von
M. Lemcke.
Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.
1. Kapitel
Das Abenteuer der Lady Glane
Maria Steinbrück stieg aus dem Auto, bezahlte die Taxe, gab reichlich Trinkgeld, nickte dem höflich dankenden Chauffeur ein „Sehr gern gegeben – gute Nacht!“ zu, schloß die Haustür des großen, vornehmen Mietspalastes in der Bavariastraße in Berlin W auf und stieg die Treppe mit rauschenden Röcken und leichtfüßig wie immer empor.
Vor der Flurtür des zweiten Stockes machte sie halt. Das Licht der von ihr eingeschalteten Nachtbeleuchtung ließ das große Porzellanschild mit der schwarzen Aufschrift
Fremdenheim von Benzler
matt glänzen und wirkte wie ein schlechter Spiegel. Undeutlich erkannte Maria darin den Oberteil ihres Körpers, den kostbaren Zobelkragen, der leicht um den Hals geschlungen war und darunter den an einem Platinkettchen auf der Brust ruhenden Brillantanhänger in Form eines Sterns. Die wasserklaren Brillanten funkelten und sprühten und erschienen auf dem Porzellanschild wie ein schimmernder Fleck.
Gleich darauf stand Maria in ihrem behaglich warmen Schlafzimmer. Sie hatte den kaminartigen Ofen heizen lassen, obwohl jetzt Mitte Oktober die Tage noch mild und sonnig waren. Sie liebte Wärme genau so wie all den Luxus, mit dem sie sich jetzt umgeben durfte, nachdem ihr strenger Vormund sie bis dahin äußerst knapp gehalten trotz ihrer Millionen. Nun war sie mit achtzehn Jahren trotz des Widerspruchs ihrer Verwandten mündig gesprochen worden. Ihre Eltern hatten dies in ihrem Testament gewünscht, und das hatte den Ausschlag gegeben.
Seit zwei Monaten war sie frei! – Und wie – wie hatte sie sich nach dieser Freiheit gesehnt.
Gleich nach dem kurz hintereinander erfolgten Tod ihrer Eltern war die damals Dreizehnjährige, das einzige Kind des Guts- und Fabrikbesitzers Eugen Steinbrück, von ihrem Vormund, dem Justizrat und Duzfreund ihres Vaters Karl Weiler, nach Gotha in ein Töchterpensionat gegeben worden, das in allerbestem Ruf stand und auch von deutsch-amerikanischen Eltern als Erziehungsstätte sehr bevorzugt wurde. Das Pensionat war überaus streng und von klösterlicher Einfachheit. Maria hatte sich dort nie wohlgefühlt. Sie war von ihren Eltern sehr verwöhnt worden, hatte schon mit dreizehn Jahren ein eigenes Reitpferd, eine ganz leichte Jagdbüchse und auch alles andere besessen, was eine Millionärstochter sich nur wünschen kann.
Der Gegensatz zwischen Elternhaus und dem Pensionat Frau Dr. Riebel in Gotha war so groß gewesen, daß Maria nach einem Monat bereits einen Fluchtversuch gemacht hatte und zwar – als Junge verkleidet. Den hierzu notwendigen Anzug hatte sie sich mit List zu verschaffen gewußt. Aber – sie wurde bald wieder durch die Polizei – bereits nach sechs Stunden – aufgehalten und zu Frau Dr. Riebel zurückgebracht.
Seitdem gab es zwei Menschen, gegen die sie in ihrem eigenwilligen Herzen einen unvernünftigen, jedoch klug verheimlichten Haß hegte: Gegen ihren Vormund und die Frau Doktor.
Endlich – endlich dann die volle Freiheit, die unbeschränkte Verfügung über ihr Vermögen!
Sofort war sie nach Berlin übergesiedelt. Hier im ‚Fremdenheim v. Benzler‛, dessen Inhaberin eine Majorswitwe war, bewohnte sie drei Zimmer nach vorn hinaus. Sie liebte gute Musik, schwärmte für das moderne Theater und besuchte auch oft die Prachtkinos des Westens. Jeden Abend war sie unterwegs. Nach Schluß des Theaters, Konzerts oder Kinos fuhr sie sofort heim. Wollte sie Weinkneipen, elegante Cafées des abends besuchen, bat sie Frau von Benzler um freundliche Begleitung.
So genoß sie sieben Wochen lang ihr Leben in übervollen Zügen. Ihr Vormund hatte schriftlich von Stettin aus gewarnt:
‚Liebe Maria – Mäßigkeit in allem! Sonst verdirbt man sich den Magen, wird übersättigt, blasiert. Gerade bei reichen, alleinstehenden Damen geschieht das leicht –‛
Sie hatte über diesen Brief nur die Achseln gezuckt.
Heute aber auf der Rückfahrt aus dem Deutschen Opernhaus in Charlottenburg hatte sie doch so etwas wie einen leichten Widerwillen gegen dieses zweck- und ziellose Dasein gespürt.
Sollte sich wirklich schon eine Übersättigung bemerkbar machen? Sollte Justizrat Weiler wieder einmal recht behalten? Denn – mochte sie ihn auch hassen, weil er die Jugendjahre ihr verbittert hatte, – ein kluger, lebensweiser Mann war er doch, dabei von großer Herzensgüte, aber auch rücksichtsloser Tragkraft, wo es nottat. –
Maria begann sich langsam zu entkleiden, stellte sich dann vor den großen Ankleidespiegel und betrachtete sich wohlgefällig, dachte mit einem etwas sinnlichen Lächeln:
„Wie nett wir Frauen doch im Mieder, in Seidenhöschen mit Spitzen und durchbrochenen Strümpfen aussehen – zum Anbeißen – wirklich!“
Sie nickte ihrem Spiegelbild zu. „Maria Steinbrück – du bist eigentlich ein recht hübsches Persönchen!“ sagte sie halblaut und lachte perlend. „Mancher möchte dich heiraten – dich und deine Millionen! Aber – wir werden vorsichtig sein! Wir wollen die wahre Liebe kennen lernen! Keinen schalen Aufguß in einer goldenen Kanne – nein – unverfälschten kräftigen Liebestrank!“
Und ihre Gedanken eilten plötzlich nach Gotha zurück in die Klostermauern. Ihre beste Freundin dort war Maud Helbing gewesen, eine Deutschamerikanerin aus Chicago, wo Helbing, einst Schlächtergeselle, jetzt große Fabriken und einen fürstlichen Palast besaß. –
Maud war von den ‚Nonnen‛ der Frau Dr. Riebel fraglos die gefährlichste gewesen. Ihren frommen Augenaufschlag machte ihr keine Äbtissin nach, und keine Siebzehnjährige hat es wohl je so ‚faustdick hinter den Ohren gehabt‛ wie sie. Ihre Eltern hatten sie aus Chicago entfernen müssen, weil sie schon mit fünfzehn an Liebesabenteuern Gefallen fand, über deren näheren und diskretesten Sachverhalt sich das Helbingsche Ehepaar lieber gar nicht den Kopf zerbrach.
Im Pensionat hatte Maud selbst die klügste und gewitzteste der Lehrerinnen zu täuschen verstanden. Man hielt sie für harmlos, denn Helbings hatten sich gehütet, von den Chicagoer Geschichten etwas zu erwähnen.
Ja – für ganz harmlos. Und doch hatte Mauds unruhiges Blut selbst im ‚Kloster‛ es fertiggebracht, mit dem Sohn des Hauswarts der Nachbarvilla, einem flotten Elektrotechniker, so kräftig anzubandeln, daß eines Tages Helbings in Gotha erschienen und Maud, die in letzter Zeit sehr blaß geworden und häufig an Erbrechen litt, mit sich nahmen.
Diese Maud war Marias Busenfreundin gewesen. Nur Maria wußte, daß Maud schleunigst deshalb das Kloster verlassen mußte, weil ihr alle Röcke – zu eng wurden, wußte auch von den nächtlichen Stelldicheins mit Fritz Schaper1, dem Techniker, im Stall auf dem Heuboden und vergaß nie Mauds leichtfertiges Lachen beim Abschied und ihre Worte: ‚Angst vor den Eltern? – Keine Spur! Was können sie mir anhaben?! Verstoßen werden sie mich nicht. Dazu sind sie viel zu vernünftig, zumal ich doch selbst sechs Monate nach ihrer Hochzeit bereits mich einstellte! –
Und – den Fritz heirate ich nachher ganz bestimmt. Ich schreibe dir alles –“ –
An all dies dachte Maria jetzt. –
Ja – Maud hatte Mut gehabt – den Mut zum Genießen. Ach – und wenn sie ihr dann nach den Stelldicheins so genau geschildert hatte, wie toll verliebt ihr Fritz wieder gewesen, dann – dann hatte Maria nur zum Schein sich die Ohren zugehalten und gerufen: ‚Still – ich mag sowas nicht hören!‛ –
In Wirklichkeit war ihr’s stets siedendheiß wie eine Welle flüssigen Feuers über den Leib geriesel, und das Feuer war förmlich in sie hineingekrochen und hatte ihr wilde Träume eingebracht, nach denen sie stets todmüde erwachte. –
Maria schnürte die spitzenbesetzten Seidenhöschen loser, legte das Mieder ab und atmete auf. Dann schlüpfte sie in den blaßlila Morgenrock, der eine Unsumme gekostet hatte, streifte die Halblackschuhe ab, zog die hellblauen Morgenschuhe über, – Haremspantöffelchen nannten sie sie stets. Es war auch echt orientalische Arbeit.
Neben dem Schlafzimmer lag der Musiksalon mit dem neuen Bechsteinflügels, Marias persönlichem Eigentum. Der dritte Raum war ein einfenstriges Damenzimmer, klein, mollig und recht elegant für ein Fremdenheim.
Maria schaltete überall das elektrische Licht ein. Langsam, und doch auch wieder gequält von einer merkwürdigen Unruhe, schritt sie im Musiksalon auf und ab. –
Vielleicht hatte die Erinnerung an Maud sie erregt, vielleicht auch das Theater, wo eine neue Oper mit recht freiem Text und stürmischen Liebesszenen gegeben worden war; vielleicht auch ihre eigenen Gedanken an eine Ehe, an einen Mann, der sie die Liebe lehren würde, nicht die Liebe, wie sie in Durchschnittsromanen geschildert wurde, nein – einen tollen Sinnenrausch, der das Blut bis zum äußersten aufpeitscht.
