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Unter Weichselpiraten

Unter Weichselpiraten.

Erzählung von Walther Kabel.

(Nachdruck verboten.)

Der Schraubendampfer „Triton“, Eigentum der Reederei „Sieg und Lauter“ in Thorn, lag im Hafen von Neufahrwasser am Bollwerk nahe der Zuckerraffinerie und nahm Ladung für Warschau ein, – große Kisten, die der Dampfkrahn unter Kreischen und Rasseln in den Schiffsraum beförderte. Breitbeinig, angelehnt an das Geländer, stand der alte Kapitän Roderich auf der Kommandobrücke, rauchte behaglich aus der kurzen Pfeife dicke Wolken in die durchsichtige Herbstluft und fuhr nur bisweilen mit einem eine recht gesunde Lunge verratenden Donnerwetter unter die Stauer, die sich seiner Ansicht nach viel zu häufig eine durch kräftige Vermerkungen und reichliche Zufuhr von Schnupftabak ausgefüllte Arbeitspause gönnten – Roderich hatte zur Beschleunigung der Abfahrt auch alle Ursache. Der Oktober näherte sich bereits seinem Ende, über den Fluß strich schon ein bedenklich kühler Wind hin und die fast winterklare Luft drohte mit Frost, der womöglich der Schiffahrt ein plötzliches Ende bereiten konnte. Und der „Triton“ mußte auf jeden Fall noch Warschau erreichen. Das hatte der Alte dem Expedienten der Zuckerraffinerie fest versprochen und nur deswegen noch zu dieser späten Jahreszeit die unerwartete Fracht erhalten. – Taxierend überflog jetzt sein Blick die am Rande des Bollwerks ausgerichteten Kisten. Ja, es würde gehen! In zwei Stunden hoffte er mit der Verladung der Güter fertig zu sein, und noch vor Einbruch der Dunkelheit wollte er dann nach Erledigung der Zollrevision abdampfen. – Roderich rieb sich vergnügt schmunzelnd die Hände. Er rechnete in Gedanken den Profit zusammen, der bei dieser Reise herauszuschlagen war, freute sich auch auf die anerkennenden Worte seiner Reeder, die seine Geschäftstüchtigkeit ebenso zu schätzen wußten wie die Zuverlässigkeit in seinem eigentlichen Beruf. Langsam ging er nun auf das Sprachrohr zu, das neben dem Telegraphen in den Maschinenraum hinabführte, und rief einige Befehle hinunter. Bald darauf entquoll dem Schornstein dicker Rauch, den die leichte Nordbrise auf das braungelbe Flußwasser herabdrückte, Funken stiebten empor und folgten wie kleine Sternchen dem dunklen Qualmstreifen.

Der Alte hatte sich mit den Armen wieder auf das Geländer aufgestützt, hielt die Pfeife zwischen den Fingern seiner sehnigen Hand und pfiff sich vergnügt ein Liedchen. In dieser beschaulichen Ruhe wurde er durch den Anblick eines Herrn gestört, der sich jetzt vorsichtig durch die Kisten und Fässer der Landungsstelle einen Weg bahnte, dann über die wippende Laufplanke schritt und bald vor Roderich auf der Kommandobrücke stand. Der Expedient der Zuckerraffinerie begrüßte den ihm wohlbekannten Kapitän mit einem kräftigen Händedruck und meinte dann etwas zögernd:

„Ich habe hier eine wenig angenehme Nachricht für Sie, Roderich! Eben hat ein kleiner Junge bei uns im Kontor diesen Zettel abgegeben. Da – lesen Sie!“

Der Alte überflog schnell die wenigen Zeilen.

„Der Maschinist muß nicht ganz gescheit sein!“ rief er wütend. „Was fällt dem Menschen ein, mir hier in letzter Minute abzuschreiben! Was geht mich die Krankheit seiner Frau an, – nichts, nichts! Durch die Polizei lasse ich ihn an Bord holen!“

In höchster Erregung drehte er Zwickel in seinen grauen Vollbart. Und nach einer Weile schrie er den Expedienten, mit dem Fuß aufstampfend, an:

„Was mache ich nun, Herr Münster…? Ich kann doch nicht mit einem Heizer die Reise antreten und selbst die Maschine bedienen…?! Gegen vier Uhr wollte ich den „Triton“ abschwimmen lassen, nun verliere ich auf diese Weise vielleicht einen ganzen Tag, der in dieser Jahreszeit ja nie mehr einzubringen ist…!“ – Grimmig hatte er dabei die Asche aus seiner erloschenen Pfeife ausgeklopft und schob diese jetzt heftig in die Brusttasche seines blauen Seemannsjacketts. – Der Expedient, dem die polternde Art des Kapitäns nichts Neues war, lächelte den Alten sehr ruhig an.

„Wozu die Aufregung, Roderich?“ meinte er achselzuckend. „Becker schreibt doch, daß er Ihnen einen Ersatzmann stellen will. Damit ist die…“

„Damit ist garnichts geholfen, verehrter Herr!“ unterbrach ihn der andere. „Denn für diese Tour, auf der ich bei der jetzigen Witterung jeden Moment auf Treibeis stoßen kann, brauche ich einen Mann, der nicht so ein Windhund ist wie die stellungslosen Maschinisten, die man so zufällig auf der Straße aufliest. Außerdem führt der „Triton“ ganz neumodische Parson-Maschinen. Und wer weiß, ob…“ Die beiden hatten nicht bemerkt, daß inzwischen ein Fremder an Bord gekommen und nach prüfendem Blick auf Roderichs unverkennbare Gestalt die Treppe zur Brücke emporgestiegen war. Plötzlich stand er vor ihnen, zog höflich seine Schirmmüze und wandte sich an den Alten, der plötzlich mitten im Satz abbrach und den Ankömmling nicht gerade freundlich musterte.

„Georg Lipinski,“ stellte dieser sich vor. „Ich bin der Maschinist, den Becker gebeten hat, für ihn einzuspringen.“

„Und nun meinen Sie wohl, ich werde Sie sofort engagieren!“ fuhr Roderich ihn ohne allen Grund an. „Sie sind wohl auch einer von den Gelegenheitsarbeitern, die nach jeder Fahrt den Reeder wechseln …?! Solche Leute kann ich auf dem „Triton“ nicht gebrauchen…!“

Lipinski würdigte den alten Kribbelkopf keiner Antwort, sondern holte nur aus der Innentasche seines sauber gebügelten Paletots einige Papiere heraus und reichte sie dem Kapitän stumm hin. Unschlüssig wog dieser die Legitimationen in der Hand. – Sollte er sich denn wirklich bereit finden, diesen hergelaufenen, ihm beinahe aufgedrängten Ersatzmann anzunehmen…? Das lief ihm vollkommen gegen den Strich! Aber dann siegte doch die ruhige Überlegung. Er dachte an den drohenden Zeitverlust, an die blauen Scheine, die ihm diese glücklich beendete Reise einbringen konnten, und so begann er denn schließlich, wenn auch etwas widerwillig, die Zeugnisse zu prüfen.

