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Der Raubritter

Der Raubritter.

Eine Kriminalgeschichte von W. K.

Nachdruck verboten!

Zum Besitze des Hartmannhofes in Neu-Langberg gehörte unter anderem auch die auf einer steilen, dem Eingange eines Seitentales vorgelagerten Felskuppe sich erhebende Reiherburg, besser deren spärliche Überreste, denn die stolze Feste war im Laufe der Jahrhunderte zur Ruine geworden.

Von der eigentlichen Burg war kein Stein mehr über dem anderen, einzig nur ein runder Turm schaute, ziemlich gut erhalten, trutzig wie einst in das weite Land. Die Reiherburg war ein berüchtigtes Raubritternest gewesen; vor ihren rauf- und raublustigen Besitzern hatten weder Bürger noch Bauer, weder Stadt noch Kloster Ruhe gehabt. Sie plünderten und raubten Geld und Gut nach Herzenslust, bis auch ihre Stunde gekommen war. Die Söldner der erbitterten Städte und Klöster brachten die stolze Feste nach längerer Belagerung zu Falle, zerstörten die Burg und richteten die Räuber. Die Burg wurde nie mehr aufgebaut, ihre Reste wechselten im Laufe der Zeiten öfters den Besitzer, bis endlich der Großvater des Hartmannsbauer die Felskuppe mit der Ruine um ein Spottgeld erwarb, da er den Wald, der zur Ruine gehörte, schlagen lassen wollte.

Seitdem bestand dieser Erdenfleck nur aus unproduktivem Boden und die Hartmannshofer kümmerten sich nicht weiter darum. Dann und wann kam ein Wanderer aus den Städten, bestieg die Felskuppe, von der sich eine weite Rundsicht bot, sonst aber kam Wochen und Monate hindurch keines Menschen Fuß zu dieser einsamen Stätte, wo die kläglichen Reste der Ritterburg von Efeu und anderen Schlinggewächsen üppig überwuchert wurden.

Als der letzte Hartmannshofer, hochbetagt und ohne männliche Erben zu hinterlassen, gestorben war, kam der ganze Besitz in die Hände der beiden Töchter einer Schwester des Bauern, die das Gut alsbald zum Verkaufe brachten.

Bei der Versteigerung erwarb der Vorsteher von Neu-Langberg den Hof für seinen zweiten Sohn.

Es war etwa ein Jahr, nachdem Christian Hiebler, so hieß des Vorstehers Sohn, auf dem Hartmannshofe aufgezogen war, da kam eines Tages ein Fremder, stieg zur Ruine hinauf und betrat dann auf dem Rückwege den Hartmannshof. Ob er den Bauern sprechen könne, fragte er einen Knecht. Dieser bejahte und rief seinen Herrn.

Christian Hiebler musterte die Gestik des Fremden etwas misstrauisch, denn der kleine, hagere Mensch mit dem bleichen Gesichte, den tiefliegenden, dunklen Augen die meistens einen müden, gelangweilten Ausdruck zeigten, im Gespräche aber plötzlich lebhaft aufblitzen konnten, schien ihm nicht recht zu gefallen. Gekleidet war der Fremde wie ein Mann der besseren Stände.

Sind Sie der Besitzer dieser Ruine da oben? fragte er den Bauern.

Christian Hiebler bejahte.

Ist sie Ihnen nicht feil?

Der Bauer horchte auf.

Den Felsbrocken mit dem alten Gemäuer wollt Ihr kaufen? fragte er erstaunt, als habe er nicht recht gehört.

Ja”, klang die kurze Antwort.

Da lachte Christian Hiebler sein bestes und behäbiges Lachen und meinte Herr, da kann ich Euch dienen, und selig könnt’ Ihr Burgherr werden.

Was soll die Ruine kosten? Christian Hiebler überlegte kurz, dann sprach er: „Felskuppe und Ruine, sagen wir vierhundert Goldkronen. Ist das zu viel?

Nein, ich bin einverstanden.

Der Fremde griff in die Tasche, holte eine Börse hervor und zählte das Geld auf den Tisch.

