Von Walter Kabel.
(Nachdruck verboten.)
Mein lieber Goldschatz!
Wohlbehalten bin ich hier in Villa Waldfrieden eingetroffen. Die Begrüßung vonseiten Tante Agathes war recht frostig, trotzdem wir uns zwei Jahre nicht gesehen hatten. Desto stürmischer umsprang mich der treue Hektor, eine mächtige Dogge, die mich sofort mit ihrem feinen Hundeinstinkt wiedererkannte. – Nach dem nicht gerade üppigen Abendessen begann ich in wohlgesetzter Rede meine Bitte vorzutragen, erwähnte dabei unsere Verlobung und führte aus, wie ich nunmehr erst recht danach streben würde, in meiner Ausbildungszeit recht viel zu lernen, um möglichst schnell zum Kriminalkommissar ernannt zu werden und Dich dann heimführen zu können. – Schatz – ich habe gesprochen wie der gewandteste Verteidiger – habe versucht, weichere Saiten ihres Herzens zum Tönen zu bringen. Es half alles nichts. Die Saiten müssen längst gerissen sein, waren’s sicher schon damals, als mein armer vor dem Bankerott stehender Vater seine Schwester ebenso vergeblich wie ich heute um Hilfe anflehte. Wir haben also von Tante Agathe nichts zu hoffen. Mag sein, daß sie wirklich noch immer alles, was mit Kriminalpolizei nur irgendwie etwas zu tun hat, bitter haßt, weil ganz, ganz früher einmal ein Kriminalrat sie sitzen ließ – womöglich auch, daß sie ihre Börse ebenso sorgfältig vor meinen Angriffen geschützt hätte, wenn ich Jurist geblieben wäre (was sie allerdings bestreitet) – für uns bleibt in jedem Fall die traurige Tatsache bestehen, daß ich mich noch ein ganzes Jahr selbst unterhalten muß und nun nicht weiß, wovon ich mein Leben fristen soll. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als meinen Abschied bei der Kriminalpolizei einzureichen und … zu Kreuze zu kriechen, d. h. mein juristisches Studium wieder aufzunehmen, vor dessen trockener Theoretik ich einen wahren Abscheu habe. Aber was hilfts! Ich werde Tante morgen früh meinen Entschluß mitteilen. Verweigert sie mir die nötigen Mittel (vielleicht verlangt sie vorher, ich soll Dich bettelarmes, aber so liebes Mädel aufgeben! – Da kennt sie aber Heinz Willers schlecht!), so brauchst Du trotzdem nicht zu verzagen. In mir lebt so viel frische Tatkraft und gesunder Menschenverstand, daß ich es auch in einem anderen Beruf zu etwas bringen werde. – Morgen mehr. Ich bin hundemüde, und das altväterliche Bett dort in der Ecke mit den hochgetürmten Kissen lockt geradezu verführerisch.
Gute Nacht, Einziges!
* * *
Liebling!
Es ist neun Uhr abends. Ich sitze hier im Wohnzimmer an dem großen Mitteltisch, während die ahnungslose Tante Agathe auf dem Sofa thront und strickt: Also ein Bild heitersten Friedens. Und hoch schwebt über diesem Hause eine drohende Gewitterwolke …
Nach dieser Einleitung zunächst das Wichtigste: Tante hat mir wirklich monatlich 180 Mk. zur Fortsetzung des juristischen Studiums bewilligt. – Dann die Erklärung der „drohenden Gewitterwolke“. Heute morgen gegen halb neun Uhr fand nämlich das Hausmädchen Minna den treuen alten Hektor im hintersten Teile des Parkes, dicht an der Mauer, vergiftet auf. Da es gestern abend geschneit hatte, konnte ich durch die in den frischen Schnee wie in eine Gipsschicht eingedrückten Spuren folgendes feststellen: Auf der Mauer hatte ein Mensch, dessen Fährte in den Nachbarsgarten deutlich sichtbar war, gesessen und dem Hunde fraglos von dieser sicheren Stelle aus die vergifteten Brocken zugeworfen. Diese Fährte verfolgte ich, indem ich unbekümmert auf das fremde Gebiet hinübersprang, bis zur nächsten Parallelstraße, wo der Mann über den eisernen Zaun gestiegen war. Hier kehrte ich wieder um und begann dann unseren Park und besonders die nächste Umgebung der Villa abzusuchen, entdeckte aber nirgends etwas auffälliges. Darauf erstattete ich Tante Agathe Bericht. Sie hielt die ganze Sache nur für einen heimtückischen Streich irgend einer ihr übelgesinnten Person. Ich ließ sie auch bei dem Glauben. Denn ich wollte erst versuchen, für meine Auffassung über den eigentlichen Zweck dieses