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Der Spiritistenklub

 

 

Harald Harst

Aus meinem Leben

 

Band: 161

 

Der Spiritistenklub

 

Erzählt von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16, Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1925 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Pachnitzkis Räucherkammer.

Harst lag in bequemer Haltung im Klubsessel neben dem vor Wärme förmlich fauchenden Kaminofen, dessen verglaste Tür eine breite rötliche Lichtbahn in das im übrigen dunkle Zimmer hineinschickte, – – während ich unruhig hin und her ging und immer wieder auf das runde, große Zifferblatt der alten Standuhr schaute, deren eigenartig geformte Zeiger heute mit unerträglicher Langsamkeit vorrückten …

„Mein Alter, du kannst selbst einen Menschen mit stählernen Nerven durch deine Promenade – fünf Schritt hin, fünf Schritt zurück – krank machen! Wenn dich der Brief des Pfarrers Heyking wirklich so sehr aufgeregt hat, was begreiflich wäre, so …“

Hier unterbrach er sich und lauschte nach draußen, wo der Wintersturm tolle Schneemengen durch die stille Blücherstraße jagte …

Auch ich hatte das Geräusch eines nahenden Autos vernommen und atmete erleichtert auf. Das Auto hielt vor dem Harstschen Familienhause. Der späte Gast konnte nur Pastor Heyking sein, der uns mitgeteilt hatte, daß er geradeswegs vom Bahnhof uns aufsuchen wollte.

„Vielleicht schaltest du die Außenlampe ein,“ meinte Harald. „Im Vorgarten dürfte man bei dem Schneetreiben nicht die Hand vor Augen sehen können …“

Ich hatte die Flurtür bereits geöffnet. Eisige Luft schlug mir entgegen. Vorhin hatte das Thermometer minus zehn Grad gezeigt, und das ist für Berlin eine immerhin schon ganz nette Kälte.

Ich schaltete also die draußen über der Haustür angebrachte starkkerzige elektrische Birne ein, um dem Ankömmling den Gang durch unseren kleinen verschneiten Vorgarten zu erleichtern. Und als ich nun auch die Haustür aufriegelte und sie ein wenig aufzog, konnte ich durch die Schleier der fallenden weißen Flocken undeutlich den haltenden Kraftwagen und den dicht vermummten Schofför erkennen, der soeben von seinem Vordersitz herabkletterte.

Ich gebe zu, daß die nervöse Spannung, die der Brief des Geistlichen bei mir hervorgerufen hatte, noch immer anhielt. Ich hatte seit sieben Uhr abends (zu dieser Stunde war heute das Eilschreiben eingetroffen) das unbestimmte Gefühl, daß der seltsame Fall, den der Pfarrer uns persönlich vortragen wollte, für Harald und mich recht unliebsame Folgen haben würde. Zuweilen leide ich an derartigen Vorahnungen, über die Harst zwar zumeist seine Glossen macht, ohne dadurch die Tatsache aus der Welt schaffen zu können, daß bereits verschiedentlich die späteren Ereignisse mir recht gegeben haben.

Kurz und gut: ich sah unserem späten Gaste mit recht gemischten Empfindungen entgegen, zumal Harald soeben erst einen Grippeanfall leidlich überstanden hatte, und ich mich selbst mit einem bösen Schnupfen herumschleppte. Ein Klient, der uns also jetzt zu unserer sonst so sehr geliebten Arbeit gezwungen hätte, würde zum mindesten Harald der Gefahr eines Rückfalls ausgesetzt haben.

Dies schoß mir so nochmals durch den Kopf, als ich durch die Spalte der Haustür hinauslugte …

Hinauslugte und – – zu meinem Erstaunen nun bemerkte, daß mit dem Insassen des Autos irgend etwas nicht in Ordnung sein konnte …

Der Schofför hatte nämlich die Wagentür geöffnet und warf sie jetzt wieder zu, wandte sich um und schien mich durch lebhaftes Winken auf irgend etwas aufmerksam machen zu wollen.

Ich nahm rasch eine der hier im Flur hängenden Lodenpelerinen[1] um die Schultern und eilte ins Freie …

Der Sturm packte mich …

Schneeflocken zerrannen auf meinen Brillengläsern …

Ich war wie blind …

Vor mir dann eine rauhe Stimme und der widerliche Duft von schlechtem Schnaps …

„So’n Lump!“ brüllte der Schofför wütend. „Heimlich ausgestiegen is der Kerl unterwegs, und ick bin nu um det Fahrjeld jeprellt …!“

Dann beherrschte er sich etwas und erklärte höflicher:

„Am Görlitzer Bahnhof is der Herr mit ne Handtasche jleich nach Ankunft des Personenzuges injestiegen und wollte hier nach Blücherstraße zehn zu Herrn Harst … Und nu – – is der Wagen leer …“

Ich hatte derweil meine Brille mit der Hand gesäubert und meinte zu dem Erregten:

„Sie sollen Ihr Geld nicht verlieren … Mein Freund Harst erwartete tatsächlich einen Herrn, und …“

„Ah, dann sind Sie wohl Herr Max Schraut,“ unterbrach er mich, indem er mir keck ins Gesicht starrte … „Nu, von wejen dem Jelde, Herr Schraut, – das wär’ ja sehr nett von Ihnen, wenn Sie’s mir ersetzen wollten, denn wir Schofföre sind ja nich jrade auf Rosen gebettet in diese schlechte Zeiten … – Hallo, wat is denn …!?“ Und er fuhr halb herum, da neben uns ein … Mann mit einer Handtasche aufgetaucht war …

„Heyking,“ stellte er sich mir atemlos vor … „Pastor Heyking aus Lubowitz …“

Er keuchte … konnte kaum sprechen …

„Ich … ich bin dem Auto nachgelaufen,“ fügte er hinzu. „Dort an der Straßenecke ging die eine Tür des Kraftwagens plötzlich von selbst auf und meine Handtasche fiel mir hinaus auf den Fahrdamm – in eine Schneeschanze … Ich sprang hinterdrein … Verzeihung, Herr Harst … oder Herr Schraut?“

„Schraut,“ erklärte ich zähneklappernd, denn die dünne Pelerine war wirklich kein geeigneter Schutz bei diesem eisigen Schneetreiben …

Heyking lohnte nun rasch den Schofför ab, und dann eilten wir ins Haus.

Harald stand schon wartend in der weitgeöffneten Tür …

„Ein kleines Malheur anscheinend, Herr Pastor?“ lächelte er liebenswürdig und nahm unserem Gast die Handtasche ab …

Heyking schälte sich aus dem dicken Ulster[2], und ich schüttelte den Schnee von der Pelerine …

Dann saßen wir zu dreien vor dem mächtigen Kaminofen …

Konnten nun unseren Besucher in aller Ruhe mustern …

War ein mittelgroßer, engbrüstiger, blondbärtiger Herr, der Pfarrer. Trug noch eine altmodische goldene Brille und hatte in dem frischen Gesicht einen überaus gutmütigen Zug, dazu eine sanfte, weiche Stimme …

„Herr Pastor, in zehn Minuten wird meine Köchin uns das Abendbrot auftragen,“ sagte Harald zwanglos. „Ein warmer Happen und ein tüchtiger Schluck Tee mit Rum dürfte Ihnen willkommen sein … Hier ist zunächst ein Gläschen Portwein für Sie … Bitte, trinken Sie nur … Und dann erzählen Sie uns vielleicht als Ergänzung Ihres Briefes etwas Näheres über die Grotte …“

Heyking trank und berichtete darauf folgendes …

„Ich habe volle vierzehn Tage gezögert, Herr Harst, bevor ich mich endlich doch dazu entschloß, an Sie zu schreiben … – Eines Nachmittags, es war am vierten Januar, ging ich wie gewöhnlich im Schloßpark von Lubowitz[3] spazieren, der keine Viertelstunde vom Dorfe Lubowitz und von meinem Pfarrhaus entfernt liegt … Das Schloß ist seit Jahren unbewohnt und gehört dem Grafen Schallnein, der es seiner Baufälligkeit wegen gänzlich vernachlässigt. Nur ein uralter Verwalter wohnt dort unten im Erdgeschoß, ein wunderlicher Kauz, der eine merkwürdige Vorliebe für Eulen hat …“

„Eulen?!“ warf Harald überrascht ein.

„Ja – Eulen … Er hält gut ein Dutzend dieser Tiere in Käfigen, und da die Exkremente dieser Vögel nicht gerade angenehm duften, … stinkt es in der Behausung des alten Pachnitzki wie im … Affentheater …“ Und der Pastor lächelte und schnitt eine Grimasse in Erinnerung an diese Vogelmenagerie … „Nach dieser kurzen Abschweifung, meine Herren, will ich mich kürzer fassen. Der Park ist sehr groß und sehr verwildert, bergig und romantisch. Ein Jammer ist es, daß all dies derart verkommt … – Wie ich nun an jenem Nachmittag durch die verschneite Wildnis wandere, spüre ich plötzlich Rauchgeruch … Und wie ich mich dann bücke, sehe ich, daß der Schnee zu meinen Füßen stellenweise weggeschmolzen ist, rieche nun auch den Rauch deutlicher, der offenbar aus der gewölbten Decke einer künstlichen Grotte hervordrang, deren Eingang jedoch seit langem durch einen Windbruch versperrt war oder besser versperrt ist … – Verzeihung, Herr Harst, – Sie wissen doch, was man unter Windbruch versteht?“

„Gewiß …: durch den Sturm entwurzelte und übereinander gestürzte Bäume …“

„Ganz recht … – Dieser Rauch hatte mich nun mißtrauisch gemacht … Ich begab mich ins Schloß zum alten Pachnitzki und teilte ihm meine Beobachtung mit. Sein Benehmen war recht auffällig … Er war geradezu unliebenswürdig und meinte, die Sache ginge mich gar nichts an … Dann aber erklärte er, er habe sich dort in der Grotte eine Räucherkammer eingerichtet, und wenn es mir Spaß mache, wolle er sie mir zeigen … Er bäte mich aber, darüber nicht weiter zu sprechen, weil man ihm sonst die Schinken und Würste stehlen würde … – Ich verzichtete darauf, mir diese angebliche Räucherkammer anzuschauen, und die ganze Sache wäre für mich erledigt gewesen, wenn ich nicht am nächsten Tage zufällig festgestellt hätte, daß der Alte im Schlosse heimlich mehrere Leute beherbergte, von denen ich einen auch zu Gesicht bekam … Und – das war eben Pachnitzkis angeblich seit Jahren verschollener Sohn, ein von Jugend an verkommener Mensch, dem man alles Schlechte zutrauen kann. Ich sah ihn im Parke, ohne daß er mich gewahr wurde, und sein ganzes Benehmen deutete darauf hin, daß er auf bösen Pfaden wandelte. Er schlich wie ein Wilddieb durch das Dickicht, außerdem hatte er in der Joppentasche fraglos einen Revolver … Mir schien es, als ob er mir auflauern wollte …“

„Und dann?“ warf Harald wieder ein. „Dann verschwand die Tochter des Gastwirts aus Lubowitz – nicht wahr?“

„Ja – am folgenden Tage … Und dieses Abhandenkommen des jungen Mädchens hat bisher nicht aufgeklärt werden können …“

Es klopfte jetzt an die Stubentür. Die alte Köchin Mathilde bat uns zu Tisch …

 

2. Kapitel.

Der Stellvertreter.

Mitternacht …

Unser Gast, der Pastor, war oben im Fremdenzimmer. Vor fünf Minuten hatten wir ihn in den Oberstock geleitet und ihm gute Nacht gewünscht.

