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Das Lächeln der Venus

Das Lächeln der Venus

von

M. Lemcke.

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Frauen, die sich langweilen

Frau Ellen Bieler langweilte sich. Und junge Frauen, die so aussehen wie Frau Ellen eben aussah, die schon äußerlich so verführerisch wirken – auf andere, nur nicht auf den eigenen Mann, und – die sich langweilen, sind gefährlich, sowohl für andere Männer, als auch für den eigenen Gatten, zumal ein Geweih so leicht aufzusetzen ist, wenn es sich um eine Herrn von der Art des Amtsrichters Bieler handelt.

Frau Ellen saß am Fensterplatz im Erker, hatte einen Romanband im Schoß, gähnte, schaute auf den großen, im Frühlingssonnenschein daliegenden Platz und weiterhin auf den von Kähnen und Dampfern belebten breiten Strom hinab und dachte:

‚Erst zwölf. Und um drei essen wir. Was tue ich mit den drei Stunden? –

Ausgehen? – Dann müßte ich mich umziehen. Und das Frühjahrskostüm vom vorigen Jahr ist so unmodern. Wenn ich wenigstens zur Modistin könnte, ein neues bestellen. Aber – dazu reicht’s nicht – natürlich nicht, denn – ‚er‛ ist ja wieder nicht bei Kasse, hat, scheint’s, recht viel Pech gehabt in letzter Zeit. –

Ach – das Spiel – die Karten!‛

So dachte sie sich allmählich, eigentlich heute zum ersten Mal, in einen tiefen Groll gegen ihren Gatten hinein.

Eine Tür klappte.

Anna, der Stubenmädchen, brachte auf silbernem Teller zwei Besuchskarten.

„Nehmen gnädige Frau an?“ fragte Anna.

Frau Ellen las:

Doktor jur. Manfred Willberg

Referendar bei der Staatsanwaltschaft, Danzig

Willberg – Willberg? –

Sie grübelte nach. Dann kam ihr eine Erinnerung. Vor vier Jahren war sie mit ihren Gatten zum fünfundzwanzigsten Stiftungsfest seiner studentischen Verbindung ‚Saxo-Marchia‛ in Berlin gewesen – drei Tage. Und der damalige erste Chargierte der ‚Saxo-Märker‛ war ein sehr patentes Kerlchen und hatte ja wohl Willberg geheißen.

„Ich lasse bitten,“ entschied Frau Ellen, ging in das Schlafzimmer, puderte noch ganz leicht die Wangen über, spritzte noch etwas Parfüm aus dem Zerstäuber unter die Achseln, warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und verließ das nach dem kleinen Garten hinaus gelegene Ehegemach, das jetzt nach sechsjährigem täglichem Beisammensein bereits jede Anziehungskraft für Herrn Bieler verloren hatte. Er hatte nur noch Sinn für Meine Tante, Deine Tante und ähnliche Damen, die mit Liebe nichts zu tun haben, trotzdem aber leidenschaftlich verehrt werden können. Außerdem hatte er stets große Pläne im Kopf, wollte den Justizdienst verlassen und irgend etwas gründen, das ihm das Geld scheffelweise eintragen müßte. Diese Gründungen waren bisher aber sämtlich Frühgeburten gewesen und erwiesen sich nie als lebensfähig. –

Inzwischen saß Manfred Willberg im Bielerschen Salon, musterte kritisch die Einrichtung und dachte: ‚Ganz nett – gar nicht spießerig. Für Danzig sogar tipp topp. – Hoffentlich läßt die Gnädige mich bald wieder laufen. Es ist ja doch nur ein Pflichtbesuch dem Couleurbruder gegenüber. Ich danke ergebenes für Familiensimpelei. Ich will frei sein. Wenn man zwei Jahre ausgerechnet in Schwetz, wo es nur ein größeres Gebäude, nämlich die Irrenanstalt gibt, gesessen hat, dann –‛

Und da kam Frau Ellen.

Und Manfred erhob sich, trat einen Schritt vor, verbeugte sich und hätte beinahe laut ‚Donnerwetter!‛ gesagt, denn er hatte ja keine Ahnung mehr, daß Frau Ellen so – so schick und reizend war.

Er küßte ihr die Hand. Und sie dachte: ‚Wirklich der damalige Erstchargierte. Oh – er hat sich herausgemacht! Keine weichliche Männerschönheit mehr, eher Charakterkopf; Anzug tadellos. – Gefällt mir –‛

Sie sprachen über jenes Stiftungsfest. Er taxierte sie inzwischen auf Grund seiner früheren Berliner Erfahrungen ein: Temperament, eitel, leicht kokett, sehr gewandt, sehr – gefährlich, – Junge, halte die Ohren steif!

Denn trotz Berlin war er jungen, hübschen verheirateten Frauen bisher vorsichtig und mit einem Gefühl des Respekts aus dem Wege gegangen.

Nach der üblichen Zeit wollte er sich verabschieden. Frau Ellen meinte jedoch, er solle doch alle Förmlichkeit hier abstreifen; er befände sich im Haus eines Couleurbruders, und das wäre schließlich wie nahe Verwandtschaft.

Er blieb, blieb sogar, bis der Amtsrichter aus dem Dienst kam. Der war ziemlich korpulent geworden, immer sehr zerstreut, freute sich aber doch über Willbergs Versetzung an die Danziger Staatsanwaltschaft und meinte: „Wenn du mal Zeit hast, widme dich meiner Frau. Ich habe gerade eine große Sache – die Gründung einer Torfbrikett-Fabrik – neues Patent, sehr vielversprechend– unter den Fingern. Zunächst bleibst du natürlich zu Tisch. –

Keine Ziererei, Willberg –“

Nun lernte Manfred auch den vierjährigen Sprößling dieses schnell erkälteten Eheglücks kennen. Und als er dann endlich um fünf Uhr nachmittags sein neues Junggesellenheim in der Breitgasse 15, Erdgeschoß rechts, zwei Zimmer, mit eigenem Eingang natürlich, aufsuchte, da hatte er so ungefähr das richtige Bild von dieser amtsrichterlichen Ehe gewonnen.

‚Arme fesche Frau – du hungerst, das merkt man,‛ sagte er zu sich, als er sich in seinem Schlafzimmer umzog und den Besuchsanzug in den Schrank hing. ‚Du hungerst sogar sehr – du hast verschleierte Blicke zuweilen. Das kennt man –‛

Gleich darauf kam seine Vermieterin und brachte ihm die polizeilichen Anmeldescheine zum Ausfüllen.

Frau Schubert war blond, blitzsauber; ihr Mann Bahnbeamter; Kinder nicht vorhanden. Sie hatte ein weiches, zartes, etwas schwermütiges Gesicht. Und – sie unterhielt sich viel länger mit ihrem neuen Mieter, als nötig gewesen wäre. Dabei sah sie ihn immer so sonderbar an.

Willberg erfuhr so, daß Schubert kränklich war, daß sein Leiden viel Geld koste, daß er erst der zweite Mieter hier sei; bisher aber ein älterer Bahnbeamter die Zimmer bewohnt hätte, der nun anderswo eine bessere Anstellung gefunden.

Und weiter bemerkte Manfred, daß Frau Eleonore Schubert keineswegs ungebildet war. Später erzählte sie ihm, daß sie nur geheiratet hätte – den ersten besten, um von daheim wegzukommen, wo eine Stiefmutter ihr das Leben verekelt hätte.

Willberg hatte eigentlich auswärts zu Abend essen wollen. Aber als Frau Lore erklärte, sie wurde ihm gern etwas herrichten, er wurde schon zufrieden sein, sie hätte ja Zeit, ihr Mann habe Nachtdienst, da – da fand Manfred plötzlich, daß es sich doch eigentlich recht nett mit seiner jungen Wirtin plaudere.

Kotelett und Bratkartoffeln waren vorzüglich. Als Lore den Tisch abräumte, sah Manfred, daß sie inzwischen eine andere Bluse angelegt hatte, – hell, halsfrei, – und daß diese Bluse ihr großartig zu Gesicht stand.

Er sagte es ihr. Sie errötete leicht, verschwand mit dem vollen Tablett, kam sofort zurück, nahm das Tischtuch ab und begann abermals eine längere Unterhaltung, so daß Manfred als höflicher Mensch sie schließlich bat, ein wenig sich zu setzen, falls sie nicht gerade –

„Oh nein, Herr Doktor, – ich habe schon Zeit, sogar viel zu viel Zeit. Gewiß, ich schneidere mir meine Sachen selbst, – – auch das füllt den langen Tag.“

‚Aha, – Frau Bieler – einfachere Auflage!‛ dachte Willberg. ‚Da hab’ ich’s ja hier in Danzig wirklich gut angetroffen. Gleich zwei Frauen, die sich langweilen. Wie sagte doch immer mein Leibbursch Baginski: ‚Junge, – Frauen, die sich langweilen, sind, falls hübsch, mindestens in Gedanken schon halb Ehebrecherinnen.‛ Und der Baginski, der graste nur auf fremden Wiesen, wo keine Alimente drohten. ‚Denn die Alimente haß’ ich, ich gebild’ter Menschenfant!‛ deklamierte er stets in Anlehnung an ‚denn die Elemente hassen das Gebild’ von Menschenhand‛.

Frau Lore setzte sich wirklich, taute immer mehr auf. Manfred holte aus seinem Koffer, er hatte noch nicht alles ausgepackt, eine frische Flasche Sherry Brandy, Zigaretten, lehrte sie das Laster des Rauchens, trank mit ihr auf gute Beziehungen – alles ohne Arg. Sie gefiel ihm. Sie war natürlich, war ohne Falsch. Ihr fehlte die Kunst der großen Dame, klug zu verschleiern, daß sie in ihrer Ehe ständig etwas entbehrte, daß ihr Mann ihr herzlich gleichgültig war.

