Sittenroman von
Richard Jonas
Verlag. moderner Lektüre.
— — — — — G.m.b.H. — — — — —
Berlin SO16, Michaelkirchstraße 23a
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre
G. m. b. H., Berlin 26. — 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin
Peter war auf Ceylon geboren, jenem Inselparadies, das jeden Mann entzückt, weil die braunen Singhalesinnen stattliche, schlanke Leiber sind und weil das Blut, das in ihren Adern rollt, noch um etwa fünfzig Prozent heißer ist als das der Spanierinnen.
An Europens übertünchte Höflichkeit konnte Peter sich noch immer nicht gewöhnen. Er hatte entsetzliche Unmanieren, die sein Gönner Winfried Balk ihm vergeblich abzugewöhnen suchte.
Balk sagte so und so oft zu ihm: „Peter, Du bist das reine Enfant terrible, und mit Dir nimmt's sicher noch ein schlechtes Ende! Du wirst hinter vergitterten Fenstern den Rest Deines Daseins vertrauern, denn Du übersiehst täglich so und so oft, daß wir hier in Deutschland noch immer in einem Polizeistaat leben, sehr zum Ärger der täglich sich mehrenden Herren Verbrecher, die am liebsten die Polizei abschaffen und dafür ein Institut zur streng wissenschaftlichen Ausbildung von Taschendieben, Einbrechern, Hochstaplern und Schiebern eröffnet haben möchten, — also in einem Polizeistaat, in dem bis zu einem gewissen Grade die persönliche Freiheit noch immer geknebelt ist und zum Beispiel sehr streng darauf gesehen wird, daß niemand öffentlich Ärgernis dadurch erregt, daß er die kleinen netten Häuschen mit der Türaufschrift „Für Männer“ — „Für Frauen“ gänzlich meidet und in Gottes freier Natur gewisse dringende leibliche Bedürfnisse befriedigt.
Peter hatte hier zu sein gewöhnliches gleichgültiges — höhnisches Gesicht gemacht und mit seinem Taschentuch sich Luft zugefächelt — sehr graziös, wie er es Doktor Winfried Balks Hausdame Lissi abgelauscht hatte.
Worauf der Zahnarzt Doktor Balk weiter erklärt hatte: „Enfant terrible nennt man nämlich Kinder, die stets zur Unzeit irgend etwas herausplappern, das sie irgendwo aufgeschnappt haben, und dadurch der Schrecken ihrer Eltern werden und der Grund zu häufigem schamhaften Erröten für zart besaitete Naturen. so hat zum Beispiel letztens der kleine Fritz von Knigges bei einem gemütlichen Abendessen zum Geheimrat Schröder gesagt: „Du, Onkel, Papa meint, wenn Du Dir über Deinen Kahlkopf einen dicken Kohlestrich ziehst, so sieht's dann aus wie mein Popo!“ — Den Erfolg dieser Äußerung kannst Du Dir vorstellen. Man wand sich in Lachkrämpfen. Nur der Geheimrat lächelte säuerlich und meinte: „Über mein Söhnchen, wer wird ein solches Wort in den Mund nehmen!“ worauf Fritzchen beleidigt entgegnete: „Du, Onkel, die Tante Hulda nimmt noch ganz was anderes in den Mund, eine ganze handvoll Zähne, und Papa meint, dann wachsen ihn gar Haare drauf. Aber ich habe noch nie gesehen, daß sie Haare auf den Zähnen hat. Du vielleicht, Onkel?“ — sieh mal, Peter, das nennt man Enfant terrible. Hüte Dich. daß Du nicht Ähnliches mal bereißt! Sonst müßte ich Dir die Freundschaft kündigen.“
Auch dies ließ Peter kalt. Er schaute lediglich voller Interesse auf Fräulein Lissi Lotzglahs Mops „Süßerle“ der mit der linken Hinterpfote einem am Ohr arbeitenden Floh zu Leibe rückte und dabei wiederholt infolge seiner Kugelrunden Form die Balance verlor und nach der Seite umkippte, was sehr drollig aussah.
Dieser Mops war eine Möpsin und hieß eigentlich Kora, wurde aber von seiner Herrin stets nur Süßerle genannt, während Doktor Balk ihn insgeheim „fettes Schwein“ oder „gemästete Bestie“ getauft hatte, Namen, die auch Peter durchaus geläufig waren und denen er noch aus eigener Erfindung „Keuchender Flohsack“ hinzugefügt hatte.
Kora war bereits aus dem Hunde-Schneider heraus, das heißt, sie zählte zehn Lenze, war infolge strenger Überwachung ihrer Tugendhaftigkeit durch ihre Herrin noch Jungfrau und würde es nun wohl bleiben, da sie infolge Kurzatmigkeit die zwei Treppen bis zur Wohnung. des Zahnarztes weder allein hinunter noch hinauf kam, sondern auf die Benutzung des Fahrstuhls angewiesen war.
Peter hatte von vornherein eine starke Abneigung gegen Süßerle gehabt und die Aversion erst durch energischen Zuspruch seines Freundes Winfried angeblich überwunden. Trotzdem kam diese heimliche Feindschaft gelegentlich doch noch zum Vorschein und äußerte sich in zum Teil recht originellen Scherzen, die der kulturabgeneigte Sohn des sonnigen Ceylon mit der Möpsin sich leistete, — so zum Beispiel Einreiben der Partie dicht unter dem Ringelschwänzchen mit Syndetikon („Klebt, leimt, kittet alles!“), was schon einmal beinahe den Tod Koras an Darmverstopfung zur Folge gehabt hãtte.
Daß Fräulein Lissi Lotzglah Peter haßte, ist selbstverständlich. Und daß sie ihn trotzdem scheinbar gut behandelte, lag lediglich daran. weil sie die angenehme und aussichtsvolle Stellung bei dem allbeliebten jungen Zahnarzt nicht verlieren wollte. Denn sie hatte diese erst sechs Wochen inne, während Peter bereits eine Woche länger bei Balk als Gast weilte, und ihre Macht im Hause war noch nicht befestigt genug, um Peter mit List hinausgraulen zu können. Das sollte erst später geschehen — hoffte sie.
Möpse sind jetzt nicht mehr beliebt bei Damen. Man findet nur selten ein Exemplar dieser Rasse als Schoßhündchen vor. Daran sind die Witzblätter schuld, die sich Jahrzehnte lang förmlich durch Mopsscherze nährten und den Mops dadurch in Verruf brachten. Auch Robert Johannes kann sich nicht davon freisprechen, die Unbeliebtheit des Mopses als Damenfreund gefördert zu haben, indem er sein bekanntes Gedicht
„Ich hädd mal einen Mops.
Der fraß nich Keenigsbarger Klops“
zum Gaudium der Zuhörer tausend und einige Male vortrug. — Denn Fräulein Lissa Lotzglah trotzdem ausgerechnet einen Mops sich hielt, so beweist dies mehrererlei.
Erstens: sie war weder alt noch häßlich und brauchte nicht zu fürchten als Mopstante verspottet zu werden.
Zweitens: sie war doch schon in gesetzteren Jahren. Denn wirklich junge Mädchen schaffen sich selten so einen vierbeinigen „Mannersatz' an! Die hoffen noch, all ihre Zärtlichkeit auf ein zweibeiniges Opferlamm, ausgießen zu können, nachdem sie es vor den Opferalias Traualtar geschleppt haben.
Drittens: Wer Tiere liebt, ist kein schlechter Mensch. — Lissi liebte ihr Süßerle abgöttisch. Also mußte sie ein Phänomen von gutem Charakter sein. — hm — sie hätte es sein müssen! Denn der Fortgang dieser „Jagd auf den Mann“ wird zeigen, daß Lissi in vielen Punkten und gerade in einem Hauptpunkt durchaus nicht einwandfrei war, sondern —!
Viertens. Echte Hunde sind sehr teuer. Möpse ganz besonders. Daher mußte Lissi wohl so eine Ausgabe sich leisten können, also etwas begütert sein — Nun — auch hierhinter wird man später vielleicht ein Fragezeichen setzen müssen. —
— Der Haushalt Doktor Balks ist hiermit noch nicht erschöpft. Zu erwähnen ist noch Fräulein Ludmilla Sznodrowki, die Köchin, zugleich Stubenmädchen, Plättmamsell und Wirtschafterin. Denn um die Wirtschaft konnte Lissi sich nicht kümmern, weil sie dem Doktor bei der Behandlung der Patienten helfen mußte.
Ludmilla war ein Original. sie hatte bereits bei Balks Eltern gedient und nahm sich daher dem Zahnarzt gegenüber manches heraus, was so leicht sonst niemand tat. Peter war ihr erklärter Liebling. Von Lissi wollte sie nicht viel wissen, nannte diese Peter gegen über häufiger bemaltes Weibsbild“ und deren Mops „grauliches Hundsvieh“. —
Es war ein Maimorgen. Ein Montag. Also Wochenanfang. Abergläubische Gemüter legen diesem Tage eine besondere Bedeutung bei. Peter wußte hiervon nichts. Er war früh aufgestanden und hatte am Schwebereck im Flur eine halbe Stunde geturnt, denn er wollte seine Gelenkigkeit nicht verlieren.
Dann aber war ihm zum ersten Male Gelegenheit gegeben, sich Lissis bisher stets gut verschlossenes Zimmer genauer anzusehen.
Und das kam so. Er saß gerade oben auf der Reckstange, als Lissis Tür ganz leise geöffnet wurde und Lissi dann sehr schnell den Flur bis zu einer anderen Tür entlanglief, die oben eine Milchglasscheibe hatte. Hier riegelte Lissi sich ein. Und als Peter nun Wasser rauschen hörte und annahm, Süßerles Herrin würde noch eine Weile an diesem Orte bleiben, der hier die Rufschrift „Für Männer und für Frauen“ hätte tragen müssen, dieweil gerade dieses Gemach für die Geschlechter in Mietshäusern nicht getrennt ungelegt wird, so wagte er es, ganz leise die Klinke zu Fräulein Lotzglahs jungfräulicher Kemenate herabzudrücken und einzutreten — nur für Sekunden.
Süßerle, der auf einem Plüschsessel im Halbschlaf gelegen hatte, kriegte bei Peters Erscheinen einen Mordsschreck und kugelte sich so schnell es ging unter das Sofa. Ihm stand noch ganz frisch im Gedächtnis, wie Peter ihm gestern Nachmittag heimtückisch und unter Anwendung von Gewalt drei pfropfenähnliche weißliche Dinger aus einer Schachtel, auf der „Stuhlzäpfchen“ zu lesen war, dort beigebracht hatte, wo für gewöhnlich nichts zu sich genommen, sondern im Gegenteil überflüssiges abgelegt wird. Die Folge dieser Prozedur war gewesen, daß Ludmilla auf Süßerle mit dem Besen Jagd gemacht hatte. da der Mops nicht mehr rechtzeitig ins Freie kam, sondern im Flur sich verschiedentlich verewigte.