Nun saßen wir beide vor dem Kamin und besprachen nochmals des Pfarrers Mitteilungen, die jetzt eigentlich sehr harmlos wirkten …

Und das betonte ich auch Harald gegenüber, der jedoch zunächst eine Weile schwieg und dann in seiner unvermittelten Art meinte:

„Ja – der Brief Heykings versprach weit mehr, mein Alter … Sonst wärest Du ja auch nicht so nervös geworden …“

„Das macht der Schnupfen, Harald …“

Er lächelte gutmütig, nahm eine neue Mirakulum und schaute mich versonnen an …

Und wie ein Keulenschlag dann seine leisen Worte: „Es ist eine … ganz große Sache, lieber Alter … Das beweist schon … das Auto …“

Ich beugte mich in meinem Sessel vor …

„Verzeih’ – – das Auto?! Welches Auto?!“

„Nun, das Auto, in dem Heyking kam …“

„Ich verstehe noch immer nicht …“

Da blickte er zur Zimmerdecke empor … Gerade über uns war das Fremdenzimmer, und wir hörten Heyking noch hin und her gehen …

„Es … ist gar nicht Heyking,“ flüsterte Harald jetzt … „Man hat Heyking aus dem Auto entfernt und dafür einen Stellvertreter hineingesetzt, mein Alter, – bei diesem Schneetreiben nicht weiter schwer, wenn es Leute von Kühnheit und Schlauheit sind, die solches wagen …“

Ich war unfähig mich zu rühren …

Vor Überraschung stierte ich Harald sekundenlang in das schmale, kluge Gesicht …

Er nickte mir zu …

„Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß dieser Austausch der Personen stattgefunden hat, ein gewaltsamer Austausch natürlich … Hoffentlich hat man den echten Pastor nicht … beseitigt, … nicht ermordet, um ganz sicher zu gehen …“

Jetzt kam ich zu mir. Jetzt erlangte ich die Herrschaft über meine Zunge zurück …

„Sage mir um Himmels willen,“ rief ich leise, „woraus du auf diese doch geradezu unglaubliche Frechheit schließest?! Wo sind deine Beweise hierfür?!“

„Hier!“ Und er deutete auf seine Augen. „Diese meine Augen durchschauen auch die feinste Verkleidung und Maske. Unser Gast dort oben trägt einen falschen Bart …“

Ich schüttelte den Kopf …

„Harald, wenn du dich nur nicht täuschst! Ich habe doch auch einen Blick für derlei Dinge, und …“

Er winkte mir kurz zu … „Mein Alter, streiten wir nicht. Es ist so. Und da ich vorhin doch diesem falschen Heyking das Schreiben des echten Pastors reichte, und da er es eine Weile in der Hand hielt, müssen auf dem Briefbogen, falls ich recht habe, vier verschiedene Fingerabdrücke zu erkennen sein: die des echten Pastors, die deinen, die meinen und die des Kerles, der mit so gottbegnadeter Frechheit sich hier zu uns in die Höhle des Löwen wagte. Machen wir diese Fingerabdrücke also in der üblichen Weise sichtbar …“

Er tat es …

Und – er behielt recht! Der Briefbogen zeigte die völlig verschiedenen Fingerspuren von vier Personen!

„Was nun?!“ fragte ich kleinlaut …

„Nun wollen wir kurz erörtern, weshalb dieser Stellvertreter in Szene gesetzt worden ist. Fiel dir nicht auf, daß dieser Mensch die Geschehnisse in Lubowitz weit uninteressanter schilderte, als dies nach den Andeutungen des Pfarrers hätte der Fall sein müssen?!“

„Allerdings …“

„Nun, wir werden ihm auch den Gefallen tun und ihm morgen früh erklären, daß der Fall für uns doch zu wenig Sensationelles bietet. Wir lassen ihn auch ruhig von dannen ziehen. Angeblich will er ja nach Stettin zu Verwandten fahren und dann erst wieder in seine beschauliche Einsamkeit zurückkehren. Er wird keinerlei Verdacht schöpfen, daß wir ihn etwa durchschaut haben könnten, zumal wir beide ja gesundheitlich nicht ganz auf dem Posten sind …“

„Allerdings!“ nickte ich zum dritten Male … Und fragte:

„Und Heyking?!“

„Wenn die Bande ihn beseitigen will, kämen wir zu spät. Wenn man ihn nur gefangen halten will, werden wir ihn finden …“ Er gähnte herzhaft … „Für uns ist es nun Zeit ins Bett zu gehen, lieber Alter. Ich sehe es dir zwar an, daß du noch tausend Fragen in petto hast, du mußt sie dir jedoch schon verkneifen, denn ich bin hundemüde … Außerdem ist der Fall „Räucherkammer“ noch lange nicht spruchreif …“

Er gab mir die Hand, wünschte mir gute Nacht, und notgedrungen mußte ich also in meine Zimmer jenseits des Flurs hinübergehen.

Vor dem Einschlafen überlegte ich mir das, was der „falsche Pastor“ erzählt hatte, nochmals ganz gründlich. Jedenfalls unterlag es keinem Zweifel, daß dieser „Stellvertreter“ von dem Inhalt des Briefes Heykings die genaueste Kenntnis gehabt haben mußte, denn er hatte seine Angaben durchaus Heykings vielfachen Andeutungen angepaßt.

Ich schlief ein … Und als ich morgens acht Uhr Haralds Arbeitszimmer betrat, glaubte ich allen Ernstes, daß hier Feuer ausgebrochen sein müsse. Das Zimmer war mit Rauch vollkommen angefüllt, allerdings mit … Zigarettenrauch …

Und im Klubsessel vor dem Kaminofen saß Harald …

Nickte mir zu …

„Ha – du bist gar nicht schlafen gegangen?!“ rief ich empört …

„Sollte ich uns beide etwa der Gefahr aussetzen, daß der Mann dort oben die Nachtstunden dazu benutzte uns beide … abzukehlen?!“

Er erhob sich, reckte sich …

Fügte hinzu: „Die Nachtwache ist mir nicht langweilig geworden, mein Alter. Ich habe die Zeitungen der letzten zwei Wochen durchgesehen und alles nachgeprüft, was ich dort an Angaben über das Verschwinden der Gastwirtstochter Anna Bother fand. Denk’ dir: Dieses fünfundzwanzigjährige Mädchen, diese ländliche Unschuld, hat hier in Berlin in Spiritistenkreisen einen berühmten Namen als vorzügliches Medium … Auch dies stand in den Blättern …“

Und ich: „Medium hin, Medium her! Du mußt jetzt jedenfalls ins Bett, Harald! Ich werde dich bei dem Kerl dort oben entschuldigen … Der verläßt ja ohnedies um zehn unser Haus …“

„Ja – und wir um elf, mein Alter …“

„Wir?! Um elf …?!“

„Ja … Ich habe mir nämlich erlaubt, nachts mit dem Grafen Schallnein, dem Besitzer des verwahrlosten Schlosses, zu telephonieren. Wir beide fahren im gleichfalls telephonisch bestellten Reiseauto unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln als Architekten nach Schloß Lubowitz, die dort prüfen sollen, was für Instandsetzungsarbeiten nötig sind. Der Graf wird uns telegraphisch bei dem alten Verwalter Pachnitzki anmelden.“

Nun, – – kein Wunder, daß ich abermals sprachlos war …

Ja, das war wieder so recht mein alter Harald!! Ihm machte es stets einen diebischen Spaß, mich mit derartigen Überraschungen zu überfallen. Und heute war es ihm besonders gut geglückt …! – –

Um zehn Uhr verabschiedete sich unser „lieber Gast“, um … nach Stettin zu reisen!! Harald hatte ihm in sehr liebenswürdiger Art erklärt, daß der „Fall“ für uns doch nicht lohnend genug sei … Außerdem leide er selbst noch etwas an Grippe und müsse sich schonen …

Und um elf Uhr stand vor der Pforte unseres Gemüsegartens im tiefen Schnee das große geschlossene Auto auf dem schmalen, einsamen Feldwege …

Unbemerkt stiegen wir mit unseren Koffern ein …

Nicht als Harst und Schraut …

Nein – als bärtige, biedere Architekten und Bauunternehmer.

Da der Wagen elektrische Heizung hatte, war die Fahrt bis nach Lubowitz ein angenehmes Wintervergnügen. Um fünf Uhr nachmittags trafen wir in Görlitz ein, und um sechs Uhr standen wir bereits in der Vorhalle des alten Schlosses vor dem Eulenliebhaber Pachnitzki.

Nun – das war allerdings ein Original!

Beschreiben läßt sich Joseph Pachnitzki kaum. Dazu würde man eine volle Seite brauchen …

„Ich habe die Zimmer der Herren gut geheizt,“ meinte er nach der ersten Begrüßung. „Wenn die Herren mir folgen wollen … Hier im Hauptflügel oben eine Treppe …“

So nahmen wir denn jeder unseren Koffer wieder in die Hand und schritten hinter dem Alten drein, der derart aufdringlich nach Vögeln roch, daß ich mehrfach niesen mußte.

Unsere Zimmer lagen nebeneinander und waren mit verblichener Pracht eingerichtet. Offenbar waren es die ehemaligen Schlafgemächer des gräflichen Ehepaares.

Der alte krummbeinige Pachnitzki brachte uns dann sehr bald das Abendbrot: Eier, Schinken, Wurst, Grog. – Auf Haralds Aufforderung nahm er mit am Tische Platz, und wir besprachen nun mit ihm, was wir als Architekten zu besprechen hatten …

Pachnitzki schien durchaus arglos …

Bisher hatte also dieses Adenteuer alles in allem wenig Aufregungen gebracht …

Das sollte bald anders werden …

Diese erste Nacht im Schlosse Lubowitz werde ich mein Lebtag nicht vergessen.

 

3. Kapitel.

Die Erscheinung.

Um halb zehn Uhr verabschiedete der Alte sich. Kaum war er hinaus, als Harald beide Fenster aufriß, denn der Wohlgeruch, den Pachnitzki zurückgelassen hatte, war nur etwas für Hottentottennasen.

Wir hatten in Harsts Zimmer gespeist, und ich konnte es ihm wahrlich nicht verdenken, daß er in dieser Luft nicht schlafen mochte. Wir beide gingen nun in mein Gemach hinüber und rauchten noch eine Zigarette. Unserer Vereinbarung gemäß waren wir hier in diesem uns unbekannten Schlosse, von dem wir bisher nur ein paar Räume gesehen hatten, mit Äußerungen auch jetzt überaus vorsichtig, denn trotz allem trauten wir dem alten Verwalter nicht, dessen verwittertes Fuchsgesicht mit den unter buschigen Brauen halb verborgenen Augen sehr zur Wachsamkeit mahnte.

Unser Gespräch drehte sich um durchaus gleichgültige Dinge. Wer uns belauschte, konnte nur in der Annahme bestärkt werden, daß wir tatsächlich Architekten seien.

Freilich – in einzelne Sätze streuten wir Redewendungen ein, deren Doppelsinn genügte, um uns über das Wichtigste zu verständigen.

So sagte Harald einmal:

„Pachnitzki ist eine biedere Haut. Auf seine Eulen bin ich sehr gespannt. Wir werden sie morgen früh beim Rundgang durch das Schloß wohl zu sehen bekommen. Ohne diese Vögel müßte der alte Mann sich hier so allein auch zu Tode langweilen. Er betonte ja, daß er nicht einmal eine Bedienung hielte.“

Ich verstand: Pachnitzki hatte uns nichts von den heimlichen Gästen des Schlosses mitgeteilt, und morgen würden wir eben die Augen gut offen halten, um festzustellen, ob einige der Räume bewohnt gewesen. Daß der Alte diese Leute unseretwegen ausquartiert hatte, war mit Bestimmtheit anzunehmen.

So wurde es allmählich elf Uhr. Ich war wiederholt an das eine der hohen Bogenfenster getreten und hatte in den verschneiten Park hinabgeschaut. Der Mond stand über den im Frostwinde schwankenden und leise knarrenden uralten Buchen. Ich konnte gerade den Vorplatz des Schlosses überblicken, und zu meiner Freude sah ich ein paar Rehe, die sich aus einer dort aufgestellten Futterraufe sättigten.

Wieder hatte ich, getrieben von einer unbestimmten Unruhe, meinen bequemen Sessel verlassen und war zum Fenster gegangen. Bevor ich aber noch die Vorhänge zurückschlagen konnte – die Hand hatte ich bereits ausgestreckt – ertönte vor der Zimmertür im Flur ein so unheimliches, dumpfes Geschrei, daß ich blitzartig herumfuhr und ganz entgeistert die tief nachgedunkelte, reich geschnitzte Eichentür starr fixierte, als ob sie jeden Moment auffliegen und irgendein Schloßkobold hereinhüpfen müßte.

Dann glitt mein Blick zu Harald hinüber.

Er lächelte gutmütig …

Meinte: „Eine von Pachnitzkis Eulen scheint für nächtliche Spaziergänge zu schwärmen. Sehen wir einmal nach …“

Und er erhob sich, nahm die altväterliche Petroleumlampe vom Tisch (der alte Kasten von Schloß hatte nicht einmal elektrische Beleuchtung!) und öffnete die Tür …

Im selben Moment aber flog auch die Verbindungstür nach seinem Zimmer auf, und da dort die Fenster offen standen, löschte die scharfe Zugluft die Lampe aus …

Das letzte, was ich sah, war der lange Qualmfaden, der aus dem Lampenzylinder nach oben schoß …

Wir befanden uns im Dunkeln …

Und jetzt abermals dieser widerliche Eulenschrei …

So unangenehm peinvoll für meine Nerven, daß ich rasch in die Tasche faßte und im Nu die kleine elektrische Lampe eingeschaltet hatte …

Der Lichtkegel fiel in den Flur …

Fiel auf eine dort an der Wand stehende Ritterrüstung …

Und auf deren Helm hockte eine große braungelbe Eule mit rundem Kopf und winzigem Hakenschnabel …

Blinzelte in die grelle Lichtflut, schüttelte ihr Gefieder und riß den Schnabel auf, als ob sie gähnen wollte.

Auch Harald hatte nun seine Taschenlampe eingeschaltet …

Sagte halblaut:

„Die Eule gilt als Vogel der Weisheit. Diese Eule, mein Alter, ist ein Depeschenbote …“

Ich begriff nicht sofort.

