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Die Wunder der Joojakarta

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 225

 

Die Wunder der Joojakarta.

 

Erzählt von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1928 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO. 16.
Druck: P. Lehmann, G. m. b. H., Berlin SO. 16.

 

1. Kapitel.

Ein schwarzer Tag.[1]

Die Zahl 13 erfreut sich keiner sonderlichen Beliebtheit. Ich war früher nie abergläubisch. Ich saß getrost als dreizehnter mit am Tisch, ich aß getrost dreizehn Austern, wenn ich zwölf bestellt und man sich in der Hotelküche zu meinem Gunsten verzählt hatte, ich habe oft genug nur ganze dreizehn Pfennige in der Börse gehabt. Es hat mir nichts geschadet.

Aber seit diesem schwarzen Tage fürchte ich die dreizehn.

Es war am 13. Juni. Wir saßen ahnungslos in der Harstschen Veranda. Der Lautsprecher knatterte ganz leise: Luftstörungen!

Und dann kam’s:

„Hier ist der Sender Runzendorf auf Welle 0,5[2] … Achtung, Achtung, hier ist also der Sender Runzendorf auf Welle 0,5 … Meine sehr verehrten Damen, Herren, Schwarzhörer und sonstigen Gauner, wir bringen Ihnen heute einen Vortrag über Schundliteratur. Unsere Sendeenergie reicht von Pol zu Pol, sogar bis zum völlig unbekannten Südpol. Dieses hochaktuelle Thema muß bis in die fernste Eskimohütte dringen. Wir haben es uns von jeher zur Aufgabe gemacht, unsere Vorträge …“ ur … urr … krach … zisch … zisch … (Luftgeräusche) ‒ etwa drei Minuten lang …

Dann siegte wieder die Runzendorfer Sendeenergie über den verflixten Äther.

Und dann: ‒ ‒ meine Ohren wuchsen, bildlich ausgedrückt, wurden ungeheuer, wurden kolossal …

Beim Himmel: Schundliteratur ‒ ‒ und ich mit dabei, – ich wurde sogar „verlesen“ …!!

Aus Radiostation W. J. 10 …

Die Stelle von den roten Tulpen … auf der Schreibtischplatte … Tulpen von der Farbe des Blutes[3]

Fürchterlicher Schmalz sollte das sein …

Übelste Kolportage …

Und ich Ärmster der Verbrecher!!

Ich wurde bleich, meine Ohren schrumpften wieder zusammen, ich war einer Ohnmacht nahe, wankte zum Ecktischchen, füllte mit bebender Hand ein Kognakglas, trank …

Und ‒ ‒ hinter mir tönte Runzendorf und Freund Haralds diabolisches Gelächter … Harsts Stimme überschrie den tönenden Schreihals:

„Siehst du, mein Alter, ich habe dich ja schon immer gewarnt!! Jetzt bist du bis auf die Knochen blamiert … – öffentlich ‒ von Pol zu Pol!! Wie oft habe ich dich gebeten: Laß deine Schreiberei!! Unterbinde deine poetische Ader vollends!!“

Ich sank niedergeschmettert in den nächsten Korbsessel …

„Auch du, auch du, mein Sohn Brutus!“ quetschte ich mühsam durch das Gehege meiner zum Teil sehr kunstvollen Zähne.

Frau Auguste Harst, die in all ihrer Güte und Matronenwürde am Fenster saß und des modernen Dichters Heribert Ringelschwanz neuesten Novellenband[4], in Birkenrinde gebunden, Preis zwölf Mark, im Schoße bewahrte und vorhin etwas von schleimiger Phrasendrescherei gemurmelt hatte, kam mir zu Hilfe.

„Aber Harald, unser guter Schraut hat doch stets betont, daß er durchaus kein Literat sein will! Du solltest ihn nicht auch noch kränken …“

„Kränken?!“ stöhnte ich. „Kränken?! Der Herr Vortragende hat ja recht: Es mag Schmalz sein, übelste Kolportage, ‒ aber … aber … dann müssen all meine Freunde und Leser aus gebildeten Kreisen, deren Briefe ich mir sorgfältig aufbewahrt habe, geradezu an gefährlicher Geschmacklosigkeit leiden!!“[5]

Harald feixte noch immer. Aber er hatte wenigstens unseren Empfänger ausgeschaltet.

Ich erhob mich und wankte in mein Arbeitszimmer, fiel leichenähnlich in den Schreibsessel und stierte auf die Schreibtischecke …

Da stand noch die gelbe Majolikaschale, in der einst die roten Tulpen geblüht hatten. Jetzt blühten darin Stiefmütterchen ‒ farbenfroh, aber mit grämlichen Gesichtern: Wie geschminkte alte Weiblein, die den Kampf gegen die Jahre mit Hilfe von kosmetischen Mitteln führen. ‒ Wissen Sie noch, verehrte Frau Lotte H., wie ich Ihnen seiner Zeit das zarte Gedenken durch den ausführlichen Brief lohnte?!

Ungeheurer Ekel packte mich …

Da lagen die begonnenen Manuskriptseiten, die Notizen zum Wunder von Jorjakarta.

Ich … zerriß sie …

Hinein in den Ofen mit dem elenden Zeug!! Runzendorf hatte mir die Augen geöffnet! Ich war ein Schädling, ein Verderber des Geschmacks, ein süßlicher schludernder armseliger Schreiber!!

Ich atmete ordentlich erleichtert auf, als die Flammen das Papier bräunten, vernichteten …

Und doch war’s mir, als ob dieses Papier sich wehrte gegen die verzehrende Glut, als ob es stöhnend knisterte, als ob es, plötzlich sich aufbäumend, die Flammenzünglein zu ersticken trachtete. ‒

Nachher legte ich mich nieder, schaltete die Nachttischlampe ein und nahm das Werk zur Hand, das mir Evangelium bedeutet, das Werk des glänzendsten Stilisten: Felix Saltens Klingende Schelle[6]! Ich las, und ich wurde ruhiger. Runzendorf war ausgetilgt. Saltens geschriebene Musik wiegte mich in wohltätigen Schlaf. Meine eigenen letzten Gedanken vor dem Einschlummern waren die Erneuerung des feierlichen Schwurs: Nie wieder ‒ nie wieder in meiner harmlosen Unbefangenheit zur Feder greifen, nie wieder mit meinem Stil meine bisherigen Freunde gefährden! ‒

Wie gut man doch schläft, wenn Runzendorf einen dicken Strich unter einen verfehlten Lebensabschnitt gezogen hat! Bis zehn schlief ich. Um elf ging ich zu Harald hinüber.

„Morgen, mein Alter … Soeben ist die zweite Post eingetroffen … Drei Eilbriefe für dich ‒ bitte …“ Er drückte mir fest die Hand. Kein Wort über den gestrigen schwarzen Tag … Nur in seinen grauen klaren Augen war der helle Schimmer bewährter Freundschaft, war ein sanftes Streicheln und … Abbitten …

Unsere alte brave Mathilde brachte mir das Frühstück.

„Morgen, Herr Schraut …“

„Morgen, liebe Mathilde …“

Ich wog den einen Eilbrief zögernd in der Hand. Ich überlegte: Sicherlich ein Harstverehrer …! Also am besten ‒ in den Ofen damit!

Ich überflog die Anschrift des Umschlags. Links unten der Absender vermerkt:

Oberingenieur v. P., H …

Merkwürdig: durch Eilboten!! Weshalb mochte es der mir völlig unbekannte Herr mit seiner Mitteilung so dringend haben?!

Ich schneide den Umschlag auf, lese … lese …

Traue meinen Augen nicht. Dieser Herr v. P. hat ebenfalls Runzendorfs „Kolportage“ gehört …

„… Ich bin wirklich sehr aufgebracht über eine solche Kritik … Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen mitzuteilen, daß ich keineswegs der Meinung des Rundfunkredners bin. Ich kenne auch einige andere Herren und Damen, die bestimmt meiner Ansicht sind … Ich lese Ihre Harst-Büchlein schon seit mehreren Jahren und habe sie mir sogar nach Indien, ja auch weit ins Innere Rußlands nachschicken lassen. Ich gebe ja zu, daß Ihnen bei den Ostindien-Abenteuern Fehler unterlaufen sind, aber das kann jedem passieren …“

Und ‒ ich öffne den zweiten Brief: ‒ von einer Dame, die selbst schriftstellert.

Ich öffne ihn mit ganz eigenen Empfindungen, reiche gleichzeitig Harald das erste Schreiben …

Und lese …

„… Natürlich hatte der Vortragende in gewissem Sinne recht … Literatur schreiben Sie nicht … Was dem Vortragenden entgangen zu sein scheint: Ihre Büchlein haben einen gewissen Anspruch auf ein wenig ethische Wertung … Und das ist der Ton warmer behaglicher Freundschaft, gepflegten Familienlebens, der da wie ein Leitmotiv durch alle Ihre Bändchen geht … Der Haken, mit dem Sie unsereinen halten: Man sitzt sozusagen ein bißchen im Klubsessel in Haralds vornehmem Arbeitszimmer und fühlt sich dazugehörig zu zwei klugen und anständigen Menschen … ‒ Sie haben da zwei Menschen geschaffen[7], die so warm sind, wie ihr Milieu warm ist … Und in diesem Sinne leisten Sie tatsächlich etwas, das abseits von der illegitimen Kolportage liegt … Glauben Sie mir, die zahlreichen Menschen, die sonst gewöhnt sind „Literatur“ zu lesen, die lieben Ihre Bändchen um des feinen seelischen Parfüms, das Sie den beiden Männern geben, um des Milieus, in welches Sie sie hineingesetzt haben, und das in seiner Schilderung Literatur ist …“

Donnerwetter ‒ ‒ hatte ich mich verlesen?!

Nein ‒ da stand’s Wort für Wort ‒ genau wie hier gedruckt: Unser Milieu ist Literatur!!

„Harald ‒ ‒ bitte!!“

Ich lächelte dazu …

Und nahm den dritten Brief vor.

„… Es war Ihnen aber doch nichts im Sinne einer üblen Kolportage nachzusagen, und so behauptete man, Sie hätten eine Hand voll Tulpen aus England importiert, obgleich von sorglosem literarischen Blümchenpflücken doch gar nicht geredet werden sollte … Wenn der Vortragende …, dann wird er gelernt haben, daß alle produktiven Gehirne gelegentlich einmal mit einem anderen Denkmechanismus parallel arbeiten …“

Ich las noch mehr … Aber das möchte ich hier besser weglassen, denn da stand etwas von der „disziplinierten Knappheit Ihres Stils“ und etwas von „alberner Süßlichkeit“, die sich jedoch nicht auf mich bezog.

Und dann sagte Harald auch schon:

„Mein lieber Alter, diese Trostbriefe hebe dir gut auf. Und sollte Runzendorf dir nochmals den Krieg erklären, so werde ich nicht mehr lachen …“

Ich habe sie mir gut aufgehoben. Ich habe nie „Literatur“ schreiben wollen, habe mich nie um eine Freistelle im Olymp der behördlich abgestempelten Dichtergottheiten bemüht, ich habe geschrieben, ich habe nie geschludert, nie gefeilt, gestrichen, verbessert, gestohlen, ‒ ich schrieb für die, die nach des Tages Last Entspannung brauchen! Und das ist mir gedankt worden. ‒

Stiefmütterchen blühen in der gelben Majolikaschale …

Es sind nicht mehr verschminkte alte Weiblein … Es sind freundliche Matronengesichter, die mir zunicken und gütig lächeln … ‒

Verehrteste Frau Lotte, Ihre Tulpen sind berühmt geworden … Einen treuen Gruß in die Ferne …

 

2. Kapitel.

Die Dame mit den Kakteen.

Das Manuskript „Das Wunder von Jorjakarta“ und alle Notizen ist Asche geworden. Ich habe keine Lust, diese Geschichte nochmals zu schreiben. Aber ich kann Ersatz liefern: Die Wunder der Joojakarta!

Und diese Geschichte begann so …

So …

Eben ganz anders, als etwa ein gottbegnadetes Genie von Berufsschriftsteller ihn erfinden könnte ‒ nämlich den Anfang, den Auftakt, das Vorspiel.

Frau Auguste Harst ist Kakteenzüchterin, nebenbei auch Liebhaberin jener japanischen Zwerggärten, wie sie heutzutage in den Schaufenstern der meisten Blumenhandlungen anzutreffen sind.

Ich könnte hier ein Langes und Breites über amerikanische, südamerikanische, indische und australische Kakteen einflechten. Ich empfehle allen, die Kakteen lieben, aus dieser reichhaltigen Familie bescheidener Sandgewächse einige Arten zu meiden. Doch ‒ davon besser später.

Also meiner mütterlichen Freundin Frau Harst verdanke ich diese Spezialkenntnisse. Und als wir an jenem Wintermorgen, sonnig, klar und mild, in der geheizten Veranda beim Frühstück vereinigt waren und Frau Harst mit zärtlichem Blick auf ihre stacheligen Lieblinge auf dem Fensterbrett deutete …

„Sie freuen sich ja über jeden Sonnenstrahl, diese Kinder der Tropen …“ da räusperte sich Harald und meinte mit jener schlichten Sohnesliebe, die ihm zuweilen etwas Rührend-Kindliches gibt:

„Frau Anselmurk hat fraglos eine noch zahlreichere Sammlung als du, liebe Mutter.“

„Anselmurk?! Frau Anselmurk?!“

Wir blickten Harald erstaunt an.

„Wer ist denn diese Dame?!“ fragte Frau Harst sinnend. „Der Name klingt komisch, aber gehört oder gelesen habe ich ihn bereits.“

„Allerdings …“ Und er holte aus der Tasche seiner Schnürjacke einen Zeitungsausschnitt hervor, glättete ihn und las:

Das geheimnisvolle Haus
Parochialstraße 222.

