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Frau Magda's Dornenkrone

 

 

Vergiß mein nicht

Bibliothek der besten Romane

Band 120

Frau Magda’s Dornenkrone

Roman von

W. Schraut.

 

Verlag moderner Lektüre
G. m. b. H.
Berlin SO16, Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre
G. m. b. H., Berlin.

 

 

1. Kapitel.

Frau Magda am Fenster.

Hauptmann Gerß hatte dem Kellner, der ihm soeben die dringende Depesche überreicht hatte, den Rücken zugekehrt. Über sein gebräuntes Gesicht lief ein unmerkliches Zucken hin, während er die vier Reihen Zahlen prüfend überflog. Es gab im Stab des Ostkorps nur einen Offizier, der diese fabelhafte geistige Fähigkeit besaß, einen chiffrierten Text ohne Hilfe von Bleistift und Papier sofort zu lesen.

„Warten Sie bitte,“ befahl er dem Kellner in seiner liebenswürdig nachlässigen Art. „Es ist nichts von Bedeutung… Sie können die Antwort sofort mitnehmen.“ Er setzte sich an den Schreibtisch, griff zur Feder und adressierte das gelbe Formular: ‚Oberst Buth, Seebad Kranz, Ostpreußen’ – Als Text schrieb er lediglich achtzehn Zahlen.

„So – erledigt…“ – Er reichte dem Kellner das Formular, dazu ein Geldstück. Dann lachte er harmlos… „Nein, ich kann’s auch selbst besorgen. Ich muß ohnehin noch zur Post. Das Geld behalten Sie nur… – Danke!“

Die Türe klappte zu. In demselben Augenblick veränderte sich das schmale Gesicht des Hauptmanns so auffällig, daß seine junge Gattin, deren Kopf in den Portieren zum Schlafzimmer erschien, erschrocken nähertrat.

„Günther, ist etwas geschehen?!“

Magda Gerß, eine hellblonde, fast überschlanke Schwedin mit sehr regelmäßigen Zügen, war mit ihrer Toilette für den Bowlenabend im Weinrestaurant ‚Rheingold’ gegenüber dem Kurhaus noch nicht völlig fertig und sah vielleicht gerade deshalb umso reizender aus.

Mit einer ängstlichen Gebärde schmiegte sie sich an ihren Gatten, der beide Depeschen erstaunlich schnell in der Jackentasche hatte verschwinden lassen.

„Nichts, mein Liebling,“ beruhigte er sie mit einem heiteren Lächeln und einem schwachen Achselzucken. „Mein Kommandeur wird nervös… Das Attentat in Sarajewo macht ihn um seine russischen Industrieaktien besorgt. Vorläufig ist von Krieg keine Rede. Trotzdem möchte ich die Antwortdepesche selbst zur Post bringen, – wir haben ja noch Zeit, mir wird ein Spaziergang auch ganz gut tun. Noch besser einen Kuß, Liebling, – – also her mit deinen süßen Lippen und weg mit den Wolken von der Stirn… – – So, – – küssen kannst du, Magda – Maus, – – küssen‥!!“

Sie bog den Kopf zurück. „Dafür verlange ich auch einen Dank, du!! Ich begleite dich… Ziehe dich vorher noch schnell um… Du weißt, Mama verlangt abends zumindest den Smoking. Und dann essen wir beide allein im ‚Rheingold’, bevor die anderen sich einfinden…“

Gerß schnitt ein Gesicht. „Smoking‥?! Gräßlich! Der ganze Urlaub wird mir durch die internationalen Gewohnheiten deiner Frau Stiefmama verdorben‥! – Nun gut denn – deinetwegen, Liebling!“

Er nahm die leichtbekleidete Gestalt in die Arme und trug sie ins Schlafzimmer. –

„Unband!!“, schalt Magda heiß errötend – „Wir sind doch bereits über acht Wochen verheiratet‥!!“

Etwas außer Atem legte Gerß Weste und Jacke auf das breite Bett. Als er aus dem Schrank den Smoking hervorholte und dem Zimmer den Rücken wandte, fuhr eine schnelle Hand in die Tasche des grauen Sommeranzuges, und als Gerß seufzend nun auch das Oberhemd wechselte, war Magda nebenan im hohen Salon verschwunden und hatte die beiden Depeschen ausgebreitet, dicht nebeneinander auf das Fensterbrett in die letzten Sonnenstrahlen gelegt und ihre Momentkamera einen Augenblick darüber gehalten.

Sie lauschte, faltete die Depeschen wieder zusammen und verschloß die kleine 5 x 8 Kamera in den Schreibtisch. Ein Liedchen trällernd erschien sie wieder im Schlafzimmer, nahm einen Kleiderbügel und hängte ihres Mannes Jacke und Weste sauber in den Schrank.

Als das junge Ehepaar, das nach ganz kurzer Brautzeit in Stockholm Ende April getraut worden war, nun durch den Straßenausgang das Kurhaus des großen Ostseebades verließ, rief Magda leise: „Günther, – – nach links – – nicht hinsehen‥! Dort hält dieser gräßlich blasierte Triebeck mit seinem Auto…“

Gerß drückte den Arm seines Frauchens zärtlich an sich. „Liebling, der Triebeck ist ein guter Kerl. Nicht alle Männer können Geistesleuchten sein. Er ist nun mal Reserveoffizier bei meinem Regiment, hat Geld wie Heu, treibt jeden Sport, – aha, da hat er uns schon gesehen… Reingefallen, Süßes, – du entgehst ihm nicht‥! – N’abend, Triebeck… Ist an Ihrer feudalen Benzingondel etwas nicht in Ordnung?“

Karl Triebeck, wie immer übermäßig elegant angezogen, küßte Magda die Hand… „Kleine Panne, Gnädigste. – Hören Sie mal, Gerß, Sie verstehen doch etwas von Motoren… Gestatten, Gnädigste… Da stimmt irgend etwas an der Zündung nicht…“

Die beiden Herren beugten sich in die Motorhaube hinein. Magda kaute nervös die Unterlippe. Es ärgerte sie, daß Triebeck gerade jetzt hier auftauchen mußte und daß er den Halbdeckel der Motorhaube so steil emporhielt.

„Die beiden Burschen sind wieder zur Stelle, Gerß,“ zischelte Triebeck und drehte an einer Schraube. „Die Sache wird klappen… Die Kerle waren auf den Depeschenboten mächtig scharf. Heute Nacht fällt die Falle zu… Ich habe acht Leute bei der Hand…“

„Sehr gut… Ich sende jetzt die Antwort ab,“ flüsterte der Hauptmann zurück. „Also keine Wache vor mein Hotelzimmer. Alles Verdächtige vermeiden…“ Und ganz laut: „Na, da haben wir’s ja!! Und Sie wollen etwas von Motoren verstehen, Triebeck?!“

Der lachte. „Will – – will!! – Verzeihen Sie, gnädige Frau, – Gerß hat sich seinen patenten Sportpaletot wirklich nicht angeschmutz…“ Er blinzelte Magda durch sein Monokel etwas allzu übermütig an. „Wir sehen uns ja abends noch wieder, Gnädigste. Servus, Gerß‥!“

Günther Gerß hatte zwei Gesichter und mußte sie haben. Was von ihm in dieser kritischen Zeit, wo bereits die ersten Funken den gewaltigen europäischen Brand anzeigten, verlangt wurde, war nur durch einen Mann zu bewältigen, der sich auf seine Nerven unbedingt verlassen konnte, und sich selbst, seine Gesichtszüge, jede Bewegung noch besser in der Gewalt hatte. –

Er plauderte vollkommen ungezwungen mit seiner von ihm vergötterten Magda, er verteidigte den faden, blasierten Triebeck, nannte ihn scherzend ein harmloses Kaninchen und wußte doch, daß Karl Triebeck ihm in vielen Dingen überlegen war. Triebeck war Regierungsassessor gewesen, hatte dann für die Öffentlichkeit den Staatsdienst quittiert, befand sich zumeist im Ausland, gehörte zu jenen internationalen Sportgrößen, die einen festes Heim kaum kennen. Noch vor drei Wochen war er in Russland als Kunstflieger aufgetreten, hatte in Petersburg ein Tennisturnier mitgemacht, – wo er auftauchte, gewann er sich Freunde, wurde kräftig angepumpt, wurde heimlich belächelt und … lachte sich selbst ins Fäustchen. Die ererbten Millionen eines entfernten Verwandten gestatteten ihm jeden Luxus, und in der besonderen Abteilung des Kriegsministeriums in Berlin wurde er nur noch als T3 geführt – in den verborgenstem Akten fanden sich seine Berichte, er war der geschickteste und billigste Agent, nur ein ganz eng begrenzter Kreis kannte seine wahre Tätigkeit, die er ohne jeden klingenden Lohn aus heiligem Fanatismus und aus Abenteuerlust ausübte.

Jetzt, wo er mit seinem feudalen Benzwagen langsam hinter dem Ehepaar Gerß herfuhr, beschäftigten ihn sehr wenig angenehme Gedanken. Wenn sein matter Blick nach links schweifte und über Magdas schlanke Gestalt hinglitt, preßten sich seine Lippen steht’s etwas enger zusammen. –

Gerß tat ihm leid. Diese übereilte Heirat mit der geborenen Baronesse Hesterström konnte Gerß die Karriere kosten. Er kannte die Geschichte dieser Verlobung. Für ihn stand es fest, daß man Gerß im April in Stockholm regelrecht ‚eingefangen’ hatte. Gerß war da in eine Falle geraten, die zweifellos in Voraussicht des kommenden Krieges schön mit roten Rosen umkränzt aufgebaut worden war. Aber erst vorhin hatte Triebeck den endgültigen Beweis für seinen Verdacht erhalten. Einer seiner Leute war gegenüber dem Kurhaus und den Fenstern des jungen Paares seit Tagen Mieter eines Mansardenzimmers. Magdas unvorsichtiges Handhaben der Kamera war nicht nur gesehen, sondern auch photographiert worden. – Nun, die Kamera würde wohl jetzt schon einen neuen unbelichteten Filmstreifen enthalten, und sehr bald würde Triebeck ein Beweisstück besitzen, das wohl als Momentaufnahme wertlos war, jedoch für Magda Gerß das rasche Ende einer Ehe bedeutete, die von ihrer Seite nur eine gewissenlose Spekulation darstellte. In solchen Dingen kannte Triebeck kein Erbarmen. Er wußte am allerbesten, daß die politische Einkreisung Deutschlands vollendet war, und daß die Gegner zum vernichtenden Schlage ausholten.

Jetzt bewachte er den Hauptmann. Er ahnte seit Tagen, daß dieser Luxusbadeort und die nahe Hafenstadt voller russischer und französischer Spione steckte, er und Gerß, der keineswegs Vergnügungsurlaub hatte, arbeiteten seit acht Tagen Hand in Hand, da gewisse Spuren darauf hindeuteten, daß gerade hier sich eine Spionagezentrale befinden müsse.

Nicht umsonst hatten Triebeck, Gerß und deren Bekanntenkreis fast allabendlich das Weinrestaurant ‚Rheingold’ besucht, für das auch Magdas Stiefmutter, die Baronin Sonja Hesterström, ein geborener Russin, so große Vorliebe zeigte.

Die Sache war nun soweit gediehen, daß man zupacken konnte. Den allerletzten Beweis sollte die Depesche liefern, die Gerß vorhin empfangen hatte. Durch diese Depesche würden die verdächtigen Herrschaften sich wohl zu einer neuen Unvorsichtigkeit verführen lassen.

Triebeck war gespannt, wie die gegnerischen Agenten es anstellen dürften, Kenntnis von Gerß’ Antwort an Oberst Buth zu erlangen. Vielleicht würden die Leute auch gar nichts unternehmen, – dann hatte Magda ihnen bereits irgendwie mitgeteilt, daß sie Formulare photographiert seien.

Bis zum Marktplatz und zur Einmündung der Schulstraße geschah nichts. Hier war der Verkehr geringer, und Triebeck konnte jede einzelne Person ins Auge fassen. Er hielt an, verließ sein Auto und schlenderte weiter. Bevor das Ehepaar das Postgebäude erreicht hatte, bemerkte der Assessor zwei Leute, die in dem roten Ziegelbau verschwanden, in dem nur noch ein Schalter für Telegrammaufnahme bis neun geöffnet war. – Es war jetzt zehn Minuten nach halb acht Uhr.

Triebeck lüftete seine weiche Lederkappe und fächelte sich damit Luft zu. Zwei Matrosen mit Mützenbändern des in der nahen Hafenstadt stationierten Kreuzers ‚Wolf’ beschleunigten ihre Schritte und betraten dicht hinter dem Ehepaar das Postamt. Doktor Triebeck wartete in den Anlagen. Kaum drei Minuten später gesellte sich einer der Matrosen zu ihm und bat höflich um Feuer für seine Zigarre.

„Photographiert,“ flüsterte der Matrose. „Knopflochkamera, Herr Doktor… – Noch Befehle?“

Triebeck lächelte. „Nein, – die Antwort ist ja Bluff, Matthies…“ Seine hellen Augen zwinkerten etwas, als der Matrose davonschritt. Er putzte sein Monokel und schlenderte wieder hinter dem Paar her, das sehr vergnügt in die Seestraße einbog. Sein Benzwagen wendete auf dem Markt, fuhr die Seestraße hinab, und der Assessor gelangte als erster in die Nähe des Kurhauses, stoppte, ließ das Auto stehen und betrat das Haus, in dem sein Unteragent Wohnung genommen hatte. Er klopfte, wurde eingelassen und sah sich zwei Herren gegenüber, die ihn durch eine respektvolle Verbeugung begrüßten. Der eine hatte eine Entwicklerschale in der Hand, in der sechs entwickelte Filme 5 x 8 im Fixierbad lagen. Die etwas verlegenen Gesichter der beiden verrieten Triebeck schon, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.

„Drei Zimmeraufnahmen, drei unbelichtete Filme, Herr Doktor,“ meldete der jüngere der Herren.