Als ich aber genauer hinschaute, gewahrte auch ich jetzt den bräunlichen Zettel, den irgend jemand dem Vogel an einem Faden um den Hals gehängt hatte …

Harst trat rasch in der Flur hinaus …

Streckte die Hand empor …

Da hackte das aufgeplüsterte Vieh bösartig nach seinem Finger. Trotzdem riß Harald den Zettel ab und meinte lachend:

„Ein unhöflicher Bote! Prüfen wir, was er Unschönes bringt …“

Er drückte die Tür wieder zu und zündete die Petroleumlampe an. Den bräunlichen Zettel hatte er auf den Tisch gelegt. Ich sah, daß es offenbar ein Stück gewöhnliche Packleinwand war, nur notdürftig viereckig beschnitten …

Und auf diesem Wisch?!

Ich glaube kaum, daß der Leser auch nur im entferntesten ahnt, was dieser Zettel enthielt. Jedenfalls keine Warnung, keine Drohung. Eigentlich war er überhaupt nicht beschrieben. Denn unter Schrift versteht man doch für gewöhnlich Tinten- oder Bleistiftschrift.

Hier aber waren die Buchstaben nur mit einem halbscharfen Griffel oder dergleichen eingedrückt, freilich sehr deutlich.

Und diese Worte lauteten:

„Mir geht es gut, Joseph, und ich freue mich auf das Wiedersehen mit Dir. Denn es gibt ein Wiedersehen hier im Jenseits für alle die, die an Gott glauben. – Deine Dich liebende … Anna.“

Als Harald dies gelesen hatte, und als ich ihn nun fragend von der Seite anschaute, da veränderte sich sein Gesichtsausdruck ganz allmählich auf recht merkwürdige Weise …

Und mit einem Male pfiff er leise durch die Zähne, sagte:

„So … so …!! Das paßt zu Anna Bother, dem Medium. Und die Eule hat diesen Zettel offenbar nur gestohlen oder er ist ihr sonstwie samt dem Faden um den Hals geraten. Eine Botschaft für uns ist es nicht, sondern …“

Und – da schwieg er, lauschte, war mit einem Satz wieder an der Flurtür und riß sie auf …

Draußen … stand Joseph Pachnitzki, der alte Schloßverwalter, das Original …

Und auf seiner Hand saß jetzt die Eule …

„Treten Sie ein, Herr Pachnitzki,“ meinte Harald freundlich …

Der Alte zögerte …

„Bitte – nur herein!“ wiederholte Harst. „Sie hätten auf die knarrende Diele achten sollen … Schon als Sie die Eule oben auf den Helm setzten, hörte ich Sie … – Bitte …!“

Pachnitzki kam herein, und Harald schloß die Tür …

Bevor Harst jedoch den Schloßverwalter das fragen konnte, was er vermutete, richtete sich der alte Mann urplötzlich kerzengerade auf, wurde leichenblaß, stierte auf die offene Verbindungstür zum Nebenzimmer und … brach mit einem gurgelnden Schrei zusammen …

Ich konnte ihn noch eben auffangen … Und hatte doch noch Zeit gefunden, mich umzuschauen … Und da war es mir, als sähe ich aus dem Türrahmen ein graues Etwas blitzschnell verschwinden – etwas wie eine weibliche Gestalt …

So hielt ich denn nun Pachnitzki in den Armen … Und Harst war abermals mit zwei langen Sätzen, sich rasch herumwerfend, auf die offene Verbindungstür zugestürmt und im Dunkel des Nebengemaches untergetaucht.

Ich legte Pachnitzki auf das Sofa …

Fühlte ihm nach dem Puls … Holte Schnee vom Fensterkopf und rieb ihm die Stirn, das Herz, bis er wieder zu sich kam … Darüber mochten drei Minuten vergangen sein …

Als er die Augen aufschlug, nickte ich ihm nur zu und folgte schleunigst Harald, der sich nebenan merkwürdig ruhig verhielt.

Im Nebenzimmer Finsternis …

Meiner Taschenlampe greller Lichtfinger schob die dunklen Vorhänge beiseite …

Und … da lag mein Freund quer über seinem Bett auf dem Rücken …

Ein Sprung …

Ich war neben ihm …

Atmete auf … Er war nur bewußtlos, hatte aber merkwürdig verdrehte Augen …

In wilder Hast begann ich auch hier meine Wiederbelebungsversuche. Pachnitzki erschien … Half mir … War vor Schreck völlig vertattert …

Dann – nach gut einer halben Stunde – lehnte Harald matt in der Sofaecke …

Pachnitzki hatte Kognak geholt …

Harst lallte matt:

„War … die … Erscheinung … Ihre verstorbene Frau, Herr Pachnitzki?“

Der Alte bejahte … Sein Gesicht war noch immer farblos, und seine Hände flatterten vor Aufregung …

Und Harald trank den dritten Kognak, sagte:

„Die Erscheinung streckte mir warnend die Hand entgegen, und ganz plötzlich taumelte ich zurück und sank auf das Bett … Mehr weiß ich nicht …“

Mehr wußte er nicht … Aber es geschah noch mehr …

Die Schrecken dieser winterlichen Nachtstunde waren noch nicht vorüber …

 

4. Kapitel.

Die Spiritisten.

Wir drei saßen nun dicht nebeneinander, Pachnitzki und Harald auf dem Sofa, ich im Sessel. Und Harst wollte sich gerade an den Schloßverwalter wenden, als im Nebengemach, dessen Verbindungstür jetzt geschlossen war, ein Poltern erklang, als ob ein Stuhl umgefallen sei.

Wir waren nervös geworden – alle drei, selbst Harald. Wir starrten auf die Tür, und nur sehr zaudernd erhob ich mich schließlich, um nachzusehen, was dort geschehen …

War noch zwei Schritt von ihr entfernt, als sie aufgestoßen wurde …

Auf der Schwelle stand … der Pastor Heyking …

Diesmal der echte Pastor …

Aber – in welcher Verfassung?!

Das Haar hing ihm in die Stirn … Seine Gesichtsfarbe war erdfahl, sein Anzug zerrissen, die eine Wange zerschunden …

Er stand da, dieser friedliche, würdige Herr, – jetzt kein Engel des Friedens …

In seiner Rechten drohte eine große Repetierpistole … In seinen Augen einen Ausdruck, der uns warnte …

„Ah – – der Herr Pastor!“ rief Pachnitzki stockend … „Herr Pastor, wo …“

Heyking trat näher …

„Ruhe!“ befahl er. „Sie drei werden jetzt mir voran zum Dorfe gehen … Und wer zu fliehen versucht, den knalle ich nieder, so wahr ich als Student den scharfen Schläger geschwungen habe!“

Harald meinte da:

„Sie täuschen sich, Herr Pastor … Sie glauben hier außer Pachnitzki noch zwei der heimlichen Schloßgäste erwischt zu haben, also Verbündete jener Leute, die Sie im Auto überrumpelt haben – in Berlin …! Wie gesagt: ein Irrtum, Herr Pastor! Wir beide sind Architekten, die Graf Schallnein hierher geschickt hat … Bitte, setzen Sie sich zu uns … Wir können Ihnen beweisen, daß wir harmlos sind. Bitte – hier ist ein polizeilicher Ausweis nebst Lichtbild …“

Heyking nahm das Papier zögernd entgegen. Und – las darauf den Namen Harald Harst, war im Moment völlig im Bilde und erklärte: „Gut, danke … Das genügt mir, Herr …“

„… Horten …,“ ergänzte Harald. „Und dort mein Kollege und Freund heißt Schrack …“

Heyking nahm Platz, und Harst wandte sich an Pachnitzki …

„Nicht wahr, Sie haben der Eule den Zettel umgehängt und den Vogel dann draußen auf die Rüstung gesetzt, damit wir ihn finden sollten …“

„Ja …“

„Und zwar wünschen Sie von uns eine Meinungsäußerung über spiritistische Phänomene …“

„Ja …“

„Bevor wir hierüber reden, Herr Pachnitzki, müssen Sie uns völlig reinen Wein einschenken. Ihr angeblich verschollener Sohn ist hier wieder aufgetaucht, und Sie haben hier im Schlosse heimlich noch andere Leute beherbergt. Außerdem soll das Medium Anna Bother, des Gastwirts schlaues Töchterlein, spurlos verschwunden sein …“ – Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen … Und doch hatten seine Worte den alten Mann vollständig außer Fassung gebracht …

„Wer … wer sind Sie?!“ fragte Pachnitzki nach einer geraumen Weile … „Sie … Sie … sind …“

„Erzählen Sie! Aber die Wahrheit!“

„O, da ist nicht viel zu erzählen, Herr Horten – falls Sie wirklich so heißen. Mein Gewissen ist rein. Daß ich hier im Schlosse die Herrschaften untergebracht habe, ist mein gutes Recht, denn es handelte sich um meine Räume …“

„Bitte – zur Sache!“ warf Harald ungeduldig ein.

„Gut, gut … Soll geschehen. – Es war so um die Weihnachtszeit herum, als mein einziger Sohn Heinrich reumütig zu mir zurückkehrte. Er hatte sich fünf Jahre in Amerika herumgetrieben und dort Anschluß an spiritistische Kreise gefunden, die auch nach Berlin hin Beziehungen unterhielten. Heinrich bat mich, sein Auftauchen vorläufig geheim zu halten, da er im Schlosse mit einigen Berliner Bekannten in aller Stille spiritistische Sitzungen veranstalten wolle. – Ich habe nun mit meiner verstorbenen Frau sehr glücklich gelebt, Herr Horten, und da Heinrich mir versprach, daß ich an den Sitzungen teilnehmen dürfe und so auch mit meiner Frau in Verbindung treten könne, war ich ganz einverstanden damit, daß Heinrichs Bekannte hierher kamen …“

„Und diese Sitzungen fanden in der Grotte im Parke statt, wie ich vermute …“

„Ja …“

„Und bei einer dieser Sitzungen erhielten Sie den Zettel aus dem Jenseits – den braunen Zettel … Nun sind in Ihnen aber allerhand Zweifel aufgestiegen, ob es bei diesen spiritistischen Phänomenen auch mit rechten Dingen zugeht. Hierüber wollten Sie mit mir und meinem Freunde sprechen …“

„So ist es …“

„Sind die Berliner Spiritisten noch hier?“

„Ja, Herr Horten … Ich habe sie jetzt im alten Parkwärterhause untergebracht, das an der Ostgrenze des Parkes ganz versteckt liegt …“

„Und wer sind diese Leute?“

„Im ganzen sechs Personen, Herr Horten, darunter ein Professor mit seiner Gattin, ein Doktor und ein Privatgelehrter …“

„Einer von diesen ist gestern wohl nicht hier gewesen …“

„Das ist richtig. Der Doktor Kolger reiste nach Berlin. Er hat ein eigenes Auto …“

Jetzt meldete sich Heyking …

„Ja – dieser Kolger war es, der mich während der Autofahrt zu Ihnen, Herr Harst, überrumpelt hat … Man hat mich dann hierher gebracht und mich im Keller des Parkwärterhauses eingesperrt. Vorhin gelang es mir mich zu befreien, und ich …“

Harald winkte höflich ab … „Lieber Herr Pastor, das ist jetzt nebensächlich. Weit wichtiger ist, was Herr Pachnitzki noch angeben kann …“

Der alte Schloßverwalter saß mit einem Gesicht da, das geradezu erbarmungswürdig genannt werden konnte. Seine Lippen zitterten. Seine Augen hingen an Heykings gütigem Antlitz, und mit heiserer, vibrierender Stimme fragte er nun:

„Der … der Doktor Kolger hat … hat sich an Ihnen vergriffen, Herr Pastor?! Das … das ist doch unmöglich! Kolger ist ja meines Sohnes bester Freund, und …“

Er schwieg und blickte Harald ratlos und hilflos an, denn Pfarrer Heyking hatte nur kurz und wie bedauernd die Achseln gezuckt.

Ich spielte hier lediglich den aufmerksamen Beobachter. Schon in Berlin war es mir klar geworden, daß es nicht nur ausschließlich um diese Dinge ging, die sich hier ereignet hatten, sondern daß hinter alledem etwas weit Bedeutungsvolleres sich verbarg. Worum es sich aber handeln konnte, wenn man eben den spiritistischen Zirkel außer Betracht ließ, wußte ich nicht. Eins war jetzt immerhin gewiß: Der Schloßverwalter Pachnitzki war hier der Betrogene und wurde lediglich von einer Vereinigung dunkler Ehrenmänner zu noch dunkleren Zwecken ausgenutzt! Er tat mir aufrichtig leid, der alte Mann, wie er so zusammengesunken dasaß und allmählich begriff, daß sein Sohn Heinrich mit ihm ein schändliches Spiel getrieben haben müsse …

Harald hatte Pachnitzkis Hand erfaßt …

„Sie merken nun wohl, daß man Sie hintergangen hat, Herr Pachnitzki …,“ sagte er herzlich. „Man hat die Liebe zu Ihrer Frau schmählich ausgenutzt, hat Ihnen verwerfliche Gaukeleien vorgeführt … – Was wissen Sie über Anna Bothers Verschwinden?“

„Nichts!“ stöhnte der Alte …

„Und die Erscheinung vorhin in der offenen Verbindungstür?“

„O – die hielt ich … für den Geist meiner Frau … ja, meiner Frau …“

Er lallte mehr als er sprach …

Harald gab es daher auch auf, weiter in ihn zu dringen, denn auf diese Antworten Pachnitzkis war offenbar keinerlei Verlaß …

Auch Pastor Heyking machte uns beiden verstohlen ein Zeichen, daß wir den alten Mann schonen sollten.

