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Asphaltblumen

Asphaltblumen

von

K. Klein.

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Seidene Strümpfchen und Höschen

Das Privatkontor des Herrn Emil Strunk, Inhaber ‚August Strunk, Wäsche und Trikotwaren‛ war ein Schmuckkästchen und erinnerte in nichts an seine ernsten Zwecke. Dafür entsprach es durchaus dem Geschmack und den Neigungen des jetzigen Chefs, der es zu Lebzeiten des Herrn Papa nie gewagt hätte, einen mit einem weißen Fell bedeckten Diwan in das Allerheiligste der Firma zu stellen, – einen Diwan, der nicht lediglich dazu bestimmt war, Emil Strunk als mit Arbeit überbürdetem Besitzer des großen Geschäfts für ein halbes Stündchen ein bequemes, molliges Lager zu bieten, sondern der auch recht häufig mit weit reizvolleren Dingen belastet wurde, – nämlich mit den feinsten Warenproben westdeutscher Fabriken der Wäschebranche, – netzseidenen Strümpfen, Höschen, spinnwebdünnen Hemdlein, die eher den Namen Spinnengewebe verdienten, und ähnlichen leichtfertigen Erzeugnissen.

Emil Strunk hatte die Firma vor zwei Jahren als Siebenundzwanzigjähriger übernommen. Bis dahin war er nur der Sohn seines Vaters gewesen, und zwar eines Vaters, der schon mit vierzig Jahren total vergessen hatte, daß er auch mal jung war, und daß er auf eine stattliche Reihe von allerlei Schandtaten zurückblicken konnte, die mit Gott Amor entfernt zusammenhingen. Dieser August Strunk hatte seinen Einzigen so streng erzogen, als wollte er aus ihm einen Predigtamtskandidaten machen – zu streng!

Nun – der Erfolg war auch dementsprechend. Emilchen, ein ganz netter Bursche, entwickelte sich eben heimlich und unter tausend Notlügen und Winkelzügen zu einem erstklassigen Lebemann ohne väterliche Erlaubnis. Nicht daß er etwa Vergnügen oder Zerstreuung dort gesucht hätte, wo man sich die ganze Nacht für zehn Mark amüsieren kann. Nein – getreu den von seinem ehrenwerten Papa ererbten höheren Ansprüchen war er ein Jäger auf seltenes Wild geworden, einer von denen, für die die Beute nur Reiz hat, wenn man sie mühsam zur Strecke gebracht und wenn auch – das Herz ein klein wenig dabei beteiligt ist. Letzteres erhöhte nur den Jagdeifer und schadete nichts, wenn man nur so vorsichtig war, häufiger zu wechseln, damit nicht etwa – aus der Liebelei eine Liebe wurde! Denn – in diesem Punkt mußte Emil Strunk sich sehr in acht nehmen. Seine Mutter lebte ja noch, und das war eine geborene von Brizinsky, die auf den polnischen Adel ebenso stolz war wie auf ihre trotz der längst überschrittenen Fünfzig noch immer anziehende Erscheinung. Frau Olga Strunk hätte nie gestattet, daß ihr Einziger unter seinem Stand oder gar ein Dämchen mit einem Fragezeichen heiratete – niemals! Das wußte Emil. Und da er seine Mutter und den Frieden liebte, hütete er sich, jemals das leicht empfänglicher Herz allzu sehr in Flammen aufgehen zu lassen.

Hielt er einen Wechsel für nötig, so leitete er den Abbruch der vertrauten Beziehungen stets auf dieselbe Weise – mit ganz geringen Variationen – ein. Er – vereiste geschäftlich auf vierzehn Tage und schrieb dann aus Bochum, Elberfeld oder sonst woher der jeweiligen Favoritin einen liebenswürdigen Abschiedsbrief, legte zur Erleichterung des ‚Wechsels‛ nicht gerade einen Wechsel, aber einen Scheck bei, und – die Sache war zumeist glatt erledigt.

Vorgestern war Emil Strunk wieder von einer solchen Rheinreise heimgekehrt. Wieder war die Geschichte ohne Störungen verlaufen. Er war also unbeweibt zur Zeit, und heute stellte sich prompt bei ihm das Gefühl der Vereinsamung ein – wie stets nach der Heimkehr von der ‚Wechsel-Tour‛ bereits am zweiten Tag!

Es hieß also, für Ersatz sorgen.

Er sah jetzt die Morgenpost in dem mehr dem Arbeitszimmer eines modernen Novellendichters als einem streng geschäftlichen Raum gleichendenn Privatkontor durch.

Da klopfte es an der Doppeltür, die nach dem ‚Nonnenkloster‛ führte, wie Emil Strunk das Hauptkontor wegen der dort zahlreich vorhandenen Damen nannte.

Er rief „Herein!“, wandte den Kopf sehr gleichgültig nach links, hob ihn dann aber mit einem Ruck. –

Donnerwetter – das war ja eine Neue – die hatte er ja noch gar nicht gesehen. –

Dann besann er sich. Richtig – der alte Prokurist Wendefeier hatte ihm gestern ja so nebenbei erzählt, daß für die englische Korrespondenz ein Fräulein – wie hieß sie doch nur – ach so – Mankler, ja Mankler! – eingestellt sei.

Donnerwetter – wenn’s wirklich diese Mankler war, die da mit einem schmalen Karton im Arm nun abwartend an der Tür stand, dann hatte der Wendefeier wieder mal einen Riesenblödsinn gemacht, denn Korrespondentin mit dem Äußeren, – das tut nie gut – nie, – vom Herrn Chef ganz abgesehen!

Emil Strunk nahm sich zusammen. Nur nicht merken lassen, daß diese großen, braunen Augen mit dem etwas schwermütigen Blick, daß das reiche, aschblonder Haar, die zierliche, schmale Nase, die glühend roten, vollen Lippen und die rundliche Fülle unter der Vorderseite der hellen, seidenen Bluse, die allerdings schon etwas fadenscheinig aussah, ihm imponierten!

Nur nicht! Also – Haltung, Fassung, Emil!

„Sie wünschen, Fräulein?“ fragte er kühl.

„Herr Wendefeier schickt mich. Ich bin gerade unbeschäftigt. Ich soll Ihnen die neuen Muster vorlegen, Herr Strunk.“

Emil lauschte, lauschte. – Diese Stimme – so weich, so schmiegsam – wie Musik. Wie ein Walzer von Winterstein, – lockend, berückend – trotz der streng sachlichen Worte.

„Sie sind Fräulein Mankler, nicht wahr?“ fragte er schnell, nur um sich abzulenken.

„Tessa Mankler, Herr Strunk.“

‚Tessa?! Der reine Theatername,‛ dachte Emil. Dann wollte er wissen, um was für Muster es sich handelte.

„Um – um Strümpfe und – und –“

„Nun – um –?“ Er sah, wie sie glühend rot geworden war. Er ahnte das richtige: Das war noch eine hier Fremde, die noch an ihre eigene Wäsche dachte, wenn sie die Geschäftsartikel erwähnen mußte. Das legte sich aber stets bald.

„Hier bitte,“ sagte Tessa Mankler hastig, öffnete den Karton und hielt ihn Emil Strunk hin.

Er nahm ein paar hellblau seidene Schlüpfer heraus, faltete sie auseinander und befühlte den Stoff, hielt sie gegen das Licht, schaute dann das junge Mädchen an und meinte:

„Finden Sie nicht auch, daß der Schnitt etwas eng ist?“

Tessa sah zu Boden.

„Ich – ich verstehe nichts davon,“ stotterte sie.

Emil merkte, wie das Gefühl der Vereinsamung sich beängstigend schnell verstärkte. In ihrer Verwirrung war diese Tessa geradezu reizend – anreizend! Aber – nur das nicht! – nur nicht im eigenen Revier auf Anstand gehen1! Das hatte Emil noch nie getan. Er wilderte stets außerhalb seiner Grenzen.

„Wie? Sie als Dame – nichts davon verstehen?“ meinte er ganz ernst, und doch lachten in ihm all die Teufelchen, die auch Papa Strunk so viel zugesetzt hatten. „Das ist doch unmöglich – ist durchaus unwahrscheinlich, Fräulein,“ fuhr er fort.

Da – da trat ihn ein flehender Blick aus dunklen, melancholischen Augen. Der Blick besagte: ‚Quälen Sie mich doch nicht so – schonen Sie meine keusche Seele!‛

Emil Strunk merkte abermals, wie das – das verdammte Gefühl der Vereinsamung sich aufblähte wie ein gasgefüllter Ballon. Und – eigentlich war er wütend auf sich!

Wozu wohl dieses Geplänkel – wozu?! Wildern – ja! Aber ein Reh aus dem eigenen Bestand – niemals!

Trotzdem – er konnte nicht anders, konnte der Lockung nicht widerstehen – Tessa war stärker als er, Tessas liebliche Reinheit, der ganze Charme der unberührten Blüte –

Er schob den Schreibsessel zurück, stand auf, trat dicht vor sie hin, nahm ein paar zartgrüne Seidenstrümpfe aus dem Karton und sagte leise:

„Sie scheinen mir etwas eng in der Wade zu sein – diese Strümpfe. Wollen Sie sie nicht mal ausmessen – an Ort und Stelle, – ich drehe mich so lange um –“

Da geschah etwas sehr Merkwürdiges. Tessa schlug nicht mehr die Augen nieder. Dieser Augen ruhten vielmehr mit besonderem Ausdruck in denen des jungen Chefs. Und um die roten Lippen spielte ein ganz schwaches Lächeln.

„Wenn es sein muß,“ sagte sie langsam mit einer Stimme, die jetzt ebenfalls ganz anders klang. „Ich darf mich wohl dort auf den Diwan setzen – zum ausmessen. Aber –“

„Nun aber?“

„Sie – Sie drehen sich auch bestimmt nicht um, Herr Strunk!“

„Hm – Sie sind noch wenig bewandert mit unseren Meßmethoden. Vielleicht –“

„Oh bitte,“ unterbrach sie ihn, und ihre Stimme war wieder die frühere, „damit weiß ich doch Bescheid.“

Emil Strunk schalt sich jetzt einen total verrückt gewordenen Esel! Was sollte dies alles?! Vergaß er denn ganz, daß er der Chef der Millionenfirma August Strunk, Berlin, Leipziger Straße, war?!