Denn – danach lechzte sie wie nach einem köstlichen Trank, den man ihr schon jahrelang stets von ferne gezeigt hatte, und dessen kaum spürbare Duftwellen doch bis zu ihr hin gedrungen waren in Gestalt heimlicher Neugier, heimlichen Grübelns über Dinge, die sie erröten machten. –
Maria sah plötzlich einen Brief auf der Platte des kleinen Damenschreibtisches. Bisher war er ihr entgangen; er mußte mit der Abendpost gekommen sein, als sie bereits im Opernhaus war.
Sie erkannte die Anschrift sofort. Von ihrem Onkel mütterlicherseits, dem Herrn Steuerrad Alexander Blümke.
Ach, – Blümkes, auch so ein unangenehmer Stein auf ihrem Lebensweg, etwa wie der Justizrat und die Riebel etwa. Nur daß der Onkel Blümke, der Bruder ihrer Mutter und mit dieser seit langem verfeindet, weil er und seine Familie bei Steinbrücks als geborene Faulenzer und Verschwender, die Schmarotzer hatten spielen wollen, weit – weit gefährlicher war.
Maria schnitt den Briefumschlag denn auch mit leisem Unbehagen auf. Von dort kam ja nie Gutes, und seit sie ihre Mündigkeitserklärung durchgesetzt hatte, herrschte offener Feindschaft.
Maria las:
‚Denke nicht, daß wir den Kampf aufgegeben haben,‛ stand da ohne Anrede. ‚Du bist geistig, insbesondere sittlich unreif und nicht fähig, ohne fremde Leitung dein Leben dir auszubauen. Wir haben die heilige Pflicht, über dich als das einzige Kind meiner frühverstorbenen, teuren Schwester zu wachen –‛
„Ah – welch scheußliche Heuchelei!“ rief Maria angewidert. Und unbewußt hatte sie’s recht laut gerufen und dazu mit dem Fuß aufgestampft.
Kaum waren die Worte verhallt, da – hinter ihr eine Stimme, eine Männerstimme:
„Heuchler sind zu allem fähig. Heuchler sind Lügner mit selbstsüchtigen Absichten, und die Selbstsucht kann zum Verbrechen führen.“
Maria schnellte herum, taumelte halb gegen den Schreibtisch. Schlaff sanken ihr die Arme herab.
Mitten im Zimmer unter der elektrischen Krone stand ein schlanker, etwas über mittelgroßer Mann mit tadellos sitzendem, doppelreihigen, leicht gestreiften graubraunen Jackenanzug – ohne Hut, mit dunkelblondem Scheitel und breiter, eckiger Stirn.
Und unter dieser Stirn begann eine schwarze Seidenmaske, die auch das Kinn bedeckte.
In der Rechten hielt der Unbekannte – und ein neuer Schreck rieselte Maria durch die Glieder – eine mattierte Pistole zwanglos in Brusthöhe.
Er verbeugte sich; und diese Verbeugung war bei aller Höflichkeit doch unnachahmlich lässig-vornehm.
„Ich habe Sie erschreckt, meine Gnädige,“ begann der fremde Eindringling.
Und sofort dachte Maria: ‚Welchen Wohllaut diese Stimme besitzt! Wie angenehm weich und doch ohne Weichlichkeit sie ist!‛
„Es ließ sich leider nicht umgehen,“ fuhr der Fremde fort. „Ich bitte Sie nun, mir einige Minuten Gehör zu schenken. Wenn Sie mir versprechen, nicht um Hilfe zu rufen, so stecke ich diese Waffe, eine amerikanische, lautlos schießende Gaspistole, wieder in die Tasche, und wir können wie bei einem Fünfuhrtee dort an dem japanischen Tischchen in den Korbsesseln Platz nehmen und uns unterhalten. –
Wenn nicht, so werde ich im Notfall von dieser Waffe Gebrauch machen. –
Ich weiß, daß auf dieser Seite des Flurs jetzt nur ihre Zimmer bewohnt und daß Ihre Überwohner verreist sind, während die Herrschaften unter Ihnen sich auf einer Ballfestlichkeit befinden. Bevor Sie also noch genügend Lärm schlagen können, um einen mich gefährdende Hilfe herbeizurufen, würde das Leben einer schönen, jungen Millionärswaise jäh beendet werden.
Ich schieße nie fehl, meine Gnädige. Nie. –
Anderseits: Ich habe zu Ihnen so viel Vertrauen, daß ich unserer Unterredung jeden Anschein eines räuberischen Überfalls zu nehmen bereit bin, wenn Sie mir versichern, keine Torheiten zu begehen. Gleichzeitig gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, Sie ganz als Dame zu behandeln, was mein Verhalten Ihnen gegenüber mit Ausnahme eines Punktes – der Bitte um Geld – anbetrifft. Ich bin ein gebildeter Mensch und kein Verbrecher. Wenn Sie meine Gründe, die mich zu dem Eindringen hier bei Ihnen zwangen, gehört haben, werden Sie mich nicht so verächtlich ansehen wie in diesem Augenblick und nicht denken: ‚Ein gebildeter Mensch? – Ausgeschlossen!‛ –
Und doch bin ich’s.“
Maria maß ihn jetzt voller Erstaunen. „In der Tat, ich habe soeben dasselbe gedacht,“ meinte sie unsicher. Dann überlegte sie. Sie befand sich in seiner Gewalt. Das sah sie ein.
Und – sterben – so sterben – jetzt schon? Niemals!
Sie war in vielem ganz die Tochter Eugen Steinbrücks, der noch vor fünfzehn Jahren eine Schlosserwerkstatt besessen und dann durch eine Erfindung mit Riesenschritten sich hochgearbeitet hatte. Sie besaß seine zielbewußte Energie, aber auch seine Nachsicht mit den Schwächen anderer.
„Gut denn,“ sagte sie jetzt kurz und bestimmt. „Ich gebe Ihnen das geforderte Versprechen.“
Wieder eine tadellose Verbeugung.
„Ich danke Ihnen.“
Er schob die Waffe in die Brusttasche.
Dann hatte sie die elektrische Krone ausgeschaltet, hatte auf dem japanischen Teetischchen die hohe Stehlampe mit dem gelben Seidenschirm angedreht, Likör und auch die Teemaschine bereitgestellt – wie eine junge Hausfrau. Sie tat all das freilich mit nervöser Hast zuerst. Aber das Vergnügen an diesem Abenteuer hatte doch ihre Angst bereits etwas beschwichtigt. Nur die Nähe dieses rätselhaften Mannes da machte sie verwirrt, der mit seinen schmalen, wohlgepflegten Händen ihr die Teetäßchen abnahm, der ihr half, die Sachen auf dem Tisch zierlich zu ordnen, der jetzt die Flamme unter der Teemaschine anzündete und dies alles mit der Sicherheit eines, dessen Umgangskreis eng gezogen, aber der allerbeste sein mußte.
Nun war alles bereit. Maria setzte sich ihm gegenüber. Der milde Lichtschein der Lampe traf beide Gestalten mit warmer Helle. –
Da – ein Gedanke in sprang Marias Hirn auf, eine Erinnerung an einem Roman, den ihr Maud einst heimlich geliehen. Ein englischer Roman war’s gewesen; Titel: Die Abenteuer der Lady – aber, welcher Lady? Den Namen hatte sie vergessen. Nur daran erinnerte sie sich ganz genau: Die Lady war im Bett von einem jungen, eleganten Einbrecher überrascht worden, der sie mit dem Revolver gezwungen hatte, für eine Nacht seine Geliebte zu sein! Ein Kind war die Folge, und dieses Kind spielte in den ferneren Verwicklungen eine große Rolle, während die Lady den Vater ihres Kindes fortan mit Verachtung strafte.
An dieses Buch dachte Maria Steinbrück jetzt, als sie sich gerade gesetzt hatte. Sie hatte es sich neulich erst gekauft. Er stand nun in ihrem Bücherschrank. –
Ihr Blick war unwillkürlich dorthin geeilt – nur eine Sekunde.
Aber – er hatte dem Mann ihr gegenüber genügt, sofort ihre Gedanken zu enträtseln.
„Das Abenteuer der Lady Glane,“ sagte er leise. Seine durch die Maskenlöcher hindurchschillernden Augen ruhten dabei fest auf Maria. „Nicht wahr, Sie haben soeben an diesen Roman sich erinnert. – Es liegt so nahe. Entfernte Ähnlichkeit hat dieses Abenteuer, Ihr Abenteuer, ja freilich mit dem dieser unmöglichen Romanfigur – ganz entfernte.“
Maria wurde feuerrot vor Verlegenheit. Hätte der Mann dort nicht eine Maske getragen, die ihr sein Gesicht verbarg, so wäre sie vor Scham hinausgestürzt. –
Ein Glück, daß sie sein Gesicht nicht sah.
Da sprach er schon weiter. „Halten Sie diese Bemerkung von mir nicht für taktlos, meine Gnädige. Ich belächele Prüderie. Wir modernen Menschen machen noch immer viel zu viel Wesens von den engsten Beziehungen zwischen Mann und Weib, indem wir so tun, als ob wir von alledem nichts wüßten.
Das scheint ein Widerspruch zu sein und ist es doch nicht. Unausgesprochenes wirkt in uns oft nachhaltiger als Worte und Sätze, die wir hören. –
Doch, genug davon. –
Sie gestatten, daß ich eine Zigarette nehme. Ich bin leidenschaftlicher Raucher.“
2. Kapitel
„Wer bist du?“
Er bies die ersten Rauchringe schweigend in die Luft.
Maria wußte jetzt: Das ist ein gebildeter Mann und zwar einer, der über dem Durchschnitt steht; mag sein, nach der Seite des Schlechten, also eine Abenteurernatur vielleicht.
„Meinen Namen und Beruf muß ich natürlich verschweigen,“ begann er nun, sich mehr zurücklehnend und die Beine zwanglos übereinander legend. –
Er trug Halblackschuhe und grünseidene Strümpfe, wie Maria jetzt noch feststellte. –
„Ich stamme aus guter, aber vollständig verarmten Familie. Diese Verarmung ist die Schuld eines in den Männern meiner Sippe allzu regen Genußhungers und einer allzu geringen Arbeitsfreudigkeit, mit der leider noch veraltete Anschauungen Hand in Hand gingen. Ich als erster suchte mich den heutigen Verhältnissen anzupassen. Ich nehme jetzt eine geachtete Stellung ein.
