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Das Körbchen mit den 2500 Mark

Das Körbchen mit den 2500 Mark.

 

Eine Detektivgeschichte von Walter Kabel.

 

 

Der Freitag war für den Assessor Dr. Krakowski und seine beiden Referendare immer ein heißer Tag – eben weil’s der Grundbuchtag war. Da drängten sich in dem großen Amtszimmer und auf dem Korridor die Leute, die mit ihren vielfachen Anliegen aus Stadt und Land gekommen waren und meist schon vor dem Beginn der Dienststunden vor neun Uhr, die Tür zu Nummer Zehn belagerten, nur um möglichst schnell abgefertigt zu werden. Und der Assessor und seine beiden jüngeren Kollegen dankten stets dem Schöpfer, wenn der Freitag erst vorüber war. Ärger gab es ja regelmäßig! Gewöhnlich hatte irgend ein hartköpfiger Bauer, der einige Meilen entfernt wohnte, gerade die wichtigsten Dokumente für eine Auflassung zu Hause vergessen und wollte es dann durchaus nicht begreifen, daß er nun wieder unverrichteter Sache abziehen sollte, wandte alle möglichen Überredungskünste an, um den Assessor zu Milde, wie er meinte, in Wahrheit zu einer Gesetzesverletzung zu bewegen. Oder aber die Parteien konnten sich nicht legitimieren und mußten stundenlang in der Stadt umherlaufen, bis sie eine Person gefunden hatten, die ihre Identität vor dem Richter feststellen konnte, erschienen dann wieder abgehetzt und verärgert und brachten den etwas nervösen Krakowski durch ihre Bemerkungen über die Umständlichkeit des Gerichts und überflüssige Schikaniererei nur zu oft in Verzweiflung. Außerdem war noch dieser Freitag der einzige Tag, an dem nach stillschweigender Übereinkunft die beiden Referendare auch am Nachmittag auf der Behörde erschienen, um die am Vormittag aufgehäuften Akten zu erledigen. Und Einberger und Köhler waren durchaus keine Streber und rissen sich keineswegs nach Arbeit, stöhnten im Gegenteil schon über die drei Stunden, die sie täglich pflichtschuldigst absitzen mußten.

Einberger hatte soeben auch das zweite Fenster des Amtszimmers geöffnet und blieb noch einen Augenblick stehen, um die frische Seeluft tief atmend einzuziehen. Das Gerichtsgebäude lag im Oberdorf des vielbesuchten Badeortes, und besonders von Nummer Zehn aus hatte man einen wunderbaren Blick über die Villen und Gärten bis hin zum Meere, konnte man die Küste mit ihren leuchtenden Dünenstreifen bis in die weite Ferne verfolgen, wo die Hafenmole der nächsten Küstenstadt und das Silberband des breiten Stromes den Horizont abschlossen. –

Aufseufzend setzte sich der etwas überelegant gekleidete Referendar wieder auf seinen Platz. Für ihn hatte der Freitag noch eine weitere Qual in Bereitschaft: seine verfeinerten Geruchsnerven vertrugen den ländlichen Duft, den die Bauern außer dem Odeur ihrer Transtiefel noch mitbrachten, durchaus nicht. Ständig hielt er in der linken Hand zusammengeballt sein blaugetupftes mit Peau d’Espagne für den Freitag extra stark getränktes Batisttuch, das er oft genug an seine schmale, temperamentvolle Nase führte. Dabei schaute er dann stets mit etwas hochmütigem Lächeln zu seinem Chef hinüber. Er wußte, daß Krakowski diese Weichlichkeit ebenso wenig schätzte wie seine ihm im Korps anerzogene Reserviertheit, hatte auch gleich im Anfang seiner Tätigkeit im Grundbuchamt mit dem Assessor dieserhalb eine Auseinandersetzung gehabt, deren Erfolg jedoch nur eine jetzt von Einberger absichtlich übertriebene Ziererei war. Die beiden hatte das Schicksal aber auch zu verschieden bedacht, als daß sie irgendwelche Berührungspunkte finden konnten. Der arme, aus einfachen Verhältnissen hervorgegangene Krakowski, der als sparsamer Familienvater seine ‚plebejischen Röllchen’ jeden Morgen auf das Aktenregal stellte, war durch ein an Entbehrungen reiches Studium vor der Zeit gealtert und konnte den nur in Lack oder hochfeinen farbigen Schuhen einher tänzelnden Einberger nie ohne ein Gefühl des Neides ansehen, besonders wenn dieser am ersten des Monats von dem Postboten seinen Wechsel von fünfhundert Mark ausbezahlt bekam. Aber er mußte sich mit den zweihundert Mark Kommissoriengeldern und einer mehr wie einfachen Dreizimmerwohnung begnügen! –