Er ließ sich in den Sessel fallen, stierte geradeaus auf die auf dem Diplomatenschreibtisch liegenden Geschäftsbriefe, – und doch waren seine Augen sozusagen plötzlich in den Hinterkopf geschlüpft. Er hörte von Diwan her das Rascheln von Röcken, glaubte zu sehen, wie über zierlichen Enkeln2 sich eine schön geschwungene Wadenlinie anschloß, wie darüber wieder –

„Sie sind nicht zu eng, Herr Strunk,“ ertönte da eine liebliche Stimme hinter ihm.

Mit einem Ruck drehte er sich um.

Aber – er kam zu spät. Der Vorhang war bereits gefallen.

Tessa stand auf. Die Federn des Diwans knackten leise. Und in dem dicken, weichen Fell war nun eine runde Druckstelle zurückgeblieben – dort, wo dieses berückende, junge Weib gesessen hatte.

Wieder schaute Tessa den Chef so eigen an, wieder dieses seltsame Lächeln, – ja, seltsam – so weh, so schmerzlich, und doch so verheißungsvoll auch.

Das Lächeln nahm ihm die Besinnung – vollständig. Halb hatten’s schon die Augen im Hinterkopf getan.

Er griff nach ihrer Hand, stieß keuchend hervor:

„Sie – Sie spielen mit mir Katz’ und Maus – Sie – Sie kleine Teufelin.“

Er merkte nicht, daß Tessas Hand eisig kalt war. Nein, er drückte diese, daß das Mädchen leise aufschrie.

„Sie – Sie tun mir weh –“

Auch das noch! Alles hatte sich gegen ihn verschworen! Oh – er kannte ja diesen schwachen Schrei, diese halbe Abwehr gegen stürmische Zärtlichkeit. Er liebte diesen Schrei. Das war ihm wie der schönste Hochzeitsmarsch.

Er riß Tessa an sicht. Sie wehrte sich kaum. Er fühlte die weiche Rundung ihrer Brüste, fühlte geradezu jede Linie ihres geschmeidigen Körpers. Und er küßte sie, küßte sie mit einer Gier, daß sie sich mehr und mehr zurückbog, daß sie plötzlich taumelte, hintenüberfiel.

Die Sprungfedern des Diwans kreischten laut auf unter der jähen Last zweier Körper.

Da drängte Tessa ihn mit aller Gewalt von sich.

„Lassen sie mich. Wenn jemand kommt!“

Emil Strunk gab sie frei, besann sich, daß er sich in seinem Privatkontor befand.

Vor seinen Augen flimmerte es. Sein Herz jagte. Fieberhitze brannte ihm im Gesicht. Und fast taumelnd sank er in seinen Schreibsessel. Dann stotterte er:

„Es ist gut, Fräulein Mankler. Ich – ich danke Ihnen. Und – entschuldigen Sie –“

Sie nahm den Karton. Die Tür fiel ins Schloß. Er war wieder allein. Er hatte nicht mehr aufgeschaut. Er war jetzt vernünftig geworden – mußte es sein.

Eine Zigarette half die Nerven beruhigen. Er überlegte, wie er diese unglaubliche Dummheit wieder gut machen könnte.

Tessa durfte nicht hierbleiben – nicht seine Angestellte bleiben.

Wer – was war sie überhaupt?! Vielleicht nur eine ganz raffinierte Person, vielleicht eine mit mehreren Vergangenheiten.

Nun – Wendefeier würde ja Bescheid wissen. –

Er nahm den Hörer vom Tischtelephon. –

„Bitte für ein paar Minuten, lieber Wendefeier –“

Der Prokurist kam, setzte sich, erstattete den gewünschten Bericht, den Emil Strunk mit den Worten verlangt hatte: „Die Neue, hm, – wie heißt sie doch, – richtig, Mankler! – Die macht mir nicht gerade einen sehr soliden Eindruck. Ist das wirklich etwas für uns, Wendefeier?“

Der Prokurist, dürr, glatzköpfig, schon etwas zitterig, aber stets ein lüsternes Lächeln um die welken Lippen, hatte wie beschwörend die Rechte erhoben.

„Aber Herr Strunk! Aus bester Familie!“ begann er eifrig. „Aller–bester – prima prima! Eigentlich ‚von‛ Mankler! –

Aber sie hat besonders gebeten, hier von dem Adel nichts zu erwähnen. Der Vater ist Major a.D., – soll so ein wenig – saufen, und die Mutter ist seit Jahren gelähmt!

Ein Bruder Regierungsassessor – sehr tipp top! – Jetzt in Pommern irgendwo, samt seinen Schulden, die nicht zu knapp sein sollen.

Eine jüngere Schwester, das jüngste der drei Kinder, noch auf der Schule. –

Es ist ihre erste Stelle hier. Wir sind billig weggekommen – einhundertdreißig Mark Anfangsgehalt. Sie verlangte zweihundert. Da habe ich was von achtzig Bewerberinnen um die Stelle gesagt – es stimmte ja auch. Wir einigten uns auf einhundertdreißig. –

Sie ist jetzt zwanzig Jahre, die Mankler. Hm – sie könnte anderswie mehr verdienen –“

Er grinste vieldeutig.

‚Alter Schürzenjäger,‛ dachte der junge Chef. Dann war Max Wendefeier entlassen.

Emil Strunk sann und sann. – –

Offiziersfamilie. Natürlich verarmt – total! Trotzdem – wie war’s nur möglich, daß diese Tessa so – so entgegenkommend sich zeigte?! Sie mußte ganz sicher schon manches erlebt haben. Er hätte sich früher umdrehen können, als sie die Strümpfchen beimaß. –

Sie hätte wahrscheinlich nichts dagegen gehabt. Schade!

Und schon wieder spürte er den beschleunigten Herzschlag, schon wieder sah er dunkel, melancholische Augen vor sich, schon wieder stellte er sich mit allen Einzelheiten vor, wie er sie geküßt hatte, wie der Diwan unter ihrer Last gebebt hatte.

Er sprang auf – sie mußte fort von hier! Ein Vorwand würde sich schon finden lassen.

Und – der fand sich noch am selben Tag. – Eine frühere Korrespondentin von August Strunk, Wäsche & Trikotagen, die neun Jahre bei der Firma gewesen und dann eine Stelle in London angenommen hatte, besuchte mittags den jungen Chef aus alter Anhänglichkeit und fragte so nebenbei, ob sie nicht wieder eintreten könnte. –

Emil Strunk sah hierin eine Fügung des Schicksals. Er rief Wendefeier herbei, erklärte, man müßte auf Fräulein Müller Rücksicht nehmen – er solle nur der Mankler ein gutes Zeugnis ausstellen und ihr für zwei Monate Gehalt auszahlen. Dann könnte Fräulein Müller gleich morgen wieder beginnen – und die Mankler sich daheim ausruhen.

Wendefeier dachte sich sein Teil. –

‚Er hat Angst vor ihr. Er hat ja gerade wieder reinen Tisch gemacht, braucht Ersatz. – Und da fürchtet er – und so weiter! Ich weiß ja Bescheid. –

Nun, mir ist’s schon recht, daß sie geht. Dann kann man sich mit ruhigem Gewissen so’n bißchen anpirschen. Vielleicht! Es muß ein köstlicher Happen sein –‛

 

 

2. Kapitel

Holbein wird besichtigt

Um zwei Uhr machte Emil Strunk regelmäßig Schluß mit der Arbeit. Heute hatte er seiner Mutter versprochen, bei ihr zu speisen. Er fuhr mit der Straßenbahn nach dem Bayerischen Platz, wo Frau Olga Strunk eine sehr vornehme Fünfzimmer-Gelegenheit bewohnte.

Nach dem Mittagessen zu dreien – denn Frau Strunk hielt sich eine adelige Gesellschaftsdame, ein Fräulein von Mirchow – nahm die Mama ihren Einzigen mit in ihr behagliches Damenzimmer und hielt ihm hier eine lange Predigt, – sehr zu seinem Erstaunen, denn daß die Mutter es so eilig hatte, ihn mit der blonden Stefanie, Freiin von Hickfeld, zu verheiraten, hatte er doch nicht gefürchtet.

Frau Olga war ihrem Jungen gegenüber sehr offen.

„Ich weiß schon, was du mir wieder antworten wirst,“ sagte sie jetzt. „Du wirst mir vorhalten, daß du für dein ganzes Leben unglücklich würdest, wenn du an eine Frau ohne Temperament gerätest! –

Ganz recht: Bei deiner Veranlagung würde das allerdings ein Elend werden! Aber – ich glaube, ich kann dafür jede Gewähr übernehmen, daß die Steffie, die doch offenbar in dich verliebt ist und deren Eltern dich mit offenen Armen als Schwiegersohn empfangen würden, ganz deinen Wünschen entspricht. Ich habe sie gestern sozusagen ins Verhör genommen. –

Sie ist kein Schäfchen mehr – nein, sie weiß ganz gut, was die Ehe bedeutet, und sie erklärte mir ehrlich, sie sehnen sich über alle Maßen nach einem Mann, den sie in jeder – jeder Hinsicht verwöhnen würde. Dabei hatten ihre Augen jenen verschwommenen Glanz, der – der das sicherste Merkmal für – für heiß pulsierende Blut ist. –

Mein lieber Junge, glaube einer erfahrenen Frau: Die Steffie paßt vorzüglich für dich! Und – denke auch an die Beziehungen nach oben, die wir durch diese Heirat erhielten. Du könntest in ein paar Jahren Kommerzienrat sein –“

„Na – das dürfte hier weniger in Betracht kommen, Mama. Im übrigen: Es gibt viele Mädchen aus guten Kreisen, die heutzutage aus Schlauheit so tun, als jucke ihnen – – der Ringfinger unglaublich nach dem Ehereif. Dabei sind sie in Wahrheit kalt wie ne Hundeschnauze und schielen nur nach der guten Versorgung.