Doch gestern nun führte mich ein unseliger Zufall in einen Klub, in dem sehr hoch gespielt wurde. Und – zu meinem Unglück trug ich achtzigtausend Mark bei mir, die nicht mir gehörten. Ich handelte wie ein unreifer Knabe: Ich verspielte das Geld. Morgen vormittag muß ich es zurückerstatten. Da mir niemand diese Summe leihen würde, hätte ich mich entweder erschießen oder als – Defraudant2 fliehen müssen. –
Ich wählte ein drittes; ich schlich mich hier bei Ihnen ein, lag in Ihrem Schlafzimmer unter dem Bett und wartete –“
Wieder wurde Maria blutrot. Sie – sie hatte ja nach ihrer Heimkehr dort im Schlafzimmer so manches getan, was – was nicht ganz geräuschlos abzumachen gewesen.
Er sprach ohne Pause weiter. „– wartete auf Sie, meine Gnädige, in der Hoffnung, daß Sie mir helfen würden. Ich bitte Sie also um ein Darlehen von achtzigtausend Mark. Ich werde es Ihnen bestimmt zurückerstatten, wenn auch langsam.
Nie wieder werde ich hasardieren. Ich habe Lehrgeld gezahlt. Und – ich bin nicht der Mann, denselben Fehler zweimal zu begehen. –
So, nun wissen Sie Bescheid, meine Gnädige.“
Maria richtete sich etwas auf.
„Und wenn ich mich weigere?“
„Dann – nehme ich mit Gewalt, was ich brauche. Sie besitzen Schmuck, der etwa eine Viertelmillion Wert sein dürfte. Ich würde Sie fesseln, knebeln und – wir würden als Feinde scheiden. –
Wozu das? Was macht es Ihnen aus, achtzigtausend Mark zu opfern?!“
Maria glaubte ihm nicht. Sie konnte diesen Mann, der ein so betörend weiches Stimmorgan besaß, keine Brutalität zutrauen. –
Sie lächelte jetzt, schüttelte den Kopf.
„Mich fesseln? Mich knebeln? – Oh – das reden Sie nur, um mich einzuschüchtern.“
Wie ein Blitz war er da hochgeschnellt, hatte ihre Handgelenke umspannt, mit seinem seidenen Taschentuch umknotet, stand nun tief über sie gebeugt da, flüsterte:
„Genügt der Beweis?“
Maria war wie gelähmt. Sein Gesicht, die Maske und die dunklen Augen, befanden sich dicht vor ihr. Seine Knie berührten die ihren. Seine Rechte lag auf ihrer Schulter.
Maria faßte sich schnell. Der erste Schreck schwand. Ein anderes Empfinden wurde in ihr rege: Ein ganz klein wenig Lüsternheit.
„Ich denke, Sie wollten mich als Dame behandeln,“ meinte sie leise und sah ihm in die Augen, bekam den Blick dann nicht mehr los von diesen schillernden Pupillen, die ihr immer näher rückten.
„Gewiß – den einen Punkt ausgenommen: Wenn Sie mich zur Gewaltanwendung zwingen,“ flüsterte er zurück.
Seine Nähe wirkte immer mehr. Die körperliche Berührung weckte immer stärker das Weib in Maria Steinbrück.
Und – sie war Weib! Ihre Sinne waren vielleicht durch den Übergenuß der Freiheit besonders reizbar geworden.
Sie lächelte plötzlich ein Sirenenlächeln. –
„Sie sollen alles haben,“ sagte sie, und wieder ran es ihr so heiß über den jungen Leib.
Seine Blicke ließen ihre Augen nicht los.
„Alles – alles?“
„– Ja – alles –“
Er machte ihre Hände frei, setzte sich wieder, sagte:
„Dann bitte um einen Scheck für die Deutsche Bank, die Ihr Barvermögen verwaltet, natürlich auch die mündliche Zusicherungen, daß Sie nicht etwa der Polizei Meldung erstatten.“
Sie war enttäuscht – weil er so ganz vornehmer Gast blieb.
„Ich werde Sie nie anzeigen,“ erwiderte sie, ging zum Schreibtisch und füllte nach kurzem Nachtsinnen den Scheck über einhundertfünfzigtausend Mark aus, faltete ihn zusammen, reichte ihn ihm und setzte sich wieder.
Er hatte das wertvolle Stück Papier achtlos in die Tasche geschoben, küßte ihr nun die Hand.
„Ich danke Ihnen, Maria Steinbrück. Sie haben einen Menschen gerettet, der es – vielleicht verdient –“
Sie schenkte schnell die Teetassen voll, denn sie merkte, daß er sich verabschieden wollte. Und – das mußte verhindert werden.
Abenteuer der Lady Glane! –
Der Gedanke wurde immer reger in ihr. Die Stimme ihres Gegenübers hatte es ihr angetan. Sie sagte sich: Sein Gesicht muß dieser Stimme entsprechen, kann jedenfalls nicht abstoßend häßlich sein.
„Darf ich Ihnen Gebäck anbieten?“ fragte sie. –
Er verneigte sich. „Sehr liebenswürdig. Ich spüre wirklich so etwas wie Hunger.“ –
Sie kamen ins Plaudern. Maria vergaß immer mehr das seltsame dieser nächtlichen Teestunde. Sie hatte bisher so gut wie gar keine Herren kennen gelernt; hier im Fremdenheim ein paar Ausländer und durch Frau von Benzler zwei Offiziere, die ihr fortan ziemlich aufdringlich den Hof gemacht hatten – das heißt: ihren Millionen!
Dieser Unbekannte war der erste Mann, mit dem sie sich zwanglos unterhielt und der im Alter zu ihr paßte, obwohl sie ja nur schwer schätzen konnte, wie alt er sein mochte. Doch sie glaubte: Etwa dreißig. Jünger bestimmt nicht. Dazu war er zu welterfahren, zu gemessen.
Plötzlich sah er nach der Uhr. „Halb eins durch. – So leid es mir tut, – ich muß jetzt gehen,“ meinte er, trank die Teetasse leer, erhob sich und fuhr fort: „Hut und Mantel liegen noch unter Ihrem Bett. Vielleicht lassen Sie mich die Treppe hinunter, leihen mir Ihren Hausschlüssel. Ich schicke ihn Ihnen morgen, nein heute vormittag unauffällig wieder zu.
Denselben Weg wie vorhin möchte ich doch nicht wieder machen – über die Dächer. Ich will mich nicht unnötig der Gefahr aussetzen, abgefaßt zu werden.“
Er verbeugte sich leicht, „Ich hole nur meine Sachen, bin sofort wieder zurück.“ schritt der Schlafzimmertür zu, öffnete diese und – sah Maria plötzlich neben sich.
„Bitte,“ sagte sie leise mit gesenktem Kopf und vibrierender Stimme, machte eine einladende Handbewegung und ließ ihn vorangehen. Sie folgt ihm, setzte sich auf den Diwan, der am Fußende des Bettes stand.
Er kniete nieder, zog Hut und Lodenmantel hervor, legte den Hut auf den Stuhl vor dem Frisiertisch und wollte den Mantel überziehen.
Maria war schnell an die Tür geeilt, drückte sie zu, schaltete die Deckenampel aus.
Dunkelheit. –
Er hörte das Klirren der Sprungfedern des Diwans, warf den Mantel aufs Geratewohl von sich, tastete sich nach dem mit einem imitierten Eisbärfell bedeckten Ruhebett hin. Seine Hände streiften Marias feste Brust, stellten fest, daß sie sich lang auf den Diwan ausgestreckt hatte.
„Maria,“ flüsterte er, „darf ich in Ihnen mehr sehen als nur die Dame: – Ein Weib – ein begehrenswertes Weib?“
Zwei Arme umschlangen ihn, zogen ihn tiefer.
Er riß die Maske ab – und dann küßte er diese zweite Lady Glane, die – sich ihm aber freiwillig hingab, sich kaum wehrte, die dann im Höhepunkt ihre Zähne so fest in seine Wange vergrub, daß er vor Schmerz zusammenzuckte.
Zwei Stunden später.
An ihn geschmiegt lag sie in den weichen Kissen des Bettes, flehte immer wieder: „Sag’ mir, wer du bist. – Sei barmherzig. Ich werde dich ja nie vergessen können – nie! Ich will dich auch nicht vergessen. Du sollst mein sein für immer –“
Sie weinte. Und die graue Finsternis lagerte noch immer über dem Zimmer; noch immer hatte sie sein Gesicht nicht gesehen.
Er blieb fest. Aber er hatte für sie schnell einen Kosenamen gefunden.
„Süßes,“ sagte er, – „es darf nicht sein – darf nicht! Quäle mich nicht. Verdirb uns doch nicht diese köstlichen Stunden durch einen tränenvollen Abschied. Bilde dir nachher ein, du hättest nur geträumt –“
Sie schluchzte noch immer, als er sich bereits ankleidete, bei Licht mit der Maske vor dem Gesicht. –
Er küßte sie zum letzten Mal.
„Leb wohl, Süßes. Ich wünschte, ich könnte dein werden! Aber – Hindernisse stehen zwischen uns, die turmhoch sind –“
Er eilte schnell hinaus. Er hatte jetzt ihre Schlüssel mit, und unangefochten gelangte er auf die Straße.
Maria lag eine Weile regungslos. Dann verließ sie das wild zerwühlte Lager, zog den Morgenrock über.
Ihr Blick fiel auf den Frisiertisch. Dort lag – eine Pistole auf einem Blatt Papier.
Es war – der Scheck. Und – die Pistole war eine mit Konfekt gefüllte Attrappe aus Blech.
Maria starrte auf den Scheck. Kein Zweifel: Er hatte ihn absichtlich zurückgelassen – auch die Pistole! –
Aber – was bedeutete das alles, was – was nur?
Unruhige Gedanken scheuchten sie durch die Zimmer. Langsam schritt sie auf und ab, grübelnd, wie verstört. –
Was bedeutete dieses Abenteuer in aller Welt? – Was?
Da – ein Stutzen. Sie erblickte den Brief des heuchlerischen Onkels.
Ihre Knie zitterten plötzlich kraftlos, in ihrem Kopf regte sich ein furchtbarer Argwohn:
‚Man hat ihr eine Falle gestellt! Dieser Mann war ein von Blümkes bezahltes Subjekt!‛
Sie wankte nach dem Teetisch hin, fiel matt in einen Sessel. Und sie schlug die Hände vors Gesicht, weinte lautlos: Aber ihr Körper bebte dabei wie vom Frost geschüttelt.
Betrogen – beschmutzt – entehrt – durch einen Elenden – einen Komödianten!
3. Kapitel
Der Verein ‚Meschugge‛
In einer Seitenstraße der Tauentzien liegt eine kleine Weinkneipe, so ein Rest Gemütlichkeit aus alten Zeiten. Dort tagte seit Jahren in einer Ecke an einem runden, mächtigen Tisch der Verein ‚Meschugge‛.