„Sie kennen Ihren Kollegen Becker wohl schon längere Zeit?“ fing der Expedient jetzt, indem er Lipinskis Erscheinung nochmals forschend von oben bis unten musterte, eine Unterhaltung an. Er, der doch tagtäglich eine ganze Menge von diesen meist nicht übermäßig sauber gekleideten Maschinisten, die auf den Flußdampfern jahraus, jahrein dieselbe Tour machten, zu sehen bekam, hatte unter ihnen noch niemals eine Gestalt gefunden, deren Äußeres schon so sehr bestach, wie das des Fremden. – Lipinski war mittelgroß. Auf einem schlanken Körper saß ein charakteristischer Kopf mit energischen Zügen, und in den großen, schwarzen Augen lag etwas von dem tiefen, flackernden Glanz eines fanatischen Eiferers. Wäre der Expedient nur ein etwas schärferer Beobachter gewesen, so würde ihm bei dem Fremden wohl auch die merkwürdig glanzlose, strohblonde Farbe des Kopfhaares und des spitzgeschnittenen Bartes aufgefallen sein, eine Farbe, die viele Damen durch reichliches Waschen mit Wasserstoffsuperoxyd zu erreichen wissen. Doch Münster entging das. Er stellte nur fest, wie sehr dieser Kontrast der dunklen Augen und Brauen und des blonden Haares Lipinskis Gesicht noch anziehender machte, fand wohl auch die Kleidung für einen einfachen Maschinisten fast zu sauber und gutsitzend. – Bereitwillig gab ihm dieser jetzt Auskunft auf seine Fragen, erklärte, daß er Becker zufällig heute Vormittag in einer Schifferkneipe in Danzig kennen gelernt habe und daß sie dann im Laufe der Unterhaltung auf die neuzubesetzende Stellung zu sprechen gekommen seien. – „Und da in meiner Kasse wieder einmal völlige Ebbe eingetreten ist,“ fuhr er mit lächelnder Ehrlichkeit fort, „so kam mir dies Angebot sehr gelegen.“

Inzwischen hatte der Kapitän die Durchsicht der Papiere beendet.

„Wenn Sie aus Culm stammen, sind Sie doch sicher Pole, verstehen zum mindesten Polnisch, nicht war?“ wandte er sich jetzt bedeutend höflicher an den Maschinisten.

„Ich glaube, man hört meiner scharf akzentuierten Sprache meine Abstammung wohl an,“ entgegnete dieser ausweichend.

„Hm, – und wie ist's mit dem Russischen?“ fragte der Alte weiter.

Lipinski zögerte auffallend lange mit der Antwort. Dann erwiderte er hastig:

„Sie sehen ja an meinem Buch, Kapitän, daß ich erst zweimal die Weichsel bis Lodsz befahren habe. Da lernt man nur ein paar Brocken…”

„Ja, hm,“ – Roderich überlegte kurze Zeit, „dann sind Sie also mit demselben Gehalt und der Tantieme wie Becker engagiert. – Beeilen Sie sich aber und schaffen Sie Ihre Sachen an Bord. In einer Stunde fahren wir ab.“

Als Lipinski den „Triton“ verlassen hatte, um in dem kleinen Gasthaus am Hafen seine Rechnung zu bezahlen und seinen Koffer zu holen, sagte der Alte wieder ganz vergnügt zu dem Expedienten:

„Wir haben Glück gehabt, Herr Münster! Die Zeugnisse des Mannes sind vorzüglich, und er macht auch sonst einen propern Eindruck. – Ich liebe das sehr!“ fügte er hinzu und schaute wohlgefällig an seinem blauen Anzuge herunter, auf dem kein Fleckchen oder Stäubchen zu sehen war.

Der Expedient nickte etwas nachdenklich vor sich hin.

„Für meinen Geschmack könnte sich Lipinski weniger gewählt ausdrücken und weniger gute Umgangsformen haben. Auch seine Hände sind merkwürdig zart für ein beständiges Hantieren mit Maschinenteilen…! Finden Sie nicht auch?!“

Der Kapitän schaute Münster überrascht an, schien auch etwas erwidern zu wollen, begann dann aber von geschäftlichen Dingen zu sprechen, tat, als ob er die Andeutungen des Expedienten nicht verstanden hätte oder sie für zu unwichtig hielt, um näher darauf einzugehen. –

Zwei Tage später langte der „Triton“ nach einer ohne jede Störung verlaufenen Fahrt gegen Morgen in Thorn an. Roderich war sich inzwischen darüber völlig klar geworden, daß er bei dem Maschinistenwechsel tatsächlich sehr gut abgeschnitten hatte. Lipinski verstand seinen Beruf, war äußerst gewissenhaft und nebenbei noch ein angenehmer Gesellschafter, mit dem der Alte sich gern häufiger unterhalten hätte, wenn dies der Dienst nur irgend zugelassen haben würde. Jedenfalls war bei dem Kapitän jetzt jeder Argwohn, den die leicht hingeworfene Bemerkung des Expedienten trotz ihrer unbestimmten Fassung geweckt hatte, längst zerstreut. Und Herr Münster wäre bei dem Anblick Lipinskis, der sich nur noch in einer fettigen Leinwandjacke und mit dick berußtem Gesicht an Deck blicken ließ und sich so in nichts mehr von seinen übrigen Kollegen unterschied, wohl ebenfalls vollauf beruhigt gewesen. – Nachdem der „Triton” am Bollwerk in Thorn festgemacht hatte, begab sich Roderich sofort in das zwischen den Speichern gelegene Kontor seiner Reederei, um den für den neuen Maschinisten telegraphisch bestellten Paß abzuholen und um genauere Ordre hinsichtlich der Rückfahrt und Überwinterung zu bitten. Von den Herren Chefs war noch niemand anwesend. Dafür nahm der erste Prokurist, ein im Dienste von Sieg und Lauter ergrautes Männchen, den Alten in sein kleines Arbeitszimmer, drückte die Tür wieder vorsichtig ins Schloß und begann dann mit einer Miene, die allein schon Roderich ein leises Unbehagen bereitete:

„Lieber Käpten, mit der Übernahme dieser Fracht für die Neufahrwasser Raffinerie haben Sie – na sagen wir … etwas unüberlegt gehandelt.“

„Na nu …!“ entfuhr es dem Alten fast unwillig. „Und die zweitausend Mark Frachtgeld …?! Rechnen sie nicht?“

„Gewiß, die rechnen schon, – falls wir sie eben wirklich verdienen! Aber das ist leider mehr wie fraglich. – Ja, sagen Sie mal, Roderich,“ fuhr er kopfschüttelnd fort, „haben Sie denn in den letzten Tagen in Danzig nichts davon gehört, daß das Revolutions-Komitee in Russisch-Polen neuerdings jede Ein- und Ausfuhr von Waren mit allen möglichen Zwangsmaßregeln zu verhindern sucht und so besonders in Warschau das Proletariat durch eine Hungersnot zur Teilnahme an dem Kampfe gegen die Regierung aufzureizen hofft?“

Der Alte zuckte beinahe verächtlich die Achseln.