Triebeck war enttäuscht. „Dann hat sie die richtigen Filme bereits weitergegeben, und Sie haben nicht genügend aufgepaßt, Graßmann‥!“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich habe aufgepaßt… Mein Fernglas ist tadellos… Überzeugen Sie sich, Herr Doktor! Man kann den Schreibtisch genau erkennen, und sie schloß die Kamera sofort ein. Kaum war sie mit Hauptmann Gerß im Flur, als unsere Agentin, das neue Stubenmädchen, ihre Arbeit prompt erledigte. Auch das beobachtete ich. Die Rosa Lux ist zuverlässig.“

Triebeck lehnte sich an den Tisch. „Dann verstehe ich das nicht!“ Er war gereizt… „Da muß irgend eine Unklarheit mitspielen, Graßmann.“

Der junge Kriminalkommissar widersprach sehr energisch. „Da ist nichts unklar, Herr Doktor… Ich kann mir die Sache nur so erklären, daß der Momentverschluß versagt hat, Frau Gerß glaubte photographiert zu haben, und es war doch eine Niete. Denken Sie, die junge Frau muß sich in größter Erregung befunden haben. Sie mußte sich beeilen… Sie ist ja schließlich noch ein Neuling in dem Geschäft.“

Assessor Doktor Triebeck nickte zerstreut. Auch diese Erklärung genügte ihm nicht. „Graßmann, dann müssen also die Zimmer scharf beobachtet werden,“ entschied er schließlich. „Gerß hat die Depesche in der Jakettasche stecken lassen – absichtlich. – Ich verlasse mich auf Sie… Wir müssen heute ein Ende machen. Die Geschichte hier hält uns zu lange auf. Sollen wir etwa doch noch mit langer Nase abziehen und den Herrn Oberkellner mit seinen famosen Pfirsichen laufen lassen?! Verdacht ist kein Beweis‥!“

Graßmann, der im Smoking war, winkte beruhigend. „Herr Doktor, – er hat heute wieder eine Schachtel Pfirsiche gekauft‥! Achten Sie nur genau auf meinen Geigenbogen… Wir werden die Bande schon erwischen…“

„Hoffentlich‥!“ Aber Triebeck war nicht mehr so siegesgewiß. Er fühlte mit dem Instinkt seines freiwilligen Berufes, in dem er so Hervorragendes leistete: Hier stimmt etwas nicht!!

 

 

2. Kapitel.

Der Oberkellner.

Der Tisch der Baronin Hesterström stand unweit des Musikpodiums an einem der Fenster des ‚Rheingold’. Die neue Kapelle, die bisherige ungarische war schleunigst in ihre ferne Heimat abgereist, spielte gerade einen Strauß’schen Walzer. Der sehr eleganter Oberkellner, der es sich nie nehmen ließ, die exquisiten Gäste persönlich zu bedienen, war ein blonder, stattlicher Mann mit einem eingefrorenen, äußerst verbindlichen Lächeln in dem bartlosen, länglichen Gesicht. Sein blondes Haar, bereits recht dünn, war straff gescheitelt, und als er nun der jungen Gesellschaftsdame der Baronin die Silberplatte mit den wundervollen Pfirsichen schwungvoll darbot, erlaubte er sich die gedämpfte Bemerkung, daß die Früchte heute besonders reif und saftig seien.

Wera Grüllborg dankte.

Der Oberkellner tänzelte zu der Baronin hinüber, die zwischen Triebeck und Gerß saß und trotz der grauen Haare und der etwas getuschten Wangen noch immer eine reizvolle Erscheinung darstellte.

Triebeck beobachtete lediglich den Kapellmeister – es war Graßmann – und machte ein ungeheuer gelangweiltes Gesicht. Graßmann setzte den Bogen ab und dirigierte nur noch, indem er von seinem erhöhten Standort die Pfirsiche auf der Silberplatte unauffällig im Auge behielt.

Magda Gerß hatte ihres Gatten Hand auf ihrem Schoß und sprach gedämpft über den Tisch mit Wera Grüllborg, die bei der Baronin mehr die Stelle einer Tochter als die einer Gesellschafterin einnahm.

„Du bist zerstreut, Wera… Wieder Migräne? – Du Ärmste, dann nimm doch eine deiner Tabletten…“

Der eleganter Oberkellner beugte sich zu der Baronin hinab, die gerade Triebeck mit deren Lorgnette leicht auf den Ärmel schlug… „Doktor, hören Sie überhaupt zu?!“

„Gewiß… Netter Walzer… Viel Schmalz.“

Der Oberkellner Anton Bratz säuselte devot:

„Ich glaubte, Frau Baronin wünschen doch noch einen Pfirsich zum Sekt‥?“

„Danke… Gehen Sie… Stören Sie nicht,“ – und Frau Sonja Hesterström wandte sich wieder an Triebeck. „Sie sind geradezu unausstehlich, Doktor. Ich erzähle Ihnen eine reizende Episode, und… – so schauen Sie mich doch an, was haben Sie nur?!“

Triebecks müde Augen glitten über den Tisch… Wera Güllborg führte eine weiße Pyramidontablette, die sie etwas dediziert nur mit den Spitzen der rosigen Nägeln des Zeigefingers und des Daumens gefaßt hielt, zum Mund und schüttete sie mit einem Glas Sekt hinab. Magda Gerß lehnte halb an ihres Gatten Schulter und stach mit einem Zahnstocher in den auf ihrem Glasteller liegenden Pfirsich kleine Löcher, um die Frucht nachher in ihr Sektglas zu tun, wo die Kohlensäureperlchen sie dauernd drehen würden.

Doktor Triebecks Blick glitt zu Graßmanns Geigenbogen zurück. Der junge Kriminalbeamte senkte die Bogenspitze in Richtung auf Magdas Teller, hob den Bogen und beschrieb einen Viertelkreis, der etwa bei dem eleganten Oberkellner endete.

Triebeck sah, daß der angebliche Anton Bratz aschfahl geworden war und die Platte mit den Pfirsichen schnell auf einen Nebentisch stellte. Er sah noch mehr. Der Pfirsich Magdas zeigte ein deutliches Kreuz aus Löchern, aus denen der schimmernde Saft hervortrat und das Kreuz noch auffälliger machte…

Plötzlich schrillte ein falscher Geigenton durch den gut gefüllten Saal… Graßmann wiederholte das Signal, und als der Oberkellner hastig nach der Küche zu verschwand, erschien ein anderer Kellner, den hier noch niemand kannte, nahm die Platte mit den Pfirsichen und eilte gleichfalls hinaus.

Bei alledem war nichts, was den Gästen irgendwie auffallen konnte. Graßmann spielte wieder mit Schwung und Feuer, und Gerß lachte herzlich über die Episode, die seine Schwiegermutter mit guter Herausarbeitung der Pointe soeben zu Ende erzählt hatte. Triebeck allerdings meinte, die Geschichte sei uralt, die hätte Noah schon seinem Viehzeug in der Arche aufgetischt, damit es sich weniger langweile.

Sonja Hesterström war an Triebecks ungalante Kritiken schon gewöhnt, und als die Herren sich nun erhoben, um an der Zigarrenauslage Zigaretten auszuwählen, meinte Magda mit einem bitterbösen Blick auf den davonschreitenden Triebeck: „Ich finde ihn unausstehlich!!“ –

Und der Zahnstocher jagte in den Pfirsich noch mehr Löcher als bisher.

„Ein fader Geck,“ sagte Wera Güllborg gleichgültig…

Ihre pikante Schönheit konnte sich mit der Magdas nicht messen, aber sie hatte vor dieser zweifellos etwas voraus. Sie war abgeklärter, temperamentloser und daher die bessere und schärfere Beobachterin.

Die Baronin hob etwas die Schultern.

„Kinder, – – drei Millionen‥!! Bedenkt! Drei Millionen‥!! Ich wünschte, – ich besäße sie.“

Magda tat den Pfirsich in das Sektglas. Von dem Kreuz war auf der matten Pfirsichhaut nichts mehr zu erkennen…

„Woran denkst du, Magda?“

Wera Güllborg hatte sich vorgebeugt.

„… Fürchtest du für Günther? Du bist ja ganz verstört… Du glaubst doch nicht etwa an das Zeitungsgerede von der Zusammenziehung größerer Truppenmengen an der ostpreußischen Grenze?!“

Die Baronin lächelte nachsichtig. „Junge Liebe, Wera, – – junge Liebe sorgt sich doppelt und dreifach… Ich kann das Magda nachfühlen… Es gibt bestimmt Krieg… Aber Günther ist doch in seiner Stellung beim Generalkommando geschützt, mein Kind…“

Magda blickte sie groß an. „Was weiß denn du über Günthers dienstliche Sonderstellung, Mama?! Günther spricht nie darüber. Ich weiß noch heute nicht recht, was…“

Jetzt lachte die Baronin. „Magda, hier unter uns wollen wir doch offen sein‥! Dein erster Bewerber vor zwei Jahren gefiel mir nicht – zum Glück. Graf Aralow erhielt kurz darauf wegen Schulden den Abschied und mußte eiligst Petersburg verlassen. Hier finden wir ihn dann als Oberkellner wieder, und er besitzt noch immer genügend Taktgefühl, uns nicht mehr zu kennen. Ich fürchte, dieser Urlaub Günthers hängt mit Aralows Person irgendwie zusammen, – – man ist ja nicht blind, liebes Kind. Günther ist bestimmt Nachrichtenoffizier, gehört zur Abwehrspionageabteilung, – die richtigen deutschen Dienstbezeichnungen sind mir natürlich fremd. Immerhin wünschte ich, du hättest dich damals sofort gegen Aralow entschieden und nicht erst in Stockholm die Gerüchte aufkommen lassen, eine Verlobung stünden nahe bevor. Günther würde es doch sehr hart treffen, wenn diese Dinge ihm nachträglich zu Ohren kämen, etwa durch Aralows Verhaftung, der hier sicherlich im trüben fischt. Er war stets ein minderwertiger Charakter. Ich hatte dich gewarnt, mein Kind.“

Magda Gerß hatte den schmalen, feinen Kopf schnell gesenkt. Niemand sollte die Blässe sehen, die ihr Antlitz jäh entfärbte. Ihr Herz hämmerte ihr bis zum Hals hinauf, und unter den langen Wimpern hervor flog ein entsetzter Blick durch den Saal in jene Ecke, wo ihr Gatte und Triebeck sich nun trennten. Gerß betrat den kleinen Nebensalon, an dessen Tür stets ein Schild ‚geschlossene Gesellschaft’ hing. In diesem schmalen Raum mit den drei Ausgängen hatten zumeist die Offiziere der beiden in der nahen Hafenstadt stehenden Husarenregimenter und höhere Zivilbeamte an einem harmlosen Jeu sich erfreut, und der elegante Oberkellner war dann stets mit anwesend, da man seine Verschwiegenheit und lautlose Art sehr schätzte.

Triebeck kam auf den Tisch der Damen zu und entschuldigte Gerß. „Ein Bekannter ließ ihn in das Separee bitten, – – Bekannter, gnädige Frau,“ wiederholte er und nahm neben Magda Platz. „Er läßt sich jedenfalls entschuldigen… Wir sollen noch ein wenig auf dem Seesteg auf und ab schlendern… Ich werde zahlen…“

Magda fieberte… Eine wahnwitzige Angst hatte sie gepackt. Ihr war es nur lieb, daß man aufbrach… Sie erstickte hier…

Der Zahlkellner kam mit der Rechnung, – gleich darauf verließen die drei Damen und Triebeck das ‚Rheingold’ und betraten das Kurhaus, um den Durchgang zum Kurgarten zu benutzen. Magda erklärte, sie wolle sich doch noch einen wärmeren Mantel holen, ließ sich den Zimmerschlüssel geben, öffnete im Wohnsalon den Schreibtisch und entnahm der Kamera die Filmrolle, wechselte den Mantel und holte die andern auf dem Steg ein, wo sie nachher, etwas zurückbleibend, die Filmpackung ins Wasser fallen ließ.

Es war jetzt elf Uhr. Der Steg erstrahlte im Licht ungezählter elektrischer Lampen, das Meer war ruhig, aber sehr dunstig, über der fernen langgestreckten Halbinsel wetterleuchtete es, und die Gewitterschwüle hatte die meisten Kurgäste in die Restaurants der Seestraße getrieben.

Der Steg vor ihnen lag leer, – ein großer Teil der Badegäste war abgereist, besonders die zahlreichen Polen und Russen, die dem Badeort stets ein internationales Gepräge gegeben hatten. Triebeck unterhielt die Damen mit allerlei Schnurren, man setzte sich vorn auf eine der Bänke des Stegkopfes, und Magda entnahm hier ihrem goldenen Etui eine dünne Zigarette. Der Doktor reichte ihr ein Zündholz, und sie rauchte dann mit einer Gier, die nur durch den Auffuhr ihrer Nerven hervorgerufen worden war. Trotzdem schmeckte ihr die Zigarette widerlich, sie schleuderte sie über das Geländer, und im Hinabfallen flammte das dünne Tabakröllchen kurz und grell auf und erlosch dann zischend in der glitzernden Flut.

Triebeck entging nichts.

Er erzählte weiter seine harmlosen Schnurren, und dann fächelte er sich wieder mit seiner Sportmütze… „Sehr schwül, sehr‥,“ meinte er in seiner gewohnten blasierten Art. „Überhaupt, dies nordische Rivieraparadies ist unerträglich langweilig geworden. Morgen fahre ich heim nach Berlin, abends haben wir eine wichtige Sitzung im Tennisklub, man kann doch den Sport dieser albernen Politik wegen nicht vernachlässigen.“

Die Baronin Hesterström betrachtete ihn amüsiert. „Sie glauben also an keine Kriegsgefahr, Doktor?“

„Unsinn! – Pardon… – Aber all das ist wirklich kompletter Unsinn, all das ist Angstpsychose, meine Damen…“

Er fächelte weiter…

In der Nähe standen zwei Herren, die etwas angetrunken zu sein schienen… Der eine leistete sich den Scherz, ein kleines Feuerwerk dadurch zu veranstalten, daß er eine volle Schachtel Zündhölzer aufflammen ließ…

Triebeck gähnte diskret. Aber seine Augen suchten das Meer in Richtung des fernen Leuchtturmes der Hafenstadt ab… Aus dem Dunkel erschienen die verschwommenen Konturen eines niedrig gebauten schwarzen Schiffes… –

Triebeck erzählte die sechste Schnurre…

Magda Gerß atmete hastig und schwer. Sie hatte nur allzu viele Fehler begangen. Wenn Aralow etwa verhaftet wurde, – alles brach dann zusammen, alles‥!

Ein Frösteln überlief sie…

 

 

3. Kapitel.

Die beiden Photographien.