– Wenn meine Berliner Freunde und Leser ein leidlich gutes Gedächtnis haben, werden sie sofort im Bilde sein …

Und wenn ich nun hier erkläre, daß außer uns beiden nur noch sehr wenige Menschen über das Geheimnis dieses Hauses die volle Wahrheit kennen, so ist das keine Übertreibung von mir. ‒

Harst las weiter:

„Das Haus Parochialstraße 222, eines der ältesten Berlins, ist jetzt mit einem Schlage berühmt geworden. Seit einem halben Jahre steht es wegen Baufälligkeit leer ‒ oder auch nicht, wie man’s nimmt. Es sollte leer sein. Aber es haben sich da geheimnisvolle Mieter eingefunden, die im Vertrauen darauf, daß weder die Besitzerin Frau Anna Anselmurk noch die Polizei noch die Nachbarn um das altersschwache Gebäude sich irgendwie kümmern, sogar eine Produktenhandlung betreiben. Am Tage merkt niemand etwas von diesen mietfreien Mietern. Erst nach Eintritt der Dunkelheit, die bei so „dunklen“ Existenzen beliebter als Sonnenhelle ist, erscheint ein Mann mit einem großen Handwagen, den hinten eine genau so zerlumpte Frau schiebt, während vorn ein Hund „Pferd“ spielt, und lädt allerlei Kleinkram ab, Produkten: Zeitungspapiere, Eisen, zerbrochene Fahrräder, Möbel – ‒ und so weiter. Mann, Frau, Hund, Wagen verschwinden dann im Hause, und im ersten Stock blitzt Licht hinter einem verstaubten und mit einem löcherigen roten Vorhang verhängten Fenster auf, erlischt nach einer Weile, und ‒ ‒ in aller Frühe ziehen die drei samt dem Wagen wieder ab.

Diese mietfreien Mieter eines abbruchreifen uralten Kastens würden nun noch lange nicht die Bezeichnung „geheimnisvolles Haus“ rechtfertigen. Die Hauptsache bei diesem ärmlichen Paare nebst Hund ist die: Nachbarn haben wiederholt beobachtet, daß diese Ärmsten der Armen, diese zerlumpten Trödler um Mitternacht in elegantester Aufmachung aus dem Hause schlüpfen und ein in der Nähe wartendes Auto besteigen, davonfahren und erst gegen drei Uhr heimkehren.

Es ist Tatsache: dieses Paar führt ein Doppelleben. Unser A. Kr.-Mitarbeiter hat eine Woche lang versucht, festzustellen, wo die beiden „Mieter“ diese Nachtstunden zubringen, diese drei Nachtstunden! Es ist ihm nicht geglückt. Das Paar verwischt jede Fährte hinter sich ‒ jede!

Es ist weiterhin Tatsache: Es handelt sich um einen Herrn von vornehmem Äußeren und um ein berückend schönes junges Weib ‒ ‒ in den drei Nachtstunden!

Morgens, wenn sie mit ihrem Handwagen und dem ebenso merkwürdigen Hunde davonziehen, sind sie zweifellos maskiert, grauhaarig, schmierig, verkommen.

Wer sind die Leute?!

Die Polizei wird sich nun wohl mit ihnen näher beschäftigen.“

„Das ist ja aus der heutigen Morgenzeitung!“ rief Frau Harst, als Harald den Zettel neben seine Tasse legte.

„Nein, liebe Mutter,“ lächelte Harald stillvergnügt. „Das ist aus einem Briefe, den ich heute morgen erhalten habe ‒ von Frau Anna Anselmurk ‒ durch einen roten Radler, genau um acht Uhr, als ich im Vorgarten promenierte ‒ Hört bitte zu …“

Und er zog den Brief hervor.

Berlin W. 57,
Potsdamer Str. 83 c.
9. Januar 192…

Sehr geehrter Herr Harst,

soeben lese ich in der Morgenausgabe der Berliner Post einen Artikel über mein Haus Parochialstraße 222. Ich gestatte mir, Sie auf diesen sensationell aufgeputzten Artikel aufmerksam zu machen, den ich beifüge. Ich schreibe gleichzeitig an das Polizeirevier, daß ich das Haus durch geeignete Sicherungen sperren lassen werde, nachdem die Räumungsaufforderung an die unbekannten Mieter fruchtlos geblieben. Es wäre mir interessant zu erfahren, wer diese Leute eigentlich sind. Leider befinde ich mich in sehr bedrängten Vermögensverhältnissen und könnte Ihnen daher, falls Sie „das große Geheimnis“ aufklären wollen, lediglich mit ein paar sehr seltenen Kakteen, die ich züchte, meinen Dank abstatten. Meine Kakteensammlung dürfte die vielseitigste sein, die sich in Privatbesitz befindet. Ich werde mir erlauben, Sie vormittags zehn Uhr zu besuchen. Ich hätte Ihnen noch einiges mitzuteilen, was für einen Brief zu gefährlich ist.

Verbindlichst

Frau Anna Anselmurk.

„Das alles klingt ja sehr vielversprechend,“ meinte Frau Harst mit jenem stillen Seufzer, der stets ihre Sorge um unser Wohlergehen ausdrückt, wenn ein neuer „Fall“ in Sicht ist.

Harald schob seine Tasse beiseite und schaute auf seine Armbanduhr.

„Es ist fünf Minuten vor zehn, mein Alter,“ wandte sich mir zu. „Morgenschuhe und Hausjoppen müssen verschwinden. Frau Anselmurk soll feierlich empfangen werden.“

Wir verabschiedeten uns von Frau Harst, die noch so nebenbei erklärte, Kakteen seien ihr jederzeit willkommen, und gingen in Haralds Arbeitszimmer hinüber, wechselten die zwanglosen Stücke unserer Kleidung und sprachen über Parochialstraße 222.

Harst sagte dabei unter anderem: „Der Brief der Anselmurk hat in mir Erinnerungen geweckt, die vier Jahre zurückliegen. Sieh’ dir bitte mal die Handschrift an.“

Ich tat’s und schüttelte den Kopf. „Eine sehr widerspruchsvolle Schrift …!“

„Stimmt! ‒ Fällt dir nichts dabei ein?“

„Nur das: Ich muß diese Schrift kennen!“

„Wir kannten sie einst nur zu gut. Besinnst du dich nicht?“

„Bedauere …“

„Nun, dann will ich erst das Weitere abwarten. Auch ich kann mich irren …“

Er stand am Fenster.

„Sie kommt …! ‒ Da ‒ eine alte, gebückte Dame … Sie lahmt … Sie benutzt einen Stock. Ihr Persianerpelz ist uralt wie ihr Haus … Und diese goldene Brille war mal vor zwanzig Jahren modern.“

Ich ging öffnen.

Die hagere Frau mit ihrer müden, zerbrochenen klanglosen Stimme verbreitete einen feinen Lavendelduft um sich. Im rechten Arm trug sie einen kleinen Pappkarton. Der schwarze, armselige Hut mit Tüllschleier verstärkte noch den Eindruck: Eine Enterbte des Schicksals!

Dann führte Harald sie, ganz Kavalier, zum Klubsessel neben dem warmen Kamin.

„Herr Harst,“ begann sie mit der abgeklärten Ruhe der welterfahrenen Dame, „ich habe mir erlaubt, Ihnen hier gleich sechs seltene Kakteen mitzubringen. Sollten Sie für mein Haus kein Interesse haben, so nehmen Sie bitte die Kakteen als ein Zeichen meiner Wertschätzung für Ihre Person an.“

Sie öffnete den Karton.

Zwischen weichen Ballen Seidenpapier standen da die sechs Töpfchen mit den dunkelgrünen Knollen.

Ein zärtliches Lächeln umspielte den welken Mund der Greisin. „Ja, ja, Herr Harst, mancher, der einsam ist, hängt sein Herz an Tiere. Ich liebe diese Pflanzen. Mein Mann war Schiffskapitän und zeitweise auch Steuermann auf Flußdampfern in Bolivia. Dort kommen bekanntlich die meisten Kaktusarten vor. Von dort brachte er mir die seltensten meiner Lieblinge mit. Dies hier sind sämtlich Leuchtkakteen. Sie haben wohl sicherlich davon gehört, daß einzelne Kakteen bei Dunkelheit ein matt gelbgrünes Licht ausstrahlen. Diese sechs Exemplare hier, deren Kugelform sie scheinbar derselben Gattung zuweist, sind dennoch für den Kenner Vertreter sehr verschiedener Familien. Nicht einmal der Botanische Garten in Dahlem besitzt sie. Ich will durch diese Angaben mein Geschenk durchaus nicht herausstreichen. Nur eins noch: Sie werden sich wundern, wie intensiv die sechs leuchten. Wollen Sie bitte einmal die Fensterladen schließen.“

Ich tat’s …

Diese liebe Kakteennärrin fiel mir etwas auf die Nerven.

Nun war’s stockdunkel im Zimmer.

Und doch nicht dunkel.

Dort auf dem Rauchtischchen stand der Pappkarton. Dort glühten sechs kleine Kugeln …

Wie die Augen von großen Raubkatzen …

Es war in der Tat erstaunlich, diese Kakteen …

„Prachtvoll!“ rief ich …

„Wundervoll!“ meinte Harald.

Es war mehr als wunderbar …

Die Kakteen siegten … Oder besser das, was in dem Karton unter dem Seidenpapier noch verborgen war.

Mir begann’s plötzlich vor den Augen zu flimmern …

Die glühenden Augen wuchsen zu feurigen Sonnen …

Ich fühlte meine Sinne schwinden.

Ich fühlte, daß mich jemand auffing …

Ich war ohnmächtig geworden.

Stimmen aus weiter Ferne …

Jemand flößte mir irgend etwas ein …

Jemand rief:

„Frau Harst, Schraut erwacht …“

Allerdings ‒ ich erwachte …

Unser Nachbar Sanitätsrat Kempner sagte besorgt:

„Wie fühlen Sie sich?“

Ich versuchte zu antworten …

Unmöglich! ‒

Drei Tage haben wir beide damals das Bett hüten müssen.

Die Dame mit den Kakteen hatte uns für drei Tage „ausgeschaltet“, hatte ihre Kakteen wieder mitgenommen und war ungehindert entkommen.

 

3. Kapitel.

Hinter dem roten General.

Am Abend des dritten Tages spaßen wir in recht mitgenommenem Zustand in Haralds Arbeitszimmer. Zum ersten Male waren wir probeweise außer Bett. Soeben hatte sich der Sanitätsrat zur Krankenvisite eingefunden.

„… Ich begreife nicht, daß Sie die Hilfe der Polizei nicht in Anspruch nehmen, lieber Harst,“ meinte er mit energischem Kopfschütteln. „Ich begreife überhaupt nichts von alledem. Sie werden von einem Weibe, die nicht Frau Anselmurk war, heimtückisch durch ein Gasgemenge betäubt, das zum Glück keine ernstere Gesundheitsschädigung hervorrief. Sie verlangen von mir strengste Verschwiegenheit und schicken mich unter einem Vorwand zu der echten Anselmurk, einer beleibten, gemütlichen Frau einwandfreisten Rufes. Sie stellen fest, daß die unechte Anselmurk, die Attentäterin, Ihnen den Brief gestohlen hat, den sie Ihnen damals morgens zuschickte. Wollen Sie nun die Sache auf sich beruhen lassen?“

„Natürlich, bester Sanitätsrat … Sehen Sie, die Dinge liegen so: die mietfreien Mieter des Hauses Parochialstraße brauchten noch ein paar Tage, um irgend etwas zu vollenden, was durch mein Eingreifen nicht hätte vollendet werden können. Dieses Eingreifen fürchteten sie, nachdem in der Zeitung jener Artikel erschienen. Ich würden ihn lesen, nahmen sie an, und würde sie stören, weil mich das Geheimnis reizen konnte, was auch der Fall gewesen wäre. Deshalb gingen sie ihrerseits zum Angriff über. Sie gewannen Zeit und sind nun … verduftet, nachdem ihr Plan ausgeführt. ‒ Welcher Plan?! Ich weiß es nicht … Ich werde es auch nie erfahren. Im gestrigen Morgenblatt stand ja „das Ende“ des Geheimnisses … Hier ist der neue Artikel …“

Das alte, ganz und gar baufällige Haus Parochialstraße 222, dessen Schicksal in den letzten Tagen infolge der Räumungsaufforderung „an die unbekannten Bewohner dieses Hauses“ von den Berlinern mit Interesse verfolgt wurde, ist heute aufgebrochen worden. Gegen ½11 Uhr vormittags erschien ein Beauftragter der Hausbesitzerin, ein Beamter der Grundstücksabteilung des Bezirksamts Mitte mit Schlossergehilfen. Die an der Haustür angeschlagene Aufforderung des Bezirksamts wurde abgerissen und die Tür dann gewaltsam geöffnet. Eine zwangsweise Räumung des Hauses war aber, wie man dies kaum anders erwartete, nicht mehr nötig, denn die Schwarzmieter hatten längst ihr Quartier verlassen.

Eine Rückkehr wird ihnen nur schwer möglich werden. Die vollkommene Sicherung wird nämlich mit „eisernen Mitteln“ durchgeführt, denn Magistratsbeamte und Schlosser haben ein großes schmiedeeisernes Gitter vor dem breiten Parterrefenster angebracht.

Im Innern des Hauses sieht es wüst aus. Tritt man auf morschen Dielen in den Flur, so wird dem Besucher schon nach wenigen Schritten ein Weiterkommen unmöglich gemacht. Hoch türmen sich Matratzen, alte Bettstellen, ausrangierte Sessel, Kisten und Kasten. Über eine schmale Diele gelangt man ins erste Stockwerk, und erst jetzt sieht man, daß das ganze Haus in jedem Geschoß nur zwei Räume hat, ein Vorderzimmer und eine nach dem Hof gelegene Stube. Das angrenzende Haus Parochialstraße 221 ist nämlich in das abbruchreife Gebäude eingeschachtelt. Beide Häuser sollen zusammen nur eine Mauer haben, und das ist wohl auch der Grund. weswegen Parochialstraße 222 vorläufig noch nicht abgerissen werden kann.

Im ersten Stockwerk scheinen die Besitzer der Produktenanstalt geschlafen zu haben. Ein furchtbar verstaubtes Sofa ist zu einer dürftigen Lagerstätte hergerichtet, neben der ein zerbrochener Sessel den Nachttisch ersetzt. Im angrenzenden Raume lagern Kisten mit hunderten kleiner Pappkartons, zerbrochene Kommoden und Bettstellen, und die einzige Zierde dieses chaotischen Durcheinanders ist ein alter Blumentopf mit einer vollständig vertrockneten Pflanze. Im Zimmer darüber bietet sich dem Eintretenden noch eine Überraschung. An der Wand lehnt ein bis zur Decke reichendes Bild, auf dem man unter Staub und Rissen noch deutlich einen General in roter Husarenuniform erkennt.