Hundemordes weitere Beweise zu sammeln, weil ich von der lieben Tante – für den Fall daß meine Vermutungen nicht zutreffen sollten, nicht wieder über meine angebliche Sucht, hinter jeder Kleinigkeit ein Kapitalverbrechen zu wittern, spitze Redensarten hinnehmen mochte. Diese meine Auffassung ging nun dahin, daß man die Dogge, die sehr wachsam war und nachts regelmäßig draußen im Park umherschweifte, nur beseitigt hatte, um durch sie bei einem Einbruch bei dem als reich bekannten Fräulein Agathe Willers nicht gestört zu werden. Ich sagte mir nämlich, daß wohl niemand ohne eine andere bestimmte Absicht als lediglich die, seine Rachsucht zu befriedigen, sich die Mühe machen wird, mitten in der Nacht über zwei immerhin recht hohe Hindernisse zu klettern und mit vorher sorgfältig präparierten Fleischstücken – in solchen läßt sich Gift am besten unterbringen! – einem Hunde das Lebenslicht auszublasen. Und dieses Moment der Rachsucht mußte man hier schon deswegen so gut wie vollständig ausscheiden, weil Tante Agathe bei ihrer Art der Lebensführung sich eine derart erbitterte Feindschaft eines Menschen kaum zugezogen haben konnte. Mithin blieb als nur der Schluß übrig, daß diese Vergiftungsgeschichte eine vorbereitende Handlung zu einem verbrecherischen Unternehmen darstellte. – Tante Agathe und ich machten dann am Vormittag einen längeren Spaziergang. Als wir uns zur Tischzeit wieder in Villa „Waldfrieden“ einstellten, meldete die ehrwürdige Minna, daß in der Zwischenzeit ein Monteur von der elektrischen Zentrale dagewesen sei und die Leitungen im Hause eingehend revidiert habe. – Nach Tisch zog Tante Agathe sich zu einem Schlummerstündchen zurück. Ich wollte indessen für den armen Hektor im Park ein Grab auswerfen, holte mir das notwendige Handwerkszeug aus dem Keller und war gerade dabei die Kellertür wieder zu verschließen, als mein Blick auf eine Spur fiel, die dicht an der Hauswand entlang lief. Diese Spur zeigte nun genau dieselben Eigentümlichkeiten wie jene Fährte, die ich morgens von der Parkmauer aus durch den Nachbargarten bis zur nächsten Parallelstraße verfolgt hatte und die nur diejenige des Mörders der Dogge sein konnte. Denn der Mann, der Hektor vergiftet hatte, ging, wie ich aus den Eindrücken im Schnee mit untrüglicher Sicherheit festzustellen vermochte, mit dem rechten Fuß derart einwärts, als ob das Bein einmal gebrochen und dann in unrichtiger Lage wieder zusammengeheilt war. Und dasselbe auffallende Merkmal entdeckte ich jetzt auch hier bei dieser Spur, die ich am Morgen bei meinem Gange um das Gebäude fraglos hätte bemerken müssen, wenn sie damals eben schon vorhanden gewesen wäre. – Ich also zurück in die Küche, wo die beiden Mädchen gerade beim Abwaschen waren. Erst nach wiederholtem Fragen begriffen sie, was ich wollte. – Nein, es sei niemand weiter in der Zwischenzeit dagewesen als eben der Monteur und dann der Geldbriefträger, der um den fünften Januar herum für das gnädige Fräulein stets die Hypothekenzinsen brächte, erklärte das Hausmädchen. Die Fußtritte dort an der Hauswand könnten aber nur von dem Monteur herrühren, der sich auch von draußen aus die elektrische Leitung angesehen habe. Nachdem Minna mir dann noch versichert hatte, daß sie dem Manne nichts von meiner Anwesenheit im Hause erzählt habe, fuhr ich unverzüglich mit der Straßenbahn nach dem Bureau der Elektrischen Zentrale. Dort erhielt ich den Bescheid, daß eine Revision der Leitungen zurzeit nicht vorgenommen würde. Jedenfalls sei ein Monteur nach Villa Waldfrieden nicht hinausbeordert worden. – Das genügte mir. Zehn Minuten später teilte ich auf dem Präsidium dem diensthabenden Kriminalkommissar meine bisherigen Beobachtungen sowie die notwendig daraus zu folgernden Schlüsse mit. – Der Beamte war ganz meiner Ansicht. Fraglos handele es sich hier um einen beabsichtigten Einbruch. Und sicherlich würden die Spitzbuben schon in einer der nächsten Nächte ans Werk gehen, eben bevor die Dame einen neuen Hund angeschafft hätte, meinte er.