In dem kleinen Saal des ‚Rheingold’, dessen Türen von innen versperrt waren, stand der elegante Oberkellner zwischen zwei stämmigen Herren, während Hauptmann Gerß und Kapellmeister Graßmann schweigend die einzelnen Pfirsiche der silbernen Platte sorgfältig prüften.

Der Pfirsisch, dessen Haut rundum abgelöst und in schmalen Streifen wieder fest gedrückt worden war, lag an der Seite der silbernen Platte. Er war durch einen Schnitt aufgetrennt worden, die beiden Hälften hatte man durch Zahnstocherstücke wieder aneinander gedrückt, der Stein in der Mitte war lose.

Gerß nahm ein Messer, öffnete den Pfirsichkern und holte aus dem kleinen Gehäuse ein eng zusammengerolltes Blättchen hervor.

Es waren zwei winzige Photographien…

Bisher hatte Aralow geschwiegen. Als Gerß ein Vergrößerungsglas benutzte, sagte der Russe ironisch: „Herr Kamerad, Sie haben mich erwischt… Ich kann Ihnen zu diesem Erfolg leider nicht gratulieren, denn ich habe hier in den letzten anderthalb Jahren meinem Vaterland glänzendsten Dienste erwiesen. Die Vertrauensseligkeit der Herren, die in diesem Saal so vieles in ihren Gesprächen preisgaben, war erstaunlich1.“

Gerß blickte den russischen Garderittmeister flüchtig an.

„… Die Depeschen von heute‥!“ meinte er nur. „Wer sollte die Miniaturphotographien weiter befördern, Graf ?“

Aralow wurde noch ironischer. „Erwarten Sie hierauf wirklich eine Antwort, Herr Kamerad‥?! Wohl kaum! – Hiermit habe ich in dieser Sache das letzte Wort gesprochen. Hätten Sie mich nach der vielleicht zu erwartenden Kriegserklärung abgefaßt, würde ich mit den bewußten sechs Gewehrmündungen Bekanntschaft gemacht haben. So aber?! – Festungshaft oder Zuchthaus, – – was tut man nicht alles für sein Vaterland!“

Gerß schaute ihn abermals an. „Und für Geld!!“, meinte er verächtlich. „Wir kennen Ihre Vergangenheit, Graf. Schulden, Spieler, drohender Abschied, – – letzte Chance, Spion!! Bei uns verwendet man derartige Herren nicht im Nachrichten‥!! Die Anrede ‚Herr Kamerad’ schenken Sie sich.“

Fedor Aralow zuckte nur die Achseln.

Gerß trat mit Graßmann in eine Ecke. Sie berieten leise. Der Russe mußte unauffällig weggeschafft werden, dann konnte man hier das Nest ausheben.

Die eine der Türen führte auf den Hof des Weinrestaurants, wo bereits ein geschlossenes Auto wartete. Von dort her klopfte es in bestimmter Art, Graßmann öffnete, und der Kriminalwachtmeister

Matthies, jetzt im Abendanzug und Sportmantel, schlüpfte herein.

Gerß merkte, daß Matthies erregt war. „Was gibt’s da draußen? Haben Sie die Gesellschaft gefaßt?“

„Leider nein, Herr Hauptmann,“ flüsterte der Beamte zurück. „Die Leute sind irgendwie gewarnt worden… Sie verschwanden blitzartig, und auch aus der nahen Hafenstadt erfuhr ich soeben dasselbe. Ich begreife das alles nicht… Unser Netz war doch so eng, daß…“

Gerß kniff die Augen klein. „So hat also der Doktor doch recht behalten! Er sagte mir vorhin, er fürchte Verrat… – Wer hat uns verraten?! – Graßmann, wenn man Sie etwa erkannt hätte‥!!“

Der junge Kriminalkommissar schüttelte den Kopf, aber er schien wenig überzeugt, daß nicht doch seine Person diesen Fehlschlag verschuldet haben könnte. Anderseits, er mußte sich an Triebecks Instruktionen halten, Frau Magda sollte vorläufig aus dem Spiel bleiben.

Gerß’ Gesicht umwölkte sich immer mehr.

„Graßmann, haben Sie denn auch heute nicht feststellen können, wer die Pfirsiche oder den Pfirsich in Empfang nehmen sollte?“

„Nein, Herr Hauptmann‥,“ – Er log natürlich. Auch er hatte zwei Gesichter. Er gehorchte vorläufig nur Doktor Triebeck.

Gerß bekam noch tiefere Falten auf der Stirn. Er dachte angestrengt nach. Die Agenten Aralows konnten nur mit einem Schiff entfliehen, der Landweg war zu gefährlich. Hoffentlich war Triebeck auf dem Posten, ebenso die Küstenwache.

„Graßmann, Sie bringen nun Aralow zur Stadt…“, wandte er sich dem Kommissar wieder zu. „Seien Sie vorsichtig… Ein Überfall auf das Auto ist nicht ausgeschlossen… Sie haben immerhin weite Strecken unbebauten Terrains auf der Chaussee zu passieren.“

„Wir haben das Maschinengewehr und das Lastauto vor uns,“ beruhigte der Kommissar.

„Gut denn, – – Hals und Beinbruch! Ich muß auf den Steg… Empfehlen Sie den Herren in der Stadt, es bei Aralow mit Bestechung zu versuchen, der Bursche tut für Geld alles…“ Er drückte Graßmann die Hand und verließ den Saal durch die Hoftür. Obwohl seine Gedanken durch die letzte Meldung von dem plötzlichen Verschwinden der feindlichen Agenten sehr stark in Anspruch genommen waren, ließ er es sich für sein eigener Person an der nötigen Vorsicht nicht fehlen. Er wußte, daß hier um Leben und Tod gespielt wurde, diese Art von Krieg im Dunkeln scheute kein Mittel, daran ließ sich nun einmal nichts ändern, ein Heer ohne Friedens- und Kriegsspionage war undenkbar, die Existenz der Völker, das Leben von Abertausenden hing von einem wirksamen Nachrichtendienst ab, – – Gewißensskrupel durften da nicht mitsprechen.

Gerß erreichte den Steg. Unter einer Lampe schaute er auf die Armbanduhr. Es war dreiviertel Zwölf. Die Gewitterschwüle hatte etwas nachgelassen, Nordostwind blies in schwacher Brise über die weite Meeresbucht, der neblige Dunst war zerflattert. Gerß erspähte links und rechts die Lichter der Küstendörfer, der weiße Riesenfinger des Leuchtturms tastete in Pausen in die endlose Ferne der Ostsee. Fischkutter segelten zum Morgenfang hinaus, drei dunkle Dampfer schienen planlos vor dem Steg zu kreuzen, – dann stand der Hauptmann der kleinen Gesellschaft, die den frischen Luftzug beglückt begrüßt hatte. Magda griff nach ihres Mannes Hand, erhob sich schnell: „Wo war du so lange?“ Ihre Stimme sollte besorgt klingen. Gerß hörte einen fremden Unterton darin.

„Eine ganz unwichtige Unterredung, Liebling,“ – – seine Augen suchten die des Doktors.

Triebeck fächelte mit seiner Mütze…

Gerß verfolgte die Zeichen, dann fragte er gleichgültig: „Wo steckt denn Wera?!“

„Die übliche Migräne…“, spöttelte die Baronin nachsichtig. „Triebecks Witzchen aus Noahs Zeiten sind kein Heilmittel, – – nun sind wir quitt, Doktor‥!!“

Triebeck lachte gutmütig. „Fräulein Güllborg zieht einen Roman von Münzer meiner Gesellschaft vor… Ich mache mich unbeliebt… Und das bei drei Millionen Vermögen – – unverständlich!“

Magda drehte schnell den Kopf. „Ihre Scherze sind taktlos, Herr Doktor… Wera mag arm sein, aber…“

„Ruhe!!“, kommandierte Gerß vergnügt. „Auch für dich, Liebling, ist es Zeit, daß du zur Koje gehst. Du bist überreizt… – Liebe Mama, gute Nacht. Ich komme sofort nach…“ – Er küsste seiner Schwiegermutter die Hand, zog Magda leicht an sich, streifte ihre Lippen und flüsterte: „Wiedersehen Schatz… Wiedersehen…“ Es lag so viel versteckte Zärtlichkeit in diesen wenigen Worten, daß Magda ihn schnell nochmals küßte.

Gerß hatte andererseits aber auch eine so bestimmte, knappe Art an sich, daß sogar die Baronin gehorsam neben ihrer Stieftochter dem Kurhaus zuschritt und nur leicht aufseufzend meinte: „Schrecklich, einen deutschen Offizier zum Mann zu haben! Dieser Kommandoton!!“

„Mama – eine Frage… Woraus schließt du darauf, daß Günther zur Spionageabwehr gehört?“

Die Baronin erwiderte sichtlich befangen: „Ich kann mich auch getäuscht haben…“

Magda blieb stehen. „Mama, du verheimlichst mir etwas‥!“

„Nein… Ich fürchte für dein Glück, Kind,“ sagte die stattliche Frau ernst. „Hast du Günther je erzählt, daß Aralow dein Bewerber war?“

„Leider – nicht…“

„Das kann dann sehr böse werden, sehr‥! Aralow ist Spion.“ Sie blickte Magda voll an. „Du hättest niemals heute deinen Pfirsich derart präparieren sollen, mein Kind… Es mag von dir gedankenlose Spielerei gewesen sein, aber du stachst ein Kreuz mit zwei Querbalken… Ich hoffe, es war nur Spielerei. Günther sah es ebenfalls… Und … Aralow erbleichte… Er ist sicherlich verhaftet worden…“

Magda Gerß starrte zu den Sternen empor.

„Ich wünschte, er wäre tot…“, – sie sprach’s vor sich hin, wohl halb unbewußt… Ihr Gesicht war bleich, ihre Augen weit aufgerissen.

Die Baronin zog sie mit sich fort. „Du gehörst wirklich ins Bett, Kind… Du machst mir mehr Sorgen, als ich es aussprechen möchte…“

*

– Etwa zu derselben Zeit knallte auf dem Hof des ‚Rheingold’ ein dünner Schuß, Aralow warf die Arme hoch und schlug nach vorn gegen das Trittbrett des Autos, das ihn in die Zelle hatte bringen sollen. Der Schütze entwich schattengleich in den nahen Nordpark neben dem Kurhaus. Alles Suchen nach ihm blieb umsonst.

 

 

4. Kapitel.

Die Villa Gerß.

Doktor Karl Triebecks eigentümliche Stellung innerhalb des großen Geheimapparates des Nachrichtendienstes erforderte es unbedingt, daß er seine eigene Person stets im Schatten hielt. Wenn er auch bei seinen vielfachen Aktionen alle Fäden straff in der Hand gehabt hatte, – er selbst trat nie irgendwie in Erscheinung, sein Organisationstalent, der auserwählte Stab seiner Mitarbeiter und besonders sein ‚erstes’ Gesicht, das eines überblasierten faden Nichtstuers, erleichterten es ihm, wirkungsvollen den gänzlich Unbeteiligten zu spielen.

Mit Hauptmann Gerß war er erst infolge dieser Razzia bekannt geworden. Sie hatten natürlich nach außen hin eine uralte Freundschaft vorgetäuscht, waren trotzdem nicht allzu so oft zusammen gewesen, Triebeck hatte Wera Güllborg so etwas den Hof gemacht, und zwischen den beiden Männern war rasch ein wirklich herzliches Zusammengehörigkeitsgefühl erwacht. Einer schätzte den andern, und dies Gefühl bedeutete mehr als Freundschaft. Es war die Kameradschaft heimlicher Kriegsgefährten!

Als Triebeck nun auf dem Stegkopf mit dem Hauptmann allein zurückblieb, als Gerß ihm seine Besorgnisse mitteilte, die ganze Aktion könnte noch scheitern, empfand der Doktor zum ersten Mal in aller Klarheit die Wucht dieser Tragödie, unter der sein Freund in kurzem zusammenbrechen würde.

„… Sie wissen, Triebeck,“ meinte Gerß in verhaltenem Unmut über den drohenden Fehlschlag, „daß sich von diesem Seebad hier undeutliche Fäden bis nach meiner ostpreußischen Garnisonsstadt hinzogen. Entflieht die Bande hier, so werde ich auch in Ostpreußen nichts ausrichten, denn die Burschen werden dort gewarnt werden, und die geringen Spuren nützen uns nicht… Ich sagte Ihnen schon bei unserem ersten Zusammentreffen, das lediglich die bewußte Sendung von Reklamezetteln für die hiesigen Waldfestspiele, die angeblich zur Verteilung in Hotels und Wirtshäusern bestimmt waren, durch einen reinen Zufall angehalten wurde, weil der Empfänger ein Russe war, der natürlich verduftet ist. Die Reklame, tausend Blatt, enthielten auf jedem einzelnen Zettel je einen unmerklich durchlochten Buchstaben. Diese Buchstaben vereint, waren ein sehr genauer Bericht über die wichtigsten Befestigungen drüben im Hafen, über die Dockanlagen der Werften und – die Hauptsache – über die Möglichkeit einer Sprengung der Dirschauer Weichselbrücke, deren strategische Bedeutung Sie ja kennen. Das Paket war hier aufgegeben worden, trug den Stempel der Kurverwaltung und der Waldspiele und war doch von einem Unberechtigten und Unbekannten befördert worden. Auf diese Weise kamen wir beide hierher. Hiesige Offiziere oder Beamte zu verwenden, wäre zwecklos gewesen. Wenn uns hier nun die Bande entgeht, traue ich mich meinem Chef nicht unter die Augen. Oberst Buth kann verdammt eklig werden… – Passen Sie auch auf die Signale auf, Triebeck?“

„Keine Sorge‥!“ Der Doktor beobachtete die Küste nach Norden, Gerß nach Süden. Am Strand flackerten einzelne Feuer, was nicht weiter auffallen konnte, da die Fischer sehr oft auch nachts ihre Boote teerten.

Der Seesteg war jetzt bis auf drei Männergestalten, die abseits am Geländer lehnten, völlig leer. Ganz vorn an der Dampferanlegestelle schaukelte ein langer Motorkutter.

Die beiden Herren rauchten schweigend und warteten. Der Doktor dachte an Magdas Zigarette, die so verdächtig aufgeflammt war. Das grelle kurze Licht mußte weithin zu sehen gewesen sein… – Armer Gerß!! Er war doch so völlig ahnungslos‥!

Dann flackerte weit im Norden das eine Feuer besonders hoch auf. Im nun hatte Triebeck ein kleines Fernglas an den Augen.

