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Ein genialer Streich

Ein genialer Streich.

Eine Kriminalgeschichte von Walther Kabel.

Der schwere Flügel des Eingangstores der Strafanstalt Plötzensee fiel knallend hinter Erich Miller ins Schloß. Zwei endlose Jahre hatte er wegen einer kleinen Verwechselung von Mein und Dein zwischen Gefängnismauern zubrigen müssen. Jetzt war er wieder frei. Und, tief die kräftige Luft des sonnigen Herbstvormittags einatmend, schritt er, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach den roten Ziegelbauten der Zwingburg der strafenden Gerechtigkeit umzusehen, von dannen. Eine halbe Stunde später betrat er eine jener verräucherten Kneipen im Norden Berlins, die trotz ihres harmlosen Äußeren oft die Schlupfwinkel für die gefährlichsten Verbrecher der Millionenstadt sind. Der dicke Wirt, der gerade mit dem Nachfüllen seiner Likörflaschen beschäftigt war, blickte nur kurz von seiner Arbeit auf und meinte dann vertraulich:

„Na, Finger-Miller, auch wieder da?

„Wie du siehst! Ist irgend ein Bekannter hier?‟

„Nur der schöne Oskar. Die andern sind seit zwei Wochen alle auf Sommerfrische.‟ Er grinste dazu. Sommerfrische bedeutete nämlich nichts anderes als die Strafanstalt Plötzensee.

Finger-Miller verschwand hierauf hinter einer Tür, die Uneingeweihten durch ein Schild mit dem Aufdruck Privatwohnung den Eintritt verwehrte. Zwischen den schönen Oskar, einem berüchtigten. Einbrecher, und dem als Taschendieb sich ähnlicher Berühmtheit erfreuenden Finger-Miller fand jetzt in dem kleinen Hinterzimmer eine interessante Unterhaltung statt.

„Mensch, du kommst mir ja wie gerufen!‟ begann der Einbrecher nach den ersten Begrüßungsworten. „Denn ich hab gerade eine große Sache vor, bei der ich dich ganz notwendig brauche. Du bist so der einzige von uns, der sich auch mit feinen Leuten unterhalten kann, ohne gleich beim dritten Wort aus der Rolle zu fallen. Außerdem bist du auch noch, was sehr wichtig ist, nobel wie ein Graf gekleidet. Deine Kluft haben sie dir draußen in der Sommerfrische wirklich famos konserviert während der zwei Jahre. Also hör zu, Finger-Miller. Wir hatten letztens, vor einem halben Jahr so ungefähr, einen Abstecher nach Magdeburg gemacht, der Schrauben-Emil und ich. Von dieser Tour brachten wir für gut 5000 Mark Silbersachen mit alles nagelneu Löffel, Messer, Gabeln, Schüsseln, Zigarettendosen und andere Kleinigkeiten. Schrauben-Emil wurde dann abgefast, als er ein Dutzend Eßlöffel versetzen wollte. Jetzt haben sie ihn fürs versetzen wollen selbst festgesetzt. Die Geheimen aber sind nun verwünscht neugierig, wo wohl die andern in der Magdeburger Filiale der Bergedorfer Metallwarenfahrik gestohlenen Sachen geblieben sein mögen. Dir kann ich's verraten: sie liegen hier genau unter diesem Tisch unter den Dielen und müssen sich da auch noch einige Zeit ausruhen, weil sie eben vorläufig nirgends loszuschlagen sind, bis eben erst son bisschen Gras über die Geschichte gewachsen ist. Um nun die schönen Silbersachen zu verwerten, habe ich mir einen Plan zurechtgelegt, der bei ein ganz klein wenig Dusel guten Erfolg verspricht. Wie ich darauf gekommen bin, ist bald erzählt. Als man meinen Freund Schrauben-Emil vor fünf Monaten nach Moabit in Untersuchungshaft abführte, hielt ich es für ratsam, für einige Zeit aus Berlin zu verduften. Nun habe ich da unten in Schlesien in der Kreisstadt Gremlin eine Schwester wohnen, deren Mann eine Gastwirtschaft besitzt. Und immer, wenn mir so eine Luftveränderung nötig ist, verschwinde ich nach dorthin wo man mich natürlich nur als ehrbaren, sparsamen Schlossergesellen kennt, der sich auch hin und wieder von dem hart erarbeiteten Gelde eine kleine Erholung gönnen will. Während meines Aufenthaltes in Gremlin ist die Idee zu dem famosen Streich in mir aufgetaucht. Und der schöne Oskar entwickelte jetzt dem alten Bekannten seinen verwegenen Plan bis in die feinsten Einzelheiten. Finger-Miller nickte nur hin und wieder zustimmend Beifall, ohne den andern durch Zwischenfragen irgendwie zu belästigen.