Wenn nicht der korpulente Köhler, der zwischen den beiden eine undankbare Vermittlerrolle spielte, gewesen wäre, so hätten der Assessor und sein Referendar sich gegenseitig wahrscheinlich sehr bald das Leben zur Hölle gemacht. Dabei war aber Einberger kein schlechter Jurist, hatte sein Examen mit dem Prädikat ‚Gut’ bestanden und besaß auch sonst von den fünf am Stranddorfer Amtsgericht beschäftigten Referendaren zweifellos die weitumfassendste allgemeine Bildung.

Soeben war eine ländlich gekleidete Frau, deren von unzähligen Falten durchfurchtes Matronengesicht ein grellbuntes Kopftuch umrahmte, an Einberger herangetreten und trug ihm in gebrochenem Deutsch ihr Anliegen vor, indem sie eine Anzahl nicht gerade sehr sauberer Papiere vor ihm ausbreitete – Auszüge aus dem Grundbuch, einen Kaufvertrag und zwei Hypothekenbriefe. Der Referendar sog ein paar Mal auffällig die Luft ein und sagte dann zu der dicht neben ihm stehenden Alten ziemlich schroff:

Treten Sie nur zurück … ich muß erst den Kaufvertrag prüfen!“ – Und ängstlich und halb verschüchtert setzte sich die Frau auf die im Hintergrunde stehende Bank. Einberger aber entfaltete sein Taschentuch und fächelte sich die Düfte seines Peau d’Espagne zu, um diesen Armeleutegeruch loszuwerden.

Der Assessor hatte bei den unfreundlichen Worten des Referendars nur flüchtig aufgeschaut. Und trotzdem sich seine Stirn ärgerlich krauste, diktierte er Köhler doch ruhig das Protokoll über eine schwierige Erbschaftsregulierung weiter, nahm sich aber vor, Einberger nachher einmal ordentlich den Kopf zurechtzusetzen. –

Dieser faßte jetzt vorsichtig den Kaufvertrag mit den Fingerspitzen an und legte ihn vor sich hin, las ihn aufmerksam durch, verglich die Zahlen mit den Hypothekenbriefen und füllte dann den Kopf eines Auflassungsformulars aus, wobei er mit besonderer Sorgfalt seinen Namen ‚Referendar Dr. Einberger’ hinschrieb.

Krakowski war inzwischen mit dem Diktat des Protokolls fertig geworden und ließ es jetzt von Köhler den Parteien vorlesen und dann unterzeichnen. Das Zimmer leerte sich und es blieb außer der alten Frau nur noch ein ebenso ländlich gekleideter Mann zurück. Aufatmend schaute der Assessor auf seine vor ihm liegende Uhr und lehnte sich dann abgespannt von der die peinlichste Aufmerksamkeit erfordernden Arbeit, in seinen Stuhl zurück.

Für heute haben wir’s geschafft, es ist ein Viertel Eins!“ sagte er zu Köhler, der rechts von ihm saß und eben die verschiedenen Formulare in die Umschlagbogen ordnete.

Hoffentlich“, meinte der ungeniert seufzend. Bei seiner Körperfülle und der drückenden Luft in dem Zimmer war dieses offensichtliche Zeichen von Arbeitsübersättigung zu verzeihen.

Krakowski wandte sich dann an Einberger:

Stimmt der Kaufvertrag, Herr Kollege?“

Ja“. – Damit reichte Einberger ihm die Papiere hin. –

Die alte Frau und der Mann waren nähergetreten und standen jetzt wieder dicht neben Einbergers Platz. Dieser musterte sie nicht gerade freundlich, stand dann auf und ging an das Fenster, wo er die Verhandlung abwarten wollte.