„Wenn man auf all das Geschwätz achten wollte, hätte man getrost den ganzen Herbst über feiern können. Schon im September haben die Roten ähnliches geplant. Gelang aber kläglich vorbei!“

„Nun, dieses Mal sieht die Sache doch ernster aus,“ meinte der Prokurist bedenklich. „Nach zuverlässigen Nachrichten ist zur Zeit jeder Verkehr für ein- und auslaufende Kauffahrteischiffe in Warschau gesperrt, und in Wulke, unterhalb Warschau, liegen seit einer Woche eine Menge von Schleppkähnen und Dampfern, die vergeblich auf die Gelegenheit zur Weiterfahrt warten. Gewiß, man wollte die ganzen Fahrzeuge einmal in Begleitung von Regierungsdampfern nach der Stadt einbringen, aber die Idee mußte leider aufgegeben werden, da der Strom plötzlich durch mehrere Minenreihen gesperrt worden war, und der frühere Zollkutter samt der Besatzung als etwas sehr nachdrückliche Warnung in die Luft flog. Und Ihrem Kollegen Reinke, der den Bromberger Raddampfer „Maria“ führt und eine Ladung Vieh an Bord hat, ist der Versuch, in einer dunklen Nacht allein durchzuschlüpfen, ebenfalls herzlich schlecht bekommen. Die Revolutionäre haben mit kleinen Pinassen und Motorbooten einen regelrechten Patrouillendienst auf dem Fluß eingerichtet und eines dieser fixen Dinger, das mit einem modernen Revolvergeschütz ausgerüstet war, zwang Reinke schon nach einer knappen halben Stunde, auf eine Sandbank aufzufahren, wo die „Maria“ noch heute hilflos festliegt. – Beschwerden sind natürlich genug an die Gouvernements-Regierung abgegangen. Aber Sie kennen ja die Verhältnisse da drüben…! War es trotz aller Militär-Kordons nicht einmal möglich, den Bahnverkehr nach Warschau aufrecht zu erhalten! Um wieviel leichter ist's, die Weichsel zu sperren, da die kleinen Nebenflüsse und die von dichtem Rohr umgebenen Kämpen die besten Schlupfwinkel abgeben, wo die rote Gesellschaft ganz unbehelligt auf der Lauer liegen kann.“

Roderich hatte während dieser Schilderung nachdenklich seinen Bart malträtiert. Er kannte die Stromverhältnisse auf dem russischen Teile der Weichsel durch seine jahrzehntelange Tätigkeit als Kapitän nur zu gut. Von einer Regulierung des Flußlaufes und einer Befestigung der Ufer, wie sie in Preußen seit den achtziger Jahren zum Nutzen des Verkehrs jährlich aufs neue ausgeführt werden, ist drüben in Rußland noch heute ebensowenig die Rede, wie von einer polizeilichen Überwachung der Schiffahrt, die sich allerdings bei den weiten, von Wasserarmen durchzogenen Sumpfstrecken zu beiden Seiten des Flusses recht schwierig gestalten dürfte. Ebenso wußte er, daß die Revolutionspartei in allen Kreisen ihre geheimen Anhänger besaß, die ihre roten Freunde vor irgend einem ihnen drohenden Schlage stets zur rechten Zeit zu warnen wußten und so ein energisches Vorgehen gegen die Umstürzler fast unmöglich machten. Nur aus diesen Gründen konnten auch derartig unglaubliche Zustände, die jeder Zivilisation Hohn sprachen, eintreten und trotz aller Gegenmaßregeln eine Zeit lang fortdauern.

„Und trotzdem werde ich's versuchen, trotzdem!“ platzte er jetzt heraus. „Mir soll nur eine von diesen Piraten-Pinassen längsseit kommen! Ich fackele nicht lange, werde der Bande einen Denkzettel geben, den sie so bald nicht vergessen wird! – Habe schon so ein Plänchen, wie ich's anfange, um ihnen ein Schnippchen zu schlagen,“ fügte er mit einem nichts Gutes verheißenden Lächeln hinzu. „Es wäre doch noch schöner, wenn man als ehrlicher Kapitän so mit sich umspringen lassen sollte ...!“

„Ich rate Ihnen entschieden ab, Roderich!“ warnte der Prokurist mit sehr ernstem Gesicht. „Jedenfalls, – sollte der „Triton“ verloren gehen und die Versicherung die Summe für den Dampfer nicht auszahlen, so würden wir uns selbstverständlich an Sie halten! Ihr Guthaben bei uns ist ja nicht gering. Wenn Sie's also auf Ihr Risiko wagen wollen – meinetwegen!“

Trotzdem dampfte der „Triton“ keine zwei Stunden später stromaufwärts. Als er sich der Russen-Kämpe, einer dicht an der Grenze mitten im Flusse liegenden Insel, näherte, verließ wie immer das kleine Motorboot mit der russischen Flagge am Heck die dortige Zollstation und brachte einen Beamten, zwei Grenzsoldaten und auffallender Weise auch einen Zivilisten an Bord. – Roderich war mit halber Kraft weiter gefahren, ging jetzt dem ihm von seinen häufigen Touren befreundeten Zollaufseher entgegen und übergab die Pässe der Besatzung und die Schiffspapiere. Nachdem die üblichen Formalitäten erledigt waren, nahm der Zollbeamte den alten Kapitän etwas abseits.

„Kapitän,“ begann er vertraulich, „Sie haben da, wie ich aus den Papieren sehe, einen neuen Maschinisten angeheuert. Wollen Sie den nicht einmal heraufrufen lassen …? Der Herr dort,“ er wies auf den mit ihm gekommenen Zivilisten, „ist ein Agent der Geheimpolizei und beauftragt, sich jeden uns nicht näher bekannten Inhaber eines Passes genauer anzusehen. – Sie werden ja nicht darüber sprechen, Roderich,“ setzte er erklärend hinzu. „Die Polizei hat nämlich Wind davon bekommen, daß einige auswärtige Führer der Revolutionspartei die Schweiz verlassen haben, die nun wahrscheinlich versuchen wollen, sich unerkannt nach Rußland einzuschmuggeln. Und das soll natürlich auf jeden Fall verhindert werden!“

Den Alten überfiel bei diesen Worten des Zollaufsehers ein leises Unbehagen. Wieder fielen ihm die Andeutungen des Expedienten ein, die dieser damals kurz vor der Abfahrt in Neufahrwasser über die Person Lipinskis gemacht hatte. Doch seine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Der Polizeiagent entließ den Maschinisten unbehelligt wieder, nachdem kaum einige oberflächliche Fragen von diesem beantwortet waren. Und trotzdem glaubte Roderich bemerkt zu haben, wie des Polen flackernde Augen bei dem kurzen Verhör unruhig hin und her glitten und ängstlich forschend in den Mienen des Sicherheitsbeamten zu lesen suchten. Er atmete daher erleichtert auf, als die Beamten wieder in ihr Boot stiegen und der Russen-Kämpe zufuhren. Der Vorschrift gemäß blieb nur einer der Grenzsoldaten bis zur Hauptzollstation in Rieszawa an Bord, wo die Pässe erst das Visum erhielten und die eigentliche Zollabfertigung stattfand. – Nach zwei Tagen langte der „Triton“ dann bei einbrechender Dämmerung in Wulke, einem kleinen Örtchen am linken Weichselufer, an. Von der Stromsperre hatte Roderich bisher nichts bemerkt, war unterwegs nur einigen Segelkähnen begegnet, die nach Thorn zurückkehrten und deren Eigentümer den Bericht des Prokuristen in allen Punkten bestätigten. Nach diesen Angaben war es vorläufig ganz unmöglich, nach Warschau hineinzukommen, da tatsächlich dicht hinter Wulke der Fluß Tag und Nacht bewacht und jedes Fahrzeug durch Androhung der schärfsten Zwangsmittel zur Umkehr veranlaßt wurde, wenn auch die Minensperre inzwischen wieder entfernt worden war, – wahrscheinlich zur eigenen Sicherheit für die Fahrzeuge der Revolutionäre. –

Als der „Triton“ kaum am Ufer festgemacht hatte, kamen auch schon mehrere Kapitäne dort bereits ankernder Dampfer an Bord und begannen in der engen Kajüte bei einem steifen Grog weidlich auf diese unglaublichen Zustände zu schimpfen, erzählten dem aufhorchenden Roderich noch verschiedene Einzelheiten, die vielleicht jeden anderen bewogen hätten, ebenfalls ruhig in Wulke zu bleiben und die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Doch der Alte hatte sich's einmal vorgenommen, wenigstens einen Versuch zu wagen, und ließ sich in diesem Entschluß selbst durch die abschreckendsten Schilderungen von Gewalttätigkeiten nicht wankend machen. Vorsichtiger Weise erwähnte er jedoch von seinen Absichten keine Silbe, hörte nur gespannt zu und streute hin und wieder eine wütende Bemerkung in die Unterhaltung ein, die den Anschein erwecken mußte, als ob er sich in das Unvermeidliche gefunden und auf die Weiterfahrt verzichtet habe.