Es war ein Verein ohne Statuten, ohne Beiträge. Aber doch ein so exklusiver Kreis, daß man dort erst Eingang fand, wenn man – ein Gesellenstück abgelegt hatte.
Die achtzehn ‚Meschugge‛–Leute blieben stets achtzehn. Nur wenn einer von ihnen starb oder Berlin für immer verließ, wurde ein Neuer aufgenommen. Und stets hatte man dann die Wahl zwischen einigen zwanzig Herren der verschiedensten Berufsstände.
Letztens war nun der zweiundsiebzigjährige Landgerichtsrat Wedekind gestorben. Er war vielleicht der größte Sonderling unter all den ‚Meschugge‛–Leuten gewesen, die doch alle diesen oder jenen ‚Knax‛ weghatten, – aber alles ‚Knackse‛, die mehr auf das Gebiet des Genial-Großzügigen hinüberspielten. Man hatte lange beraten, wer von den Anwärtern zum Gesellenstück zugelassen werden sollte. Prof. Bernhardi, der bekannte Gerichtsarzt, hatte dann durchgesetzt, daß der Schriftsteller Dr. Heinz Wild als erster Bewerber sich melden dürfe.
Und Wild hatte dann gestern abend den ‚Meschugge‛-Leuten mitgeteilt, was er unternehmen wolle, um seine Würdigkeit als Mitglied der Tafelrunde zu beweisen.
Heinz Wild war in kurzem durch seine Skizzen und Erzählungen bekannt geworden, die die Arbeiten Allan Poes, des Schilderers grausiger und geheimnisvoller Geschehnisse, noch bei weitem an unglaublichem Phantasiereichtum übertrafen. Außerdem gab Wild seinen Geisteserzeugnissen insofern noch eine persönliche Note, als er stets in ihnen graziös zweideutig wurde und unerbittlich die Geißel über alle Mucker schwang
Wilds selbst ersonnenes Gesellenstück zeichnete sich denn auch durch eine Originalität aus, die selbst den ‚Meschugge‛-Leuten imponierte. Er hatte auf sein Wort versichert, die betreffende Person, die bei seiner Idee die andere Rolle spielte, persönlich nicht zu kennen, und sich verpflichtet, sein Ziel auf dieselbe Weise zu erreichen, wie er es dem Stammtisch dargestellt.
Das war gestern abend gewesen. Und nun saßen die ‚Meschugge‛-Leute und warteten auf den Ausgang dieses Wagnisses. Soeben hatte der Ingenieur Hallerström geäußert: „Wir hätten es nicht dulden sollen! Der Wild kann in Teufelsküche dabei geraten. Es ist jetzt fast drei Uhr morgens. Er hätte längst hier sein müssen.“
Der dicke Friesvorhang, der den ‚Meschugge‛-Tisch wie ein Zelt umgab, wurde zurückgeschlagen.
Dr. Wild verbeugte sich.
„Guten Abend. – Es tut mir leid, meine Herren, Ihnen melden zu müssen, daß die Geschichte total vorbeigeglückt ist. Die Ausführung war für mich unmöglich. Ich habe mich überschätzt. Ich hoffte durch tadelloses Benehmen Mitleid zu erwecken und so den Scheck zu erhalten. –
Nun, jedenfalls bin ich bei der Prüfung durchgefallen. Die Einzelheiten behalte ich für mich. Sie sind sehr lehrreich für einen Schriftsteller. –
Ich bin müde und gestatte mir, mich sofort wieder zu verabschieden.“
„Halt!“ rief Bernhardi. „Ich komme mit. Ich habe eine Sektion am Vormittag. – ‛n Abend allerseits.“
Der Professor, der es schon mit vierunddreißig Jahren infolge hervorragender Neuerungen auf dem Gebiet der gerichtlichen Medizin zu diesem Titel gebracht hatte, hakte sich in Wilds Arm ein und sagte:
„Du, Heinz, – du hast soeben geschwindelt. Ich kenne dich. Du und Mißerfolg – ausgeschlossen! –
Ich habe auch sehr gute Augen. Auf der rechten Wange nahe dem Hals hast du eine ganz frische – Bißstelle. Ich möchte wetten, daß Frauenzähnchen hier Raubtier gespielt haben. –
Mein Junge – dein Abenteuer scheint etwas diskret geendet zu haben –“
Heinz Wild schwieg beharrlich. –
„Na – dein Verstummen sagt genug,“ meinte Bernhardi. „Junge, Junge, – hoffentlich hast du kein Unheil angerichtet!“
Wild blieb stehen, schaute den Professor finster an. „Der Teufel hol’ euren ganzen Stammtisch,“ platzte er heraus. Die ganze Idee war an sich schon Wahnwitz, ein bodenloser Leichtsinn! Und – das Ende ist – Tragik!“
Bernhardi genügten diese Andeutungen. „Du hättest fest bleiben sollen, Heinz,“ meinte er leise und ging weiter. „Ich kenne ja den unheilvollen Einfluß deiner Stimme auf Frauen. Auch deine – vermaledeite Verlobung wäre ohne diese Stimme unterblieben!“
Wild lachte bitter auf. „Fest bleiben! – Du weißt ja nicht, wen ich überfallen wollte – mit der Schokoladenpistole! – Wen! –
Aber – ich wußte es. Ich kannte sie seit drei Wochen von Ansehen, bin immer um sie herumgeschlichen wie ein Ritter Toggenburg. Ach – sie ist von so pikantem Reiz für Kenner! Sie hat so wundervolle braune Augen, so köstliches aschblondes Haar. Und – sie ist trotz ihres Reichtums noch so weltfremd.“
„Eine Witwe?“ fragte Bernhardi. Und fügte hinzu: „Sehr wahrscheinlich doch. –
Aber ich will nicht in dich dringen. –
Hoffentlich wird die ‚Tragik‛ schnell vergessen werden – auch von ihrer Seite. –
Du heiratest ja in ein paar Tagen. Das wird dich ablenken.“
Wieder blieb Wild stehen.
„Karl, wenn – wenn nicht der ganze Hochzeitsrummel schon vorbereitet wäre, – ich würde Erika freigeben der – Anderen wegen, die mich heute so gezeichnet hat.“ Und er strich mit der Hand wie liebkosend über die rote Bißstelle hin.
„Frische Erinnerung an Sinnenrausch. Sie wird schwinden!“ tröstete der Professor.
Aber Heinz Wild meinte ernst: „Bedenke: Drei Wochen habe ich sie bereits heimlich verfolgt. Und als ich ihr dann an einem zierlichen Teetisch gegenübersaß, da schon titulierte ich mich einen – verrückten Lumpen. Denn – eine Lumperei war die ganze Sache. Wenn ‚sie‛ nicht so gute Nerven gehabt hätte, würde sie bei meinem Anblick vielleicht Schreikrämpfe bekommen haben oder in Ohnmacht gefallen sein. –
Und nun – nun wird auch sie mich nicht vergessen, wird unglücklich werden. – Ich habe das Weib in ihr geweckt.
Und – was für ein köstliches Weib ist sie. Anders als es mir Erika sein wird mit ihrer spielerischen Art, ihrem Mangel an wahrem Temperament –“
„Die sorgenlose Zukunft, weite Reisen, die eigene Villa in Wannsee werden dich entschädigen.“
„Hör’ auf! – Was weißt du fischblütiger Gesell von Liebe! Nichts! Glücklich ihr, denen Mutter Natur bei der Verteilung ihrer Gaben nur so wenig heiße Sinne mitgegeben! Ich beneide euch. Wir anderen – wir werden in einer kühl-wohltemperierten Ehe unglücklich – müssen es werden! –
Und wenn mir Erika damals nicht um den Hals geflogen und ausgerechnet gerade noch die Kommerzienrätin hinzugekommen wäre, – nie hätte ich mich mit diesem vielbegehrten Goldfischlein verlobt – nie! Sie heiratet ja nur mein bißchen Berühmtheit, heiratet den Modeschriftsteller – nicht den Menschen Heinz Wild. –
Genug davon. –
Gute Nacht, Karl. Ich muß allein sein. Ich will noch durch die Straßen wandern, will nochmals in Gedanken genießen, was sie mir schenkte – so überreichlich, daß ich’s nicht wegwischen kann wie etwa ein paar welke Rosenblätter vom Tisch unserer Erinnerung –“
Sie drücken sich die Hand, trennten sich.
4. Kapitel
Eine feine Familie
Die Großstadtfriseuse ist zumeist die halbe Vertraute derer, die bei ihr abonniert sind. –
So war es auch bei Claire Blümke der Fall, die notgedrungen etwas hatte ergreifen müssen, um ihrem Hang nach Putz frönen zu können.
Claire war ohne Frage das hübscheste, raffinierteste und gewissenloseste der drei Kinder des Steuerrats a.D. Alexander Blümke. Die Älteste, Anna, war ja überhaupt ganz aus der Art geschlagen, gehörte gar nicht recht in diese Familie hinein. Und Arthur Blümke wieder, der einundzwanzigjährige Student, hatte sich bereits, dem Beispiel des Vaters folgend, sein bißchen Verstand allzu sehr mit Alkohol durchtränkt, um für schlau gelten zu können. Immerhin besaß er Fähigkeiten, die ihn zu einem leidlich brauchbaren Werkzeug Claires machten, so besonders eine kaltblütige Frechheit, die mit seiner Verlogenheit sich die Wage hielt. –
Sieben Uhr morgens in der aus fünf Zimmern bestehenden Blümkeschen Wohnung, die in einer dunklen Gasse unweit des Bahnhofs Zoologischer Garten lag. –
Der Herr Rat kehrte heim; schwer geladen wie immer – in seliger Stimmung, denn im Suff war er ein Engel, nur nüchtern ein gefährliches Reptil.
Claire hörte ihn, wie er im Flur laut sang, kam im Hemd aus ihrer Stube, fuhr ihn grob an und bugsierte ihn ins eheliche Schlafgemach, wo seine Gattin ihn mit den zärtlichsten Ausdrücken wie ‚besoffenes Schwein – alter Liedrian‛ und ähnliche sowie mit Püffen und Stößen empfing, die er nur mit einem grunzenden „Nu – nu – immer jemütlich!“ beantwortete, bis er in Kleidern auf sein Bett sank, einschlief und bis zwölf Uhr mittags dann Ruhe hatte vor seinen Weibern.
Claire hatte ihres Bruders Zimmertür geöffnet und hineingeschaut. Wütend schmetterte sie die Tür wieder zu. Er war noch nicht zu Hause – noch nicht!