Willberg hatte keinerlei böse Absichten, als er ihr, wirklich in harmlosheiterer Stimmung, den dritten Likör einschenkte. Sie wurde jetzt recht munter. Er fühlte, daß sie glücklich war, mit ihm plaudern zu dürfen. Er erzählte ihr von Berlin, vom Theater, von allerlei, auch daß er so nebenbei etwas schriftstellere, gab ihr seinen ersten in Buchform erschienenen Roman zu lesen und lächelte etwas geschmeichelt, als sie ganz ehrfürchtig rief:

„Also auch Dichter, Herr Doktor! Wie interessant!“

Es wurde später und später. Er gähnte mehrmals. Sie blieb! Dann sagte sie plötzlich:

„Wollen wir nicht noch Ihrer Wäsche einräumen? – Das ist doch mehr Frauensache –“

Die Koffer standen im Schlafzimmer. Sie gingen hinein. Er knipste das Licht an. Über dem Bett in der Mitte der Decke hing einer rosa Ampel. Das wirkte sehr traulich.

Sie packten also gemeinsam aus. Er bekam einen Parfümzerstäuber in die Hand, bespritzte sie aus Übermut – noch immer ganz harmlos.

Er war keiner von Baginskis Sorte. Ehen waren ihm heilig. Vielleicht deshalb, weil er so wenig bisher mit verheirateten jüngeren Frauen zusammen gewesen und weil er nicht wußte, wie schwer Frauen unter dem Joch einer Pflichtehe leiden können.

Sie flüchtete vor dem feinen Strahl des Parfüms; sie lachte – sehr melodisch. Er lachte auch. Da stolperte sie über den Bettvorleger, fiel – fiel auf die blaue Steppdecke des Bettes, drückte ihren Körper tief in die weichen Kissen ein, konnte sich nicht gleich aufrichten, so daß er ihr die Hände reichte, um sie hochzuziehen.

Sie lachten beide dabei – noch immer ganz harmlos.

Da hatte er ihre Hände in den seinen, weiche, schlanke Hände, – heiße Hände.,da – wurden sie beide plötzlich etwas verlegen, standen sich mit gesenktem Blick gegenüber, ließen sich aber nicht los.

Manfred Willberg war mehr Schriftsteller als Jurist. Er lebte sein Leben stets als heimlicher Menschenbeobachter. Bisher hatte er nie recht daran geglaubt, daß schon die bloße Berührung der Hände eines jugendlichen Weibes unter Umständen jäh wie ein Blitzstrahl wirken könne.

Hier erfuhr er’s nun am eigenen Leib.

Was in jedem Mann schlummert, erwachte urplötzlich in ihm: Ein rücksichtsloses Begehren!

Die Verlegenheit schwand schnell, wie sie gekommen.

Er schaute Lore an, drückte ihre Hände zärtlich, zog sie sacht näher an sich heran.

Willenlos folgte sie dem halben Zwang. Und nun war sie ganz dicht vor ihm, ganz dicht.

Sie hatte so volles, prächtiges, blondes Haar. Und das Haar duftete köstlich – wie Frauenhaar duftet, wenn es gepflegt wird.

Und Lore war so blitzsauber, so appetitlich. Ihr Halsansatz war eine Idealelinie; ihre Gestalt so schlank, so biegsam, und doch voll – fast zu voll unter der Bluse.

„Lore,“ sagte er leise. –

Wie’s ihm über die Lippen gekommen – er wußte es selbst nicht.

Da schlug sie den Blick zu ihm auf. Ihre Augen schwammen in Tränen.

Weinende Frauen! – Auch die Art war ihm neu, verwirrte ihn. Mitleid verdrängte das heiß lodernde Wünschen für einen Moment.

„Lore – weshalb weinen Sie?“ fragte er flüsternd, und unwillkürlich legte er den rechten Arm um sie.

Und da – da lehnte sie sich an ihn, schluchzte:

„Ich – ich bin so furchtbar einsam. Niemanden hab’ ich, niemanden. Meine Schulfreundinnen sind alle besser verheiratet, kennen mich nicht mehr. So furchtbar einsam und verlassen fühle ich mich –“

Sie weinte an seiner Brust. Und er streichelte ihr das Blondhaar, die Wangen, er suchte nach Worten, um sie zu trösten. Sie tat ihm so unendlich leid.

„Sie, Sie waren gleich so nett zu mir,“ hörte er ihre weiche Stimme wieder. „So freundlich und doch so – so anders als die meisten Herren, die vor Ihnen die Zimmer ansahen und mich dabei so – frech gleich musterten. Die hab’ ich alle weggeschickt. –

Dann – kamen Sie. Und – da freute ich mich so. Und – so einen Abend wie heute habe ich ja noch nie kennen gelernt. Das war so schön, wie Sie mir von Berlin erzählten. Und – ich hab’ doch auch wieder mal lachen dürfen.

Mein Mann ist ja gewiß gut zu mir – sehr gut, aber – er denkt nur immer an seine Krankheit, an sein schweres Asthma, hält sich jeder Aufregung fern, jede – seit gut zwei Jahren. Und wie leben wir – wie Bruder und Schwester. –

Ich schlafe ja auch allein im Wohnzimmer. Hier die verstellte Tür führt dorthin. Ach – ziehen Sie nur nicht wieder aus, Herr Doktor. Wenn’s Ihnen zu teuer ist, die sechzig Mark, – ich lasse auch gern ab –“

Wie leid sie ihm – wie unendlich leid! Und – wieder wußte er nicht, wie’s kam, er hatte sie leicht auf die Stirn geküßt, und da hatten ihre Arme plötzlich seinen Hals umschlungen, ihr junger Leib hatte sich dem seinen entgegengedrängt, ihre Lippen suchten seinen Mund, – sie küßte ihn – küßte ihn jetzt mit einer Gier, die ihm fast den Atem benahm.

Noch war etwas in ihm, das diesem deutlichen Wünschen des jungen Weibes Widerstand leistete, ein letzter Rest der Scheu vor der verheirateten Frau.

Aber – auch er war jung, kräftig. Und er fühlte jede Linie ihres Leibes, sein Zittern, hörte ihr schnelles Atmen, merkte, wie – sie wartete, wartete.

Und als sie nach Stunden von ihm ging, hing sie noch ein letztes Mal an seinem Hals:

„Du – du, – ich danke dir. Jetzt bin ich reich. Behalte mich lieb.“

Manfred Willberg aber setzte sich in den Plüschsessel im Vorderzimmer, überdachte das Geschehene und – war sehr unzufrieden mit sich.

Aber der kleine Katzenjammer schwand schnell dahin.

‚Süße Lore –‛ – das war sein letzter Gedanke.

 

 

2. Kapitel

Im Reitkleid

„Sie gestatten, Herr Doktor, – meine Schwester Hildegard Mautner,“ stellte Frau Ellen in der ersten Verlegenheit etwas ungewandt vor, lachte dann, meinte: „Das heißt natürlich: Hilde, du gestattest. – Aber das kommt von all den gesellschaftlichen Phrasen! So eingedrillt sie einem auch sind, manchmal verhaspelt man sich doch –“

Ja – Frau Ellen war verlegen, denn auf einen so späten Besuch Hildegards war sie nicht vorbereitet gewesen. Und daß sie selbst auf das Läuten der Flurglocke hin hatte öffnen gehen und zugeben müssen, daß beide Mädchen nicht daheim, war ihr ebenfalls sehr peinlich gewesen.

Manfred Willberg war kurz nach acht zu ihr zu einem Plauderstündchen gekommen wie jeden Abend jetzt seit acht Tagen – jeden Abend, denn ihr Mann hatte für sie überhaupt keine Zeit mehr. Die Torfbrikett-Gründung steckte ihm im Kopf.

Sie kannte das schon. Das ging wochenlang so, weil er stets durch die neue Ideen einen Vorwand für den Besuch jener Weinstube hatte, in deren Hinterzimmer schon Vermögen dem Spielteufel geopfert worden waren.

Kurz nach acht war er gekommen. Und da war sie selbst soeben erst heimgekehrt von der Reitstunde im Tattersaal, hatte die Mädchen dann bis Mitternacht beurlaubt, ihrem Jungen, der schon in seinem Bettchen lag, gute Nacht gesagt, und – da hatte auch Manfred durch zweimaliges kurzes Schellen bereits Einlaß begehrt. Sie kannte diese zwei kurzen, abgerissenen Schilltöne der Glocke schon. Er läutete stets so – auf ihren Wunsch. ‚Es ist angenehmer, daß man gleich weiß, ob’s ein Bekannter ist,‛ hatte sie gesagt.

Im Reitkleid hatte sie ihn also empfangen. Wie gut dieses ihren vollen, tadellosen Wuchs hervorhob, brauchte ihr niemand mehr zu versichern. Sie kannte Toilettenkünste besser als eine Theaterdiva und sie hatte dabei einen ausgesprochen vornehmen Geschmack, obwohl sie aus einem schlicht bürgerlichen, wenn auch recht wohlhabenden Haus stammte.

Dr. Willberg hatte gestutzt, als sie ihm so gegenübertrat, die Schleppe des Reitrockes graziöse mit der Linken aufgerafft haltend. Er hatte ihr dann etwas länger als sonst die Hand geküßt, diese stets leicht nach Peau d’Espagne duftende Hand mit den rosigen, lackierten Nägeln.

„Man soll Schmeicheleien vermeiden, Gnädigste,“ war’s dann mit einer gewissen Vertraulichkeit über seine Lippen gekommen. „Aber – heute müssen Sie mir schon gestatten, Ihnen zu erklären, daß Natur und eine vorzügliche Modistin hier ein Werk geschaffen haben, daß –“

Lachend hatte sie abgewehrt. „Nein – nicht so, Herr Doktor. Sie waren bisher verständig genug, in mir nur ein Neutrum, also ein – geschlechtsloses Wesen, eben die Frau Ihres Couleurbruders, zu sehen. Wollen Sie von diesem Prinzip abweichen – so ganz unvermittelt?“

Ihre blaugrauen Augen waren dabei mit einem Schimmer von Koketterie fest auf sein Gesicht gerichtet, und Manfred hatte die Empfindung, daß es ihr ganz angenehm gewesen wäre, wenn er geantwortet hätte: ‚Ihnen gegenüber ist es nach acht gemütlichen Plauderabenden schwer, noch länger – nur Couleurbruder zu sein.‛ –

Aber er war vorsichtig, er hatte ja schon gestern und vorgestern gemerkt oder doch zu merken geglaubt, daß sie so etwas mit ihm spielte. Und – er wollte gern feststellen, wie weit sie wohl gehen würde in dieser Art versteckten Aufreizens, ohne daß er ihr dabei irgendwie entgegenkam.