„Gerß, – – das Signal‥!! Eine brennende Kiefer!! Vorwärts!“

Gerß stürmte schon die Treppe hinab, das lange Motorboot zeigte plötzlich seine Positionslampen und feuerte eine Rakete ab, die hoch droben nur einen einzelnen Stern hinterließ, der sich in nördlicher Richtung herabsenkte. Sofort setzten sich auch die drei flachen Dampfer dorthin in Bewegung, und sogar die meisten Fischkutter nahmen den gleichen Kurs. Gerß und Triebeck, jetzt mit Nachtgläsern bewaffnet, erkannten ein helles Motorboot, das, vom Stranddorf Reiherhorst kommend, Nordostkurs fuhr. Es war eines jener Motorboote, in den Verkehr zwischen den kleineren Badeorten der Bucht vermittelten.

„Die Kerle sind verrückt…“, meinte der Doktor geringschätzig. „Wollen die etwa in der Nußschale in die Ostsee hinaus?! Bei dem zweifelhaften Wetter?!“

Gerß’ Glas schwenkte nach Nordost.

„Lieber Triebeck,“ erklärte er halb belustigt, „für einen Spionagezentrale wie die hiesige scheinen den hohen Herrschaften sogar ein U-Boot notwendige Kapitalanlage‥! Bitte – sehen Sie scharf hin… Der Turm ist über dem Wasser, und das rote, lange Licht ist ein großer Scheinwerfer mit schwarzen Blenden… Aber unseren drei Windhunde haben ihn schon gewittert, den russischen Walfisch… Da – der Turm verschwindet… Wir haben die Bande!! Gott sei Dank!“

Triebeck hätte es weit lieber gesehen, wenn das Motorboot, auf dem bereits das grelle Licht dreier Torpedobootscheinwerfer lag, ein paar Granaten in die Planken bekommen hätte und wenn die ganze Sippe weggesackt wäre. Es war ja gar nicht auszudenken, wenn einer der Burschen etwa die Wahrheit wußte und Gerß ins Gesicht rief, dessen eigene Frau sei des Grafen Aralow rechte Hand gewesen! Und – das Allerschlimmste! – Triebeck durfte sich auch jetzt nicht zeigen! Er mußte alles Gerß überlassen…

Das Motorboot stoppte. Es war völlig eingekreist, die Leute darauf, vierzehn Männer und fünf Weiber, stellten einen Fang dar, wie Gerß ihn nie erhofft hatte. Daß auch vier Deutsche darunter, wunderte ihn nicht weiter, desto enttäuschter war er, als die Gesellschaft schlankweg alles ableugnete und behauptete, man habe sich lediglich zu einer Mondscheinfahrt zusammengefunden.

Das weitere konnte Gerß den Behörden und dem Generalkommando der nahen Hafenstadt überlassen. Letzten Endes hatte man ja zweifellos das ganze Nest ausgehoben, und als er nun mit Triebeck zum Seesteg zurückfuhr, atmete auch dieser erleichtert auf… Vorläufig konnte Gerß geschont werden.

Magda Gerß hatte keinen Schlaf gefunden. Sie hatte zu lesen versucht, ihre Gedanken irrten immer wieder ab. Als sie ihren Gatten im Nebenzimmer hörte, schaltete sie rasch die Nachttischlampe aus und drückte den Kopf tief in die Kissen.

Gerß trat leise ein…

„Magda, schläfst du?“ Er flüsterte nur… Er stand neben ihrem Bett, seine ausgestreckte Hand spürte die Wärme, die die Nachttischlampe noch ausstrahlte…

„Liebling, – – schläfst du?!“

Sie rührte sich nicht… Er wußte, sie hatte einen sehr festen Schlaf…

Aber – – die noch warme Lampe!!

Ein Unbehagen beschlich ihn…

Er entkleidete sich im Dunkeln, die Straßenbeleuchtung gab genügend Licht, und noch leiser schlüpfte er unter die Steppdecke. Eine geraume Weile lag er mit offenen Augen da… Magda schlief, atmete ruhig… Er dachte an Graßmanns Meldung… Aralow war tot … erschossen worden. Aralow hatte eine große Chance bedeutet… Mit hunderttausend Mark wäre der Mensch zu kaufen gewesen. Wer hatte ihn niedergeknallt – wer?! Es gab also doch noch eine Person, die mit zu der Bande gehörte und die Aralow nicht getraut hatte. Tote reden nicht.

Plötzlich bewegte sich Magda… Zwei Arme umfingen Gerß, ein warmer Leib schmiegte sich an den seinen, Magda küßte ihn, schluchzte, weinte, war gar nicht zu beruhigen.

„Ich habe mich so um dich gesorgt, Günther… Sei lieb zu mir… Weshalb schicktest du mich zu Bett‥? Was hattest du vor‥?“

*

… Als Günther Gerß zum ersten Mal in seiner Ehe seinem vergötterten Weibe einen Einblick in seine Tätigkeit gewährte und auch den Tod Aralows erwähnte, sauste Doktor Triebecks Benzwagen, von Matthies gesteuert, bereits durch schweigende Dörfer gen Osten. Hinten saßen Triebeck und Graßmann und starrten versonnen auf die vorbeifliegenden Chausseebäume, Gehöfte und Felder und Wälder.

Vormittags halb zehn, als Oberst Buth sich gerade in das Generalkommando begeben wollte, wurde ihm Doktor Triebeck gemeldet.

Die Herren saßen dann dicht nebeneinander, und Triebeck erstattete Bericht. Als der Name Magda Gerß fiel, wurde das strenge verschloßene Gesicht des Obersten noch steinerner…

„Unmöglich, Triebeck!!“

„Bitte, – drei Beweispunkte! Erstens – sie photographierte die Depeschen. Zweitens – sie warnte Aralow durch das Russenkreuz, das sie in den Pfirsich stach. Drittens – sie signalisierte mit der Zigarette dem U-Boot vom Stegkopf aus. – Daß sie es auch gewesen, die irgendwie gestern abend Verdacht schöpfte und die Bande warnte, unterliegt keinem Zweifel.“

Der Oberst sprang auf. „Doktor, unter uns, die Ehe fand nie so recht meine Billigung. Ausländerin bleibt Ausländerin! Und dann noch das Vermögen!! Fast eine Million Mitgift!! – – Pfui Deubel, das ist ja eine nette Schweinerei!! – Seit wann beargwöhnen Sie die Frau?“

„Seit ich erfuhr, was der Herr Oberkellner ist … oder war! Ich sah Aralows Bild in Petersburg bei der Fürstin Onegin, – Großformat… Ich hatte von Aralows Versetzung gehört, und ich wunderte mich, daß die Fürstin das Bild nicht zerrissen hatte. Unter dem Bild stand Aralows Widmung – in französischer Sprache, lateinische Buchstaben. Meine Agenten brachten schnell das übrige zusammen. Aralow ist ein ganz entfernter Verwandter der jetzigen Baronin Hesterström, geborene Gräfin Sonja Woronzow. Aralow hat sich in Stockholm um Magda beworben, wurde scheinbar abgewiesen … scheinbar…“

Oberst Buth fragte heiser: „Sie meinen, daß … daß dieses Weib Aralows … Verhältnis war?“

„Was sonst?! Nur Liebeshörigkeit kann ein reiches Mädchen zu derartigem Treiben veranlassen.“

Der Oberst schüttelte leicht den Kopf. Die Flügel seiner schmalen Hakennase zuckten. „Wenn ich mir dieses Ehepaar Gerß vergegenwärtige – so, wie ich es kenne, stehe ich vor einem Rätsel. Magda Gerß hat hier überall Sympathie gefunden, auch ich … war bezaubert…“ Er sprach sehr langsam und abgehakt. „Ich muß mir die ganze Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen, Doktor… Sie haben eine gewiße Art, jeden durch Ihre Beweisführung zu faszinieren, zu hypnotisieren… Vielleicht sind Sie etwas voreingenommen. Vielleicht urteilt der, der die Dinge nicht miterlebte, kühler, kritischer. Sie müssen doch zugeben, in Ihrer Beweisführung klafft ein Loch. Die Filme aus Frau Gerß’ Kamera waren ohne Bedeutung.“

Triebeck nickte ehrlich. „Das stimmt‥! Ich bin der letzte, Herr Oberst, der leichtfertig Beschuldigungen ausspricht. Die Miniaturbilder aus dem Pfirsichkern rühren von anderen Aufnahmen her. Ihre Depesche, die den Gerß’ Jacke steckte, photografierte ein Kellner aus dem Kurhaus, ein bestochener deutscher Lump. Gerß’ Antwort knipste ein Kerl mit Knopflochkamera am Schalter des Postamts. Gerade weil hier eine Lücke klafft, möchte ich jetzt sofort erstmals Gerß’ Wohnung und dann die Bude des Russen durchsuchen, der das Paket Werbeschriften für die Waldfestspiele erhielt. In Gerß’ Wohnung sind dessen Bursche, die Köchin und das Stubenmädchen anwesend. Die müssen entfernt werden, und das können Sie besorgen, Herr Oberst. Ein Vorwand läßt sich finden, zwei Stunden genügen mir.“

Oberst Buth schritt sporenklirrend auf und ab.

„Das … paßt mir nicht, Doktor… Das widerstrebt mir. Andererseits – Pflicht ist Pflicht! Der Krieg, die Bombe kann jeden Augenblick platzten… Dann haben wir die Russen in kurzem hier vor dieser veralteten Festung, damit rechnen wir… – Also gut, halten Sie Haussuchung… In zehn Minuten ist die Wohnung leer…“ Er blieb vor Triebeck stehen und fixierte ihn prüfend.

„Mal was anderes, Doktor, – was Sie betrifft… Macht Ihnen diese Menschenjagd Freude?!“

Triebeck erhob sich. „Nein… Diese Jagd auf Magda Gerß ekelt mich an… Sonst aber, Herr Oberst…“ – seine müden Augen flammten auf – „fühle ich mich nur als Rad einer großen Maschine, die mithilft, Deutschland vor Schaden zu bewahren, und als dieses Rad, Herr Oberst, bin ich hart wie Stahl und unbarmherzig wie ein Tiger. Wir sind eingekreist, man will uns vernichten, – – was ich dazu tun kann, dies zu verhindern, wird geschehen… In der Politik und im Krieg ist jedes Mittel recht, jedes! – – Also in zehn Minuten… Ich lasse die Villa bereits beobachten…“

 

 

5. Kapitel.

Die Falle.

Die kleine Villa lag draußen in der Vorstadt an dem weiten Binnensee. Von den Vorderfenstern konnte man in der Ferne die Kirchtürme und die wuchtigen Dächer des alten Schlosses erkennen. –

Graßmann und Triebeck standen im Schlafzimmer vor dem eleganten Frisiertisch mit den drehbaren Spiegeln. Matthies und ein zweiter Beamter durchsuchten die Erdgeschoßräume.

„Alte Erfahrung lehrt, daß Frauen gerade ihrer Frisiertoilette tiefste Geheimnisse anvertrauen,“ meinte der Doktor und betrachtete die Drehspiegel. Dann kehrte er den Linken um und deutete auf die Rückseite. „Diese Schrauben der Rückwand haben verstaubte Schlitze… Nehmen wir mal den anderen Spiegel vor… – Hallo, – – was ist denn das?!“

Neben dem Frisiertisch stand dicht am Fenster eine Ständerlampe mit zwei starkkerzigen Birnen. Beide Birnen glühten, erloschen…

Die Herren schauten sich an. „Nun – schon faul!“, meinte Graßmann.

Triebeck drehte den Spiegel nochmals. Jetzt brannten die beiden Lampen, ohne wieder auszugehen.

„Äußerst praktisch!“, erklärte Graßmann achselzuckend. „Ganz nette Signalstation‥! Wenn die Gnädige hier abends Toilette macht und den Seidenschirm der Ständerlampe hochschlägt und die Fenstervorhänge offen läßt, ist das Licht bis zu Boris Utzews Produktenhandlung zu sehen… Die Gnädige braucht nur den Spiegel zu drehen, und die Sache klappt… Sie hat von der Ständerlampe einen direkten Anschluß an die beiden Seitenleuchter der Frisiertoilette legen lassen… Alles so harmlos‥! Wer dreht denn auch Spiegel völlig herum?! Niemand – – nur sie, die Gnädige.“

Triebeck probierte die Anlage nochmals. Dann nahm er sein kleines Fernglas und blickte durch das Fenster zu den Fabrikanlagen rechts am Seeufer hinüber, wo auch einige Mietskasernen standen. „Stimmt – ich sehe die Fenster Utzews,“ meinte er kalt. „Suchen wir weiter, Graßmann… Ich wünschte, wir hätten nichts gefunden, so habe ich heftiges Verlangen nach einem Kognak. Armer Gerß!“

Das Fenster der Zofe lag jenseits des Flures und diente gleichzeitig als Plättstube. Auf dem Tisch standen zwei elektrische Bügeleisen.

Zwei…

Triebeck und Graßmann blickten sich in die Augen.

„Ja, – – in Posen war’s, vor sechs Monaten, Herr Doktor,“ flüsterte der Kommissar.

Doktor T3 prüfte das Gewicht beider Eisen.

„Dieses ist’s Graßmann‥! Los, abmontieren.“

In das Deckelstück war in die untere Nickelschicht eine lange Reihe Buchstaben und Zahlen eingeritzt. Triebeck schrieb sie genau ab und schmunzelte. „Ein ganz verzwickter Geheimcode, Graßmann‥! – – Armer Gerß!! Im Krieg bedeutet dieses Bügeleisen mindestens sechs Gewehrkugeln‥!“

Sein Lächeln wurde hart. „Das ist bestimmt ein Code für den Fall der Belagerung der Festung… Aber sehr erfinderisch sind die Herren Russen nicht… – Weiter, Graßmann.!“

Sie fanden nichts mehr, verließen alle vier die Villa durch die Hintertür und waren gleich darauf in Utzews polizeilich gesperrten Erdgeschoßräumen, wo sie bereits von zwei hiesigen Beamten erwartet wurden.