Süßerle hatte also triftigen Grund, vor Peter auszukneifen. — Dieser beachtete den keuchenden Flohsack heute jedoch nicht weiter, sondern wollte sich schnell hier mal umsehen. Ihn interessierten jungfräuliche Gemächer. Auf Ceylon hatte er derartige „zarte“ Räume nie zu Gesicht bekommen; nur den Weiberharem.
Da — im Flur ein Räuspern! — So krächzte nur Lissi! Also — mein Peter ist wie ein Blitz unterm Bett, kriecht bis an die Wand und denkt: Das kann ja gut werden! Ein Glück, daß das fette Schwein nicht sprechen kann, sonst würde es mich fraglos verraten. Nein sprechen kann Süßerle nicht! Denn könnte er's, hätte er doch gestern seine Herrin darüber aufgeklärt, weshalb er, der Stubenreine, plötzlich den Flur für eine öffentliche Bedürfnisanstalt angesehen hat.
Fräulein Lotzglah trat ein, — ahnungslos! —, schloß die Tür, riegelte ab, entdeckte sofort das Fehlen ihres Zuckerchens und flötete: „Süßerle, Süßerle — wo. steckst Du?“
Der Mops schlängelte sich unter dem Sofa hervor. In Gegenwart Lissis fühlte er sich sicher — total sicher. Peter hätte sich jetzt nie an ihn herangewagt. Das wußte er.
Süßerle bekam drei Küsse zwischen die Augen und wurde wieder auf den Sessel gehoben.
„Mein Hunderl, weshalb bist Du denn so verstört?“ fragte Lissi erstaunt. „Dein süßes Schwänzchen hängt ja genau so traurig herab wie damals, als dieser abscheuliche Peter Dir mit Syndetikon beinahe das Leben geraubt hätte. — sollte der Bösewicht etwa wieder dasselbe —? — Sei brav, Süßerle, laß Dir Dein Schwänzchen hochheben und nachschaun! — Gott sei Dank, alles frei — So, nun schlaf' noch ein halbes Stündchen, bis Frauchen sich gewaschen und angezogen hat.“
Der Mops schielte dauernd nach dem Bett hin. Dort lag ja sein Todfeind! Und dort erschien nun wirklich dessen freches Gesicht, von dort aus wurde dieses Scheusal von Peter Zeuge, wie Lissi selbst das Nachthemd zu Boden gleiten ließ und sich mit dem Riesenschwamm völlig abrieb.
Peter imponierte das, was er sah, durchaus nicht. Er war von den Singhalesinnen auf Ceylon Besseres gewöhnt, — so mehr Straffheit an gewissen Stellen und - geradere Beine!
Donner — hatte die Lotzglah O-Beine! Da konnte ja Süßerle bei Hackenschluß bequem hindurchspringen! Also deshalb trug sie stets so lange Röcke, obwohl die anderen Weiber hier in Berlin jetzt doch in Babykitteln, bloß bis zum Knie, umherrannten.
Na — im allgemeinen ging aber wenigstens das Obergestell noch an! Es ging — Der Busen freilich —! Hm — auf Ceylon hätte Peter bei einer Singhalesin mit solcher Brustpartie auf drei bis vier Kinder geschlossen!
Erst jetzt schaute er sich das Gesicht näher an. — Nanu — was war das?! Das war doch gar nicht die Lissi. Nein — die Lissi sah noch verhältnismäßig jung aus, hatte einen Teint wie Milch und Blut und wundervolles, blondes Haar, das sie im Knoten hinten hochgesteckt trug.
Diese Lissi jetzt hatte Falten im Gesicht und eine gelbgraue Couleur, mußte um 10 Jahre älter sein als die andere Lissi. Um den Kopf hatte sie bis zur Nase turbanartig einen Schleier geschlungen. Und — wie sie jetzt zu Süßerle kosend sagte: „Schlaf doch, mein Zuckerchen!“ — da war ihr Mund so zahnleer wie der eines Ochsenfrosches!
Peter kratzte sich den Schenkel. Er merkte — er hatte hier schon einen Flohbock vom Süßerle aufgeangelt! Ein Bock mußte es sein! Denn eine Flohsie hätte doch nicht gleich so grob gestochen. — Er kratzte sich und wunderte sich gleichzeitig, wo überall die Lissi sich wusch! Sogar einen Apparat ähnlich einer Spritze benutzte sie! — Peter kam sofort der Gedanke: „Halt — mit dem Ding wirst Du mal die Flohbestie pisacken! Das gibt 'n Mordsspaß!“
Nun legte Lissi das Taghemdlein an. — Hm — das gefiel Peter. Sah nett aus, der dünne Stoff mit den blauen Bändchen und Schleifchen.
Es folgten ein Paar blaßrosa seidene Schlüpfer. Auch die fanden seinen Beifall.
Dann die Florstrümpfe und das Korsett!
Da staunte Peter wieder und streckte den Kopf weiter vor. Ein Korsett war ihm was Neues.
Verrücktes Möbel! dachte er. Nicht eine einzige Singhalesin trägt so was! — Aber — die Figur gewinnt fraglos dadurch!
Es kamen die Morgenschuhe und der seidene Unterrock an die Reihe.
„Sie wird immer Frauenähnlicher,“ sagte Peter sich. „Nur — nur das graugelbe Gesicht! Ob sie denn dafür 'ne Vorrichtung hat, es farbig und faltenlos aufzupumpen — wie etwa 'nen schlappen Radpneumatik?“
Da — beinahe hätte er losgebrüllt vor Schreck in seiner zwölfjährigen Harmlosigkeit. Denn — Lissi hatte soeben den Schleier entfernt!
Und — darunter war nun ein Schädel zum Vorschein gekommen, der weit weniger behaart war als Peters höchsteigener Kopf, — ein Schädel, auf dem oben in der Mitte etwas sich hochreckte, ähnlich dem Schwänzchen Süßerles, — ein Zöpfchen, Rattenzäpelchen genannt!
Peter hatte sich schnell erholt von dieser unheimlichen Überraschung. Nun beobachtete er mit steigendem Interesse, wie Lissi sich vor den Frisiertisch setzte, wie sie das Gesicht mit Farben anpinselte und mit einem Zeugs wie Mehl bestäubte, wie sie dann aus einer Porzellanschale ein Gebiß herausnahm, in den Mund schob, wie sie schließlich aus einer Schublade — ihre blonden Haare hervorholte, mit der Linken hielt und mit der Rechten kämmte und bürstete, wie sie ferner das Rattenschwänzchen durch die über den Kopf gestülpte Haarpracht hindurchzog und es als Bindfaden zum Befestigen dieses Betrugsobjekts benutzte.
Und — nun erst war sie ganz Lissi Lotzglah — ganz und gar!
Peter staunte maßlos! Das war ja beinahe Hexerei, die Verwandlung!
Da — schon wieder stach ihn so ein verfluchter Flohbock. Er fuhr ordentlich zusammen und — sein Kopf gegen die Matratze des Bettes!
Die Sprungfedern klangen wie verstimmte Klaviersaiten. Und vom Frisiertisch klangen Lissis entsetzte, empörte Worte: „Ah — er hat sich hier eingeschlichen! Das Beest! Na warte!“
Peter wurde verdammt schwül zumute, zumal die Lotzglah jetzt nach einem Spazierstock langte.
Nein — verprügeln lassen wollte er sich nicht!
Er schnellte unter dem Bett hervor, schloß die Tür auf, war wie ein Blitz draußen und raste bis zu Winfried Balk ins Schlafzimmer, wo er auf die Fußlehne des Bettes hüpfte und — in aller Ruhe mit seinen geschickten Fingern seinen Pelz nach den Flöhen abzusuchen begann, die er bei dieser Rotzglas — nein Glotzaff, — nein Lotzglah aufgeangelt hatte.
Er kriegte sie sehr bald, die beiden Flohböcke, und knackte sie mit Behagen zwischen den Vorderzähnen, wie Ceylonaffen dies zu tun pflegen.
Und Winfried Balk schaute zu, lachte und sagte:
„Peter, die hat Dir wieder Dein Freund Süßerle huldreichst überlassen! Komm — hier in meinen Unterhosen muß auch einer stecken. Bring auch ihn vom Leben zum Tode.“
Peter sprang elegant neben seinen Freund, der auf dem Bettrand saß, nahm ihm die Unterhosen ab, fand den Flohbock in kurzem und fletschte erfreut die Zähne, als der Doktor ihn nun dankbar den Kopf kraulte.
Ceylonaffen werden einschließlich des Kletterschwanzes bis zu 1½ Meter lang. — So lang war auch Peter. Sein Fell hatte eine schmutzig braun-grüne Farbe. Das Gesicht war ausdrucksvoll; die Augen lebhaft und ohne Hinterlist. Er war klug wie alle Ceylonaffen, die die Singhalesen dazu abrichten, die Kokospalmen zu erklettern und die reifen Früchte abzubrechen und hinabzuwerfen. Auch sonst sind sie leicht zu allerhand Arbeiten zu dressieren, zum Mühle-Drehen, zum Bananen-Schälen, zum Wetzen von Messern und vielem anderen. —
Peter gehörte Balks Freund, dem Weltreisenden Tobias Krumm. Dieser war jetzt in Grönland und hatte Peter dorthin nicht mitnehmen können, weil er sich da fraglos ein schweres Lungenleiden geholt hätte. Tobias Krumm hatte ihn vor drei Monaten aus Ceylon mitgebracht und liebte ihn noch mehr als Lissi ihr Süßerle. Nur Balk hatte er ihn anvertraut. Und der hatte feierlich schwören müssen, ihn stets gut zu behandeln. —
Als der Doktor mit der Morgentoilette fertig war, ging er ins Speisezimmer hinüber, wo die Rotzglas — Glotzaff — Lotzglah bereits am Frühstückstisch wartete und den „schönen Winfried“ mit zuckernem Lächeln begrüßte. Peter war dicht hinter Balk geblieben. Süßerle aber lag in der Sonne auf dem Teppich vor der offenen Balkontür.
Lissi erzählte, daß Peter bei ihr sich eingeschlichen gehabt hätte. Sie zitterte noch vor Ärger. Denn ein Affe wie Peter war ja ein halber Mensch! Und dieser halbe Mensch hatte doch so Verschiedenes mitangesehen, was ihr sehr, sehr peinlich war.
Balk lachte harmlos auf.