Man kauft in unseren Kreisen die Katz’ immer im Sack. Darf man dann den Sack öffnen und das liebe Tierchen bei Licht besehen, so – ist man der Reingefallen und kann schleunigst die Wonnen der Flitterwochen – mit einer anderen durchmachen, um über die Enttäuschung hinwegzukommen. –

Ja – in dieser Beziehung lobe ich mir die Sitten in manchen Gebirgsgegenden, wo kein Mensch was dabei findet, daß das zukünftige Paar schon vor der offiziellen Verlobung sich – ganz nahe kennenlernt – ganz nahe –

Aber bei uns?!“ –

Frau Olga hatte gestern Steffie von Hickfeld einen Wink gegeben, daß Emil heute bei ihr Speisen würde. Und Steffie war nun soeben von der Gesellschafterin in das Damenzimmer gewiesen worden, das vom Salon nur durch einen türkischen Vorhang getrennt war. Der dicke Smyrna machte ihre Schritte unhörbar.

Schon wollte sie eintreten, als drinnen ihr Name genannt wurde.

Steffie hätte kein Weib sein müssen, wenn sie jetzt nicht ein wenig gelauscht hätte. –

Frau Strunk schaute ihren Einzigen kopfschüttelnd an.

„Junge, du kannst doch nicht Gebirgsgebräuche hier nach der Großstadt verpflanzen!“ meinte sie dann. „Derartige – Proben auf – gegenseitige Anpassungsfähigkeit mögen für Naturkinder ganz geeignet sein. Aber – würdest du denn zum Beispiel ein Mädchen heiraten, das, um dir den kräftigen Beweis schrankenloser Liebe zu geben, zu dir käme und – na, du verstehst mich wohl –“

„Vollkommen! – Natürlich würde ich das Mädchen heiraten, wenn – ich zufrieden mit ihr wäre.“

Das Gespräch ging weiter. Dann klappte die Salontür nach dem Flur, und Steffie von Hickfeld trat ein, küßte Frau Olga die Hand und begrüßte den Sohn des Hauses durch ein paar zwanglose Worte.

Emil schaute die ihm so warm Empfohlene kritischer als bisher an.

Nun – die Steffie war nicht übel. Sie hatte Schneid. Nur etwas mager, – im Vergleich zu Tessa Mankler. –

Verdammt, – da dachte er ja schon wieder an die Korrespondentin! Nun – jetzt schadete das nichts mehr. Morgen würde auf Tessas Stuhl die säuerliche Müller sitzen. –

Um sechs verabschiedete Steffi sich. –

„Ich gehe abends ins Hubermann-Konzert,“ meinte sie.

Auch Emil Strunk hatte jetzt genug Familienluft genossen. So begleitete er Steffie. Es war heute ja ein so prächtiger, warmer Apriltag.

Steffie von Hickfeld schlug eine Richtung ein, die sie nur auf weitem Umweg nach der elterlichen Wohnung in der Knesebeckstraße führen konnte. Strunk glaubte, sie daran erinnern zu müssen.

„Wollen Sie denn vor dem Konzert nicht noch nach Hause?“ meinte er.

„Nötig ist es nicht. Ich kann auch irgend anderswo einen kleinen Imbiß einnehmen. Leisten Sie mir doch Gesellschaft. Wie wär’s mit einer gemütlichen Weinstube?“

Er war etwas überrascht über ihre Selbstständigkeit. Aber – gerade das gefiel ihm.

In der Motzstraße landeten sie dann in einem jener Schlemmerlokale, die mit acht bis zehn sogenannten Nischen – eine harmlose Bezeichnung für Chambre separee – glänzende Geschäfte machen. –

Strunk bat selbst den Wein aussuchen zu dürfen. Er wählte Burgunder. Steffie nippte nur davon. Aber – als es für sie Zeit war, nach der Philharmonie aufzubrechen, erklärte sie: „Ich habe keine Lust mehr, mir Hubermann anzuhören. Hier ist’s so gemütlich – zu gemütlich –“

Strunk war platt – einfach platt. –

„Das ist famos von Ihnen Fräulein Steffie,“ sagte er ehrlich. „Es plaudert sich so nett hier –“ –

Er hatte den Burgunder ganz allein ausgetrunken, ließ nun Sekt bringen. Er war glänzender Laune.

Steffie bat, er möchte ihr doch sein Junggesellenheim beschreiben. –

„Ich war noch nie in der Wohnung eines unverheirateten Herrn, kann mir gar nicht vorstellen, wie es da aussehen mag,“ meinte sie.

„Nun – am einfachsten ist’s, Sie gehen einmal vormittags gegen elf hin, dann ist nur meine Aufwärterin da, die Ihnen alles zeigen soll. Ich besitze seltene Stiche von Dürer und einen echten Holbein. Sie interessieren sich ja für Malerei.“

„Vormittags habe ich nie Zeit. Schade! Und ich brenne geradezu auf den Holbein.“ Sie hatte ihren Korbsessel mehr von Tisch abgerückt, die Beine übereinandergeschlagen und zeigte so einen zierlichen Halblackschuh und einen dünnen, rassigen Knöchel.

Bei Emil begann sich das – Gefühl der Vereinsamung zu legen. Er nahm all seinen Mut zusammen, fragte:

„Wie wär’s, wenn ich Ihnen den Holbein jetzt gleich zeigte?“ –

Er war gespannt. – Würde Steffie nun die Beleidigte spielen?

„Oh – ich möchte Sie nicht bemühen,“ erwiderte sie, und ihre grauen Katzenäuglein schillerten ihn so seltsam an. –

Strunk wohnte ganz in der Nähe – Hochparterre drei Zimmer. Er ahnte nicht, daß Steffie – Gebirgsgebräuche nach Berlin verpflanzen wollte, als sie nun, etwas ängstlich tuend, in seinen Flur schlüpfte. –

„Ziehen Sie erst bitte alle Vorhänge dich zu,“ sagte sie. –

Er tat’s. Dann wurde die Wohnung bewundert, auch das Schlaf–zimmer. Sie fand alles entzückend. Als sie dann beide die Köpfe über den Holbein neigten, den er von der Wand genommen hatte, lehnte sie sich leicht an seine Schultern. Sie gebrauchte Treffle-Parfüm. –

Und gerade dieses wirkte auf Emil Strunk mehr als Sekt – besonders jetzt, wo er immerhin eine ganze Menge Alkohol soeben vertilgt hatte.

Ihm wurde plötzlich siedend heiß. –

Donnerwetter – diese Steffie – diese Steffie! –

Er schielte über ihre Schulter hinweg. Sein Interesse galt nicht nur der schottischen Seidenbluse. Er bekam mehr zu sehen, denn so, wie Steffie jetzt vornübergebeugt dastand, bauschte sich der Ausschnitt nach vorn.

Ihm wurde noch heißer. Die klare Überlegung verließ ihn. Er vergaß völlig, daß er sich vorgenommen hatte, nur dann sich zu verloben, wenn zu allen anderen auch wahre Liebe hinzukam. –

Dies hatte er seiner Mutter verschwiegen. Die hielt nur eine Art Liebe für die richtige: Bei der sich Klugheit und Sinnenrausch vereinigen ließen!

Ganz sacht legte er Steffie den Arm um die Taille, zog sie an sich. Sie duldete es, schlang dann mit einem Mal die Arme um seinen Hals, barg den Kopf an seiner Brust. Der Hut rutschte ihr dabei nach hinten. Er nahm ihn ihr schnell ab, wollte sie küssen.

Sie riß sich los, lief davon – lief in das dunkle Schlafzimmer.

Er hinterdrein. Er fand sie nicht gleich, – sie hatte sich hinter den Kleiderschrank gedrückt, rief jetzt leise:

„Nicht – nicht Licht machen. – Ich schäme mich so –“

Da war er schon neben ihr. Jetzt brauchte er ihren Mund nicht zu suchen. Eng umschlungen standen sie da, Lippe auf Lippe gepreßt.

Dann wie ein Hauch: „Ich liebe dich – liebe dich so unendlich. Denk’ nicht schlecht von mir, daß ich gern dein Heim sehen wollte. –

Geh’ nun – ich bitte dich – laß mich hier allein. Ich muß meine Frisur in Ordnung bringen –“

Er blieb – küßte sie immer stürmischer.

Und wieder bat sie: „Geh – nach fünf Minuten darfst du wieder herein. Es – es wird dir nicht leid tun –“

Er begriff nicht ganz. Er ahnte nur – und ging ins Nebenzimmer, blieb aber an der Tür stehen, lauschte.

Frisur in Ordnung bringen?! –

Und da drinnen raschelten Röcke, fiel ein Schuh klappernd auf die Dielen, knackte ein Miederhaken.

Nun Stille. Und ein leises Lachen.

Da – ein Ruck. Die Tür flog auf. Der Laternenschein von der Straße gab trotz der geschlossenen Vorhänge genügend Licht.

Das Bett war – nicht leer. Vor dem Bett Kleider, Leibwäsche.

„Steffie!“ Er kniete, riß sie an sich. Das tief ausgeschnittene Taghemd glitt ihr über die Achseln, sank herab. –

In der Wohnung ein Stockwerk höher wurde Klavier gespielt – Gassenhauer. Ein Leutnant wohnte da. Und nun sang jemand:

Im Zimmer wird’s dunkel,

denn hell darf’s nicht sein,

– Wenn zwei so allein –,

wenn zwei so allein – –

 

 

3. Kapitel

Auf der Straße

Tessa Mankler fuhr nach Geschäftsschluß heim. Scheu zusammengeduckt saß sie im Straßenbahnwagen, in trostlosester Stimmung. Sie wagte nie die Plattform zu benutzen, obwohl sie die frische Luft sehr liebte. Die Herren waren so aufdringlich! – Selbst wenn die Plattform leer war, suchten sie, irgendwie mit ihr in körperliche Berührung zu kommen. Im Inneren des Wagens glaubte sich Tessa sicherer, obwohl auch hier ihr schon so allerlei passiert war, was ihr immer wieder bewies, welche Anziehungskraft sie auf männliche Hände und Füße ausübte.