Er hatte ja jetzt durch Frau Lore anders über junge Frauen denken gelernt. Er war – auf den Geschmack gekommen. Und gerade Frau Ellen schien ihm ein höchst dankbares und lohnendes Objekt für weitere Studien zu sein. Nicht, daß er etwa hoffte, hier etwas Ähnliches zu erleben wie in seinem möblierten Heim.

Nein – das nicht! Aber – wozu war man denn noch nebenbei Schriftsteller, wenn man nicht jede Gelegenheit ausnutzen wollte, seine Kenntnisse über den Weibescharakter im allgemeinen und im besonderen zu erweitern.

Also – er war bei seiner Antwort vorsichtig. Frau Ellen sollte im Ungewissen darüber bleiben, ob er auf einen kleinen Flirt eingehen würde. Und so sagte er denn mit einer liebenswürdigen Verbeugung:

„Wie dürfte ich das wagen, gnädige Frau?! Gerade diese Harmlosigkeit im geselligen Verkehr zwischen Weib und Mann ist etwas, das man – nicht oft findet.“

Sie hatte ihn daraufhin prüfend angeblickt. Zweifelte sie, daß er dies ehrlich meinte?

Dann waren sie in das behagliche Damenzimmer gegangen, das letzte einer Flucht von vier Vorderräumen. Auf dem achteckigen Tischchen mit der Mosaikplatte, die in japanischem Stil zwei zärtliche Papageien zeigte, standen bereits die Zigaretten, die Ascheschalen, Likörgläser und der kupferne Samowar mit der flackernden Spiritusflamme.

Manfred hatte sich dann kaum in ‚seine‛ Ecke des kleinen, etwas harten Rokokosofas gesetzt, als es dreimal schellte.

Und – da war die Schwester erschienen.

Er hatte sich erhoben. Viel sah er nicht von Hildegard Mautner – nein, dazu war der Schirm der tief herabgezogenen Lampe über dem Mosaiktischchen zu dicht gefaltet, dieser gelbseidene Schirm, in dessen schmalen, glatten Feldern allerlei Silhouetten wie Teufelchen tanzten.

Er hörte nur ihre Stimme ganz deutlich, hatte aber unbewußt plötzlich den Eindruck, daß Hildegard eigenartig schön sein müßte.

Die Stimme – die war wie ein Bild eines schwermütigen Mädchencharakters, träumerisch, etwas schleppend – dann wieder lebhafter ohne ersichtlichen Grund.

Hildegard sprach nicht viel, nein, sie kam nur ein Buch holen – ein sehr gelehrtes Buch, das sie der Schwester geliehen, und sie verabschiedete sich sofort wieder, obwohl Frau Ellen, allerdings etwas kühl, sie zum Bleiben aufforderte. Manfred Willberg war nun für Minuten allein. Frau Ellen hatte Hildegard hinausbegleitet. –

Er wußte über diese Schwester bisher so gut wie nichts, nur, daß sie einmal vor ein paar Jahren kränklich gewesen und in einem Sanatorium viele Monate zugebracht hatte. Er hätte sich jetzt auch kaum in Gedanken mit ihr beschäftigt, wenn nicht eben diese Stimme noch so seltsam in seinem Ohr nachgeklungen hätte. –

Es gibt Frauenstimmen, die man nicht so leicht vergißt. Manfred Willberg hatte ja seine Berliner Erfahrungen. Da war mal ein Mädel auf irgend einem Tanzboden ihm begegnet, und die hatte ein ähnliches Organ, eine ähnlicher Art zu sprechen gehabt.

Und diese kleine Verkäuferin war sehr lange seine Freundin gewesen, um die ihn sogar Baginski beneidete, der doch selbst nur wilddiebte, – und wie wilddiebte der! Auf den traf das Wort zu: ‚Eher vertraue ich dir meine Börse ein Jahr an, als meine Frau nur eine Stunde!‛

Da kam auch schon Frau Ellen zurück. Über Hildegard fiel kein Wort mehr. Nein – sie begann sofort von Pferden, vom Tattersaal und davon zu sprechen, daß das Reiten ihre einzige Zerstreuung wäre – fast schon eine Leidenschaft.

Sie hatte den niedrigen Sessel ganz dicht an den Kamin gerollt, so daß sie heute nicht wie sonst Manfred gegenüber war – durch den Tisch getrennt.

Nach einer Weile erhob sie sich.

„Sie müssen mir schon erlauben, daß ich’s mir etwas bequem mache, Herr Couleurbruder,“ scherzte sie. „Die Reitstunde strengt an. Und dann will man’s ein wenig zwangloser haben, als dieses Kleid es zuläßt –“

Sie verschwand durch die Tür nach dem Schlafzimmer hin. Erst nach einer guten Viertelstunde erschien sie wieder – in einem hellen, losen Hauskleid, mehr Morgenrock, sehr tief halsfrei, mit etwas Schleppe.

„Ich habe inzwischen auch mein Abendbrot nachgeholt,“ meinte sie, zog den Sessel zurück und stemmte dann die in Goldkäferschuhchen steckenden Füßchen gegen das Kamingitter.

Manfred bekam mehr zu sehen als nur den schmalen Enkel. Doch er schaute nur flüchtig hin, wandte den Blick ab und nahm schnell eine neue Zigarette.

War das Absicht? Oder wurde hier vielleicht ein Abenteuer eingeleitet, ähnlich dem mit Frau Lore? –

Er konnte nicht recht daran glauben. Frau Lore – das war doch schließlich etwas anderes. Dies Weib war mehr unverfälschte Natur – mit all ihren Begierden.

Aber dies – hier saß er doch einer Dame gegenüber, die, wie er ja nun wußte, in Juristenkreisen sogar als ein wenig stolz und unnahbar galt, die mit im Vorstand von so und so viel Wohltätigkeitsvereinen saß und von der jeder mit größter Achtung und auch mit etwas Teilnahme – des Mannes wegen sprach.

Dann aber fiel ihm ein, daß – heute die beiden Mädchen beurlaubt waren, daß Frau Ellen auch so nebenbei erwähnt hatte, ‚er‛ würde heute wohl kaum vor Morgengrauen heimkehren, daß heute die große Besprechung, die entscheidende über das ‚Projekt‛ stattfände.

Und weiter: Das Hauskleid, die niedlichen Schuhchen, die spinnwebdünnen Strümpfe und – eine gewisse unruhige, nervöse Zerstreutheit, die Frau Ellen nicht recht zu verbergen vermochte.

Plötzlich begann sie über Ehen zu sprechen – ganz im allgemeinen; daß es so wenig glückliche gäbe; das doch fast überall bereits nach ein paar Jahren eine völlige Gleichgültigkeit einträte. –

Woran das wohl läge? Und in einem Atem erwähnte sie dann seinen ersten Roman, den er ihr vorgestern auf ihre Bitte hin mit einer Widmung und ein paar gelben Rosen zugeschickt hatte. –

„Wenn das wirklich zuträfe, was Sie an der einen Stelle ausführen, nämlich, daß nur Ehen glücklich sind und auch – Ehen bleiben, bei denen beide Teile genau dieselben geistigen Interessen haben, dann müßte zum Beispiel ein Arzt, der eine Ärztin heiratet – stets den Himmel auf Erden haben.“

„Ich könnte zu diesem Thema sehr viel sagen, gnädige Frau,“ meinte Willberg wieder sehr vorsichtig. „Wenn man aber über die Ehe als staatlich begünstigte Einrichtung, über das Für und Wider spricht, muß man notwendig Dinge berühren, die sich wohl am Stammtisch, nicht aber am – Teetisch im Boudoir einer Dame erörtern lassen –“

Sie nickte kurz. Dann rauchte sie schweigend ihre Zigarette weiter, mit gesenktem Kopf, offenbar in Nachdenken versunken.

Er beobachtete sie. Sie hatte – vielleicht auch wieder unabsichtlich, den rechten Arm auf die Sessellehne so aufgestützt, daß der weite Ärmel bis zum Ellbogen herabgefallenen war. Der weiße Arm war voll und tadellos geformt. Das blaue Adernetz schimmerte leicht durch die zarte Haut hindurch. –

Und weiter betrachtete Willberg sie nun – zum ersten Mal mit anderen Augen.

Heute – heute schwebte hier eben eine gewisse Schwüle in der Luft, etwas, das vordem nie dagewesen. –

Er betrachtete sie. Sie war als Weib fraglos weit den Durchschnitt überragend. Die ein wenig starke Nase störte nicht. Die Lippen hatten jenen blaßroten, matten Schimmer, der dem Kenner verrät, daß sie weich und kühl sein müssen, daß sie sich aber schnell intensiver färben und ebenso schnell sehr heiß werden können.

Und dann die Augen, die langen dunklen Wimpern, die starken, dicht zusammenstehenden Brauen.

Ja – Frau Ellen hatte Rasse, war etwas Besonderes.

Und Manfred Willbergs Augen lockten dann bald Gedanken hervor, die recht gefährlich waren. Er fragte sich: Weshalb wohl hast du ihr nun acht Tage lang Abend für Abend hier gegenüber gesessen, weshalb warst du froh, als dein Couleurbruder Bieler dich gestern doch wieder bat, recht oft zu kommen – recht oft.

Er fragte sich’s. Und plötzlich war er zu sich selbst endlich offen, spielte nicht mehr mit der Wahrheit Versteck. Es war nicht die Behaglichkeit hier, nicht der Reiz der feingebildeten Dame, die ihn zu Ellen führten, – nein, es war das Weib – das Weib nicht als Studienobjekt, sondern das Weib, das er bereits liebte – sinnlich begehrte!

Versonnen hatte sein Blick wie gebannt auf ihrem Antlitz geruht. Da – wurde er gewahr, daß sie den Kopf etwas gehoben hatte, daß ihre Augen wieder prüfend ihn umspielten.

Und dann – dann beugte sie sich vor, fragte leise, aber auch fast befehlend:

„Was dachten Sie soeben?“

Er wurde wirklich verlegen. –

Wie nur antworten, wie? –

Er zögerte, strich die Zigarettenasche ab.

„Nun?!“ fragte sie wieder. Und ihre Stimme war ganz verändert. – „Nun – was dachten Sie soeben – ich will es wissen! Ich will!“

Sie hatte sich langsam erhoben, trat dicht an das Sofa heran, beugte sich über ihn, ganz tief, daß ihr Haar seine Wange kitzelte.