Wollt Ihr morgen zum Notar in die Kreisstadt zur Verschreibung kommen die Kosten des Vertrages und der Einbücherung trage ich, sprach er dann

Gut, nickte Christian Hiebler, ist mir recht, habe sowieso dort zu tun.

Nachdem sie noch die Stunde verabredet hatten, ging der Fremde mit kurzem Gruße davon.

Zur bestimmten Zeit trafen die beiden am anderen Tage beim Notar zusammen, wo der Kaufvertrag angefertigt und unterschrieben wurde.

Dabei erfuhr Christian Hiebler, daß der nunmehrige Besitzer der Ruine Paul Abt heiße und Geschichtsforscher sei.

Schon am folgenden Tage begann es auf der einsamen Stelle, wo die Überreste der stolzen Raubritterburg bisher von längst vergangenen Zeiten geträumt hatten, lebendig zu werden.

Es rückten Handwerker aus der Kreisstadt an, die nach den Weisungen Paul Abts den Turm auszubauen begannen. Zunächst bekam er ein wetterfestes Dach, dann wurden zwei Zimmer und eine kleine Küche samt Nebenräumlichkeiten eingebaut. Als dies geschehen war, brachte ein Wagen einige Möbel und andere Einrichtungsgegenstände und in der Zeit von zwei Monaten, während derer Paul Abt im Dorfgasthause gewohnt hatte, war die neue Wohnstätte fertig gestellt. Alle Arbeiter hatte der merkwürdige Mann pünktlich ausbezahlt, mit dem Hartmannshofer ein Abkommen wegen Lieferung von Lebensmitteln und Brennholz getroffen und war dann auf seinem Rittersitze eingezogen. Während all der Zeit hatte er mit den Menschen seiner Umgebung nur das Allernotwendigste gesprochen und die Tafel, die er am Fuße der Felskuppe mit der Inschrift anbringen ließ: Privatbesitz! Aufgang verboten! sagte zu deutlich, daß er keine Besuche wünsche.

Natürlich hatte es sich im Dorfe wie auch in der ganzen Gegend rasch herumgesprochen, welche seltsame Einquartierung die ehemalige Ritterburg erhalten habe und der Sonderling von der Reiherburg, der sich nun oft tagelang nicht blicken ließ und dann überhaupt nur mit dem Hartmannshofer verkehrte, bildete das Tagesgespräch; rasch hatte der Volksmund für den Mann, von dem man nicht recht wußte, wie alt er und ob er ein ganz Gescheiter oder ein Halbverrückter sei, einen Namen erfunden, er wurde kurz der Raubritter genannt.

Je weniger man den Raubritter zu Gesichte bekam, desto schneller verlor sich das Interesse der Leute an seiner Person, besonders da sich in den kommenden Wochen in diesem Landstriche Ereignisse abspielten, die die Gemüter der Dorfbewohner viel gewaltiger erregten als ein so harmloser Sonderling, um nicht zu sagen, ein harmloser Narr.

Als es nämlich eines Morgens in der ganzen Talschaft bekannt wurde, daß in der verflossenen Nacht in das Geschäftslokal des Neu-Langberger Konsumvereines ein verwegener Einbruch verübt worden sei und dabei, ohne daß die Leute, die im Hause und zwar gerade über dem Geschäftslokale wohnten, das geringste verdächtige Geräusch gehört hatten und ohne daß der große Hofhund einen Laut von sich gegeben hatte, die Kasse erbrochen, daraus sämtliches Bargeld geraubt, sowie auch aus dem Laden eine ganze Menge Lebensmittel gestohlen worden seien, da war der Raubritter schnell vergessen.

Warum der Hofhund des Konsumvereines sich nicht gerührt und geregt hatte, war bald bekannt: das prächtige Tier lag nämlich tot im Hofe, es war vergiftet worden. Es schien klar, daß der Einbruch von ganz verwegenen und geübten Leuten verübt worden sei, denn trotz der sofort eingeleiteten und vom Dorfvorsteher mit Hilfe einiger aus der Stadt berufener Polizisten mit aller Umsicht gepflogener Nachforschungen gelang es nicht, auch nur die kleinste Spur oder die winzigsten Anhaltspunkte zur Verfolgung der Täter zu finden, sie mußten im Schutze der Nacht gekommen und spurlos wieder im Dunkel verschwunden sein. Und doch hatten sie etwas zurückgelassen, das in der ersten Aufregung übersehen worden war. An die Ladentüre war nämlich mit Rotstift ein gefiederter Pfeil gemalt, von dem der Geschäftsführer des Konsums mit aller Bestimmtheit behauptete, daß er von den Einbrechern herrühre, denn am Abend zuvor wäre er noch nicht dagewesen. Freilich, das Zeichen sagte nicht viel, vor allem war es kein Fingerzeig, wohin sich die Männer des Gesetzes zu wenden haben.