Auf der Straße sind die Arbeiter damit beschäftigt, die auf den Bürgersteig mündenden Kellertüren zu sichern. Der Eingang des Hauses wird noch durch eine eiserne Tür versperrt werden, die schon in der Schlosserwerkstatt der Abholung harrt. Die geheimnisvollen Mieter dürften hiermit für immer verscheucht sein.

Als wir vor zwei Tagen unseren ersten Artikel über das geheimnisvolle Haus Parochialstraße gebracht hatten, hat sich das seltsame Paar nebst Hund und Wagen nicht mehr gezeigt, obwohl man hinter den Fenstern nachts doch noch Licht wahrgenommen haben will. Die Polizei mischte sich nicht ein. Sie ist ohnedies überlastet genug.

Jedenfalls dürfte das Geheimnis dieser beiden „Mieter“, die da lange Zeit ihr Doppelleben führten, niemals aufgeklärt werden. Vielleicht hätte sich Harald Harst noch rechtzeitig der Sache angenommen, wenn er nicht so schwer Grippe erkrankt wäre. Jetzt ist es zu spät ‒ leider. Es wäre ja immerhin ganz interessant gewesen, in diese dunkle Geschichte etwas eingehender hineinzutasten.

„Das habe ich natürlich schon gelesen gehabt,“ nickte der Sanitätsrat und deutete ein Achselzucken an. „Zu spät ‒ ‒ leider, leider!!“

„Ja ‒ leider!“, ‒ und Harald langte nach einer Mirakulum, legte sie aber wieder in den Silberkasten zurück und meinte: „Ich will lieber verzichten. Ich fühle mich doch noch zu elend …“

Der Sanitätsrat verabschiedete sich, und gleich darauf löffelten wir in Gesellschaft von Haralds Mutter unser Krankensüppchen: Hühnerbrühe.

Um zehn Uhr mußten wir wieder zu Bett.

Mußten …

Gegen Frau Harst und Mathilde ist nicht aufzukommen.

Dabei ging es uns ganz leidlich, und als ich in meinem Schlafzimmer allein war, leistete ich mir sogar seit Tagen wieder die erste Zigarre. Es ist eine leidige Angewohnheit, im Bett zu rauchen und zu lesen. Ich hatte einen neuen Roman vor, und der geistvolle Plauderer, dessen graziöse Art, die Handlung fortzuspinnen, mich geradezu entzückte, hielt mich bis elf Uhr munter. Dann wollte ich die Nachttischlampe ausschalten …

Wollte …

Die Tür ging auf.

Harst …

Völlig angekleidet, Mirakulum im Mundwinkel …

Lächelnd …

Die grauen Augen voller Glanz und Unternehmungslust …

„Aufstehen, lieber Alter …! Hast deine Bude ja gehörig vollgequalmt … Ich auch … Das sollte Mutter wissen …“

Er setzte sich in den Korbsessel ans Fenster …

„Aufstehen!! Wir wollen 222 besuchen.“

Das war Lebenselixier.

222!

Ich suchte die Unterhöschen …

Ich war in vier Minuten abmarschbereit.

Wir nahmen noch allerlei mit, und schlichen dann durch die Vordertür hinaus in das wildeste Schneetreiben, das es in diesem Winter gegeben.

Es war mäßig kalt. Der Flockenwirbel erfrischte. Man sah kaum die Hand vor Augen. Ein Einstreifer brachte uns zur Parochialstraße.

Und nun standen wir ‒ halb zwölf war’s ‒ in der Türnische von 221. Auch eine armselige alte Bude. Es schneite weiter. Harald öffnete das klapperige Türschloß, wir stiegen die Treppen auf unseren Gummisohlen hinan, gelangten auf das Dach und von da auf das von 222.

Eine Kleinigkeit: Wir waren im ersten Stock in dem bewußten Zimmer mit dem verstaubten Sofa.

Wir blendeten unsere Taschenlampen vorsichtig ab …

Und … sahen auf dem Fensterbrett etwas … glühen …

Glühen, leuchten … rund, gelblichgrün …

Etwas …

Der Berichterstatter hatte sich hier doch nur ungenau umgeschaut.

Da stand kein Blumentopf mit einer vertrockneten Pflanze.

Nein, da stand ein Töpfchen mit einem Leuchtkaktus …

„Aha!“ flüsterte Harald. „Das ist eine Lampe, die gerade genug Licht gibt, um sich hier notdürftig zurechtfinden zu können. Oder ‒ der weibliche Part dieser Produktenhändlerfirma liebt tatsächlich Kakteen. Das wäre immerhin eine Spur … ‒ Jetzt wollen wir uns jedoch ein Versteck schaffen, mein Alter … Dort das Riesenbild an der Wand steht so schräg, daß dahinter bestimmt für uns beide Platz ist. Und diese Klappstühlchen nehmen wir mit. Ich habe nicht Lust, stundenlang zu stehen …“

Unser Versteck hinter dem Riesengemälde des Husarengenerals bot außer der bequemen Sitzgelegenheit noch den großen Vorteil, daß einige Löcher in der Leinwand uns eine Übersicht über den ganzen Raum gestatteten.

So saßen wir denn in rabenschwarzer Finsternis in unseren Sportpelzen wohl eine Stunde. Es war hier empfindlich kalt, und die lautlose Stille ringsum, nur unterbrochen durch das Rascheln von Mäusen und das leise Klirren einer schlecht verkitteten Fensterscheibe, ferner das Knacken und Knistern im Gebälk das alten Hauses, – ‒ all das ließ bei mir keine Müdigkeit aufkommen.

Eine volle Stunde …

Meine Armbanduhr zeigte genau dreiviertel eins ‒ Leuchtzifferblatt ‒, als Harald mich sanft rüttelte.

Es war unnötig.

Auch ich hatte draußen im Treppenflur dasselbe Knarren der morschen Stufen gehört, das mir vorhin, als wir vom Dache her abwärtsstiegen, so stark an die Nerven gegangen war.

Es kam jemand.

Schräg links lag die Flurtür. Rechts die Verbindungstür nach dem Nebenraum. Diese hing nur noch windschief in den Angeln. Auch die Flurtür kreischte scheußlich, und das tat sie jetzt ‒ ‒ in kurzen Pausen …

Ein Lichtschein blitzte auf …

Dann erschien eine gebückte Männergestalt in einem Schlafrock, auf dem Kopf ein Seidenkäppchen. Aus einem wirren grauen Bart sprang eine rote Hakennase vor …

Das war alles, was ich von dem Manne erkannte.

Er hielt in der Rechten eine Karbidradlerlaterne weit vorgestreckt. Er stand noch immer in der Tür, drehte den Kopf hin und her …

Mißtrauen … Angst …

Schritt für Schritt nur wagte er sich vorwärts …

Nahm nun das Käppchen von dem blanken Schädel und deckte es über die Laterne …

Machte vor einem anderthalb Meter hohen Haufen gebündelter Zeitungen. die neben dem Bilde an der Wand aufgetürmt waren, halt und stellte die Laterne auf den Fußboden: ‒

Wer war’s?

Etwa der … Hausierer?!

Hatten er und die bildhübsche Gefährtin dort unter der Zeitungsbarrikade etwas versteckt?! Wozu begann er jetzt die Zeitungsbündel zur Seite zu stellen?! Weshalb tat er dies mit rattenhafter Eile?!

Pech für uns: Er baute den Zeitungsturm so, daß uns die Aussicht versperrt wurde!

Selbst als ich mich vorsichtig erhob, konnte ich nichts sehen … nichts. Nur sein kahler Schädel und seine Hände tauchten zuweilen auf.

Er hatte hagere lange Hände mit Gichtknoten, schmutzige, krallenartige Finger. Aber … Kraft! Mit den schweren Bündeln hantierte er wie mit leeren Pappkartons.

Dann hatte er das Käppchen wieder aufgesetzt … Für Sekunden wurde es sehr hell … Nun ein Knarren, Knistern, Knacken …

Der Lichtschein verschwand …

Dunkelheit …

Stille …

Minutenlang.

Jetzt wieder das Licht, das Knarren, Knistern, Knacken …

Jetzt wieder der blanke Kahlkopf, die Gichthände: der Kerl schichtete die Bündel dort wieder auf, wie sie gelegen hatten ‒ noch rascher wie zuvor.

Und ‒ als er fertig, als er uns in voller Figur wieder sichtbar, da … hatte er die Hände zu Fäusten geballt, drohte in ohnmächtiger Wut mit verzerrtem Gesicht einem unbekannten Todfeinde …

Geifernd, zischend sprudelte er irgend etwas hervor, schüttelte die Fäuste und ‒ ‒ huschte zur Flurtür ‒ ‒ so hastig, so plötzlich, daß ich Harald zu spät in die Rippen stieß …

Der Kerl war schon auf der Treppe …

Sie knarrte …

„Ihm nach!“ flüsterte ich …

„Nein …!“ meinte Harald. „Wir bekommen ihn schon noch, mein Alter. Den haben wir jetzt sicher …“

„Sicher?“

„Natürlich!“

„Aber er war doch zweifellos verkleidet, und er wird als „Gentleman“ so völlig anders aussehen, daß wir …“

„Oh ‒ keine Sorge! Den erkenne ich unter Hunderttausenden wieder …“

„Hm … Ich zweifle daran …“

„Tu’s nur. Ich zweifle nicht!“

„Ob er denn im Schlafrock hergekommen ist?“

„Seinen Mantel oder Pelz wird er schon in der Nähe haben …“

„Auf dem Boden vielleicht …“

„Verstandest du übrigens, was der da so wütend murmelte?“

„Nein … Nur ein Wort erinnerte mich an Indien … Es klang wie Jorjakarta“

„Irrtum. Er sagte Joojakarta.“

„Dann hattest du diesmal ausnahmsweise die besseren Ohren …“

„Durchaus nicht. Ich reimte mir das Wort halb und halb zusammen. Jorjakarta in Indien kennen wir. Jo o jakarta ist ein Künstlername …“

„So?!“

„Ja. Im November und Dezember des soeben verflossenen Jahres war für die Skala der Raubtierdresseur Joojakarta engagiert ‒ verblüffende Pantherdressuren, fünf schwarze Panther, der Pantherkönig Joo Jakarta, wie’s in den Anzeigen hieß.“

„Und du meinst der Hausierer haßt diesen Dresseur?“

„Oder umgekehrt …“

„Was mag der Hausierer hinter den Zeitungen gesucht haben?“

„Sich selbst, mein Alter, ‒ sich selbst!“

„Du sprichst in Rätseln …“

„Scheinbar nur … ‒ wir wollen noch zehn Minuten warten, dann brechen wir auf. Ich weiß jetzt so ziemlich alles, was ich für den Anfang brauche.“

„Nicht möglich?! Bist du in der Tat so fest davon überzeugt, daß du …“

„Still … die Treppe! Es geht weiter!“

Die Treppe knarrte …

Die Flurtür wurde geöffnet …

Matter Lichtschein …

Ich sah eine hohe schlanke Männergestalt … im eleganten, beschneiten Pelz, in dunklem Langhaarfilzhut …

Ein Monokel blinkte unter der Hutkrempe …

Jetzt nahm der Gentleman den Hut ab, schüttelte ihn …

Das Licht seiner Taschenlampe glitt über sein Gesicht.

Beinahe hätte ich vor Überraschung aufgeschrien …

 

4. Kapitel.

Die Toten stehen auf …

Beinahe hätte ich …

Aber Harald preßte meinen Arm mit eisernem Druck …

Der, der dort an der Tür stand, war ein alter Bekannter von uns …

Und jetzt fiel mir auch ein: Die Schrift ‒ ‒ es war die seine, es war Vincent Saalborgs Schrift!!

Vincent Saalborg …

Meine Freunde und Leser kennen ihn …[8]

Kennen den elegantesten, witzigsten, kaltblütigsten, charmantesten Gauner aller Zeiten …

Und ‒ ‒ er lebte noch!! Er, den wir seit Jahren für tot hielten.

Er ‒ ‒ setzte den Hut wieder auf, streifte die Handschuhe ab, nachdem er seine Taschenlampe auf eine Kiste gestellt hatte, und putzte sein Monokel.

Es war dieselbe selbstverständliche Harmonie aller Bewegungen wie einst. Es war dasselbe schmale, feine, kluge Gesicht mit dem ironisch-überlegenen Zug um den bartlosen, schöngeschwungenen Mund. Es war dieselbe schmale, edle Nase, dieselben halb melancholisch, halb spöttischen Augen …

Es war Vincent Saalborg. Nur ‒ älter, durchgeistigter, noch charakteristischer, energischer diese vornehm-müden Züge, in denen so viel Kontrast sich ausprägte: Energisch ‏‒ ‒ und doch müde, blasiert, erhaben über all und jedes, dabei sympathisch, liebenswert.

Er klemmte das Monokel wieder ein.

Seine Hände ‒ wie einst: Schmal, zart, fast weibisch, ‒ dennoch Kraft verratend!

Und ich ‒ ich ließ kein Auge von ihm. Er lebte … lebte …!!

Ich freute mich.

Nach allem, was wir über ihn wußten, hätte er nie wieder auftauchen können.

Und: er war da ‒ er war hier in Nummer 222 … Er hatte den Brief geschrieben, er hatte die würdige alte Kakteendame auf uns gehetzt, er hatte uns … ausgeschaltet!

Also ‒ war er nun der Hausierer oder war’s der Mann im Schlafrock?! Hatte er etwa vorhin nur maskiert diese Zeitungsbündel umgestapelt?! Es mußte wohl so sein …

Ihm war ja alles möglich. Was hatten wir mit diesem phänomenalen Verkleidungskünstler nicht alles durchgemacht!! Er hatte uns gefoppt, genasführt, hatte fünf verschiedene Rollen auf einmal gespielt.

Und nun: er lebte!! ‒

Ich hatte mich derweil von der ersten Überraschung erholt.

Ich beobachtete ihn mit jener Spannung, die nun einmal ein Vincent Saalborg beanspruchen darf. Ich sah, wie er nun zum Fenster schritt, das Kakteentöpfchen liebevoll in die Hand nahm und es sorgfältig in Seidenpapier einhüllte, dann in ein kleines wollenes Tuch.

Die Flurtür hatte er nur angelehnt.