Sie sind die Witwe Anastasia Piontowski aus Wischin, die Verkäuferin?“ begann der Assessor die Parteien zu befragen.

Und Sie der Besitzer Ernst Hubert ebenfalls aus Wischin, der Käufer?“ – worauf beiderseits ein ‚Jawohl, Herr Rat’ folgte. –

Nach kaum zehn Minuten war auch diese letzte Sache erledigt und das Grundstück Wischin Blatt 9 für 2500 Mark in das Eigentum des Besitzers Hubert übergegangen. Und sofort zahlte auch der Käufer der Witwe Piontowski den Kaufpreis aus, zählte in Banknoten und Gold die Summe auf dem großen Tisch in der Mitte des Zimmers hin, worauf die alte Frau nach mehrmaligem Prüfen das Geld in einen grauen Leinwandbeutel tat und diesen in ein kleines Deckelkörbchen aus geflochtenem Rohr legte, darüber die Papiere, ein abgegriffenes Gebetbuch und einen Rosenkranz.

Sie werden doch das Geld nicht etwa so mit nach Hause nehmen?!“, warnte Krakowski, der ebenso wie die beiden Referendare, allerdings mit verschiedenem Interesse, der Auszahlung zugesehen hatte.

Nein, Herr Rat, ich gehe gleich auf die Deutsche Kreditanstalt hier in der Seestraße!“ meinte die Frau eifrig.

Das ist sehr verständig von Ihnen! Adieu!“

Als die Leute gegangen waren, erledigte der Assessor noch schnell einige Unterschriften, die ihm der Gerichtsschreiber vorhin zurechtgelegt hatte, während die beiden Referendare sich eine Zigarette ansteckten und leise plaudernd am Fenster standen. Sie sprachen über das bevorstehende Tennisturnier, zu dem Einberger verschiedene Spiele gemeldet hatte. Dann legte Krakowski das letzte Aktenstück in den Bock und erhob sich.

Ihnen danke ich, lieber Köhler“, sagte er etwas unsicher. „Sie, Herr Kollege Einberger, möchte ich bitten noch hierzubleiben, ich habe …“ –

Weiter kam er nicht. Denn plötzlich wurde die Tür aufgerissen und völlig atemlos stürzte die Witwe Piontowski herein und sank beinahe taumelnd mit verstörtem Gesicht auf die Bank. Jammernd sprudelte sie in wirrem Durcheinander polnische und deutsche Worte hervor, von denen zunächst nur … ‚Dieb’, ‚stehlen’, ‚2500 Mark’ eine ungefähre Andeutung von dem Geschehenen gaben. Erst nachdem Krakowski und Köhler durch gütiges Zureden die Alte etwas beruhigt hatten, konnte man aus dem noch immer recht unklaren Bericht nach Einschaltung der nötigen Ergänzungen das folgende, fast unglaubliche Vorkommnis entnehmen: Die Frau war mit dem Besitzer Hubert zusammen auf der rechten Seite der Gerichtsstraße entlang gegangen, um das Geld sofort auf der an der Ecke Gerichts- und Seestraße gelegenen Deutschen Kreditanstalt zu deponieren, als aus einer Haustür plötzlich ein Mann heraussprang, ihr das Körbchen entriß und ebenso blitzschnell wieder in derselben Tür verschwand, die er dann hinter sich verschloß, so daß eine augenblickliche Verfolgung unmöglich war. Und trotzdem sofort von dem Besitzer des Blumenladens, der in dem Parterre desselben Hauses lag, die Haustür wieder geöffnet wurde und dann eine allgemeine Jagd auf den frechen Räuber begann, fand man nichts weiter als in dem Flur vor dem Kellereingang achtlos hingeworfen das offene Körbchen, daneben verstreut die Papiere, das Gebetbuch und den Rosenkranz. Der Beutel mit den 2500 Mark und der Dieb blieben jedoch trotz des eifrigsten Suchens verschwunden.