Gegen neun Uhr abends begann jedoch auf dem „Triton“, nachdem die Gäste verschwunden waren, eine geheimnisvolle Tätigkeit. Roderich hatte vorher die Besatzung mit Ausnahme Lipinskis und des Heizers, die er nochmals die Maschine ordentlich nachsehen und die Feuer unter dem Kessel unterhalten ließ, zusammengerufen und den Leuten mit kurzen Worten seinen Plan entwickelt. Da die Mannschaft schon jahrelang unter ihm fuhr und zu ihrem alten Kapitän das vollste Vertrauen hatte, schließlich für sie bei der Geschichte auch kaum etwas zu riskieren war, so fanden sich alle nur zu gern bereit, diese abenteuerliche Fahrt mitzumachen. – Jetzt wurden mehrere Tonnen mit Steinen bis oben gefüllt, wieder vernagelt und an der Reling in Zwischenräumen verteilt, einige auch auf die Kommandobrücke geschafft und am Rande aufgestellt. Ebenso hingen hoch in der Luft über dem Wasserspiegel zwei dieser mehrere Zentner wiegenden Fässer in den Klammern der beiden beweglichen Lademasten, die eine auf Steuer-, die andere auf Backbordseite. – Eine Stunde hatten diese Vorbereitungen in Anspruch genommen. Dann ließ Roderich die Taue, mit denen der „Triton“ an den Uferpfählen festgelegt war, einholen und langsam führte die Strömung den Dampfer vom Lande fort. Auf den umliegenden Fahrzeugen schien niemand die Abfahrt bemerkt zu haben. Ruhig lagen die dunklen Schiffskörper da, und nur aus der kleinen Hafenkneipe tönte bisweilen wilder Gesang zu dem Alten herüber, der unbeweglich auf der Kommandobrücke neben dem Maschinentelegraphen stand und mit scharfen Augen in die Nacht hinausspähte. Jetzt rückte er den Hebel auf „Achtung“ und wenige Sekunden später einige Zentimeter weiter auf „Halbe Fahrt voraus“. Bedächtig drehte der „Triton“ seinen Bug gegen den Strom, hielt sich trotz der Dunkelheit mitten in der vertieften Fahrrinne und glitt fast lautlos mit ausgelöschten Positionslaternen an den Häusern des kleinen Ortes vorüber. Dann schnellte unten im Maschinenraum der Zeiger mit schrillem Läuten auf „Volle Fahrt“. Doch nur zögernd schob der Maschinist die Kurbel der Dampfzuführung noch weiter herum. Als jetzt der Heizer die große Feuerungstür aufstieß, um dem gefräßigen, glühenden Schlund neue Kohlen zuzuführen, bestrahlte der rötliche Schein Lipinskis scharfgeschnittenes Gesicht, dessen Stirn argwöhnisch gekraust war. Mit gespannter Aufmerksamkeit schien er zu lauschen, ob vielleicht auf Deck irgend ein Geräusch vernehmbar wurde, das ihm über diese ganz unerwartete Fortsetzung der Reise Aufschluß geben konnte. Denn Roderich hatte bisher stets ein Gespräch über die auf dem Strome herrschende Unsicherheit zu vermeiden gewußt, trotzdem der Maschinist oft genug vorsichtig versuchte, den Kapitän über seine weiteren Pläne auszuhorchen. Aber so sehr es auch Lipinski nach oben trieb, – immer wieder rasselte der Telegraph, immer wieder kamen durch das Sprachrohr besondere Befehle hinunter, die ihn ständig in Atem hielten. Schließlich litt es ihn aber doch nicht mehr in der stickigen Luft zwischen den surrenden und stampfenden Maschinen. Er schärfte dem Heizer nochmals die größte Achtsamkeit ein und stieg dann schnell die schmale eiserne Leiter empor.

An Deck des „Triton“ hatte sich inzwischen das bisherige friedliche Bild vollkommen verändert. Die Matrosen, die bis jetzt von den ihnen angewiesenen Plätzen die Umgebung aufmerksam mit den Augen abgesucht hatten, standen an der Steuerbordseite um den Alten geschart und schauten unruhig einem kleinen Boot mit niedrigem Schornstein entgegen, daß soeben zwischen zwei dicht bewaldeten Inseln aufgetaucht war und nun direkt auf den „Triton“ zuhielt. Trotzdem setzte dieser unbekümmert seine Fahrt fort, und die Barkasse mußte nach kurzem Bogen eine ganze Weile dem Dampfer folgen, bis sie ihn eingeholt hatte. Diese Zeit benutzte Roderich, um seinen Leuten die letzten Verhaltungsmaßregeln zu geben.

„Also, Jungens, jetzt gilt's! Alles kommt darauf an, daß Ihr fix seid und, wo auch immer das Boot an den „Triton“ anlegt, ihm auf mein leises Kommando „Los!“ eine unserer Steinbomben auf den Schnabel werft. Da unsere Schanzkleidung ziemlich hoch ist, werden die roten Kerle nicht eher etwas davon bemerken, bis die Pille den Boden durchschlagen hat und der Kahn ihnen unter den Füßen wegzusinken beginnt. Sollten sie sich aber vorsichtig vom „Triton“ abhalten, so müssen Sie, Schüring, die an dem Krahnbalken hängende Tonne so dirigieren, daß sie über die Barkasse zu schweben kommt. Ich werde mit kurzen Weisungen nachhelfen. Auf „Los!“ reißt Einer von Euch dann an der Abzugsleine, die die Krahnklammern öffnet, und aus der schönen Höhe von vier Metern fällt den Kerlen dieser harte Gruß auf den Kopf. – Ich hoffe, daß Ihr die Rollen und Winden gut geölt habt, damit sie geräuschlos laufen …! – Gut also! Und nun – Achtung!“ – Indessen war das kleine Boot ganz nahe herangekommen und dampfte jetzt neben dem „Triton“ her. Trotz der Dunkelheit konnte man deutlich mehrere Gestalten darin unterscheiden, die aufmerksam herüberschauten. Dann erscholl plötzlich eine laute Stimme … „Welches Schiff?“

Roderich, der wieder auf der Kommandobrücke stand, wo er den besten Überblick über das Schlachtfeld hatte, antwortete ohne Zögern:

„Dampfer „Triton“ von Danzig mit Stückgütern nach Warschau. – Wer dort?“

„Der „Triton“ soll sofort abstoppen!” kam der energische Befehl zurück. „Im Namen des Revolutionskomitees – wenn nicht augenblicklich gehorcht wird, wird der Kapitän erschossen!“