In dieser Tür tauchte jetzt ein bärtiges Gesicht auf …

Der … Mann von vorhin …

Und dieser Mann, der also doch nicht Vincent Saalborg gewesen, schob nun mit seinen Gichtkrallen eine Pistole vorwärts, zielte auf des anderen Hinterkopf …

Keifte halblaut:

„Oh ‒ habe ich dich also doch erwischt, du Lump!! ‒ Hände hoch …!!“

Unser Vincent drehte sich gemächlich um, musterte den Gegner von oben bis unten, von unten bis oben und sagte höflich:

„Mit wem habe ich die Ehre? ‒ Gestatten: Fürst Iwenstern …“

Verneigte sich etwas …

Der Kerl mit der roten Nase und dem grauen Strauchbesen im Gesicht stierte Seine Durchlaucht ziemlich entgeistert an.

Die Pistole sank herab …

„Ent … ent … schuldigen Sie, Herr Fürst …“ stotterte die Spottgeburt im Schlafrock.

„Oh bitte … ‒ Also ‒ mit wem habe ich die Ehre?“

„Ferdinand Schmidt ‒ mit dt, Rentner Ferdinand Schmidt, Herr Fürst …“

„Sagen Sie lieber Herr Iwenstern. Es klingt besser. Durchlaucht klingt noch besser, obwohl ich keinen Wert darauf lege. ‒ Sie gestatten eine Frage: Was suchen Sie hier, mit wem verwechselten Sie mich?“

Herr Schmidt mit dt grinste schleimig …

„Neugier, Durchlaucht, nur Neugier … Wahrhaftig! Nur Neugier! Man liest so viel über dieses Haus in den Zeitungen. Und deshalb …“

„… nannten Sie mich Lump und du, Herr Schmidt …“

„Pardon, ‒ nur von hinten, Durchlaucht … nur von hinten sah ich Sie, und deshalb auch die Verwechslung, Durchlaucht … Ich hielt Sie für einen Menschen, der mir großes Unrecht zufügte …“

„Das tut mir aufrichtig leid, Herr Schmidt. ‒ Auch mich hat lediglich die Neugier hierher geführt. Ich bin Raritätensammler, und ich wollte mir hier irgendein Andenken holen. Sehen Sie, ‒ dies Päckchen enthält eine kleine Kaktuspflanze. Sie stand dort auf dem Fensterbrett. Als Diebstahl kann man das wohl kaum bezeichnen. Ich habe ein sehr subtiles Gewissen.“

„Diebstahl?! Noch besser! Keine Rede davon,“ meinte der scheußliche alte Knabe mit einem verächtlichen Grinsen.

„Oh, das beruhigt mich vollends,“ nickte Fürst Iwenstern durchaus ernst. „Wollen wir nicht ein wenig Platz nehmen und plaudern, Herr Schmidt? Bitte ‒ benutzen Sie den alten Sessel da, und ich setze mich in die Sofaecke …“

Schmidt wurde mißtrauisch. „Plaudern?! Es ist hier so hundekalt, Durchlaucht …“

Seine Durchlaucht trat näher an den Alten heran und hatte ihm rasch die Pistole aus der Hand genommen.

„Ich kann keine Schußwaffen sehen, Herr Schmidt. Ich habe eine krankhafte Abneigung gegen alle Mordinstrumente.“ Auch das sagte er in liebenswürdig-nachlässiger Art. „Also ‒ setzen wir uns …!“ Das klang schon schärfer.

Schmidt wurde nervös. „Ich … ich friere, Durchlaucht … Ich möchte lieber …“

„Ein paar Minuten werden Sie es schon noch aushalten … Bitte …!!“

Der Alte gehorchte.

Seine Durchlaucht schlug in höchstihrer Sofaecke zwanglos ein Bein über das andere und legte die Pistole in den Schoß. Die Taschenlampe placierte er auf der Sofalehne, so daß Schmidt von dem Strahlenkegel voll getroffen wurde.

„Der Lichtschein ist bei dem Schneetreiben ungefährlich,“ meinte Saalborg leichthin. „Sagen Sie mal, Verehrtester, sind Sie wirklich im Schlafrock hierher gekommen? Wohnen Sie denn in der Nähe?“

„Ja … Nummer 210 wohne ich …“

„Und da ist Ihr Schlafrock so vollkommen trocken geblieben?!“

„Es schneite nicht, als ich hier eindrang.“

„Eindrang …?! Hm ‒ wie? Ich bin über das Dach gekommen ‒ vom Nachbarhause aus …“

„Ich auch!“

Durchlaucht lachte. „Ja, ja, vorn hat man ja alles verrammelt … ‒ Übrigens habe ich oben auf dem Boden etwas gefunden … Dies hier …“ ‒ Er holte aus dem Pelz ein längliches flaches Paket hervor. „Denkern Sie, es sind Aktien darin, Herr Schmidt … Tadellose Aktien, Schweiz, Holland, Belgien, insgesamt für 150 000 Mark ungefähr, und all diese Aktien …“

Schmidt war hochgeschnellt …

„Durchlaucht, die gehören mir …! Das ist ja gerade das, was ich vorhin als „Unrecht“ bezeichnete … Man hat sie mir gestohlen … Mein Ehrenwort, es ist so!!“

„Glaube ich nicht … Denn den Aktien liegt ein Zettel bei, auf dem der Name des Eigentümers vermerkt ist: Ferdinand Miller! Und Sie heißen Ferdinand Schmidt.“

„Nein ‒ Miller, Miller!“ kreischte der Alte zitternd. „Bei Gott: Miller! Ich kann Ihnen genau angeben, welche Stücke sich in dem Paket befinden, Durchlaucht … Es sind zehn Aktien der Genfer Bank, zwanzig Aktien der Amsterdamer Bank und …“

„Danke, genügt mir …“

„Dann ‒ ‒ her damit, Durchlaucht!“

Wie ein Geier packte Herr Ferdinand Miller das Paket …

Prallte zurück …

Die Pistole in Saalborgs Hand ließ ihn mit einem ächzenden Laut in den Sessel zurücksinken.

 

5. Kapitel.

Was ich nicht begriff …

Derweil hatte ich längst festgestellt, daß Ferdinand Miller nicht maskiert war. Seine Glatze war echt. Er konnte nicht der Hausierer sein, der nachts von 12 bis 3 den Gentleman mit Auto gespielt hatte.

Auf dieser Glatze standen dicke Schweißperlen.

Die ganzen Vorgänge blieben mir absolut unverständlich. Saalborg mochte der „Hausierer“ sein … Vielleicht. Obwohl ja die eine Tatsache, daß er den Kaktus mitnehmen wollte, noch lange kein schlüssiger Beweis dafür war.

Was sollte das alles?!

Hatte Saalborg die Aktien gestohlen?! Und ‒ wonach hatte Miller hinter den Zeitungsbündeln gesucht?!

Durchlaucht sagte leicht ironisch:

„Herr Miller, ich habe diese Aktien gefunden. Ich muß Sie abliefern, die Polizei mag entscheiden, ob sie Ihnen gehören. Ich glaube Ihnen ja, daß Sie der Besitzer sind. Das genügt jedoch nicht. Mein zartes Gewissen zwingt mich, den einzig richtigen Ausweg zu wählen.“

Miller schnappte nach Luft, krümmte sich wie ein Wurm. Der Schweiß lief ihm von der Stirn … Die Augen quollen ihm aus dem Kopf.

„Aber … aber … Sie … glauben mir doch, Durchlaucht … Weshalb also diese Weiterungen?! Ich kann Ihnen sogar die Nummern der Aktien angeben …“

Saalborg hatte sich eine Zigarette angezündet …

Er zuckte die Achseln. „Bedauere unendlich. Ich bin sehr korrekt, Herr Miller, sehr … Ich sehe auch nicht ein, weshalb Sie solche Angst vor der Polizei haben …“

Miller stöhnte verzweifelt. Dann platzte er heraus:

„Durchlaucht, ich kaufe Ihnen die Aktien ab …! Zwanzigtausend Mark!!“

Saalborg richtete sich empört auf.

„Herr, wofür halten Sie mich?!“

„Fünfzigtausend!“ winselte Herr Miller …

Saalborg lächelte plötzlich. „Spielen wir mit offenen Karten! Sie haben dieses Vermögen nicht versteuert. Es wirft mindestens fünfzehntausend Mark Zinsen ab. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die andere absichtlich ins Unglück stürzen. ‒ Haben Sie das Vermögen verheimlicht?“

„Ja …“

„Nun, ich bin vertriebener russischer Edelmann, Herr Miller, also mäßig begütert. Teilen wir uns den Schaden. Sie zahlen mir fünfundsiebzigtausend Mark und zwar sofort … Entweder in bar oder Schmuck. Ich vermute, daß Sie … heimlich sehr reich sind …“

Miller ächzte …

„Fünfundsiebzigtausend, ‒ Herr im Himmel, ich bin ruiniert!!“

„Wollen Sie, oder …“

„Ich will!“

Miller erhob sich taumelnd … „Ich … ich bin in kurzem zurück, Durchlaucht …“

Er wankte wie ein Trunkener der Tür zu …

„Halt!“

Saalborg sprach sehr scharfen Tones.

„Herr Miller, ich möchte Sie noch warnen … Bitte keine faulen Geschichten, keine … Blüten!! Sie verstehen wohl!“

„Ich … bin ehrlich!“ ‒ und die Tür klappte zu.

Man hörte die Treppe knarren.

Saalborg lauschte …

Stand auf …

War im Nu vor der Zeitungsbarrikade …

Hatte im Nu die Bündel beiseite gestellt, versperrte uns die Aussicht, genau wie vorhin Herr Miller …

Und wieder das Knarren, Knacken, Kreischen …

Dann Stille …

Ich sah nach der Uhr …

Harst verhielt sich schweigsam.

Um uns her war Finsternis.

„Harald!“

„Ja?!“

„Ich … ich begreife das alles nicht …“

„Ich ja …!“

„Nun ‒ ‒ und?!“

„Warten wir noch fünf Minuten … Er kann zurückkehren …“

„Wer?!“

„Saalborg, der Wiedererstandene …“

„Und Miller?“

„Herrgott, bist du wirklich so schwerfällig?!“

„Ja! ‒ Du sagtest zurückkehren … Wo ist Saalborg denn?“

„Bei Ferdinand Miller …“

„Wie?! Bei Miller?!“

„Ja, nebenan in Nummer 221.“

Da ging mir ein Licht auf.

„Hinter den Zeitungen gibt’s einen Durchschlupf ins Nachbarhaus!“

„Natürlich.“

„Und Miller wohnt also 221 im ersten Stock.“

„Natürlich.“

„Und Saalborg war der mietfreie Mieter hier!“

„Natürlich.“

„Er stahl die Aktien?“

„Ja.“

„Er konnte sie nicht veräußern und hat Miller daher auf diese Weise gezwungen, Bargeld herauszugeben …“

„Nein.“

„Wie?! Nein?!“

„Die fünf Minuten sind um …“ Er schaltete seine Taschenlampe ein … Er trat hinter dem roten General hervor.

Wir standen neben den Zeitungsbündeln. Da war ein großes Stück Tapete zur Seite geschoben, da war ein rundes Loch in der Mauer …

Harald kroch hindurch. Ich folgte.

Wir gelangten so in ein ärmliches Schlafzimmer ‒ unter ein eisernes Bett.

Es stank hier entsetzlich …

Harald öffnete die Tür, die in ein Wohnzimmer führte.

Da stand ein Schreibtisch aus Kiefernholz … Da lehnte im Schreibsessel mit hängenden Armen Herr Miller.

Die grüne Lampe beschien sein fahles Gesicht …

Seine Glatze war mit Schweißperlen bedeckt.

Seine Augen stierten uns blöde an …

Langsam raffte er sich auf …

„Wer … sind Sie?“

„Mein Name ist Harald Harst, und dies hier ist mein lieber Freund Max Schraut …“

Miller fuhr hoch.

„Oh ‒ Sie beide sendet mir der Himmel!!“

„Sagen Sie das nicht, Herr Miller! Der Himmel dürfte mit Ihnen wenig zu tun haben, eher schon die Hölle!“

Miller fiel in den Stuhl zurück …

„Sie … Sie … müssen mir helfen … Ich bin bestohlen worden … Ich …“

„So?! ‒ Erzählen Sie bitte …“

Harald lehnte am Schreibtisch.

„Erzählen Sie!!“

 

 

Joo Jakarta.

 

1. Kapitel.

Er und wir.

Jetzt, wo ich Miller in allernächster Nähe vor mir hatte, wo noch Habgier, Wut, Angst seine widerlichen Züge verzerrten, erschien mir dieses Gesicht derart abstoßend, daß ich nicht anders konnte: Ich rief diesem alten elenden Wicht zu:

„Ja ‒ erzählen Sie! Aber lügen Sie nicht! In Ihrem Blick glitzert die Tücke eines routinierten Schwindlers!“

„Laß das, mein Alter!“ sagte Harald ohne besonderen Energieaufwand. „Herr Miller ist noch ein wenig verwirrt …“

Miller schielte mich von unten so recht unverschämt an.

„Ich … bin kein Schwindler,“ meinte er trotzdem sehr fromm. „Ich bin ein bescheidener Rentner, nichts weiter, ‒ ein bedauernswerter Witwer, der hier allein in seiner kleinen Wohnung haust und …“

„… nie die Zimmer säubern läßt!“ grobste ich ihn an. „Pfui Teufel, wie stinkt es hier, wie staubig ist es alles und wie …“

„Erzählen Sie, Herr Miller,“ fiel mir Harald ins Wort. „Schraut hat heute seinen schlechten Tag … Er war nicht recht damit einverstanden, daß wir in dieser bösen Winternacht das Haus Parochialstraße 222 besuchten, wo es doch sehr geheimnisvoll hergegangen sein soll …“

Miller schien erst jetzt so recht wieder zu sich zu kommen. Nummer 222!! Das gab ihm einen förmlichen elektrischen Schlag. Seine Augen wurden riesengroß.

Aber Harald lächelte harmlos …

„Wir fanden dort alles so, wie es in den Zeitungen gestanden hatte: Ein Loch in der Mauer, und durch dieses Loch kamen wir hier zu Ihnen, Herr Miller. Haben Sie diese Öffnung hergestellt?“

Ferdinand Miller war ein ganz Gerissener.