Seit Menschengedenken war in Neu-Langberg kein solcher Einbruch verübt worden, umso begreiflicher war die Aufregung nicht nur des ganzen Dorfes, sondern auch der umliegenden Gemeinden.

Allenthalben war man noch im besten Beraten und die Polizei mit ihren Erhebungen beschäftigt, als genau zwei Tage später ein zweiter Einbruch gemeldet wurde. Diesesmal hatte der Pfarrhof von Oberbreitberg, das etwa zwei Gehstunden von Neu-Langberg entfernt war, den ungebetenen Besuch erhalten.

Im Arbeitszimmer des Pfarrers war jener Schrank erbrochen worden, der die Kirchen- sowie die Privatkasse des Pfarrers enthielt. Auch einige Wertgegenstände waren mitgenommen worden. Und an der Stubentüre leuchtete der rote, gefiederte Pfeil.

Die Aufregung wuchs, als dies bekannt wurde. Sogleich wandten sich die Polizisten nach Oberbreitberg, ohne dort mehr als den unheimlichen Pfeil zu finden. Auch im Pfarrhause hatte niemand etwas gehört und nirgends waren verdächtige Gestalten bemerkt worden.

Während noch die Polizei mit Hilfe der Dorfbewohner fieberhaft ihre Erhebungen pflog, kam schon die Nachricht vom dritten Verbrechen. In dem weitentfernten Weitnach war es geschehen und der reiche Müller im Weitnachgrunde das Opfer.

Auch hier war der große, starke Hofhund vergiftet und dem Müller eine große Summe gestohlen worden, die er zum Vieheinkauf für den nächsten Tag bereitgehalten hatte. Der rote Pfeil an der Haustüre bewies zu deutlich, wer die Diebe waren, die auch hier wie an den zwei anderen Orten wie in den Erdboden hinein verschwunden waren.

Nun wurde die Sache unheimlich. Die Bevölkerung wagte kaum mehr ruhig zu schlafen und hauptsächlich die wohlhabenden Großbauern, Geschäftsleute und Handwerker fanden sich am bedrohtesten. Es schien klar, daß eine ganze Einbrecherbande am Werke sei, die sich in den nahen, riesigen Wäldern unter tags versteckt hielt, um in der Nacht ihre Raubzüge zu machen und das Land zu brandschatzen.

In den betroffenen Orten wurde nun ein nächtlicher Wachedienst verabredet, ein Trupp von vier, fünf bis an die Zähne bewaffneter Männer durchzog die Straßen des Dorfes und wurde alle zwei Stunden von anderen Bauern und Knechten abgelöst.

Während dies geschah, wurde in einem vierten Dorfe das Postamt erbrochen und aus der gesprengten Postkasse alles Bargeld gestohlen, und tagdarauf im fünften Dorfe der reiche Vorsteher heimgesucht. Sowohl an der Postamtstüre wie auch an einem Laden des Vorsteherhauses zeigte der rote, gefiederte Pfeil, daß es immer dieselben Verbrecherbuben seien, die ihre Hand im Spiele hatten.

Nun kannte die Aufregung der Bevölkerung keine Grenzen mehr. Es kam zu einem förmlichen Aufruhr. Wehe den Einbrechern, wenn sie in einem solchen Augenblicke in die Hände der erbitterten Bauern gefallen wären, sie wären in Stücke zerrissen worden.

Beim Vorsteher Hiebler in Neu-Langberg trafen sich die Vorsteher und Gemeinderäte aller umliegenden Dörfer. Hier wurde ein förmlicher Kriegsrat gehalten, wie man endlich diese Landplage los werden könnte. Übereinstimmend herrschte die Ansicht, daß die Bande in den Wäldern hause.