Harst beugte sich noch näher zu Pachnitzki hin …

„Nur noch eine Frage … Wissen Sie, ob der Klub dieser Spiritisten auch heute nacht wieder eine Sitzung in der Grotte abhält?“

„Ja … Die Sitzung sollte um Mitternacht beginnen …“

„Dann müßten die Leute also jetzt dort versammelt sein … Würden Sie uns hinführen, Herr Pachnitzki? Der Grotteneingang soll ja durch einen Windbruch versperrt sein, ich nehme aber an, daß es noch einen zweiten Eingang gibt …“

„Das ist richtig, Herr Horten … An der steilen westlichen Außenseite befindet sich unter Gestrüpp eine kleine Pforte …“

Er lebte jetzt sichtlich auf. In sein verwittertes Gesicht kam ein anderer Ausdruck, etwas Verbissenes, Drohendes. Und mit einem Ruck stand er auf den Füßen und reckte die geballte Faust empor …

„Gut, gehen wir, meine Herren … Ich will Abrechnung halten … Man hat mich alten Mann so niederträchtig hinters Licht geführt, daß …“

Doch Harald beruhigte ihn …

„Überlassen Sie nur mir diese Abrechnung, lieber Herr Pachnitzki, mir und … der Berliner Kriminalpolizei …“ Er flüsterte nur … „Ich will jetzt auch die Maske lüften … Mein Freund und ich sind keine Architekten … Wir sind Detektive – – Harst und Schraut, und Herr Pastor Heyking war es, der uns auf Schloß Lubowitz aufmerksam gemacht hat …“

Der Alte war gar nicht so übermäßig erstaunt, als er diese Namen hörte …

„So halb und halb hab’ ich’s mir ja gedacht, daß es mit diesen Herren Architekten eine besondere Bewandtnis haben müsse,“ meinte er. „Auch mein Sohn Heinrich, der … der nun … doch wieder … als Lump … sich herausgestellt hat …, – auch der lachte so komisch, als die Depesche des Herrn Grafen kam mit der Meldung von Ihrem Eintreffen … – Aber – – gehen wir … Ich … ich will Klarheit haben … Und wenn …“ Das weitere war nicht mehr zu verstehen …

Wir gingen … Harald mit Pachnitzki voran … Heyking und ich hinterdrein …

 

5. Kapitel.

Das tiefere Stockwerk.

Wir verließen das Schloß auf Harsts Wunsch durch den Vordereingang. Draußen im mondhellen Park wehte uns die köstliche reine Winterluft entgegen. Noch immer standen ein paar Rehe an der Futterraufe …

Und – hinter einer der riesigen Buchen löste sich jetzt eine Männergestalt aus dem Schatten … Trat auf uns zu …

Und jetzt war’s an mir, diese nie geahnte Überraschung bemänteln zu müssen …

Der Mann war nämlich unser alter lieber Freund Bechert, Kriminalkommissar Fritz Bechert, meinen Lesern seit langem wohlbekannt …

Ich tat, als ob Becherts Erscheinen hier von mir erwartet sei, meinte zu Pastor Heyking: „Harst hat gleich polizeiliche Hilfe mit herbeordert … Der Herr ist ein Kriminalkommissar …“

Harald und Bechert flüsterten miteinander. Um uns kümmerten sie sich nicht, gingen weiter – durch den fußtiefen Schnee, durch verwilderte Parkwege, durch mondhelle Lichtungen …

Bis wir vor uns in einem Eichenhain einen großen Hügel und eine wirre Masse gestürzter Bäume bemerkten …

Hier trennte sich Bechert plötzlich wieder von Harald und verschwand hinter ein paar prächtigen Edeltannen, deren unterste Äste auf der lockeren Schneeschicht ruhten. Mir war’s, als ob im Schatten der Tannen noch ein paar Gestalten lauerten.

Gleich darauf hatte uns Pachnitzki auch an die Seitenpforte der Grotte gebracht. Er öffnete sie leise. Sie hatte nur einen einfachen Klinkenverschluß.

„Herr Pastor,“ wandte sich Harald flüsternd an Heyking, „bleiben Sie, bitte, mit Pachnitzki zurück und geben Sie etwas auf den Alten acht, damit er keine Dummheiten machen kann …“

Dann schaltete er seine Taschenlampe ein …

Vor uns ein schmaler, gekrümmter kurzer Gang …

Dann eine zweite verwitterte Eichentür, – schmal und niedrig wie die äußere … Auch nur ein altertümlicher Klinkenverschluß …

So waren wir denn im Moment drinnen in der Grotte.

Und gerade zur rechten Zeit, um noch den lächerlichen Schwindel dieses Spiritistenklubs entlarven zu können …

Da war im Hintergrunde ein als Altar hergerichteter Tisch mit schwarzer Decke, von der sich drei Totenköpfe scharf abhoben … Da waren auf dem Altar außer einem Kruzifix zwei Räucherbecken, aus denen graubraune Qualmmassen hochstiegen und … scheinbar eine in Schleier gehüllte Frauengestalt formten …

Da war vor dem Altar ein Stuhl mit einem darauf festgebundenen Weibe …: Das Medium!

Und da waren hinter dem Stuhl die Gäste des alten Pachnitzki, die Spiritisten …

„Guten Abend,“ sagte Harald sehr höflich … Und ebenso höflich: „Entschuldigen Sie, daß wir stören … Aber ich hätte einiges mit Ihnen zu besprechen … – Schraut, sorge dafür, daß die dort oben im Rauch schwebende Dame – es dürfte Anna Bother sein – sich an ihren Drähten wieder herabläßt … Du brauchst der Dame vielleicht nur deine Klementpistole zu zeigen, und sie wird gehorchen …“

Bisher hatte sich keiner der Leute hinter dem Stuhle des gefesselten Mediums gerührt.

Jetzt trat ein älterer Herr vor … Ein typisch amerikanisches Gesicht … Und meinte unwillig zu Harald:

„Mit welchem Recht sind Sie hier eingedrungen?! Wer sind Sie überhaupt, mein Herr?! – Mein Name ist Morton, Professor James Morton …“

„Und meinen Namen kennen Sie ebenfalls bereits, Mr. Morton,“ erwiderte Harald noch immer liebenswürdigem Tone. Nur ein klein wenig ironisch klang seine Stimme …

„Ganz gewiß kennen Sie meinen Namen, Mr. Morton,“ fügte er hinzu. „Denn Sie haben ja mit unserem Erscheinen hier gerechnet gehabt, wie die Äußerung des Sohnes des alten Pachnitzki beweist, und diese nächtliche Sitzung ist auch nur unseretwegen anberaumt worden, damit wir uns von der Harmlosigkeit dieses Klubs überzeugen könnten.“

Inzwischen hatte ich selbst „die Dame im Rauch“ tatsächlich durch sanftes Vorzeigen meiner Klement dazu bewogen, sich auf den Altar hinabzulassen …

Dort stand sie nun – ein freches Lächeln um die Lippen …

Aber das Lächeln sollte ihr vergehen, genau so wie der Herr Professor Morton seinen anmaßenden Ton sehr bald änderte …

Hinter mir durch die kleine Tür waren nun auch der Pastor, Pachnitzki, Bechert und drei Kriminalbeamte eingetreten.

Als Morton die vier Beamten bemerkte, flog es für Sekunden wie ein Schatten über sein hageres Gesicht. Aber er hatte sich noch immer gut in der Gewalt. Meinte gereizt:

„Herr, ich kenne Sie nicht! Weshalb dieser förmliche Überfall?! – Und Sie, Herr Pachnitzki, – wie konnten Sie nur diese Leute hierher führen und uns bei unseren Experimenten, die doch keinerlei Strafwürdiges darstellen, in dieser ganz ungehörigen Weise stören lassen?!“

Jetzt mischte sich Bechert ein. Und sein Ton war etwas anders als der Haralds …

„Sparen Sie sich diese faulen Phrasen!“ rief er. „Herr Harst wird Ihnen sogleich erklären, weshalb er auch mich, den Kriminalkommissar Bechert aus Berlin, mit meinen Beamten hierher bestellt hat!“

Und Harald – jetzt noch ironischer:

„Allerdings werde ich das erklären … Bitte, Herr Doktor Kolger, treten Sie vor …! Sie waren ja in der Maske Pastor Heykings eine Nacht unser Gast, nachdem Sie den Herrn Pfarrer … kaltgestellt hatten …“

Aber – niemand trat vor … Dicht zusammengedrängt standen die Mitglieder dieses Spiritistenklubs da, über dessen wahre Ziele noch immer für mich ein tiefes Dunkel lagerte.

Niemand trat vor … In jener Ecke der Grotte herrschte auch ein ungewisses Dämmerlicht …

Harst ließ den Strahlenkegel seiner Taschenlampe weiter herumschwenken …

Morton, der angebliche Professor, hatte sich umgedreht …

Und – seinen Lippen entschlüpfte ein Fluch …

„Ah – – geflohen, der Feigling!“ zischte er, und wiederum lief ein Statten über sein Gesicht hin. Dann … erbleichte er, preßte die Zähne in die Unterlippe und … zuckte die Achseln, als ob er andeuten wollte, daß ihm nun alles Fernere gleichgültig sei …

Harald wandte sich rasch an Pastor Heyking …

„Dieser Kolger hat Unrat gewittert. Ihr Auftauchen hier hat ihn gewarnt. Nun – wir fangen ihn schon … Draußen stehen noch vier Kriminalbeamte rund um die Grotte. Er entgeht uns nicht. Er heißt ebenso wenig Kolger, wie er ein Recht auf den Doktortitel hat. Er ist einer der berüchtigtsten Banknotenfälscher Amerikas, wird steckbrieflich verfolgt und nennt sich für gewöhnlich Smith, weil dieser Allerweltsname gar nichts besagt. Seine Fingerabdrücke wurden vor acht Tagen im Fahndungsblatt veröffentlicht, und in jener Nacht, als er als Gast unter meinem Dache schlief und ich seine Fingerabdrücke auf Ihrem Briefe, Herr Pastor, kenntlich machte, da war dieses Grottengeheimnis für mich so gut wie gelöst … Da wußte ich, daß des braven Schloßverwalters mißratener Sohn seine Fälscherkomplicen hierher gebracht hatte, daß Banknotenfälscher hier an der Arbeit waren und daß der famose Spiritistenklub nur der Deckmantel gegenüber dem alten Pachnitzki war …“

Ein schriller Aufschrei ließ ihn schweigen.

Pachnitzki war vorgesprungen, hatte einen der Spiritisten bei der Brust gepackt …

„O – – du Lump, du Lump …!!“ kreischte er … „Wie hast du mich nur belogen und getäuscht … du … Schurke!“

Der hagere Mensch lächelte frech, riß sich los und meinte: „Schade! Noch acht Tage …! Dann wären wir mit allem im klaren gewesen …! Verflucht sei der Pfaffe, der uns verraten hat …!“

Der alte Mann zitterte … Pastor Heyking nahm ihn und geleitete ihn hinaus …

Und Harst nun zu dem angeblichen Professor:

„Es dürfte hier unter dem Steinfußboden der Grotte noch einen Raum geben … Ich sehe da die Umrisse einer Falltür … Und in diesem tieferen Stockwerk haben Sie wohl Ihre Druckpresse aufgestellt …“

Morton zuckte nur wieder die Achseln …

Auf einen Wink Becherts wurden nun der ganzen Bande Handschellen angelegt. Dann öffneten wir die kaum erkennbare Falltür, stiegen in einen quadratischen Kellerraum hinab, wo Harald nach einigem Suchen eine schlau angelegte Geheimtür zu dem Aufbewahrungsort der Fälscherutensilien entdeckte. Wir fanden so ganze Bündel halbfertiger 50-Mark-Scheine, deren Ausführung und Papier geradezu tadellos war.

Was wir jedoch nicht fanden, das war Herr Doktor Kolger, die Seele des ganzen Unternehmens. Es blieb uns vorläufig vollständig unklar, wie er hatte entfliehen können.

Jedenfalls war der Fang, den die Polizei hier gemacht hatte, außerordentlich lohnend. Sämtliche Mitglieder des gefährlichen Klubs waren seit langem gesuchte Verbrecher, auch die Weiber – mit Ausnahme Anna Bothers, die sich jetzt mit frechem Stolz als Braut Heinrich Pachnitzkis bekannte und ohne weiteres zugab, daß sie den „Geist“ in unseren Zimmern gespielt und Harst mit Hilfe eines in der Hand verborgenen Gasballes betäubt hatte. –

Die Geschichte des Spiritistenklubs hat hiermit ein Ende. Harsts unvergleichliches Gedächtnis für die feinen Muster von Fingerabdrücken hatte die Verbrechergesellschaft hinter Schloß und Riegel gebracht. Mit Smith-Kolger werde ich mich im zweiten Teile dieses Abenteuers zu beschäftigen haben. Und ich tue es gern, denn gerade dieser zweite Teil bringt eine Fülle von Feinarbeit kriminalistischer Kombinationskunst.