Und wie ein glühen heißer Odem waren ihre Worte:

„Mein Ohr ist frei. Was dachten Sie?“

Er fühlte ihren Körper an dem seinen, er fühlte, daß eine Hand über sein Haar strich – wie ein Hauch.

Und er fragte gepreßt: „Wenn ich ehrlich sein würde, dürfte ich nie mehr abends diese reizenden Stunden genießen.“

Er glaubte nun, sie würde weiter in ihn dringen. Doch nein – sie setzte sich wieder.

Schweigend füllte sie ihr winziges chinesisches Teetäßchen, schweigend drückte sie die Samowarflamme mit dem Klappdeckelchen aus.

Minuten vergingen. –

Manfred ärgerte sich über sich selbst. Er hatte sich wie ein schüchterner Junge benommen. Daß es ihm all seine Willenskraft gekostet hatte, so – bescheiden zu bleiben, ahnte Ellen ja nicht.

„Sind Sie mir böse?“ fragte er dann zaghaft.

Keine Antwort. Ihr Kopf blieb gesengt.

Die nicht näher zu bezeichnende schwüle Stimmung schien sich ins unerträgliche gesteigert zu haben. Manfred merkte, daß seine Hände glühen heiß waren, daß eine Erregung in seinem Inneren mit beinahe schmerzlichen Druck sich dehnte wie etwas Atembeklemmendes, den Herzschlag Beschleunigendes

Keine Antwort. –

Da stand er schnell auf. Nun stand er vor ihr, auch ganz dicht. Nun beugte er sich über sie, auch ganz tief.

Da bog sie langsam den Kopf zurück. Ihre Blicke, verschleiert, sehnsüchtig waren ein unwiderstehlicher Magnet.

Er küßte sie, erst zaghaft; nur eine leise Berührung ihrer Lippen wagte er. Dann sank er vor ihr in die Knie, umschlang sie, riß sie an sich, stammelte:

„Was ich vorhin gedacht habe? – Daß ich Sie liebe, Ellen, daß ich Sie lieben muß, denn –“

Und dann nahm sie schnell seinen Kopf zwischen ihre Hände; küßte ihn. Es war ein Einwühlen ihrer Lippen in die seinen, etwas, das er bisher nie gekannt.

Flammen schienen dem Boden plötzlich zu entsteigen, hüllten sie beide ein.

Es war ein Rausch, eine Seligkeit, wie Manfred sie nicht für möglich gehalten.

Dann drängte sie ihn sanft von sich, behielt nur seine Hände in den ihren, sagte leise, ganz verträumt:

„Ich habe dich lieb, du – sehr lieb. Das weißt du nun. –

Ich war Karl bisher treu – selbst in Gedanken. Enttäusche mich nicht, betrüge mich nicht. Ich will teilhaben an allem, was dich angeht, besonders an deiner schriftstellerischen Tätigkeit. Geistige gemeinsame Interessen sollen diese Liebe verklären. –

Ich – ich habe dich sehr lieb –“

Dann saßen sie nebeneinander auf der kleinen, schmalen Erkerbank – fast im Dunkeln. Vom Fluß wer schallten allerlei Geräusche herüber – gellende Pfiffe, in die sich das Rasseln der Ketten der Dampferkräne, das Rufen der Stauer, das Bellen eines Schiffshundes mischten.

Die Vorhänge in Erker war zugezogen, und das Laternenlicht schimmerte von draußen nur ganz wenig hindurch.

Manfred hielt Ellen umschlungen. Und – seltsam! – obwohl sie sich immer wieder und wieder küßten, war er ohne jedes weitere Wünschen. –

Unwillkürlich dachte er an Lore. Wie schnell war da der ersten Berührung der Lippen der Sinnesrausch gefolgt!

Und hier – hier ein restloses Glück auch so – so Hand in Hand, eng aneinander geschmiegt.

Vom Kamin her dann das feine Stimmchen der alten Sturzuhr. Ellen zählte die Schläge mit. –

„Schon zehn,“ meinte sie leise. „Noch anderthalb Stunden, dann mußt du fort. Ach, Fredi, – wie werde ich mich dann nach dir sehnen. Ich weiß ja jetzt erst, was eine große, übergroße Liebe bedeutet.“

Sie stand auf, öffnete die Vorhänge ein wenig, lachte plötzlich leise auf. –

„Da drüben an der Ecke wohnt ein ganz jung verheiratetes Paar, Fredi. Sie ahnen nicht, daß sich auf den gelben Vorhängen abends immer ihre Schatten abzeichnen, wenn sie –“

Er erhob sich schnell, lehnte sich an sie, schaute gleichfalls hinaus.

Der Mann im ihm war bisher stumm, wie schlummernd gewesen. Aber – Ellens Andeutungen, der letzte unvollendete Satz hatten genügt, ihn zu erwecken. –

Manfred wollte hinüberschaun nach den gelben Vorhängen und den Schatten – wollte.

Er kam nicht dazu. Eine sengende Lohe schlug in ihm hoch, urplötzlich, daß sein Herzschlag stockte.

Er zog das junge Weib näher – rückwärts herab von dem erhöhten Erker, zog sie dann an sich, ganz fest, so fest, daß sie leise aufstöhnte:

„Aber – aber – Fredi.“

Er preßte seinen Mund auf heiße Lippen.

Sie stieß ihn von sich – ganz leicht.

„Fang’ mich!“ lachte sie, flüchtete in den dunklen Salon – bis in das letzte Zimmer dicht am Flureingang, wo der Stutzflügel und der fellbedeckte Diwan standen.

Er blieb dicht hinter ihr. Umfing sie wieder, zerrte sie, die nur schwach sich Sträubende, auf seinen Schoß – umsinkend neben sich auf den Diwan. –

Zwei Uhr morgens war’s, als er von ihr ging. Sie hatte ihm den Hausschlüssel mitgegeben, damit er sich selbst die Tür unten öffne, hatte ihm als letztes noch zugeflüstert:

„Karl verreist morgen auf acht Tage zur Besichtigung der Torfgruben. Komm’ um elf abends. Dann schlafen die Mädchen längst. Ich werde im Salon dreimal kurz hintereinander den Kronleuchter einschalten. Dann ist alles sicher. Den Hausschlüssel hast du ja –“

 

 

3. Kapitel

Ende und Anfang

Er ging heim wie im Traum. Was ihm heute an Liebesseligkeit beschert worden war, erschien ihm wie ein göttliches Geschenk.

Dann saß er an seinem Schreibtisch. Und er schrieb für sie, seine Ellen, nieder, was er empfand.

Nichts störte seine Gedanken, sein Hineinversenken in diese süßen, traumhaft schönen Erinnerungen.

Frau Lore? –

Nein – die war ja nicht daheim, seit vielen Tagen nicht.

Ein Zufall war’s gewesen, daß ihr Mann nach jener einen Nacht sehr schwer an Asthma erkrankte, daß der Arzt angeordnet hatte, der Patient müßte sofort an die See – ganz dicht ans Meer – andere Luft atmen. Und da war das Ehepaar bereits nachmittags zu des Mannes Schwester hinausgefahren nach Glettkau, dem kleinen Fischerdörfchen an der Danziger Bucht.

Und – daher war es bei der einen Nacht geblieben.

Manfreds Tage gehörten nur noch Frau Ellen. Die eine Woche, wo sie ganz ungestört waren, nutzten sie weidlich aus. Prächtiges Frühlingswetter lockte sie nachmittags in die Umgebung, in die Wälder, an die See.

Dann – zwei Wochen waren inzwischen vergangen – ein Brief von Ellen – ein seltsamer Brief. Alles mögliche stand darin: Von jäh erwachter Reue, von dem bereits beginnenden Gerede der Leute. –

Kurz: Es war ein Abschiedsbrief, sehr lieb, sehr traurig, – aber es blieb ein Lebewohl für immer.

Manfred wußte nicht, wie er dieses jähe Ende eines köstlichen Rausches ertragen sollte. Sie wiedersehen – und fremd tun, sie nur noch in Gegenwart dritter sehen – unmöglich! Dazu brauchte er Zeit, in diesen Gedanken mußte er sich erst eingewöhnen. –

Er nahm vierzehn Tage Urlaub, bestieg einen der kleinen Flußdampfer, die die Weichsel aufwärts nach Heubude, dem gemütlichen, kleinen Seebad, fahren, mietete sich in einem poetischen, teerduftenden, blitzsauberen Fischerhäuschen ein und – lief hier seinem Schicksal in Gestalt Hildegard Mautners gerade in die Arme.

Abends saß er auf einer Düne unweit des Herrenbades. Hinter ihm führte ein Weg entlang. Da hörte er das Rauschen von Röcken, drehte sich unwillkürlich um, sprang auf, grüßte.

Er hatte Hilde in letzter Zeit einige Male bei Bielers getroffen. Sie war stets sehr zurückhaltend zu ihm gewesen, fast unhöflich kühl. Sie hatte dieselben Augen wie Ellen. Aber obwohl sie der älteren Schwester auch sonst ähnlich sah, war doch alles an ihr zarter, feiner, besonders das schmale Gesichtchen stets wie durchleuchtet von einer Fülle schwerer, ernster Gedanken.

Manfred grüßte, trat auf Hilde zu, machte ein paar nichtsagende Redensarten.

Sie musterte ihn abermals mit diesen fast erkältenden Blicken wie stets, meinte dann: „Urlaub? – Vorgestern erklärten Sie doch noch, daß Sie im Juli vielleicht nach Norwegen gehen würden.“

„Zwischen vorgestern und heute liegt eine Erkenntnis, die mich hierher flüchten ließ,“ entfuhr es ihm halt gegen seinen Willen. Es war sein übervolles, krankes Herz, daß überfloß.

Wieder ein so strenger, forschender Blick Hildes.

Dann: „Wollen Sie sich mir anschließen, Herr Doktor?“ –

Er kannte auch dieser Art bereits. Sie haßte alle Phrasen, das ganze tönerne Gebäude der sogenannten – ‚guten Umgangsformen‛. Vielleicht hatte gerade ihre Krankheit, ein Lungenleiden, gerade dieser monatelange heimliche Kampf mit dem Tod damals im Sanatorium, sie so reif und so selbstständig werden lassen.