„Ei — schau' mir einer den verliebten Peter an!“ meinte er. „Das kann ihm so gefallen, sich in Damenboudoirs unters Bett zu legen und den Schwerenöter zu spielen!“
Ludmilla, die gerade die Kaffeekanne gebracht hatte, brummte in sich hinein: „Wird er sich wennig Freid gehabbt habben, der Petter! Bei die lackierte Voggelscheiche isse sich nichts vill zu sehhen!“
Die lackierte Vogelscheuche aber hatte dem Doktor einen Glutblick zugeworfen, als er das Wort Bett aussprach, senkte dann schämig den Kopf und dachte: „Wenn ich Dich doch nur erst so weit hätte, daß Du den Schwerenöter bei mir spielst!“
Peter bemerkte den Blick! Den kannte er von Ceylon her. — Aha — die Rotzglas — Glotzaff — Lotzglah wollte seinen Freund Winfried „angeln“ —! Ihm ging ein Licht auf! Und er fletschte die Zähne und grinste diabolisch! Die Lissi sollte sich wundern! Hier würde er den Tugendwächter spielen — und wie!
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Dr. med. Winfried Balk, prakt. Arzt und Zahnarzt, hatte sich vor anderthalb Jahren auf dem Kurfürstendamm niedergelassen im sicheren Vertrauen auf sein Glück und sein — Äußeres!
Er hatte richtig kalkuliert. Er wurde schnell Mode bei allen Frauen, Jungfrauen, Halb- und Vierteljungfrauen und Lebedamen. Er war eine tadellose Erscheinung, liebenswürdig, lebensfroh, dabei als Zahnarzt sehr geschickt und sehr gewissenhaft. Von Hause aus arm, hatte er nur durch die Hilfsbereitschaft Tobias Krumms seine Studien beenden und sich seine jetzige elegante Wohnung einrichten können.
Krumm war schwerreich, Junggeselle und Verbindungsbruder Balks. Sie standen wie Brüder miteinander. Als Tobias nach Grönland abreiste, hatte er Balk sich nochmals „vorgebunden“ und gesagt:
„Jungchen, halt' die Ohren steif! Verlob Dich nicht! Denn Du kannst Strychnin darauf nehmen, daß Dreiviertel Deiner Kundinnen abschnappen, sobald Du Dich für eine Bestimmte entschieden hast! Dir geht's jetzt glänzend. Setz' das nicht leichtfertig aufs Spiel! Liebe, so viel Du kannst und magst, — aber — denke nie an Heiraten! Du brauchst's ja auch nicht. Dein Bedarf ist stets überreich gedeckt! Auf Wiedersehen, Jungchen! Verlobst Du Dich inzwischen, so sind wir geschiedene Leute! Ich bin Junggeselle aus Überzeugung, — auf Grund von Erfahrungen, die ich bei einer einzigen Vertreterin der holden Weiblichkeit gesammelt habe. Das ist lange her, sehr lange. Aber — die Erfahrungen sind noch so frisch, daß nicht zehn Lastautos mich vor den Traualtar schleppen würden.“
Balk hatte zu dieser Warnung gelächelt.
„Topp, meinst Du, mich sticht der Hafer?!“ hatte er erwidert. Ich weiß sehr gut, daß all die Frauen, Jungfrauen, Halb- und Vierteljungfrauen und Lebedamen nur zu mir kommen, weil sie alle hoffen, ich könnte entweder für längere oder kürzere Zeit oder gar für ewig mich ihnen zu gewissen Zärtlichkeiten verpflichten, die, wollte ich sie in ihrer Gesamtheit, wie sie angeboten werden, auskosten, in kurzem mein feierliches Begräbnis herbeiführen würden. Du — ich erleb' Dir Dinge mit meinen Patientinnen, Dinge —! Manchmal gehört wirklich ein reines Eunuchenherz dazu, gegenüber so viel Gebefreudigkeit kalt zu bleiben! Daß die Holden zu mir in Blusen von einer Stoffknappheit und Offenherzigkeit kommen, die alles — alles enthüllt, — das läßt mich schon kalt! Oh — jede hat da noch so einen besonderen Trick, mich zu — fesseln! Als da sind: ohnmächtig werden, Händedrücke wie aus übergroßem Schmerz, sanfte Berührung mit den Knien, leise gehauchte Worte — und so weiter! — Das ist aber nur der harmlose Teil der Fangmethode. Es gibt noch einen gefährlicheren: das ins Haus Bestellen! — Denn dann ist ja meine Hausdame und Helferin nicht dabei! — so hat mich letztens die Gattin eines mehrfachen Millionärs, dessen Wiege noch im Ghetto in Warschau gestanden hat, spät abends holen lassen, als sie bereits mit angeblich „wahnsinnigen“ Zahnschmerzen im Bett lag. Du, Topp, — es war keine Kleinigkeit, aus dem Schlafzimmer wieder als keuscher Josef herauszukommen! Ne — wahrhaftig nicht! Und als ich ging und — bildlich gesprochen! — nur meinen Hemdzipfel daließ, da — hatte ich mir eine bittere Feindschaft zugezogen, das merkte ich. Dir will ich auch den Namen nennen: es handelte sich um Frau Viktoria alias Vikky Moßberg, deren Gatte noch vor sechs Jahren Mosesberger hieß. Ich fürchte, sie wird sich zu rächen versuchen. Frauen, die sich einem Mann so offerieren, wie sie's getan hat, hassen diesen Mann bis zur Sinnlosigkeit, wenn er — die Offerte eben ausschlug!“ —
Dieses Gespräch lag nun sieben Wochen zurück. Inzwischen hatte Balk seine frühere Hausdame an die frische Luft gesetzt, weil sie allzu liebebedürftig war und daher eines Nachts in sein Schlafzimmer sich verirrt hatte. Dafür hatte er Fräulein Lissi eingestellt, die ganz vorzügliche Zeugnisse und ihm gegenüber bei der persönlichen Vorstellung betont hatte, daß sie Männerfeindin aus Überzeugung sei, da sie mit den Herren der Schöpfung zu trübe Erfahrungen gemacht habe; sie sei verlobt gewesen und der Elende habe sie dann einer reichen Partie wegen sitzen lassen. — Deshalb hatte Balk zugegriffen. Eine Männerfeindin war ihm gerade recht. — So kam Lissi Lotzglah in sein Haus. —
An demselben Montag, der dem angeblich verliebten Peter die Kenntnis verschiedener Toilettengeheimnisse der Herrin des keuchenden Flohsacks vermittelt hatte, passierte bei Balk aber noch verschiedenes andere.
Es war am Vormittag gegen elf Uhr. Der zahnärztliche Betrieb war im vollen Gange. Unendlich viele Damen, Dämchen und solche, die sich gern als zur ersteren Kategorie gehörig aufspielten, wollten noch vor Antritt der Sommerreise das Gehege ihrer Zähne einer eingehenden Revision unterziehen lassen und gleichzeitig noch einen erneuten Versuch wagen, das Eisherz des schönen Winfried so weit zu erwärmen, daß dabei für sie eine süße Erinnerung für die Zeit der Trennung vielleicht herauskäme.
Das Wartezimmer war dicht besetzt. Es roch darin nach allen Wohlgerüchen Arabiens und nach den Körperdüften verschiedener Menschenrassen, als da sind Germanen, Slawen und besonders Orientalen. Letztere waren sehr stark vertreten. — Zwischen zwei schwarzhaarigen übereleganten Frauen reiferen Alters saß mit sehr kläglichem Gesicht ein junges, blondes Mädchen, deren schlichtes weißes Kleid insofern hier noch stark auffiel, als es eine ganz spießerhafte Länge hatte.
Hochmütige Blicke streiften immer wieder das blonde Kind, das offenbar wirklich an Zahnweh litt. Zweimal hatte das arme Ding sich bereits an Lissi Lotzglah gewendet die hin und wieder ins Wartezimmer kam und die Namen der neuen Patienten notierte. — „Ich habe so entsetzliche Schmerzen“, hatte sie zu der sehr vornehm in Seide daherrauschenden Hausdame gesagt. „Könnte der Herr Doktor nicht eine Ausnahme machen und mich zuerst annehmen? Ich will mir ja nur den Zahn ziehen lassen.“
„Bedauere. Es geht streng der Reihe nach,“ hatte die Lotzglah von oben herab erwidert. Und aus der Schar der Eleganten war noch als Nachklang eine Stimme laut geworden:
„Noch schöner! Außer der Reihe!“
Das blonde Kind hatte ein paar Tränen vergossen, was wieder ringsum ein spöttisches Kichern wachgerufen hatte. In Berlin W, Kurfürstendamm herum, findet man ja nicht nur die reichsten, sondern auch nur Leute von entsprechendem Fein und Taktgefühl!
Da — nach einer ganzen Weile — erschien die Lotzglah abermals, dienerte wie ein Stehaufmännchen vor der Frau Kommerzienrat Schleichauer und merkte nicht vor lauter Domestikenhöflichkeit, daß Peter ins Zimmer geschlüpft war und sich zunächst hinter den Garderobenständer gesetzt hatte.
Die Lotzglah verschwand. Und hinter ihr drein raunte es:
„Ein Affe — der Affe — oh, er ist ganz zahm! — Er sieht so böse aus“ —, und so weiter.
Peter erfreute sich bei den Patientinnen, die ihn bereits kannten, keiner uneingeschränkten Beliebtheit. Nein — es gab viele, die ihn geradezu haßten, da er sich zuweilen vor den Augen der Damen sehr, sehr gehen ließ und Untugenden verriet, die für Affen geradezu charakteristisch sind, besonders die eine, die mit dem regen Liebestrieb dieser Vierhänder nahe zusammenhängt.
Er wanderte jetzt langsam im Zimmer auf und ab, blieb hin und wieder stehen, schaute die Schuhe und Florstrümpfe der Damen an und grinste schadenfroh, wenn die Weiber leise aufkreischten, sobald er sich von der Güte der Florstrümpfe durch Betrachten überzeugen wollte.
So kam er auch zu dem Blondchen, das jetzt vor Schmerzen wieder ganz leise schluchzte.
Er machte halt. Seine großen, braunen Augen richteten sich auf die Leidende und verrieten sehr bald tiefe Teilnahme. Sacht begann er der so bescheiden Gekleideten die rechte Hand zu streicheln, die im Schoße ruhte, während die linke das Taschentuch gegen die tränenfeuchten Augen preßte.
Das junge Mädchen hatte als einzige den braungrünen Affen bisher nicht bemerkt. Bei der Berührung ihrer Hand schrak sie heftig zusammen. Nun erblickte sie Peter; Staunen malte sich in ihren Zügen; dann mußte sie lächeln; sie fühlte ja: das kluge Tier wollte sie trösten.
Peter drückte sich nun ganz eng an ihre Knie und legte den Kopf in ihren Schoß.