Krakowski, dem das Unglück des alten Weiblein sehr nahe ging, suchte sie jetzt nach Möglichkeit zu trösten, indem er ihr die größte Hoffnung auf die Ergreifung des Täters machte. Leider stellte es sich schon nach einigen Fragen, die die Witwe dem Assessor nunmehr ganz verständig beantwortete, als äußerst unsicher heraus, ob diese Hoffnung wirklich in Erfüllung gehen würde. Denn daß nach einem wie sorgfältig überlegtem Plane dieser Überfall ausgeführt war, zeigte schon allein der Umstand, daß der Dieb sich für seinen Streich gerade das Haus der Gerichtsstraße ausgesucht hatte, welches als einziges einen zweiten Ausgang über den Hof und durch das Hintergebäude auf eine enge Seitenstraße besaß. Und da der Haustürschlüssel, den der Dieb schlauer Weise abgezogen hatte, vor diesem zweiten Ausgang auf dem Fahrdamm gefunden worden war, so bildete dies einen Beweis mehr, daß der Spitzbube dort hinaus entkommen war. Die Alte konnte, was den Fall noch schwieriger gestaltete, auch von dem Täter nur eine Beschreibung geben, die sich auf die Angaben ‚sehr, sehr groß und dünn, sehr blaß und großer schwarzer Vollbart beschränkten. Und ob der Besitzer Hubert diese Schilderung vervollständigen konnte, war auch sehr ungewiß, da die Piontowski öfters betonte, der Vorfall habe sich so plötzlich und mit solcher Schnelligkeit abgespielt, daß sie erst zur Besinnung gekommen seien, als einer der Stadtpolizisten, der von weitem den frechen Überfall mitangesehen hatte, von ihnen nähere Angaben verlangte.

Nach diesen Feststellungen schauten sich Krakowski und Köhler, die vor der alten Frau an den großen Mitteltisch gelehnt dastanden, kopfschüttelnd an. Denn hiernach erschien ihnen eine Entdeckung des Täters fast ganz aussichtslos. Jetzt tauschten sie leise einige Bemerkungen, während das arme Weiblein sie mit lang forschenden Blicken beobachtete.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte Einberger bei dieser lebhaften Szene nicht die geringste Spur von Teilnahme gezeigt. Er saß auch jetzt noch halb auf dem Fensterkopf, die Zigarette zwischen den Zähnen, und feilte an seinen spitzgeschnittenen, blank polierten Nägeln herum. Trotzdem war ihm kein Wort von allem entgangen. Und als Köhler sich jetzt umwandte und fragte: „Na, Einberger, was halten Sie von der Geschichte?!“, da sagte er ohne jede Spur von Wichtigtuerei mit dem ihm eigenen, etwas ironischen Lächeln:

Ein ziemlich törichter Streich! Die Alte wird ihr Geld bald wiederhaben!“

Der dicke Referendar lachte ungläubig. Und nur aus Rücksicht auf die Witwe, die zaghaft von einem zum andern sah, unterdrückte er eine Antwort, die seine schweren Bedenken enthalten hätte. –

Der Assessor nahm von der Bemerkung Einbergers überhaupt keine Notiz. Die wegwerfende Art, mit der der Referendar auch jetzt noch von der alten Frau sprach, bestärkte ihn nur in dem Vorsatz, jenen in schärfster Weise auf das Unzulässige dieses Benehmens aufmerksam zu machen. Dann sagte er zu Köhler – Einberger schien für ihn nicht vorhanden zu sein: „Wir wollen gehen. Ich möchte mir doch einmal den Schauplatz ansehen! Vielleicht läßt sich noch etwas in der Sache tun.“ –

Damit holte er Hut und Stock vom Kleiderständer, steckte seine Uhr ein und ließ die Witwe vorangehen, indem er ihr die Tür öffnete. –

Einberger hatte sich aus seiner nachlässigen Stellung aufgerichtet und fragte jetzt in merklich maliziösem Tone:

Sie wünschten noch irgend etwas von mir, Herr Assessor?“ – Krakowski drehte kaum den Kopf und antwortete schon vom Korridor her ziemlich scharf: „Das hat bis Nachmittag Zeit!“

Köhler blickte darauf Einberger mit zugekniffenem Auge an, wobei er sein gutmütiges, rundes Gesicht in bedenkliche Falten legte, reichte dem Kollegen die Hand und ging dann dem Assessor nach. Wenn er auch kein Streber war und Krakowskis pedantische, etwas schwerfällige Art ihm ebenso wenig behagte, so suchte er doch nach Möglichkeit dem Vorgesetzten aus diplomatischen Gründen zu Gefallen zu leben, um sich sein Vorwärtskommen nicht unnötig zu erschweren.