Eben hüstelte Tante Agathe, die ich nach Beendigung dieses Briefes endlich in alles einweihen muß, sehr nachdrücklich. Sie langweilt sich offenbar. Ich will also schließen. Nur noch eins: Der Geldbriefträger brachte heute, als wir gerade beim Kaffee saßen, die vormittags wegen Tantes Abwesenheit nicht bestellten Geldsendungen, – es müssen nach dem Haufen Banknoten mehrere Tausende gewesen sein. Ob die Spitzbuben mit diesem gerade jetzt fälligen Goldregen etwa gerechnet haben? – Dann müssen sie jedenfalls auch Tantes pekuniäre Verhältnisse vorher recht genau ausspioniert haben! –
Doch nun addio, Einziges! – Innigst
Dein Heinz,
der jetzt wieder so recht in seinem Element ist.
* * *
Es war gegen 2 Uhr morgens, als Heinz Willers, der im Esszimmer hinter einem japanischen Wandschirm in einem niedrigen Sessel die ihm endlos dünkenden Stunden, umgeben von einer undurchdringlichen Finsternis, durchwacht hatte, endlich vom Korridor her das leise Knarren einer Tür vernahm. Dann – kein Zweifel! – im Nebenzimmer, dessen Tür er nur angelehnt hatte, kaum hörbare Schritte, ein ebenso vorsichtiges Flüstern. Und nun glitt mit einem Mal ein weißer dünner Lichtstrahl durch den Raum, leuchtete hin- und herhuschend jeden Gegenstand ab und verschwand wieder.
Tiefe Dunkelheit, ebenso tiefe Stille. Die Stille vor dem Sturm, dachte Heinz Willers, dessen Herz plötzlich schneller zu klopfen begann. – Abermals der helle Lichtstreifen, jetzt aber breiter und von der Mitte des Eßzimmers ausgehend. Durch einen Spalt in dem dreiteiligen Wandschirm erblickte Heinz zwei Männer, die soeben das Büffet eingehend besichtigten. Dann klirrte ein Bund Nachschlüssel, das kreischende Geräusch von aneinander geriebenen Metallteilen wurde hörbar und das Quietschen einer beim Öffnen sich klemmenden Schublade. Da, in demselben Moment, flammte auch schon in dem Zimmer, durch das die Einbrecher gekommen waren und dessen Tür sie weit offen gelassen hatten, das elektrische Licht auf, und im Rahmen der Tür stand wie eine drohende Erscheinung, den schußbereiten Revolver auf die Spitzbuben gerichtet, der Kriminalkommissar, der jetzt blitzschnell mit der linken Hand den dicht neben dem Türrahmen angebrachten Beleuchtungskontakt umdrehte, sodaß nun auch hier helles Licht den Raum durchflutete.
„Na, Jungens,“ meinte der Kommissar gemütlich zu den völlig versteinerten Spitzbuben, daß ist ne höllische Überraschung, nicht wahr? – Nun seid aber mal hübsch vernünftig und kommt ruhig mit. Das Haus ist natürlich umstellt, und jeder Fluchtversuch wäre daher barer Unsinn.“ –
* * *
Goldschatz, Einziges;
Hurra, – ich bleibe bei meinem geliebten Beruf! – Wie das alles gekommen? – Sehr einfach! - Tante Agathe sieht mich jetzt eben als ihren veritablen Lebensretter an, nachdem wir in der verflossenen Nacht den Einbruchsdiebstahl glücklich vereitelt und dabei zwei von der Polizei schon lange gesuchte „schwere Jungens“ festgenommen haben, darunter auch den angeblichen Monteur, einen berüchtigten Geldschrankknacker mit dem treffenden Spitznamen „Hinke-Karl“. Die Einzelheiten erzähle ich Dir hoffentlich schon morgen persönlich hier in Villa Waldfrieden. Denn höre und staune, welch‘ Wunder weiter geschehen ist: Fräulein Agathe Willers läßt Heinz Willers Bräutchen herzlich bitten, umgehend für einige Tage Urlaub zu nehmen und hierher zu kommen! Sie möchte Dich gern persönlich kennen lernen. Außerdem sollst Du deine bisherige Stellung als Erzieherin zum nächsten Termin kündigen und dann bis zu unserer Hochzeit als Gast bei ihr bleiben. – Schatz, ich bin ja ganz aus dem Häuschen vor Herzensjubel. Diese Wendung hatte ich ja nie erhofft! Tante ist wirklich wie umgewandelt und lobt jetzt die „Kriminaler“ über den grünen Klee! Spatz – so ein bisschen Grund hat sie auch dazu. Wäre ich nicht gewesen, so hätten die Spitzbuben sicher die 4800 Mark Hypothekenzinsen in dem wackligen Sekretär im Salon gefunden, wo die vertrauensselige Tante ihr Geld stets aufzubewahren pflegt. – So, Liebling, ich muß schließen. Heute abend ist dieser Eilbrief in Deinen Händen, und Du kannst also morgen vormittag mit dem D-Zug abreisen. Auf frohes Wiedersehen!
Mit den allerherzlichsten Grüßen, auch von Tante Agathe,
Dein seliger
Heinzelmann.