Claire ging zurück in ihre Stube. Sie bewohnte sie mit Anna gemeinsam. Diese war bereits fertig angezogen, ging in die Küche, wärmte sich Kaffee, frühstückte und machte sich zum Gang nach dem Geschäft fertig, wo sie Buchhalterin war. Gerade als sie das Haus verließ, kam ein Auto vorgefahren. Ihm entstieg der Herr Studiosus, der schon lange kein Studiosus mehr war, da er die Kollegiengelder regelmäßig durchbrachte. Die Seinen wußte er freilich bei dem Glauben zu erhalten, daß er eifrig die medizinischen Kollegs und die Kliniken besuche.
Ohne Gruß schritt er an Anna vorüber. Die beiden wechselten nie mehr ein Wort.
Anna Blümke begegnete dann wie immer an der Gedächtniskirche dem blonden Oberlehrer Hubert Heister, einer Zufallsbekanntschaft, die zu einer aufrichtigen Freundschaft geführt hatte. Gemeinsam setzten sie den Weg fort. Dr. Heister, ein etwas kurzsichtiger, weltfremder und in Liebessachen gänzlich unerfahrener Gelehrter, sah in Annas Augen Tränen blinken.
„Schon wieder häusliches Ungemach?“ fragte er scheu. Er ahnte ja nicht, wie es bei Blümkes zuging.
Anna würgte ein Schluchzen hinab. „Ich – ich kann dies alles nicht länger ertragen,“ stöhnte sie auf. „Ich gehe zu Grunde dabei. Ich muß fort aus dieser Umgebung. Ich miete mir eine Dachkammer. Nur allein will ich sein!“
Er zupfte nervös an seinem Schnurrbart.
„Hm, – ein Vorschlag, Fräulein Anna,“ brachte er dann stotternd heraus. „Ich – ich habe gestern meine Wirtschafterin wegen Unredlichkeiten entlassen. Nehmen Sie deren Stelle ein, Fräulein Anna. Ich zahle Ihnen gern hundert Mark Gehalt bei völlig freiem Unterhalt. –
Überlegen Sie sich’s. Sagen Sie nicht gleich nein. –
Auf Wiedersehen morgen früh. Ich muß hier ja leider abbiegen.“
Anna wanderte in Gedanken versunken weiter.
Daheim saß Arthur in Claires Stube, grinste und beobachtete die Schwester, die sich sehr ungeniert vor ihm wusch und das Hemd weit hinuntergestreift hatte, so daß er vorhin anerkennend gesagt hatte:
„Donnerwetter, dein oller Palästinaemigrant kriegt was zum – ‚begreifen‛, wenn’s zwischen euch erst so weit ist. –
Wie steht die Sache denn?“
Worauf Claire mit einem koketten Auflachen geantwortet hatte: „Ich hab’ ihn bald soweit. Wenn er mir für ein Jahr – ‚Gehalt‛ vorausgezahlt hat, dann – na, viel wird der Fettkloß mir ja nicht anhaben!“
Jetzt wandte Claire sich dem Bruder zu, trocknete die üppigen Brüste ab und meinte:
„Leg’ endlich los, du. Dein Grinsen sagt gar nichts.“
Arthurchen saß auf dem Bettrand, erzählte jetzt, daß er unglaublichem Dusel gehabt hätte.
„Die Nachschlüssel paßten tadellos. Ich kam ganz ungehindert ins Haus und auf den Balkon vor ihrem Musiksalon. Die Balkontür lehnte ich nur an. Und die Vorhänge ordnete ich so, daß ich hindurchsehen konnte. –
Dann verschwanden sie im Schlafzimmer. Ich habe dessen Tür leise aufgeklinkt, gelauscht. –
Sie lagen im Bett. Ich kann’s jeder Zeit beschwören.“
Claire saß aufrecht da. Ihr schwarzes Haar hing ihr wirr um das Gesicht.
„Weiter, Arthurchen, – weiter!“
„Nach – so nach zwei Stunden ging er dann wieder weg. –
Eine ganz dolle Sache, nicht wahr? Aber die Hauptsache: Meine lange Spioniererei hat Erfolg gehabt. Nu haben wir jleich zwee Fischlein an ‛n Haken, denn ‚Er‛ ist ja fraglos der Schriftsteller Wild, der immer so um sie heimlich rum war – auf der Straße, im Theater, im Kino, – und der patente Heinz Wild ist doch der Verlobte der Erika Müllerhof, deiner Kundin. –
Claire, Mädchen – so wahr du zu schade für den von Samuelsohn bist: Aus dem Abenteuer dieser Nacht schlagen wir ‛ne Millionen raus! Die keusche Cousine muß bluten, daß ihr die Augen tränen, und der Wild muß auch bluten, sonst – erlebt Berlin W wieder mal ein hochfeines Skandälchen.“
Er umfaßte Claire, preßte sie an sich.
Ihr war es recht. –
Vor ihren Augen tanzte nur in feurigen Buchstaben das Wort ‚Million‛! –
Geld – Reichtum, nur danach sehnte sie sich! Aber sie war nebenbei auch ehrgeizig. Gerade weil sie das Kind eines Beamten war, der einst an seinem Amtssitz eine leidlich geachtete Stellung eingenommen hatte, bis eben seine Bestechlichkeit und seine fein verdeckten Schiebungen an den Tag kamen, bis seine Frau aus Verzweiflung und Scham Morphinistin wurde und schnell mit hineingezogen wurde in den Sumpf der Leichtfertigkeit, Gewissenlosigkeit und des völligen moralischen Verfalls, – gerade weil Claire als Kind in besseren Kreisen verkehrt hatte, lebte in ihr neben aller Oberflächlichkeit ein freilich nicht allzu hoch zu bewertendes Streben, mit Hilfe einer ‚Standesehe‛, und wenn sie sich diesen Gattin erkaufen müßte, auch eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Nachdem Arthurchen der Schwester Schönheit genügend bewundert hatte, begann das Paar Pläne zu schmieden.
„Wenn der Olle ausjenüchtert is, muß er zu der teuren Cousine hin,“ meinte der Herr Studiosus. „Was er zu sagen hat, drillst du ihm jehörig ein, Claireken. Er sieht im Bratenrock und im nüchternen Zustand noch immer wie ‛ne Exzellenz aus und versteht sich auf den richtigen Ton besser als wir. Mit uns geht zu leicht das Temperament durch. Nachher, wenn’s Bezahlen beginnt, setzen wir ‛n ständig unter Fusel, damit er nicht etwa den Löwenanteil für sich behält. Und die Olle kann von mir aus im Morphium schwelgen. Unter uns, Claireken; ich handele so ‛n bißken mit det schöne Jift! –
Du wirst ja nicht drüber quatschen. Ich – fälsche Rezepte und hole darauf aus den Vorstadtapotheken ‛ne ganze Menge. Ja – die Medizinstudiererei bringt doch was ein –“
„Du bist schon ‛n Geriebener!“ Claire nickte ihm zu. „Das hätt’ ich dir gar nicht zugetraut –“
„Na – janz so fuselvertrottelt, wie du denkst, bin ich denn doch noch nich, nee, meine Liebe. Der Dr. Wild soll’s merken, wenn ich im anzapfe! Denn den nehme ich auf mich!“!
An demselben Tag mittags zwei Uhr. –
Das Stubenmädchen des Fremdenheims überbrachte Maria, die gerade am Flügel saß und Philipp Eulenburgs Rosenlieder mit halber Stimme sang, eine Karte. –
Maria hatte, während die sehnsüchtigen, weichen Klänge sie umrauschten, immer nur an ihn gedacht, – ihn, den sie vielleicht niemals wiedersah. Und, wenn sie ihn sah, würde sie ihn nicht erkennen. Nur seine Stimme, die würde sie heraushören aus hunderten! Doch – würde ein Zufall ihr wirklich diesen Mann je so nahe bringen, daß die Stimme ihr Ohr erreichte?
Schwere Tropfen perlten auf die Tasten. –
Und dann erwachten auch jäh wieder die Zweifel, die sie in der verflossenen Nacht mit so viel Mühe verscheucht hatte. Nein – er konnte kein Elender sein, der im Auftrag anderer gehandelt hatte!
Er nicht! – Niemals! –
Immer aufs neue hatte sie sich dies wiederholt, hatte sich all seine zärtlichen Worte ins Gedächtnis zurückgerufen, hatte daraus die Überzeugung geschöpft: Das war ein starkes, echtes Gefühl – keine Heuchelei!
Und trotz allem: Der Verdacht war nun doch wieder aufgelebt. – Maria fand sich nicht mehr zurecht in diesen trüben Nebeln. Ihre Sehnsucht schwand, ungewisse Angst bemächtigte sich ihrer.
Und da kam die Karte:
Steuerrat a.D. Alexander Blümke
Er trat ein; Gehrock, Zylinder, Handschuhe. Sehr grauer Spitzbart, der Scheitel, Wäsche, Krawatte – alles tadellos.
Ein süßliches Lächeln umspielte seinen Mund, als er Maria die Hand reichte.
„Ah – du wohnst hier sehr behaglich, – sehr.“
Er nahm Platz. Sein Gesicht wurde ernst, traurig. Und Marias Herz krampfte sich zusammen in der Vorahnung irgend eines Unheils, das drohend auf sie zuschlich.
„Liebe Nichte,“ begann er wieder und glättete seinen Zylinder, „leider – leider komme ich mit schwer bedrückter Seele zu dir. Du hast es ja nie wahrhaben wollen, daß gerade wir Blümkes es stets mit dir gut meinten, dich schützen wollten vor den Verführungen dieser lasterhaften Welt –“
Maria trieb ein furchtbarer Ekel aus dem Sessel jäh hoch. Sie eilte ans Fenster, drehte dem Steuerrat den Rücken zu.
„Mach’s kurz, bitte. – Ihr seid wieder in Geldverlegenheit,“ stieß sie hervor. „Nun gut: Ich will euren monatlichen Zuschuß auf siebenhundert Mark erhöhen und dir auch gleich noch einen Scheck über dreitausend Mark geben. –
Ich habe Migräne. Ich bin heute nicht fähig, mich zu unterhalten.“
Sie setzte sich an den Schreibtisch, suchte ihr Scheckbuch hervor.
Blümke wartete, bis sie ihm den Scheck gegeben hatte. Dann erst meinte er mit traurigem Kopfnicken:
„Ach, der heutige Morgen hat mir Furchtbares gebracht. – Maria, Maria – du bist einem gemeinen Erpresser ins Garn gegangen! –
Wie – wie nur konntest du dich soweit vergessen, diesem Mann – dich hinzugeben –“
Er trocknete ein paar Tränen ab.