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Drei Tage später suchte der Kriminalschutzmann Hertell seinen Vorgesetzten, den Kommissar Wilde, in dessen Büro im Polizeipräsidium auf.

Herr Kriminalkommissar, ich glaube, unser langjähriges Schmerzenskind, der schöne Oskar, eigentlich Oskar Riebel, führt wieder irgend etwas im Schilde. Ich habe ihn seit dem Einbruchdiebstahl in Magdeburg, den ja sein Freund Emil Lüdeke, Schrauben-Emil, alles auf sein Schuldkonto nehmen will, nicht aus den Augen gelassen. da ich den Verdacht nicht los werde. daß er der schöne Oskar gleichfalls seine Hand im Spiel gehabt hat und daher auch weiß, wo die gestohlenen Silbersachen hingekommen sind. In den letzten Tagen nun der Riebel auffallend viel mit dem mehrfach vorbestraften Taschendieb Erich Miller, dem sogenannten Finger-Miller, zusammen gewesen. Und heute beobachte ich die Beiden, wie sie in dem Kontor der Kofferfabrik von Senkpiel in der Kottbusserstraße verschwanden. Durch vorsichtige nachfrage bei einem der Angestellten bekam ich heraus, daß sie einen 1½ Meter hohen und 1 Meter breiten Musterkoffer bestellt haben, der innerhalb 14 Tagen geliefert werden soll. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß der schöne Oskar wieder einen größeren Fischzug vor hat. Denn wozu wohl dieser riesige Musterkoffer, der allein seine hundertfünfzig Mark kosten wird ?! Geschäftsreisender für eine Strumpfwarenfirma wird Oskar Riebel nie werden. Der Beruf wäre für ihn zu zahm. Und deshalb wollte ich bitten, mich für die nächste Zeit nicht anderweitig zu verwenden. Ich möchte die gefährlichen Brüder keine Minute unbewacht lassen.

„Na vorläufig eilts damit doch nicht so sehr, meinte der Kommissar. „Zunächst habe ich nämlich für Sie noch andere, sehr dringende Arbeit, Hertell. Und wenn Sie die erledigt haben, dann ist noch immer Zeit genug, sich wieder etwas näher mit unserem alten Freunde Oskar richtig Riebel heißt er, zu beschäftigen und zuzusehen, was er mit dem Musterkoffer vor hat. ‒‟

Kriminalkommissar Wilde war jedoch unangenehm überrascht, als Hertell ihm dann acht Tage später mitteilte, daß Finger-Miller und der schöne Oskar der Polizei ein Schnippchen geschlagen und mit dem Musterkoffer, dessen Anfertigung von der Fabrik auf des Bestellers Ersuchen sehr beschleunigt worden war, spurlos verschwunden seien. Und auch alle weiteren Nachforschungen nach Verbleib der beiden gefährlichen Verbrecher blieben vergeblich.

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Rittergutsbesitzer Fritz von Saldern stieg jetzt ebenfalls leichtfüßig auf den hochrädrigen Jagdwagen und nahm dann seiner jungen Frau die Zügel aus der Hand. Und während das Gefährt in flottem Tempo in die dicht am Gutsparke vorüberführenden Chaussee einschwenkte, beugte er sich ganz dicht zu ihr hin und sagte zärtlich neckend:

„Kleine Neugier, nun sollst du auch endlich erfahren, weshalb ich dich heute trotz des wenig freundlichen Herbstwetters mit nach Gremlin nehme. Seit drei Tagen gibts nämlich in unserer Kreisstadt eine veritable Ausstellung, allerdings nicht von Ölgemälden, sondern von anscheinend äußerst preiswerten Silbersachen. Eine große rheinische Metallwarenfabrik ist auf den guten Gedanken gekommen, einen Vertreter mit einem Musterkoffer hier nach Schlesien zu schicken, der auch die kleineren Städte bereist, die Waren seiner Firma zur Besichtigung auslegt und dann Bestellungen entgegen nimmt. Und da ich nun weiß, wie sehr liebes Herzchen nach einer Ergänzung unseres Silberschatzes auf vier Dutzend Gedecke brennt, da ich ferner bei der Rübenernte diese Jahr sehr gut abgeschnitten habe, so ‒‟

Weiter kam Fritz v. Salden nicht, denn plötzlich legten sich zwei Arme um seinen Hals und ein Paar lebenswarme Lippen preßten sich dankbar auf die seinen, trotzdem hinten auf dem Dienersitz der alte Johann mit seinem bärbeißigsten Gesichte thronte. Doch vor dem legte sich die temperamentvolle junge Frau niemals Zwang auf.