Triebeck spielte jetzt wieder die bescheidene Nebenfigur. Graßmann schickte die beiden Beamten hinaus, die energisch betonten, daß hier alles bereits gründlichst durchsucht sei. –

„Was die so gründlich nennen!“ sagte der Kommissar und ließ Matthies eine Trittleiter an das Fenster des sogenannten Kontors stellen, stieg hinauf und zog die Messingstange, die die Fenstervorhänge hielt, aus den Tüllen. „Bitte, Herr Doktor… In einem solchen Schmierloch wie hier eine Messingstange, das paßt nicht recht zusammen!“

„Da haben Sie recht…“ Triebeck entfernte die Seitenknöpfe und blickte durch das hohle Rohr. Es schien leer zu sein. Nur außen zeigte sich nach Entfernung der Staubschicht eine Menge von Kratzern…

„Derselbe Code!“, sagte Triebecks seufzend. „Das wird nun einen bösen Kampf mit Oberst Buth kosten. Die Frau darf nicht verhaftet werden. Die müssen wir nach Berlin dirigieren, Graßmann, – – als Lockvogel… Die wird uns noch so manche Fledermaus ins Garn bringen, sobald erst die Kanonen ringsum das finstere Heer der Spione zu emsigster Tätigkeit anfeuern… Aber der Oberst ist ein vernünftiger Mann…“ –

„Böse Dinge, Herr Oberst…“, erklärte später der Doktor seufzend.

Buth hörte mit verkniffenen Lippen zu, drehte nervös an den Knöpfen seiner Litewka und murmelte etwas von „verfluchter Schweinerei“…

Dann setzte er sich straff aufrecht. „Doktor, ich habe Gerß telegraphisch zurückbeordert und mich seiner Schwiegermutter und Gattin bestens empfehlen lassen. Um fünf Uhr kam Gerß’ Antwort. Er wird mit dem Nachzug eintreffen, die Baronin und Fräulein Güllborg segeln noch heute nach Stockholm. Sobald Gerß, der sich hier bei mir sofort melden soll, sich am Bahnhof von seiner Frau verabschiedet hat – ich schicke ihm ein Dienstauto – wird diese … hm … Dame verhaftet… – Einverstanden?“

„Nein!“ Auch Triebeck gab seine ungezwungene Haltung auf. „Nein, Herr Oberst… Das wäre der schlimmste Fehler, den wir begehen könnten. Aus zwei Gründen. Erstens, – rein gefühlsmäßig ist da in mir ein arges Mißtrauen gegen die Richtigkeit meiner Schlußfolgerungen entstanden. Vielleicht nicht nur rein gefühlsmäßig… Ich habe nämlich für den Hauptanklagepunkt, für das Photographieren der beiden Depeschen durch Frau Magda, vielleicht eine Deutung gefunden, die – –, – nun, kurz gesagt, die Kamera hat einen Sucher, Herr Oberst, und ein Sucher läßt sich als Vergrößerungsglas benutzen… Möglich, daß Frau Magda aus Besorgnis um Gerß’ Leben und Gesundheit geglaubt hat, die Depeschenformulare enthielten irgendwie Geheimzeichen…“

„Aber bester Doktor!!“, – der Oberst tat diese Annahme mit einer schroffen Handbewegung ab.

„Lassen Sie mich erst mal aussprechen,“ meinte Triebeck gemessen und entnahmen seiner Brieftasche eine unaufgezogene Photographie. „Bitte, das ist das Bild, das Graßmanns Untergebener von Magda Gerß am Fenster des Kurhauses geknipst hat. Man soll alles gründlich beschlafen, und jetzt habe ich sechs Stunden Schlaf hinter mir. Beachten Sie, Herr Oberst, wie die Frau die Kamera hält… Das Objektiv ist seitwärts gerichtete, sie blickt durch den Sucher, außerdem hält sie die Kamera viel zu tief…“

Der Oberst sah sich in die Enge getrieben, gab erst einmal nach und bewirtete dann seinen Gast mit einem sehr schlichten Essen und einem sehr guten Rotwein.

So kam’s denn, daß Hauptmann Gerß auf dem Bahnhof eine Ordonnanz antrat, die ihm einen versiegelten Brief überreichte. Oberst Buth schrieb, daß die Besprechung bis morgen vormittag Zeit hätte, hieß sich noch der gnädigen Frau empfehlen und bemerkte zum Schluß, ein Dienstauto stünde vor dem Bahnhof bereit.

Man fuhr heim. Magda war müde, blaß und still, blickte ohne Teilnahme die bekannten Straße und Plätze entlang – – in den Augen einen Ausdruck völliger Geistesabwesenheit.

Furcht zermürbte sie, eine qualvolle Angst, daß eine Katastrophe doch nicht abzuwenden sei. Sogar ihr behagliches Heim und die vielen Blumen, die ihr die fürsorgliche Zofe Senta, die sie aus Stockholm mitgebracht, überall anmutig verteilt hatte, entlockten ihren toten Augen keinen Glanz. – Günther Gerß war für sie ein Rätsel geworden. Die stürmischen Zärtlichkeiten der verflossenen Nacht blieben ihm genau so unbegreiflich wie Magdas leichter Ohnmachtsanfall heute früh, als er ihr von dem großen Erfolg erzählt hatte, den ihm die Verhaftung des Spionagenetzes beschieden hatte. Einer der verhafteten Deutschen hatte aus Reue alles verraten, es waren noch weitere Verhaftungen erfolgt, und nur die Freude über diesen geglückten Riesenerfolg hatte Gerß die sonst so verschlossenen Lippen abermals geöffnet…

Es wurde eine traurige Heimkehr, und Gerß lag noch stundenlang wach, lauschte fiebernd auf das heimliche Schluchzen und Weinen Magdas und unterließ es doch, sie irgendwie mit Fragen zu quälen.

Als er sich morgens zum Dienst begab, schlief sie ganz fest. Die Erschöpfung hatte sie schließlich doch vor den eigenen qualvollen Gedanken in das vielleicht barmherzigere Land der Träume hinübergeführt. –

In dem äußerst schlicht ausgestatteten Dienstzimmer Oberst Buths saß Günther Gerß an dem mächtigen Schreibtisch seinem Vorgesetzten gegenüber. ––

„Lieber Gerß, ich bin außerordentlich zufrieden mit Ihnen,“ erklärte Buth nochmals. Er suchte nach Worten, um dem Hauptmann das Folgende möglichst unverfänglich beizubringen. „Leider hat sich die politische Lage nun so weit zugespitzt, daß seine Exzellenz von uns Herren des Generalkommandos das erste Opfer fordert, um nach außen hin ein gutes Beispiel für später zu geben. Exzellenz wünscht, daß die Frauen und Kinder der verheirateten Offiziere in aller Stille abreisen und zwar unverzüglich. Wir müssen die Festung, da wir mit einem Vorstoß der Russen bis hierher rechnen, vom unnötigen – pardon – Essern entlasten. Ich weiß, das ist hart für Sie, aber es muß sein… Vorhin sprach ich mit Triebeck, der ja bereits wieder auf neuer Fährte sich betätigt. Triebecks Tante hat in Berlin-Grunewald eine eigene Villa, und die Dame wird Ihre Gattin bei sich aufnehmen. Triebeck hat bereits an sie telegraphiert. Ihre Frau Gemahlin kann noch den Mittagszug benutzen.“

Gerß verneigte sich knapp. „Wie Herr Oberst befehlen… Ich sehe vollkommen ein, daß diese Maßnahme berechtigt ist. Die Frauen der Zivilbevölkerung werden dann später nach diesem guten Beispiel sich leichter von ihren Männern trennen. Außerdem würde ich persönlich in den nächsten Tagen sehr wenig von meiner Frau haben, da ich ohnedies Herrn Oberst meinen Vorschlag wiederholen möchte… Wir müssen unbedingt schleunigst von der Grenze bis hierher noch drei geheime Verbindungsleitungen legen. Das Projekt habe ich bereits bis ins einzelne erarbeitet, auch die nötigen Leute ausgesucht. Am gefährlichsten halte ich den Grenzstreifen bei Soldau und möchte diesen Abschnitt selbst übernehmen, Herr Oberst.“

„Die Leitungen werden gelegt,“ entschied der Oberst ohne viele Worte. „Sie bekommen für Ihren Abschnitt zwei Pionieroffiziere und hundert Mann mit, dazu zehn Autos. – Wann gedenken Sie aufzubrechen?“

„Heute mittag, Herr Oberst… Ich bitte gehorsamst das Nötige zu veranlassten. Hier sind die Duplikate der Zeichnungen mit allen Notizen.“

Gerß war äußerlich die Ruhe selbst. Aber in seinem Hirn herrschte ein Chaos. Als sein Bursche ihm vorhin beiläufig mitgeteilt hatte, daß Buth gestern Vormittag die Köchin, die Zofe und den braven Mischkuweit zur gründlichen Säuberung des Junggesellenheims des Obersten beordert hatte, war all das, was er bisher nur als unbestimmtes Unbehagen gespürt hatte, zu einem klar umrissenen Verdacht geworden. Und dieser Verdacht war nun beinahe Gewißheit geworden. Magda sollte von hier entfernt werden, man traute ihr nicht. Daran ließ sich nichts mehr drehen und deuteln. Gewiß, der Oberst hatte vorhin bei der Begrüßung diese seine etwas eigenmächtige Inanspruchnahme des Gerß’schen Personals mit einigen scherzhaften Redewendungen begründet und entschuldigt. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache selbst. Gerß war auch überzeugt, daß nur Triebeck hinter alledem als treibende Kraft steckte, und seine Sympathie für den Doktor war hierdurch jäh verschwunden. Magda hatte, was Triebeck anging, das feinere Fingerspitzengefühl gehabt, sie hatte den Feind gewittert. Und zu Triebecks Tante sollte Magda übersiedeln!! Auch das war vielsagend genug!

Oberst Buth rauchte ein paar Züge. „Wird erledigt, Gerß… – Sie wollen sich nun noch von Ihrer Gattin verabschieden, fahren Sie nur wieder nach Hause…“

Gerß’ Gesicht wurde noch starrer. „Danke gehorsamst, Herr Oberst… Der Dienst geht vor. Ich werde mich von meiner Frau telephonisch verabschieden.“

Buth hüstelte. „Wie Sie wollen!“ –

Auch er zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß Gerß mißtrauisch geworden war. Der Hautmann tat ihm unendlich leid. Er erhob sich und drückte ihm warm die Hand. „Ich danke Ihnen… Wir sehen uns ja noch, bevor Sie nach Soldau fahren…“

Als Günther Gerß sein eigenes Dienstzimmer erreicht hatte, sank er schwer in den Schreibsessel und deckte die Hand über die Augen. Wie ihm zu Mute war, ahnte niemand. Aber jene verbissene Energie, die ihn neben dem Pflichtgefühl so besonders auszeichnete, riß ihn wieder hoch. Er griff nach dem Hörer und ließ sich mit seiner Villa verbinden.

„Hallo, Magda… Ja, ich bin’s… – Noch im Bett, du kleiner Langschläfer‥? Leider habe ich dir wenig Erfreuliches zu berichten…“

Magda saß aufrecht im Bett, totenblaß… Sie verstand, – – sie sollte die Festung verlassen… Sie fühlte auch, daß Günther den innig – zwanglosen Ton nur heuchelte…

„Ich … werde fahren… Ja… Es ist auch besser so, – – der Abschied wäre zu schmerzlich… Ich werde stark bleiben… Leb wohl, Günther… Nur noch eins – zweifle nie daran, daß ich dich über alles liebe… Ich werde dir die Mappe sofort durch Mischkuweit schicken… Leb wohl…“

Ihr Schluchzen brach jäh ab. Die Verbindung war unterbrochen worden… Gerß hatte abgehängt, auch er war bleich, er ertrug diese Qual nicht länger. Er wußte, – es war das Ende – – für immer…

Als sein Bursche dann mit der verschlossenen Mappe eintrat und ihm noch ein Päckchen Magdas überreichte, als er wieder allein war und in dem Päckchen nur eine einzelne tiefrote Rosenknospe aus seinem eigenen Garten vorfand, legte er sie mit einem leeren Blick bei Seite und griff nach der Ledermappe, prüfte den verschlossenen Deckel und vergrub plötzlich aufstöhnend den Kopf in beide Hände.

Das Frauenhaar, das er heute früh vorsichtig in das Patentschloß der Mappe hineingetan hatte, war zusammengedrückt. Die Mappe war heimlich geöffnet worden!

Er nahm die Papiere heraus, die seinen ersten Entwurf für die Geheimleitungen darstellten und wertvoll waren. Er entfaltete die von ihm gezeichnete Karte und hielt sie schräg gegen das Licht. In der dünnen Puderschicht, die er heute darüber gestäubt hatte, bemerkte er frische Fingerabdrücke. Seine Züge wurden noch eherner, verschlossener. Er hatte der Frau, die er über alles liebte, eine Falle gestellt. Er verachtete sich beinahe selbst, – – aber, nun hatte er Gewißheit!

Was außerdienstlich seinen Lebensinhalt gebildet hatte, war ausgetilgt. Sein Beruf verlangte allerletzte Hingabe.

Er läutete. – Eine Ordonnanz trat ein.

„Schicken Sie mir Herrn Oberleutnant von Rittwegen – sofort!“

Der baumlange dürre Oberleutnant erschien.

„Rittwegen, – – geheim!! Fahren Sie sofort nach meiner Villa, nehmen Sie zwei Kriminalbeamte mit und verhaften Sie die schwedische Zofe meiner Frau, Senta Söörgaard, halten Sie Haussuchung, bringen Sie alles an photographischen Apparaten, Filmen und Platten mit, was sie vorfinden, auch die Kamera meiner Frau… Die Zofe bleibt in Haft, selbst wenn sie nichts Belastendes entdecken. – – Danke.“

Rittweger murmelte bestürzt ein „zu Befehl, Herr Hauptmann“ und zog sich schleunigst zurück. Gerß’ riesige Augen waren ihm unheimlich.

 

 

6. Kapitel.

Die Geheimleitung.

In der nächsten Nacht gegen elf Uhr näherte sich ein Trupp Zivilisten durch hochstämmigen Wald unweit Soldau der russischen Grenze. Es regnete leicht, und ein hohler Wind rauschte in den Baumkronen. –

Gerß schritt voran, orientierte sich zuweilen nach der Karte, hielt die Taschenlampe verdeckt und machte nun in einer Sandmulde halt, in der dichtes Gestrüpp wucherte.

„Vorwärts, – – hier den Stollen anlegen, Jungs‥! Aber leise! – Drei Mann als Wachen dicht an die Grenze‥!“

Die Pioniere begannen zu arbeiten. Auch Gerß nahm einen Spaten, die geheime Telephonstation mußte in zwei Stunden fertig sein, die Leitung selbst brauchte man nur oberflächlich einzugraben und im Wald nur in den Baumkronen entlangzuführen. Ein Unteroffizier und drei Mann sollten hier zurückbleiben, Proviant für sie war mitgebracht worden.