Heute sah, hörte und fühlte sie nicht, was um sie her vorging. Ihre Gedanken waren völlig in Anspruch genommen von den Ereignissen dieses Tages. Immer aufs Neue grübelte sie darüber nach, ob sie nur deswegen so unvermutet entlassen worden war, weil sie, dem Rat des Vaters folgend dem Chef gegenüber nicht die Prüde gespielt hatte. ‚Tessa, man muß schlau sein,‛ hatte der Vater gesagt. ‚Du hast nun endlich eine Stelle erwischt – endlich, und an dir allein wird’s liegen, ob du dich dort bei dem Leinwandfritzen nicht so fest einnisten kannst, daß du irgendwann die erste Flöte spielst und daß dein Gehalt schnellstens wächst. Hm, ja, – also – nur nicht zimperlich sein, Tessa. Das ist nur was für Mädels, die mit’m Dämelsack geschlagen sind. Dieser Strunk ist Junggeselle und soll rein wild nach den Weibern sein. Entschuldige diese etwas gemeine Phrase. Aber – es ist so. –

Na – und du mit deinem Äußeren – hm, ja, – da müßte es doch mit ‛m Deubel zugehn, wenn dieser Kohlstrunk – Emilchen heißt er auch noch! – nich alle zehn Finger nach dir ausstreckt. –

Hm – dabei braucht man ja nun nicht gerade gleich an Heiraten zu denken. Aber – sieh zu, daß du ihn dir so etwas verpflichtest. Natürlich – hm, ja – mit – mit der nötigen Vorsicht – du bist ja kein Dummchen, kennst das Leben –‛ –

Und dann war der übliche Nachsatz wie nach allen längeren Unterhaltungen gefolgt: ‚Übrigens – ich sitze gerad’ wieder total auf dem Trockenen! Kannst du mir nicht so zehn Märker vom Wirtschaftsgeld vorschießen?‛

Wenn Tessa jetzt, während der Straßenbahnwagen rumpelnd die Stromstraße in Moabit entlangfuhr, an die Szene in Strunks Privatkontor zurückdachte, drängten sich ihr immer wieder Tränen in die Augen. Das Gefühl der Scham war so übermächtig in ihr, daß sie glaubte, jeder müßte ihr ansehen, was sie heute erlebt hatte. Sie begriff nicht, wie das alles hatte geschehen können, wie es ihr möglich gewesen, die Küsse dieses Mannes zu dulden, der ihr doch ein Wildfremder war. –

Ja, nur so ließ sich dies erklären, daß eben die traurigen, widerwärtigen Zustände im Elternhaus ihre moralischen Grundsätze langsam zermürbt, sie völlig gleichgültig gegen alles gemacht und sie lediglich Geld – Geld – und wieder Geld als das Erstrebenswerteste von allen hatte erkennen lassen. –

Manklers bewohnten in der Rathenower Straße in einem schmutzigen, düsteren Haus drei Zimmer nach vorn hinaus im Erdgeschoß. Als Tessa die Flurtür mit dem Schnepper geöffnet hatte, hörte sie bereits des Majors überlaute Stimme rechter Hand in seinem sogenannten Arbeitszimmer:

„Herr – und wenn Sie als Gerichtsvollzieher auch Beamter sind – trotzdem schmeiße ich Sie raus, falls Sie es wagen, hier irgendwo Ihre Siegel anzukleistern! Die verdammte Schweinebande, diese Zigarrenfritzen, die mir stets so ‛nen Dreck geliefert haben und die nun mit einem Mal das ganze Geld verlangen, werde ich mit der Reitpeitsche –“

Da trat Tessa schnell ein. Sie wußte: Der Vater war wieder angetrunken! – Und so sehr er auch im nüchternen Zustand stets den Kavalier hervorzuheben suchte, – wenn er aus der Destille an der Ecke kam und dort ein paar splendide Leute gefunden hatte, die für den Vortrag seiner Blütenlese neuester Mikoschwitze zu Bier und Schnaps eingeladen hatten, dann – dann streifte er alles ab, was noch an den Major erinnerte, dann war er, ebenfalls zermürbt durch all das Elend, zumeist von solchem Ingrimm gegen jeden und jedes erfüllt, daß er in Worten und Gedanken zum – Rowdy herabsank.

Tessa rief ein mahnendes: „Aber Papa!“ Da drehte der schlanke Mann, der stets denselben speckig glänzenden Bratenrock trug, sich jäh um. Sein blaurotes Gesicht mit dem grauen, aufgedrehten Schnurrbart ließ noch heute erkennen, daß Egon von Mankler einst den Weibern sehr gefährlich gewesen.

„Ah – da bist du ja,“ brüllte er. „Hilf mir, diesen – diesen –“

Tessa verstand ihn zu behandeln. Obwohl sie doch eigentlich nichts wie Verachtung für den empfinden konnte, der in gewissenlosem Leichtsinn das meiste von seiner Pension in Kneipen und Cafées verjubelte, während seine kranke Frau und die beiden Töchter darbten und die kleinen Schulden beim Fleischer, Bäcker und Händler ständig wuchsen, war in ihrem Herzen trotz aller Bitterkeit gegen ihn doch noch ein Rest von Liebe zurückgeblieben.

Sie umarmte ihn jetzt, küßte ihn – trotz des Fuselgeruchs, der seinem Mund entströmte .

„Papa, – laß mich bitte mit dem Herrn allein. Ich werde die Sache in Ordnung bringen.“ –

Sie schob ihn halb gewaltsam nebenan ins Wohnzimmer.

Das Geld, das sie bei sich trug, – das Gehalt für zwei Monate – reichte gerade zur Begleichung der Zigarrenrechnung. –

Der Gerichtsvollzieher verschwand. Ihm tat Tessa leid. Er ahnte, was sie hier in dieser Umgebung zu erdulden hatte.

Tessa eilte in das kleine Hinterzimmer. Dort lag die gelähmte Majorin, zum Skelett fast abgemagert, und ließ sich von Irmgard, der fünfzehnjährigen Jüngsten, wie immer aus der Bibel vorlesen. Ihr Siechtum hatte auch ihren Geist verwirrt. Sie war zu Zeiten der Meinung, sie wäre irgend eine Heilige, schmückte sich dann mit einem Papierblumenkranz und sang fromme Lieder. –

Nachdem Tessa Mutter und Schwester begrüßt hatte, wollte sie das Abendessen vorbereiten. Doch – nichts Genießbares mehr im Haus. –

Also hin zum Fleischer, zum Bäcker. –

Für ihre letzten zwei Mark kaufte sie ein. Der Major schimpfte nachher über den – Plebejerfraß und ging dann wie immer aus. Vor vier Uhr morgens kam er nie heim – so wohl auch heute.

Tessa mußte noch an die Luft – ins Freie – irgendwohin! Sie wäre heute hier vor Sorgen erstickt. Nicht einen Pfennig besaß sie mehr. Und daran, daß sie sofort eine neue Stelle finden würde, war nicht zu denken. Sie hatte den ihrigen nicht erzählt, wie schnell sie von der Firma Strunk wieder entlassen worden war.

Wozu darüber sprechen?! Der Vater hätte ihr ja doch nur in seiner Trunkenheit zugeschrien, daß sie ein ganz dämliches Frauenzimmer wäre, die es nicht verstände, ihrer Erscheinung zu verwerten.

Tessa ging über die Brücke nach Charlottenburg hinein – ziellos, nur gehetzt von ihren Gedanken, die Seele erfüllt von Bitterkeit, Geldsorgen und – Neid, brennendem Neid gegen alle, die nicht diese furchtbare Last trugen wie sie.

Und abermals dachte sie an die kurzen Minuten von heute vormittag, als der junge Chef sie an sich gerissen hatte. Und wieder tauchte nun sein Bild vor ihr auf: seine schlanke Gestalt, sein frisches, lebensfrohes Gesicht und seine blaugrauen Augen, die doch der Spiegel seiner Seele sein sollten.

War dem wirklich so, dann konnte Emil Strunk kein schlechter Charakter, kein gemeiner Wüstling sein, obwohl –

Plötzlich ertappte Tessa sich – und sie erschrak jäh – bei allerlei neuen Gedanken, – daß die Szene im Privatkontor doch eigentlich gar nicht so schlimm gewesen wäre und daß sie Emil Strunk nicht im geringsten zu grollen vermochte, weil er sie – sie, Tessa von Mankler, kurzer Hand beinahe so behandelt hatte wie – wie – nun wie eine, die jetzt da gerade vor ihr ging, den Herren so frech ins Gesicht sah und so herausfordernd mit der Tasche schlenkerte.

Sie war jetzt in der Bismarckstraße. Ein sehr elegant angezogener Herr strich an ihr vorüber, schaute sie scharf an, machte kehrt, kam ihr wieder entgegen.

Sonst hatte Tessa in solchen Fällen stets nach der anderen Seite gesehen. Heute – sie wußte selbst nicht, was sie dazu trieb – wich sie den Blicken des blondbärtigen Herrn nicht aus.

Da – er machte wieder kehrt. – Sie erkannte schon seinen kurzen, federnden Schritt. –

Er sprach sie an – sehr höflich. Er merkte an ihrer bescheidenen Kleidung, daß sie nicht gewerbsmäßig spazieren ging.

„Gestatten Gnädigste, daß ich eine Frage wagen darf. Mein Name ist Horst M…“

Was auf ‚M‛ folgte, verstand Tessa nicht.

Und Tessa – wie ein innerer Zwang war’s heute, daß sie so antwortete – entgegnete:

„Bitte – fragen sie –“

Horst Menk war Schriftsteller und der Sohn sehr reicher Eltern. Eigentlich mehr das Letztere – denn die Schriftstellerei warf nicht mal die Krawatten und Handschuhe ab. Nach einer halben Stunde war er in einer Gemütsverfassung, die ihn zu jeder Dummheiten fähig machte.