Der Leser schlage die Seite um und … prüfe selbst, ob ich nicht recht habe …

 

 

Die drei Päckchen.

 

1. Kapitel.

Kolgers Fluchtweg.

Es war am Vormittag nach dieser Nacht auf Schloß Lubowitz. Bis elf Uhr hatten wir uns gründlich ausgeschlafen, saßen nun in Pachnitzkis Wohnzimmer beim Frühstück: Bechert, wir beide und der alte Mann, der seinen Sohn, seinen einzigen, nun abermals verloren hatte und jetzt für immer …

Bechert war bereits draußen im Parke gewesen und berichtete, daß er mit dem besten seiner Leute die Grotte nochmals durchsucht habe …

„Kolger-Smith ist uns entronnen, daran ist nichts zu ändern,“ schloß er seine Angaben mit einem ärgerlichen Auflachen. „Gerade der schlimmste der Bande – – Pech!! Das wird mir einen Nasenstüber meiner Vorgesetzten einbringen. Wie der Mensch seine Flucht bewerkstelligt hat, bleibt mir ein Rätsel.“

Harald nickte … „Mir auch! Und weil dem so ist, muß es eben trotz allem noch ein Versteck in der Grotte oder unten im Keller oder irgendein geheimes Schlupfloch geben. Reisen Sie aber, lieber Bechert, mit den Verhafteten getrost ab. Was geschehen kann, Kolger zu erwischen, wird unsererseits geschehen. Schraut und ich bleiben noch hier, denn in jedem Falle wird die reine Landluft hier in Lubowitz uns gut tun, die wir ja noch an den Folgen starker Erkältung leiden.“

Um zwölf verabschiedete sich Freund Bechert. Um ein Viertel eins standen Harald und ich, jeder mit einer großen Stallaterne bewaffnet, in der künstlichen Grotte, deren Steinwände durch Felsstücke so tadellos verkleidet waren, daß man wirklich eine Naturhöhle vor sich zu haben glaubte.

Da war noch der Altartisch, da war noch der Stuhl, auf dem das Medium gesessen hatte. Alles war noch da, nur der Spiritistenklub war aufgeflogen.

Harald rauchte seine Mirakulum und leuchtete die Wände ab … Ich hielt für alle Fälle meine Klement bereit. Man konnte ja nicht wissen …

Es war nicht allzu kalt in der Grotte. Immerhin war es nötig, sich etwas zu bewegen, damit man nicht fror, und so schritt ich denn andauernd hin und her, während Harst die künstlichen Felsen untersuchte.

Dann drehte er sich jählings nach mir um und meinte:

„Ich war in der verflossenen Nacht ohne Zweifel nicht ganz … auf der Höhe, denn – ich hätte die Höhe eben nicht vergessen sollen …“

Das war ein Wortspiel, das ich nicht ganz verstand …

„Wie soll ich dies verstehen?!“ fragte ich ein wenig gespannt …

Hätte lieber nicht fragen sollen, denn Harsts Blicke wanderten schon zugleich mit dem Lichtschein seiner Laterne zur Grottendecke empor.

„Ja,“ sagte er wieder, „ich hätte eben nicht vergessen dürfen, daß Pastor Heyking den Rauch doch oben im Park auf dem Grottenhügel gerochen hat … Es muß also eine oder mehrere Öffnungen dort oben in der Decke geben. Ich werde jetzt mal den Altartisch als Leiter benutzen. Du siehst ja auch, mein Alter, daß dort mitten in die Gewölbedecke ein eiserner Ring eingefügt ist, an dem noch ein Stück rostige Eisenkette hängt, an der früher einmal fraglos eine altertümliche Laterne angebracht war. Man liebte vor zweihundert Jahren – so alt ist das Schloß reichlich – derartige romantische Bauten wie künstliche Grotten, zierliche Pavillons und Ähnliches …“

Und er nahm den Tisch und lehnte ihn an die Wand …

Dann begann er eine waghalsige Kletterpartie, die nur ein Mensch von seiner körperlichen Gewandtheit sich leisten kann …

Rief mir zu:

„Es geht – es geht …! Gestern nacht war’s hier halbdunkel, als wir eindrangen, und wir achteten zunächst nur auf den Altar. Außerdem hatte sich der Qualm der beiden Räucherbecken unter der Decke angesammelt, so daß Kolger-Smith, der vielleicht ein noch besserer Kletterer als ich sein mag, sehr wohl nach oben zu verschwunden sein kann …“

Da war er auch schon bei der Kette angelangt, hatte die Fußspitzen in Ritzen des Gesteins hineingedrückt und konnte die rechte Hand dazu benutzen, die Umgebung des eingelassenen Ringes abzutasten.

„Aha!!“ meldete er sich wiederum. „Aha – hier haben wir den Braten!“

Das war so recht Harald …

Und dann klappte oben schon eine runde Fläche des Felsens herab, gerade das Stück, in dem sich Ring und Kette befanden. Die Kette war zu verrostet, um noch zu klirren.

Ich schaute empor …

Konnte das Loch über dieser eigentümlichen Falltür erkennen …

Und – sprang zur Seite, da aus dem Loche drei kantige Gegenstände herabsausten …

Sie fielen mir gerade vor die Füße, und es waren nichts anderes, als drei Pakete falscher fertiger Fünfzigmarkscheine …

Harald drückte diese Deckenfalltür wieder zu und kam nach unten, stand neben mir …

„Schau’ an, Herr Kolger-Smith hat diese Banknotenpakete dort deponiert gehabt, um sie, falls seine Flucht glücken sollte, später zu holen. Natürlich wird er sie holen, und natürlich hat er jenen Weg ins Freie längst gekannt und in der Nacht dann wirklich benutzt. Allerhand Achtung vor seiner Gewandtheit! Man muß es ihm lassen: er hat vielfache geistige und körperliche Gaben! Er hat mit einem üblen Ausgang der gestrigen Nacht gerechnet und diese Päckchen sicherlich unter der Weste getragen. Du siehst ja, wie flach sie sind, – flach gepackt, damit der künstliche Bauch nicht zu sehr anschwoll … Nun – uns legt dieser Fund die Pflicht auf, die nächsten Nächte zu wachen, was jetzt im Winter kein Vergnügen ist. – Komm’, wir wissen nun, was wir wissen wollten, mein Alter … Wir werden nur noch oben den Grottenhügel uns ansehen … Kolger dürfte durch Schnee die obere Falltür wieder säuberlich bedeckt haben, durch die er ins Freie entwichen ist …“

Wir verließen die Grotte. Die drei Pakete trug Harald unter dem linken Arm, womit ich nicht ganz einverstanden war, denn die Möglichkeit lag doch immerhin vor, daß der Flüchtling irgendwo im Parke verborgen war und uns beobachtete. Es war freilich nur eine ganz geringe Möglichkeit.

Als ich Harald hierauf aufmerksam machte, erwiderte er in seiner sphinxhaften Art:

„Vielleicht soll es so sein, mein Alter …“

Und damit mußte ich mich vorläufig zufrieden geben.

Wir überquerten nur einmal wie absichtslos den Grottenhügel, konnten dabei jedoch unschwer erkennen, daß Haralds Vermutung zutraf: Kolger hatte die obere Falltür säuberlich mit Schnee wieder bedeckt und war dann auf allen Vieren davongekrochen. Seine Spur verlor sich nachher in den von Fußtapfen zerstampften Parkwegen.

So kehrten wir denn zunächst in den linken Schloßflügel zurück, wo der alte Pachnitzki im Erdgeschoß seine Wohnung hatte, zeigten ihm die Pakete und mußten wieder eine Menge schmerzlicher Äußerungen des schwergeprüften Vaters über uns ergehen lassen.

Armer alter Pachnitzki! Er selbst ein untadeliger Ehrenmann, und sein Sohn für das Zuchthaus reif!!

Auf seine Bitte aßen wir mit ihm zusammen in seinem Wohnzimmer zu Mittag, obwohl der Aufenthalt in seinen Räumen des Vogelgeruchs wegen wahrlich kein Genuß war. Er hatte selbst den Koch gespielt, und man mußte es ihm lassen, daß er sowohl das Gemüse wie die Schnitzel sehr schmackhaft zubereitet hatte.

Gegen drei Uhr zogen wir uns dann in unsere Zimmer im Hauptflügel zurück, um den versäumten Nachtschlaf nachzuholen.

Auf der Treppe flüsterte Harald mir zu:

„Du kannst dich in meinem Zimmer auf das Sofa legen. Es ist besser …“

Er flüsterte dies …

Aber meine Fragen, weshalb er so gedämpft spreche, blieben unbeantwortet.

Trotzdem war ich nun überzeugt, daß …

Doch – ich brauche diesen Satz wohl kaum zu beenden. Der freundliche Leser wird ihn sich ohne Schwierigkeiten selbst ergänzen können, denn jemand, der flüstert, will von einer dritten Person nicht verstanden werden …

 

2. Kapitel.

Maus, Kröte, Kerze.

Wir legten uns in Haralds Zimmer also nieder, ich auf das Sofa, Harald in der anderen Ecke auf den Diwan. Es war draußen noch hell, und im Zimmer herrschte eine wohlige Dämmerung und Wärme.

Ich hatte mich lose in die Reisedecke eingehüllt und die Klement unter der Decke in der Hand …

Die drei Banknotenpakete lagen auf dem Mitteltisch … –

Draußen nahm das Tageslicht ab … Und in dem großen Raume, diesem einstigen Schlafgemach irgendeiner Gräfin Schallnein, wob die Dunkelheit immer dichtere Gewebe …

Ich lag mit offenen Augen und lauschte … horchte … achtete auf jedes Geräusch …

In der Holztäfelung der Wände knackte es andauernd. Das Zimmer mochte seit vielen Jahren nicht mehr geheizt worden sein, und das Holz zog sich unter der Einwirkung der Wärme zusammen …

Im übrigen tiefe Stille, – bis auf das knarrende Stöhnen der Parkbäume, die im Winterfrost zu ächzen schienen. Wind war aufgekommen, und er nahm ständig an Stärke zu.

Dieses Knacken in der Wandtäfelung machte nervös …

Mir wurde siedendheiß unter meiner Decke. Und doch regte ich mich nicht, spielte den Schlafenden …

Hatte Zeit genug zum Überlegen …

Ja – Harald hatte durch sein Flüstern auf der Treppe sehr fein angedeutet, daß er Kolger-Smith im Schlosse vermute … Und – war’s nicht wirklich das Nächstliegende, daß der Flüchtling hier Schutz gesucht hatte?! War das Schloß doch gestern nacht völlig menschenleer gewesen … Und so hatte Kolger zu jener Stunde, als wir die famosen Spiritisten überraschten, hier in aller Ruhe eindringen können. Er wußte im Schlosse ja Bescheid, hatte hier gewohnt, und sein Freund Heinrich Pachnitzki mochte ihm manches über die Geheimnisse des alten Baues mitgeteilt haben.

Es gab solche Geheimnisse … Das hatte der alte Verwalter uns gegenüber angedeutet, hatte aber auch hinzugefügt, daß Seine Erlaucht der Graf ihm verboten habe darüber zu sprechen. –

Es wurde noch dunkler … Ich konnte die drei Pakete auf dem Mitteltisch kaum mehr erkennen … Vielleicht bildete ich mir zuletzt auch nur noch ein, daß ich sie wirklich sehe, denn solche Sinnestäuschungen sind bei langsam abnehmendem Licht sehr leicht möglich.

Die Täfelung knackte und knarrte noch immer, und jeder dieser Töne ging mir wie ein Stich durch die gereizten Nerven. Ich bewunderte Harald, der so geduldig diese Pein ertrug, denn auch sein Nervensystem hatte durch die Grippe ein wenig gelitten. Und nur er konnte diesen meiner Ansicht nach völlig zwecklosen „Nachmittagsschlaf“, dieses Warten auf einen Menschen, der zu kommen sich hütete, beenden …

Noch dunkler wurde es …

Die großen helleren Vierecke der Fenster spendeten kein Licht mehr …

Dann – – endlich!!

Harald gähnte herzhaft …

Rief mir zu: „Hallo, mein Alter, schon wach?!“

Und ich: „Soeben erwacht …!“ Ich wollte die nutzlose Komödie getreulich mitmachen.