Über des Alten verwittertes Gesicht flog ein grimmiges Lächeln. Er schob den Hebel des Maschinentelegraphen herum, und langsam begann die Schraube rückwärts zu schlagen, so daß der „Triton“ sich jetzt nur gegen die Strömung auf demselben Flecke hielt. Die Barkasse schob sich immer näher heran und lag schließlich beinahe unter dem kurzen Fallrepp. Über ihr aber schwebte in der Luft die verderbliche Tonne. Und als eben einer der Leute aus dem kleinen Dampfer das Geländer des Fallrepps ergreifen und sich auf den „Triton“ hinüberschwingen wollte, erklang Roderichs halb unterdrücktes „Los!“ Der Mann an der Abzugsleine hatte gut Acht gegeben. Ein Ruck, und das steingefüllte Faß sauste auf das Vorschiff der Dampfbarkasse herab, durchschlug die Öltuchbedachung und stieß den Bug so tief in das Wasser, daß eine breite Welle in das Boot hineinstürzte und es in wenigen Minuten wegsacken mußte. In demselben Augenblick, als der Alte auf der Kommandobrücke das dumpfe Auffschlagen der Tonne hörte, riß er auch den Hebel wieder auf „Volle Fahrt!“ und der „Triton“ setzte sich schnell in Bewegung und war bald in der Dunkelheit verschwunden. Hinter ihm her erklang verworrenes Rufen und Schreien, dann ein dumpfer Knall. Der Kessel der Barkasse war in die Luft geflogen. –

Stumm standen die Matrosen an der Reeling zusammengedrängt und blickten zurück auf die leise gurgelnden Wasser des Stromes. Ein unbehagliches Gefühl hatte sie beschlichen. Jeder dachte wohl dasselbe… Wenn es den Leuten des eben versenkten Bootes nun gelang, das nahe Ufer zu erreichen, der „Triton“ dann von einem der nächsten Wachtfahrzeuge angehalten wurde und bei diesem der plötzliche Überfall nicht ebenso gut glückte, würde die Besatzung dann nicht der Rache der Revolutionäre erbarmungslos preisgegeben sein, drohte nicht vielleicht allen der Tod? Und selbst wenn man Warschau glücklich erreichen sollte, konnte die völlig machtlose Regierung sie dort genügend beschützen? – Leise begann die Mannschaft unter sich zu flüstern, immer größere Bedenken wurden laut, und schließlich schlug einer vor, Roderich diese Befürchtungen mitzuteilen und ihn zu bitten, sogleich umzukehren und nach Thorn zurückzudampfen. – Der Alte hörte den Sprecher wortlos an, nickte nur bisweilen zustimmend mit dem Kopf.

„Ihr habt nicht so Unrecht, Jungens!“ meinte er dann gemütlich. „Und daß Ihr Euer Leben für mich aufs Spiel setzt, kann ich von keinem verlangen. Hätte Euch nur etwas mehr Kourage zugetraut! Nun, – man täuscht sich leicht! – Wer von Euch den „Triton verlassen will, – bitte! Das Rettungsboot steht Euch zur Verfügung! Aber ich für meine Person bleibe und ebenso der Steuermann. Der Maschinist und der Heizer brauchen nichts zu fürchten, da sie völlig unbeteiligt sind und von der ganzen Geschichte keine Ahnung haben. Also bittte…!“ – Die beißende Ironie in den Worten Roderichs und die diplomatische Anspielung auf den scheinbaren Mangel an Mut taten ihre Schuldigkeit. Die Matrosen schlichen langsam wieder die Treppe zum Deck hinunter und keiner dachte mehr daran, den Kapitän im Stich zu lassen. Als dann der Alte noch aus seiner Kajüte ein Fäßchen Kornbranntwein nach oben schaffen ließ und der Koch ein sehr reichlich bemessenes und gutes Abendbrot verteilt hatte, verlor sich die gedrückte Stimmung der Leute sehr bald. – Der Dampfer setzte inzwischen seinen Weg unaufhaltsam fort. Einmal tauchten auch auf der rechten Seite die verschwommenen Umrisse eines größeren Fahrzeuges auf, das bewegungslos außerhalb der Fahrrinne in dem flachen Wasser lag. Es mußte die Bromberger „Marie“ sein, die aber von der Mannschaft verlassen schien, da an Bord kein einziges Licht zu sehen war. – So vergingen weitere zwei Stunden. Der Fluß lag verlassen da, nur bisweilen wurde der Nachen eines Fischers mit seiner trübbrennenden Laterne sichtbar und glitt schnell vorüber. Man hatte gerade einige kleinere Dörfer passiert, als plötzlich einer der Matrosen eilig auf die Kommandobrücke kam und Roderich auf zwei Boote aufmerksam machte, die lautlos hinter dem „Triton“ herkamen. Der Alte riß das Nachtglas an die Augen, und ein unterdrückter Fluch entfuhr ihm, als er es wieder sinken ließ. Die beiden Verfolger holten mächtig auf und näherten sich zusehends. Roderich begann jetzt doch das Herz schneller zu schlagen. Beinahe bereute er seinen starrköpfigen Wagemut, der ihn fast leichtfertig mit dem anvertrauten Schiffe und dem Leben der Besatzung hatte spielen lassen. Doch äußerlich war ihm nichts anzumerken. Ruhig erteilte er seine Befehle. In den Klammern des Krahns auf Steuerbord hing schon wieder eine der schweren Tonnen, die andern wurden noch dichter an die Reling gerückt, die Mannschaften auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt und jedem sein Posten angewiesen.

In demselben Augenblick, als dann die beiden schornsteinlosen Motorfahrzeuge rechts und links neben dem „Triton“ auftauchten, erschien Lipinski auf Deck und gesellte sich Schüring zu, der mit der Abzugsleine in der Hand mit fest aufeinander gepreßten Lippen dastand und jetzt auf die Fragen des Maschinisten nur mit einem abwehrenden Kopfschütteln antwortete. Wieder kam von drüben der Befehl zum Stoppen. Eine der verfolgenden Pinassen lag bald keinen Meter mehr von dem Dampfer ab, und schon wollte Roderich aufs neue das verhängnisvolle Kommando geben, da das hochgehißte Faß geräuschlos und sehr geschickt von den Matrosen über das Boot dirigiert war, als Lipinski sich weit über die Reeling beugte und den in dem Motorfahrzeuge befindlichen Leuten hastig einige Worte in polnischer Sprache zurief. Der Kapitän wollte wütend dazwischen fahren, da wendete die Pinasse plötzlich mit knatterndem Geräusch, fuhr um den „Triton“ herum und beide Boote verschwanden nach kurzer Verständigung wieder stromabwärts. Dieser seltsame Zwischenfall zeigte Roderich ganz deutlich, wen er mit der Person des einfachen Maschinisten angeheuert hatte. Auf seinen Anruf stand wenige Minuten später Lipinski vor ihm. Die Blicke der beiden Männer bohrten sich erst eine Weile forschend ineinander. Dann sagte der Alte leise:

„Sobald wir in Warschau sind, verschwinden Sie von Bord! Verstanden! Aber ich hoffe, daß Sie mir bis dahin auch“ – er wollte sagen Ihre Genossen, verschluckte die Worte jedoch – „weitere Belästigungen fernhalten werden!“

„Ich danke Ihnen, Kapitän!“ entgegnete Lipinski einfach. Und nach einer weltmännisch höflichen Verbeugung verschwand er wieder in der Luke zum Maschinenraum. –