Maria war leichenblaß in den anderen Sessel gesunken. –
Ihre Ahnung – ihre Ahnung! Das Verhängnis war da!
„Kind,“ begann Blümke weinerlich, „Kind, dein guter Ruf, mehr noch steht auf dem Spiel! Auch unser geachteter Name Blümke soll bloßgestellt werden! Dieser – gemeine Schuft droht auch, an den Justizrat Weiler zu schreiben, droht das Gericht zu benachrichtigen, damit du wieder unter Vormundschaft gestellt wirst –“
Daß dies barer Unsinn, ahnte Maria nicht. Sie kannte die einschlägigen Gesetze nicht. Aber damit hatte Claire gerechnet.
Marias Körper flog vor Erregung.
„Wer – wer ist dieser Mensch?“ fragte sie mühsam.
Der Steuerrat zuckte die Achseln.
„Ich weiß es nicht. – Laß mich im Zusammenhang alles erzählen. –
Also heute gegen elf Uhr erschien bei uns ein Herr mit bräutlichem Vollbart und blauer Brille, der sich als ‚Müller‛ einführte. Natürlich hieß er niemals so. Und Bart und Haare waren natürlich auch falsch. –
Er schilderte mir, wie er dich gestern schlau – verführt hätte. – Er sei gerade zu mir gekommen, weil ich doch dein nächster männlicher Verwandter bin. Er – denk’ dir, der Schurke! – er verlangte eine Million! –
Ich wollte ihm die Tür weisen. Ich hätte mich beinahe an ihm vergriffen. Aber – er hatte so eine niederträchtige Art an sich, daß ich schließlich ganz klein wurde.
Und – er ist schlau, dieser Lump. Er will nicht nur eine Million, sondern auch von dir eine schriftliche Erklärung haben, daß du ihm die Million geschenkt hast als – Erinnerung an eine – Liebesnacht. –
Drei Tage läßt er uns Bedenkzeit. Dann –“
Maria war zu menschen- und weltunkundig, um diesen raffiniert ausgeklügelten Plan durchschauen zu können. Sie sagte sich jetzt auch, daß Blümkes Erzählung die beste Erklärung dafür war, weshalb jener Erpresser so vorsichtig sein Gesicht verhüllt und nachher den Scheck dagelassen hatte.
Sie beruhigte sich langsam. –
Eine Million! Was lag daran! Wenn nur jener Mensch zum Schweigen gebracht wurde.
Blümke beobachtete sie heimlich. – Ob sie anbeißen würde?
Da sagte sie schon: „Er soll das Geld und auch die Erklärung haben, Onkel. Ich gebe dir Nachricht, sobald die Bank es für mich bereithält. Für deine – Mühe werde ich dich entsprechend entschädigen.“
Gleich darauf war sie allein. Ihr Entschluß war gefaßt. Sie würde sofort eine Orientreise antreten. Eine ältere Dame als Begleiterin war ja unschwer zu finden. –
Nun mußte aber erst diese Angelegenheit erledigt werden. Und dann – fort, fort! Fliehen vor sich selbst, vor der namenlosen Beschämung, einem Unwürdigen ihre Reinheit geopfert zu haben.
5. Kapitel
Arthurchen
Dr. phil. Heinz Wild bewohnte in der Augsburger Straße in einem älteren Haus erst seit kurzem eine Gelegenheit von drei Räumen. Bis dahin hatte er sich mit ‚besser möblierten Zimmern‛ begnügen müssen. Seine jetzigen Einnahmen gestatteten ihm jedoch ein wenig mehr Behaglichkeit.
Er war soeben aufgestanden, saß nun am Frühstückstisch und hörte dem Klatsch der Frau des Hauswarts zu, die bei ihm Aufwärterin spielte. Nachdem Frau Brieseke das Allerneueste von den ‚drei Sekretärstöchtern oben‛ erzählt hatte, geriet sie in eine wehmutsvolle Stimmung.
„Ach Jott ne, Herr Doktor, wenn ich so denk’, daß Sie nu doch von Montag ab hier nich näher sitzen werden und daß sich nie mehr für mein Ollen von Sie die Zigarrenstummel für seine Pfeif kriejen werd’ – ach das will mir noch ja nich so recht in ‛n Kopp –“
Wild dachte an ganz etwas anderes: An Maria, an die vergangene Nacht, an diesen gewissenlosen Streich, ein Gesellenstück für die ‚Meschugge‛-Leute! Ein Aberwitz war’s gewesen, sich zu verpflichten, durch List und halbe Gewalt von einer Dame eine größere Summe in Gestalt eines Schecks zu erpressen, – ein gemeiner Einfall, selbst wenn dieser Scheck nur dem Stammtisch vorgezeigt und dann wieder der Ausstellerin zugesandt werden sollte.
Ein Rest kindischen Übermuts aus der Studentenzeit war’s noch gewesen, eine Idee, bei deren Ausführung er so bestimmt auf den Einfluß seiner Stimme, seiner ganzen Persönlichkeit auf Maria Steinbrück gerechnet hatte.
„Pfui Teufel,“ sagte er plötzlich ganz laut, so daß Frau Brieseke entsetzt rief:
„Meinen Se mir?“
Da – draußen die Flurglocke. –
Frau Brieseke eilte hinaus, kam wieder.
„Ein Student mecht’ den Herrn Doktor sprechen.“
Hm – Student? – Das konnte ein Couleurbruder sein. –
Aber kaum hatte Wild einen flüchtigen Blick über die Erscheinung dieses Studenten geworfen, als er sich sofort sagte: „Irgend eine Bettelei – fraglos!“
Arthur Blümke hatte sich für diesen Gang ganz besonders herausstaffiert. Er trug einen gepflegten Anzug, schmutzige Wäsche, zerrissene Stiefel und hatte einen Miene aufgesteckte, die zu einem dem Verhungern nahen Menschen gepaßt hätte.
„Karl Lehnert,“ stellte er sich vor. „Entschuldigen Sie meine Zudringlichkeit, Herr Doktor. Mich führt eine etwas eigentümliche Veranlassung zu Ihnen.“ Er markierte ein nervöses Zittern und griff nach der nächsten Stuhllehne, wie von einem Schwindelanfall gepackt.
„Nehmen Sie bitte Platz,“ sagte Wild sehr kühl und dachte bei sich: ‚Ein übler Patron! Was mag er nur wollen?‛
Arthurchen saß da wie ein Häufchen Unglück. „Herr Doktor, ich bin Student,“ erklärte er zögernd. „Student der Medizin, aber einer von jenen Armen, die das Studium mit ungeheuren Entbehrungen bezahlen müssen.
Gestern, als ich vier Tage mich nur von erbetteltem Brot genährt hatte, wollte ich in der Bavariastraße im ‚Fremdenheim von Benzler‛ abends um eine warme Mahlzeit betteln. Die Flurtür war nur angelehnt. Die Versuchung kam.
Ich – ich wollte – stehlen, irgend etwas, um es verkaufen zu können. So gelangte ich in eine Wohnung, drei Zimmer nach vorn heraus. Das Stubenmädchen des Fremdenheims säuberte gerade das Schlafzimmer. Und die Gelegenheit, als sie den Spüleimer ins Badezimmer trug, benutzte ich dazu, hinein zu schlüpfen und mich in dem Musikzimmer nebenan hinter den Fenstervorhängen zu verbergen.
Ich fand dann allerlei Süßigkeiten, Keks, Konfekt, fand auch Likör. Und – ich trank von Letzterem zu viel, wurde so müde, daß ich unter das Ecksofa neben dem Flügel kroch und dort einschlief –“
Heinz Wild hat bis jetzt mit atemloser Spannung zugehört. Er ahnte alles Weitere, unterbrach diesen Menschen da, der natürlich hier geschickt Wahres und Erdichtetes mischte, mit einer kurzen Handbewegung und sagte:
„Fassen sie sich bitte knapper. Ihr Los mag traurig sein. Ob Sie trotzdem berechtigt waren, in eine fremde Wohnung einzuschleichen, soll zunächst nicht erörtert werden.“
Arthur Blümke verlor etwas seine schauspielerische Sicherheit. Dieser Wild ließ sich anscheinend nicht so leicht leimen.
„Ich werde Sie nicht mehr lange belästigen, Herr Doktor,“ fuhr er kläglich fort. „Unsereiner ist’s gewöhnt, überall als lästig empfunden zu werden. –
Als ich nachher aufwachte und wieder unter dem Sofa hervorkriechen wollte, hörte ich im Schlafzimmer Schritte. Die Bewohnerin war zurückgekehrt, – eine hübsche, junge Dame war’s, die nun –“
„Bitte noch kürzer!“
Wilds Stimme klang jetzt jedoch milder und nachsichtiger. Er hatte sich inzwischen überlegt, wie er mit diesem Menschen umgehen müsse, um von Maria alle Gefahr abzuwenden.
„Wie Sie wünschen, Herr Doktor. –
Nachher erschien ein maskierter, eleganter Einbrecher, der von der Dame einen Scheck über achtzigtausend Mark erpreßte, dann jedoch von ihr für etwa zwei Stunden mit ins Schlafzimmer genommen wurde, dessen Tür ich einmal ganz leise öffnete, weil ich fürchtete –“
„Schon gut. – Und dann sind Sie mir nachgeschlichen und haben herausgebracht, daß ich der Einbrecher war.“
Arthurchen nickte etwas beklommen. Aber Wild schlug jetzt einen vertraulicheren Ton an.
„Sie sehen, – wir beide sind eigentlich Kollegen von der Gaunerzunft, – Amateurspitzbuben. Wir können also ganz offen zu einander sein, Herr – Herr – wie war doch Ihr Name?“
„Karl – Karl Bienert.“
Arthur verwünschte sein schlechtes Gedächtnis. Bienert hatte er vorhin nicht gesagt. Nun – der Doktor würde nichts merken, hoffte er.
Aber Wild hatte doch gemerkt!
„Also ganz offen sein, Herr Bienert. Über unsere moralische Qualität sind wir uns ja nun gegenseitig klar. –
Sie wünschen von mir eine Unterstützung – so als Schweigegeld. Gut – sollen Sie haben. Wie viel verlangen Sie?“
Arthurchen drehte den schäbigen Filz zwischen den Fingern.