Gerß feuerte die Leute durch sein Beispiel am besten an. Er schonte sich nicht, er wollte sich ablenken, seine Seele war tot, jeden Gedanken an Magda wies er zurück, sie mußte jetzt bereits in Berlin eingetroffen sein – bei dem alten Fräulein Triebeck, – – sie, eine Spionin, die unter Bewachung stand. Seine Frau!! – Daß er die Zofe hatte verhaften lassen, war zur Täuschung Magdas nötig gewesen. Als er Oberst Buth die Verhaftung gemeldet hatte, begnügte er sich mit Redewendungen, die sein Vorgesetzter so oder so auslegen konnte. Buth hatte alles gebilligt, ihm wieder die Hand gedrückt und ihn mitleidig angeschaut.

In das leise Klirren der Spaten und das Poltern des Erdreichs, in das dumpfe Dröhnen der Beilhiebe, mit denen die Bretterabsteifungen des Schlupfwinkels festgekeilt wurden, mischte sich plötzlich von der nahen Landstraße her das Surren und Knattern eines Motorrades. Der Regen hatte aufgehört, die Wolkendecke zerriß und gab den Mond frei. Die Talsenkung, die nach der Grenze hin steil anstieg, löste sich aus der Finsternis, und weit voraus glitten schattenhaft einige Reiter vorüber.

„Verdammt – Kosaken!!“ flüsterte einer der Pioniere…

Der harte Peitschenschlag von drei Karabinerschüssen ließ jeden aufhorchen. Das Surren des Motorrades verstummte, – dann ertönten rasch hintereinander vier dünne Knalle, Pistolenschüsse, – dann ein eigentümliches Splittern und metallisches helles Krachen.

Gerß riß die Dienstpistole unter dem Mantel hervor. „Weiterarbeiten! Wir sind hier nicht bemerkt worden, der Abhang liegt im Schatten‥!“ befahl er und hetzte durch den Waldstreifen dem Landweg zu. Die ungeheure Frechheit, daß die russische Patrouille ohne weiteres deutschen Boden betrat und auf irgendjemand gefeuert hatte, empörte ihn derart, daß er auf sich selbst keinerlei Rücksicht mehr nahm. Als er die Straße erreichte, sah er hundert Schritte vor sich einen hellen Lichtstreifen am Boden, lief blindlings darauf zu, bemerkte einen einzelnen Reiter, der sein Pferd am Zügel hielt, und erkannte die hohe Mütze eines Kosaken. Er wußte sofort, daß die Russen den Motorradler abgeknallt hatten, er feuerte ohne Anruf – gerade, als der Reiter sich bückte… Irgendwoher pfiffen Gerß ein paar Kugeln um die Ohren, der Kosak warf sich in den Sattel, galoppierte davon, und Gerß beugte sich über die stille Gestalt, da neben dem halb zertrümmerten Motorrad im lehmigen Schmutz lag, die linke Hand in die Lederjacke verkrallt.

Es war Doktor Triebeck… Die noch brennende Laterne beschien sein lehmbespritztes Gesicht, die Augen waren geschlossen, aber Triebecks unvermeidliches Monokel funkelte noch in der rechten Augenhöhle.

Gerß, der den Doktor seit dem Abschied vor dem Kurhaus nicht mehr gesprochen hatte, mußte alle Gewalt anwenden, um nicht aufzuschreien. All das, was er Triebeck noch heute Vormittag so bitter verargt hatte, war längst vergessen. Auch der Doktor hatte nur seine Pflicht getan. Schwer genug mochte ihm dieses Versteckspiel geworden sein. Gerß kniete neben dem Bewußtlosen, öffnete ihm die Jacke, die Weste, das blutige Hemd. Triebeck hatte zwei Kugeln in die Brust erhalten, sein Röcheln und der blasige rötliche Schaum auf den Lippen besagten genug.

Dann schlug der Doktor doch noch die Augen auf. Sein umflorter Blick traf Gerß’ schmerzliche Züge… Und da lächelte er…

„Gerß…“ – Jedes Wort preßte er mühsam hervor – „Gerß, … ich suchte … Sie hier… Ihre Frau … ist unschuldig… Die Fingerabdrücke‥, auf der Zeichnung … sind die der Zofe Senta… Alles andere … steht in meinem Notizbuch… Gott sei Dank, daß … ich endlich meinen … Irrtum erkannte… Ich werde nun bald … mich selbst davon überzeugen … ob im … Himmel ein … Noah – Archenbesitzer … vorhanden. Sie wissen, die … Baronin und ich … Noahs wegen … auf dem Steg…“ Er lächelte wieder. „Grüßen Sie … Magda … und … suchen Sie Aralows … Mörder. Mit mir ist’s aus… Aber ein schöner Tod… Feindliche Kugeln… Für Deutschland, Gerß… Für das … Vater … land…“

Die letzte Silbe mußte Gerß erraten… Ein Blutstrom erstickte sie. –

Morgens ratterten Lastwagen durch den drüben Regendunst der Festung zu. Gerß hatte seine Arbeit erledigt, er hockte in einer Ecke des Wagenkastens, neben ihm lag die verhüllte Leiche Triebecks, und mit hartem blassen Gesicht las er des Doktors knappe Aufzeichnungen über die gegen Magda zusammengetragenen Scheinbeweise.

‚…ich habe die Kamera Frau G.’s jetzt untersucht,’ stand da unter anderem. ‚Der Momentverschluß funktioniert nicht regelmäßig, daher keine Belichtung der Filme. Ich bin überzeugt, Frau G. photographierte nur aus Angst vor dem Kriegsausbruch und aus Sorge um das Leben G.’s. Sie wollte aus den Depeschen feststellen, ob Gefahr vorhanden. – Das Russenkreuz in der Pfirsichhaut war Spielerei. Aralow wurde durch ein anderes Warnungszeichen erschreckt. Welches? – Die Zigarette war in Frau G.’s Etui hineingeschmuggelt worden. Von wem? – Frau G.’s zeitweilige Verstörtheit kann nur darauf zurückzuführen sein, daß sie G. verschwiegen hatte, Aralow-Bratz als früheren Bewerber zu kennen. Aralow wird in Stockholm Senta Söörgaard für seine Pläne gewonnen haben, Lichtsignaleinrichtung des Frisiertisches Sentas Werk, Photographien der Zeichnungen aus Mappe bei ihr gefunden, vorläufig leugnete sie.’

Es stand da noch so manches andere in Triebecks Telegrammstil, aber diese Hauptpunkte genügten Gerß. – Nein, der Doktor hatte wahrlich nicht leichtfertig gehandelt, als er dieses Material Oberst Buth unterbreitete, ein unseliges Zusammentreffen von Umständen sprach hier mit und sprach den Toten frei, der noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten sein Leben lächelnd hingegeben als ein ganzer Mann, der auch noch eins kannte: Eiserne Pflicht!

Neben Gerß hockten die übernächtigten Pioniere in ihren beschmutzten Zivilanzügen. Sie ahnten nicht, was Triebecks Tod für Gerß bedeutete, sie flüsterten miteinander, und immer wieder formten ergrimmte Lippen das eine Wort: Kosaken!! – –

*

Und Magda?! – Als der lange Oberleutnant mit den Beamten in der Villa erschienen war, als Senta verhaftet, als alles durchsucht und auch Magdas Kamera mitgenommen wurde, fühlte sie mit voller Gewißheit, daß diese Durchsuchung und Verhaftung in Wahrheit sich auf sie selbst bezogen hatte, daß man sie für eine Spionin hielt – sie, Günthers Frau, die Frau Hauptmann Gerß!

Sie nahm auch das alles stumpf und innerlich erstorben hin, sie hoffte auf nichts mehr, sie wußte, daß Günter nicht mehr anrufen und auch nicht zum Bahnhof kommen würde. Desto dankbarer war sie dem treuen Mischkuweit, der, ein einfacher Bauernjunge, beim Abschied am Zug Tränen in den Augen hatte. Sie selbst fand keine Tränen. Sie fand nur ein halb verächtliches, halb schmerzliches Lächeln für den ‚Kapellmeister’ Graßmann, der wie von ungefähr draußen im Gang des D-Zuges auftauchte und stets in der Nähe blieb. Ihr Eheglück war zerschellt… Die Scherben ließen sich nicht mehr zusammenkitten, die Bruchstellen würden für ewig sichtbar bleiben in ihrer und in Günthers Seele. Ihr Dasein war zwecklos geworden, sie hatte mit jeder Faser ihres Herzen geliebt, und sie war eine Natur, herb wie das Nordland, ihre wahre Heimat, genau so schlicht, genau so treu und sich restlos hingebend.

Weiterleben?! Unter diesen Umständen?!

War das noch ein Leben?! – Nein!!

Als der D-Zug in Berlin in den schlesischen Bahnhof einlief, mußte Kommissar Graßmann zu seinem Entsetzen feststellen, daß Frau Gerß aus dem Wagen verschwunden war. Die eine Seitentür stand offen, – sie hatte sich hinausgestürzt. Es konnte nur vor kurzem geschehen sein, als ein Vorortzug vorüber rollte. Graßmann ließ die Strecke sofort absuchen. Er selbst fand Frau Magda. Der Körper zeigte nur geringe äußere Verletzungen, aber das Leben mußte entflohen sein. Auch der Bahnarzt bestätigte dies und sprach achselzuckend von tödlichem Nervenschock infolge des Sprungs aus der Wagentür. Man brachte die Leiche nach der Kommandantur. Graßmann verpflichtete jeden zu strengem Stillschweigen und rief sofort den Oberst Buth an.

 

 

7. Kapitel.

111.

Den Lastautos, die sich bereits der Festung näherten, kam ein Dienstauto des Generalkommandos entgegen. Gerß schrak hoch, als er seinen Namen rufen hörte. Auf der Chaussee stand der Oberst, und die dünnen Flügel seiner Hakennase vibrieren mehr denn sonst.

„Morgen, Gerß…“ –

Der Hauptmann stand vor ihm, lehmbespritzt, bleich, aber um die Lippen den eisenharten Ausdruck seines zweiten Gesichts.

„Melde ganz gehorsamst, daß die Leitung fertig ist, Herr Oberst… Außerdem ist Doktor Triebeck dicht an der Grenze von Kosaken erschossen worden. Die Leiche liegt im Lastauto.“ Gerß hielt die strengen dienstliche Haltung bei, obwohl er hastig abwinkte.

Buth versagte vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. – Auch das, – – Triebeck Tod, und dort in Berlin…, – Wie sollte er diese Schreckenskunde diesem körperlich und seelisch erschöpften Mann beibringen?!

Gerß’ graue Augen hingen unverwandt an dem hageren, faltigen Gesicht seines Vorgesetzten, das ihm heute so fremd erschien. Gerß überlegte rasch, logisch, er war ein guter Beobachter. Weshalb war Buth ihm entgegengekommen? Dazu lag kein Grund vor, oder aber – – es war mit Magda etwas geschehen.

Der Oberst schaute zur Seite, räusperte sich, dann gab er sich einen Ruck…. – Es mußte sein, er wußte, wen er vor sich hatte… Gerß war allerbester Stahl… Er wurde auch das ertragen.

Die Augen der beiden Offiziere ruhten ineinander. Der ältere hob langsam die Hand und legte sie auf Gerß’ Schulter…

„Mein armer Gerß, ich…“

Der Hauptmann erleichterte ihm die furchtbare Nachricht. Es war eine seltsam tonlose und doch feste Stimme, die da mit metallischem Schwirren fragte:

„Ist sie tot?“ –

Nur das…

Buth nickte schwerfällig… Er bewunderte die ungeheure Selbstbeherrschung des anderen. Freilich, es war Günther Gerß, das durfte man nie vergessen. Das war nicht Durchschnittsware, das war ein Mann aus einem Guß, kühler, kritischer als Triebeck, der die Leute so leicht fasziniert hatte.

„Wie?“ fragte der Hauptmann rauh.

„Sturz aus dem Zug, – – Herzschlag, keine äußeren Verletzungen… Es geschah dicht vor dem Schlesischen Bahnhof in Berlin… – Gerß, mein innigster Beileid, – – bitte, sehen Sie mich nicht so starr an, kommen Sie zu sich, – – Gerß, – – Kopf hoch!!“

Aber Günther Gerß hörte nichts, sah nur die eine Vision, wie Magda sich aus dem Zug stürzte…

Buth führte ihn zum Auto, schob ihn hinein, zog ihm die Decke über die Knie, – das Auto rollte davon. Minuten noch blieb Gerß wie gelähmt. Dann … hatte er überwunden. So, als ob nichts anderes geschehen, schilderte er knapp und übersichtlich den Verlauf der nächtlichen Arbeiten und die näheren Umstände von Triebecks Tod.

Als das Auto durch das alte Festungstor glitt, bat Gerß um Urlaub für den Rest des Tages.

„Herr Oberst kennen meine Vorliebe für die See, ich möchte am Meeresstrand allein sein… Ich … werde vergessen, überwinden. Ein Tag genügt mir.“

Oberst Buth schaute Gerß verstohlenen von der Seite an. So kraftvolle, so übermenschlich stark hatte er sich diesen Mann doch nicht vorgestellt.

Das Auto fuhr den Schloßberg empor… Das Gewölk zerteilte sich, und die Sonne brach durch die verwehenden, grauen Wolkenfetzen. – –

Nachmittags frischte der Wind immer mehr auf, wuchs bei völlig klarem Himmel zum Sturm an, warf gewaltige Wellenberge gegen die Steilküste, deren vorgelagerte Granitklötze im Brandungsgischt völlig verschwanden.

Gerß hatte soeben gebadet, packte nun seinen Rucksack aus, aß wie ein Träumender, – alles war doch wie ein böser Traum, alles… –

Der Sturm fauchte in die Grotte, das dröhnende Lied des Meeres brauste ihm in den Ohren, und ganz allmählich wich der Druck von seinen Schläfen, die Gedanken flossen wieder freier und unbehinderter, und der dunkle Schmerz löste sich zu wehmütigem Gedenken. Günther Gerß hatte auf das weite, freie Meer als auch eine gütige Befreierin von seiner Seelenqual gehofft, und das Meer hatte ihn nicht enttäuscht.