„Ja,“ erwiderte er mit beneidenswerter Frechheit. „Leider tat ich es, leider. Ich wollte den Produktenhändler beobachten.“

„Keine Arbeit für harmlose Rentner, Herr Miller!! ‒ Und dieses Loch wurde Ihnen verhängnisvoll?“

„Ja … Heute. Soeben erst. Ich saß hier an meinem Schreibtisch, Herr Harst … ahnungslos … Mit einem Male erschien von der Schlafstube her ein maskierter Kerl, ein richtiger Ganove aus der Gegend des Schlesischen Bahnhofs. Er hielt mir eine Pistole unter die Nase und zwang mich, ihm meine geringen Ersparnisse auszuhändigen …“

Donnerwetter!! Konnte Ferdinand Miller lügen!! Ein Ganove!! Und maskiert!! Und geringe Ersparnisse! Nicht schlecht gesagt!

Er hatte also keine Ahnung, daß wir ihn und Saalborg belauscht hatten.

„Wie sah der Bursche denn aus?“ fragte Harald teilnahmsvoll.

„Schäbiger brauner Ulster, dunkler Wollschal, dunkle Schlappmütze,“ log Herr Ferdinand weiter.

„Mit der Beschreibung ist nicht viel anzufangen …“

„Mehr kann ich nicht angeben ‒ leider …“

„Und wieviel erpreßte er von Ihnen?“

„Etwa … zweitausend Mark … – für mich ein Vermögen, Herr Harst.“

„Für andere auch, Herr Miller. ‒ Selbstverständlich will ich Ihnen helfen … Vielleicht wird auch die Polizei …“

„… Polizei?! Die soll aus dem Spiel bleiben!! Ganz und gar! Wie stehe ich da, Herr Harst, wenn ich aussagen muß, daß ich das Mauerloch …“

„… Ganz recht, ‒ also ohne Polizei. ‒ Meinen Sie, daß etwa der jetzt verduftete Produktenhändler den Burschen hierher geschickt hat?“

„Wahrscheinlich …“

„Und was wissen Sie über diesen geheimnisvollen Mann von drüben?“

„Wenig … wenig, Herr Harst …“

„Aber Sie hatten doch das Mauerloch zur Verfügung!“

„Ganz recht … Ich war damit jedoch erst vor vier Tagen fertig geworden, und das Pärchen machte sich dünne, nachdem die Hausbesitzerin sich eingemischt hatte … Ich habe nur gesehen, daß der angebliche Produktenhändler damals nachts vor vier Tagen sich in einen vornehmen Herrn im Gehpelz, Monokel, Haarfilzhut und Lackstiefeln verwandelt hatte …“

„Und die Frau, Herr Miller? Es war doch noch eine Frau dabei.“

„Die … sah ich nicht, ‒ oder besser, ich sah sie nur in ihren Lumpen und ihrer grauen Perücke …“

„Schade, unendlich schade!! – Können Sie uns denn nicht wenigstens eine Kleinigkeit angeben, die es uns vielleicht ermöglicht, dieses seltsame Paar wieder aufzustöbern?“

Miller gab sich den Anschein, als ob er sehr angestrengt nachdächte.

Dann rief er:

„Doch ‒ doch, ‒ ich hörten wie der Mann das Weib mit Joo anredete …“

„Immerhin etwas … ‒ Besinnen Sie sich man noch genauer … Vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein …“

Miller rieb sich mit seiner Gichtpfote die Stirn …

„Hm ‒ ‒ noch etwas ‒ ‒ noch etwas?! ‒ ‒ Halt, ja … ja … ich weiß noch etwas … Er sagte zu ihr in einer fremden Sprache einen Satz, in dem das Wort Joojakarta vorkam …“

„Famos!! Joojakarta, das ist ja ein Varieteekünstler, ein Raubtierdresseur …“

Ferdinandchen, der alte Gichtgreis, feixte plötzlich ganz selig …

„Herrgott, das hätte ich beinahe vergessen … Erst der „Dresseur“ brachte mich darauf … der Hund, Herr Harst … der Hund, ‒ ‒ das war ja gar kein Hund, Herr Harst, das war … ein schwarzer Panther, den die beiden als Wächter und Pferd benutzten. Als Pferd knöpften sie ihn in ein Hundefell ein …: Tatsache!! Ich hab’s gesehen …!“

„Na, na, das klingt sehr nach Jägerlatein, lieber Herr Miller … Ein Panther läßt sich doch nicht ohne weiteres in ein Fell hineinzwängen!“

„Oh, die Bestie war lammfromm, Herr Harst … ‒ ihrem Herrn gegenüber … Ich sah’s ja mehrmals, wie der Kerl mit dem Panther spielte …“

„In der einen Nacht ?“

Miller wurde verlegen …

„Natürlich, natürlich, ‒ in der einen Nacht … Wann sonst?!“

„Allerdings … ‒ Nun, dann unterliegt es wohl keinem Zweifel mehr, daß der Produktenhändler der Dresseur Joojakarta war. Merkwürdig bleibt nur, weshalb er in 222 nebenan Quartier bezogen hatte ‒ sehr merkwürdig. Aber das wird sich ja aufklären lassen, hoffe ich. Wir wollen nun nicht länger stören, Herr Miller … Bemühen Sie sich nicht weiter, uns etwa hier zum Hause herauszulassen. Wir benutzen denselben Weg ‒ durch das Loch, durch 222, über das Dach … Und die Zeitungsbündel werden wir ebenfalls an Ort und Stelle wieder auftürmen. ‒ Sie hören noch von uns … Gute Nacht …“

Miller streckte Harald sie Hand hin. Sie wurde übersehen. Harald hatte es glänzend heraus, Händedrücke zu vermeiden.

Wir betraten also wieder das bewußte Zimmer, nein, die elende Rumpelkammer.

Ich war’s, der durch das Mauerloch vorankroch. Ich hielt die eingeschaltete Taschenlampe in der Linken. Als ich mich aufrichtete, glitt der Lichtkegel zufällig über die Ruine von Sofa hin. Ich stand reglos. Da saß Vincent Saalborg, rauchte eine Zigarette, lächelte mich an, nickte mir zu und hielt dann den Zeigefinger an die Lippen.

„Vorwärts doch!“ brummte Harald hinter mir und gab mir einen gelinden Stoß gegen die Sitzgelegenheit. Ich versperrte ihm den Weg, machte nun zwei Schritte vorwärts und starrte noch immer Saalborg an.

Harald drängte mich etwas zur Seite. Auch er hatte den „großen“ Saalborg bemerkt. Aber er nahm zunächst keine Notiz von ihm, klappte das Stück Tapete herab und begann die Zeitungen umzuschichten.

Ich half. Es ging sehr schnell. Mit welchen Gedanken ich diese Arbeit erledigte, wird jeder sich selbst unschwer vorstellen können.

Nun waren wir fertig. Harst schleppte noch ein paar Kisten und ein paar Bastmatten herbei und verstärkte die Barrikade.

Hin und wieder hatte ich nach dem Sofa hinübergeschielt. Unser Vincent lehnte da wie ein völlig Unbeteiligter, sah zu und … rauchte.

Harald ging zu ihm, reichte ihm die Hand.

„Saalborg,“ meinte er leise … „Sie leben wirklich noch?!“ In seiner Stimme war ein warmer Unterton. Er sprach gedämpft, er behielt Saalborgs Hand in der seinen. „Sie sind sehr leichtsinnig,“ fügte er hinzu. „Sie kennen mich … So sehr ich auch Ihre besondere Wesensart milde zu beurteilen bereit bin: Wir sind auch hier Gegner!“

Saalborg hatte sich erhoben.

In seinen Zügen war ein frohes Leuchten.

„Jahre sind’s her … Vier Jahre, Herr Harst … Und jetzt ‒ dieses Wiedersehen! Ich freue mich!“

Harst gab seine Hand frei. Und Saalborg schüttelte die meine. „Herr Schraut, ‒ eine überraschende Begegnung auf dem Felde der … Unehre oder der Ehre, wie man’s nimmt! Sie haben sich gar nicht verändert. Von mir kann man das leider nicht sagen … Ich habe viel durchgemacht. Doch ‒ davon später …!“

Harst hatte bereits in dem schäbigen Sessel Platz genommen.

„Ob diese Bude sich gerade für eine Aussprache eignet, bleibt zweifelhaft,“ meinte er ernst. „Miller kann wie vorhin über das Dach hierher kommen, und … ich halte ihn für gefährlich. Der Mensch hat …“

„… alle Ursache, der Polizei aus dem Wege zu gehen, Herr Harst … Er würde außerdem das Dach besetzt finden. Es war schon besetzt, als Sie beide kamen. Im Staube hinter dem roten General fand ich Ihre Fußspuren. Sie haben meiner Unterredung mit Miller beigewohnt, und wir können uns deshalb ganz kurz fassen. ‒ Bitte, nehmen Sie doch neben mir Platz, Herr Schraut … So … Machen wir es uns gemütlich … Sie gestatten …“

Er hielt uns sein goldenes Zigarettenetui hin …

„Keine Sorge, meine Herren: die Zigaretten sind kein Pappkarton mit Kakteen, wirklich nicht … Es ging ja überhaupt sehr gegen meine Prinzipien, Ihnen beiden diesen an sich infamen Streich zu spielen. Aber die Verhältnisse zwangen mich dazu. Ich brauchte unbedingt noch zwei Tage Zeit. Sie beide aber hätten auf jene Zeitungsnotiz hin ebenso sicher angebissen und mich hier gestört. Das von mir verwendete Gas konnte anderseits Ihre Gesundheit ernstlich nicht gefährden. Das wußte ich. Entschuldigen Sie bitte, daß ich zu einem so verwerflichen Mittel griff, Sie von hier fern zu halten. Es ging wirklich nicht anders … Ich mußte Zeit gewinnen, wenn nicht die Arbeit von Monaten zwecklos werden sollte.“

Er sagte das alles in so liebenswürdig-aufrichtiger Art, daß Harald lediglich erwiderte ‒ und eine Zigarette nahm.

„Ich hätte mich gefreut, Sie auch in der Hinsicht verwandelt wiederzusehen, daß Sie Ihren einstigen … Beruf aufgegeben haben, Saalborg.“

„Das habe ich!“ erklärte unser Gegner mit derselben Offenheit. Seine klugen, kühlen Augen hielten Haralds prüfend-erstauntem Blick ohne Scheu und Hinterhältigkeit stand. „Ich bin nicht mehr der Gentleman-Dieb von einst … Ich habe die Welt von mir selbst befreit. Daß ich jetzt scheinbar wieder … abgerutscht bin, scheinbar, daran bin nicht ich, sondern eine Frau schuld, wenn man überhaupt von „Schuld“ hier sprechen kann. Zu meinem Bedauern darf ich Ihnen aus sehr schwerwiegenden Gründen meinen Kampf gegen Miller nicht eingehender begründen. Sie kennen mich aber. Es gibt Verhältnisse, die eben mächtiger sind als wir selbst, Sie kennen mich als im Grunde anständigen … Gauner. Was ich mit Miller zu erledigen hatte, war Pflicht, genau wie Sie beide es stets für ihre Aufgabe hielten, das Unrecht zu bekämpfen.“

Auch ich hatte mir eine Zigarette genommen.

Es war ein mehr als seltsames Konsilium hier in dem elenden Zimmer: drei gut gekleidete Männer im ungeheizten Raume zwischen Gerümpel … Und draußen fegte der Wintersturm durch die Straßen … Nebenan in 221 aber hockte vielleicht noch immer im Schreibsessel der Bestohlene, ‒ der Mann, der mir geradezu widerlich und der doch unsere Hilfe beanspruchen durfte: Ein durch Saalborg Geschädigter!

Harald hatte diese letzten Äußerungen meines Sofanachbarn widerspruchslos mit angehört. Aber sein etwa verkniffener Mund und ein kaum merkliches Achselzucken zeigten mir, daß er diesen Vergleich zwischen Saalborg und uns keineswegs billigte.

Eine kurze Pause entstand. Dann entgegnete er:

„Sie haben bei diesem Kampf gegen das Unrecht ganz nett verdient!“

Saalborg schien auf diesen Einwurf vorbereitet.

„Sie irren, Herr Harst … Bei diesem Kampf mußte der Schuldige bestraft werden. Armut ist eine Strafe … Miller führte das Leben eines echten Parasiten. Nach außen hin war er der armselige Kleinrentner, insgeheim … schlemmte er, und sein Freundinnenkreis war ein Harem.“

„Noch kein Grund, ihn zu bestehlen,“ meinte Harald scharfen Tones.

Saalborg lächelte nachsichtig. „Ich nannte ihn einend Parasit, Herr Harst … Er war eine Zecke, ein Holzbock, bekanntlich kleine flache Milben, die im Walde vorkommen, sich an Hunden, Menschen, Vieh festsaugen und zu einer grauweißen Kugel sich aufsaugen. ‒ Mehr über Miller darf ich nicht verraten.“

„Das ist alles gut und schön,“ erklärte Harst kurz. „Trotzdem: Sie werden Ihren Raub wieder herausgeben! Ich kann mich unmöglich mit Ihnen auf einen Disput[9] darüber einlassen, ob …“

Und ‒ ‒ schwieg …

Lauschte …

Flüsterte: „Die … Treppe!!“

Sie knarrte …

Und es mußten mehrere Personen sein, die da eilends von oben herabkamen.

Saalborg war aufgestanden. Wie ein Schatten verschwand er im Nebenraum, in dem Stübchen, dessen Fenster nach dem Hofe hinausgingen.

Indem flog die Tür auch schon kreischend auf.

Auf der Schwelle standen vier Leute …: Ferdinand Miller, hinter ihm drei waschechte Gentlemen aus der Gegend des Schlesischen Bahnhofs …: Verbrechertypen niederster Sorte!

 

2. Kapitel.

Der alte Saalborg …

Miller hatte ein infames Grinsen um den Mund. Seine Leibgarde aber hatte anderes, was schwerer wog: die drei Kerle ‒ es waren Leute unbestimmbaren Alters, verlebt, verliedert, verkommen ‒ hatten Pistolen.

Die Geschichte wurde also ernst.

Miller kam näher.

Die Scharfschützen behielten uns im Auge.

Zielten …

„Wo ist der Lump?!“ fragte Miller frech.

„In nächster Nähe,“ ‒ und Harald hob die Hand und deutete auf … Miller selbst.

Der wurde grüngelb.