„Das freche Vieh! — nein, wie rührend! — welch zärtliches Tier! — die abscheuliche Bestie!“ — klang's aus dem Damenflor heraus.
Das Blondchen streichelte Peter den Kopf. Das gefiel ihm. Er drehte den Kopf hoch und ließ ein behagliches Grunzen hören.
In demselben Augenblick öffnete Doktor Balk die Tür und trat halb ein, sagte: „Vielleicht ein dringender Fall, meine Damen?“
Da bemerkte er das Mädchen und Peter. — Er war sprachlos! Peter war mit Beweisen seiner Zuneigung ja so außerordentlich sparsam! Und hier nun — hier hatte er sofort mit einer wildfremden jungen Dame Freundschaft geschlossen?! — Das war zum mindesten merkwürdig.
Sein Blick prüfte nun auch das Gesicht der neuen Freundin Peters. Und — war er schon soeben mehr als erstaunt gewesen über Peters schnell erwachte Sympathie für die jugendliche Patientin, so konnte er jetzt kaum einen Ausruf der Verwunderung unterdrücken, — nein, den Ausruf ehrlicher Bewunderung!
„Welch liebreizendes, feines Gesicht!“ dachte er. „Und diese großen, dunklen Augen! Wie viel Seele liegt darin! Und nicht eine Spur von jenem koketten Selbstbewußtsein des Weibes, das sehr genau weiß, wie reizvoll es ist!“
Noch mehr sah er: die linke Wange war leicht geschwollen. Und die Augen schwammen in Tränen!
Da erst faßte das junge Mädchen Mut, als es wahrnahm, daß Balk sie nun voller Teilnahme musterte. sie glaubte wenigstens, es sei Mitgefühl. Und sie sagte leise und unsicher:
„Herr Doktor, ich habe sehr große Schmerzen. Aber Ihre Empfangsdame erklärte, die Patienten kämen nur der Reihe nach heran.“
Seine Mienen verfinsterten sich einen Moment.
„Es wäre grausam, keine Ausnahmen zu machen,“ meinte er schnell. „Die anderen Damen, die ja wohl ohne Schmerzen sind, werden kaum etwas dagegen haben, daß ich einmal nachsehe, ob wir Ihnen nicht rasch Linderung verschaffen können.“
Der Chor flötete:
„Aber gewiß! — selbstverständlich! — die Rücksicht nimmt man doch gern!“
„Bitte!“ sagte Balk und öffnete die Tür ganz weit. — Und das Blondchen betrat das Sprechzimmer. Peter aber blieb dicht hinter ihr, kauerte sich dann neben dem Operationsstuhl nieder und langte abermals nach des Mädchens Hand.
Inzwischen hatte Balk Fräulein Lissi Lotzglah im Hintergrunde leise zur Rede gestellt.
„Ich muß doch sehr bitten, daß sie mir solche Fälle sofort melden!“ sagte er mit einer Schärfe wie nie bisher. „Sie müssen der jungen Dame doch angesehen haben, daß sie schwer litt!“
Die Lotzglah verfärbte sich, stammelte etwas von nicht für so dringend gehalten!“ und — hatte eine Wut auf die Blonde — eine Wut!
Balk untersuchte nun die Zähne des jungen Mädchens, stellte Wurzelhautentzündung fest und hatte dann in kurzem eine Linderung erzielt, gab der jetzt ganz heiter Dreinblickenden noch ein paar Verhaltungsmaßregeln und notierte dann ihren Namen:
„Traude Gröner.“
„Ich wohne bei meinem Großvater, dem Privatgelehrten Ludwig Gröner, hier im Gartenhause,“ erklärte sie dann.
„Ah — also Hausgenossen sind wir!“ meinte er lebhaft. „Ihren Herrn Großvater kenne ich persönlich. sie weilen dort wohl nur als Besuch, gnädiges Fräulein?“
„Nein, Herr Doktor, ich habe hier eine Stelle als Haushaltungslehrerin angenommen, — vom 1. Juni ab.“
Es entspann sich eine Unterhaltung, die Fräulein Lotzglah durch wiederholtes Räuspern und Klirren mit den Instrumenten zu stören suchte. — Sie war jetzt zum Bersten voll vor Ärger und jäh aufgestiegener Eifersucht, die vornehme, üppige Lissi! Sie hätte diese Traude Gröner am liebsten gewaltsam hinausbefördert! Sie zitterte geradezu vor verhaltenem Grimm! Denn niemals tat Winfried Balk das, was er jetzt mit einer Ruhe tat, als befänden sich nicht noch neun Damen im Wartezimmer! Er — er unterhielt sich hier mit einer Patientin wie in einem Salon! Er — er, der stets so liebenswürdig, aber auch stets so unnachahmlich zurückhaltend war, — er scherzte mit dieser blonden „grünen Unschuld“ in so beinahe ausgelassener Stimmung, als hätte er heute das große Los gewonnen! — Himmel — sollte hier etwa eine gefährliche Nebenbuhlerin aufgetaucht sein?! Die Männer sind ja zuweilen rein toll nach solchen „Lämmchen weiß wie Schnee“! — Sie wußte das recht gut! Sie kannte die Herren der Schöpfung ja! Und — wie kannte sie sie! Acht stellen als Hausdame hatte sie bereits innegehabt; acht Mal versucht, zur Ehefrau zu avancieren; acht Mal umsonst! Die acht Herren waren eben sämtlich zu schlau gewesen und hatten sich nicht fangen lassen! Hatten ihr dann hervorragende Zeugnisse mit auf den Scheideweg gegeben, nur um sie loszuwerden! Ach — diese Männer! Diese Schlangenbrut! — Aber — jetzt war sie ja hier an einen jüngeren, unerfahreneren geraten! Der — der mußte dran glauben! Unbedingt! Koste es, was es wolle! Sie würde jetzt nach einem ganz anderen Programm „arbeiten“, würde nicht mehr ihres Leibes Reize in die Wagschale werfen, sondern schärfere Sachen! Sie würde es eben mit einer ganz raffinierten Intrige versuchen!
Ah — Balk beugte sich nun sogar vor und schaute diesem blonden Schäfchen ganz tief in die Augen.
Lissi hustete sehr kräftig und warf eine Zahnzange zu Boden. — Es half nichts! Er sagte doch zu Traude in bereits fast vertraulichem Ton:
„Ja — morgen bringe ich Ihrem Großvater die mir freundlichst geliehenen Bücher zurück. Dann können wir das Thema weiter behandeln, gnädiges Fräulein.“
Sie reichten sich die Hände. Und Peter saß neben ihnen und fletschte vergnügt die Zähne.
Lissi kochte nicht mehr vor Mut! Nein — sie war jetzt ganz hundeschnäuzig geworden! Sie hoffte, daß ihr noch heute etwas einfallen würde, das eine Fessel für Balk werden könnte, eine unzerreißbare Fessel!
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Peter war der einzige von den dreien gewesen, die außer Lissi sich jetzt hier im Sprechzimmer befunden hatten, der das Mienenspiel der hüstelnden, krächzenden; mit Instrumenten rumorenden Rotzglas — Glotzaff — Lotzglah beobachtet und daraus sehr richtige Schlüsse auf deren Seelenzustand gezogen hatte, — Schlüsse, die noch weiter gingen als der, den er dem Glutblick bei dem Worte „Bett“ am Morgenkaffeetisch zu verdanken hatte.
Peter war ja kein gewöhnlicher Affe. Daheim auf Ceylon hatte sein erster Herr, der Singhalese Bir Schakri, ihn sogar dazu verwendet, auf die eheliche Treue seiner vier Gemahlinnen aufzupassen, wenn er verreist war. Die Aufgabe war nicht einfach gewesen. Bir Schakri war nämlich 70 Jahre alt, und seine Frauen um einige 50 Jahre jünger. Daß bei diesen Altersunterschied die heißblütigen Damen stark zu Seitensprüngen neigten, ist begreiflich. Peter hatte denn auch seine ganze Schlauheit aufbieten müssen, um den zahlreichen Verehrern der braunen Schönen den Appetit auf den verbotenen Braten zu verderben. Wie er dies fertig gebracht hatte, soll erst später verraten werden, wenn unsere Geschichte in das Katastrophenstadium gelangt ist.
Ja — Peter war ein Überaffe, das heißt, ein Affe, den Friedrich Nietzsche, der Philosoph und Erfinder des Übermenschen und der Peitsche, die man mit zum Weibe nimmt, fraglos in einem besonderen Bande verewigt hätte, wenn er ihn gekannt haben würde.
Peter schaute der das Sprechzimmer verlassenden Traude, die auch ihm noch zum Abschied die Pfote gedrückt hatte, ernst nach und sagte sich: „Diese frisch lackierte Spinatwachtel, die Lissi, brütet finstere Eier aus, aus denen finstere Pläne nachher auskriechen sollen! Na — ich werde dafür sorgen, daß das Brutgeschäft gestört wird, so wahr ich ein Sohn der Sonne Ceylons bin!“
Nachdem er dieses Gelöbnis abgelegt hatte, begab er sich auf die Suche nach dem keuchenden Flohsack, den er heute noch nicht im geringsten schikaniert hatte. Und das fehlte ihm zu seiner Behaglichkeit heute mehr denn je, weil er eben zugleich mit Süßerle auch die Lissi ärgerte. Und die hatte ein wenig Ärger reichlich verdient, schon allein da sie die hübsche Traude trotz der entzündeten Hautwurzel — oder hieß es Wurzelhaut? — nicht gleich vorgelassen hatte.
Süßerle lag noch immer im Eßzimmer vor der Balkontür in der Sonne und schnarchte. Peter war wie ein Dieb hereingeschlichen gekommen und musterte nun in Vorfreude der zu erwartenden Genüsse sein Opfer mit vergnügten Augen. — Aber — was sollte er nun mit dem Mastschwein anstellen — was?! — Syndetikon wieder verwenden? — Nein — das war zu abgenutzt als Scherz! Außerdem: die Folgen einer total verkleisterten Achterseite waren doch zu gefährlich! — Und — roh von Gesinnung war Peter keineswegs!
Also — was anderes! — Und — da fiel ihm plötzlich die Szene von heute morgen ein, als die Rotzglas --Glotzaff — Lotzglah sich ihr welkes Gesicht in kurzem so wunderbar verjüngt hatte. — Großartig war der Gedanke — phänomenal! — Wird gemacht!
Mein Peter also hinüber in der keuschen Lissi noch keuscheres Gemach; ran an den Frisiertisch; raus mit der Schublade, in der all die Büchschen, Tuben und Quasten lagen.