Er sprang empor, blickte über die Wogenkämme, – schon vorhin war ihm die kleine Schonerjacht aufgefallen, die dort draußen so seltsam manövrierte, als ob sie irgendwie schwer beschädigt wäre. Er griff nach seinem Fernglas, stellte es ein und ließ es wieder sinken. Seine Miene verriet ungläubiges Erstaunen. Ein Irrtum war kaum möglich, – es mußte die Jacht ‚Sigrin’ sein, die seiner Schwiegermutter gehörte. Die Baronin hatte die Jacht, ein Erbstück ihres verstorbenen Gatten, sehr häufig benutzt und war mit dem unmodernen, aber seetüchtigen Schifflein auch nach dem Badeort gekommen, wo sein eigenes Geschick diese traurige Wendung erfahren hatte.

Abermals spähte er mit dem Glas hinüber. Die Jacht trieb auf die Küste zu, das Großsegel war zerfetzt, zuweilen überspülten die Wogen das ganze Deck, er erkannte jetzt bereits ein paar Gestalten, sah ein Notsignal flattern, und irgend eine grausame Strömung, die hier so oft auch den wertvollen Bernstein an Land warf, führte das weiße Wrack mit dem hellblau gestrichenen Kajütenaufbau nun in verhängnisvoller Eile dem breiten Brandungsstreifen und den todbringenden Granitblöcken entgegen.

Gerß riß sich die Kleider vom Leib, zog den noch nassen Badeanzug an und watete durch das stillere Wasser am Strand dem Unglücksschiff entgegen. Die Katastrophe folgte nur zu schnell, der Lotsendampfer aus der nahen Seefestung kam zu spät, konnte nur noch die Leichen des Bootsmannes und des Bootsjungen bergen. Die beiden Damen waren in ihren doppelten Korkwesten den Riffen glücklich entgangen und durch Gerß auf den Strand geschleppt worden. So erhielt dann die kleine Villa wiederum Gäste, die Baronin und Wera Güllborg mußten zwei Tage das Bett hüten, der dritte Tag war der berüchtigte Freitag vor der Kriegserklärung, an dem man dem russischen Zaren das zum Frieden mahnende Telegramm der deutschen Regierung vorenthalten hatte.

Gerß kehrte erst gegen elf Uhr abends im Dienstauto heim. Morgen würde Magda in Berlin in aller Stille beigesetzt werden, – auch der Gedanke berührte Günther Gerß kaum mehr, – was allein in ihm noch lebte, war die ungeheure Arbeitslast und Verantwortung dieser schicksalsschwangeren Stunden. –

Er war nicht mehr der alte, das fühlte er. Aus den Scherben seines kurzen Eheglücks war ein Mißtrauen gegen all und jeden emporgewachsen, jeden beargwöhnte er, er sah die Menschen mit anderen Augen, er stand hoch über den Dingen, zu ihm reichte nichts mehr empor, kein noch so harmloses Lächeln, kein Mitleid, keine irgendwie geartete Ablenkung seines ewig wachen Argwohns. Soeben hatte er im Militärgefängnis Senta Söörgaard nochmals vernommen, und endlich war die fesche, leichtfertige Personen mürbe geworden, hatte weinend eingestanden, daß sie Aralows Werkzeug und auch mit Utzew im Bunde gewesen, hatte aber auch betont, daß Graf Aralow nicht das Haupt der östlichen Spionagezentrale gewesen sei. Dieses Haupt kenne sie nicht, sie habe nur gehört, es solle ein ganz junger russischer Offizier sein, der in den geheimen Berichten stets nur mit ‚111’ bezeichnet worden sei.

Hundertelf‥! Das wollte Gerß nicht aus dem Sinn, aber damit war nichts anzufangen. –

Sein Wagen glitt an der Mietskaserne vorüber, in dessen Parterreräumen der Spion Utzew als zerlumpter Trödler gehaust hatte. Die Wohnung war nun als Filiale eines Eisenwarengeschäfts eingerichtet worden, das eine Fenster war strahlend erleuchtet und zeigte auf sechs Querbrettern eine Unmenge Aluminiumtöpfe in allen Größen, dazwischen Wandkaffeemühlen, Thermosflaschen und emaillierte Brotkästen. Der Filialleiter, ein buckliger Mensch, war noch mit dem Einräumen des Schaufensters beschäftigt, kniete am Boden und rückte die Gegenstände zurecht. –

Gerß hatte nur flüchtig hingeblickt, plötzlich aber drehte er schnell den Kopf, schaute schärfer drei Thermosflaschen an, über denen sehr harmlos drei Kneifzangen lehnten.

Gerß stieg das Blut zu Kopf, ebbte wieder zurück… – Was er da soeben beobachtet hatte, konnte kein Zufall sein. –

Nun, er hatte ja vorgesorgt… Graßmann, Matthies und Bark, Triebecks beste Kräfte, waren in der Nähe. Gerß hatte sein eigenes Heim mit einer unsichtbaren Mauer umgeben, er hatte genügend Gründe für diese Maßnahme, er hatte auch alle Ursache, persönlich seine Wachsamkeit bis zum äußersten zu steigern. Er trug jetzt stets unter dem Umhang eine entsicherte Pistole, sein braver Mischkuweit, der vorn neben dem Chauffeur saß, desgleichen. Graßmann hatte ihm sogar zu zwei Polizeihunde geraten – – für die Nacht. Aber Gerß wollte das Wild nicht vorzeitig scheu machen.

Als der Wagen nun in die Anlagen einlenkte, deren Gebüschgruppen wie schwarze unförmige Tiere auf den Rasenflächen ruhten, sah er auf den weißen Bänken des Promenadenweges vereinzelte Liebespärchen sitzen, von denen dieses oder jenes eifrig Zigaretten rauchte. Sobald das Auto in die Nähe kam, glühten die Zigaretten eigentümlich und, als ob vor die brennenden Punkte farbige Gläser gehalten wurden. Gerß’ Chauffeur, gleichfalls ein in Uniform gesteckter Beamter, fuhr langsamer, so daß der Hauptmann jedes Lichtpünktchen ins Auge fallen konnte. Er las mit Leichtigkeit die Meldung ab, und diese lautete:

Dreimal Gang zum Eisenladen und zurück.

Also doch!! Nun gab’s für Gerß keinen Zweifel mehr. Die drei Thermosflaschen im Schaufenster mit den drei oben auf den Deckeln befestigten Kneifzangen hatten nebeneinander gestanden und waren eine deutliche, wenn auch unverfängliche 111. –

Hundertelf!! Wer war’s? Noch immer hatte Gerß die Wahl zwischen zwei Personen. In kurzem würde er eine streichen können, – – dann war 111 gefunden.

 

 

8. Kapitel.

Die Wetterfahne.

Die Baronin und Wera Güllborg hatten auf Gerß mit dem Abendessen gewartet. Frau von Hesterström hielt streng darauf, daß man wenigstens das Frühstück und die letzte Mahlzeit gemeinsam einnähme. Gerß fand die Damen bereits im Speisezimmer vor, er begrüßte sie ernst, küßte der Baronin die Hand und sagte Wera eine leise Schmeichelei über ihr blühendes Aussehen. Man nahm sofort am Eßtisch Platz, und Frau von Hesterström, die noch immer nach dem gefährlichen Bad in der Brandung etwas hinkte, meinte fast neidisch, Wera sei wirklich zäh wie eine Katze, sie habe heute sogar schon gegen Abend einen längeren Spaziergang unternommen.

Gerß setzte einen Moment der Herzschlag aus. – Also die war’s‥! Dieses pikante aschblonde Mädchen, das so häufig an Migräne litt, mußte beobachtet haben, wie Graßmanns Gehilfe damals Magda am Fenster photographiert hatte, sie hatte die Agenten gewarnt, ebenso auch Aralow im ‚Rheingold’ durch die Pyramidontablette, sie war Aralows Mörderin, sie hatte die Baronin veranlaßt, nicht nach Stockholm zu segeln, sie hatte irgendwie hier in die Festung hineingelangen wollen. Nur sie konnte den Bootsmann und dem Jungen betäubt und die Jacht zum Wrack gemacht haben…

Und was hatte sie nun hier vor?!

… Die Baronin fragte nach den Aussichten, den Krieg noch im letzten Augenblick zu verhindern. Gerß zuckte die Achseln. „Man muß abwarten, liebe Mama…“ –

Wera erklärte feierlich, sie glaube nie und nimmer an einen europäischen Völkerbrand. „Es wäre entsetzlich, Günther… Besonders da hier in Ostpreußen so wenig deutsche Truppen stehen…“

Gerß schaute mißtrauisch nach der Tür und flüsterte dann den Damen zu: „Wenig sichtbare Truppen, das ja… Man kann ein halbes Armeekorps auch in verschlossenen Viehwagen verladen, und die Grenzstädte hielten sehr viele Viehmärkte ab… Die Russen würden sich übel die Finger verbrennen2.“

Gleich nach Tisch zogen sich die Damen zurück. Die Baronin benutzte das Schlafzimmer des Gerß’schen Ehepaares im ersten Stock, Wera Güllborg das Fremdenzimmer in der Mansarde, das einen kleinen Balkon hatte.

In der Villa wurde es still. Gerß saß im Erdgeschoß in seinem Arbeitszimmer und grübelte vor sich hin. Vor ihm stand Magdas Bild, daneben lag seine Uhr. –

Dies war seine Weihestunde… Morgen würde sein Weib ohne ihn zu Grabe getragen werden… Morgen würde er keine Zeit finden, ihrer zu gedenken… Was bisher an Magdas tragischem Geschick noch dunkel gewesen, hatte sich nun geklärt. Wera war auch ihre Mörderin. Gerß sah nun in allen Dingen klar. Eifersucht hatte Wera blindlings, aber doch mit kühlen Kopf diesen Weg von Intrigen gehen lassen. Sie hatte Magda vernichten wollen, – – es war ihr gelungen.

Die Uhr zeigte fünf Minuten vor halb eins. Gerß erhob sich, schaltete das Licht aus und begab sich in das Badezimmer hinüber. Im Flur putzte Mischkuweit trotz der späten Stunde die Wandleuchter. Gerß nickte ihm verstohlen zu, und der rotbäckige stramme Mensch nickte augenzwinkernd zurück. Gerß drückte die Tür zu, knipste das Licht an, öffnete die durchbrochenen Kupfertüren des Gasbadeofens, drehte die eine Verschlußschraube des Gasrohres heraus und holte mit einer Flachzange aus dem Loch zwei Drahtenden hervor, die er an die Klemmschrauben eines Telephonhörers befestigte.

Nach einer Weile vernahm er einen Anruf:

„Heute Sewastopol…“

„Sewastopol, Hauptstelle,“ meldete er sich.

„Es ist alles sicher,“ ließ sich Kommissar Graßmanns Stimme wieder vernehmen. „Bisher nichts Verdächtiges bemerkt, Herr Hauptmann.“

Gerß saß auf dem Rand der Badewanne.

„Da irren Sie sich, lieber Graßmann… Der Oberspion führt die Ziffer 111 und ist Wera Güllborg. Nehmen Sie einmal Ihr Fernglas und betrachten Sie das Schaufenster der neuen Eisenhandlung. In der Mitte werden sie drei Thermosflaschen und drei Zangen bemerken, die eine 111 bilden. Sehen Sie nur hin, das Fenster ist noch strahlend erleuchtet – zu Reklamezwecken. Von Ihrem Gebüsch aus ist sicherlich alles zu erkennen…“

Pause… –

Dann Graßmann wieder: „Es stimmt, Herr Hauptmann… Also deshalb der Spaziergang der Grüllborg!!“

„Allerdings. Und ich gehe jede Wette ein, daß all die Gegenstände im Schaufenster etwas zu bedeuten haben. Lassen Sie mal Matthies das Fenster sofort heimlich photographieren. Und dann das Wichtigste! Geben Sie auf meine Wetterfahne acht. Das Weib hatten nur die eine Möglichkeit, dem Filialleiter Signale zu geben… Das ist mir vorhin eingefallen… Sie hat sich nämlich von mir einen Angelstock, fünfteilig, mitbringen lassen. Mit diesem Stock kann sie an der Wetterfahne von ihrem Balkon aus Haken und Drähte befestigen und die vergoldete Fahne drehen, auf die noch der Lichtschein des Schaufensters fällt. – Also Achtung, – jede Drehung notieren… – Um drei Uhr bin ich nochmals dran. – Schluß jetzt.“

Gerß kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, warf sich auf den Diwan und stellte den Wecker neben sich. Er wußte zwar, daß er nicht würde einschlafen können, selbst seine Nerven vibrieren wie Stahlsaiten im Orkan, aber er wollte sich frisch erhalten für den letzten entscheidenden Schlag. Er war wie jeder Mensch nicht unfehlbar, er hatte sich schwer an seiner Frau versündigt, er hatte bis zuletzt geglaubt, seine Schwiegermutter als geborene Russin sei das Haupt der östlichen Spionagezentrale, Wera Güllborg hatte es ja so vortrefflich verstanden, sich stets im Hintergrund zu halten, – nun gab es keine Zweifel mehr, gerade sein bis ins Krankhafte gesteigerte Mißtrauen hatte diesen Erfolg herbeigeführt, schon die Strandung der ‚Sigrin’ war verdachterregend genug, und Weras Bitte um den Angelstock – der große Binnensee lag ja dicht vor dem Villengarten, – konnte einen Mann wie Gerß erst recht nicht täuschen. Er hatte seinen Gästen gegenüber mit eiserner Konsequenz die Täuschung aufrechterhalten, Magda sei das Opfer eines Unfalls geworden, er hatte hier im Hause stets nur sein erstes Gesicht zur Schau getragen, daß des Menschen Günther Gerß, der sein Weib tief betrauerte und gegenüber der Kriegsgefahr gleichgültig geworden sei. Nur vorhin beim Abendessen hatte er schlau den Köder ausgeworfen, die beiläufige Erwähnung des heimlich an die Grenze transportierten halben Armeekorps! Wera hatte darauf angebissen, – – das weitere konnte er abwarten. Er kannte alle Spionagetricks und alle Arten von Nachrichtenübermittlung. Für ihn stand es bereits fest, wie der Filialleiter der Eisenhandlung, ein deutscher bestochener Schuft, die Meldung weitergeben würde.