Herr Müller, der Vertreter der rheinischen Metallwarenfabrik, hatte in Gremlin einen am Markt gelegenen, gerade leerstehenden Laden gemietet, und dort auf Tischen, die mit dunkelroten Sammettüchern gedeckt waren, die Erzeugnisse seiner Firma in geschmackvoller Gruppierung ausgebreitet. Und an jedem Stück hing zur Bequemlichkeit des Publikums gleich ein kleines Papptäfelchen, auf dem der Preis notiert war. Als Saldern den Laden betraten, fanden sie dort trotz der verhältnismäßig frühen Vormittagsstunde bereits einige bekannte Familien aus der Umgegend, die ebenfalls die gute Einkaufsmöglichkeit nicht versäumen wollten. Herr Müller, etwas blaß, sehr schlank, machte in tadellosem Gehrock mit weltmännischer Höflichkeit die Honneurs, gab den Besuchern der kleinen Ausstellung die nötigen Aufklärungen und notierte mit höflichen Bücklingen die Bestellungen. Das Ehepaar Saldern hatte bald gewählt und verließ hochbefriedigt und in bester Stimmung das Lokal.

„Schatzi, meinte der Rittergutsbesitzer dann draußen zu seinem überglücklichen Frauchen, das ihm noch ein paar hochmoderne Bowlenlöffel abgeschmeichelt hatte, ich bringe dich jetzt in die Webersche Konditorei. Dort mußt du schon ein halbes Stündchen auf mich warten. Denn ich habe noch auf unserer Bank zu tun. Will dort einigen Mammon deponieren, der mir daheim doch nicht sicher genug untergebracht ist. Es sind die dreitausend Märker für unsere Zuchtochsen, damit du ganz Bescheid weißt.

Schatzi fügte sich in das Unvermeidliche, und Fritz von Saldern verschwand bald darauf allein in dem großem Gebäude, in dessen Parterreräumen sich seit ungefähr neun Monaten die neugegründete Bank des Kreises Gremlin befand. Diese, eine Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, war hauptsächlich von den Landwirten des Kreises zu dem Zweck ins Leben gerufen worden, um den Geldverkehr mit den größeren Bankinstituten in Breslau zu erleichtern. Nebenbei sollte aber die von einer ersten Berliner Firma gebaute moderne Stahlkammer mit ihren Safes den Mitgliedern die sichere Aufbewahrung von größeren Barsummen, Wertpapieren und Pretiosen erleichtern.

Saldern, der mit zum Vorstand der Genossenschaft gehörte, hatte das Geschäftliche am Bankschalter schnell erledigt und betrat nun durch die Seitentür das Zimmer des Direktors, eines älteren Herrn, den man auf vorzügliche Empfehlungen hin angestellt und mit dem man zweifellos einen sehr guten Griff gemacht hatte. Während die beiden noch über einige Angelegenheiten konferierten, meldete der Bankdiener den Vertreter der rheinischen Metallwarenfabrik, der den Direktor zu sprechen wünschte. Herr Müller wurde auch sogleich vorgelassen.

„Herr Direktor,‟ begann er sofort mit großer Zungenfertigkeit, indem er in seiner Rechten ein Telegramm nervös hin und herschwenkte, soeben erhalte ich von meiner Firma aus Köln die Ordre, sofort nach Berlin zu fahren, um dort den Besitzer des neuen Lindenhotels einen Abschluß auf Lieferung des Silberschatzes für das genannte Hotel perfekt zu machen. Ich darf keine Minute zögern. Der nächste Zug von hier, der Anschluß nach der Hauptstadt hat, geht schon um ein Uhr mittags ab. Jetzt ists zwölf. Ich wollte sie daher bitten, meine Musterkoffer mit seinem wertvollen Inhalt, den ich bei der Schnelligkeit, mit der ich zu reisen gezwungen bin, unmöglich mit nach Berlin schleppen und auch hier nirgends längere Zeit sicher unterbringen kann, gegen eine entsprechende Entschädigung bis zu meiner Rückkehr in die Stahlkammer ihrer Bank aufzunehmen. Jedenfalls würden Sie mich nebenbei noch zu unendlichem Danke verpflichten.