Das Ergebnis dieser Beratung war, daß in allen Dörfern alle wehrfähigen Männer aufgeboten wurden. Sie hatten sich an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde am Gemeindeplatze zu versammeln. Wer eine Waffe hatte, sollte sie mitnehmen, sonst mußte ein derber Prügel, eine Heu- oder Mistgabel genügen.

In Neu-Langberg trafen die Trupps zusammen. Vorsteher Hiebler übernahm die Oberleitung. Er teilte die Mannschaften in drei Haufen und erklärte kurz, worum es sich handle. Es sollten nämlich die ganzen Wälder mit den darin verborgenen Schluchten durchstreift werden.

Und dann drangen die Männer von drei verschiedenen Seiten in die Wälder ein. Alle Schluchten, selbst die undurchdringlich scheinenden Dickichte wurden sorgsam durchsucht, das Ergebnis war gleich Null, es wurde nirgends ein menschliches Wesen, mit Ausnahme von einigen bekannten Holzfällern und Kräutersuchern, gesehen, auch nicht die geringsten Spuren gefunden, wo vielleicht eine Bande gelagert hatte, kurz, die ganze Streifung war rein umsonst gewesen.

Es war spät abends, als die Trupps in ihre Dörfer zurückkehrten und den ihrer mit Spannung Harrenden erklären mußten, daß sie nichts, aber auch gar nichts gefunden hätten.

Während die müden Männer ruhten, wurde beim Fabriksbesitzer Huber in Bergau eingebrochen. Aus der einbruchssicheren Panzerkasse waren Geld und Schmuck gestohlen worden, nachdem die Täter zuvor die Schlösser kunstvoll herausgebrannt hatten. Auf der Türe des Panzerschrankes höhnte der rote Pfeil, bei dessen Anblick dem Polizeikommissär ein derber Fluch entfuhr.

Zwei Stunden später waren die von dem neuen Verbrechen verständigten Mannschaften schon wieder zur Stelle und es wurde die ganze Umgebung von Bergau so durchstreift, daß nicht eine Maus der Aufmerksamkeit der erbitterten Männer entgehen hätte können, geschweige ein Mensch oder gar eine ganze Bande. Der Erfolg war derselbe wie am Vortage, man fand nichts, sah und hörte nichts.

Als die Dämmerung hereinbrach, trafen sich die Streifabteilungen vor der Fabrik in Bergau. Bevor sie in ihre Dörfer abzogen, sprach Vorsteher Hiebler: Leute, wir haben das Menschenmöglichste getan, jeden Winkel des ganzen Tales durchsucht, ohne auch nur die kleinste Spur zu finden, nun müssen wir es dem Zufalle überlassen. Der nächtliche

Wachedienst soll in allen Dörfern noch verstärkt werden, es sollen zur gleichen Zeit drei, vier Abteilungen durch die Straßen und Felder streifen, mehr können wir nicht mehr tun. Wenn die Bande nicht schon Wind bekommen hat und auf und davon ist, wenn sie ihre Raubzüge fortsetzen wird, dann gelingt es nur durch erhöhte und vermehrte Wachsamkeit, sie doch endlich zu stellen. Und damit Gott befohlen!

Ein uraltes Sprichwort sagt: Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. Dieses Wort sollte sich auch hier bewahrheiten….

Es mochte etwa eine Woche vergangen sein, während der von keiner Seite ein neuer Einbruch gemeldet wurde. Die Bewohner des Tales begannen schon aufzuatmen, und wenn man es auch allgemein bedauerte, daß die Schufte ihrer gerechten Strafe entgangen waren, so war man doch froh, von dem Alpdrucke, von der Landplage befreit zu sein.

Da geschah etwas, was diese Meinung jäh zunichte machte.

Der Hofhund des wohlhabenden Metzgermeisters Steiner in Weitnach weckte eines

Nachts die Hausbewohner durch ein furchtbares Gebell, das schon mehr ein Gebrüll war. Im Augenblicke waren Meister und Gesellen wach und wenig später sprangen sie mit Prügeln und Waffen auf den Hof hinunter, denn sie wußten, wenn Tyras so raste, war sicher etwas los.