Ah — welch ein Fund! Ganz, ganz hinten lag ja eine zweite Garnitur von Lissis prachtvollem Blondhaar! Donner — ließ dieser Ersatzschopf sich nicht auch irgendwie verwenden?! — „Natürlich — mit Leichtigkeit!“ nickte Peter und packte auch die Perücke in Fräulein Lissis Nachthemd ein, da er gerade keinen Bogen Papier zur Verfügung hatte. —
Der Flohsack träumte gerade süß, sehr süß von dem hübschen Foxterrier von gegenüber, mit dem man so gut über die Straße hinweg poussieren konnte. Da — ein entsetzliches Erwachen!
Er fühle sich plötzlich eingezwängt in einen engen Wäschebeutel, fühlte, wie ihm sein Todfeind Peter die Schnur des Beutels so fest um den Hals zuzog, daß er kaum mehr japsen konnte.
Und dann — dann spielte Peter mit jenem Geschick, das den Affen infolge ihres hochentwickelten Nachahmungstriebes eigen, den — Theaterfriseur!
Zum Schluß befestigte er die blonde Perücke mit einer Schnur über Süßerles Nacken und Ohren! Dann — beschaute er sein Werk; und siehe: es war gut, es war besser, es war glänzend geraten.
Bevor er dann den Flohsack freigab, brachte er schminken, Puder und so weiter an Ort und Stelle zurück. —
Im Wartezimmer saßen noch sechs hoffnungsfrohe Damen, von denen eine eine wirkliche Dame, drei imitierte und der Rest Halbweltdamen waren. Sie saßen alle sechs und taten vornehm, zeigten ihre Brillantringe, ihre Ohrringe, spielten mit goldenen Lorgnons und taxierten sich gegenseitig darauf ein, ob die oder jene mehr Aussicht als „man selbst?“ hätte, diesen Eisblock von Balk zum Schmelzen zu bringen.
Die Tür nach dem Flur hin ging leise auf. Und — hinein in das Sprechzimmer flog der fette Mops, der mit seinem zart rosa geschminkten und gepuderten Gesicht, den getuschten dicken Augenbrauen und der blonden Haarpracht wie ein Hund einer zukünftigen Rasse aussah — einer Rasse, die zusammen zu mischen eine Preisaufgabe vorstellte.
Die Damen schauten — schauten, vergaßen dann alle Vornehmheit, prusteten los, lachten, daß ihnen die Wasserperlen überall hervordrangen, lachten so schallend, daß der Doktor nebenan glaubte, hier sei plötzlich eine Filiale einer Irrenanstalt eröffnet worden.
Er riß die Tür auf. Hinter ihm erschien die ahnungslose Herrin des derart verschönten Süßerle!
Und — beide erblickten gleichzeitig das rosige Untier! Aber — die Wirkung war verschieden: Doktor Balk faßte sich nach dem Leibe, drückte mit aller Macht dagegen! Denn ihm drohte schier das Zwerchfell zu platzen.
Und die Rotzglas? — Das war jetzt eine richtige Glotzaff! Sie glotzte nach dem Flohsack hin, der wie ein total belämmertes Stückchen Unglück mitten im Zimmer saß und blöde geradeaus stierte.
Sie glotzte! Sie glaubte, eine furchtbare Vision zu sehen.
Dann — kam ihr die Erkenntnis: Peter, Peter — das Untier, das Scheusal, das Aas, das Beest —!
Ein Wutschrei entschwebte ihren roten Lippen, die der Lippenstift morgens stets taufrischen Rosenblättern ähnlich machte.
Ein Satz dann, und sie hatte Süßerle im Arm. Ein zweiter, und sie war im Flur.
Und hinter ihr drein dröhnte das Gelächter von sieben Menschen und das schadenfrohe Grunzen Peters, der jetzt hinter Winfried Balk stand und bemerkte, wie eine der imitierten Damen vor Heiterkeit sich immerfort knallend auf den Schenkel schlug. Das sah sehr originell aus von einer so fein angezogenen Dame — sehr!
Drüben aber in Lissis Zimmer heulte diese Wuttränen, riß Süßerle die Perücke ab, erdrosselte ihn dabei fast, stieß nach ihm mit dem Fuß, ließ all ihren Ärger an ihm aus.
Armer Mops! Er kroch mit schmerzenden Knochen unter das Sofa, vernahm nun seiner Herrin heiseres Selbstgespräch, zitterte vor Angst noch stärker und verlor so sehr jede Gewalt über sich, daß er, wie's auch Menschen ergehen soll, laufen ließ, was laufen wollte.
„Ich bin blamiert, bloßgestellt, verraten!“ zischte Lissi. „Meine kleinen Geheimnisse sind aufgedeckt —! Zum Glück noch nicht die großen! — Aber — weg müssen sie alle beide! Der Köter wird „ihn“ stets an die Perücke und die Schminke erinnern, und der heimtückische Peter wieder soll meiner Rache zum Opfer fallen! Vergiften werde ich ihn — und auch der Köter soll auf diese Weise enden! Aber das Affenvieh soll leiden — leiden, wie noch nie ein Affe gelitten hat. — Und „er“ entgeht mir doch nicht! Jetzt gerade nicht!“
Süßerle bibberte vor Grauen und dachte: „Nichts fresse ich mehr — nichts! Sie wird mir ja fraglos Gift ins Essen tun! — Und — da Peter jetzt mein Schicksalsgenosse ist, werde ich ihn warnen, obwohl er's nicht verdient hat!“
Lissi begab sich notgedrungen wieder ins Sprechzimmer, wo sie nun ganz harmlos-heiter sich gab, den „Scherz“ Peters entzückend originell fand und einflocht, daß sie mal in einem Theaterverein Mitglied gewesen und deshalb noch einige Schminken und Perücken vorrätig habe.
Balk durchschaute sie. Aus Höflichkeit tat er so, als glaube er an den Theaterverein. Innerlich feixte er noch immer über den geschminkten Mops. Und ebenso feixte Peter, der jetzt auf dem Fensterbrett hockte und seinen linken Hinterschenkel als Jagdgebiet benutzte. Denn der Flohsack hatte ihm wieder einen grimmig hungrigen Flohbock abgegeben — gratis und franko! —
Um ½2 mittags war die Sprechstunde zu Ende. Balk ging dann regelmäßig noch eine halbe Stunde spazieren. So auch heute. — Kaum hatte er das Haus verlassen, als ein Auto vorfuhr, dem die so überaus liebebedürftige Frau Vikky Moßberg (ließ Mosesberger) entstieg. Sie hatte jetzt den Haß gegen den keuschen Josef nur deshalb vergessen, weil ihr kleines Hirn sich die ganzen zwei Monate umsonst abgemüht hatte, einen Racheplan zu ersinnen. Ihr war nichts — gar nichts eingefallen, und deshalb gab sie das Nachdenken nun auf, kam zum schönen Winfried und wollte versuchen, mit ihm wieder Freundschaft zu schließen.
Sie läutete, und Lissi öffnete. — Frau Vikky hatte die neue Hausdame noch nicht gesehen. Jetzt aber, als sie sie sah, stutzte sie, rief ungläubig:
„Therese — Du — Du?!“
Die Lotzglah stutzte nicht! O nein! Die hatte sich in der Gewalt.
„Gnädige Frau verkennen mich wohl. Ich heiße Elisabeth Lotzglah,“ sagte sie kühl. „Der Herr Doktor ist bereits ausgegangen, kehrt aber bald zurück. Wenn gnädige Frau also warten wollen —“
Vikky Moßberg zögerte, rauschte dann aber doch seideknisternd ins Wartezimmer, wandte sich um und meinte: „Bitte, Fräulein, einen Augenblick noch!“ Denn sie hatte trotz ihres kleinen Hirns ein gutes Personengedächtnis. Und diese Elisabeth war ganz fraglos ihre Therese, ihr erstes Kammerkätzchen, das dann unter Mitnahme verschiedener Schmuckstücke bei Nacht und Nebel ausgekniffen war.
Lissi fühlte sich so unbehaglich wie nur möglich. sie bewahrte aber ihre Haltung, schloß die Tür, fragte dann sehr förmlich:
„Gnädige Frau wünschen?“
„Oh — nur eine Kleinigkeit. Bitte wollen sie mir die Oberseite Ihres linken Schenkels zeigen.“
Lissi spielte mühsam ihre Rolle weiter.
„Gnädige Frau — ich finde diese — diese Zumutung empörend!“ sagte sie sehr, sehr unnahbar.
„Wie sie wollen! Dann — dann muß ich also von hier aus die Polizei antelephonieren und melden, daß eine gewisse Therese Latzloh sich jetzt Elisabeth Lotzglah nennt. — Sie haben am linken Oberschenkel ein Muttermal in Form einer an einem Ende dickeren Wurst, einer leicht gekrümmten Wurst! Oder vielmehr: meine ehemalige Zofe hatte so eine Wurst. Und dieser Wurst wegen hätte ich mich beinahe von meinem Sally scheiden lassen, — Sie besinnen sich wohl noch auf den Zusammenhang. Er verplapperte sich mal, verriet, daß er dieses braune Würstchen kannte, das auch ich zufällig bemerkt hatte, — und in der Nacht nach diesem Krach verschwand die Therese dann.“
Lissi sah ein, daß sie verloren war! — Sie änderte ihr Benehmen, sank in die Knie und winselte um Gnade.
Frau Vikky aber hatte ja längst einen wahrhaft diabolischen Gedanken in ihrem Spatzenhirn geboren, — schon in dem Moment, als sie in des keuschen Josefs Hausdame die Therese mit dem braunen Würstchen erkannt hatte, — einen Gedanken, wie sie nun doch Rache nehmen könne an dem Kühnen, der eine Stunde in ihrem Schlafgemach geweilt und trotzdem nicht den Kühnen, sondern den Kühlen markiert hatte.
„Stehen sie auf, Therese!“ flüsterte sie „Unter einer Bedingung will ich sie schonen: wenn sie mir helfen, Doktor Balk zu bestrafen, der mich tödlich beleidigt hat!“ —
Mittlerweile hatte nun aber Ludmilla den See unter dem Sofa beim Hufräumen entdeckt, hatte Süßerle mit den Worten: „Herr Schweinniggel hat sich schon widder unrein gemacht!“ beim Genick gepackt und ins Badezimmer eingesperrt. — hier hatte der Flohsack erst wenige Minuten wehmutsvolle Betrachtungen über die total veränderte Sinnesart seiner Herrin, deren Mordgedanken und die bevorstehende Hungerkur angestellt, als Peter die Tür öffnete, eintrat, hinter sich abriegelte und — das hatte er doch schon gelernt! — auf dem Porzellanschemel mit dem bristenähnlichen Holzsitz Platz nahm, wobei es ihm dann stets ein diebisches Vergnügen bereitete, dauernd an den Klingelzug zu reißen, dessen Glocke hier in einem Strahl Wasser bestand.