Am nächsten Nachmittag langte der „Triton“, nachdem er noch zweimal unterwegs angehalten worden war, am Packhof in Warschau an, – zum größten Erstaunen der russischen Zollbeamten, die sofort an Bord kamen und Roderich nach allem Möglichen auszufragen begannen. Doch dieser blieb dabei, daß man ihn auf der ganzen Fahrt in keiner Weise belästigt habe, und die übrige, von ihm vorher eingeweihte Mannschaft bestätigte diese Angaben vollkommen. Wieder wurden auch hier von mehreren Polizeibeamten die Pässe aufs genaueste revidiert, und auch Lipinski hatte ein neues Verhör zu bestehen, das jedoch ebenso glücklich wie an der Grenze ablief. Und Roderich fiel ein Stein vom Herzen, als der Maschinist bei Eintritt der Dunkelheit mit seinem Koffer an Land schlich, nachdem er sich nochmals bei ihm für die Rücksichtnahme herzlich bedankt hatte. Der Alte erwiderte darauf nichts, übersah auch die ihm hingereichte Hand, war nur froh, daß Lipinski von dem Versinken der Dampfbarkasse keine Ahnung zu haben schien. – Abends fand Roderich dann, als er von einer gemütlichen Sitzung aus dem am Tscherkessengarten gelegenen deutschen Seemannsheim zurückkehrte, in seiner Kajüte einen Brief vor, in dem fünf Hundertrubelscheine ohne jedes Begleitwort lagen. Trotzdem wußte er ganz genau, wofür er das Geld, das er sofort gleichmäßig unter die Besatzung verteilte, erhalten hatte. Lipinski war zweifellos einer jener Revolutionäre, die kürzlich die Schweiz verlassen hatten und auf die die russische Polizei so eifrig fahndete. Jetzt wurde es dem Alten auch klar, daß sein früherer Maschinist Becker sich von dem angeblichen Kollegen einfach hatte bestechen lassen und die plötzliche Erkrankung seiner Frau nichts als eine gut ersonnene Ausrede gewesen war. –

Nach vier Tagen hatte der „Triton“ die Güter ohne irgendwelche Störung gelöscht. Die Hafenbeamten konnten sich nicht genug wundern, daß der Dampfer so unbehelligt gelassen wurde, und allgemein hofften sie nun auch auf das baldige Eintreffen der übrigen, bei Wulke zurückgelassenen Fahrzeuge, da die Stromsperre von den Revolutionären doch anscheinend aufgegeben sein mußte. Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht. Im Gegenteil, man wußte bald zu erzählen, daß ein erneuter Versuch, den Verkehr auf dem Flusse unter dem Schutze von Polizeibooten wieder zu eröffnen, kläglich gescheitert sei, sprach sogar von einem regelrechten Angriff der Revolutionäre, bei dem mehrere Regierungspinassen in den Grund gebohrt sein sollten. Bestimmtes war jedoch nicht herauszubekommen, da die russischen Behörden ihre Mißerfolge ängstlich zu vertuschen suchten, um sich dem Auslande gegenüber durch ihre Machtlosigkeit nicht noch mehr bloßzustellen. – Inzwischen hatte sich der unternehmungslustige Roderich vorsichtig bei den ihm bekannten Frachtbestätigern erkundigt, ob er nicht irgendwelche Ladung für Thorn erhalten könne. Jetzt, da ihm das Hineinkommen nach Warschau so über Erwarten gut gelungen war, dachte er gar nicht daran, etwa untätig liegen zu bleiben. Die ängstlichen Bedenken einer Getreidefirma, die Weizen nach Danzig zu liefern hatte, wußte er bald zu beschwichtigen, indem er einige Andeutungen über gutes Einvernehmen mit den Strompiraten und seine erprobte Verschlagenheit fallen ließ. Und nach einer Woche war auch wirklich der Raum des „Triton“ bis zur vollen Ladefähigkeit mit gelben Weizenkörnern gefüllt, ein neuer Maschinist angeworben und alles zur Abfahrt fertig. Aber noch im letzten Augenblick schien das bisherige Glück den Alten verlassen zu wollen. Denn am Nachmittage desselben Tages, den er zur Abreise bestimmt hatte, erhielt er einen mit Schreibmaschine gedruckten Brief, der mit „Das Freiheitskomitee“ unterzeichnet war und in dem ihm unter Hinweis auf seinen Gewaltstreich bei der Hinfahrt und Androhung der Todesstrafe verboten wurde, seinen Liegeplatz zu verlassen.

Die knappe Sprache des Schreibens sagte dem Alten am deutlichsten, daß man zweifellos Ernst machen würde, wenn er dem Befehle nicht Folge leisten sollte. – Nach kaum einer halben Stunde folgte dann eine zweite, weniger unangenehme Überraschung. Ein Polizeibeamter erschien auf dem Dampfer und nahm den Alten mit in die Polizeipräfektur, wo man ihm nach eingehendem Verhör über den Verbleib des Maschinisten Lipinski mitteilte, daß dieser niemand anders war als der Führer der polnischen Nihilistengruppe, Boris Orsakow, den er so ohne sein Wissen nach Rußland eingeschmuggelt und der sich seiner drohenden Verhaftung durch schleunige Flucht wieder entzogen hatte. Roderich beantwortete alle an ihn gerichteten Fragen ohne irgend welche Beschönigung und wurde darauf wieder entlassen. Auf dem Rückwege nach seinem Schiff überlegte er sich seine Aussichten nochmals nach allen Seiten hin. Und da er auf die Dankbarkeit Lipinskis rechnete und auch hoffte, daß ihm im Notfalle eine Berufung auf die Person dieses hervorragenden Mitgliedes der Umsturzpartei wahrscheinlich sehr nützlich sein würde, so gedachte er trotz des gefährlichen Drohbriefes noch heute die Heimreise anzutreten. Und gegen 11 Uhr abends, als der Bootsverkehr auf dem Flusse aufgehört hatte, wurde dann auch der „Triton” ganz geräuschlos mit Stangen in den Strom hinausgeschoben, glitt mit halber Fahrt ungehindert unter der großen Brücke, die die Stadt Praga mit Warschau verbindet, hindurch und befand sich bald außerhalb der Stadtgrenze. –

In derselben Nacht lagen ungefähr sechs deutsche Meilen oberhalb des kleinen Städtchens Wulke mitten in einem sumpfigen, scheinbar ganz unpassierbaren Nebenarm der Weichsel zwei Motorboote, die hinter dem dichten Vorhang des breitblättrigen Rohres weder von den Ufern noch vom Strome her bemerkt werden konnten. Die beiden Fahrzeuge zeigten ganz dieselbe Bauart und waren bis vor kurzer Zeit noch Eigentum einer Warschauer Gesellschaft gewesen, die mit ihnen einen ganz einträglichen Verkehr für Ausflügler nach dem unweit von Warschau gelegenen Wallfahrtsort Elvize unterhalten hatte, dann aber plötzlich den Betrieb einstellen mußte, da die Boote eines Morgens von ihrer Anlegestelle verschwunden waren und trotz aller Nachforschungen nicht wieder aufgefunden werden konnten. Und erst nach einigen Tagen, als die Stromsperre begann und in der Gegend von Wulke die Wachtboote der Revolutionäre auftauchten, fand dieser Diebstahl eine wenig erfreuliche Erklärung.

In der niedrigen Kajüte eines dieser flachgehenden, dabei aber recht schnellen Fahrzeuge saßen um den schmalen Tisch sechs Männer herum und lauschten mit ernsten Gesichtern den Worten eines ihrer Gefährten, der vor sich eine trüb brennende Petroleumlampe stehen hatte und bisweilen seine Rede unterbrach, um aus einem Stoß von Briefschaften ein besonderes Blatt hervorzusuchen und eine wichtige Stelle daraus mit unterdrückter Stimme vorzulesen. Jetzt schob er die Papiere zurück, richtete sich auf und stützte sich an die Lehne der gepolsterten Bank, starrte gedankenvoll in das rötliche Licht der Lampe, schien gar nicht zu bemerken, daß die übrigen ihn gespannt anblickten, da sie nach diesem Bericht über die letzten Vorgänge in Warschau seinen endgültigen Entschluß zu hören hofften. Aber eine ganze Weile verging, ohne daß der Mann mit dem spitzgeschnittenen, wohlgepflegten Bart und den dunklen flimmernden Augen sich regte. Dann begann das Boot plötzlich leicht zu schaukeln, draußen wurden Stimmen laut, Schritte kamen die Kajütentreppen herab und die Tür wurde hastig aufgerissen. Der neue Ankömmling, ein Mann mit blassem, scharfgeschnittenem Gesicht, begrüßte seine Genossen nur flüchtig und wandte sich dann sofort an den, der vorhin gesprochen hatte und hier offenbar eine führende Stellung einnahm.