Dieses entzückende Weib, mit dem er jetzt in einer kleinen Konditorei saß, war ihm vorläufig noch ein Rätsel. Aber – in seiner stilvollen Junggesellenwohnung würde er schon merken, ob und wieweit man hier hoffen durfte.

„Nein – es tut mir leid – heute habe ich wirklich nicht Zeit, mir Ihr Heim anzusehen,“ sagte Tessa jetzt. „Ich habe eine kranke Mutter, die –“

Sie schwieg. Die Mutter wollte sie doch aus dem Spiel lassen bei diesem ganz unvermittelt in ihr aufgetauchten Plan, – Kapital aus ihrer eigenartigen Schönheit zu schlagen.

Horst Menk bat, sie bis an ihre Haustür begleiten zu dürfen. –

Nein – nein, – das darf nicht sein,“ erklärte sie schnell. „Ich werde mir ein Auto nehmen. Ich habe mich schon viel zu lange aufgehalten.“ –

Sie öffnete unter dem Tisch ihr abgeschabtes Handtäschchen, öffnete die kleine Beutelbörse, rief:

„Oh – ich habe ja –“

„Was denn?“ wollte Menk wissen. –

„Nichts – nichts, – ich muß fort.“ –

Sie erhob sich.

Da wußte er Bescheid. –

„Fräulein Tessa,“ – sie hatte ihm nur ihren Vornamen genannt, sonst sich über ihre Verhältnisse nichts herauslocken lassen – „Sie haben kein Geld bei sich – nicht wahr? –

Weshalb wollen Sie’s nicht zugeben? –

Hier – gestatten Sie, daß ich Ihnen aushelfe –“

Er drückte ihr zwanzig Mark in die Hand.

„Haben Sie morgen mehr Zeit, Fräulein Tessa? –

Ja. – Dann wollen wir und hier um acht abends treffen. Ist’s Ihnen recht?“

Sie nickte, reichte ihm die Fingerspitzen. Er küßte die zarte, schmale Hand, küßte sie nochmals – etwas höher hinauf. Was hätte er darum gegeben, wenn Tessa heute schon – mehr Zeit gehabt hätte! Er war wahrhaftig verschossen in sie – total verschossen.

„Auf Wiedersehen!“

Dann eilte Tessa Mankler wie gehetzt auf die Straße, hinein in den nächsten Hausflur, blieb hier wohl zehn Minuten stehen. Sie ahnte ja, daß dieser blonde Horst versuchen würde, ihr zu folgen und so ihre Wohnung auszuspionieren. –

Zehn Minuten wartete sie. Und sie stand da – schuldbewußt wie eine Verbrecherin. Sie hatte es ja darauf angelegt gehabt, auf diese Weise – ohne Gegenleistung! – Geld herauszulocken. Und doch: Trotz all ihrer Gewissensbisse ließ sich die Freude nicht zurückdrängen, daß sie nun zwanzig Mark besaß – zwanzig Mark – und so leicht verdient – so leicht! –

Nun wagte sie sich wieder auf die Straße. – Gott sei Dank, – der blonde Horst war nirgends zu erblicken! – Sie schlug die Richtung nach Hause ein. Aber sie ging langsamer als sonst. Sie dachte: ‚Wenn noch einer kommt, der dich anspricht, versuch’s wieder! Was tut’s – gesunken bist du jetzt ja doch schon vor dir selbst –“

Und es kam einer. Ein älterer Herr, sehr gut angezogen, sonnverbrannt, Jägerhut auf den Kopf, – ein notleidender Agrarier – besuchsweise in Berlin mit dem Ehering im Portmonnaie. –

Er fing die Sache bedeuten plumper als der vielerfahrene Horst Menk an.

„Sie irren sich, mein Herr,“ wies Tessa ihn ruhig ab. Trotzdem gingen sie zusammen weiter, nur daß der Gutsbesitzer nun zurückhaltender und vorsichtiger war –

Eine halbe Stunde in einem Weinrestaurant genügte, den Agrarier lichterloh brennen zu lassen. Tessa versprach, ihn morgen vormittag zu einer Autotour nach Potsdam aus seinem Hotel abzuholen.

Er saß ganz dicht neben mir, hatte ihre Linke in seinen glühend heißen Händen und drückte sein Knie immer wieder gegen das ihre – ganz sanft. –

‚Wahrhaftig, mir zittern die Beine! So ein Teufelsweib‛ dachte er. Und freudig half er ihr zur schleunigen Autofahrt nach Hause mit zehn Mark aus.

Tessa Mankler kehrte gegen halb elf heim, schlich in ihres Vaters Zimmer, ließ sich in die Sofaecke fallen, – schluchzte – schluchzte still in sich hinein – eine ganze Weile. Dann ein kurzes, häßliches Auflachen. Wozu die Reue, die Vorwürfe?! Konnte sie nicht vielleicht sehr bald das Geld zusammen haben, die Mutter in ein Schwefelbad zu schicken, was der Arzt doch längst als einzige Möglichkeit, eine Besserung zu erzielen, so dringend empfohlen hatte?!

Vierzig Mark hatte sie mit nach Hause gebracht – vierzig Mark – für nichts – von drei Kavalieren.

 

 

4. Kapitel

Der Ersatzvater

Um elf Uhr begleitete Emil Strunk Steffie im Auto heim. Er war einsilbig und nachdenklich. Das, was er ihr noch an zärtlichen Worten und Händedrücken spendete war etwas wenig nach diesen anderthalb Stunden, die er soeben durchnascht hatte. Als sie dann an ihrer Straßenecke ausgestiegen war und er sie zum letzten Mal geküßt hatte, wußte er, daß es – überhaupt das letzte Mal – nicht bloß für heute – gewesen sein würde.

Anderthalb Stunden hatte er durchnascht. Aber – er war ein viel zu großer Praktikus, um nicht sehr bald zu merken, daß das süße Gericht kein – frisches, sondern nur – aufgewärmt war. Mit aller Bestimmtheit hatte er’s gemerkt, obwohl der kleine Racker, die Steffie, sehr geschickt alles drum und dran eines frischen Pflaumentörtchens vorgetäuscht hatte. Nun – so erfahren wie Emil Strunk war sie freilich doch nicht. Es gab da so feine Nuancen beim ersten Happen, die sich einfach nicht schauspielern ließen, wenn die tatsächlichen Vorbedingungen fehlten.

Emil Strunk fuhr nach dem ‚Cafée des Westens‛ auf dem Kurfürstendamm. Dort hatte er sich für halb zwölf mit seinem Intimus Horst verabredet, den er seit seiner Heimkehr von der ‚Wechsel–Reise‛ noch nicht persönlich gesprochen hatte – nur telephonisch.

Horst Menk saß allein in einer Ecke auf der Estrade.

„Du, viel hätte nicht gefehlt, und aus unserer Verabredung wäre nichts geworden,“ meinte er nun mit vielsagendem Lächeln. „Ich hatte da ein rares Vöglein erwischt – entzückendes Weib – tatsächlich! Sie hatte heute leider nicht Zeit –“ er schwärmte wie ein Primaner von seiner ersten Liebe, erwähnte das aschblonde, reiche Haar, die melancholischen Augen, das seltsame Lächeln. –

Da wurde Strunk stutzig. –

Melancholische Augen – Donnerwetter – und aschblond – und so weiter! –

„Wie hieß die Holde denn?“ fragte er.

„Tessa – im übrigen wie Lohengrin: Nie sollst du mich befragen –“

„Tessa?!“

Emil Strunk blieb der Mund offen stehen. Aber nicht nur vor Überraschung. Nein – die Kußszene heute im Privatkontor war keineswegs spurlos an ihm vorübergegangen – keineswegs! Selbst als Steffie ihm bewiesen hatte, daß sie sich über gewisse moralische Bedenken leicht hinwegsetzt – angeblich aus Liebe zu ihm, hatte er so und so oft gedacht: Wenn das Pflaumentörtchen doch Tessa hieße! –

Er konnte ihre Augen nicht vergessen. Und wenn er sich mit aller Deutlichkeit wieder vorstellte, wie er sie in den Armen gehalten und wie weich und heiß ihre Lippen gewesen, dann – dann sehnte er sich nach einer Wiederholung – und Fortsetzung dieser Vorspielszene, sehnte sich nach dem ersten Akt des eigentlichen Schauspiels.

„Ja – Tessa – seltsamer Name!“ meinte Horst Menk nun. „Na – morgen abend sehe ich sie wieder, und dann – du kennst ja mein Arbeitszimmer: rosa Ampel, Grammophon im Nebenzimmer: ‚Heimlich bei Nacht, ist die Liebe erwacht –‛ – Walzertraummusi und so – Diwan mit vielen Kissen, die Luft erfüllt mit dem indischen Parfüm Asra, das schlimmer als Sekt und Selleriesalat ist, – kurz, die Sache wird ein Märchen werden – aus tausend und einer Nacht.“

Emil war wieder sehr still geworden. –

„Du, was fehlt dir, worüber grüblerisch du nach?“ forschte Menk.

Strunk log. Ihm fiel nichts Besseres ein, und Horst Menk konnte ihm ja vielleicht auch einen guten Rat geben, wie die Sache Steffie zu erledigen wäre. Er log – denn in Wahrheit hatte er nur an Tessa Mankler gedacht.

„Mir ist da etwas passiert, das beinahe wie Schicksalstücke aussieht,“ begann er und erzählte von dem heutigen Gespräch mit seiner Mutter und von dem Abenteuer mit Steffie, deren Namen er natürlich verschwieg. Menk kannte Steffie nicht, verkehrte auch nicht bei Frau Olga. Mithin bestand keine Gefahr, daß er irgendwie dahinter kommen könnte, wer – das aufgewärmte Törtchen war.