Der Direktor überlegte und schaute fragend zu Fritz von Salden hinüber. Dieser nickte ihm verstohlen zu. Warum sollte man auch wohl diesem Herrn Müller den Wunsch nicht erfüllen ?

Eine halbe Stunde später rollte vor dem Bankgebäude ein starker, von zwei Männern gezogener Handwagen vor, auf dem ein mächtiger, mit breiten Messingbändern beschlagener Musterkoffer lag. Neben dem Wagen aber schritt als Wächter Herr Müller her, der auch das Unterbringen des mit Silbersachen gefüllten Stückes in der Stahlkammer überwachte. Und als dann die schwere Panzertür des unterirdischen völlig diebessicheren Gewölbes den wertvollen Musterkoffer von der Außenwelt absperrte, da meinte Herr Müller mit einem ganz undefinierbaren Lächeln zu dem Direktor der Bank:

„Mir ists viel leichter ums Herz, seit ich ihn geborgen weiß. Mit dem ihn konnte Herr Müller doch nur seinen Musterkoffer meinen, dachte der Direktor und dachte vorbei. Herr Müller, eigentlich Finger-Miller, meinte mit ihn seinen guten alten Freund den schönen Oskar, Berlins berüchtigsten Einbrecher.

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Der Tag, an dem der Vertreter der rheinischen Metallwarenfabriken seinen Musterkoffer der Bank des Kreises Gremlin anvertraut hatte, war ein Sonnabend. Am nächstfolgenden Montag wurde Fritz von Saldern gegen Mittag sehr ungestüm ans Telephon gerufen.

„Hier Saldern-Lankwitz, meldete er sich etwas ungehalten, da er sich gerade hatte zu Tisch setzen wollen.

„Hier Bankdirektor Allert-Gremlin, kam die Antwort durch den Apparat. Ein furchtbares Unglück. Unsere Bank ist auf ganz unerklärliche Art und Weise um sämtliche in den Safes der Stahlkammer niedergelegten Depots bestohlen worden. Habe bereits nach Breslau um Kriminalbeamte telegraphiert. Bitte kommen Sie sofort her.

Aber auch Salderns Erscheinen änderte nichts an der Tatsache, daß der Inhalt sämtlicher Safeskästen, soweit er einen Wert repräsentierte, geraubt war. Man stand hier einem vollkommenen Rätsel gegenüber. Weder an der Tür zur Stahlkammer noch an den Wänden konnte man Spuren gewaltsamen Eindringens entdecken. Niemand vermochte sich daher zu erklären, wie der Dieb in das gepanzerte Gewölbe gelangt war, da ein Verdacht gegen den Direktor der Bank oder den Kassierer, die allein Schlüssel zu der Stahlkammertür besaßen, bei der untadeligen Ehrenhaftigkeit dieser Herren überhaupt nicht auftauchte. Erst ein Breslauer Kriminalbeamter, der nachmittags in Gremlin eintraf, brachte einige Lichtstrahlen in diese undurchdringliche Finsternis. Seine erste Frage nach Besichtigung des Tatortes war, ob vielleicht irgendwelche fremde Personen in letzter Zeit in der Stadt beobachtet worden seien oder vielleicht sogar die Stahlkammer unter irgend einem Vorwand betreten hätten. Der Direktor dachte kurze Zeit nach. Dann fiel ihm plötzlich Herr Müller mit seinem Musterkoffer ein. Aber dessen Person sprach hier doch kaum mit. Trotzdem erzählte er dem augenscheinlich mit stetig sich steigerndem Interesse hinhorchenden Geheimpolizisten alles, was er von dem Vertreter der rheinischen Metallwarenfabrik wußte, erzählte auch zum Schluß, daß besagter Herr Müller heute morgen, gleich nachdem die Bank geöffnet worden war, am Schalter erschienen sei und den Musterkoffer zurückgefordert habe, der ihm natürlich auch anstandslos herausgegeben wurde und den er dann wieder in den für seine Ausstellungszwecke gemieteten Laden schaffen ließ. Erst etwa zwei Stunden später wäre dann der erste Kunde erschienen am Montag sei der Geschäftsverkehr ja überhaupt sehr flau , um seinem Safe Papiere zu entnehmen. Und da erst hätte man bemerkt, daß nicht nur das Safefach dieses einen Kunden, sondern sämtliche gewaltsam geöffnet und ausgeraubt seien, allerdings auf eine so raffinierte Art, daß dies erst bei genauem Hinsehen zu bemerken gewesen wäre.