Einberger wartete einige Minuten und verließ dann ebenfalls das Gerichtsgebäude, nachdem er sich noch von seinem Rosenstock im Vorgarten eine kaum erblühte La France abgeschnitten hatte. Einem alten Brauche nach ließ nämlich jeder am Stranddorfer Amtsgericht beschäftigte Referendar auf seine Kosten eine Rose dort einpflanzen, die mit einem kleinen Namensschildchen versehen wurde und Eigentum des Betreffenden für alle Zeiten verblieb. So prankte denn jeden Sommer dieser Vorgarten im üppigsten Blütenschmuck all der verschiedenen Rosenarten, deren Pflege der alte Amtsgerichtsrat Steinlein manche Morgenstunde widmete.–

Der Referendar ging gemächlich die Gerichtsstraße hinunter. Die Rose hatte er sich in das Knopfloch seines hellgrauen Jacketts gesteckt und den Panamahut aus dem Gesicht geschoben. Wie er jetzt so, die linke Hand nachlässig in die Hosentasche versenkt, dahinschlenderte und dabei mit seinem Stöckchen pfeifende Lufthiebe schlug, war er das vollkomme Bild eines gedankenlosen reichen Nichtstuers. Und die Neugierigen, die sich vor dem Hause Nummer 15 angesammelt hatten und eifrig den frechen Straßenraub besprachen, ahnten wohl kaum, mit welch’ scharfsinnigen Überlegungen sich der in Stranddorf infolge seiner auffallenden Erscheinung überall bekannte Referendar beschäftigte, als er jetzt langsam näher kam. Der Polizist, der die müßigen Gaffer von der Haustür fernhalten sollte, grüßte Einberger und meldete beinahe dienstlich, daß der Herr Assessor und der Herr Kommissar auf dem Hofe seien. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit dankte der Referendar recht verbindlich und ließ sich sogar mit dem Beamten in ein Gespräch ein, wobei er nach den verschiedensten Einzelheiten fragte. Zum großen Ärger des Polizisten wandte der ‚reiche Herr Doktor’, wie Einberger von den Stranddorfer Bürgern in stiller Verehrung des heiligen Mammon genannt wurde, sein Interesse jedoch bald ausschließlich dem Bureauvorsteher Schindler zu, der sich vorsichtig an die beiden herangemacht hatte und mit einigen Bemerkungen sich an der Unterhaltung zu beteiligen begann.

Schindler war seit kaum einem halben Jahre Bureauvorsteher bei dem Notar Naroschin und Einberger wegen seiner kriecherischen Unterwürfigkeit mehr wie unsympathisch. Bisher hatte der Referendar ihn denn auch mit einem geradezu verletzenden Hochmut behandelt, bei dienstlichen Anlässen nie ein überflüssiges Wort mit ihm gewechselt und auf einen Gruß hin kaum an den Hut gefaßt. Jetzt aber war er wie ausgewechselt. Er ließ sich von Schindler umständlich erzählen, wie dieser gerade vom Bureau gekommen sei und hier zu seinem Erstaunen die Menschenmenge gesehen und dann erst erfahren habe, daß die Witwe Piontowski, eine Klientin seines Notars, auf so unverschämt raffinierte Art beraubt worden sei.