Da nun wollte es der Zufall, daß gerade in diesem Augenblicke, wie die Männer von allen Seiten gerannt kamen, der Mond, den bisher eine Nebelschichte verdeckt hatte, aus dieser hervortrat und sein blendendes Licht über die Landschaft ergoß. In dieser plötzlichen Helle sahen Meister Steiner und auch die Gesellen, wie der Hund wie rasend an der Hofumzäunung hinaufsprang und sahen auch, wie mit katzenartiger Behendigkeit ein Mann darüber kletterte. Für wenige Augenblicke war dieser Mann gut sichtbar. Es war eine schmächtige Gestalt mit bleichem Gesichte, das im Mondlichte noch fahler und gespensterhafter erschien. Oben auf der Umzäunung angelangt, hatte er kurz das Gesicht nach den Verfolgern gewendet, dann war er jenseits des hohen Zaunes verschwunden. Wohl riß Meister Steiner gleich die Hoftüre auf, wohl raste der riesige Hund bellend und heulend auf die Dorfstraße hinaus, die Männer alle hinterher, wohl hetzte der Metzger seinen Hund, und die lauten Stimmen riefen die nächste Wachabteilung herbei, der bald die übrigen zu dieser Stunde Dienst tuenden folgten, allein, einmal war der Hund auf die Verfolgung einer Spur nicht abgerichtet, und dann war es plötzlich wieder finster geworden, da der Mond abermals hinter Wolken verschwunden war. Tyras raste einigemale die Straße hinauf und rannte wieder zurück, von dem Manne aber war nichts mehr zu sehen und zu hören. Es schien, als sei er mit der Hölle im Bunde, so spurlos war er verschwunden. Seine Flucht war geglückt. Es schallten ihm wohl heftige Verwünschungen nach, die ihm nichts anhaben konnten.

Zurück gekehrt, fand Meister Steiner in seinem Hofe knapp vor der Hütte seines Hundes ein großes Stück Fleisch, das sich bei der Untersuchung am anderen Morgen als mit Strychnin vergiftet erwies. Der gut dressierte Hofhund hatte das von einem Fremden und noch dazu um diese Stunde vorgeworfene Fleisch nicht gefressen.

Natürlich durcheilte die Runde von diesem nächtlichen Erlebnisse in Weitnach alle umliegenden Dörfer. Die Nachricht, daß es sich wahrscheinlich nur um einen Verbrecher handle und nicht, wie allgemein angenommen, um eine ganze Bande, fand nicht viel Glauben, allein Meister Steiner wie auch seine Gesellen beteuerten, nur den einen Mann gesehen zu haben.

Gegen Abend erst erfuhr Christian Hiebler auf dem Hartmannshofe von der Geschichte, und zwar durch seinen Vater, den Vorsteher, der zugleich auch den geheimnisvollen und unheimlichen Menschen beschrieb, wie ihn der Metzger Steiner gesehen haben wollte.

Bei dieser Beschreibung stutzte Christian Hiebler plötzlich, es schien, als ob ein Gedanke jäh durch sein Gehirn geschossen sei. Dann sprach er kurz diesen Gedanken seinem Vater gegenüber aus, um dessen Lippen zuerst ein ungläubiges Lächeln spielte das aber rasch verschwand, als sein Sohn meinte, man dürfte nichts unversucht lassen, um endlich Licht in die Sache zu bringen, und wenn es noch so unwahrscheinlich sei. Geheimnisvoll sei das eine merkwürdig und absonderlich das andere, warum könnte da kein Zusammenhang bestehen?

„Du hast recht, sprach der alte Hiebler, komm mit!

Sie begaben sich zum Gendarmerieposten. Der Kommandant schickte sich gerade mit zweien seiner Leute zu еіner nächtlichen Streifung an. Mit kurzen Worten teilte ihm Christian Hiebler seinen Verdacht mit. Die Beschreibung, die der Metzger Steiner von Weitnach von dem Einbrecher gab, paßte nämlich ganz genau auf den Raubritter, auf jenen sonderbaren, merkwürdigen Menschen, der die Reiherburg gekauft hatte und so ganz mutterseelenallein

da oben hauste. Vielleicht stecke hinter diesem Geschichtsforscher auf der Reiherburg wirklich ein ganz geriebener und verwegener Gauner.