Schlafen?! – Er griff nach einer Zigarette, er rauchte im Dunkeln, er hörte im Flur den treuen Mischkuweit auf weichen Filzschuhen hin- und herschleichen… Mischkuweit besaß keine Intelligenz, aber jene Bauernpfiffigkeit, die zuweilen den größten Diplomaten gründlich einzuwickeln vermag. –

Dann öffnete sich die Tür, Mischkuweit trat ein.

„Herr Hauptmann, sie hat die Öllampe meiner Stube geklaut,“ berichtete er flüsternd. „Ich vergaß, dies Herren Hauptmann zu melden.“

„Ja – für die Wetterfahne, Otto… Schon gut… Gehen Sie nur… Aber kein Licht mehr im Flur einschalten… Setzen Sie sich unten auf die Treppe.“

Er war wieder allein. Er schaute immer wieder auf das Leuchtzifferblatt der Uhr. Er war froh, als er wieder im Badezimmer die geheimen Verbindung herstellen konnte, als Graßmann sich sofort und sichtlich erregt meldete:

„Heute Sewastopol…“

„Sewastopol – Hauptstelle… – Nun, Graßmann?“

Der Kommissar sprach überhastet.

„Herr Hauptmann, Sie haben recht behalten… Die Wetterfahne gab klar ablesbar Blinkzeichen, ich habe alles notiert, der Zettel ist mit einem Armbrustpfeil, wie längst vereinbart, in den Holzladen der Veranda geschossen worden. Sie werden die Zeichen rascher dechiffrieren als ich. Die Schaufensteraufnahme ist auch bereits entwickelt. Das Negativ ist noch naß, aber so viel erkenne ich doch, daß die Anordnung der ausgestellten Waren keine zufällige ist. Die Thermosflaschen bedeuten die Zahl 1, und die Aluminiumtöpfe je nach Größe…“

„Danke, Graßmann… Lassen wir das Haus und meine Villa ganz eng umstellen, aber unauffällig… Der Filialleiter wird Brieftauben auffliegen lassen, stören Sie ihn nicht… In einer Viertelstunde rufe ich wieder an.“

Gerß eilte in die Veranda, an den Armbrustpfeil, zog ihn aus dem Holzladen und setzte sich an den Schreibtisch. Die Morseblinkzeichen hatte er im Nu dechiffriert, die Meldung lautete:

Beide H. sofort in Marsch setzen, je mit Folgendem: halbes Armeekorps aus dem Reich an Ostgrenze in verschlossenen Viehwagen transportiert.

Gerß stutzte. ‚Beide H.?’, was heiß das? Doch nicht Brieftauben?!

Plötzlich fuhr er vom Schreibsessel hoch, schlüpfte in einen dunklen Zivilmantel, zog eine Golfmütze über den Kopf und verließ die Villa durch die Veranda, kroch im Gebüsch entlang, erreichte die Anlagen und schlüpfte in das große Mittelrondel, das aus hochstämmigen Rhododendron und Rosen bestand, traf hier in dem Erdloch am Geheimtelephon nur Matthies vor und ließ den Sprechanschluß sofort umstöpseln… – Alle bisherigen Meldungen und Gespräche waren an Oberst Buth weitergegeben worden, der sich mit mehreren Beamten in einem Haus an der Zufahrtstraße zur Villenkolonie als Zivilist einquartiert hatte.

 

 

9. Kapitel.

Überraschungen.

Oberst Buth saß auf einem Holzschemel des leeren Lagerkellers neben dem Tischchen mit dem Telephon. Im Hintergrund lagen auf Strohsäcken sechs Leute in allerlei Verkleidungen. Metallteile von Rädern und Motorrädern blinkten im Licht der Karbidlaterne, Zigarrenrauch schwebte in der Luft. –

Die Kellertür ging auf. Der endlos lange Oberleutnant von Rittweger, der heute einem schlichten Taxenchauffeur glich, trat an den Tisch und meldete leise:

„Bisher keine Brieftauben bemerkt, Herr Oberst…“

Das Telephon schnurrte. Buth nahm den Hörer.

„Sewastopol…“

„Sewastopol erste Nebenstelle… Ich bin’s, Herr Oberst, – – Gerß…“ Das Hauptmanns Stimme überschlug sich fast… Was er da fliegenden Atems berichtete, brachte alle Mann auf die Beine.

Fünf Minuten darauf erschien er selbst. „Gott sei Dank, – – noch nicht zu spät, Herr Oberst… Ich nehme ein Rad, Rittweger ein zweites, das Auto fährt hinter uns her… Vielleicht ist die Güllborg doch nicht 111. Wir werden ja sehen…“

Wenig später tauchten auf der Straße aus der Richtung der Mietskasernen am See zwei Foxterrier auf, der eine etwa mit fünfzig Meter Vorsprung. Es war bereits hell geworden. Der Tag brach an, und Gerß und Rittweger brauchten sich nicht besonders anzustrengen, den Tieren auf der Fährte zu bleiben. Beide Hunde liefen in flottem Galopp, bogen hinter der alten Festungsmauer nach links ab und jagten die Hauptstraße zum Schloß entlang. Vor dem Landgericht schwenkten sie in die enge, alte Krugstraße ein und verschwanden in einer offenen Kellertür.

Gerß winkte, die beiden Offiziere hielten, auch das Auto stoppte vor der Verkehrskreuzung, nur Gerß spähte um die Ecke, während Buth fünf Mann nach dem anderen Eingang der Krugstraße schickte‥

Minuten verstrichen. Dann bemerkte Gerß einen ärmlich gekleideten Menschen, der aus dem Keller trat, sich scheu umblickte und in der leeren, stillen Gasse rasch drei Tauben emporwarf, die sofort quer über den Gebäudekomplex des Landgerichts davongestrichen. –

Gerß, der hinter einem Briefkasten genügen Deckung gefunden hatte, hob den Arm, das Haus war im Nu besetzt, in dem Gemüsekeller überraschte man drei Männer und ein Weib, die gerade dabei waren, die Hundekadaver zu vergraben. Die Leute wagten keinen Widerstand, es waren naturalisierte Kurländer, die zwei Jahre sehr fleißig Gemüsehandel betrieben hatten. Zunächst leugneten sie. Als Gerß ihnen aber vorhielt, daß sie die Terrier erstochen, aufgeschnitten und aus den Mägen der Tiere die von diesen zusammen mit Fleisch verschluckten winzigen Aluminiumhülsen mit den Meldungen des Filialleiters herausgenommen hätten, bequemten sie sich, schon um ihre Haut zu retten, zu einem Geständnis. Sie, wie auch der Bucklige aus dem Eisenladen, der in aller Stille verhaftet worden war, beteuerten, daß sie von weiteren Spionen nichts wüßten und daß sie den berühmten 111 nicht kennen würden. Der Bucklige hatte lediglich einem mit 111 unterzeichneten Briefe entnommen, was er zu tun hätte. –

Gerß und auch der Oberst waren überzeugt, daß durch diesen neuen Fang die feindliche Spionage fürs erste völlig lahm gelegt sei.

Buth, Gerß und drei Beamte fuhren wieder nach der Villenkolonie hinaus. Es war jetzt fünf Uhr morgens – jener Sonnabend der Kriegserklärung. Trügerisch strahlend ging die Sonne auf. Oberst Buth war sehr still, sehr in sich gekehrt…

„Gerß“, sagte er plötzlich und warf die nur halb aufgerauchte Zigarre weg, „ich habe so ein scheußliche Gefühl im Magen… Vorgefühl… Glauben Sie, daß ein so raffiniertes Frauenzimmer wie die Güllborg nicht Vorsichtsmaßregel getroffen haben wird?! Mit einem Fernglas konnte sie die Straßen bis zur alten Festungsmauer überschauen… Wenn sie die Radler hinter den armen Terriern bemerkt hat, kann das noch zu guterletzt einen Reinfall geben…“

„Unmöglich, Herr Oberst!“, versicherte Gerß, obwohl auch ihm nicht ganz wohl zu Mute war. „Das Mansardenfenster liegt ja nach der anderen Seite hinaus… Und Mischkuweit paßt auf. Sobald die Güllborg auch nur Miene macht, ihr Zimmer zu verlassen, sitzt er ihr am Kragen…“

Das Auto hielt vor der Villa, die Herren betraten das Haus durch die Veranda. Obwohl es draußen schon hell war, brannte im Flur merkwürdigerweise das Licht. Gerß erschien dies sofort verdächtig. Er stürmte vorwärts, prallte halb zurück. Auf dem Läufer lag ein großer Granitstein, den er einst als Andenken von einem Besuch der Bornholmer Granitwerke mit heimgebracht hatte, daneben bemerkte er ein paar Blutflecken und einen von Mischkuweits Filzschuhen.

Auch die anderen Herren starrten böser Ahnungen voll auf diese klaren Beweise eines heimtückischen Angriffs.

Indem öffnete sich auch schon die Tür des Salons, und die Baronin Hesterström, sehr bleich und im Frühlicht sehr verfallen aussehend, schlüpfte auffällig hastig in den Flur.

Sie nahm von den übrigen Herren kaum Notiz, eilte sofort auf Günther zu und umfing ihn liebevoll, während ihre Lippen krankhaft zuckten. Aber in ihren sonst so kühlen spöttischen Augen glänzten Tränen und lag ein warmer Schimmer. Dann hatte sie sich soweit gefaßt, daß sie sprechen konnte…

„…diese Person … wollte fliehen… Mischkuweit geht es besser, ein Arzt ist da… Und Beamte … und … und noch jemand, Günther, der verhinderte, daß der Stein den braven Otto allzu hart traf … noch jemand…“

Gerß blickte ihr in die Augen…

Eine unsinnige Hoffnung flackerte in ihm empor, erlosch wieder… Es konnte ja nicht sein! Und doch fragte er heiser:

„Noch jemand, – – wer?!“

Die Baronin, die ihren Schwiegersohn stets ehrlich und aufrichtig geliebt hatte, begann zu schluchzen.

„Günther, – – es geschehen Wunder… Sei stark, – – das Schicksal war nicht grausam… Auch ich hatte ja Magda in Verdacht, und … alles war nur Intrige dieses Mädchens, die mir meine mütterliche Güte mit Undank lohnte…“

„Wo … wo?“, – er stammelte nur, – sah, wie die Baronin auf die Tür seines Arbeitszimmers zeigte…

Der Boden unter ihm wankte, alles drehte sich um ihn… Wie ein Trunkener tastete er sich vorwärts, stieß die Tür auf, sah die schlanke Gestalt am Fenster…

Magda kam auf ihn zu, etwas schwerfällig, leise hinkend…

Sie schauten sich an, und Günter Gerß fand das richtige Wort:

„Liebling, – – vergib!“

Ein sonniges Lächeln erschien auf dem zarten Frauengesicht…

„Günther, – auch ich war nicht ohne Schuld, ich hätte dir nicht verschweigen dürfen, daß…“

Er riß sie an sich…

„Du, – – du, Geschenk des Himmels‥!“, – ihre Lippen verschlossen den seinen mit einem langen, inbrünstigen Kuß. – –

Nachher saßen sie eng umschlungen auf dem Diwan… Magda erzählte leise…

„Die Ärzte auf der Kommandantur in Berlin brachten mich wieder zum Leben zurück… Ich bat, dich nicht zu benachrichtigen. Ich erholte mich schnell, reiste ab und traf hier mit dem Frühzug ein. Ich hatte mir inzwischen alles, was sich dort im Seebad und hier ereignet hatte, reiflich überlegt und gelangte zu der Überzeugung, nur Wera könnte die Schuldige sein… Wera mag dich auf ihre Art geliebt haben… – – Sie ist tot… Ich will sie nicht mehr erwähnen. – Ich kam dann hier an, fand die Verandatür nur angelehnt, – – und ich kam gerade zur rechten Zeit, Mischkuweit war auf der Treppe eingeschlafen, ich rief ihn an, – – und der Stein streifte ihn nur…“ –

Sie erschauerte leicht…

„Dann …schoß er – –, – – komm, gehen wir zu ihm, Günther…“

Otto Mischkuweit saß auf seinem Bett, einen dicken Verband um den noch dickeren ostpreußischen Bauernschädel… Vor ihm stand Oberst Buth.

Als das Ehepaar eintrat, leuchteten Buths Augen auf… Er wollte Magda begrüßen, aber Mischkuweit war gerade mitten im Satz, und wenn Mischkuweit redete, gab es kein Stoppen…

„… Also sie hatte an die Drähte der Wetterfahne ein paar Spiegel angebracht, Herr Oberst. Das sah ich, als ich mich zum Flurfenster hinausbeugte. Und dann schlief ich doch ein… – Herr Oberst werden mich nun einsperren, weil ich…“

Buth zwinkerte Magda zu, beugte sich über ihre Hände. „Liebe gnädige Frau, welche Strafe schlagen Sie vor?“, fragte er halb scherzend, um jede Rührseligkeit von vornherein auszuschalten.

Magda strich ganz ganz zart über Ottos Verband hin. „Die Gefreitenknöpfe, Herr Oberst,“ erklärte sie prompt.

„Hm…“ Buth schüttelte den schmalen grauen Kopf. „Genügt nicht… Unteroffizierstressen‥!! Also Unteroffizier Mischkuweit, ich gratuliere‥!“

Der stramme Otto fuhr hoch. „Herr Oberst verzeihen, – als Unteroffizier kann ich nicht mehr Bursche beim Herrn Hauptmann bleiben, – die Knöppe sind genug, Herr Oberst…“

– Und so wurde es dann auch, es blieb bei den Knöppen… –

Am Abend dieses schicksalreichen Sonnabend wanderten Magda und Günter zu später Stunde allein durch den Garten, Arm in Arm, schweigend und bis ins Innere gepackt von der Welttragödie, die heute ihren Anfang genommen hatte.

Und doch fühlten sie beide, daß all das, was die Zukunft ihnen noch an ersten Tagen bringen würde, stets überstrahlte sein würde, von der seligen Erinnerung jener Minute, in der sie sich wiedergefunden hatten und in der Frau Magdas Dornenkrone für immer von ihrem blonden Haupt genommen wurde.

 

 

Ende.

 

 

Fußnoten:

1 Die hier geschilderten Vorgänge entsprechen der Wirklichkeit und sind nicht etwa frei erfunden.

2  Auch diese bewußte Täuschung des russischen Nachrichtendienstes ist Tatsache und gibt die Erklärung dafür, daß die Russen in den ersten Wochen trotz zwölffacher Überlegenheit so vorsichtig vorstießen.