„Der „Triton“ hat Warschau vor sechs Stunden verlassen,“ begann er „Man brachte mir die Nachricht noch gerade zeitlich genug, daß ich den Nachtzug bis Georgiewsk benutzen und den Rest des Weges zu Pferde zurücklegen konnte. Ich hoffe, daß wir dem deutschen Kapitän jetzt endlich seinen Gewaltstreich heimzahlen werden, der vieren von uns das Leben gekostet hat. Dieses Mal soll er uns jedenfalls nicht entschlüpfen! Außerdem hast Du, Orsakow, ja noch eine besondere Rechnung mit ihm auszugleichen! Denn zweifellos hat er Dich der Warschauer Polizei verraten und dadurch unsere Pläne vollständig zerstört, da Du zur Flucht gezwungen wurdest und Dir eine Rückkehr nach der Stadt vorläufig kaum möglich sein wird. Der Kapitän ist nämlich gestern Nachmittag auf die Polizeipräfektur gerufen worden, und das doch sicher nur zu dem Zweck, um seine Denunziation durch nähere Angaben über Dich zu ergänzen. Einen besseren Beweis für seine Schuld können wir kaum haben.“

Doch Boris Orsakow schüttelte ablehnend den Kopf.

„Ihr täuscht Euch, Dimitri,“ meinte er bestimmt, „Kapitän Roderich gibt sich zum Verräter nicht her. An einen Mann von seiner Verwegenheit und Gradheit reicht ein so gemeiner Verdacht nicht heran.“

Der andere zuckte überlegen lächelnd die Achseln.

„Wir wollen deshalb nicht streiten! Sein Konto ist auch so reichlich genug belastet! Ich freue mich nur, daß wir jetzt noch Gelegenheit finden, mit ihm abzurechnen. Denn die Stromsperre werden wir wohl schon in nächster Zeit aufgeben müssen. Die uns zugegangenen Nachrichten stimmen nämlich. Man hat in den letzten Tagen die alten Regierungsraddampfer, die vor Jahren als Flußkanonenboote hergerichtet wurden, aufs neue in Stand gesetzt, mit Maschinengewehren armiert und will mit ihrer Hilfe den Fluß wieder frei machen. Und da die Herren jetzt gewarnt sind, dürfte auch das Auslegen von Minen kaum einen Zweck haben. Dieser Streich trifft uns ja nicht zu hart, da der Fluß in wenigen Tagen bei der jetzt eingetretenen Kälte zufrieren dürfte und damit unseren Operationen ohnehin ein Ziel gesetzt ist. Doch den „Triton“ wollen wir unsere Macht jedenfalls noch fühlen lassen. Ich bin entschieden dafür, daß wir ihm an der Biegung bei Ostrowenska auflauern, die er gegen Morgen passieren muß. Was meinst Du dazu, Orsakow?“

„Ich muß mich der Mehrheit fügen,“ erwiderte dieser ausweichend. „Wir sprachen schon vorhin darüber, und leider sind die anderen gleichfalls für eine Bestrafung des Kapitäns, die meinem Gefühl, ganz offen gestanden, zuwiderläuft, da ich's dem Manne schließlich doch zu verdanken habe, daß ich überhaupt die russische Grenze passieren konnte. Es dürfte ja genügen, wenn wir seinen Dampfer auf Land setzen. Er erleidet dadurch schon genug Schaden. Oder, wenn Ihr es wollt, soll der „Triton“ meinetwegen auch verbrannt werden. Daß es dem alten Graukopf aber ans Leben geht, dazu gebe ich nie und nimmer meine Zustimmung.” –

Eine halbe Stunde später verließ das eine Boot den Flußarm und steuerte vorsichtig durch die kleinen Inseln des Sumpfes in die Weichsel hinaus, um die an einer anderen Stelle liegenden übrigen drei Motorpinassen der Revolutionäre zu dem gegen den „Triton“ geplanten Handstreich herbeizuholen. Als dann der Morgen graute, lagen die fünf Fahrzeuge auf eine weite Strecke verteilt hinter einigen bewaldeten Kämpen. Bald tauchte auch in dem Zwielicht der dunkle Schiffskörper des Dampfers auf und fuhr ahnungslos an dem ersten der Boote vorüber, befand sich keine zehn Minuten später in einer Falle, aus der es ein Entweichen kaum geben konnte. – Roderich, der auf der Kommandobrücke stand und mit einem Glase vorsichtig die Ufer des Flusses absuchte, bemerkte zuerst das Erscheinen dreier verdächtiger Fahrzeuge, die plötzlich hinter einer Insel hervorschossen und auf ihn zuhielten. Und bald meldete ihm auch ein Matrose, daß zwei weitere Boote hinter ihm herkamen. Jetzt begann dem Alten doch etwas unbehaglich zu werden. Diese Einkreisung sah zu sehr nach einem wohlüberlegten Plan aus, konnte kaum ein Zufall sein! Und wenn diese Flottille es auf ihn abgesehen hatte, was kaum zu bezweifeln war, so schienen die Dinge doch schlimmer zu stehen, als er es sich in seinem Optimismus gedacht hatte…! – Doch zu langem Grübeln ließ man ihm keine Zeit. Auf den energischen Befehl, der ihm aus der vordersten Pinasse zugerufen wurde, stoppte die Maschine des „Triton“ und Roderich begab sich hinab auf Deck, um zu versuchen, mit seinen Gegnern im Guten auseinanderzukommen. Widerstand war hier nutzlos, daß mußte sich der Alte ingrimmig selbst eingestehen. Und so sehr es seiner Natur auch zuwiderlief, mit diesen Kerlen sich auf Unterhandlungen einzulassen, so hielt er es in diesem Falle doch für das Ratsamste. – Inzwischen hatten sich auch die übrigen Boote dem „Triton“ auf wenige Meter genähert. Dann kletterten ungefähr ein Dutzend Gestalten, in deren Fäusten die Läufe von Revolvern warnend blinkten, behende an Bord. Ängstlich standen die Matrosen in der Mitte des Schiffes zusammengedrängt, glaubten wohl, daß ihr letztes Stündlein jetzt geschlagen habe. Roderich allein bewahrte seine selbstbewußte Haltung, sah anscheinend mit größter Ruhe dem Kommenden entgegen. Und doch traten ihm die Schweißperlen unter dem Schirm seiner blauen Mütze auf die Stirn, als er die finsteren Gesichter seiner Feinde gewahrte, die mißtrauisch das Verdeck des Dampfers musterten und ihn selbst mit Blicken anschauten, die sein Herz schneller schlagen ließen. Dann trat ein Mann auf den Alten zu, den dieser nur zu gut wiedererkannte.