„Herr Harst,“ zischte die Zecke, „die Partie muß anders gespielt werden! Jetzt habe ich die Asse und die Bauern … Der Skat hat sich geändert.“

„Durchaus nicht, mein verehrtester Herr Miller … Nichts hat sich geändert … Wir suchten Seiner Durchlaucht dem Fürsten Iwenstern den Raub abzujagen. Wenn Sie nicht mit Ihren drei „Bauern“ so laut die Treppe herabgepoltert wären, würde Seine Durchlaucht zweifellos alles herausgegeben haben. Nun ist er dorthin entwichen und sicherlich längst über alle Berge ‒ oder Dächer.“

Miller stieß schon die Verbindungstür auf. Sie kreischte ekelhaft. Er hatte eine große Radlerlaterne mit, leuchtete hinein in die Haufen von Trödlerkram.

Dann zu einem der drei:

„Suche!!“

Das klang fast wie der Befehl an einen Hund … „Such’, Tyras!“

Und der Kerl schob sich in das Stübchen, kehrte das Unterste zu oberst.

Seine Durchlaucht wurde nicht gefunden! Auch im Hofe nicht.

Miller schäumte …

Zumal Harald seine Mirakulum mit der ganzen Seelenruhe eines gänzlich Unbeteiligten qualmte.

„Herr Harst, Sie kennen den Schuft!!“

„Sie doch auch!“

„Nein …! Leider nein!“

„So?! Und vorhin in Ihrem Wohnzimmer erzählten Sie uns, daß Sie den Produktenhändler auch als Gentleman gesehen haben …“

„Ah ‒ also es ist derselbe!!“

„Natürlich ‒ genau so natürlich, wie Sie uns belogen haben. Das Loch dort in der Mauer ist das Werk Seiner Durchlaucht. Sie selbst ahnten nicht, daß der Produktenhändler es auf Sie abgesehen hatte. Erst nachdem er Sie vor drei Tagen zum ersten Mal bestohlen hatte, ging Ihnen das bekannte Licht auf. Er stahl die Aktien damals ebenfalls. Sie waren für ihn wertlos. Er bot sie Ihnen an. Sie sollten das Geld holen und er ‒ schlüpfte durch die Wandöffnung zu Ihnen hinein, war bereits zur Stelle, bevor Sie noch daheim ‒ über das Dach ‒ anlangten. Er paßte gut auf, wo Sie Ihre Barbestände versteckt hielten, die er beim ersten Mal nicht gefunden hatte. Er beobachtete Sie also heimlich und ‒ nahm alles mit, alles … Nun sind Sie arm, bettelarm, Herr Miller … Durchlaucht hat Sie gänzlich ausgepowert. Ich behaupte, Sie können nicht einmal Ihre Garde mehr besolden …“ Und er nickte den drei Scharfschützen gemütlich zu.

Die hatten aufgehorcht.

Der eine meinte in leckerstem Berlinisch:

„Wenn die Jeschichte so stehn tut, Herr Miller: alsdann ‒ nich ’n kleenen Finger rühr’n wa for Ihnen! Erst nu mal raus mit die dreihundert Märker!“

Miller ward grün … nicht nur grüngelb. Er durchschaute Harsts bescheidenen Trick.

„Ihr sollt jeder zweihundert haben ‒ ‒ morgen,“ kreischte er mit einer Fistelstimme, die durch Mark und Bein ging.

„Ach nee: heite, heite, nich morjen,“ meinte der Kerl mit der Zuhältervisage … „Raus mit die Kröten, Herr Miller … Schanieren Sie sich nich …!“

Miller zitterte …

Aber zahlte nicht.

Er besaß nichts mehr.

„Alsdann,“ sagte der Sprecher, „alsdann ‒ jute Nacht, oller Schwindler! So ’ne Frechheit!! Lockt det A… uns hierher, und hat noch nich mal ’n Knopp ins Portföh. ‒ Entschuldijen Sie, Herr Harst … Wir türmen!“

Ferdinand Miller hatte sich mit beiden Fäusten auf eine Kiste gestützt.

„Ihr … werdet … mich schon noch brauchen …“ sagte er zu den dreien mit wuterstickter Stimme. „Ich … komme wieder hoch!! Ich bin … noch lange nicht erledigt ‒ lange nicht!“

Hohngelächter von der Tür her …

Die Tür fiel krachend und klappernd ins Schloß. Dann das Knarren der Treppenstufen …

Stille … ‒

Harald nahm eine neue Mirakulum.

Ich, wieder in die Sofaecke geschmiegt, erwartete voller Spannung den Fortgang der Dinge.

Miller beruhigte sich.

Ihm kam erst jetzt zum Bewußtsein, daß er sich uns gegenüber soeben eine schwere Blöße gegeben hatte. Sein Eingeständnis, in Verbindung mit Verbrechern zu stehen, reute ihn. Ein scheuer Blick streifte Harald … Dann meinte er:

„Diese Kerle belästigen mich immer wieder. Ich war früher Rechtskonsulent, Herr Harst … Noch jetzt habe ich leider eine kleine, mir peinliche Klientel …“

Harald schwieg. Aber seine starren, harten grauen Augen brachten den Lügner zum Erröten.

Miller setzte sich verlegen auf die Kiste und zog den schmierigen Schlafrock enger um die mageren Glieder. Er überlegte, wie er wohl die Dinge wieder für sich günstiger gestalten könnte und erklärte schließlich mit der ganzen Unverfrorenheit eines hartgesottenen Hehlers, denn das war er ja fraglos:

„Werden Sie diesen Schuft, der mich bestahl, finden, Herr Harst? ‒ Ich … hoffe es … Ihnen ist nichts unmöglich.“

Auf diese plumpe Schmeichelei entgegnete Harald eisig:

„Ihnen ist auch nichts unmöglich, scheint mir … ‒ Was wollten Sie eigentlich hier mit diesen drei bewaffneten Zuhältern?“

„Den Fürsten fangen …“

„Und uns beide?!“

Miller hüstelte … In seine Augen trat ein Flimmern …

„Herr Harst, ich habe gelauscht!!“

„Also kennen Sie den Namen des Produktenhändlers …“

„Vincent Saalborg!!“ rief Miller triumphierend.

„Und Sie glauben, damit etwas ausrichten zu können?“

„Vielleicht …!“ Ein niederträchtiges Grinsen unterstrich dieses eine Wort.

Harald warf ihm einen prüfenden Blick zu.

„Herr Miller, zunächst das eine: Von uns haben Sie nichts mehr zu hoffen. Dann das andere: Ich warne Sie!! Sehr eindringlich!! Sie[10] scheinen da irgendwie Dummheiten machen zu wollen. Lassen Sie das! Ich würde Sie nicht schonen!“

„Oh ‒ Sie würden es!! Bestimmt!! Ich warne Sie ebenfalls: Entweder Sie jagen Saalborg den Raub wieder ab, oder es passiert etwas, das Ihnen … das Genick bricht!“

Das war eine so ungeheure Unverschämtheit, daß ich mich nicht länger beherrschen konnte …

„Frecher Kerl, Sie …!! Sie … drohen uns, ‒ da hört sich doch alles auf!!“

Er schaute mich an … Seine Augen sprühten Haß und Heimtücke.

„Da … hört gar nichts auf, Herr Schraut … Da fängt vielleicht erst etwas an …! ‒ Also wollen Sie?“

Das galt Harald.

„Ein interessanter Typ,“ meinte Harst zu mir, als ob Miller gar nicht vorhanden wäre. „Ein Hehler von verblüffender Unverfrorenheit … ‒ Gehen wir. Ich bekomme kalte Füße …“

Er stand auf und schritt zur Tür.

Ich auch …

„Herr Harst!!!“

Harald öffnete die Tür …

Miller existierte für ihn nicht mehr.

„Herr Harst, Sie werden es bereuen!!“ keifte das nichtige Scheusal hinter uns … ‒

Wir erreichten die stille Straße. Das Schneetreiben hatte nachgelassen. Ein Einstreifer brachte uns heim. Während Harald den Chauffeur bezahlte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß in Haralds Arbeitszimmer Licht brannte. Die Laden waren geschlossen, aber oben war doch ein schmaler heller Strich zu erkennen.

„Harald ‒ ‒ Licht bei dir!“

„Wundert dich das?! Es wird Saalborg sein …“ ‒

Es war Saalborg …

Es war doch der alte Vincent Saalborg von früher, für den es keine Sicherheitsschlösser gab …

 

3. Kapitel.

Einladung zur „Blauen Maus“.

Er saß am Kamin im Klubsessel. Sein Pelz lag über der Sofalehne.

Bei unserem Eintritt legte er die Zigarette weg und erhob sich.

„Sie scheinen mit Miller doch noch Weiterungen gehabt zu haben, meine Herren …“ Er lächelte liebenswürdig … „Oder besser: Sie haben sie gehabt … Ich war nachher wieder im Nebenraum … Ich wollte Sie doch nicht in der Patsche stecken lassen. Hätten Sie, Herr Harst, Millers Garde nicht so fein entwaffnet, dann würde es mein Cassius getan haben, der zahmste und kräftigste meiner Panther. Wir hatten ihn mit auf das Dach genommen ‒ im Hundekostüm ‒, wo meine Frau wartete und Posten stand. Cassius hätte die drei Burschen schnell bekehrt.“

Harald schüttelte leicht den Kopf.

„Sie haben sich doch nicht geändert, Saalborg! ‒ Nehmen Sie wieder Platz. Und reden wir offen … ‒ Haben Sie Ihre Gaunerlaufbahn aufgegeben?“

„Ja …“

Saalborg lehnte zwanglos-elegant am Kamin. Er trug einen dunklen Einknopfanzug, der seine schlanke, schnittige Figur wirkungsvoll in jeder Linie hervorhob.

„Und ‒ Ihr Geschäft mit Miller?“

Harald setzte sich in den anderen Klubsessel. Ich schob zwei Buchenscheite in den Kamin auf die glühenden Preßkohlen.

„Bedauere unendlich: Ich bin diskret,“ erwiderte Saalborg verbindlich. „Ich habe Rücksichten zu nehmen. Herr Harst, hier ‒ ‒ bitte …“

Er reichte ihm ein Formular …

„… Sie sehen, ich habe vor einer Viertelstunde in der auch nachts geöffneten Wechselstube der Gebrüder Schlesinger für den Berliner Kinderhort eingezahlt ‒ als Fürst Alexander Iwenstern, als angeblichen Spielgewinn dieser Nacht: genau hundertachtundfünfzigtausend Mark. ‒ Das ist die Barsumme, die ich von Miller als Strafe erhob. Ferner habe ich Schlesingers Diamanten im ungefähren Wert von fünfzigtausend Mark zu gleichem Zweck übergeben ‒ für arme Kinder. Und Ihnen überreiche ich hiermit das Paket Aktien … bitte …“

Er nahm es vom Rauchtische …

„Bitte ‒ Millers Aktien … Tun Sie damit, was Sie wollen … Ich kann sie leider nicht verwenden. Ich betone nur: Miller ist eine Bestie!“

Harald überflog das Formular …

Er schaute auf.

„Saalborg, ‒ Sie haben gut Wohltäter gespielt … Aber ‒ ‒ ich?! Soll ich das so hingehen lassen?! Wie denken Sie sich …“

Er verstummte …

Es war niemand mehr da ‒ außer mir …

Freund Vincent hatte blitzschnell Pelz und Hut ergriffen, war in Harsts Schlafzimmer geschlüpft …

Das Schloß knackte.

Er hatte für seinen Rückzug gesorgt.

Als ich auf den Hof kam, stand der eine Fensterflügel offen. An der Mauer lehnte unsere Leiter. Saalborg war verschwunden.

Ich kletterte in das Schlafzimmer hinein, schloß die Tür auf und betrat das Arbeitszimmer.

Harald saß ruhig am Kamin und wärmte sich die Füße.

„Er stiehlt jetzt für andere, mein Alter,“ empfing er mich … „Aus Saalborg wird man nie klug werden … Wir halten ihn jahrelang für tot … Er taucht als Dresseur wieder auf, bewohnt ein baufälliges Haus, ruiniert einen alten Hehler und … tut Gutes. Ein Rätsel, dieser Mensch …!“

Er gab mir das Formular …

„Da ‒ er hat tatsächlich das Geld eingezahlt und die Steine zum Verkauf übergeben … ‒ Wirst du daraus schlau, lieber Alter?! Ich nicht …! Miller ist Hehler. Weshalb schädigte Saalborg ihn derart?! Persönliche Rache?! Nein, nein, ‒ darüber ist ein Saalborg erhaben … Was also sonst?!“

Wir rieten hin und her.

Erst um vier Uhr morgens gingen wir zu Bett ‒ um nichts klüger.

Das Geheimnis von Parochialstraße 222 war nun ja aufgeklärte Aber das andere …?! ‒

Elf Uhr vormittags …

Wir hatten gerade gefrühstückt. Wir hatten in der Veranda den warmen Sonnenschein des klaren Wintertages genossen … Haralds Mutter hatte sich alles erzählen lassen. Auch sie stand vor einem Rätsel. Und sie war doch eine so kluge, kühl-kritische, aber warmherzige Natur, hatte uns schon so und so oft durch treffende Kombinationen überrascht.

Am Fenster in Sonnenlicht standen die Kakteen …

Wen ich mir so recht überlege, was alles seit dem Vormittag geschehen, als die angebliche Frau Anselmurk mit ihren Kakteen uns hineingelegt hatte ‒ ‒ ins Bett!! ‒ ‒ was alles: Wochen hätten diese Ereignisse ausfüllen können! ‒

Mathilde schwebte herein …

Ihr Pausbackengesicht war blaurot …

„Herr Harald …“ ‒ sie schnappte nach Luft ‒ „Herr Harald, ‒ ‒ so was von Klijentin is noch nie dajewesen … ’ne Dame … im Zobelpelz … Und ’n Parföng, Herr Harald, ‒ ‒ so zart … Und Händchen wie ’n Kind …“

Sie holte tief Atem …

„Und … schön ‒ ‒ schön wie die Läddie Hammiltong, was doch die Flamme vom Admiral Nelsong war und bei uns im Salong hängt …“

„Hamilton, liebe Mathilde … “

„Sagte ich ja: Hammiltong …! Und hier is ihre Karte … Bitte …“

„Der Lady Hamilton Karte?! Unmöglich! Die ist längst tot …“

„Jott, Sie missen doch immer Ihre Witzchen machen …“

Auf der schlichten Karte aus feinstem Büttenpapier stand:

Frau Helene Olbrich,

geb. Komtesse v. Arnbaben.

Berlin W. 112.
Rizziusstraße 2.

Und unsere dicke Mathilde, die neidlos die fremde Schönheit anerkannte, hatte nicht übertrieben.