„Sie – Sie heiraten doch in kurzem die Tochter des mehrfachen Millionärs und Kommerzienrats Müllerhof. Meine Familie lebt nun genau so wie ich in größtem Elend. Meine eine Schwester ist lungenkrank, müßte nach der Schweiz zur Kur. –
Herr Doktor, wenn die furchtbare Not nicht so hart mir im Nacken hockte, dann – ich bin ja kein Erpresser, aber andere haben’s so im Überfluß – dann würde ich bescheidener sein. – –
Also – einhunderttausend Mark –“
„Das nenn’ ich wirklich bescheiden! –
Sie sollen sich nicht im mir getäuscht haben, Herr – Bienert. –
Zunächst werde ich Ihnen mal etwas Genießbares bringen. Machen Sie es sich bequem. Dort steht Kognak. Trinken Sie nur. Das bringt auch die Seele etwas ins Gleichgewicht.“
Draußen in der Küche schickte Wild die Frau des Hauswarts nach dem nächsten Polizeirevier; sie sollte dort auch gleich bitten, daß Kriminalkommissar Gutschmidt sofort herkäme – sofort! – Gutschmidt war Wilds Duzfreund.
Arthur Blümke erhielt Sardinen, Schinken und manches andere vorgesetzt. Wild unterhielt sich mit ihm zwanglos über alles Mögliche, nur nicht über – die Hauptsache, so daß Arthurchen schließlich meinte: „Das Geld kann ich wohl bald haben? Wenigstens doch eine Abschlagszahlung. – Ich bin ja so arg in Verlegenheit, und die Meinen –“
Er schwieg. Frau Brieseke steckte den Kopf durch die Tür. –
„Herr Doktor, ‛n Jasbeamter is da –“
Das Polizeirevier hatte einen Kriminalwachtmeister geschickt. Wild verständigte ihn eiligst über den Gast, der da in seinem Arbeitszimmer saß, erklärte aber nur ganz allgemein, der angebliche Student habe Geld zu erpressen versucht. Da der Beamte ihm gleichzeitig mitgeteilt hatte, Kommissar Gutschmidt würde in einer Viertelstunde hier sein, bat er ihn, draußen auf der Straße zu warten und die Haustür zu beobachten.
Wild setzte sich wieder seinem Besucher gegenüber.
„Eine Abschlagszahlung?“ meinte er. „Ja, viel habe ich zur Zeit nicht flüssig. Nachher können wir mal gemeinsam zur Bank gehen.“ –
Dann ließ er sich von Arthur Näheres über dessen Familie berichten. Und Arthur log drauf los, daß sich jedem anderen vor Mitleid die Haare gesträubt hätten, – nur Wild nicht!
Es klopfte. Und herein trat der kleine, magere Gutschmidt, der wie ein übertrainierter Jockey aussah.
„Tag, Wild. – Na wie geht’s? – Ah – du hast Besuch –“
Wild stellte vor: „Herr Studiosus Bienert – Herr Kriminalkommissar Gutschmidt.“
Arthurchen wurde leichenblaß. –
Gutschmidt nickte ihm lächelnd zu. „Sie sind mir kein Fremder, Verehrtester. Nein – im Gegenteil! Vorgestern in Schöneberg haben Sie in fünf Apotheken in einer Stunde eine ganze Menge Morphium erschwindelt. Wir haben Sie nämlich schon seit Wochen aufs Korn genommen.“
Wild war’s, als nähme ihm jemand eine schwere Bürde ab. –
Also auch dies hatte der Herr Studiosus noch auf dem Kerbholz. Nun – dann würde er wohl sehr bald klein beigeben.
Wild berichtete nun dem Freund, was den angeblichen Bienert hergeführt habe. –
„Also glatte Erpressung!“ meinte Gutschmidt. „Na – ich werde Sie nachher gleich mitnehmen, Arthur Blümke, – denn so heißen Sie in Wahrheit. Ihr Maß ist übervoll.“
Da gab Arthurchen sich, wie er wirklich war, – grinste höhnisch.
„Mitnehmen?! Dann muß auch der Doktor mit. Wer mit der Waffe in der Hand achtzigtausend Mark –“
Gutschmidt hatte schon geahnt, daß es mit diesem Raubüberfall eine ganz besondere Bewandtnis haben müsse. Als Wild den verkommenen Menschen nun unterbrach, war er recht gespannt, was er hören würde.
„Halt – Sie wissen manches, Herr Blümke,“ hatte Wild dazwischen gerufen. „Nur das ist Ihnen entgangen, daß die ‚Waffe‛ eine Konfektattrappe und der Überfall nichts als der Austrag einer Art Wette war.“
Der Kommissar überlegte. Dann nahm er Arthurchen in ein strenges Verhör. „Es ist doch klar, daß Sie dasselbe Manöver wie hier auch bei der Dame bereits versucht haben oder versuchen wollen. –
Mensch – reden Sie jetzt die Wahrheit! Sie sehen doch, daß Sie sich übel festgefahren haben. Rauskriegen tue ich ja doch, wie’s mit alledem steht. Retten Sie sich vor dem Zuchthaus durch ein offenes Geständnis.“
Und Arthurchen hockte mit kalten Schweißperlen auf der Stirn auf seinem Stuhl und hätte – Schwester Claire den Hals umgedreht, wenn er sie hier gehabt hätte.
6. Kapitel
Erika
Herr Alexander Blümke, Steuerrat a.D., hatte sofort den Scheck über dreitausend Mark einkassiert, hatte sich dann in ein Auto gesetzt und – eingekauft: Delikatessen, Rotwein, Sekt, Zigarren, Süßigkeiten.
Strahlend langte er mit seinen Herrlichkeiten daheim an. Und sofort wurde im Eßzimmer zu feiern begonnen. Nur Anna blieb in ihrem Zimmer. Sie ahnte, woher das Geld stammte, das diese Schlemmerei ermöglicht hatte. Verzweifelt, angewidert saß sie da und hörte, wie drüben jetzt ein Sektkorken knallte. –
Sie dachte an den stillen, bescheidenen Mann, den sie heimlich liebte, an ihren Freund Hubert Heister, ihre Straßenbekanntschaft. –
Welch seltsame Freundschaft doch! Nur immer morgens sahen sie sich, legten die gemeinsame Strecke Wegs zu ihren Arbeitsstätten in eifriger Unterhaltung zurück und trennten sich dann. So war’s nun Tag für Tag gewesen fast drei Monate lang. Und jetzt – jetzt hatte der schüchterne Oberlehrer ihr dieses verlockende Angebot gemacht! Wirtschafterin bei ihm! Das war ja so gut, als besäße sie damit einen eigenen Haushalt! –
Aber konnte sie die Stellung annehmen, konnte sie, die erst dreiundzwanzig Jahre zählte, mit einem kaum zehn Jahre älteren Mann so – so zusammen leben?! Würde nicht die Welt sehr bald mit spitzen Zungen sie bereden, würde nicht… –
Es läutete draußen. Sie ging öffnen. Im Speisezimmer sang der Vater bereits seine Lieblingsstrophen:
So lang’ die Hos’ auf ‛n Hinter paßt
Wird keine Arbeit angefaßt…
Sie öffnete. Und vor ihr stand – Hubert Heister: Zylinder auf dem Kopf, Gehrockhosen unter dem Überzieher, einen Rosenstrauß in der Hand, riß nun in Hut ab, stotterte:
„Könnte – ich – Ihre Eltern sprechen, Fräulein Anna?“
Die junge Frau lehnte ganz weiß im Gesicht an der Wand. –
Sie wußte: Er kam als Bewerber um ihre Hand! Noch nie war er ja hier gewesen, noch nie! – Sie war einer Ohnmacht nahe. Und aus dem Eßzimmer wieder das Gegröhl, wieder ein Sektpfropfenschuß.
Claire hatte doch das Klingeln gehört, erschien jetzt im Flur. –
Da raffte Anna all ihren Mut zusammen, flüsterte Hubert Heister leise zu: „Gehen Sie – gehen Sie! Abends um sieben komme ich zu Ihnen, erkläre Ihnen alles. –
Gehen Sie!“
Der Oberlehrer stolperte völlig benommen die Treppe hinab. Unten im Hausflur begegnete er zwei Herren. Und diese beiden, Gutschmidt und einer seiner Beamten, verlangten nun ebenfalls Herrn Blümke zu sprechen.
Blümke war bereits im vorletzten Stadium. In Hemdsärmeln, eine Importe im Mundwinkel, schwankte er in den Flur. –
„Immer rin in ‛n Bacchuskeller, meine Herren. Was bringen Sie Schönes?“
Claire lauschte an der Tür, als Gutschmidt dann im sogenannten Salon den Trunkenbold andonnerte: „Geben Sie zu, heute Vormittag von Ihrer Nichte Maria Steinbrück eine Million erpreßt zu haben?“
Claire krampfte die Hände zu Fäusten. –
Arthur – Arthur, – er war noch nicht von Dr. Wild zurück, – nur er konnte irgend eine Dummheit gemacht und alles verraten haben – nur er! –
Mißglückt das Ganze – vorbei der schöne Traum! Aber – rächen wollte sie sich – rächen – gleichgültig an wem – nur Unheil wollte sie stiften.
Im Nu hatte sie den Hut aufgesetzt, den Mantel übergezogen, war sie zum Haus hinaus. –
Arthur Blümke hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt. Dann war er in Untersuchungshaft geführt worden. –
Gutschmidt hielt Wild gegenüber mit seiner Ansicht nicht hinter dem Berg, daß dieses ganze Abenteuer à la Lady Glane sich kaum würde vertuschen lassen. –
„Lieber Wild, es wissen eben zu viele davon – und ausgerechnet diese Familie Blümke,“ meinte er bedauernd. „Das arme Mädel, die Steinbrück, tut mir ja sehr leid. Ich kann aber nicht verhindern, daß die Geschichte durchsickert.“
Wild reichte ihm die Hand.
„Dank für deine Offenheit. Ich werde die Konsequenzen aus dieser Sachlage ziehen.“
Gleich darauf fuhr er zu seinen Schwiegereltern. Der Diener erklärte, die gnädige Frau mache Besorgungen, der Herr Kommerzienrat sei verreist und das gnädige Fräulein habe die Friseuse bei sich.
„Melden sie mich. Ich werde im Salon warten.“ –
Es war Wild nur lieb, daß er Erika zunächst allein sprechen konnte. Er saß in dem Empire Salon inmitten eines Luxus, der überall zu kraß sich bemerkbar machte, um vornehm zu wirken.
Er mußte reichlich zehn Minuten warten. Dann trat Erika ein. Sie trug eines jener Phantasiegewänder, die sie so sehr liebte, – japanische Seide, dick bestickt, bauschig, halsfrei und mit Schleppe.