„So – nun weißt du alles,“ schloß er seinen Bericht. „Und nun rate mir: Was soll ich tun, und – was hältst du überhaupt von diesem Blümlein, dessen Duft nicht mehr ganz frisch war. Ich würde ja hier – die Katz’ nicht im Sack kaufen, wäre ja auch soweit, was die Anpassungsfähigkeit anbetrifft, leidlich zufrieden, – aber ich liebe das Blümlein nicht und würde es deshalb nicht ehelichen, weil – weil ich hierfür nur ein ganz frisches Gericht wählen würde.“

„Schlimme Sache!“ meinte Menk. „Meine Lebenserfahrung läßt mich argwöhnen, daß das gewärmte Pflaumentörtchen dich nur durch diese etwas längliche Besichtigung des Hohlbein fest für eine Heirat verankern wollte. –

Ich würde an deiner Stelle folgendes tun: Laß sie heimlich beobachten. Sie hat vielleicht den ersten Liebhaber noch immer. Und dann, wenn du dessen Namen usw. kennst, erklärst du ihr ganz offen: Es wär’ so schön gewesen, es hat nicht sollen sein. Ich hab’ von dir gelesen, daß du nicht mehr ganz rein –“ –

Und dann – bist du sie los – und auch deine ehestiftende Mutter, die wohl ein schönes Gesicht machen wird, wenn sie hört, daß ihre Erkorene bereits einige Fragezeichen verdiente, bevor du selbst fragend – anklopftest –“

„Famoser Gedanke!“ rief Strunk. „Oder – eine Cliquot Witwe mit Silberhals und Kohlensäure im Leib.“

Horst rauchte einige Züge und sagte dann: „Übrigens komischer Zufall – heute nachmittag war ein alter Schulfreund bei mir, ein armer Teufel von Gerichtsassessor, der mir auch so einen kleinen Einblick in die Zuverlässigkeit der Duftreinheit unseres Blütenflors aus Berlin W gab – selbstredend ohne Namensnennung. –

Vor einem halben Jahr lernte er bei einer großen Abfütterung ein adliges Mägdelein aus einer Familie kennen, deren Ahnen das Familien–vermögen bis auf einen kleinen Rest verpulvert haben, so daß besagtes Mägdelein unbedingt reich heiraten muß. –

Also – sie lernten sich kennen, lieben, lernten sich – ganz genau kennen, sie schwimmen in heimlicher Seligkeit auf seiner Bude, die mithin zum Meer der Wonne wird, – bis das Malheur geschehen ist und ‚die Kleinen mit dem Stammbaum‛ dem Assessor vor vierzehn Tagen nicht hold errötend, sondern weinend mitteilt, daß sie alle Aussicht hätte, das Geschlecht derer von so und so um ein frisches Reis – ohne Standesamt und Trauung leider – zu vermehren.

Der Assessor, der mit hundertfünfzig Mark monatlich der Ernennung zum Amtsrichter geduldig entgegenhungert, sinkt aus dem Meer der Wonne in einen Morast der Verzweiflung. Tagelang rennt er wie ein Verrückter umher.

Da – erhält er vorgestern einen Brief seiner – erfolgreichen Liebe. Darin steht etwa folgendes:

Einzig Geliebter! Mach’ dir keine Gedanken mehr darüber – du weißt schon. –

Ich bin auf einen Ausweg gekommen. Ich kenne einen Herrn, dessen Frau ich durchaus werden soll. Aber – er ist mir und leider auch ich ihm total gleichgültig. Zum Glück ist mir jedoch bekannt, daß er als sehr – liebebedürftig gegen eine feingesponnene Intrige ziemlich wehrlos sein wird.

Er wird mich heiraten müssen! Verstehst du – müssen!

Ich werde dafür sorgen, daß dieses Muß ihm sehr bald klar wird. Dann – ist er nachher überzeugt, daß ‚unser‛ Erstes meinem – ersten Besuch bei ihm zuzuschreiben ist. –

Natürlich muß zwischen uns beiden jetzt alles aufhören, denn – doch nein, das kann ich dir nicht schriftlich begründen. –

Also leb’ wohl für immer, einzig Geliebter! Es muß geschieden sein. Solltest du aber trotz – trotz des ersten, noch bevorstehenden Besuches bei dem anderen mich wiedersehen wollen, so schicke mir wie bisher eine Reklamekarte irgend einer Firma und schreibe unter die Marke Tag und Stunde, wann – und so weiter.

Na Freund Emil, – was sagst du zu dieser köstlichen Liebesposse, bei der irgend ein harmloser Idiot so fein hineingelegt werden soll?

Strunk schwieg und blickte zu Boden.

„Wo wohnt dein Freund, der Assessor?“ fragte er dann. –

Horst Menk wurde aufmerksam. –

„Weshalb möchtest du das wissen?“ –

„Weil ich – weil ich dem armen Teufel vielleicht eine Syndikusstelle beim Verband der Wäschegroßhändler besorgen kann.“ –

„Du, – das ist Schwindel,“ sagte Menk nachdenklich. Dann hob er plötzlich den Kopf, klatschte sich gegen die Stirn.

„Mensch, Emil, – ich ahne, was du ahnst! Du denkst, daß dein Törtchen und das gerissene Mägdulein –“

„Stimmt!“ unterbrach Strunk ihn. „Ich ahne, daß ich der – von dir soeben erwähnte harmlose Idiot bin!“

Menk schenkte die Sektgläser voll.

„Prosit, Emil, – du kannst dir den Detektiv sparen, der das Törtchen hätte beobachten müssen. Es genügt, wenn ich zu dem Assessor hingehe und mich in seiner Bude ein wenig umsehe. Er wird sicher das Bild des Mägduleins haben. Beschreibe mir also dein Törtchen.“

„Ein ganz sicheres Erkennungszeichen ist ein kleines Muttermal auf dem linken Ober – – doch nein, das nützt dir ja nichts, das ist auf deiner Photographie wohl nicht sichtbar. –

Also: schlank, leidlich voll, –“

Und er beschrieb Steffie bis ins kleinste. –

Am nächsten Tag erhielt der Assessor Kurt Müller folgenden Brief:

Mein Liebling !

Vor einer halben Stunde bin ich heimgekehrt. Es ist jetzt halb zwölf nachts. Ich habe erst furchtbar geweint, denn – das Muß ist mir gelungen. –

Oh, du glaubst nicht, welch eine Überwindung es mich gekostet hat, Liebe zur heucheln, wo doch nur Berechnung mich leitete. Ich habe Folterqualen gelitten. Es war kein Treuebruch, mein Liebling, es war ein Opfer, das ich für uns beide brachte. Verachte mich nicht! –

Ich habe sofort ein Bad genommen. Meine Eltern sind ja zum Glück verreist. Noch in der Badewanne habe ich geweint. Das Wasser aus der Warmwasserleitung war schon recht kalt. Trotzdem habe ich –

Nein – das kann ich dir nicht schreiben – ich sage es dir mündlich ins Ohr, aber nur im Dunkeln.

Auf Wiedersehen! Ich küsse dich in Gedanken – küsse dich mit frisch gescheuerten Lippen, denn auch sie habe ich gescheuert.

Ewig

Dein Stefan

 

 

5. Kapitel

Auf der Lauer

Emil Strunk saß in seinem so leichtfertig dreinschauenden Privatkontor und sah die Morgenpost durch. Aber – er war nicht bei der Sache.

Ärgerlich warf er jetzt den Brieföffner beiseite und brummte:

„Der Teufel hole alle Weiber! – Menk hat ganz recht: Ich bin wirklich ein Idiot! Ich kann sie nicht vergessen! Mir scheint, – ich bin diesmal wahrhaftig in ein Mädel verliebt, das dort mehr als anrüchig ist. Hätte nur der alte Trottel von Wendefeier nicht gerade sie als Korrespondentin eingestellt, und hätte mich nur nicht das – das verdammte Gefühl der – Vereinsamung hier so schnell untergekriegt! –

Ich werde noch verrückt dadurch. –

Wenn ich denke, daß sie nun gestern abend sich mit Menk getroffen hat und daß die rote Ampel, das Grammophon, Asra-Parfüm und –

Nein – weg mit all den Gedanken – weg damit! –

Hm – vielleicht ist sie aber gar nicht bei ihm gewesen – vielleicht. –

Ich will ihn doch mal anrufen.“

Er bekam sehr bald Anschluß.

„Morgen, Horst. Wie geht’s?“

„Schlecht. Ich habe einen blödsinnigen Kater. Ich war gestern in der ‚Viktoria-Bar‛ bis gegen drei morgens –“

„Ah – wohl mit der Tessa?“

„Tessa? – Laß mich mit der Ruhe. Das ist eine – eine ganz gemeine Schwindlerin. Sie hat mich versetzt!“

„Wirklich? – Vielleicht hatte sie nicht Zeit –“

„Blech! – Ich traf si ja um neun auf der Bismarckstraße mit Dr. Hellmer, – du kennst ihn ja, der berühmte Zahnreißer –“

„Was du sagst? Mit Hellmer?! Hm, dann –“

„Nichts von – dann! Die Tessa ist für mich erledigt. Versetzen laß ich mich nicht. Kein Wort mehr darüber. –

Du – ich war gestern bei diesem Assessor. Die Geschichte stimmt. Das Törtchen und das Mägdulein sind ein und dieselbe liebliche Persönchen.“

„Davon war ich längst überzeugt. Trotzdem besten Dank für deine Bemühungen.“

„Oh – gern geschehen, zumal der Assessor mir erzählte, er hätte soeben einen Brief von eben jenem Mägdulein erhalten des Inhalts, daß – nun die Vatersorgen auf einen anderen abgewälzt werden können. Er fragte mich zögernd – denn er gibt viel auf mein Urteil, – ob ich in seiner Stelle jetzt wohl – weitere Besuche des Mägduleins ablehnen würde. –

Nee – im Gegenteil, habe ich gesagt, das geriebene Kind verdiene doch nur Dank und Anerkennung. –

Da war er ganz glücklich. Er muß sie sehr lieb haben. Schade – dieses Pärchen verdient’s, daß es sich kriegt. –

Halt, noch etwas, Emil. Wir haben vorgestern bei unserem Gespräch über diesen Fall – man kann auch sagen Sündenfall und Reinfall, es trifft ja alles das zu – ganz übersehen, was aus Törtchen nun wohl werden soll, wenn der – Ersatzmann streikt. Dann sitzt sie ja wieder in der Tinte! Und – da du streikst, ist das Tintenbad für die Ärmste fertig.“