Frau Olbrich war blendend schön und rührend jung.

Als wir sie, die wir bisher nie gesehen, begrüßt hatten, als sie dann mit mühsam unterdrücktem Schluchzen erklärte, sie wünsche lediglich Haralds Rat einzuholen, da war’s mein Freund, der dieses verstörte, verängstigte liebe Geschöpf rasch wieder aufrichtete.

„Gnädige Frau, ‒ nur ehrlich sein, ‒ ehrlich wie zu einem Beichtvater,“ ermahnte er zum Schluß …

Sie betupfte die Braunäuglein, nickte … begann …

„Mein Mann ist der Generaldirektor Olbrich von der Rafa-A.-G. Wir sind erst ein Jahr verheiratet. Ernst ist bedeutend älter als ich, und … und er hat wenig Zeit für mich …“

„Das alte Lied …“ dachte ich. „Die kleine Frau hat Dummheiten gemacht.“

Ich irrte mich. Es kam anders …

Frau Helene entnahm ihrem Handtäschchen einen Brief.

„Herr Harst, heute mit der ersten Post erhielt ich diese Karte für das Varietee Blaue Maus und diesen mit Maschine geschriebenen Brief …“

Die Karte war Orchestersessel Nummer 12 rechts. Der Brief:

Benutzen Sie auf jeden Fall beiliegende Karte. Es wird ein Wunder geschehen. Denken Sie an Warnemünde.

Das war alles.

Harald fragte: „Was war in Warnemünde?“

Frau Olbrich errötete …

„Das … das ist mir eben völlig unbegreiflich, Herr Harst … Ich habe nur einmal vier Wochen mit meinen Eltern in Warnemünde gewohnt ‒ kurz vor meiner Verlobung …“

Sie … schwindelte …

Harald erklärte denn auch:

„Gnädige Frau, so kommen wir nicht weiter … Was war in Warnemünde?“

Tränenstrom …

„Ich … ich … hatte … dort einen Verehrer.“

„So, ‒ und unterhalten Sie noch immer Beziehungen zu ihm?“

„Nein ‒ bei Gott nicht!“

Sie log nicht.

„Dann will der Betreffende Sie vielleicht wiedersehen ‒ in der Blauen Maus …“

„Unmöglich, Herr Harst. Er ist ja vor acht Monaten nach Japan gegangen, ist noch immer dort ‒ bestimmt.“

„Und Sie haben auch keine Ahnung, gnädige Frau, worauf sich die Andeutung „Es wird ein Wunder geschehen“ bezieht?“

„Nein.“

Auch das war keine Lüge.

„Weshalb sind Sie denn derart verstört, gnädige Frau?“

„Durch die Anspielung auf Warnemünde, Herr Harst … ‒ Ich könnte ja das Varietee besuchen … Mein Mann ist geschäftlich in Stockholm … Aber … ich fürchte mich … Ich wollte Sie bitten, vielleicht hinter mir Plätze zu nehmen und mich zu beschützen, falls … ‒ ich war eben noch nie allein in einem Varietee, und die Blaue Maus dort am Alexanderplatz ist doch nur … zweiter Güte …“ ‒

Es war von ihr nicht mehr zu erfahren. Harald versprach, daß wir maskiert erscheinen würden, und glückstrahlend verabschiedete sich Lady Hamilton. ‒

„Nun, mein Alter?“

Ich erwiderte achselzuckend:

„Was soll man davon halten?! ‒ Jedenfalls hat sie uns nicht alles eingestanden.“

„War auch nicht mehr nötig …“

„So?!“

„Nein.“

„Du meinst, ihr verflossener Verehrer ist doch hier?“

„Nein.“

„Was also dann?“

„Sieh’ dir den kurzen Brief genau an … Sie ließ ihn hier.“

Ich las nochmals die getippten Zeilen, ich drehte den Briefbogen um, prüfte den Umschlag …

„Bedauere …!“

Harald klopfte mir leicht auf die Schulter …

„Genau sehen, lieber Alter! Immer sorgfältig sein! ‒ Wo ist der Brief abgestempelt?“

„Ah ‒ das ist ja das Postamt, zu dem die Parochialstraße gehört!!“

„Allerdings!“

„Etwa … Saalborg der Absender?!“

„Vielleicht …“

„Aber der Zweck?“

Er blinzelte mich an …

„Der Zweck? ‒ Du wirst es miterleben … Vielleicht stimmt meine Vermutung. Besorge jedenfalls sofort Karten zur Blauen Maus und möglichst dicht hinter Sessel Nr. 12. Beeile dich, nimm ein Auto … Aber: Vorsicht!! Fahre nicht direkt hin. Denke an Ferdinand!! Der Mensch führt etwas im Schilde.“

„Möchtest du mir nicht besser deine Vermutung mitteilen? Du weißt: Bei deiner Geheimniskrämerei kam selten etwas Gutes heraus.“

„Manchmal ja … diesmal: Ein feines Problem, mein Alter. Trifft das zu, was ich nun annehme, so ist Saalborg zu verstehen …“

„Orakelhaft!!“

Ich fuhr zur Blauen Maus, bekam auch Orchestersessel 27, 28, und kehrte auf Umwegen heim, ohne Verfolger zu spüren.

Im Auto hatte ich genügend Zeit, mir die Dinge zu überlegen … Aber ‒ ich fand keine Lösung.

Als ich Blücherstraße 10, Hinterfront, durch den Gemüsegarten das alte mollige Harstsche Familienhaus betrat, stand Mathilde im Flur und bürstete meine Sporthosen, Garnitur 3[11].

„Herr Harald is weg,“ erklärte sie … „Als Postbote … Von hinten … Sie sollen nicht auf ihn warten, Herr Schrautchen …“

„So … so … Sie sind ja so guter Laune, Mathildchen.“

„Ja … Heut’ haben wir nur Damens, hübsche Damens. Im Arbeitszimmer sitzt eine … seit fünf Minuten …“

Sie gab mir eine Karte …

Frau Lydia v. Settenstein,

geborene Markus.

Berlin-Grunewald,
Bismarckallee 14.

‒ Ob die etwa auch in die Blaue Maus kommen sollte?!

 

4. Kapitel.

Die Zauberin.

Die geborene Markus war südländischer Typ: ‒ elegant, rassig, vornehm, aber … genau so verstört wie Frau Helene Olbrich.

Zunächst hatte ich einige Mühe, sie zum Reden zu bringen. Sie wollte durchaus Harald sprechen.

Und dann: Wahrhaftig genau dasselbe seltsame Spiel:

Eine Karte für heute abend zur Blauen Maus, Orchestersessel 12 links.

Benutzen Sie auf jeden Fall beiliegende Karte. Es wird ein Wunder geschehen. Denken Sie an das Nordkap.

Hier also nicht Warnemünde, hier Nordkap!!

Nun, ich war ja bereits leidlich im Bilde.

„Gnädige Frau, Sie gestatten, daß ich ganz offen spreche. Sie haben einmal bei einer Nordkapfahrt jemand kennengelernt, der Ihnen näherstand und …“

Tränenstrom …

Lügen …

Ausflüchte …

Schließlich derselbe Vers: Wir möchten doch auf jeden Fall ihr helfen und auch die Blaue Maus heute besuchen …

„… Ich bin noch nie in einem solchen niederen Varietee gewesen … Mein Mann ist auf unserem Gut in Pommern …“

Merkwürdig, diese Übereinstimmung der Umstände!

„… Herr Harst ist doch so hilfsbereit und so diskret, und Sie auch, lieber Herr Schraut …“

Ich auch … Ich hinke immer nach. Ich bin immer nur Anhängsel.

„Wir werden zur Stelle sein, gnädige Frau …“

Sie strahlte … ‒

Und ich war allein am Kamin im tiefen weichen Sessel und kombinierte … grübelte … rauchte …

Höchst eigentümlich, diese Duplizität der Ereignisse! Zwei Damen ‒ zwei Briefe … Auch der der Frau Lydia auf dem gleichen Postamt abgestempelt!!

Saalborg?!

Was hatte er mit diesen reichen jungen Frauen zu tun?!

Frau Lydia hatte lediglich zugegeben, daß sie als Fräulein Markus vor zwei Jahren in Norwegen gewesen und daß sie dort einen Herrn etwas bevorzugt habe, der nun längst selbst verheiratet.

Daraus sollte sich ein anderer einen Vers machen! Ich konnte es nicht.

Ich fuhr nochmals zur Blauen Maus und besorgte eine Karte Orchestersessel links Nummer 23.

Heimgekehrt, glaubte ich Dame Nummer drei vorzufinden.

Täuschung.

Der Auftrieb eleganter Frauen schien beendet.

Harst erschien erst um fünf Uhr nach Eintritt der Dunkelheit. Aber er sagte nicht, wo er gewesen …

„Abwarten, mein Alter … Feine Sache!!“ ‒ ‒

Um halb neun saß ich Orchestersessel 23 links in der Blauen Maus ‒ ich, biederer Spießer. Harald saß hinter Frau Helene Olbrich neben seiner Mutter, die durchaus mit von der Partie hatte sein wollen.

Leider kann ich hier wegen Raummangels keine zünftige Schilderung einer Varieteevorstellung genial hinschmettern …

Jedenfalls: Schlecht war das Programm nicht. ‒ Nach der großen Pause kam die Sensation:

Miß Atraka Joi,

moderne Wunder.

Der Vorhang ging hoch … Tusch … ‒ die Bühne ein Gartenlokal … Vorn ein Tisch, ganz aus Glas, sehr groß … etwas schräg, so daß man die Platte bequem übersehen konnte.

Ein alter Kellner mit Franz-Joseph-Bart erscheint und säubert die Tische. Dann kommt ein Gast, eine elegante Dame mit Autobrille, Ledermantel … Lederkappe, lehnt ihr Motorrad an einen Baum (aus Pappe und Leisten).

Moderne Wunder!!

Jetzt paßte ich noch mehr auf als bisher.

Die Dame auf der Bühne geht zum Glastisch und bestellt Kaffee und ein Schinkenbrötchen. Der Kellner dienert, kehrt seine übertriebenen Grafenmanieren noch mehr hervor, verschwindet, bringt das Gewünschte, stellt alles auf die Glasplatte des Tisches und füllt das Mokkatäßchen …

Die Platte ist durchsichtig. Das Publikum ist also in der Lage, genau zu kontrollieren, daß nicht etwa der Tisch verborgene Fächer enthält.

Der ehrwürdige Kellner prallt mit einem Male entsetzt zurück. Aus dem Kännchen, dessen Deckel zur Seite geflogen, züngelt eine fast armdicke Schlange hervor … Und aus dem Täßchen flattert ein Kanarienvogel hoch, setzt sich der Zauberkünstlerin, die im Sessel neben dem Tischchen Platz genommen hat, auf die Hand und beginnt zu singen. Dann kriecht aus der Zuckerschale bedächtig eine weiße Ratte heraus, aus dem Sahnenkännchen eine weiße Maus, und das Schinkenbrötchen verwandelt sich in einen mittelgroßen Papagei …

All das wirkt ebenso lustig wie verblüffend.

Dann eine Handbewegung Miß Jois, und der ganze Tierspuk verschwindet. Die Miß trinkt ihren Kaffee, ißt das Brötchen, ‒ der Kellner schleicht neugierig näher und räumt das Geschirr weg … geht durch die Tischreihen, und abermals erscheinen da die Tiere auf dem Teebrett … Er rennt entsetzt zurück, wirft das Tablett auf den Glastisch … Klirren, Splittern, ‒ ‒ eine neue Handbewegung der Miß, und alles ist wie weggewischt. Dafür sitzt auf dem Tische ein reizender schwarzer Zwergpudel, der im Maule fünf Päckchen hält …

Rasender Beifall ‒ ‒ Tusch!!

Und dann … tritt die Miß dicht an die Rampe …

„Meine Damen und Herren, unter Ihnen befinden sich mehrere, die großen Wert auf gewisse Dinge legen, die ihnen verloren gingen …“

Der Pudel folgt der Zauberin in den Zuschauerraum. Macht vor Orchestersessel 12 rechts halt … Miß Atraka überreicht Frau Helene Olbrich das eine Päckchen …

Und ‒ ‒ als dritte Dame kommt dann Lydia von Settenstein an die Reihe. Ich beobachte genau …

Sie nimmt das Päckchen, zögert, öffnet es, wird blaß und rot …

Briefe sind darin …

Briefe, die sie schleunigst in ihr Handtäschchen schiebt …

Das Publikum reckt die Hälse …

Eine vierte, fünfte Dame wird auf diese Weise beschenkt …

Aber die allgemeine Aufmerksamkeit wendet sich bereits wieder dem Pudel zu, der auf den Glastisch gesprungen ist.

Seine Herrin streichelt ihn …

Blitzartig die Rückverwandlung: auf dem Tische steht nunmehr das Teebrett mit dem unversehrten Geschirr.

Tusch … Beifall … ‒

Ich beuge mich vor, flüstere Frau Lydia zu:

„Gnädige Frau, ‒ Briefe des Herrn vom Nordkap?“

Sie wendet den Kopf:

„Ja … ja, ‒ ‒ endlich!! ‒ Oh, es ist ein Wunder!! Endlich!!“

Und sie erhebt sich, verläßt schnell den Saal … ‒

Die Nummer Miß Jois geht weiter …

Ich blicke zu Harald hinüber … Er winkt … Auch Frau Helene ist verschwunden.

Wir treffen uns im Foyer.

Harald bittet seine Mutter, allein nach Hause zu fahren.

„Schraut und ich haben noch etwas zu erledigen …“

„Was bedeutete das, Harald?“ fragte Frau Harst noch ganz verwirrt …

Er lächelte fein …

„Das bedeutet die Bestätigung meiner Vermutung, liebe Mutter …“

„Es waren Briefe in dem Päckchen …“

„Ja … Ich erkläre dir das alles nachher … Auf Wiedersehen …“

Er nimmt mich unter den Arm … Wir suchen den Eingang zur Bühne. Man macht uns erst Schwierigkeiten, und als wir dann die Garderoben der Künstler erreichen, ist Miß Joi mit ihrem Partner auf und davon … ‒

Wir holen unsere Pelze. Harald ist ein wenig verstimmt[12]. Ich begreife nicht recht weshalb, denn letzten Endes kann er doch mit dem Ergebnis dieses Abends zufrieden sein. Seine Kombinationen waren richtig, wie er seiner Mutter gegenüber äußerte. Warum also diese sichtliche Mißstimmung?!

