo der Schatz der Könige von Audh für immer in die Tiefe gesunken war. – –

– – – – – – – –

Acht Tage später landeten unsere Freunde wohlbehalten auf einer der Washington-Inseln. Und wieder ein halbes Jahr später betraten sie nach mannigfachen weiteren Abenteuern deutschen Boden, hatten sie sich glücklich bis in die Heimat durchgeschlagen.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkung:

  1. In der Vorlage sind hier zwei Zeilen vertauscht.