Harst erhob sich und zündete die Petroleumlampe auf dem Mitteltische an. Als das Streichholz aufflammte, sah ich die drei Päckchen friedlich dort liegen, wo sie gelegen hatten …

Und sicherte meine Klement, stand gleichfalls auf, trat an den Tisch …

Stutzte …

Harald starrte so merkwürdig reglos auf die drei Päckchen …

Dann …: „Donnerwetter – – reingefallen!! Solch ein Spitzbube!!“

Da sah ich dann, daß … es nicht mehr dieselben drei Pakete waren … Nein, die Papierumhüllung war anders, auch die Form und die Umschnürung …

„Donnerwetter!“ meinte Harald nochmals … „Der Bursche hat uns wirklich fein hineingelegt …! – Halt – – nicht berühren, mein Alter!!“

Ich hatte die Hand nach dem einen Päckchen ausgestreckt, aber Harst hatte meine Hand zur Seite gedrückt.

„Vorsicht!“ warnte er. „Kolger könnte uns hier ein Angebinde hinterlassen haben, das vielleicht explodiert. – Warte, ich will die Dinger erst mal untersuchen …“

Er beugte sich über den Tisch und hielt das Ohr dicht an das eine Päckchen …

„Hörst du etwas?“ fragte ich nach einer Weile …

„Ja … Es muß eine Pappschachtel sein, in der sich etwas bewegt – – ein Tierchen … Ich höre es ganz deutlich … Bitte, überzeuge dich …“

Ich tat es … nickte …

„Es stimmt … Es muß ein kleines Tier sein …“

Er nahm das Päckchen nun in die Hand …

„Ganz leicht ist es …! Das ist keine Höllenmaschine …“ – Und schnitt den Bindfaden durch, entfernte das Umschlagepapier …

Wirklich ein Pappkarton …

Und wieder handhabte Harald das Messer, schnitt oben in den Kartondeckel einen schmalen Sehschlitz hinein … Nahm seine Taschenlampe, leuchtete …

„Ah – eine Maus! Nichts als eine Maus …! Lassen wir sie vorläufig, wo sie ist … Prüfen wir die beiden anderen Päckchen …“

Ich will den Leser hier nicht länger auf die Folter spannen: in der zweiten Pappschachtel war eine große, häßliche Kröte, in dem dritten Karton aber ein Stückchen Stearinkerze!!

„Hm – das ist mal was anderes,“ meinte Harald und klappte sein Zigarettenetui auf. „Diese seltsamen Gaben verdienen eine Mirakulum … Bitte, bediene dich, mein Alter … Hier heißt es, den Geist durch Nikotin anfeuern, damit man Herrn Doktor Kolger hinter seine Schliche kommt, der nun fröhlich mit den drei Banknotenpäckchen uns entwischt ist. – Du bist doch wohl ebenfalls der Überzeugung, mein Alter, daß diese Gaben eine ganz bestimmte Bedeutung haben müssen, zumal, was dir entgangen zu sein scheint, hier auf der Innenseite der beiden Kartondeckel eine Kerze und eine Kröte mit Bleistift gezeichnet sind …“

„Ah – in der Tat! Aber sowohl durch die Kerze als auch durch die Kröte geht ein dicker Bleistiftstrich! Sehr merkwürdig!“

„Gewiß … Und jetzt wollen wir auch den Maus-Karton öffnen – aber draußen im Flur. Mag das Tierchen entwischen …!“

Es geschah …

Und auch auf der Innenseite dieses Kartons war die Zeichnung einer Maus zu sehen, und auch der dicke Bleistiftstrich fehlte nicht, der mitten durch die Maus ging …!

Sehr merkwürdig das …!! Sehr!

Und – ich blickte Harald fragend an …

Der zuckte die Achseln … „Verlangst du etwa, daß ich schon jetzt dieses Rebus des Herrn Doktor Kolger geraten habe?! Zu viel verlangt! Gedulde dich etwas … Vielleicht kommt mir bei der fünften oder sechsten Mirakulum die Erleuchtung …“

Er ging zu dem mächtigen Kachelofen, neben dem ein Korb mit Holz und Preßkohlen stand, öffnete die Feuerung und fachte die Glut gehörig an. Die Holzscheite flammten auf, und Harst rückte einen der verschossenen Sessel vor den Ofen, der uns nun einen behaglichen Kamin vortäuschte.

Ich folgte seinem Beispiel …

Schweigend saßen wir …

Bis die Kröte in ihrem Karton unruhig wurde und Harald mich bat, das Tier in den Keller zu tragen …

„Kröten sind nützliche Tiere, die man schonen soll …,“ fügte er hinzu.

So ging ich denn mit dem Karton und meiner Taschenlampe hinaus, die Haupttreppe hinunter in die Vorhalle …

Der Lichtkegel tanzte vor mir her, zeigte mir hier in der Vorhalle eine schlanke Gestalt … Ich wollte schon zur Waffe greifen …

Da lachte der Mann …

„Ich bin’s, lieber Alter … Du siehst, ich bin flinker hier nach unten gelangt als du, denn ich habe den geheimen Gang benutzt, mit dessen Hilfe Kolger sich bei uns eingeschlichen hatte …“

Und wieder lachte er leise in sich hinein … Er liebte derartige Überraschungen über alles …

„Die Geheimtür in der Wandtäfelung hatte ich im Moment gefunden,“ erklärte er dann weiter. „Und der Gang und die verborgene Treppe münden dort in den ungeheuren Eichenschrank …“

Er deutete auf das Monstrum von Schrank, wollte offenbar noch mehr sagen, wurde aber durch das Erscheinen des alten Pachnitzki gestört, der von links herbeigeschlurft kam – mit einem mächtigen Teebrett in den Händen, auf dem Kaffeekanne, Tassen und anderes, auch ein brennendes Laternchen standen …

„Ah – – die Herren hier in der eiskalten Vorhalle?!“ rief er. „Ich bringe Ihnen gerade etwas Warmes, den Nachmittagskaffee, extra stark aufgebrüht … – Was haben Sie denn da, Herr Schraut?“

„Sie sehen ja, einen Pappkarton und eine Kröte darin …“

Pachnitzki glotzte mich verständnislos an …

Harald meinte: „Tragen Sie nur den Kaffee nach oben und warten Sie dort auf uns. Wir wollen nur die Kröte in den Keller bringen. Nachher erzählen wir Ihnen einige Neuigkeiten …“

„Womit auch ich dienen kann, Herr Harst,“ erklärte der Alte mit einem Seufzer. „Vorhin bekam ich eine Depesche von meinem Herrn Grafen, der Schloß Lubowitz ja schon seit langem verkaufen möchte. Jetzt wird morgen ein Käufer hier eintreffen, ein Baron Makröli, offenbar ein Ungar, nebst Gattin und Diener …“

Er seufzte noch kläglicher …

„Ach, wenn dieser Baron das Schloß erwirbt, Herr Harst, dann … dann muß ich hier mit meinen Eulen raus. … Und das wird mir sehr, sehr nahegehen …“

 

3. Kapitel.

Baron Makröli.

Kolger-Smith, der mit den drei Banknotenpäckchen entkommen war und uns dafür das „Rebus“ zurückgelassen hatte, unsererseits zu verfolgen, wäre zwecklos gewesen. Nur eins tat Harald: er schickte eine Depesche an Bechert und meldete kurz, daß Kolger hier wieder aufgetaucht sei. Gleichzeitig benachrichtigte er den Landjäger im Dorfe Lubowitz, was der alte Pachnitzki gleichfalls zu erledigen versprach, der auch das Telegramm besorgen wollte.

Der Rest dieses Tages verlief im übrigen ohne jedes bemerkenswerte Vorkommnis. Abends waren wir Gäste Pfarrer Heykings und verlebten dort ein paar angenehme Stunden. Da Heyking uns einen sehr guten alten Rotwein vorgesetzt hatte, schliefen wir nachher im Schlosse bis in den hellen Morgen rein.

Pachnitzki erwartete den Baron gegen ein Uhr mittags. Er hatte sich der neuen Gäste wegen aus dem Dorfe noch eine weibliche Hilfe mitgebracht, und wir bekamen ihn vormittags kaum zu sehen, so viel hatte er mit dem Instandsetzen der Zimmer für die Schloßkäufer zu tun.

Ein weiter Spaziergang durch die nahen Wälder hielt uns bis gegen zwei Uhr vom Schlosse fern. Bei unserer Rückkehr begegneten wir im Parke dem Ehepaar Makröli …

Nun, sowohl der Baron als auch seine liebreizende Gattin entpuppten sich als außerordentlich zugängliche, heitere Menschen von tadellosen Umgangsformen. Wir wurden sehr schnell miteinander vertraut, und der hagere Baron bat uns höflich, daß wir doch die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen sollten. Er bat Harald auch, ihm einen Rat zu erteilen, ob es lohnend sei, das baufällige Schloß zu erwerben, dessen Renovierung ihm doch wohl zu kostspielig werden würde. Harst erklärte, er verstünde von baulichen Dingen nichts. Der Baron müsse schon allein zu einem Entschluß gelangen.

Gegen drei Uhr aßen wir gemeinsam Mittag. Der Diener des Barons, ein älterer, stiller Mann, wartete bei Tisch auf.

Makröli war nicht Ungar, sondern Tscheche. Wie er uns im Laufe der sehr lebhaften Unterhaltung mitteilte, hatte er mit seiner Gattin ein volles Jahr auf Reisen zugebracht und verfügte zurzeit nur über eine kleine Stadtwohnung in Prag. Seine Frau war in der Tat ein ganz reizender lustiger Kobold, neckte sich beständig mit mir herum und meinte, sie müsse mir unbedingt das Schulmeisterhafte austreiben, das mir leider zu stark ausgeprägt sei.

In heiterster Stimmung erhoben wir uns von der Tafel und nahmen im Nebenzimmer den Kaffee ein. – Diese Räume lagen im Erdgeschoß des westlichen Flügels, und von den Fenstern aus konnte man in der Ferne über eine Parklichtung hinweg einen Teil des Grottenhügels erkennen.

Die Baronin Stasia (eine Abkürzung für Anastasia) interessierte sich natürlich glühend für die nächtlichen Vorgänge, die mit dem Spiritistenklub etwas zu tun gehabt hatten. Sie ließ sich alles ganz genau erzählen, und Harald machte auch aus Kolgers famosem „Rebus“ weiter kein Geheimnis.

Der Baron, der nur Gedanken für den Gutskauf hatte, wurde erst auf dieses Gespräch aufmerksam, als Harald den Austausch der drei Päckchen schilderte.

„Unglaublich!“ rief er da … „Dieser Kolger muß ein Mensch von unerhörter Kühnheit sein …!“

„Und Schlauheit …!“ ergänzte Harald. „Wenn ich nur erst wüßte, was er mit der Maus, der Kröte und der Kerze gewollt hat …! All mein Grübeln war bisher umsonst. Und dabei bin ich überzeugt, daß dieses „Rebus“ von allergrößter Wichtigkeit ist und daß es mich in versteckter Weise auf ein neues Verbrechen Kolgers hinweisen will – eben in einer so versteckten Weise, daß mein Hirn nicht ausreicht, das Rätsel zu lösen …“

Es war bereits dämmerig im Zimmer … Der Baron lehnte in einem Sessel am Fenster. Und nur deshalb gewahrte ich das blitzschnelle höhnische Verziehen seines Mundes, das Haralds Worten folgte …

Dann sagte Makröli: „Nun, verehrter Herr Harst, Sie haben ja noch Zeit, der Lösung nachzuspüren … Denn wenn dieser Kolger gestern erst von hier entwischt ist, wird er wohl kaum sofort etwas Neues unternehmen …“

Dies klang durchaus harmlos …

Aber das Lächeln vorher – – dieses infame Lächeln, dieses niederträchtige Verzerren der Mundwinkel – nur für Sekunden!!

Jedenfalls: Der Baron kam mir mit einem Schlage außerordentlich verdächtig vor – außerordentlich!