Je mehr die Männer den Gedanken der zweifellos nicht von der Hand zu weisen war, erwogen, desto größer schien ihnen die Berechtigung des von Christian Hiebler geäußerten Verdachtes.

Nach längerer Beratung entschloß sich der Wachtmeister, dem geheimnisvollen Burgherrn bei Nacht und Nebel einen Besuch abzustatten, um zu sehen, was dieser Gelehrte da oben eigentlich treibe.

War Christian Hieblers Verdacht begründet, dann hatte man es mit einem ganz gefährlichen und zu allem fähigen Menschen zu tun. Umso stiller mußten die Vorbereitungen getroffen werden.

Christan Hiebler wandte sich ins Dorf, um etwa zwei Dutzend handfester Männer zu holen. Inzwischen hielt der Vorsteher mit den Gendarmen einen förmlichen Kriegsrat ab, wie man möglichst rasch und still auf die Reiherburg kommen könnte, denn es schien nun schon allen klar, daß sich hinter dem menschenscheuen Gelehrten auf der Reiherburg einer der gefährlichsten Einbrecher verberge.

Gegen zehn Uhr trafen die Männer auf dem Hartmannshofe ein. Der Kommandant traf umsichtig die letzten Anordnungen, dann begann unter der Führung Christian Hieblers der Aufstieg zur Burg. Es gab nur einen Weg. Ein schmaler Steig, der auf der anderen Seite über die Felsen abwärts führte, war nur für Eingeweihte und für die nur bei Tag gangbar. War der Vogel also noch im Neste, konnte er nicht entfliehen.

 

So sehr sich die Männer Mühe gaben, kein Geräusch zu verursachen und besonders das Ausgleiten auf den Steinen zu vermeiden, bei der Steilheit des Weges und dem Dunkel war es nicht ganz möglich. Umso rascher trachteten sie in die Höhe zu kommen. Nun hatten sie die Ruine erreicht. Totenstille herrschte und dunkel lag der Turm.

Horcht! rief auf einmal Christian Hiebler leise. Es war ihm gewesen, als habe von jener Seite, wo die Kuppe fast senkrecht zu Tal fiel, ein kurzer Aufschrei herübergeklungen. Er wiederholte sich nicht und alles blieb wieder still.

Nun wurde der Turm umstellt, dann klopfte der Gendarm an die Türe. Alles blieb still. Auch auf ein zweites und drittes Klopfen rührte sich nichts.

Dem Gendarm entfuhr ein halblauter Fluch.

Sollten wir auf der rechten Fährte sein und sollte der Spitzbube Wind bekommen haben?

Jetzt wurde von den schon ungeduldigen Männern die Türe kurzerhand aufgesprengt. Im nächsten Augenblicke drängten sie sich in die kleine Küche. Sie war leer. Ebenso das darüber liegende Zimmer, das der Raubritter als Schlafzimmer benützt hatte. Das Bett war unberührt. Im zweiten, wieder über diesem liegenden Raume, der ebenfalls leer war, zeigte eine große Unordnung von dem hastigen, überstürzten Aufbruche des Bewohners.

Wir sind, wie es scheint, am rechten Orte, aber zu spät gekommen, meinte der Gendarm.

Er ging daran, die beiden Schränke zu untersuchen, die in dem Raume standen. Mit Ausnahme von einigen alten Kleidern und getragener Wäsche wurde aber nichts gefunden, das auf einen Einbrecher schließen hätte lassen können. Merkwürdig war, daß in der ganzen Wohnung des angeblichen Geschichtsforschers nur ein paar ganz zerlesene Kolportageromane zu finden waren, sonst kein Buch. Fast zum Schlusse seiner Untersuchung entdeckte der Gendarm noch in einer Lade einige Rotstifte und sorgsam verpackt eine Schachtel mit Strychnin.

Mit dem hat er die Hunde vergiftet, riefen die Männer.