„Kapitän,“ begann der frühere Maschinist des „Triton“ ernst, „ich hatte in Ihrem Interesse gehofft, daß wir uns nicht nochmals begegnen würden. Das Schicksal hat es anders gewollt.“

Roderich war bei diesen Worten, die ihm wie die Einleitung zu einem Todesurteil klangen, jeder Blutstropfen aus dem Gesicht gewichen. Er machte sich auf das Schlimmste gefaßt, da diese Anrede all seine Hoffnungen auf Lipinskis bessere Gefühle mit einem Schlage zerstörte.

„Sie haben bei der Hinfahrt nach Warschau,“ fuhr dieser jetzt fort, „trotz aller Warnungen und trotzdem Sie wissen mußten, daß jede gewalttätige Handlungsweise nicht ungeahndet bleiben würde, ein Boot der unsrigen in Grund gebohrt, wobei vier Menschen ertrunken sind. Und da Ihr Tun eine Sühne verlangt, haben wir beschlossen“ – Lipinski machte eine Pause, die Roderich schier endlos dünkte – „den „Triton“ zur Strafe zu verbrennen. Sie selbst und die Besatzung werden jetzt sofort in dem Rettungsboot den Dampfer verlassen – sofort!“

Alles andere hatte der Alte erwartet, nur das nicht! Er hätte sich lieber aufknüpfen oder erschießen lassen, aber dies, … dies…! Sein Schiff sollte verbrannt, er selbst damit für immer brotlos werden und noch dazu seine Ersparnisse verlieren, sollte daheim in Thorn die nur zu berechtigten Vorwürfe seiner Reeder hinnehmen…?! – Plötzlich war jede Spur von Angst von ihm gewichen. Er empfand nichts als eine dumpfe, wilde Wut, seine Fäuste ballten sich, und einen Schritt näher auf den Nihilisten-Führer zutretend, der die Veränderung in des Kapitäns Zügen fast ängstlich beobachtete, wollte er seiner Empörung in wütenden Verwünschungen Luftmachen. Doch Lipinski schien mit diesem Wutausbruch schon gerechnet zu haben. Bevor der Alte beginnen konnte, gab Boris Orsakow seinen Leuten einen Wink, man packte den Alten, band dem sich mit Riesenkräften Sträubenden die Hände und Füße zusammen und zwang ihn auf das Verdeck nieder, wo er vergeblich aufzustehen versuchte, sich bäumte und seine Feinde mit maßlosen Beschimpfungen überhäufte.

Leichenblaß hatte die Mannschaft des „Triton“ dieser Szene zugeschaut. Als ihnen jetzt befohlen wurde, das Rettungsboot klar zu machen und ihre und des Kapitäns Habseligkeiten hineinzuschaffen, konnten sie erst gar nicht begreifen, daß sie wirklich so glücklich davonkommen sollten. Und bereitwilligst hoben sie dann auch ihren wild mit den Füßen um sich stoßenden, wutschäumenden Kapitän ins Boot, stießen eiligst ab und ruderten stromabwärts, um sich nur möglichst bald in Sicherheit zu bringen.

Da es unterdessen heller Tag geworden war, suchten auch die Revolutionäre schnell ihr Werk zu vollenden. Die Strömung hatte den „Triton“ langsam weiter getrieben und führte ihn jetzt auf eine mitten im Flusse gelegene Sandbank, wo er mit hartem Stoß festlief. Die Motorpinassen der Revolutionäre hielten sich noch in seiner Nähe, um ihre Leute, die den Dampfer in Brand stecken sollten, wieder aufzunehmen. Niemand, weder die deutschen Matrosen in dem Rettungsboot noch ihre Gegner hatten bemerkt, daß an der Biegung des Flusses plötzlich zwei Dampfer in voller Fahrt aufgetaucht waren, denen die durch die bewaldeten Inseln versperrte Aussicht das unbeobachtete Näherkommen erleichtert hatte. Und als man die beiden Fahrzeuge, die am Flaggenstock die russische Reichsflagge führten, endlich bemerkte, war es bereits zu spät. Zwar flüchteten die Roten Hals über Kopf in ihre Pinassen und suchten das rettende Ufer zu erreichen, doch die gutgezielten, sich in rasender Eile folgenden Schüsse der auf dem Vorderdeck aufgestellten Maschinengewehre fegten mit einem wahren Kugelhagel über die Boote hin, demolierten die Motore und verwundeten die Menschen, so daß die Pinassen schon nach wenigen Minuten steuerlos stromabwärts trieben. Vergeblich sprangen die Flüchtlinge jetzt über Bord und suchten schwimmend ans Land zu gelangen. Nur wenige kamen mit dem Leben davon. Zwei wurden aufgefischt, einige auch schwer verwundet aus den Pinassen herausgeholt. – Beinahe wäre dieser so gut gelungene Angriff aber auch den Mannschaften des „Triton“ verhängnisvoll geworden, da man auch auf sie das Feuer eröffnete und es erst nach eifrigem Winken und Rufen einstellte. Zum Glück hatten die auf das Rettungsboot gerichteten Kugeln nur die Bootswände an mehreren Stellen durchschlagen, ohne jemanden zu verletzen. Roderich, dem die Fesseln sofort wieder von seinen Leuten abgenommen worden waren, ließ jetzt zunächst auf den „Triton“ zuhalten, aus dessen Raum bereits dichter Qualm emporstieg. Doch konnte das Feuer mit Hilfe der Besatzung der Regierungsfahrzeuge schnell gelöscht werden, und bei näherer Besichtigung stellte sich der durch die Flammen angerichtete Schaden als ganz unbedeutend heraus. Ebenso gelang es auch, den „Triton“ schon nach einer Stunde von der Sandbank abzuschleppen. –

Nach herzlichem Dank verabschiedete sich Roderich von seinen Rettern und setzte dann gegen Mittag seine Fahrt fort, während die beiden Raddampfer mit den fünf Motorbooten im Schlepptau nach Warschau zurückkehrten, da der Leiter dieser Strafexpedition inzwischen einem seiner Gefangenen das Geständnis abgepreßt hatte, daß die fünf Pinassen die ganze schwimmende Macht der Revolutionäre darstellten und somit seine Aufgabe erledigt war.

Als Roderich dann am Abend in Wulke eintraf, und sich unter den dort liegenden Schiffern blitzschnell die Kunde verbreitete, daß die Schiffahrt wieder aufgenommen werden könne, da wußte der Alte kaum alle die Fragen zu beantworten, mit denen man ihn nach allen möglichen Einzelheiten bestürmte. Schließlich wurden Roderich und seine Leute beinahe wie Helden gefeiert. Sicher ist jedenfalls, daß dieser Abend in Wulke für den Kapitän und seine Mannschaft nicht nur eine sehr ruhmreiche, sondern auch eine sehr rumreiche Nacht wurde, in der die Teilnehmer dieser abenteuerlichen Fahrt die eben ausgestandenen Schrecken sehr bald vergaßen. –

Der „Triton“ langte nach weiteren drei Tagen auch glücklich mit seiner Weizenladung in Thorn an, und Roderich strich schmunzelnd seinen Gewinn ein, der ihm dieses Mal wirklich Angstschweiß gekostet hatte, wie er mit einem tiefen Seufzer in Erinnerung an die schlimmen Stunden zu dem alten Prokuristen sagte. – Von Lipinski alias Boris Orsakow hat man nie wieder etwas gehört. Unter den Gefangenen und den Verwundeten, die später in Warschau zu lebenslänglicher Deportation nach Sibirien verurteilt wurden, befand er sich nicht. Wahrscheinlich ist er von Bord der russischen Regierungsdampfer aus erschossen worden, als er sich schwimmend zu retten suchte.

– Ende.–