Als wir draußen auf der Straße stehen und die kalte Winterluft uns angenehm die Gesichter kühlt, als wir dann den um diese Stunde noch sehr belebten Alexanderplatz erreichen, bleibt Harald plötzlich zurück … flüstert mir hastig zu …: „Da ist er wieder …! Er war schon im Foyer am Büfett … Nehmen wir ihn in die Mitte …“

Da erst sehe ich die hagere Gestalt im langen dunkeln Pelz, sehr flüchtig einen grauen Bart, ein Paar Augen, die man nicht so leicht vergißt: Ferdinand Miller! Er sucht zwischen den Nachtschwärmern zu verschwinden … Er war ebenfalls in der Blauen Maus. Also hat er uns doch mit Erfolg nachspioniert.

Ich bin neben ihm, vor ihm …

„N’Abend, Herr Miller …“

Ein Blick trifft mich: Haß!!

„Was wollen Sie?!“ fragt er barsch.

Harst ist schon zur Stelle, winkt ein leeres Auto heran.

„Steigen Sie mit ein!!“

Miller zaudert …

Harald sagt hart: „Das Polizeipräsidium ist nahe!! Und Zellen sind sicherlich frei!!“

Miller steigt ein. Harald flüstert dem Fahrer eine Adresse zu … Ich verstehe nur „Parochialstraße …“ …

 

5. Kapitel.

Millers Kundschaft.

Im Auto wurde kein Wort gesprochen. Harald hält die Rechte mit der entsicherten Clement auf dem Schenkel. Man muß Herrn Miller gegenüber auf der Hut sein.

Der Kraftwagen hielt vor Nummer 223 ‒ ein neueres Haus, unten ein Schild: „Fremdenheim Ahlert“.

Ich bezahle den Chauffeur. Miller und Harald stehen in der Türnische. Ich höre, wie mein Freund sagt: „Hier war ich heute nachmittag als Postbote … Daß Saalborg sich in nächster Nähe von 222 einquartiert hatte, erschien mir gewiß. Es stimmte …“

Er öffnete dann die Haustür mit dem Dietrich.

„Bitte …“

Drei mit Linoleum beschlagene Treppen … Oben eine Tür neben einer größeren ‒ eine geschriebene Karte:

Atraka Joi.

Harst klopft …

Drinnen Stimmen … Jemand fragt: „Wer ist denn da?“

„Ein Freund ‒ Harst!“

Wieder Stimmen …

Ein Schloßriegel knackt … Miller lacht höhnisch … In der Tür steht Vincent Saalborg, ‒ Monokel, Schnürjacke … ‒ Wir treten ein …

Ein möbliertes Zimmer, mäßig elegant … Zigarettenrauch … Neben dem Ofen eine schlanke blonde Frau im roten Kimono: Miß Atraka Joi!

Und da erst wird’s mir hell im Hirn.

Atraka Joi …!! Also Joojakarta!! Joo Jakarta! Ein Spiel mit Buchstaben …!

Saalborg hat die Tür hinter uns verriegelt. Miller hat noch immer das ekle Grinsen um den bärtigen Mund. Ist mir der Mensch nur widerlich!!

Saalborg deutet auf das Klubsofa … „Bitte, Herr Harst …“

Harald winkt ab. „Danke, lieber Saalborg. Wir wollen nicht lange stören.“ Er reicht ihm die Hand. „Sie waren als Kellner auf der Bühne erstklassig … Und die Dame gleichfalls …“

„Meine Frau …“ erklärt Saalborg schlicht. „Wir leben noch in den Flitterwochen … Seit drei Monaten …“ Er lächelt zärtlich. „Tritt nur näher, Anni … Harst und Schraut scheinen noch ihrerseits mit Herrn Miller abrechnen zu wollen. Dabei darfst du nicht fehlen …“

„Abrechnen ist gut!!“ hohnlacht der alte Kerl. „Ich werde abrechnen, ich, den Sie bestohlen haben! Ich!!“

Anni Saalborg steht dicht vor ihm. „Sie … elender Erpresser, Sie …!! Kennen Sie mich?!“

Jetzt, wo Anni Saalborg ohne Autobrille Miller gegenübertritt, wo sie aus dem Halbschatten der Ofenecke im hellen Licht der elektrischen Krone ihre Züge enthüllt, weicht der jämmerliche Schurke erbleichend zurück.

„… Kennen Sie mich?!“ wiederholt sie noch eisiger. „Sie haben mich gehetzt, gemartert, Sie haben mir Heimat und Elternhaus geraubt! Ich war ein halbes Kind, als ich einem gewissenlosen Verführer zum Opfer fiel. Und das haben Sie dann ausgenutzt, haben mich gefoltert, gepeinigt …! Bis ich in meiner Angst … den eigenen Vater bestahl, um Ihre nimmersatte Habgier zu befriedigen! Man jagte mich auf die Straße … Ein Zufall war’s, daß ich in meinem größten Elend meinem jetzigen Gatten begegnete … Wir entwarfen den Plan, Sie zu bestrafen, Ihnen die Fortsetzung Ihres scheußlichen Gewerbes unmöglich zu machen …! Wir nahmen Ihnen die Mittel, nahmen Ihnen alles, was Ihnen noch irgendwie hätte …“

Millers grelles, hämisches Kichern schnitt ihr das Wort ab:

„… Ein feines Pärchen …!“ höhnte er …

Wie er diese Frechheit aufbrachte, ich begriff es nicht.

„Ein feines Pärchen …!“ Er geriet urplötzlich in einen förmlichen Paroxismus von Wut, packte Anni Saalborgs Handgelenk. „Gut ‒ arm habt ihr mich gemacht, bettelarm …! Aber auch ihr beide sollt mit mir hinab in den Abgrund! Die Polizei wird auch … ‒ ‒“, ‒ ‒ und da, als er Anni Saalborg roh zurückstieß, geschah das Gräßliche, Unerwartete …

Wir hatten nicht geahnt, daß Saalborg hier in diesen zwei Zimmern des Fremdenheims seinen Lieblingspanther Cassius mit untergebracht hatte. Die Tür zum Schlafzimmer war nur angelehnt gewesen.

Wie ein dunkler Schatten schnellte jählings ein schlanker schwarzer Tierkörper durch die Luft ‒ ‒ in riesigem, unwiderstehlichem Sprunge …

Schnellte Miller an die Kehle …

Ein gellender Schrei …

Noch einer …

Am Boden wälzten sich Mensch und Tier … Das Tier kroch dann, als Saalborg es am Lederhalsband zurückriß, gehorsam in eine Ecke.

Miller war tot. Das ganze Haus war alarmiert … Irgend jemand hatte eine Polizeipatrouille nach oben gerufen. Zu verheimlichen gab es hier nichts mehr … Saalborg erklärte den Beamten, daß Miller seine Frau bei einem heftigen Wortwechsel roh berührt habe, daß der Panther deshalb zugesprungen sei … Die Schuld an dem Unfall trage der Tote ganz allein. ‒

Wir alle mußten damals mit zur Revierwache. Haralds Name genügte. Seine Bestätigung der Angaben Saalborgs verschaffte uns die Freiheit um so schneller, als Ferdinand Miller der Polizei seit langem als höchst anrüchige Existenz bekannt war. ‒ Bei alledem fiel über das Haus Parochialstraße 222 kein Wort. Und als wir beide dann nach flüchtigem Abschied von dem Ehepaar, das wir am nächsten Tage wiederzusehen hofften, unser Heim in Schmargendorf erreicht hatten und noch in Haralds Arbeitszimmer bei einer Tasse Mokka eingehend das Geschehene besprachen, löste Harald mir auch noch den Rest der ungeklärten Fragen.

Während er versonnen in seinem Täßchen den Zucker zerrührte, meinte er schlicht:

„Die Sachlage wurde mir sehr bald klar, mein Alter. Miller stand als Winkelkonsulent und Hehler mit Verbrechern in engsten Beziehungen. Von Einbrechern kaufte er Briefe auf, die ihnen bei ihren Beutezügen mit in die Hände gefallen waren, ‒ Briefe, die er zu Erpressungsmanövern gebrauchen konnte. Saalborg quartierte sich in Nr. 222 ein, um Miller längere Zeit beobachten und belauschen zu können. So erfuhr er, wer die Unglücklichen waren, die von diesem Scheusal zur Zeit noch … ausgequetscht wurden, so konnte er ihm nicht nur die belastenden Briefe, sondern auch die erpreßten Summen und alles andere Wertvolle abnehmen. ‒ Unser Saalborg als Beschützer von Verfolgten: eine neue Seite seines komplizierten Charakters! Neu auch die Art, wie er den fünf Frauen, die er heute in das Varietee bestellt hatte, die Briefe als „Wunder“ der Zauberin wieder einhändigte! ‒ Es war alles in allem ein Problem, mein Alter, das zu einem zweibändigen Roman gereicht hätte … Neugierig bin ich nur, wer seine Gattin ist und was er in den Jahren, da wir ihn für tot hielten, erlebt hat …“ ‒ ‒

Nun, diese Neugier wurde nicht so bald befriedigt. Als wir am folgenden Tage das Ehepaar mittags besuchen wollten, fanden wir das Nest leer. Die Inhaberin des Pensionats übergab Harald einen Brief, in dem Saalborg lediglich sich von uns verabschiedete …

„… Ich habe mich gefreut, Sie beide wiederzusehen. Anni und ich werden fortan für die Welt verschollen bleiben. Wir haben uns längst eine kleine behagliche Zufluchtstätte vorbereitet, wo wir fortan nur uns selber leben werden. ‒ Ihr dankbarer Vincent Saalborg.“

Mir wollte es gar nicht in den Sinn, daß wir diesem liebenswerten Menschen nie mehr begegnen sollten.

Wir … begegneten ihm noch.

Das ist eine andere Geschichte. Ich will sie im Anschluß an „die Wunder der Joojakarta“ erzählen, obwohl zeitlich sechs volle Monate dazwischenliegen und mithin viele andere „Fälle“, die hier noch veröffentlicht werden sollen. „Dämon Chanawutu“ soll diese Fortsetzung heißen: Ein Stück Menschenleid, ein Blick in das Unzulängliche menschlicher Seelen!

Mit diesen Andeutungen mag für heute genug gesagt sein …

 

 

Verlagswerbung:

Ein Stündchen

der Ablenkung, Entspannung und Erholung nach des Tages ewig gleicher Fronarbeit sollen die Harstbändchen bringen ‒ nicht mehr. Der aufmerksame Leser wird trotz der Anspruchlosigkeit dieser Erzählungen dennoch auch Belehrung und Anregung darin finden. Die lebenswahre Schilderung von Land und Leuten, die scharfumrissene Gestaltung der Charaktere und die gesunde Spannung der eigenartigen Stoffe sind uns aus den verschiedensten Kreisen der Leser immer wieder bestätigt worden. Seit acht Jahren haben Harsts Abenteuer-Erzählungen nur Freude und Unterhaltung gebracht. Schon dies sowie die vielen günstigen Beurteilungen selbst aus literarischen anspruchsvollen Kreisen beweisen, daß jeder Harstfreund mit Recht die Bändchen seinen Bekannten empfehlen kann. ‒ Jede Buch- und Schreibwaren-Handlung hält die Harst-Erzählungen zum Preise von 0,20 Rm. am Lager. Wo sie nicht zu haben sein sollten, bestelle man sie beim

Verlag moderner Lektüre

G. m. b. H.

Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a.

 

 

Anmerkungen:

  1. Dieses erste Kapitel hat wenig mit der Erzählung zu tun, sondern ist vielmehr eine Verteidigungsschrift von Walther Kabel gegen die Einstufung der Harst-Heftchen als Schundliteratur. Das Kapitel erinnert inhaltlich sehr stark an die Verlagswerbung aus dem gleichen Zeitraum. Gleichzeitig sieht sich Walther Kabel wohl genötigt, sich für sein Harst-Werk rechtfertigen zu müssen.
  2. Mit seinem „Sender Runxendorf auf Welle 0,5“ wurde der schlesische Humorist Ludwig Manfred Lommel durch die Breslauer Schlesische Funkstunde populär. Er gehörte ab den zwanziger Jahren zu den bekanntesten deutschen Unterhaltungskünstlern.
    Walther Kabel erwähnt den Sender nochmals am Ende von Heft 300 „Auto 131313“ (hier dann korrekt mit „x“ geschrieben): „Achtung, Sender Runxendorf auf Welle 0,005 bringt zu Gehör: „Der Mann im Feuer“, Tragikomödie aus dem Leben in zwei Akten und zehn Bildern! Beginn: Nach vierzehn Tagen …
    In Heft 301 „Der Mann im Feuer“ treffen wir dann auf den Schriftsteller Hektor Orgin, den Walther Kabel wie folgt einführt: „Orgin schrieb Kriminalromane. Aus Not. Er wollte als begabter Mensch gerne Besseres schaffen, aber dafür fand er keinen Verleger.
  3. Siehe auch: „Die Radiostation W.J. 10“, Heft 218, Kapitel 4: „Notwehr“.
  4. Gemeint ist hier sicherlich „Nervosipopel. Elf Angelegenheiten.“ von Joachim Ringelnatz (1924). Es handelt sich hier um Grotesken, die gewollt an den Dadaismus erinnern.
  5. Vergleiche auch die Verlagswerbung „Ein Stündchen“ auf den Heftrücken dieser und weiterer Harst-Ausgaben im gleichen Jahr.
    Zitat: „Ein Stündchen der Ablenkung, Entspannung und Erholung nach des Tages ewig gleicher Fronarbeit sollen die Harstbändchen bringen ‒ nicht mehr …“ sowie:
    Zitat: „… die vielen günstigen Beurteilungen selbst aus literarischen anspruchsvollen Kreisen …“.
  6. „Die klingende Schelle“ von Felix Salten erschien 1914. Er ist auch der Autor von „Bambi“.
  7. Man beachte, daß die eingeflochtenen Leserbriefe sich nicht an die Figur Max Schraut richten, sondern an den Schriftsteller Walther Kabel. Ob es echte oder erdachte Leserbriefe sind, bleibt dahingestellt.
  8. Vincent Saalborg tritt bereits in den Heften 57–62, 64–66 und 68 auf.
  9. In der Vorlage steht: „Desput“.
  10. In der Vorlage steht: „Sei“.
  11. Entspricht heute der Größe 25.
  12. In der Vorlage steht: „verstummt“.