Gemeinsam gingen sie dann durch den abendlichen, vom Sonnenrot durchstrahlten Kiefernwald zurück nach dem Dorf. Hilde erzählte, daß sie ebenfalls in Heubude seit gestern wohne; sie wolle nach der Natur malen; sie liebe die See über alles.

Nachher vor dem Gasthof an dem kleinen Binnensee verabschiedete sie sich, reichte Manfred zum ersten Mal die Hand – eine kühle Kinderhand. Ohne jeden Schmuck war selbst die Linke; kein Ring, kein Armband.

Und doch trug sie sich sonst keineswegs blaustrumpfmäßig, – Nein, alles an ihr war schick, modern – aber unauffällig. –

„Auf Wiedersehen!“ hatte sie gesagt. Und Manfred hatte aus ehrlichem Herzen erwidert: „Ja – hoffentlich recht bald. Auf Wiedersehen!“ –

Es war ja eine Ablenkung; und dann – – die müde, schwermütige Stimme hörte er so gern.

Er betrat den Garten des Gasthofes.

Da grüßte jemand.

Oh – das war ja der Assistent Hevelke von der Staatsanwaltschaft! Richtig – der hatte Manfred ja mal von Heubude so viel vorgeschwärmt, wo er ein winziges Häuschen besaß, das er in der warmen Jahreszeit stets allein bewohnte.

Ein seltsamer Kauz, dieser Hevelke. Eine Ulkfigur für die Kollegen ob seiner schüchternen Unbeholfenheit, seiner Eigenheiten. Dabei aber offenbar ein goldener Charakter, Naturschwärmer, Schmetterlingssammler und – Dichter.

Manfred Willberg hatte sich häufiger mit ihm unterhalten während der Dienststunden. Der Mann interessierte ihn wie alles, was nicht in eine Schablone paßte.

Er ging auf ihn zu, nahm Platz, und Gottlieb Hevelke war zunächst so verlegen, daß er sein Bierglas umwarf. Aber Willberg hatte so eine eigene Art, Menschen zu behandeln. Und nach fünf Minuten war Hevelke ein ganz anderer geworden. Nach einer halben Stunde wieder beichtete er schon so allerlei Herzenswünsche:

„– Ich wäre ja wohl schon längst verheiratet. Aber – ich – ich bin ja Frauen gegenüber geradezu lächerlich schüchtern. Ich ärgere mich selbst darüber – nachher, – es hilft nichts. Wie sollte ich es wohl fertig bringen, einem Mädchen einen Antrag zu machen?! Und gar wagen, sie zu küssen oder gar – in der Ehe, hm, – Sie verstehen, –

Nein, das – das ist unmöglich, obwohl ich mich so nach Frau und Kindern sehne – so sehr – nach etwas Wärme. Aber – der Gedanke, daß der Verlobung dann die Hochzeit folgt, und – daß doch jede junge Frau in der ersten Nacht – Sie verstehen, oh – den Mut dazu fände ich nie. Ich würde immer fürchten, sie zu kränken, würde immer mir vorstellen, wie sie sich schäme, weil sie vielleicht – nun – ich will das nicht weiter ausspinnen. –

Ich – ich kann’s eben nicht. –

Und Ihnen werde ich’s auch eingestehen: Ich habe tatsächlich noch nie ein Weib geküßt, geschweige denn – na, Sie verstehen –“

So hatte Gottlieb Hevelke gesprochen. Zusammen brachen sie dann gegen zehn Uhr auf. Hevelke war glücklich, daß er sich endlich einmal jemandem hatte anvertrauen können. Und als sie sich trennten, bedankte er sich bei Manfred für den ‚schönen Abend‛ wie für ein kostbares Geschenk. –

Und als Manfred dann seinem abseits gelegenen Fischerhäuschen sich näherte, kam ihm eine schlanke Frau entgegen: Lore!

Willberg war entsetzt. Was wollte sie hier in aller Welt? Er hatte sie doch die drei Mal, die sie von Glettkau aus in ihrer Wohnung nach dem Rechten gesehen, zwar sehr freundlich und auch herzlich behandelt, aber ihr nie wieder eine zärtliche Stunde geschenkt.

Lore war ängstlich, scheu:

„Sei mir bitte nicht böse, daß ich – mich dir so – so aufdränge,“ stammelte sie. „Mein Mann ist heute früh gestorben. Und – und – ich – habe weder das Geld für – den Sarg –“

Sie weinte herzzerbrechend.

Da legt er sanft den Arm um sie. Sie tat ihm wieder so unendlich leid. –

„Lore, – nicht weinen! Ich freue mich, daß du den Weg zu mir gefunden hast. –

Sieh, wenn ich dir damals erzählt habe, ich wäre nicht reich, hätte nur gerade so viel zum behaglichen Leben, so stimmte das nicht ganz. Ich habe seiner Zeit als Student schlechte Erfahrungen gemacht. Man hat mich von allen Seiten angepumpt, bis ich eines Tages erklärte, ich hätte mein Vermögen bei einem Bankkrach verloren. –

Doch das war nur eine List. Die Erbschaft von meiner guten Tante Luise, die wirklich rein in mich vernarrt war, ist sicher angelegt. Ich habe mir nur angewöhnt, niemandem mehr zu sagen, daß ich eigentlich – sehr vermögend bin.

Und – weil ich’s bin, Kind, wird’s mir eine Freude sein, dir aus der Verlegenheit zu helfen und gleich so, daß du auch der Zukunft ruhig entgegenschaun kannst.“

Er hatte den Weg nach dem Fluß eingeschlagen.–

Sie drückte leise schluchzend seine Hand. Es war schon ganz dunkel, und als sie dann an die Dampferanlegestelle kamen, war das letzte Schiff gerade abgefahren.

Er überlegte. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Er mußte sie mit in das Fischerhäuschen nehmen. Er ging jetzt neben ihr her ohne jede Vertraulichkeit. Nur freundlich und herzlich war er. –

Das alte Fischerehepaar schlief längst. Und – wenn sie die junge Frau in seiner Begleitung gesehen, hätte es auch nichts geschadet.

Lore saß dann im Vorderzimmer an dem wackligen Fichtentisch und aß mit gutem Appetit, was Manfred ihr anbieten konnte. Sie hatte seit mittag nichts genossen. –

Er unterhielt sich mit ihr, als wäre es seine Schwester. Dann bereitete er ihr auf dem alten, breiten Glanzledersofa ein Lager, so gut es ging, wünschte eine erholsame Nacht, drückte ihr kräftig die Hand:

„Nochmals, Lore, – mach’ dir keine Sorgen. Morgen früh fährst du mit dem ersten Dampfer um halb sieben zurück, und ich gebe dir einen Scheck für die Privatbank sowie einen Brief für deren Kassenbeamten mit. –

Gute Nacht, Kind. Ich werde dich wecken. Schlaf dich aus – und schlaf gut!“

Er schloß die Tür. Er fühlte noch ihren Blick – ihren sehnsüchtigen Blick. –

Nein – das war vorüber!

Er dachte an Ellen. Und jäh krampfte sein Herz sich zusammen.

Er zündete die Kerze auf dem Nachttischchen an. Sein Bett war eines jener alten Bauernbetten mit Baldachin und Vorhängen, ein uraltes Stück. Fischer Steffen hatte ihm stolz erzählt, ihm während dafür schon hundert Mark geboten worden.

Und Manfred hatte erwidert: ‚Lassen Sie sich nicht betrügen. Es ist das Fünffache wert.‛

Er entkleidete sich langsam, rauchte noch eine Zigarette. Vorn in der größeren Stube hörte er zuweilen leise Geräusche. Jetzt – ja – das war weinen, schluchzen.

Lore weinte. Er trat an die Tür mit den bunten blumengeschmückten Füllungen, lauschte.

Sie weinte, – und er wußte, weshalb. Aber – er konnte ihr nicht helfen. Ellen – Ellen – seine Seele, alles gehörte Ellen – alles!

Und er glaubte, es würde nie anders werden.

Dann – kreischte nicht da drinnen der Schlüssel der Außentür? –

Was hatte Lore vor?

Schnell hinein in das kleine, niedrige Zimmer. Die Lampe auf dem Tisch brannte noch. Und Lore stand wie eine ertappte Sünderin vor der Außentür; sie hatte wohl nicht verstanden, mit dem alten Schloß umzugehen. Sie war noch völlig angekleidet, hatte auch den Hut auf, das Ledertäschchen in der Hand.

Manfred Willberg nahm sie und führte sie zum nächsten Stuhl. –

„Lore – was sollte das – wo wolltest du hin so mitten in der Nacht?“ fragte er leise.

Sie weinte still in sich hinein. Dann hob sie den Kopf:

„Ich – ich werde nie mehr – nie mehr deinen Weg kreuzen. Ich schwöre es dir. Nur – nur sei noch einmal – lieb zu mir – so wie – damals. Ich fühle mich ja so verlassen – so allein. Hab’ doch Erbarmen mit mir –“

Und dann sprang sie auf, warf sich an seine Brust.

„Du – du! Ich schwör’s: Wenn du –“

Sie schrie fast; und er mußte ihr den Mund zuhalten. –

„Aber Lore – ich bitte dich – nicht so laut –“

Sie drängte sich an ihn.

„Hast du mich denn ganz vergessen – ganz? – Wie elend hast du mich gemacht – wie elend!“

Und dann küßte sie ihn – immer wieder. Er streichelte ihr die Wangen; er war machtlos diesem deutlichen Wünschen gegenüber. Sie raunte ihm Dinge ins Ohr, die schließlich nebelgleich ein Vergessen ihm brachten.

Er dachte an jene Nacht, als er so glücklich ‚Lore‛ geflüstert, als er geglaubt hatte, sie zu lieben. –

Und Lore war glücklich – noch eine lange – lange Nacht hindurch.