Heute riß er nur einmal am Klingelzug, denn er hatte sehr bald Süßerle erspäht, der unter dem kleinen Toilettentischchen lag und die Augen voll Wasser hatte, dazu noch ein so jämmerliches Gesicht machte, daß Peter ein geradezu menschliches Rühren verspürte und nun den Badeschwamm und Seife nahm und den Flohsack regelrecht abrubbelte, bis von der Schminke und den schwarzen Augenbrauen nichts mehr zu sehen war.
Süßerle wedelte dankbar mit dem Schweineschwänzchen und versuchte Peter mitzuteilen, welches Ende ihnen beiden drohe. Da aber die Hundesprache in der Dressurschule, die Pater auf Ceylon durchgemacht hatte, nicht gelehrt worden war, hatte diese Verständigung ihre Schwierigkeiten, bis Süßerle dann ein glorreicher Gedanke durch den Mopskopf schoß: Er tat, als schlinge er eine Mahlzeit hinunter, tat weiter, als ob er nach der Mahlzeit gräßliche Schmerzen leide und verende.
Nachdem er dies mehrfach wiederholt und dabei nach dem Wiederlebendigwerden stets Peter mit der Pfote auf die Brust getippt und auf die Freßschale gedeutet hatte, ging Peter ein Licht auf, — hauptsächlich deswegen, weil er daran dachte, daß die Rotzglas — Glotzaff jetzt mehr denn je ihn hassen würde!
Hm — Süßerle schien ihn vor dem Fressen warnen zu wollen! Hm — es war also ratsam, bei der Zusammenstellung des Menüs fortan sehr vorsichtig zu sein!
Er streichelte dem Flohsack jetzt dankbar den Rücken, kniete neben ihm nieder und suchte ihm die kleinen, braunen Bestien ab, die jeder Hund als Mitbewohner leider besitzt. Aber — er tötete sie nicht. Nein — er behandelte sie fast zärtlich und tat sie sämtlich in eine leere Flasche, wo sie nun unten wie besessen herumhüpften. Es waren insgesamt 35. Peter hatte mitgezählt. Und da sich darunter einige Flohmütter befanden, die offenbar guter Hoffnung waren, rechnete er auf einen erheblichen Zuwachs seines Flohzwingers.
Dann hörte er die Flurglocke schrillen. Alle Affen sind bekanntlich in punkto Neugier weiblichen Geschlechts, — das heißt: entsetzlich neugierig! — Er wollte wissen, wer da geschellt hatte. so schlüpfte er denn lautlos in den Flur und stand dicht hinter der Rotzglas — Glotzuff, als Frau Vikky sagte: „— daß eine bewußte Therese Latzloh sich jetzt Elisabeth Lotzglah nennt —“ — und so weiter.
Kein Wunder, daß diese Andeutungen ihn bewogen, an der Tür zu lauschen, als im Wartezimmer dann der Kniefall und alles weitere erfolgte. — Peter besaß nun Ohren, mit denen er nicht nur das Gras wachsen, sondern die Worte aus menschlicher Kehle schon hörte, bevor sie noch recht über die Lippen gedrungen waren.
Ah — das war ja ein feines Plänchen, das die beiden Weiber da zurechtkneteten! Das also war eins von den Racheeiern, die die Lissi zum Ausbrüten bereit gehabt hatte! Diese Kanaille! Also das — das wollten sie, — seinen lieben Freund und Gönner Winfried so— so hineinlegen!
— — — — — — — —
Winfried Balk schritt den Kurfürstendamm entlang. Und — seltsam! —: seine Gedanken waren ähnlich wie die Peters! Auch er beschäftigte sich mit Traudchen, der holden Blondine!
Er dachte: Junge — halt' die Ohren steif! Vergiß nicht, was Topp Dir gesagt hat, der kundige Thebaner! Lieben — ja, aber heiraten — nie! — Du scheinst nämlich auf dem besten Wege zu sein, an Dir selbst ausprobieren zu wollen, ob es wirklich eine Liebe auf den ersten Blick gibt! Dieser Traude ist nicht zu trauen! Gewinnt sie Zutrauen zu Dir und Zuneigung, so wird daraus ein vertrauliches Verhältnis und vielleicht ein Gang, sich trauen zu lassen! Also —!“
Da mußte er diesen Monolog unterbrechen, — denn vor ihm war ausgerechnet ein gewisses Fräulein Gröner aufgetaucht, das nun wirklich harmlos-vertraulich auf ihn zusteuerte und glücklich lächelnd sagte: „Herr Doktor, — sie sehen, wie gut es mir geht! Ach — ich bin Ihnen ja so sehr dankbar! Ich muß Ihnen das nochmals wiederholen! Ich habe ja so furchtbar gelitten.“
Sie plauderten heiter, die beiden, plauderten, lachten und merkten nicht, daß sie schon das Gift im Blute hatten, — das süße Gift aufkeimender Liebe.
Und als Winfried Balk nachher am Mittagstisch seiner Hausdame gegenübersaß, als Peter wie immer auf dem dritten Stuhl mit vorgebundener Serviette hockte und heute ausnahmsweise nur das aß, was der sehr zerstreute Doktor ihm vorlegte und was unmöglich vergiftet sein konnte, da — da merkte Fräulein Lissi sehr bald, daß ihrem Brotherrn und zukünftigen Opfer irgend etwas auf diesem Spaziergang begegnet sein müsse! Und als er heimlich ein zartes Taschentüchlein hervorholte und unter dem Tisch verliebt streichelte, weil es dasselbe war, das heute Traudchens Schmerzenstränlein aufgefangen hatte (er hatte es ihr abgebettelt!), als die Glotzaff nun verstohlen um die Tischkante glotzte und das Tüchlein sah und an dem gestickten Rand wiedererkannte, da gewahrte der aufmerksame Peter in ihren Zügen wieder so einen Ausdruck, der ihm riet, weder Tag noch Nacht in seiner Wachsamkeit nachzulassen und für alle Fälle seinen Flohzwinger noch zu vergrößern, dieweil er ja mit dieser lebenden Insektensammlung schon früher auf Ceylon so wunderbare Erfolge gehabt hatte.
Am nächsten Morgen erhielt Doktor Balk eine Einladung von Herrn Sally Moßberg und Frau Vikky, geborenen Feigenwarz, zum zwanglosen Abendessen am Mittwoch, — also für den nächsten Tag.
Peter las die Karte ebenfalls und dachte: Aha es geht los! Und — abermals entflohte er seinen weiblichen Freund Süßerle, fand aber nur noch in der Gegend des Schweineschwänzchens zwei altersschwache Flohböcke, die hier ihr Pensionopolis — ihren Ruhesitz — hatten, weil dieser Ort sehr einsam und bei den anderen Hüpfern wenig beliebt gewesen war. —
Herr Sally hatte alles, was er sich nur irgend wünschen konnte, denn er besaß 7 Millionen, von denen er 1½ versteuerte und von denen, wie Sally sich dunkel besann, etwa 800 Mark ganz ehrlich verdient waren. Alles besaß er: 'ne schöne Frau, zwei gräßlich verwöhnte, negerlockige Kinder und ein sehr schickes Verhältnis, das zu ihm aber seit langem rein „platonisch“ stand, das heißt: die Liebe war in das Stadium totaler Abgeklärtheit geraten. Und daran war lediglich der Tiefstand der deutschen medizinischen Wissenschaft schuld.
Sally litt nämlich an drei Mängeln, die selbst durch Millionen nicht auszugleichen sind:
Erstens: — an Kahlköpfigkeit. Er hatte für etwa 5000 Mark „unfehlbar sichere Haarwuchsmittel“ probiert, hatte sich davon aber nur eine Hautflechte geholt, nach deren Heilung seine Billardkugel von Kopf fleckig wie die Haut eines masernkranken Kindes aussah. — Zweitens: er stotterte! Aber nur, wenn er sprach. — Infolgedessen hatte er es sich angewöhnt, noch mehr „mit die Händ“ zu reden, als sonst in seinen Kreisen üblich. Auch das Stottern wich nicht, obwohl Sally sogar aus Russisch-Polen sich einen Lehrer für „jüdische Stotterkunst“ verschrieben hatte. — Drittens: er litt an — Na, das muß vorsichtig ausgedrückt werden. Also etwa durch bekannte Sprüche, wie zum Beispiel: „Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht“, ferner durch: „Es wär' so schön gewesen, es hat nicht sollen sein!“ — nämlich die Mizzi anders zu lieben als nur platonisch! — Auch diesem Mangel hatte Sally, mit in Rücksicht auf seine Gattin, abzuhelfen gesucht. Er hatte bisher nach seinen Notizen 18525,50 Mark zu diesem Zweck ausgegeben und besaß einen besonderen Schrank, in dem all die Pillen, Pulver, Tabletten, Salben, Einreibemittel, Badesalze und so weiter sauber untergebracht waren. Aber — Sally hätte den ganzen Inhalt des Schrankes auf einmal benutzen können: der Erfolg wäre doch ausgeblieben! Sein Fall war eben hoffnungslos. — Nur im Anfang dieser monatelangen verschiedenen Kuren war eine winzige Besserung zu verzeichnen gewesen, die aber nicht genügte, Sally zufrieden zu stellen, wenngleich er durchaus nicht mehr anspruchsvoll war.
Diese Dokterei lag bereits drei Jahre zurück. Es ist daher zu verstehen, daß Frau Vikky hin und wieder auf sündige Gedanken kam. Sie hatte natürlich voller Interesse die Kuren und deren Mißerfolge mitbeobachtet und daher sich ziemlich umfassende Kenntnisse auf einem gewissen Spezialgebiet der so oft versagenden ärztlichen und Apothekerkünste erworben. —
Winfried Balk war über die Einladung zu Moßbergs sehr erstaunt gewesen. Er glaubte nicht anders, als daß Frau Vikky mit ihm wieder Frieden schließen wolle. Er ging aber nur hin, weil er an seine Praxis dachte. Moßbergs waren in den Kreisen des neuen Geldadels ziemlich tonangebend.