Wild ging ihr entgegen. Bevor er noch etwas sagen konnte, trat sie hastig ganz dicht an ihn heran, so daß ihr süßliches Parfüm ebenso wie der parfümierte Hauch ihres Mundes ihn aufdringlich traf.
Sie bohrte ihre Augen fest in die seinen, dieses reiche, junge, verwöhnte Weib, das den Typ der Müde-Blasierten, mit einem Stich ins Träumerisch-Melancholische, darzustellen suchte. Sie hatte ein schmales, blasses Gesicht. Nur die vollen Lippen und die fast schwarzen Augen belebt dieses meist gekünstelt abgespannte Gesicht etwas.
Jetzt aber war es völlig verändert. Die Nasenflügel bebten, die Haut über den Backenknochen schien straff gespannt.
Und wie ein Wutschrei, heiser, in wilder Erregung, rief sie ihrem Verlobten nun ins Gesicht:
„Ich weiß alles, alles – von der verflossenen Nacht! –
Und du wirst mir beichten – ganz genau, du – Betrüger!“
Sie packte seine Hand, zog ihn mit sich. Willenlos folgte er ihr, nur um eine heftige Szene zu vermeiden. In ihrem Damenzimmer, das sie zu einer kleinen Orientausstellung umgewandelt hatte, zwang sie ihn neben sich auf den Diwan.
„Beichte, Heinz! Beichte!“ –
Er glaubte zu träumen. Sie – sie lächelte jetzt, lächelte spitzbübisch – nein – sie lächelte – lüstern.
„Beichte! – Allzu böse bin ich dir nicht. Wir sind ja noch nicht verheiratet, du! –
Aber – eingehend will ich alles wissen – besonders von dem Moment ab, als ihr im Schlafzimmer verschwandet. –
Sie soll ja hübsch und jung sein. Und du – du bist ein fescher Kerl, Heinz –“
Sie umschlang ihn plötzlich, küßte ihn, wie sie ihn noch nie geküßt hatte. Er hatte geglaubt, ihr fehle jede Spur von Temperament. Er sah – er hatte sich getäuscht. Sie hatte Komödie gespielt, hatte jetzt aber wohl nur deshalb noch von der Brautnacht die Maske fallen lassen, weil – er ihr noch interessanter geworden als bisher, weil sich ihre Sinnlichkeit in dem Gedanken an sein nächtliches Abenteuer entzündet hatte.
Er machte sich frei, erhob sich, trat zurück.
„Erika,“ sagte er hastig, um schnell ein Ende zu machen, „ich habe jenes Mädchen so schwer vor aller Welt bloßgestellt, daß ich auch darauf keine Rücksicht nehmen kann, daß unsere Hochzeit so nahe bevorsteht. –
Erika – ich muß dich freigeben – muß!“
Mit einem heiseren Aufschrei war sie ihm wie eine Katze an die Brust geflogen, umklammerte ihn, flüsterte:
„Niemals – niemals! Mein sollst du sein – mein! Ich weiß, alle Weiber bändigst du, lockst du mit deiner Stimme. Diese Stimme wird mir allein jetzt in heißen Nächten betörende Worte zuflüstern, – nicht nur in Nächten – nein – jetzt sofort.
Wir sind allein, Heinz. Mama kehrt vor fünf nicht zurück. – Komm!“ –
Sie drängte sich dicht an seinen Leib heran, preßte ihre Lippen auf seinen Mund, und die warme Spitze ihres Züngleins suchte sich zwischen seiner Zahnreihen tiefer in seinen Mund hineinzubohren.
Da riß er sich los – fast brutal schob er sie zurück.
Er dachte an Maria. Die war sein geworden, ohne zu wissen, wen sie vor sich hatte: Sie begehrte den Mann, der ihre Sinne reizte, für den eine jähe Leidenschaft in ihr aufgeflammt war. –
Hier – dieses überkultivierte Wesen, diese Treibhauspflanze, wünschte sein zu werden – nein – ihn zu erringen nur in halb perverser Lüsternheit, drängte sich dem Mann auf, der ihr heute – noch interessanter erschien nach den Liebesstunden mit einer anderen. –
Er schob sie von sich, verbeugte sich förmlich, zog den Ring vom Finger, den glatten Goldreif, und legte ihn auf das niedrige Tischchen. Noch eine Verbeugung, dann war er hinaus, war – frei.
Erika stand regungslos. Ihre weißen Zähne preßten sich in die Unterlippe. Zwei Blutstropfen rannen über das leicht gepuderte Kinn. –
Und Erika dachte: ‚Zu spät! Du hättest ihn fester an dich ketten sollen, – früher – schon früher!‛ –
Ein Aufschluchzen; dann warf sie sich auf den Diwan. –
Vielleicht hatte sie ihn doch geliebt, auch mit der Seele, – in ihrer Art. –
Maria Steinbrück hatte Besuch. Ganz überraschend war Maud Helbing bei ihr erschienen – glücklich, ausgelassen, – derselbe unberechenbare Kobold noch wie im Kloster in Gotha.
Überstürzt erzählte sie: Sie hatte ihren Fritz geheiratet, mit Zustimmung ihrer Eltern. Fritz würde beim Papa in Chicago Teilhaber werden, der Pa hielte bereits große Stücke auf ihn; Fritz sei ja auch ein Mensch, der gerade in amerikanische Verhältnisse hineinpaßte; in vier Tagen würden sie von Bremen mit der ‚Saxonia‛ nach New York abreisen. –
So ging’s in einem Atem. Und nun fragte sie: „Und du, Mia-Mietze, – wie geht es dir? –
Oh – du siehst blaß aus – sehr blaß! Und so Schatten unter den Augen! –
Oh wie immer damals in Gotha, wenn ich so viel Heuhalme im Haar hatte.“
Sie lachte kichernd. –
Und da kam auch schon das Stubenmädchen mit Heinz Wilds Karte.
Maria las:
Dr. phil. Heinz Wild
Schriftsteller
„Kenne ich nicht!“ meinte sie achselzuckend. „Bleib’ hier, Maud. Ich möchte diesen Fremden doch lieber in deiner Gesellschaft empfangen. Seit – gestern bin ich etwas ängstlich.“
Wild trat ein. Er trug absichtlich genau denselben Anzug wie gestern. Trotzdem erkannte Maria ihn nicht.
Sie war aufgestanden. Maud saß im Sessel an dem japanischen Teetischchen.
Wild verbeugte sich stumm vor Maria.
„Herr Doktor, was verschafft mir die Ehre Ihrer –“
Weiter kam sie nicht in der glatten Phrase.
Denn wie ein Hauch da nur ein Wort:
„Süßes!“
Maria taumelte, griff haltsuchend in die Luft.
Er fing sie auf. Maud kam herbei. Und Wild sagte mit ruhiger Bestimmtheit: „Meine Gnädige, wollen Sie uns bitte fünf Minuten allein lassen.“ –
Maud lächelte plötzlich, ging hastig auf die Tür des Damenzimmers zu.
Heinz Wild hielt Maria fest an sich gedrückt. Die halbe Ohnmacht schwand schnell. Sie schlug die Augen auf, wollte sich losreißen.
„Bleib’ –“ sagte er ernst. „Bleib’, Maria, – denn dein Platz ist der an meinem Herzen, jetzt und fortan für immer.“
In wenigen Worten enthüllte er ja alles – auch daß er verlobt gewesen.
„Maria, Süßes,“ fragte er dann, und seine Stimme umschmeichelte sie wie ferne Glocken des Glücks, „Maria – willst du meine kleine, liebe Braut sein, bald auch meine Frau?“
Ein seliges Lächeln huschte um ihren Mund. Schnell senkte sie den Kopf, und errötend flüsterte sie zurück:
„Ich – muß ja, du Lieber, – ich weiß, – aber ich will auch – gern will ich deine Frau sein –“
Sie küßten sich. Und Maud stand in der Tür, klatschte in die Hände, rief: „Bravo, Mia-Mietze, – bravo! Ich wette, daß der Herr da auch Schuld ist an deiner Blässe und den bläulichen Augenschatten!“
Maria nahm ihren Heinz bei der Hand, machte vor Maud einen sehr übermütigen Knicks und sagte: „Dies hier ist – die schwarze Maske, mit der ich mich gestern – verlobt habe! Und – du hast auch dein Teil dazu beigetragen, Maud, daß wir uns gefunden haben gestern – gestern Nacht, denn ohne dich wäre ich vielleicht nicht so mutig gewesen – so opferfreudig – so hingebend.“ –
Anna Blümke erschien nicht bei Hubert Heister. Bis acht wartete er umsonst. Dann faßte er sich ein Herz und läutete zehn Minuten später an der Flurtür bei Blümkes.
Anna öffnete; völlig verweint; völlig fassungslos, aber gerade diese ihre Hilflosigkeit gab ihm Mut. Sie wollte ihn fortschicken. Er blieb, verlangte schließlich in herzlichem, aber energischem Ton Aufklärung.
Sie nahm ihn mit in den Salon. Sie war ruhiger geworden. So erfuhr er alles – das ganze Elend dieser Familie, von der jetzt zwei Mitglieder in Untersuchungshaft saßen, während die Mutter in tiefer Morphiumbetäubung auf ihrem Bett lag und Claire sich überhaupt nicht mehr eingefunden hatte.
Hubert Heister nahm jetzt Annas beide Hände in die seinen. Er sprach lange, eindringlich. Und dann zog er sie an sein ehrliches Herz – als seine Braut. –
Zu derselben Zeit fuhr Claire mit dem ‚Fettschwein‛ Samuelsohn nach dem Potsdamer Bahnhof. Er hatte in Nürnberg geschäftlich zu tun. Und – das sollte gleich ihre Hochzeitsreise werden. –
Und wieder zwei Monate später stand ein junges Ehepaar vor einer Plakatsäule auf dem Maximilianplatz in München.
„Wirklich – das Stück heißt ‚Die schwarze Maske‛. –
Du Süßes, – das müssen wir uns ansehen. Es steht ja noch unter dem Titel: ‚Nach einer wahren Begebenheit.‛ und Heinz Wild drückte Marias Arm in tiefer Zärtlichkeit.
Abends saßen sie im Kolosseum-Kino. Der Film rollte. Und in der Dunkelheit tastete Maria nach ihres Mannes Hand, flüsterte:
„Es ist – unsere Verlobungsgeschichte, – wirklich unsere Verlobungsgeschichte, – mein Abenteuer, das Abenteuer der Lady Glane – mit glücklichem Ausgang –“
Ende
Fußnoten:
1 Den Name Fritz Schaper trägt auch eine Detektiv-Romanfigur von Walther Kabel.
2 Betrüger, jemand der Geld unterschlagen hat