Dann fuhr Lore zurück nach Danzig. Und während der frische Morgenwind ihre Wangen umspülte, während der kleine Dampfer dem hohen Turm der ehrwürdigen Marienkirche näher und näher kam, dachte sie nur immer an Manfreds Abschiedsworte: ‚Lore – ich weiß einen braven Mann für dich. Einen, der so schüchtern ist, daß er noch nie ein Weib geküßt hat. –

Ich werde euch zusammenbringen – sieh ihn dir an. Ich meine es gut mit dir –‛

Und während Lore dies alles sich überlegte und auch mit ein wenig Eitelkeit an dem Titel ‚Staatsanwaltschaftsassistent‛ sich erfreute, wanderte Manfred durch den rauschenden Kiefernwald dem stärker rauschenden Meer zu.

Seine Gedanken weilten auch bei Gottlieb Hevelke. ‚Es wäre gerade die Rechte für ihn, die Lore. Dann kämen zwei gute Menschen zusammen. Und – die Lore wurde es ihm schon erleichtern – das Gewöhnen an die Liebe –‛

Er lächelte still vor sich hin.

‚Nur – zurechtstutzen muß ich den Hevelke etwas. Die Brille muß weg. Ein Kneifer macht jünger. Und der Vollbart wird auch fallen, und höhere Kragen – na, es wird schon werden! –

Ich als Ehestifter! Was man alles erlebt. Und gerade die Lore. –

Aber – die beiden passen wirklich gut zueinander – beide so einsam, so hungrig nach Glück, nach Zärtlichkeit. Und – wenn erst ein Kind da ist, dann – dann wird Hevelke mich sicher zur Taufe einladen – und ich werde gern hingehen.‛

So dachte Manfred Willberg. Und dann sah er unten am Strand eine Staffelei, einen breiten Strohhut mit schottischem Band: Hilde.

 

 

4. Kapitel

Kampf

Acht Tage weiter.

Von Ellen hatte er in der Zwischenzeit nichts gehört, nichts gesehen. Hilde, mit der er fast den ganzen Tag über zusammen gewesen diese ganze Woche, erwähnte ihre Schwester nie. Und er tat’s auch nicht. Er hatte jetzt fast die Überzeugung gewonnen, daß Hilde wußte, was vorgefallen.

Acht Tage! Sie hatten genügt, ihn vieles einsehen, ihn vieles in anderem Licht betrachten zu lassen. Der Rausch, in dem ihn Ellen andauernd dadurch erhalten hatte, daß sie ihn ganz mit Beschlag belegte, daß er ihr jede freie Minute widmen mußte, war langsam verflüchtet wie graue Nebelschwaden, die ihm den klaren Blick getrübt hatten. Wenn er jetzt an Ellen zurückdachte, vibrierten nicht mehr all seine Nerven. Der Sinnenrausch wirkte nicht mehr nach.

Er erkannte, daß Ellen stets nur seine große ‚Leidenschaft‛ geblieben wäre, daß sie, selbst wenn sie frei gewesen, ihm nicht das gegeben hätte, was er – von seinem Weib verlangte, von dem Weib, wie er es sich immer ausgemalt hatte.

Hilde war’s gewesen, die schon am zweiten Tag dieses steten Beisammenseins angefangen hatte, über seine schriftstellerischen Versuche zu sprechen. Sie gab offen zu, daß sie seinen Roman sich gekauft und mit jenem Interesse gelesen habe, mit dem man die Arbeit eines Bekannten prüft. Sie hatte ihm dann auch geraten, die Urlaubszeit zu einem neuen Roman zu benutzen.

Und so war’s denn gekommen, daß er neben ihrer Staffelei so und so oft im Sand lag und mit Bleistift Seite für Seite eines dicken Heftes füllte, während sie einen vom Frühjahrssturm an Land geworfenen wracken Schoner malte.

Wieder arbeiteten sie heute dergestalt gemeinsam am Strand. Es war ein windstiller Tag; recht heiß, die Luft etwas dunstig; das Meer bleigrau, träge.

Hilde ließ Pinsel und Palette sinken. –

„Ihr Freund Hevelke wird noch der reine Geck werden,“ meinte sie, ernst wie immer. „Was haben Sie eigentlich mit ihm vor?“

„Verheiraten will ich ihn – mit meiner Wirtin in Danzig.“

„Ah – wohl die blonde Frau, die vor acht Tagen abends hier war? – Ich sah Sie beide an meinem Fenster vorübergehen – von der Anlegestelle –“

Manfred wurde sehr rot. Aber er hielt dem kühl-prüfenden Blick der graublauen Augen stand. –

„Ja – das war die, die ich Hevelke zugedacht habe,“ erklärte er leichthin.

Hilde malte weiter. Dann las er ihr wie immer, wenn er fünf Seiten fertig hatte, das Geschriebene vor. Sie bemängelte dies und jenes. Er änderte. Und er war wieder einmal überrascht, wie treffend ihre Kritik war.

Dann wurde es Mittag. Sie pilgerten durch den Wald dem Dörfchen zu. Unter den Bäumen merkte man noch mehr als am Strand, daß die Luft mit Elektrizität übersättigt war – daß ein Unwetter drohte. –

„Schade,“ meinte Manfred. „Nachmittags werden wir wohl jeder daheim hocken müssen. Es gibt ein Gewitter –“

„Kommen Sie doch zu mir. Ich habe eine Glasveranda zur Verfügung.“

Das klang so gelassen, so selbstsicher, wie alles, was sie sagte. –

Um drei Uhr fand er sich ein. Das Haus, in dem Hilde wohnte, lag dicht am Wald. Sie weilte hier nun schon den dritten Sommer. Sie liebte ja das Meer und die Einsamkeit, und der Arzt hatte ihr auch zu dieser ständigen Nachkur geraten.

Die Veranda zog sich vor Hildes Wohnzimmer hin. Kaum hatte Manfred Hut und Stock abgelegt, als die ersten Windstöße des nahenden Unwetters über den Wald hinfuhren. Hilde hatte den Tisch in der Veranda gedeckt: Zwei Tassen, ein Teller mit Kuchen, Zigaretten, Likör.

Sehr bald brachte ihre Wirtin eine riesige, dampfende Kaffeekanne. –

Während ein Platzregen herniederging, saßen sie und tranken Kaffee, unterhielten sich –

‚Wie ein junges Ehepaar,‛ dachte Manfred plötzlich. Der Gedanke lag so nahe. Und Hilde bediente ihn auch so zwanglos wie ein kleines, liebes Frauchen. Manfred wurde diesen Gedanken nicht mehr los. Und weitere reihten sich daran – in so natürlicher Folge.

Und deren Endergebnis war, daß er sich eingestehen mußte: ‚Du hast dich in sie verliebt! Und wenn je ein Weib dir alles sein könnte – Arbeitskamera, Geliebte, Vertraute, dann wär’s Hilde – nur Hilde –‛ –

Er war plötzlich sehr schweigsam geworden.

Da grollte von fern der erste Donner. Es wurde dunkler und dunkler. –

Auch Hilde war verstummt. Regungslos saß sie da und starrte durch die geschlossenen Fenster auf den sturmgepeitschten Wald, über den hin und wieder der helle Schein der Blitze hinlief.

Dann – ganz unvermittelt: „Ellen hat mir heute geschrieben. Sie kommt ein paar Tage hierher. Sie – behauptet, die Luft hier würde ihrer Migräne gut tun –“

Wieder Schweigen. Ein starker Donnerschlag ließ die Scheiben leise klirren. Und dann – dann sah Manfred, wie Hilde vorsichtig die Augen, die Wangen trocknete.

Sie weinte heimlich. –

Und – diese Tränen im Verein mit der Mitteilung über Ellen öffneten ihm die Augen: Er wurde wiedergeliebt, und Hilde – fürchtete die Schwester, die Nebenbuhlerin.

Er stand auf, rückte den Tisch etwas beiseite, setzte sich ohne weiteres neben sie auf das Rohrsofa, nahm ihre Hände fest in die seinen. „Hilde,“ begann er, „Hilde ich will nicht viele Worte machen. Ich liebe Sie. Werden Sie mein Weib, Hilde. Wir passen für einander, wie selten zwei Menschen –“

Sie blieb regungslos, schweigsam wie zuvor. Aber ihre Hände überließ sie ihm doch. Die waren kalt, eisig kalt. –

Und dann flammte ein Blitze nieder, ein Donnerschlag folgte, und eine der höchsten Kiefern am Waldrand lohte augenblicklich wie eine Fackel auf.

Der Blitz hatte ihm Gelegenheit gegeben, ihr Gesicht für einen Moment zu betrachten.

Es war starr, leblos, gleichsam tot. –

Und nun kam es wie ein qualvolles Aufschluchzen über ihre Lippen – nur zwei Worte:

„Und Ellen –?“

Ellen? –

Das alles lag für ihn ja bereits weit – weit zurück in einer fernen Vergangenheit. Aber – obwohl’s so war, – hier, jetzt sofort, mußte er doch irgend etwas antworten – irgend etwas. –

Und als er dann hastig flüsterte: „Hilde – ein Irrtum war’s, eine – Schwärmerei,“ da glaubte er wirklich an seine Worte. Er legte den Arm um Hilde, ganz scheu und zaghaft, fragte wieder: „Hast du mich lieb?“

Sie schmiegte sich an ihn. „Ja – ich habe dich lieb – seit Jahren. Damals war ich ja auch mit auf dem Stiftungsfest in Berlin. Freilich – tanzen durfte ich nicht. –

Du hast auch mit mir ein paar Worte gesprochen. Ich betrachtete dich so genau. Beim großen Festkommers, als du die Rede hieltst, da habe ich die Poesie des Studentenlebens kennen gelernt.

Und dann sah ich dich hier wieder – an jenem Abend, als Ellen das Reitkleid anhatte. –

Nun diese Tage hier in der Einsamkeit von See und Wald. Ich bin dem Schicksal so dankbar. Ich liebe dich, Manfred. Und ich bin eine von jenen, die einen Mann vielleicht sehr glücklich machen kann. Seit Jahren sehne ich mich ja nach Liebe, nach – dir –

Einen anderen hätte ich nicht geheiratet. Daher war ich auch stets so traurig – so schwermütig – aus unerfülltem Sehnen –“

Sie schaute zu ihm auf. –

Ein neuer Blitz. Und er sah, wie schön sie war, wo sie jetzt so zärtlich, so voller Hingebung lächelte. Und ihre Küsse waren wie ein Regen glühender Schloßen1.