„Hm – darüber reden wir demnächst. – Jedenfalls werde ich abwarten, wie und wann Törtchen mir – das traute Geheimnis beibringen wird. –

Heute früh teilte sie mir telephonisch mit, sie sei krank und wir könnten uns vorläufig nicht sehen. Natürlich: Ich bin ihr jetzt unbequem, sie braucht mich ja nicht mehr und braucht ihre freie Zeit für den Assessor! –

Ein nettes Rackerchen! Und die – die wollte meine Frau werden! –

Na – Prosit!“

„Bist du abends besetzt, Emil?“

„Ja – bis elf etwa.“

„Ah – wohl schon die Einleitung für die Ergänzungen des letztens ausgeschalteten ‚Wechselformulars‛.“

„Nein – ich denke vorläufig an eine Ergänzung nicht. Ich – ich – werde mich so behelfen. – Aber nach elf stehe ich zur Verfügung. –

Wieder ‚Cafée des Westens‛? –

Gut – Wiedersehen.“

Emil Strunk legte den Hörer auf die Stütze zurück und sann lange nach. Dann nahm er den Hörer wieder zur Hand, nachdem er im Adreßbuch etwas gesucht und auch gefunden hatte. –

„Hier Detektivinstitut Zickelbart.“

„Hier Chef der Firma August Strunk, Leipziger Straße. – Schicken sie mir sofort eine Detektivin her, eine ganz zuverlässige, verschwiegene, ältere Person.“

„Oh – derlei erledigt meine Frau,“ erklärte der Direktor Zickelbart. „Handelt es sich um langwierigere Feststellungen und außerhalb Berlin?“

„Langwierig? – möglich! – in Berlin selbst!“

„Dann darf ich wohl höflichst, wie üblich, um hundert Mark Vorschuß bitten –“

„Sie sollen zweihundert Vorschuß haben. Nur muß die Sache gründlich bearbeitet werden.“ –

Mittags speiste Emil bei seiner Mutter. Nach Tisch gab es wieder eine Plauderstunde im Damensalon.

Und da sagte der Sohn denn nach einer Weile zu seiner Mama:

„Du wirst deine Pläne hinsichtlich Steffie von Hickfelds fallen lassen müssen. Ich – bin da schon zu spät gekommen –“

„Was – was heißt das?“

„Nun – Steffie liebt einen anderen, und dieser anderen ist auch für – Gebirgsgebräuche – obwohl er nie daran denken kann, Steffi zu ehelichen.“

„Un … unglaublich!“

„Aber wahr! – Darf ich dir näheres darüber erzählen, wie ich – der Vater eines Juristenkindes werden sollte?“

„Ich bin gespannt –“ –

Und er erzählte.

Frau Olga konnte nur immer wieder den Kopf schütteln.

„Diese Steffie – diese Steffie!“

„Du siehst also, Mamma, – aus dieser Heirat kann nichts werden,“ beendete Emil Strunk seinen Bericht.

„Du mußt dich schon nach einer anderen Schwiegertochter umsehen, – oder besser, überlasse mir nur die Wahl. Denn zu deinen Vorschlägen hätte ich doch kein rechtes Vertrauen mehr.“ –

Abends lauerte Emil Strunk Tessa in der Rathenower Straße auf. Er mußte lange warten. Erst um halb neun ging sie aus und fuhr dann mit der Straßenbahn bis zum Zoologischen Garten. Hier stieg sie aus und ging den Kurfürstendamm hoch.

Er blieb stets hinter ihr, sah, wie viele Herren sich nach ihr umdrehten, sah, wie einer sie ansprach, wie die beiden in ein nahes Cafée gingen.

Er nahm ein Auto, ließ es ein Stück weiter halten und harrte auf Tessas Erscheinen. Er hatte ja inzwischen den Zahnarzt Hellmer vorsichtig ausgeforscht. Auch den hatte Tessa versetzt – aber auch von dem hatte sie Geld zur Heimfahrt angenommen.

Nach einer halben Stunde kam Tessa allein heraus – sehr eilig, – schlüpfte in einen Hausflur. Dann erschien auch schon der Herr, mit dem sie zusammen gewesen.

Emil Strunk sprach ihn an. „Sie entschuldigen, – Sie waren doch soeben mit einer Dame zusammen. Sie hat von Ihnen Geld zu einer eiligen Fahrten nach Hause erhalten, nicht wahr? – Ich bin ein Verwandter der Dame. Sie ist nämlich nicht ganz – zurechnungsfähig –“

„Hm – ich gab ihr allerdings zehn Mark. Aber –“

„Hier – bitte, – hier sind die zehn Mark zurück. – Die Dame hat Ihnen auch sicher zu morgen abend ein Stelldichein zugesagt. Sie hält dies nie ein. Sie ist eben – gemütskrank.“

Der Herr schritt sehr enttäuscht davon.

Strunk hatte sich in das Auto gesetzt und beobachtete jene Haustür. Nach einer Weile tauchte Tessa auf und ging auf die andere Seite des Kurfürstendamms hinüber.

Abermals dasselbe Spiel. Dann noch ein drittes Mal. Und beide Male händigte Strunk den Opfern Tessas die Beträge wieder aus.

Dann fuhr Tessa mit der Straßenbahn heim – um fünfundvierzig Mark reicher. –

Zwei Tage später.

Emil Strunk ließ sich in seinem Privatkontor von der Frau Direktor Zickelbart Bericht erstatten.

„Ganz entsetzliche Familienverhältnisse!“ begann die und rang die Hände. „Das Elend grinst aus allen Ecken hervor. Die älteste Tochter kann einem leid tun. Sie ist fleißig, bescheiden, – die ganze Nachbarschaft ist ihres Lobes voll. Aber – sie allein kann nichts ausrichten. Der Vater bringt alles durch –“ –

Dann kamen Einzelheiten über Einzelheiten.

Emil Strunk war wieder allein. Er saß da und hatte den Kopf in die Hand gestützt.

Was half alles Sichdagegenwehren?! –

Ja – er liebte Tessa. – Die arme, bedauernswerte Tessa.

Da trat der Bürodiener ein und meldete:

„Eine Dame wünscht den Herrn Chef zu sprechen!“

Es war Steffie. – Sie sah elend aus, sehr elend. Sie schien krank gewesen zu sein.

Sie reichte Emil die Hand, schaute zu Boden.

„Ich – ich muß dich sprechen,“ stotterte sie.

„Bitte – nimm Platz.“

Er deutete auf einen Sessel.

Sie hockte da wie ein Häufchen Unglück. Dann sagte sie ganz leise:

„Ich – ich schäme mich so entsetzlich. Ich war so schlecht, so – raffiniert als ich –“

Sie stockte.

Emil Strunk war überrascht. Das – das war eine so ganz andere Einleitung, als er gedacht hatte. Sollte Steffie etwa?

Da fuhr sie schon tapfer fort: „Ich wollte Sie – Dich nur zwingen, mich zu – zu heiraten. Aber – ich habe jetzt eingesehen: Ich kann es nicht – ich kann Sie – dich nicht betrügen. –

Ich liebe – einen anderen –“

Sie weinte leise.

Strunk erhob sich, setzte sich auf die Armlehne und legte Steffie leicht den Arm um die Schulter. Sie war angstvoll unter seiner Berührung zusammengezuckt.

„Keine Sorge, Steffi,“ meinte er herzlich. „Ich – sitze hier nur als Freund. – Hör’ mir ruhig zu. –

Ich weiß alles, Steffi, – alles, auch den Grund dafür, weshalb ich – Ersatzvater werden sollte. –

Wie habt ihr, du und der Assessor, euch nur die Zukunft gedacht?“

„Ich – ich geh’ ins Wasser – Kurt ahnt nichts davon,“ schluchzte sie.

„Das wirst du nicht tun. Ich werde Müller sofort als Syndikus eine Stelle verschaffen. Außerdem soll er mein juristischer Beirat werden. Dann habt ihr so viel, daß ihr sofort heiraten könnt. Meine Mutter wird bei deinen Eltern die Sache ins Reine bringen –“

Steffie schaute zu ihm auf. Er nickte ihr lächelnd zu. „Wir bleiben gute Freunde, Steffi, – aber nur Freunde!“

Da hatte sie erst begriffen, da erst glaubte sie an all das Glück. Sie sprang auf, nahm seinen Kopf in ihre Hände, küßte ihn auf den Mund. –

„Wie – wie soll ich dir anders danken?“ stammelte sie dann.

Und wieder war Emil Strunk allein. –

‚Eine tolle Welt!‛ dachte er. ‚Ich – ausgerechnet ich! – verhelfe Steffie zur Heirat. – Hoffentlich macht der Assessor keine Geschichten und ist großzügig genug, die besonderen Umstände in Betracht zu ziehen –‛

 

 

6. Kapitel

Am Teetisch

Am Abend desselben Tages regnete es leicht.

Tessa kam aus der Apotheke. Die Mutter hatte gerade wieder einen ihrer schweren Anfälle religiösen Wahnsinns und sang so laut, daß die Überwohner sich beschwerten.

Sie hatte Bromnatrium geholt. Das half wenigstens für kurze Zeit und ließ die Gelähmte in einen ohnmachtähnlichen Schlaf fallen.

Ihr Gesicht war in diesen wenigen Tagen, seit sie abends regelmäßig bald hier bald dort die belebteren Straßen durchstreifte und leichtgläubige Opfer suchte, schmal und bleich geworden. Aber gerade dadurch erhielt ihre Schönheit etwas fast Verklärtes, Madonnenhaftes.

Sie schritt schnell dahin. Heute wollte sie nicht angesprochen werden, besonders nicht in dieser Gegend, wo so viele sie von Ansehen kannten. Sie hatte den Kopf gesenkt.

Ihre Gedanken weilten abermals dort, wohin ein geheimes Sehnen ihr Denken immer lebhafter zurückzwang. Ganz mechanisch wich sie den Leuten aus. Sie sahen niemanden. Die Vorübergehenden glitten in den Nebelschleiern wie Gespenster an ihr vorbei. –

Nur ihr Körper wandelte hier entlang. Ihre Seele weilte in Emil Strunks Privatkontor.