Und als ich dann zu kurzer Nachmittagsruhe mit Harald in unseren Zimmern allein war, teilte ich ihm natürlich sofort das Beobachtete mit – in vorsichtigstem Flüsterton …

Und da geschah’s …

Da flüsterte Harald zurück: „Glaubst du etwa, mein Alter, daß Makröli ein Schwindler ist?!“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Harald …“

„Nun – glaube es nur! Denn es stimmt! Dieses Ehepaar, dazu der Diener, die Hauptperson, – sie hängen mit Kolgers Rebus zusammen – – ganz eng, lieber Alter, durch drei Silben …“

Wir standen am Fenster. Unmöglich konnte ein Lauscher etwas von unseren Worten auffangen, mochte er auch irgendwo hinter der Holztäfelung stecken …

„Drei Silben?“ fragte ich atemlos …

„Ja … Ich habe vorhin den sogenannten Baron belogen … Auch dich gestern … Denn als Pachnitzki gestern auf die Depesche seines Herrn zeigte, als ich darin den Namen Makröli fand, da ging mir ein Licht auf, – Licht, keine Kerze! Denke an die Maus, die Kröte, das Stearinlicht, – denke daran, daß die Zeichnungen der drei Dinge dicke Striche aufwiesen, und nimm an, daß diese Striche wie in einem richtigen Rebus Teile der Wortbilder ausmerzen sollten, dann erhältst du aus Maus ein Ma, aus Kröte ein Krö und aus Licht ein Li, also den Namen Makröli! – Das wußte ich, wie gesagt, gestern schon, wußte also auch, was ich von diesen Schloßkäufern zu halten hätte, schaute mir den alten würdigen Diener heute recht genau an und stellte fest, daß es Kolger ist, tadellos maskiert wie damals als Pfarrer Heyking …“

Ich … blieb stumm … Denn diese Eröffnungen waren auf einmal eine zu reichliche Dosis …

Harald fügte ebenso gleichmütig hinzu:

„Kolger hat sich eben fest darauf verlassen, daß ich diese schwere Nuß nicht knacken würde, die Makröli-Nuß …! Ein Irrtum! Zu knacken bleibt nur noch die zweite Nuß: Weshalb sind diese drei vornehmen Gauner hier nach Lubowitz gekommen – – weshalb? Was beabsichtigen sie hier?! Etwa uns beide dafür zu bestrafen, daß wir ihre Fälscherwerkstatt ausgehoben haben?! Das glaube ich nicht. Es muß etwas anderes dahinter stecken. Sie planen etwas, wollen dies hier unter unseren Augen ausführen und nachher uns beide verhöhnen! Das soll ihre Rache werden! – So wird es wohl sein, mein Alter … Und an uns ist es nun, den dreien dauernd scharf auf die Finger zu sehen, damit sie auch jetzt wieder die Hereingefallenen sind …“

Er lächelte mich an …

„Ja, ja, lieber Alter, es ist schon verständlich, daß du so ein wenig sprachlos bist … Ich war gleichfalls im ersten Moment völlig verdutzt, als ich dieses „Makröli“ durchschaut hatte. Jetzt aber bin ich lediglich noch begierig auf die Weiterentwicklung der Dinge, denn wir haben die Oberhand, wir haben die Trümpfe in diesem Spiel, weil wir die drei Herrschaften bereits entlarvt haben … – Morgen will der Baron mit uns das ganze Schloß besichtigen. Und dann wird er sich vielleicht irgendwie verraten … Warten wir es ab …“

Jetzt hatte ich die Sprache wiedergefunden – – endlich …

Und meinte: „In jedem Falle dürfte es ratsam sein, daß wir auch nachts zu unserer Sicherheit einige Vorsichtsmaßregeln treffen …“

„Was selbstverständlich ist … Wir beide werden hier in meinem Zimmer schlafen. Vor die Geheimtür dort in der Wandtäfelung rücken wir den Schrank … Die Türen sichern wir ebenfalls. Dann können wir unbesorgt sein … – So, jetzt legen wir uns nieder und schlafen Vorrat … Mach’ dir im übrigen keine Gedanken. Gefahr ist für uns kaum vorhanden …“ –

Schlafen …?! – Gut gesagt, schwer getan! Ich hätte den sehen mögen, der nach diesen Neuigkeiten fähig gewesen wäre, auch nur ein Auge zu schließen!

Ich lag auf dem Diwan und grübelte …

Ich lag da und horchte wie gestern um dieselbe Zeit auf jedes Geräusch …

Gestern hatte Kolger die Päckchen vertauscht, ohne daß wir auch nur das geringste Verdächtige wahrgenommen hätten …

Was würde heute geschehen?! Und – würde überhaupt etwas geschehen? Würde Harald recht behalten, daß man keinen Anschlag auf uns versuchen würde?! –

Er behielt recht …

Nichts geschah. – Abends speisten wir wieder mit dem feudalen Ehepaar zusammen, und der Diener Joseph bediente wieder … Die Baronin war noch heiterer als vormittags, und wir beide schauspielerten so vorzüglich, daß die drei unbedingt nicht ahnen konnten, was – – wir ahnten!

Bis elf Uhr blieben wir zusammen … Sagten uns herzlich, wie liebe alte Bekannte, gute Nacht und trennten uns …

Als wir beide in Haralds Zimmer angelangt waren, als Harald die Flurtür verriegelt hatte, als ich ihm zufällig ins Gesicht schaute, – da erschrak ich fast über die jähe Veränderung seiner Züge …

Beugte mich vor, fragte stockend:

„Was in aller Welt ist denn geschehen, Harald?! Dein Gesichtsausdruck läßt …“

Er packte meinen Arm … Selten habe ich ihn so erregt gesehen, selten habe ich bemerkt, wie er derart mit Anspannung all seiner Energie diese Erregung zu unterdrücken suchte …

Dann – mehr gehaucht als geflüstert:

„Die Sache steht schlecht für uns …! Mit diesen dreien hätten wir es aufnehmen können, wenn es eben drei Durchschnittsverbrecher gewesen wären … – Ich habe heute abend den angeblichen Baron wiedererkannt … Er ist kein anderer als der seit einem Jahre gesuchte Arzt Doktor Griping, Friedrich Griping, der wegen sechsfachen Mordes, wegen dreier Raubanfälle und verschiedener Juwelendiebstähle gesucht wird …“

Griping!! – Ob ich den Namen kannte!! Vor einem Jahre waren alle Zeitungen voll von den brutalen und überschlauen Schandtaten dieses gefährlichen Menschen, der als Verbrecher nur als ein Genie bezeichnet werden konnte!

 

4. Kapitel.

Die Frau im Koffer.

Also Griping war der angebliche Baron Makröli! Ausgerechnet Griping! – Damals vor einem Jahre war es lediglich ein Zufall gewesen, daß wir beide nicht mit ihm zu tun bekamen. Wir weilten zu derselben Zeit in Indien, wo uns die Depesche Freund Becherts erreichte, der uns bat, diesen Schädling der Gesellschaft zu verfolgen, weil die Polizei seine Spur völlig verloren hatte. Leider waren wir unabkömmlich. Das Geheimnis des Perlentauchers, das ich in einem der vorhergehenden Bände geschildert habe, und zwei andere interessante Fälle hielten uns zu lange in Indien zurück. Als wir die Heimat wiedersahen, war es zu spät. Griping blieb samt seiner schönen Assistentin, seiner Mitschuldigen, verschwunden!

Und jetzt sollte er hier wieder aufgetaucht sein – als Freund und Genosse des ebenso berüchtigten Kolger-Smith?! Ob Harald sich nicht vielleicht doch täuschte?! Er hatte Griping ja nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, kannte nur den Steckbrief …

Harsts scharfe Augen lasen diese Bedenken aus meinen Mienen heraus. Er nickte leicht mit dem Kopf …

„Er ist’s, mein Alter … Er besitzt ein untrügliches Kennzeichen, worauf auch in seinem Steckbrief hingewiesen ist: im Genick hat er drei große Karbunkelnarben, die ein Dreieck bilden. Obwohl er nun das Kopfhaar hinten sehr lang und einen sehr hohen Kragen trägt, fielen mir diese Narben vorhin doch auf, als er sich nach seiner Zigarette bückte, – eine große Unvorsichtigkeit von ihm! – Als ich so erst auf die Vermutung gekommen war, daß es Doktor Griping sein könne, rief ich mir das Bild des Steckbriefes ins Gedächtnis zurück. Und obwohl dieser Mensch früher sehr korpulent und jetzt fast abschreckend mager ist, fand ich doch ähnliche Züge heraus. Insbesondere sind Gripings hellgraue, verwaschene Augen mindestens ebenso verräterisch wie die drei Narben. – Er ist’s, und weil er’s ist, müssen wir jetzt außerordentlich auf der Hut sein. Griping kennt kein Erbarmen. Das hat er mehrfach bewiesen. Ihm als Arzt bedeutet ein Mord weniger als dem vertiertesten Lustmörder. – Lege du dich jetzt zu Bett. Ich werde bis vier Uhr morgens wachen. Dann löst du mich ab. Nur so sind wir sicher. Das Licht löschen wir natürlich aus. Ich setze mich in den Sessel an den Ofen und werde mich durch Zigaretten munter halten …“

So begann die zweite ereignisreiche Nacht auf Schloß Lubowitz …

Eine Nacht, die jener nicht viel an aufregenden Momenten nachstand, in der wir die Spiritisten entlarvt hatten.

Ich legte mich nieder, blieb aber für alle Fälle halb angezogen. Den Schrank hatten wir nicht vor die Geheimtür gerückt, um keinerlei Verdacht zu erregen. Die drei Gegner sollten eben harmlos bleiben.

Ich versuchte einzuschlafen – versuchte! Aber ich hörte die mächtige Standuhr unten in der Vorhalle zwölf schlagen, dann ein Viertel eins, dann halb eins …

Und kaum war dieser zweite dumpfe Schlag verhallt, als ich emporfuhr …

Ein heller Lichtschein war ins Zimmer gedrungen, – von einer Laterne – von der Geheimtür her …

Dort in der schmalen Tür stand der alte Pachnitzki in einem dicken Schlafrock, mit einer dunklen Zipfelmütze auf dem Kopf … Sah, daß wir munter waren …

„Gott sei Dank!“ flüsterte er … „Gott sei Dank, meine Herren, Sie sind wach …“

Und mit unsicheren Schritten trat er näher … Drückte die Geheimtür zu, sank in die Sofaecke …

Harald war schon neben ihm …

„Was gibt’s?!“ fragte er leise …

Der Alte schaute ihn mit halb verglasten Augen an …

„Der … der Baron … hat … hat … eine Leiche … in dem großen Koffer …,“ stammelte er …

Harst setzte sich neben ihn. „Beruhigen Sie sich jetzt zunächst mal, lieber Pachnitzki … Sie haben hier bei uns nichts mehr zu fürchten. – Eine Leiche im Koffer?“

„Ja … ja, Herr Harst … Und damit Sie verstehen, wie ich hiervon Kenntnis erlangt habe, muß ich auch noch etwas von den Geheimnissen des Schlosses preisgeben …“ Er hatte sich wieder leidlich gefaßt. Seine Augen waren nicht mehr so stier … Und nach kurzer Pause fuhr er recht lebhaft fort: „Am besten ist’s ja, die Herren begleiten mich, denn Sehen geht allemal vor Sagen, und ich bin kein gewandter Schilderer. Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht noch zur rechten Zeit.“

Ich war im Moment fertig angezogen. Pachnitzki führte uns durch den geheimen Gang bis zu der schmalen, verborgenen Treppe. Hier öffnete er eine uns bis dahin unbekannte zweite Geheimtür, und nach wenigen Minuten waren wir dann hinter der Rückwand des Schlafgemaches des angeblichen Ehepaares Makröli angelangt, wo ein kleines verstecktes Fenster uns gestattete, in das große Zimmer hineinzuschauen.

Doch – wir waren zu spät gekommen … Griping und die lustige Stasia saßen harmlos neben dem Ofen und lasen Zeitungen. Immerhin sahen wir den großen Koffer, in dem die Leiche versteckt sein sollte.

Lautlos kehrten wir um … Waren wieder in Haralds Zimmer … Ließen uns von Pachnitzki nun berichten …

„Ich bin wahrhaftig kein neugieriges altes Weib, meine Herren,“ begann er etwas verlegen. „Aber offen gesagt: Dieser Baron nebst Gattin kam mir ein wenig merkwürdig vor. Ich bin doch in meiner Jugend gräflicher Diener gewesen und habe einen Blick für kleine Unstimmigkeiten im Benehmen von Leuten, die etwas in der Welt vorstellen wollen. So trieb es mich denn, weil ich diesen Leuten mißtraute, vorhin zu dem kleinen Fenster. Kaum hatte ich in das Gemach hinabgeschaut, als ich förmlich zurückprallte, denn der Baron und der Diener Joseph hoben gerade aus dem Koffer eine bekleidete Frauenleiche heraus, während die Baronin nicht dabei stand. Da bin ich denn Hals über Kopf hier zu Ihnen gelaufen, meine Herren …“

Harald fragte nun, woraus Pachnitzki schließe, daß es eine Tote gewesen sei.

„Nun, Herr Harst, weil der Kopf doch so ohne jeden Halt hin und her baumelte … Übrigens war’s offenbar eine ganz junge Person – mit hellblondem Haar, bekleidet mit einer hellen Gesellschaftsrobe, tief dekolletiert …“

Harald richtete noch weitere Fragen an den Alten, ohne daß der Sachverhalt dadurch jedoch näher geklärt werden konnte. Dann schlich Pachnitzki wieder davon. Harst hatte ihn dringend gebeten, daß er den drei Gaunern gegenüber sich ja nichts anmerken ließe. Im übrigen hatte Harald sich jedoch über diese Frauenleiche in keiner Weise geäußert, tat dies nun auch mir gegenüber nicht, sondern beschränkte sich auf die nichtssagenden Sätze:

„Man muß abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Ich denke, schon dieser heutige Tag (es war jetzt ein Uhr morgens) dürfte uns Klarheit bringen.“

Wir gingen zu Bett. Auch Harald verzichtete auf eine Nachtwache, meinte, daß das Verbrechertrio uns unbehelligt lassen würde. Er baute nur unsere Koffer so vor der Geheimtür auf, daß der obere herabfallen mußte, falls jemand eindringen wollte. – –

Vormittags um halb zehn nahmen wir wieder mit dem Ehepaar das Frühstück gemeinsam ein.