Bevor er sich aber für das zwanglose Abendessen in den Smoking und die Lackschuhe warf, machte er noch bei dem Privatgelehrten Gröner einen Besuch, wurde dort sehr freundlich empfangen und plauderte wieder mit Traudchen eine volle Stunde, da eine Unterhaltung mit dem leider überaus schwerhörigen alten Herrn ganz unmöglich war, wenigstens auf die Dauer. Kein Mensch kann eine Stunde lang jedes Wort im fortissimo herausbrüllen. — Winfried war selig! Er hatte gemerkt, daß Traudchen bei der Begrüßung so hold errötet war, wie dies nur die erste Folge nach Amors Pfeilgift ist. — Gewiß — er erinnerte sich sehr wohl an Topps Warnung, nie — nie zu heiraten! Aber — es war ihm jetzt alles gleichgültig. Er hatte das Luderleben als Junggeselle satt und sehnte sich nach einer ständigen, gesetzlichen Lebensgefährtin. —
So langte er denn auch noch bei Moßbergs in sehr gehobener Stimmung an, brachte Frau Vikky drei wundervolle Chrysanthemen mit, lernte 3 Geschäftsfreunde Sallys kennen, von denen einer ein leibhaftiger Graf war, der nur versehentlich mal für ein Jahr hinter Schloß und Riegel gesessen hatte, was ihm natürlich niemand nachtrug, besonders nicht in diesen Kreisen, die dauernd mit dem Staatsanwalt in Fehde lagen und wo nur der unmöglich wurde, der direkt zu Zuchthaus verurteilt worden war. Gefängnis rechnete nicht. Wozu lebte man denn in einer so großzügigen Zeit?!
Lernte auch die Gattinnen der drei kennen, die sämtlich reinblütige Christinnen waren. Nur die des Grafen Schepperstrich stammte aus einem gewissen Viertel in Konstantinopel, wo die Liebesbasare sich befinden. Sie wollte eine Armenierin sein. Jedenfalls hatte sie seiner Zeit mal sehr viel verdient und gespart.
Balk kam sich inmitten dieser hochmodernen, durchaus vorurteilslosen Menschen wie eine Mumie aus der Zeit des alten Fritz vor. Er fand sich in das bei Tisch herrschende Tönchen nur schwer hinein, wollte aber nicht zu sehr den Stoffel spielen und trank deshalb alles blindlings hinunter, was seine Tischdame Vikky ihm einschenkte. Er wollte eben in Stimmung kommen!
Bereits beim Braten merkte er, daß es ihm keineswegs mehr unangenehm war, wenn die verliebte Vikky mit ihm Kniesalamander rieb, wie man diese Art zärtlicher Annäherung, die unter dem Tischtuche vor sich geht, zu nennen pflegt.
Er ärgerte sich darüber. Er begriff einfach nicht, was in ihm vorging! Er fühlte eine geradezu krankhafte Unruhe im Blut; ihm wurde siedend heiß, dann wieder eisig kalt; er lachte plötzlich wiehernd über die Zoten, die Graf Schepperstrich mit künstlerischer Herausarbeitung der gepfefferten, gesalzenen und dick mit Mostrich beschmierten Pointen erzählte. Die Zoten konnten ihm gar nicht toll genug sein. Ebenso fand er das ganze Milieu jetzt gar nicht mehr so übel! Die gräfliche Armenierin aus Konstantinopel fand er sogar recht fesch und originell, da sie ihm gegenübersaß und den rechten Lackschuh ausgezogen hatte und ihm mit dem nur noch bestrumpften Fuß zart die Wade massierte
Frau Vikky aber füllte ihm immer wieder das Glas, flüsterte ihm zu: „Für sie — nur für sie habe ich diese Weine da bereitgestellt! Die andere Bande versteht ja nichts von Weinen, selbst Schepperstrich nicht, der doch vor einem Jahr nur Kognak aus denaturiertem Spiritus, selbstgebrauten, soff, da er damals noch Straßenhändler war.“
Ja — Frau Vikky verstand's, dem Opfer all das einzutrichtern, was sie an Liebestränken zurecht gemischt hatte! —
Armer, armer Winfried! Dein Schicksal schien durch dieses Schicksal besiegelt. Schien — Aber die Vorsehung wachte! Und die hieß hier — Peter, der Ceylonese!
— — — — — — — —
Kurz nach Mitternacht wurde dem schönen Winfried so schwül zumute, daß er, nachdem er beinahe Frau Vikky im Flur geküßt hätte und der Armenierin beinahe ins Badezimmer gefolgt wäre, sich heimlich drückte.
Die Nachtluft tat ihm wohl. Aber sie kühlte ihn doch nicht so weit ab, daß er nicht gerade allzu unliebenswürdig die Angebote einiger Straßendamen zurückwies, die offenbar kein Quartier besaßen und gern bei ihm nächtigen wollten. Er wies sie zurück, — doch mit einem Lächeln, das seinen Kampf gegen finstere innere Gewalten verriet.
Als er daheim anlangte, kroch er noch schnell unter die auf „Kalt“ gestellte Dusche und merkte, daß ihm etwas freier um die Hirngegend wurde — etwas!
Aber — kaum lag er im Bett, da regten sich auch schon die Geister wieder, die Frau Vikky gemäß Vereinbarung mit der Rotzglas — Glotzaff entfesselt hatte.
Sie regten sich so stark, daß er schon bedauerte, nicht doch aus Nächstenliebe eine der quartierlosen Damen mitgenommen zu haben.
Schließlich hielt er es im Bett nicht mehr aus.
Er wollte gerade aufstehen und abermals duschen und so lange unter den Wasserstrahlen stehen, bis er bis in den geheimsten Winkel seines heute geradezu fiebernden Leibes durchkältet war, — er hatte schon das Zudeck abgeworfen und das rosa Nachtlämpchen angedreht, — als — als —!
Er traute seinen Augen nicht!
— als vom Flur her eine in hauchdünne Schleier gehüllte Frauengestalt hereinschwebte und mit nackten Füßen vor dem Bett einen leidlich graziösen, jedenfalls sinnverwirrenden orientalischen Bauchtanz begann, wobei die Schleier sich immer häufiger lüfteten und Dinge sehen ließen, die für die jetzige Stimmung Winfried Balks höchst gefährlich waren.
Lissi — Lissi! — Er staunte! Donnerwetter — bei der war ja wirklich oben alles — alles echt! Und — dann konnte das mit der Perücke vom Theaterverein wohl auch stimmen! Dann war sicher auch das Blondhaar kein Falsifikat!
Donnerwetter — geschmeidig war die — geschmeidig! Und diese rollenden Bewegungen des Leibes, — das machte keine Berufsbauchtänzerin besser.
Er saß auf dem Bettrand und — schaute, staunte, bewunderte, — vergaß alle guten Vorsätze, vergaß Tobias Krumms Warnungen und selbst die holde Traude! Nun schwebte Lissi auf ihn zu, nun stand sie dicht vor ihm, nun — streckte er die Arme aus, zog sie neben sich.
Aber hinter den beiden war eine kleine Gestalt unter dem Bett hervorgekrochen — Peter.
Und Peter reckte den langen Affenarm aus, hatte in der Hand den — gläsernen Flohzwinger mit etwa achtzig Insassen — achtzig.
Und Peter schüttelte diesen Inhalt nun lautlos über den Häuptern der beiden aus, die sich jetzt umschlungen hatten; schüttelte bis der Zwinger leer war, kroch dann wieder unter das Bett zurück und dachte:
„Nun wird sich ja herausstellen, was wirksamer ist: Frau Vikkys Liebestränke aus Sallys Schrank oder mein altbewährtes Keuschheitsmittel aus Ceylon, mit dem ich die Weiber meines damaligen Herrn vor Seitensprüngen bewahrte!“ -
Lissi flüsterte: „Ach — ich liebte Dich ja vom ersten Augenblick an, als ich Dich sah!“ Und dann näherte sie ihren schönen, rotgefärbten Mund dem ihres Opfers!
Aber — im selben Moment zuckte Winfried Balk zusammen, griff mit Daumen und Zeigefinger nach seiner Backe und — bekam wirklich einen frechen Floh zu packen.
Bevor er ihn noch zwischen den Fingerspitzen durch Reiben abgemurkst hatte, faßte auch Lissi durch die Schleier hindurch nach dem zarten Busen.
Und kaum hatte sie dann ihren Floh erwischt, der ein Flohbock war und nach der Hungerkur in der Flasche blindwütig drauf los gesaugt hatte, als Balk schon wieder nach seinem Halse griff.
Und dann — dann begann das Pärchen, jeder für sich aber, den Kampf gegen diese Flohüberflutung; kratzte sich, juckte sich, bückte sich, wand sich, fluchte bald, fluchte noch ärger, — sah sich natürlich nicht mehr an, kümmerte sich nicht mehr umeinander.
„Denn jeder hat mit sich selbst gerade genug zu tun!“
Man denke aber auch: pro Person etwa vierzig ausgehungerte, blutgierige Flöhe!
Das ist übergenug! Das kann sogar den Besitzer einer Kaltwasserheilanstalt zum Wahnsinn treiben! Das vertreibt aber auch sämtliche zärtlicheren Gefühle, zumal wenn die hüpfende Blutsaugerschar so ungehindert wie hier bei Lissi und Winfried sich schnell über den ganzen Körper verteilen kann!
Balk war längst aufgesprungen und in die dunkelste Ecke retiriert, wo er sich ohne scheu überall dort kratzen konnte, wo er gerade am ärgsten gepeinigt wurde.
Dann — ein Gedanke!
Er raste davon — ins Badezimmer! Schleuderte das Nachthemd in den Flur, hopste in die Wanne, drehte den Duschenhahn auf und stand wie eine Mauer.
Ah — welche Seligkeit! Die Bestien wurden mit heruntergespült, verschwanden im Abflußloch!
Und gleichzeitig schwand auch der künstlich erzeugte Liebesrausch, der ihm beinahe für immer Verpflichtungen dieser raffinierten Lissi gegenüber auferlegt hätte — beinahe! Denn daß Lissi aus dieser Nacht insofern Kapital geschlagen hätte, als sie eine Heirat in allen Ehren verlangt haben würde, war ja bombensicher. Er kannte seine Hausdamen!
Ah — nun erst merkte er, daß er beinahe — beinahe ihr ins Garn gegangen wäre! Nun fragte er sich aber auch: „Woher diese Floharmee so plötzlich — woher?!“
Und — Peter fiel ihm ein! — Natürlich hatte Peter hier den rettenden Engel gespielt! Der liebe, gute Peter! Der einzige Peter, der Überaffe, das Affengenie!
Erst als ihm dann die Zähne vor Frost derart aneinander hämmerten, daß er Angst für ihre Haltbarkeit bekam, erst da begab er sich in sein Schlafzimmer zurück.
Es war leer. Das heißt: Lissi war nicht mehr da! Aber — im Bett erspähte er noch von weitem viele dunkle Pünktchen, zog sich daher notdürftig an und ging ins Sprechzimmer, wo er sich einschloß und sich nun auf den Diwan legen wollte.
Halt — wo steckte eigentlich Peter, wo nur? — Er ging und suchte ihn. Aber Peter war nicht zu finden.