Von Liebe und Leidenschaft hatte Tessa bis dahin nichts gewußt. Nur Sorgen und Elend hatten seit Jahren ihre Gedankenwelt ausgemacht. Und nun war einer gekommen, der sie gleich beim ersten Sehen wie eine leichte Beute in die Arme gerissen und ihre Lippen fast blutig gedrückt hatte mit seinem gierigen Raubtiergebiß. Nun war etwas in ihr lebendig geworden, woran sie nie recht hatte glauben wollen, etwas Wildes, Dämonisches, alle Bande Sprengendes. Und dieses Unbekannte wühlte ihr ganzes Innere auf, scheuchte den Schlaf von ihrem Lager, trieb ihr Hitzewellen über den Leib. –

„Fräulein von Mankler – gestatten Sie, daß ich Sie bis zu Ihrer Haustür begleite?“

Tessa blieb stehen, als habe sie der Schlag gerührt. –

Endlich – endlich! Sie hatte ja schon immer darauf gehofft, daß er – er eines Tages neben ihr auftauchen würde.

Sie nahm sich zusammen, schaute ihn fest an, entgegnete:

„Bitte. –

Ich habe jedoch zunächst nur wenig Zeit. Wenn Sie aber warten wollen – ich werde meiner Mutter die nötigen Handreichungen sehr bald gemacht haben. Dann – können Sie mir in Ruhe mitteilen, was Sie mir zu sagen haben.“

Sie wählte ihrer Worte mit kluger Berechnung. Ihr war es ja jetzt so gleichgültig, wie er über sie dachte – über diese Bereitwilligkeit, die aus ihren Sätzen hervorklang.

Sie wollte nur eins:

Glücklich sein – glücklich sein mit ihm – durch ihn – und alles andere sonst vergessen.

Emil Strunk sprach über gleichgültige Dinge. Dann bat Tessa: „Warten Sie hier an der Ecke. Ich bin in fünf Minuten wieder da.“

Der junge Chef der Millionenfirma war gewiß, was Frauen anbetraf, kein Neuling. Hier aber – diese Tessa gab ihm doch Rätsel auf, die nicht so leicht zu lösen waren. Eigentlich hatte sie ihm doch ein längeres Beisammensein geradezu aufgedrängt.

Was mochte sie von ihm wollen? Etwa auch mit ihm ein Cafée besuchen und – dann die Autofahrt wieder vorschützen?

Arme Tessa! –

Dann – gab er sich sozusagen innerlich einen Ruck. Nein – nein, daran durfte er nicht denken, daß er sie liebte, – das durfte nicht sein!

Er war ja heute in ganz anderer Absicht! Helfen wollte er ihr – ihrer Familie. Aber ganz selbstlos – ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Er besaß ja von dem schnöden Mammon übergenug – übergenug! Und – Tessa durfte nicht länger auf diese Art die Männer nasführen, nicht mehr Autofahrten erfinden.

Sie – sie sollte nicht versinken in dem brodelnden Sumpf des Lasters. Denn – das mußte ja über kurz oder lang geschehen bei dieser Art abendlicher Spaziergänge. –

Da stand sie schon wieder vor ihm, schaute ihn lächelnd an – jetzt mit zarter Röte auf den Wangen, sagte:

„So – und wohin nun? – Das Wetter ist nicht gerade geeignet, auf der Straße zu bleiben.“

Strunk überlegte schnell. Er wollte doch einmal zusehen, wie weit sie gehen würde.

„Ganz recht,“ meinte er. „Bei mir daheim wär’s behaglicher.“

Er blickte sie forschend an.

Ein trotziger Zug lag um ihren Mund, als sie nun leise erwiderte: „Ja – und ich sehne mich so nach Behaglichkeit –“

Da rief er ein Auto an. Sie stiegen ein. Tessa lehnte tief in ihrer Ecke. Es war eine seltsame Fahrt. Noch nie hatte Emil Strunk mit einer Dame so wortkarg, so ohne einen Versuch, zärtlich zu werden, den Weg nach seiner Wohnung zurückgelegt. –

Im Flur half er ijr aus dem unschönen Lodenmantel. Sie nahm ganz von selbst den Hut ab. Dann führte er sie zur Besichtigung des eleganten Heims von Zimmer zu Zimmer. Er sprach mit ihr, als hätte er eine – wirkliche Dame vor sich.

Nun setzte sie sich in sein Arbeitszimmer in die lauschige, indische Ecke mit den niedrigen Sesseln. Er brachte den blitzblanken Samowar herbei, Süßigkeiten, Likör, Zigaretten.

Sie beobachtete ihn still. Auf ihrem Gesicht war ein verträumtes Lächeln.

Und er? Er wußte nicht, wie das enden sollte. Er liebte sie. Und doch: Sein Opfer sollte sie nicht werden – niemals.

Jetzt stand sie auf, füllte die Teetäßchen, fragte, ob er Rum und Zucker wünsche. Sie zeigte eine vornehme Sicherheit, als wäre sie hier zu Hause und er ihr Gast – der Gast einer Dame – einer wirklichen Dame.

Dann wurde sie wieder schweigsam – ganz einsilbig.

Die rote, indische Ampel verbreitete selbst über den Tischchen nur eine wohlige Dämmerung. Er konnte ihre Züge kaum unterscheiden, wenn sie zurückgelehnt dasaß.

Mit einem Mal drang ein verschwommener Laut an sein Ohr. –

Weinte sie? –

Er beugte sich ganz weit vor – und dann griff er nach ihren Händen. Er fühlte feuchte Tropfen darauf.

„Tessa – Tessa – weshalb Tränen?“ stammelte er, und er merkte, daß von diesen fieberheißen Fingern ein alles überwältigender Zauber in seinen Körper überfloß. Vergessen war plötzlich, was er sich vorgenommen: Daß er sie nie merken lassen dürfe, wie es um ihn stand, wie’s in seinem Herzen aussah.

Er sank vor ihr auf die Knie, blickte zu ihr auf, zog sie sanft an sich. Und sie – sie lehnte ihr Gesicht an das seine, legte ihn die Arme um den Hals. Und so raunte sie ihm zu, mit bebender Stimme, zuweilen unterbrochen durch ein kurzes Aufschluchzen:

„Du – du. – Ich liebe dich – als den ersten, der mich je geküßt hat. Ich habe mich gesehnt nach dir – nach Glück, nach Vergessen. –

Um mich herum ist nur Elend und Jammer, Not und Entbehrung. Ich will nichts weiter von dir – nur ein ganz klein wenig Glück. Ich weiß, ich bin’s nicht wert, daß ich’s genießen darf. –

Ich bin schlecht geworden, gemein, eine Betrügerin. Ich habe Männer Geld abgelockt. Aber – ich bin reingeblieben – für dich – nur für dich.

Denn – dich liebe ich! Zweifle nicht daran – tu’ mir nicht weh dadurch, glaube mir! Nie – nie hätte ich’s für möglich gehalten, daß du – meine keusche Seele so schnell wachküssen könntest, daß – Liebe so schnell hochsprießen kann –“

Sie weinte stärker.

Und Emil Strunk hielt sie umschlungen wie etwas Heiliges, wie das Wertvollste, das es für ihn gab.

Dann bog er ihren Kopf ganz sacht zurück, flüsterte:

„Sieh mich an, Tessa. Auch ich lüge nicht. – Ich liebe dich über alles, du Holde, du Reine. –

Und – gepriesen sei die Stunde, als du damals mein Privatkontor betratst, gepriesen diese Stunde jetzt, die mir – eine Lebensgefährtin gegeben –“

Sie stutzte, schüttelte leicht den Kopf. –

„Lebensgefährtin?!“ sagte sie leise. „Nein – so meinst du das doch nicht?! Ich – keine Last –“

Da lachte er glücklich auf.

„Du wirst mir nie eine Last sein – nie!“

Und er küßte sie, lange und innig.

Dann setzte er sich, nahm sie auf den Schoß. Und sie schmiegte sich an seine Brust, hielt seine Hände und hörte mit verträumtem seligen Lächeln zu, was er sprach.

Sie unterbrach ihn, senkte ganz tief den Kopf, – ganz tief, drückte seine Hände:

„Du – du willst mir die Größe deiner Liebe dadurch beweisen, daß – daß du mich – so – gehen läßt, wie – ich gekommen bin. –

Liebster – wird denn eine Stunde solcher Seligkeit des ersten Sichfindens je wiederkehren, – solchen endlosen, jubelnden Glücks? –

Nein, – und deshalb: Nimm dir, was dir bestimmt, eh’ dieser Tag noch verklingt –“

„Tessa!“ Er rief’s voll heißer Zärtlichkeit. Er verstand sie. Und ein schnell entschwindender Gedanke an seine Mutter, an die Gebirgler, verlosch.

Er hob das Mädchen auf mit starken Armen, trug sie hinüber ins andere Zimmer, hinein ins Dunkel, hinein in des Lebens größte Seligkeit. –

Drei Tage darauf sagte er nach Tisch zu seiner Mutter:

„Liebe Mama, – ich habe mich verlobt. Morgen führe ich dir deine Schwiegertochter zu. Es ist ein Fräulein Tessa von Mankler, die Tochter eines Majors, der vor kurzem hier in unsere Nähe gezogen ist. Die Mutter ist leidend und befindet sich in einem Bad.“ –

Und wieder viele Monate später war bei Syndikus Müller Kindtaufe. Emil und Tessa Strunk standen Pate. Es war eine sehr erhebende, vergnügte Feier.

Auch Horst Menk war geladen. Und nach der Tafel zog er Emil Strunk in eine Ecke, sagte leise:

„Mensch – wer das alles mal geahnt hätte! Deine und Müllers Liebesgeschichte – das gäbe eine Novelle – pickfein!“

„Na – schreib’ sie doch – mit veränderten Namen.“

Und – sie wurde geschrieben.

Dies ist sie!!

 

 

Schluß

 

 

Fußnoten:

1 gedanklich aus der Jägersprache

2 landsch. für Fußknöchel