Bis zum späten Abend blieben sie zusammen. Als er dann ging, umklammerte sie ihn plötzlich wie eine Verzweifelte:

„Morgen kommt Ellen! –

Ich – ich habe solche Angst um unser Glück.“

Er beruhigte sie. „Denk’ doch nicht mehr an diese – diese Schwärmerei. Mehr war’s ja nicht. –

Gute Nacht, Liebe, – auf Wiedersehen –“ –

Er schlief spät ein. Hilde fürchtete Ellen. Und – er fürchtete sie auch! Seltsam – gerade weil Hilde von ihrer Angst um ihr Glück gesprochen hatte, drängten sich ihm Vergleiche zwischen den beiden Frauen auf. Daß hierbei all das, was er mit Ellen erlebt und genossen, diese kurzen Stunden wilder Zärtlichkeit, die Zeit, die er heute mit Hilde durchkostet, vollständig überschatten mußten, war nur zu selbstverständlich. –

Und nun lag er morgens abermals mit offenen Augen in dem breiten Bauernbett und überdachte all dies nochmals.

Ja: Ellen war seine große Leidenschaft gewesen, war die Frau, die ihm die berauschendsten Sinnenfreude zu trinken gegeben, die er je genossen. Im Vergleich zu Ellens zügelloser, süßer Wildheit, zu ihrem Liebesraffinement, zu ihrem nie zu stillendem Begehren war ja alles, was er früher erlebt, nur ein schaler Aufguß von ‚Liebe‛ gewesen. –

Das war für ihn – Ellen. –

Und Hilde? –

Diese Liebe war so ganz anders, war ohne Zweifel die Liebe, von der die Dichter aller Zeiten sangen, war Seelenharmonie und Sinnlichkeit in jener fein ausgeglichenen Mischung, die den Bestand einer solchen Neigung sichert.

Aber – Hilde hatte für sich bisher eben nur jene Stunden von gestern in die Waagschale zu werfen. Und – die Stunden wogen so leicht, wenn man andere vorher genossen – viele andere Stunden, in denen Frau Ellen ihren Fredi wie eine Tannhäuser in einen Venusberg geleitet hatte.

Manfred Willberg grübelte und grübelte. Er fürchtete Ellen. Es war so! Zu rege waren all diese seligen, wilden Erinnerungen an sie wieder geworden. –

War’s nicht besser, er verließ Heubude, reiste irgendwohin – irgendwohin, wo nur Hildes Briefe ihn fanden? –

Ja – das war das beste – für das junge Glück. Und keine Minute wollte er zögern, keine. Ellen würde ja doch wohl erst nachmittags hier eintreffen, und dann war er längst weit – weit weg.

Er sah nach der Uhr auf dem Nachttischchen. Bereits zehn! Oh – da hatte er gehörig verschlafen. –

Er erhob sich schnell, zog dem knallbunten Rollvorhang, prallte zurück, ließ die Schnur fahren, so daß der Vorhang polternd wieder herabschoß.

Ellen – Ellen!

Und – sie hatte gelächelt, wieder so gelächelt, wie er es nur zu gut kannte, – so verträumt, so spitzbübisch, so begehrlich.

Wie hatte er einst dieses Lächeln geliebt! Und – welche Macht hatte es auf ihn ausgeübt! –

Und nun – war sie da – seine Ellen, seine Frau Venus.

Schon pochte sie an das Fenster.

„Herr Doktor, Ihre Wirtsleute sind eben nach dem Strand gegangen. Ich soll Ihnen bestellen, daß die Kaffeekanne unter der Mütze steht. –

Schließen Sie doch Ihre Vordertür auf. Ich möchte Ihnen den Kaffeetisch decken. Dann darf ich wohl als Lohn mit Ihnen zusammen frühstücken.“

„Natürlich, gnädige Frau, – sehr liebenswürdig von Ihnen – sehr liebenswürdig.“

Er wußte kaum, was er ihr durch das Fenster zurief. Und hastig schloß er die Tür dann auf, eilte in sein Schlafzimmer zurück. –

Nun war er fix und fertig angezogen, – nun – mußte er hinein zu ihr. –

‚Wenn doch jetzt Hilde käme,‛ dachte er. ‚Dann – dann wäre alles gut.‛

Und – plötzlich ein rettender Gedanke: Ohne Zweifel war Ellen ja direkt vom Dampfer zu ihm gekommen. – Sie wußte also noch nichts von seiner Verlobung mit Hilde, hatte Hilde fraglos noch nicht gesprochen. Wenn er ihr nun sofort als erstes mitteilte: ‚Ich hoffe ihr Schwager zu werden, gnädige Frau, – eigentlich bin ich’s schon,‛ dann – dann würde sie nichts mehr erwarten, dann würde sie gehen, vielleicht schwer enttäuscht, – aber die Gefahr für ihn würde vorüber sein.

Und – dieser Gedanke gab ihm Mut. Er trat ein; war etwas förmlich – etwas, küßte ihr die Hand, dankte für die treue Fürsorge für sein leibliches Wohl, – ließ Ellen gar nicht zu Wort kommen, mied ihren Blick, sagte dann:

„Liebe gnädige Frau – eine große Überraschung. Ich habe mich gestern mit Ihrer Schwester verlobt.“ –

Nun erst schaute er sie an, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen.

Frau Ellen nickte ernst – ganz Dame. –

„Ich habe mir gedacht, daß es so kommen würde. Hilde hat seit Jahren ja nur von diesem Stiftungsfest geschwärmt. Sie schwärmt sonst für nichts, nie –“ –

Eine lange Pause. –

Ihre Augen fraßen sich immer fester in sein Gesicht ein. Ein Lächeln erschien auf ihrem Antlitz – das Lächeln, das Lächeln der Venus –

Er wollte zur Seite schaun, diese Augen verlieren. Er stand vor ihr, leicht auf einen Stuhl gestützt, gemacht zwanglos.

Und dann ganz leise: „Fredi, hast du mich so schnell vergessen? Hoffst du, nicht je vergessen zu können? –

Du Lieber, großer Tor! Das, was wir beide in so und so vielen Nächten durchlebt haben, das, was wir uns gaben, was ich dir gab – nur dir, diese wilde, jubelnde Seligkeit, diese Küsse, unter denen du erschauertest, – das vergißt du nie, Fredi, nie! –

Du wirst unglücklich werden, wirst eine andere unglücklich machen, wirst eben einsehen – sehr bald, daß nur Frau Ellen deine wahre, große Leidenschaft gewesen.

Und dein und deiner Gattin Zusammenleben wird eine Qual ohne Ende werden, ein stetes Enttäuschtsein nach lauen Liebesnächten, die nur die Sehnsucht – nach mir werden in dir aufflammen lassen. –

So wird es sein, Fredi!“

Sie hatte immer lauter, immer eindringlicher gesprochen. Jetzt erhob sie sich langsam, trat auf ihn zu: „Du lieber Tor. Noch ist es Zeit. Noch kannst du zurück. –

Sieh, ich bin ja nur deinetwegen hergekommen. –

Mir gehörst du – mir! Ich habe dich errungen durch Treuebruch, durch Lügen, durch Heuchelei. Ich opferte für dich das Bewußtsein, eine anständige Frau zu sein. –

Mir gehörst du!! –

Aber – ich – gebe dich frei, Manfred Willberg. Du sollst selbst entscheiden, ob du je glücklich – restlos glücklich werden kannst ohne mich. –

Ich kehre wieder nach Danzig zurück. Meinem Mann werde ich sagen, ich hätte hier keine passende Unterkunft gefunden. –

Nur – einmal küsse mich noch zum Abschied, Fredi. Nur einen Kuß –“ –

Wieder das Lächeln der Venus. Sie legte ihm die Hände leicht auf die Schultern. „Hast du etwa Angst vor mir, Fredi? –

So sieh mich doch an. Du bist so bleich, lieber Tor. Du zitterst ja. –

Küsse mich, Fredi. Wir sind ja so allein; niemand im Haus. Du sahst mir so vertraut aus in dem gestickten Nachthemd.

Weißt du noch, Fredi, – damals, als ich bei dir war – nach dem Theater – bis fünf Uhr morgens – weißt du noch, wie die Maus unter dem Bett in den Dielen knabberte und – du zitterst wirklich, Lieber. Du bist krank. Ich will dich heilen.

Meine Küsse, mein weicher, weißer – heißer Leib sind ein –“

Da – ein Klopfen – – nochmals.

Sie fuhren auseinander. –

Manfred ging fast taumelnd zur Tür, öffnete.

Hilde war’s.

„Ah – du schon hier, Ellen. – Du gestattest, daß ich Manfred erst bräutlich begrüße. Entschuldige ein paar Minuten –“

Sie zog ihn in den Flur, schloß hastig die Tür, zog ihn in den Garten, in die Laube von wildem Wein, setzte sich ihm auf den Schoß.

„Du – du, – sag’ mir nun guten Morgen, Lieber, – recht zärtlich, du. Ich habe mich ja so gesehnt nach dir.“

Frau Ellen stand eine Weile ohne Bewegung. Dann schaute sie sich um, als erwache sie plötzlich.

Ein verstohlener Seufzer; zwei verstohlene Tränen. –

Dann schlich sie hinaus, ging zur Anlegestelle, um heimzufahren.

 

 

5. Kapitel

Wie die Erinnerungen starben

Manfred Willberg saß in der Laube beim Mittagessen. Soeben erst hatte er sich von Hilde getrennt. Und nun dachte er an sie, an ihr seltsames, fast übermütiges Wesen heute, an diese jähe Verwandlung, die mit ihr vorgegangen.

Er hatte befürchtet, sie würde ihn mit Eifersüchteleien quälen. Sie hatte ihm und Ellen doch ansehen müssen, daß sie sehr zur Unzeit – oder besser – gerade noch zur rechten Zeit gekommen war. Und dennoch: Kein Wort hatte sie darüber verloren, daß Ellen bei ihm gewesen – zu so früher Stunde – geradeswegs vom Bahnhof zu ihm. Kein Wort! –

Er wurde nicht klug aus ihr. Gestern hatte sie die Schwester noch gefürchtet, und heute, wo sie argwöhnen konnte, daß allerlei geschehen, daß Ellen vielleicht schon Stunden bei ihm geweilt hätte, – keine Silbe davon! Nur unendlich lieb und zärtlich zu ihm war sie gewesen – unendlich lieb, hatte seine Hand nie losgelassen, hatte so oft geflüstert:

‚Du wirst bald mir ganz allein gehören – sehr bald.‛ –

Dann fand Manfred Ablenkung.