Der Kriminalbeamte pfiff hierzu sehr bedeutungsvoll durch die Zähne. Und wenige Minuten später standen der Bankdirektor und der Geheime vor dem Laden, in dem Herr Müller bisher die Fabrikate seiner Firma zur Schau gestellt hatte. Die Ladentür war verschlossen und die Schaufensterjalousie herabgelassen. Von dem Hausbesitzer erfuhr man dann, daß Herr Müller mit dem Elfuhrzuge am Vormittag Gremlin verlassen habe, um sich in der Nachbarstadt nach einer für ihn passenden leeren Lokalität umzusehen. Bereitwillig öffnete der Hausbesitzer hierauf auch den Laden, wo zwischen den leeren sammetbehangenen Tischen der mächtige Musterkoffer emporragte. Der arme Direktor der Gremliner Bank aber war wie vor den Kopf geschlagen, als der Kriminalbeamte ihm jetzt mit wenigen Worten mitteilte, auf welche Weise sich der Dieb in die gepanzerte Stahlkammer Eingang verschafft hatte.

Kriminalkommissar Wilde war soeben von einer mehrtägigen dienstlichen Reise aus Pommern nach Berlin zurückgekehrt und hatte sich direkt vom Stettiner Bahnhof in sein Bureau begeben, um dort erst einmal nach dem Rechten zu sehen. Während er einige Aktenstücke durchblätterte, klopfte es plötzlich an seiner Tür. Auf sei Herein trat der Kriminalschutzmann Hertell ein, der ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt in der Hand hielt und dieses nach kurzem Gruß seinem Vorgesetzten hinreichte.

„Vielleicht lesen Sie einmal diese Notiz aus der gestrigen Abendausgabe des hiesigen Lokal-Anzeigers, Herr Kommissar, meinte er mißmutig. Oder wissen Sie vielleicht schon, wozu der schöne Oskar sich den Musterkoffer vor einem Monat hier anfertigen ließ?

„Keine Ahnung ? Ich habe ja dort in Pommern auf dem Lande seit vier Tagen keine Zeitung zu Gesicht bekommen. Und neugierig überflogen des Kriminalkommissars Augen jetzt die mit Blaustift angestrichene Stelle:

„Die geheimnisvolle Beraubung der Stahlkammer der Gremliner Bank ist durch die vereinten Bemühungen der Breslauer und der Berliner Kriminalpolizei nun völlig aufgeklärt worden. Es handelt sich dabei um den fast genial zu nennenden Streich zweier Berliner Verbrecher, von denen der eine, ein berüchtigter Taschendieb, mit dem Gaunernamen Finger-Miller, die Frechheit besaß, in Gremlin zunächst als Angestellte einer rheinischen Metallwarenfabrik mit einer Musterkollektion von Silbersachen aufzutreten, die vorher in Magdeburg zusammengestohlen waren. Dieser selbe Virtuose des Hochstaplerhandwerks wußte dann am vorigen Sonnabend den Direktor der genannten Bank durch eine geschickt erfundene Geschichte, deren Glaubwürdigkeit er noch durch das Vorzeigen eines gefälschten Telegramms erhöhte, dazu zu bewegen, daß er seinen Musterkoffer in die Stahlkammer der Bank einstellen durfte. In diesem besonders konstruierten und somit vollkommen leeren Musterkoffer war niemand anders als ein bekannter Berliner Einbrecher, der schöne Oskar genannt, verborgen, der dann am Sonntag die beste Zeit hatte, in aller Ruhe die Safes zu erbrechen, die wertvollste Beute herauszusuchen und in den Musterkoffer zu verstauen, mit dem zusammen er auch wieder am Montag aus dem Gewölbe heraus und nach dem von seinem Komplicen gemieteten Laden getragen wurde, wo er sein enges Gefängnis verlassen konnte und ebenso wie Finger-Miller auf Nimmerwiedersehen verschwand. Bisher wenigstens hat man, trotzdem der ganze Verfolgungsapparat der Polizei aufgeboten worden ist, von den beiden Gaunern noch keine Spur entdeckt. Und es steht nur zu sehr zu befürchten, daß sie mit dem gestohlenen Gut, welches auf über achtzigtausend Mark geschätzt wird, und dem vorher in Magdeburg geraubten und so schlau verwendeten Silberzeug glücklich entkommen werden.

Der Kriminalkommissar nickte nachdenklich vor sich hin.

„Ja, ja, Hertell, meinte er, hätte ich damals auf Sie gehört und wären Sie dem schönen Oskar auf den Fersen geblieben, dann würden diese siebenmal gesiebten Kerle nie dazu gekommen sein, ihren famosen Musterkoffer in Aktion treten zu lassen ! Schade !