Es war für mich wirklich nicht ganz einfach, auch heute den Liebenswürdigen zu spielen und auf Baronin Stasias übermütigen Neckton einzugehen. Der Gedanke, mit einem vielfachen Mörder an einem Tische zu sitzen, drängte sich in meinem Hirn immer wieder in den Vordergrund. Ich war froh, als wir uns erhoben und nun die gründliche Besichtigung des Schlosses folgen sollte.

Der Diener Joseph, also Kolger-Smith, hatte heute nicht bedient, und so ganz beiläufig hatte Baron Makröli erwähnt, er habe Joseph bereits in aller Frühe nach der nächsten Bahnstation geschickt, da Joseph für ihn in Prag etwas sehr Dringendes zu erledigen habe.

Als Makröli-Griping uns dies mitteilte, schoß mir sofort durch den Kopf, daß Kolger sich hier unter unseren Augen doch wohl nicht so ganz sicher gefühlt habe. Jedenfalls wäre es höchst unangenehm gewesen, wenn der Kerl uns entwischt sein sollte. Harst jedoch schien diese Abreise Kolgers sehr kalt zu lassen.

So traten denn nun wir vier unter Führung des alten Pachnitzki den Rundgang durch das Schloß an. Ich kann mich hierüber ganz kurz fassen: Griping erklärte nachher, daß ihm das Schloß denn doch zu baufällig sei und daß er die Absicht eines Ankaufs aufgebe und nachmittags abreisen würde. –

Das gemeinsame Mittagessen, für den Baron und seine Gattin gleichzeitig die Abschiedsmahlzeit, verlief sehr heiter, da Harald in geradezu ausgelassener Stimmung war, was mir sehr zu denken gab. Fraglos hatte er das mir selbst noch völlig dunkle Spiel dieser drei Herrschaften vollkommen durchschaut und fühlte sich bereits Sieger.

Der Baron hatte für halb fünf nachmittags im Dorfe Lubowitz einen Schlitten bestellt, der ihn zur Bahn bringen sollte. Gleich nach Tisch sagten wir den beiden Lebewohl, da Harald Pastor Heyking besuchen wollte.

Als wir gegen ein Viertel vier nach dem Dorfe wanderten, hatte ich nun endlich Gelegenheit, meinem übervollen Herzen Luft zu machen. Doch – meine Fragen blieben wieder einmal unbeantwortet …

„Lieber Alter,“ sagte Harald nur, „ich möchte dir beweisen, wie notwendig es für Leute unseres Berufes ist, Zeitungen recht genau zu lesen. Hättest du es getan, so würde dir diese Kofferleiche kein Geheimnis mehr sein!“

 

5. Kapitel.

Erpresser.

So kam es denn, daß ich bei alledem, was nun folgte, lediglich den etwas verärgerten, aber sehr achtsamen Zuschauer spielte.

Zunächst: Wir gingen nicht zu Heyking, sondern zum Gemeindevorsteher, der hier ja die Polizeigewalt hatte und zu dem Landjäger.

Harald weihte diese beiden ein und schlug vor, Griping und Stasia unterwegs zum Bahnhof an einer Stelle aus dem Schlitten heraus zu verhaften, an der dies ganz unauffällig geschehen konnte.

Der Landjäger schlug einen im Walde südlich des Dorfes gelegenen Hohlweg vor. Harst war einverstanden.

Es dunkelte bereits, als wir beide, der Landjäger, der Gemeindevorsteher und dessen erwachsener Sohn unsere Plätze dicht an dem Hohlweg hinter dicken Bäumen einnahmen. Alles war genau vereinbart.

Dann nahte der Schlitten …

Der Sohn des Gemeindevorstehers tat so, als ob er mitten im Hohlwege im Schnee etwas suche. Auf diese Weise zwang er den Kutscher langsamer zu fahren, und wir anderen konnten mit ein paar raschen Sprüngen von hinten den Schlitten erreichen.

Harst, die gespannte Klement in der Rechten, erschien urplötzlich neben dem Gefährt, rief dem Kutscher zu, sofort zu halten, und wandte sich darauf an Griping, der wie ein Blitz hochgeschnellt war …

„Doktor Griping, Sie sehen, daß jeder Widerstand hier zwecklos wäre …“

Stasia schrie gellend auf …

Da packten der Landjäger und der Gemeindevorsteher schon zu, rissen den Verbrecher aus dem Schlitten und hatten ihm ebenso schnell die Hände auf den Rücken gefesselt. Der schönen Stasia erging es nicht anders.

Griping war derart verstört, daß er kein Wort herausbrachte …

„Sie geben doch zu, der steckbrieflich verfolgte Mörder Doktor Friedrich Griping zu sein?“ fragte Harald nochmals …

„Leugnen hätte Ihnen gegenüber wohl keinen Zweck!“ stieß Griping in verbissener Wut hervor …

„Nun gut … Und was wollten Sie in Schloß Lubowitz?“

Da lachte Griping schrill auf …

„Raten Sie’s doch, Herr Harst!!“

„Oh – ich glaube es geraten zu haben … – Wo ist Kolger geblieben?“

„Suchen Sie ihn!“

„Das werden wir tun … Kolger ist schuld daran, daß wir Sie erwischt haben, Griping. Sein Scherzrebus mit den drei Päckchen ist Ihnen verhängnisvoll geworden. Wir werden ihn finden … Vorwärts – – zum Schlosse! Dort wird sich zeigen, ob meine Vermutung zutrifft …“ –

Das Verbrecherpaar mußte zwischen uns zu Fuß marschieren. Der Schlitten wurde nach dem Dorfe geschickt.

Sechs Uhr war’s, als wir am Seiteneingang des Schlosses zur größten Überraschung des alten Pachnitzki anlangten.

In Pachnitzkis so wenig lieblich duftendem Wohnzimmer nahm Harald den Mörder Griping dann nochmals ins Gebet. – Ich muß noch nachholen, daß wir schon in dem Hohlweg den großen Reisekoffer Gripings aufgebrochen hatten. Er war bis auf einige Wäsche und Kleidungsstücke leer.

„Griping, Sie täten klüger, alles einzugestehen,“ meinte Harald ohne besondere Eindringlichkeit. „Was sollte Ihr Besuch hier auf Schloß Lubowitz?“

„Ich denke, Sie wissen es …!“ höhnte dieser elende Mensch, der jetzt längst wieder seine freche Kaltblütigkeit zurückgewonnen hatte.

„In dem Koffer war eine weibliche Person verborgen,“ sagte Harald ebenso kühl. „Ein blondes, junges Mädchen … Oder – war es eine Tote?“

Griping war jetzt doch zusammengezuckt … – und schwieg …

Da brüllte der alte Pachnitzki, der sich nicht länger beherrschen konnte:

„Ich habe die Tote gesehen, Sie Lump …!! Sie haben die Leiche wohl irgendwo in den Kellern verscharrt!!“

„Ruhe, Pachnitzki!“ mahnte Harald. „Ob Griping gesteht oder nicht – wir finden die blonde Frau schon. Erklären Sie mir lieber, ob es hier im Schloß ein geheimes Zimmer oder doch ein geheimes Gelaß gibt, das groß genug ist, zwei Menschen zu beherbergen …“

Der Alte nickte widerwillig …

„Ein solches Gelaß gibt es allerdings, Herr Harst … Im Keller des Hauptflügels liegt es, hat aber den Eingang von oben durch einen großen Flurschrank.“

„Und Ihr mißratener Sohn kannte dieses Gelaß …“

„Ja …“

„Dann hat er dessen Vorhandensein seinem Freunde Kolger verraten, und Griping und Kolger gedachten diesen Raum für ihre Zwecke zu benutzen … – Nicht wahr, Griping?“

Der saß mit tief gesenktem Kopfe da – – schwieg …

„Kolger-Joseph ist nämlich gar nicht abgereist, sondern spielt hier den Wächter einer jungen Dame, die man vor fünf Tagen aus Breslau entführt hat …“

Er zog eine Zeitung aus seinem Rock …

„Das hier ist der Görlitzer Anzeiger, den Pachnitzki sich hält … Am Tage unserer Ankunft durchblätterte ich diese Zeitung. Und fand:

Breslau. Das Verschwinden der Tochter des Kommerzienrats Walker erregt hier allgemeines Aufsehen. Die junge Dame hatte das Theater ohne Begleitung besucht und nach Schluß der Vorstellung ein Mietauto bestiegen. Seitdem ist Elisabeth Walker nicht mehr gesehen worden. Auch der Besitzer der Kraftdroschke, die von Fräulein Walker benutzt wurde, konnte noch nicht ermittelt werden. – Die in der Stadt umgehenden Gerüchte, daß Fräulein W. mit einem Liebhaber entflohen sei, entbehren insofern jeglicher Begründung, als die junge Dame mit dem Gutsbesitzer von Stetten glücklich verlobt ist. Es kann nur Entführung vorliegen. Entweder haben hier die Mädchenhändler ihre Hände im Spiel, oder aber es handelt sich um die Erpressung eines Lösegeldes. – Alle Personen, die zu diesem Vorkommnis etwas angeben können, werden unter Hinweis auf die ausgesetzte hohe Belohnung gebeten, dem Polizeipräsidium Breslau, Kommissar Liebert, Nachricht zugehen zu lassen. – Fräulein Walker ist hellblond, mittelgroß, hat ein schmales, regelmäßiges Gesicht, braune Augen und war bekleidet mit einem Pelzmantel und einem zartblauen, halsfreien Kleide mit reicher Perlenstickerei.“

Harst legte die Zeitung auf den Tisch …

„Nun, Griping?! – Nur Sie und Ihre frühere Assistentin können Fräulein Walker entführt haben, denn Kolger war an dem betreffenden Tage hier, wie ich festgestellt habe. – Welchen Preis sollten denn der Kommerzienrat und der ebenso reiche Verlobte der jungen Dame als Lösegeld zahlen?“

Griping hielt es für richtig, stumm zu bleiben.

„Sie haben da unter Ihren Sachen in dem kleineren Koffer nun eine Liliput-Schreibmaschine … Vielleicht haben Sie den betreffenden Erpresserbrief gar hier geschrieben und tragen ihn noch bei sich. – Herr Landjäger, durchsuchen Sie den Mann …“

Siehe da: Der Brief kam wirklich zum Vorschein, war fix und fertig und nur in den Postkasten zu werfen. Sein Inhalt ist ohne Bedeutung – bis auf die verlangte Summe: Hunderttausend Mark!

Der Fall war hiermit endgültig geklärt. Die Erpresser hatten Elisabeth Walker anderswo nicht unterzubringen gewußt und waren so auf den geheimen Raum hier im Schlosse verfallen, ein Gedanke, der ohne Zweifel recht gut war, da der alte Pachnitzki wohl kaum jenes Gelaß aufgesucht hätte, das wir nun mit eigenen Augen kennen lernen sollten.

Als wir beide durch den Schrank und über eine schmale verborgene Treppe möglichst leise hinabkletterten, überraschten wir Kolger-Smith im tiefen Schlafe. Der Raum selbst war durch wollene Decken geteilt, enthielt einen kleinen eisernen Ofen und spärliches Mobiliar. Auch das bedauernswerte junge Mädchen lag in halber Narkose auf ihrem dürftigen Lager in der anderen Abteilung des Gelasses. – Ich hätte hier die Auffindung der Entführten weit dramatischer ausgestalten können, würde dann jedoch von der Wahrheit abgewichen sein, denn die Überrumpelung und Fesselung Kolgers ging ohne jede Sensation vonstatten. Mir liegt ja auch nichts daran, dem Leser nach Kräften eine starke Dosis Nervengift zu verabfolgen – aufregende Szenen –, sondern ihm zu zeigen, in welch’ exakter Weise das Gehirn eines Detektivs wie Harald Harst arbeitet. –

Gripings Strafe ist bekannt. Er wurde hingerichtet. Stasia und Kolger wanderten ins Zuchthaus. Schloß Lubowitz ist noch heute Eigentum der gräflichen Familie Schallnein.

In unserer Raritätensammlung bewahre ich drei Deckel von kleinen Pappkartons auf. Es sind die Deckel mit den Zeichnungen der Maus, der Kröte und des Lichtes. – Kolgers Rebus war eine falsche Spekulation. Kolger hatte das Genie meines Freundes denn doch zu sehr unterschätzt.

So verabschiede ich mich denn für heute von dem geneigten Leser, gebe zum Schluß noch der Hoffnung Ausdruck, daß auch „Der Mann aus Eisen“ seinen Beifall finden wird.

 

Nächster Band:

Der Mann aus Eisen.

 

 

Anmerkungen:

  1. Ein kurzer Schulterumhang, siehe auf Wikipedia unter Pelerine.
  2. Ein Mantel, siehe Wikipedia Ulster.
  3. Lubowitz ist eine Ortschaft in Oberschlesien und Geburtsort des deutschen Dichters Joseph von Eichendorff.