Hm — sollte der liebe, gute Peter etwa sich wieder bei Lissi eingeschlichen haben?! Sollte er noch weitere ähnliche Scherze in Vorbereitung haben?! — Balk lag nun auf dem Diwan und war — restlos glücklich!
Mit innigsten Gedanken umgab er jetzt die so dicht bei ihm im Gartenhause schlummernde Geliebte.
Traude — Traudchen — Gott sei Dank — der Bauchtanz der Lissi war noch zur rechten Zeit in einen Flohtanz übergegangen! — Jetzt durfte er weiter mit stillem sehnen an Traudchen denken, jetzt konnte er —
Da — im Flur rasselte die Glocke; rasselte nochmals!
Natürlich ein Patient! — Balk vervollständigte schnell seinen Anzug und öffnete dann die Flurtür.
Und — wer stand vor ihm?!
Jemand, der den Kopf dicht umwickelt hatte, — eine Jemand, — Traude Gröner!
„Herr Doktor,“ wehklagte sie, „ach, Herr Doktor, ich habe plötzlich geradezu wahnsinnige Schmerzen bekommen.“
Was Balk in diesem Augenblick empfand? Eine unendliche Freude! — Es kam ihm wie ein Wink des Schicksals vor, daß gerade in dieser Nacht Traude sich bei ihm einfand, gerade jetzt, wo er noch soeben mit so warmer Zärtlichkeit an sie gedacht hatte.
„Fräulein Traude!“ rief er leise.
Und er streckte ihr die Hand hin und zog sie in den Flur. „Kommen sie nur, sie sollen bald erlöst sein,“ lächelte er glücklich. „Sie Ärmste haben ja wieder arg zu leiden gehabt! Die Backe ist ganz geschwollen.“
„Oh — nun — nun ist mir bereits viel besser!“ sagte sie ehrlich und schaute ihn strahlend an, errötete dann aber jäh und senkte verwirrt den Kopf. — Das machte nur das Gift — das süße Gift, — wir wissen, — vom Zoo her!
— In der Glotzaff — Rotzalas Zimmer aber war das Klingeln ebenfalls gehört worden.
Dort hatte sich die superschlaue, trotzdem aber mit ihrem sauberen Plänchen hereingefallene Lissi indessen das verführerische Schleiergewand abgezogen und es in einen Koffer gestopft, aus dem selbst ein Floh schwer entrinnen konnte. Und dann hatte sie mitten im Zimmer unter der brennenden Krone im paradiesischen Kostüm, sogar ohne Feigenblatt, Jagd auf die noch an ihr festgesaugten Bundesgenossen des klugen Peter gemacht.
Und der Peter selbst? Oh — der grinste unter Lissis Bett hervor und dachte: „Such' nur! Alle kriegst Du doch nicht! Du wirst eine unruhige Nacht haben!“
Er behielt recht. Kaum hatte Lissi, jetzt wieder ohne Perücke und mit dem das triste Haarschwänzchen verhüllenden Schleier um den Kopf, ihre verärgerte angebliche Jungfräulichkeit in die Kissen gepackt, kaum hatte sie das Licht ausgedreht, als die drei Flohböcke — es waren Jünglinge im kräftigsten, leistungsfähigsten Flohalter, die sich den mörderischen Händen Lissis durch schleunige Flucht an eine schwer zugängige Stelle entzogen hatten — mit Gier über sie abermals herfielen.
An Schlaf war nicht zu denken. Sie drehte die Nachttischlampe wieder an; sie versuchte, die drei Blutsauger zu erhaschen. Umsonst! Die waren auf ihrer Hut. Die retierieten stets rechtzeitig.
Und — da schrillte die Glocke im Flur!
Lissi saß aufrecht im Bett. sie horchte. Dann war sie mit einem Satz an der Tür, öffnete diese ganz wenig, lauschte, hörte —:
„Fräulein Traude!“ — Und das war Balks Stimme. Das klang so jubelnd — so glücklich!
Lissi wurde quittengelb vor Wut, schloß die Tür, sagte giftig halblaut vor sich hin:
„Ah — das zärtliche Tete a Tete werde ich stören! Dieser wabbelige Vanillenpudding, diese Traude. Denkt die etwa, sie wird in dieser Nacht erreichen, was mir doch nur dieses Beest, dieses Scheusal von Affe vereitelt hat.“
Und das Scheusal? — Der hatte gut aufgepaßt auf diese Worte.
Traude, — Traude, die er mit seinem überheißen Ceylon-Affenherzen doch bereits so stürmisch liebte, jetzt nachts bei seinem Freund und Gönner, — jetzt, zu dieser Stunde?! — Das gab ihm einen Stich ins Herz — und was für einen! — Seine Eifersucht erwachte. Aber sie schlief auch sofort wieder ein! Ach — er war ja nur ein Affe! Und nie würde Traude seine Liebe erwidern — nie! Da war es also seine Ehrenpflicht, das Pärchen vor dieser Glotzaff — Rotzglas zu schützen, die ihn immer Beest titulierte, was doch offenbar ein greuliches Schimpfwort sein mußte.
Ja — schützen, — aber wie?! Wie nur?! — Ja — wollte ihm denn gar kein Mittel einfallen, die vor Ärger jetzt ganz zitronenähnlich ausschauende Lissi hier im Zimmer festzuhalten?!
Ach — und wie schnell sie jetzt die Strümpfe überzog, wie blitzartig sie in die Höschen fuhr.
Da — ihm war was eingefallen! Dort lag ja Lissis Perücke; daneben noch die zweite Garnitur, die Süßerle vormittags geziert hatte!
Mit in der Tat affenartiger Behendigkeit hatte er nun beide Perücken erwischt, raste damit zur Tür.
„Kanaille!“ brüllte Lissi und feuerte in ihrer Aufregung die Porzellanschale hinter ihm drein, in der nachts ihre prachtvollen Zähne aufbewahrt wurden. Die Schale traf auch, traf Peters hinterstes Rückenende, zerschellte dann am Boden. Und — auch das Gebiß brach mitten durch!
Mit einem infernalischen Hohngelächter zog Peter die Tür hinter sich zu, rieb sich die schmerzende Stelle am Schwanz und dachte: „So — nun ist sie total von der Öffentlichkeit abgesperrt, diese Rotzglas! Nun hat das Pärchen Ruhe!“
Dann setzte er sich vor die Sprechzimmertür und hielt die Ehrenwache für seine — seine geliebte Traude!
Aber — es war nicht mehr seine Traude!
Drinnen hörte er jetzt Freund Balk jubelnd rufen:
„Meine — meine Traude!“
Und dann — dann so ein paar Geräusche, die ganz nach Küssen klangen.
Da rollten Peter Tränen aus den klugen Augen. Er trocknete sie mit Lissis Hauptzierde. Und wehmütig rollte er nun die Perücken zu einem Kissen zusammen und streckte sich vor der Tür lang aus und legte den Kopf auf das schöne, blonde Haarpolster.
Er hörte noch mancherlei da drinnen — mancherlei! Jedenfalls verließ Traudchen ihren Winfried erst gegen halb vier Uhr morgens. Da hatte sie keine Schmerzen mehr. Nur das Gewissen schlug ihr etwas. Aber — man wollte ja schon nach einem Monat heiraten. Und — wie hieß es doch in dem bekannten Liede —— Richtig — so:
„Das Schönste, was Du mir gegeben.
Es war der Vorschuß auf die Seligkeit!“
Tobias Krumm, Topp genannt, war spät abends wieder in Berlin eingetroffen. Er sehnte sich nach Balk. Und daher erschien er schon morgens um 8 bei diesem, wurde von Ludmilla mit freurigem Gezeter begrüßt und ins Speisezimmer geführt, wo Balk und die glücklich wieder mit ihrem Haar geschmückte Lissi sich in einer wahren Begräbnisstimmung gegenüber gesessen hatten. Das heißt: Balk tat nur so, als ob er sehr bedrückt war. Er hoffte, Lissi würde kündigen und das Feld räumen. — Aber sie dachte gar nicht daran! Nein — im Gegenteil, sie hatte schon einen neuen Plan entworfen, wie sie sich wenigstens an Balk und dieser Vanillenpudding-Traude rächen könnte.
Da — erschien in der Tür Tobias Krumm, der heimgekehrte Grönländer.
Er erschien, stutzte, schaute, stierte, stierte noch immer, rief dann:
„Alle guten Geister! Das ist ja die Therese, meine verflossene Braut!“
Fräulein Glotzaff — Rotzglas war bis in die Zehenspitzen erbleicht.
„Ja — meine verflossene Braut — sie ist's!“ trompetete Topp weiter. „Meine Braut, die mir gegenüber einen weiblichen keuschen Josef in verbesserter Auflage markierte und von der ich dann noch rechtzeitig folgendes erfuhr, — nämlich, daß sie bereits zwei Kinder besaß, von denen das zweite — im Gefängnis geboren war! — Therese, was tun sie hier? Spielen sie hier etwa Hausdame?“
Und Therese?! — Die erhob sich, rauschte hinaus, warf die Tür knallen zu, packte ihre Sachen und verduftete.
Topp aber hatte inzwischen von der Verlobung erfahren und von Peters Geniestreichen, sagte nun: „Du, Winfried, — eigentlich müßte ich Dir nun die Freundschaft kündigen! Aber — ich will's mir noch überlegen! — Wo steckt denn nun mein Peter? Der brave Kerl verdient doch geradezu eine Rettungsmedaille!“
Die Freunde suchten Peter, fanden ihn — im Badezimmer neben Süßerles Lager kniend und den Mops eifrig flöhend. Die Flöhe tat er in eine Flasche.
Als er seinen Herrn erkannte, flog er ihm an die Brust, umschlang seinen Hals und grunzte vor Seligkeit.
Balk aber hatte die Flasche hoch gehoben, sagte nun:
„Dies dürfte das Juckpulver sein, das mich in der vergangenen Nacht vor einer Riesendummheit bewahrt hat!“ Und er streichelte Peter dankbar den Kopf.
Der Peter nickte eifrig und stieß einen sehr schrillen Freudenschrei aus, so daß auch der jetzt herrenlose Mops vor Schreck aufheulte.
„Na — heul' nur nicht!“ lachte Winfried Balk. „Du sollst es gut bei mir haben. Dich behalte ich gern als lebendes Andenken an die keusche Bauchtänzerin — jedenfalls tausendmal lieber als ein zweibeiniges Andenken!“ —
An Traudchens Hochzeit aber saß Peter mit bei der Tafel und benahm sich äußerst manierlich. Nur zum Schluß betrank er sich wie ein Schw…, wie ein Borstentier und hatte am nächsten Tage dann noch immer einen Affen, — einen Affen! — wie ihn noch kein Affe gehabt hat.
— Ende —