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Der Leuchtturm von Alexandria

 

Der Leuchtturm von Alexandria. Von W. Kabel.

 

Der erste Leuchtturm, über dessen Bauart wir genaueres wissen, ist der von Alexandria. Er wurde noch unter der Regierung Alexanders des Großen begonnen, jedoch erst hundert Jahre nach dessen Tode fertiggestellt. Er stand auf der östlichen Spitze der dem Hafen von Alexandria vorgelagerten Insel Pharos und soll nach den Angaben der Schriftsteller 547 Fuß hoch gewesen sein.

Das Baumaterial des viereckigen, schlanken Turmes bestand aus weißem Marmor, der zu ungeheuren Würfeln zugehauen war. Auf seiner hohen Plattform wurde allnächtlich in einem eisernen Becken ein durch Baumharz genährtes Feuer angezündet, dessen Schein 40 englische Meilen weit zu sehen war.

In den 15 Stockwerken des Turmes waren über 100 Kerkerzellen für Verbrecher eingerichtet. Die offenen Fenster dieser Zellen wurden in einer Sturmnacht, wie der griechische Geschichtsschreiber Hermogeikes in seinem Werke über die sieben Weltwunder, zu denen er auch den Leuchtturm von Pharos rechnet, berichtet, einer großen Anzahl der auf der Westseite des Gebäudes untergebrachten Gefangenen verhängnisvoll. Der Wind drückte den ungeheuren Qualm, den das Leuchtfeuer erzeugte, auf den Meeresspiegel herab, so daß der Rauch auch Eingang in die Zellen fand und hier die Bewohner erstickten.

Durch welches Naturereignis der seiner ganzen Bauart nach eigentlich für die Ewigkeit bestimmte Turm zerstört worden ist, wissen wir nicht; doch nimmt man an, daß ein Erdbeben das Wunderwerk zu Fall gebracht hat. Interessant ist es, daß das englische Konsulatsgebäude des heutigen Alexandria, sowie andere öffentliche Gebäude, darunter auch die Filiale der ottomanischen Bank, aus den Marmorüberresten des einstigen Leuchtturms, die fast ein Jahrtausend unbenützt liegen geblieben waren, errichtet sind.

Welche Unmengen von Marmorblöcken der Turm enthalten haben muß, geht schon daraus hervor, daß noch heute jene Marmorwürfel aus Pharos zu Schiff in die Werkstätten europäischer Bildhauer übergeführt werden und dort in künstlerischer Form ihre Auferstehung feiern.

 

 

Anmerkungen:

  1. Erschien ebenfalls unter dem Titel: Der älteste Leuchtturm in: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang (1912), Band 12, S. 169–170.
  2. Der Artikel erschien auch unter der Verfasserangabe W.K. als: Der älteste Leuchtturm in: Mein Österreich. Illustrierte Monatsschrift für die Jugend. 3. Jahrgang 1913, S. 212.