Frau Lore kam. Und setzte sich zu ihm, erzählte, daß sie vormittags bei Herrn Hevelke im Gerichtsgebäude gewesen war und daß er ihr gleich alle Schlüssel mitgegeben hatte, denn sie wollte ja nun seine Wirtschafterin werden.

„Er hat mir ganz gut gefallen – wirklich. Und – die Schüchternheit werde ich ihm schon abgewöhnen.“ Sie lächelte – wie Frauen lächeln, die allerlei Nebengedanken haben, vor denen Philister entsetzt wären.

Willberg geleitete sie dann zu Hevelkes Häuschen, schickte auch einen Jungen zur Anlegestelle nach ihrem Gepäck.

Und Lore fand alles entzücken: die drei Zimmer, die netten Möbel, den Obstgarten, die Erdbeerbeete.

Dann holte Manfred seine Hilfe ab. Sie gingen wieder an den Strand zu gemeinsamer Arbeit. Er trug ihre Staffelei, den Malkasten. Und er erzählte ihr von Hevelkes Wirtschafterin, die den Herrn Schlüchterling vielleicht auch heiraten würde. –

Um vier Uhr nachmittags war Gottlieb Hevelke daheim. Lore hatte den Mittagstisch vorn in der kleinen Veranda gedeckt; hatte Blumen zwischen die Teller gestellt, hatte ihm sein Leibgericht gekocht: Dorsch mit zerlassener Butter.

Gemeinsam aßen sie dann. Und ihr Mund stand nicht still. Sie wußte ihn zu behandeln. Fragte nach seinem Dienst, fragte alles mögliche, lachte ihn heiter an, daß er oft errötete. Dann brachte sie eine Flasche Rotwein herbei: „Wir müssen doch auf gute Freundschaft anstoßen –“

Er mußte trinken – mußte. Und er war’s so gar nicht gewöhnt. –

Lore fragte, wo sie schlafen solle. Er errötete nicht mehr, denn sein Gesicht blühte bereits in allen Farben. –

Sie neckte ihn. Er mußte ihr den Schuh loser schnüren: „Er drückt so,“ klagte sie. –

Und als sie dann das Bett für sie in das Vorderzimmer stellten, als er die Bettwäsche hervorsuchte, da drückte plötzlich der andere Schuh. Sie setzte sich auf den Bettrand, und abermals mußte er vor ihr knien, abermals raffte sie den Rock etwas zu hoch – sehr hoch.

Und plötzlich beugte sie sich da herab, küßte ihn – küßte ihn immer wieder – immer wilder, bis Herr Gottlieb Hevelke in seinem Inneren einen wilden Mut verspürte.

Und als er um sieben Uhr abends dann auf der Dorfstraße Manfred Willberg begegnete, da war er wie ausgewechselt. „Ich war bisher ein Esel,“ meinte er und zwinkerte Manfred vielsagend an. „Tatsächlich – ein Esel! Ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie mich von dieser lächerlichen Scheu vor Weibern befreit haben. –

Morgen bestelle ich das Aufgebot.“

Willberg war platt – geradezu baff! –

„So schnell? Ei – Ei!“

„Ach – lächeln Sie nicht!“ sagte Hevelke ganz stolz. „Was heißt – so schnell?! –

Ich muß einfach – muß, und – ich tu’s gern – ich meine – das Auf–gebot bestellen, – ich muß. –

Kann man wissen, ob – sonst nicht allzu früh ein kleiner Hevelke einpassiert?! –

Nee – das darf nicht sein! Nach außen – alles in Ehren, wenn auch in Wahrheit – na – Sie verstehen mich!“

„Oh ja – natürlich, lieber Hevelke. Ich kann mich ja leider nicht rühmen, nur einmal geliebt zu haben. –

Jedenfalls – viel Glück! –

Wo haben Sie denn Frau Lore einquartiert? Vorderzimmer?“

„Hm – ich wollte es. Aber wir haben das Bett dann doch in die Stube neben meinem Schlafzimmer getragen. Der Ofen dort heizt besser –“

„Ach so – der Ofen! Sie sind mir ein Filou, Hevelke! –

Auf Wiedersehen – Grüßen Sie Frau Lore und vergessen Sie nicht, die Verbindungstür zuzuschließen!“ –

Nach dem Abendbrot saßen Hilde und Manfred am Fluß auf einem umgekippten Boot, sahen den Mond aufsteigen, sahen Wildenden in das Röhricht einfallen, küßten sich, sprachen wenig. –

Morgen wollte Manfred nach der Stadt fahren zu Hildes Eltern. Aber Hilde redete ihm das aus. –

„Noch ein paar Tage wollen wir heimlich glücklich sein,“ meinte sie. „Vielleicht verlangen die Eltern, ich soll als deine Braut nicht mehr allein hier wohnen – der Leute wegen. –

Nein – warten wir bis zum Ablauf deines Urlaubs. Ellen wird schweigen. Ich kenne sie –“

Er fuhr etwas zusammen.

„Ja – weißt du denn, daß ich Ellen bereits gesagt habe, wir hätten uns –“

Sie lachte leise auf, drückte ihm die Hand auf den Mund.

„Still – jetzt nicht fragen, Liebling, – jetzt nicht, – erst nachher – wenn ich zu dir komme – ganz heimlich, wenn alle schläft – wenn der Vollmond in dein Fenster scheint.“

Sie hatte den Kopf tief gesenkt. –

Schweigen.

Dann: „Oder – darf ich nicht kommen?“

Er riß sie an sich, küßte sie. –

Um halb zehn brachte er sie nach ihrer Wohnung.

„Nach einer Stunde hole mich ab,“ hauchte sie als letztes.

Und er ging heim. –

Sie würde kommen! Die Reinheit würde bei ihm eintreten; die sehnsuchtsvolle Liebe langer Jahre wollte ihre Erfüllung haben.

Er plünderte die Rosenstöcke, die Blumenbeete. Er band Sträußchen an die Bettpfosten; streute Blumen vor das Bett.

Und eine Stunde später holte er sie. Ein weiter Mantel, ein breiter Filzhut, ein dichter Schleier machten sie unkenntlich.

Dann stand sie in seinem Vorderzimmer mit gelöstem Haar – in einem farbenfrohen, weiten Kimono. Und in das Haar hatte sie rote Mohnblüten geflochten.

Er zog sie auf seinen Schoß.

„Darf ich nun fragen?“ meinte er und wühlte sein Gesicht in diese Fülle köstlich duftender Strähnen.

„Frage!“ Und ganz eng schmiegte sie sich an seine Brust.

„Woher also weißt du, daß ich Ellen bereits –“

Sie küßte ihn plötzlich. Dann:

„Ich – ich habe – gelauscht. –

Ich fürchtete für unser Glück; lauerte von neun Uhr an der Anlegestelle, sah Ellen, folgte ihr. Und dann – dann bin ich durch das offene Fenster deines Schlafzimmers hineingeklettert – dann habe ich alles gehört – jedes Wort –“

Ihre Stimme war nur noch ein Hauch. –

„Daß – daß Ellen auf die – die Macht über dich hoffte. Daß sie – ein solches Anrecht auf dich hatte, ahnte ich bis dahin nicht. –

Alles hörte ich. Ich merkte, wie du dich wehrtest gegen die Waffen, die sie gebrauchte. Ja, sie erwartete, du würdest schnell unterliegen. –

Ich – ich danke dir, daß du so standhaft warst. –

Sie – sie soll sich täuschen. –

Ich bin ihre Schwester. Du wirst mich – mich nie vergessen lernen, nie – nie, – mich, nur mich! Und alles, was geschehen, wird hier sein wie ein Nichts. Mir sollst du gehören, mir ganz allein. –

Und deshalb – kam ich zu dir. –

Du wirst mich nicht verachten. Ich will dir helfen, daß du überwindest, was eine andere dir an Erinnerungen in die Seele pflanzte. Und es wird mir gelingen. Jahrelang sehne ich mich schon nach dir. –

Soviel Hunger nach Glück, wie in mir wohnt, spürte wohl kaum je ein Weib –“

Er saß einen Moment wie betäubt. –

Er begriff den Kampf, den sie aufgenommen hatte gegenüber, der reifen erfahrenen Frau, die ihm angehört hatte.

Und der ließ Hilde von seinem Schoß gleiten, richtete sie auf, sank dann vor ihr nieder, umklammerte ihre Knie.

Plötzlich spürte er einen feinen Lufthauch.

Ihr Kimono war zu Boden geflattert.

Und das Mondlicht, die breite Strahlenbahn des bläulichweißen Nachtgestirns zeigte ihm einen jungfräulichen, schlanken Körper in einem hauchdünnen, durchsichtigem, silbern glänzenden Gewebe.

Er sprang auf. Seine Arme trugen sie hinüber in das von Blütendüften erfüllte Gemach. –

Am sechsten Tag fuhren sie zu Hildes Eltern.

Der alte Herr Mautner machte ein sehr ernstes Gesicht, sprach von Hildes zarte Gesundheit, der eine lange Verlobung nie gut tun würde; Juristen – das Warten auf die Anstellung!

Da lächelte Manfred ganz übermütig. –

„Jurist bin ich nicht mehr. Ich habe heute meinen Abschied eingereicht. Und – ich besitze eine runde Viertelmillion eigenes Vermögen, Herr Mautner, werde mich nun ganz der Schriftstellerei widmen.“

„Oh – das hätten Sie doch gleich sagen sollen!“ –

Am Abend wurde Verlobung gefeiert. Frau Ellen ließ sich durch Migräne entschuldigen. Auch ihr Mann konnte nicht kommen. Aus der Torfbrikett-GmbH war nun doch etwas geworden – und er ihr Direktor mit sehr hohem Gehalt.

Sein Traum war erfüllt; und er wurde ein reicher Mann. Frau Ellen entbehrte nichts mehr in ihrer Ehe. Als bei Wildbergs der Stammhalter die Wände anschrie, tat bei Bielers ein Mägdelein dasselbe.

Aber bei Manfred Willberg hatte – Hilde gesiegt.

 

 

Schluß!

 

 

Fußnote:

1 Hagelkörner