Jetzt war wohl kein Zweifel mehr, allein der Gauner war auf und davon.

Wenn er den Felssteig gekannt hat, erklärte Christian Hiebler, und ihn glücklich passieren konnte, dann haben wir das Nachsehen, bis der Morgen kommt, ist er über alle Berge.

Nun erinnerte er sich plötzlich des leisen Schreies, den er von der Seite, wo der Felssteig zu Tale führte, vorhin zu hören glaubte. Er machte die Männer darauf aufmerksam und sprach: Vielleicht rührte der Schrei vom Raubritter her, der dort drüben auf der Flucht abstürzte.

Sein Vater, der Vorsteher, und auch der Gendarm schüttelten etwas ungläubig ihre Köpfe. Diese Annahme schien etwas zu gewagt; überdies hatten sie den Schrei nicht gehört.

Christian Hiebler aber blieb bei seiner Vermutung und regte an, unten im Tale zu suchen. Wenn der Gauner vielleicht nur verletzt da unten liege, könnte er sich bis zum Morgen noch in Sicherheit bringen.

Daraufhin wurden drei Mann auf dem Turme als Wache zurückgelassen, die anderen stiegen wieder zum Hartmannshofe hinab, wo Christian Hiebler einige Laternen und Pechfackeln zur Verfügung stellte. Nachdem sie entzündet waren, wurde das Gelände rings um den Fuß der Felskuppe abgesucht. Aber ohne Erfolg. Man fand nichts und stieß auf keine verdächtige Spur.

Es war Mitternacht lange schon vorüber, als sich die Männer endlich beim Hartmannshofe trennten.

Erwischt haben wir den Spitzbuben leider nicht, meinte der Gendarm, aber wir waren auf der rechten Spur. Die ganzen Einbrüche sind tatsächlich nur von einem einzigen Menschen ausgeführt worden. Jedoch ich denke, wir haben ihm das Wiederkommen ein für allemal verleidet.

Hängen hätte man ihn sollen, den diebischen Schuft, sprach einer der Männer, die sich dann lachend mit einem Gutenacht dem Dorfe zuwandten.

Christian Hiebler aber ließ es auch noch am anderen Morgen trotz der vergeblichen Suche in der Nacht keine Ruhe. Der kurze Aufschrei klang immer noch in seinen Ohren. Kaum war daher der Tag angebrochen, begab er sich mit seinen beiden Knechten nochmals auf die Suche. Auf das sorgfältigste durchstreiften sie das Gelände, besonders dort, wo der halsbrecherische Felssteig von der Ruine herunter führte.

Plötzlich schrie einer der Knechte, der in ein dichtes Gestrüpp gedrungen war, laut auf. Rasch waren der Bauer und der andere Knecht zur Stelle. Und nun fanden sie hier in diesem Gestrüppe, fast senkrecht unter den Felsen der Reiherburg, die zerschmetterte Leiche des Raubritters.

Er hatte zweifellos das Geräusch der in dunkler Nacht zu ihm aufsteigenden Männer gehört, es richtig gedeutet und sofort über den ihm bekannten Steig die Flucht angetreten. In der Hast und Aufregung, in der dies geschah, war ihm ein Fehltritt auf dem an und für sich nahezu ungangbaren Wege zum Verderben geworden.

Die Leiche machte einen entsetzlichen Eindruck und dem jüngeren der Knechte wurde bei ihrem Anblicke übel. Christian Hiebler sandte ihn zum Gendarm, der schon in einer halben Stunde zur Stelle war.

Also doch, Herr Hiebler, rief der Gendarm.

Jawohl, es hat mir keine Ruhe gelassen, aber der braucht keinen Arzt und keinen Richter mehr.

In den Taschen des Toten fand man sehr viel Bargeld und in einer neben der Leiche liegenden Ledertasche Schmuckgegenstände, die zum Teile von dem Einbruche beim Fabrikanten Huber in Bergau herrührten, sowie eine Reihe der feinsten Einbruchswerkzeuge.

Das war nun das Ende des Raubritters, dem der Volksmund unbewußt den richtigen Namen gegeben hatte und der, wie es sich später herausstellte, einer der berüchtigtsten Einbrecher der Hauptstadt war.

 

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