Auf diese Weise hörte Einberger noch mehr Einzelheiten von dem redseligen Schindler, der nicht wenig stolz darauf war, daß er sich hier so vor aller Augen mit dem Herrn Doktor unterhalten konnte. Während der vor dem Referendar stand – den Polizisten hatte er absichtlich bei Seite gedrängt – und sich durch eine hin und wieder eingestreute Frage zum Fortfahren leicht animieren ließ, schien des Referendars gedankenverlorener Blick sich gerade die aus einer großen, plump gefaßten Koralle bestehende Schlipsnadel seines Gegenübers zum Ruhepunkt ausersehen zu haben. Und plötzlich fiel Einberger ihm mitten im Satze ins Wort und sagte gleichgültig:

Sie haben da eine Koralle von sehr schöner Färbung. Ist sie echt?“

Schindler war erst etwas erstaunt, dann aber glitt ein Ausdruck listiger Schlauheit über sein krankhaft bleiches Gesicht. „Gewiß, Herr Doktor! Es ist ein seltenes Stück. Nur die Fassung ist unecht.“

Einberger schien noch zu überlegen.

Wieviel wollen Sie für die Nadel haben?“ fragte er leise, um schnell fortzufahren: „Bitte, fassen Sie die Nadel nicht an. Sie haben vielleicht feuchte Fingerspitzen, die sehr leicht die Färbung des Steines verderben können. Ich werde sie mir selbst herausziehen, falls wir über den Preis einig werden.“

Herr Doktor, geben Sie – – na sagen wir – – zehn Mark. Wenn Sie das Ding kaufen wollen, muß es doch etwas wert sein!“

Und Einberger zahlte auch gleich ohne ein weiteres Wort zu verlieren den gewünschten Preis, holte seine Brieftasche hervor, zog die Nadel schnell aus dem grellbunten Schlips und legte sie dann beinahe hastig aber doch behutsam in eines der Fächer der roten Juchtentasche.

Danach schien jedoch auch die Beraubung der alten Frau plötzlich alles Interesse für ihn verloren zu haben. Denn nachdem er dem Polizisten und dem innerlich frohlockenden Schindler wieder in seiner hochmütigen Art zugewinkt hatte, schritt er weiter die Gerichtsstraße entlang bis zur Ecke, bog in die Seestraße ein und betrat hier den Laden seines Friseurs, mit dem er in dem Hinterzimmer eine kurze Besprechung hatte, wobei er ihm die soeben gekaufte Schlipsnadel vorzeigte. Als er wieder fortging, sagte er nochmals warnend:

Also zu niemandem ein Wort – zu niemandem!“

Der Herr Doktor können sich doch auf mich verlassen“, dienerte der Haarkünstler unterwürfig.

Nachmittags gegen fünf Uhr saßen der Assessor Krakowski und Referendar Köhler schon wieder eifrig bei der Arbeit. Durch die offenstehenden Fenster drang leise das ferne Geräusch der brandenden See wie ein an- und abschwellendes Brausen herein, mischte sich in das regelmäßige Stampfen der Lokomobile des nahen Elektrizitätswerks und den schnarrenden Ton einer Säge, mit der die Gefangenen auf dem Hofe des Gerichtsgefängnisses Holz zerkleinerten. –

Da sich ein ziemlich starker Seewind erhoben hatte, der die frische Luft in das große Zimmer trieb, so war der Aufenthalt dort jetzt bedeutend angenehmer als am Vormittag. Und die beiden Juristen wären unter diesen Umständen wohl noch schneller mit dem vorhandenen Aktenmaterial fertig geworden, wenn sich nicht fortwährend in ihre Gedanken die Erinnerung an das aufregende Ereignis, das kaum vier Stunden zurücklag, eingedrängt hätte.

Der Assessor warf jetzt unmutig seine Feder hin und entnahm der Papiertüte eine Zigarre, schnitt die Spitze ab und zündete sie umständlich an. Er rauchte zum Entsetzen der Referendare nikotinfreie Zigarren von sehr billiger Qualität, deren Duft besonders Einbergers feine Nase stets beleidigte.

Die arme Frau Piontowski“, sagte er dann nach den ersten Zügen und schaute zum Fenster hinaus. „Ich fürchte, sie wird ihre 2500 Mark nie wiedersehen! Diese Leute vom Lande sind aber auch zu leichtsinnig. Manchmal allerdings auch wieder von einem so törichten Mißtrauen, daß dagegen nur Grobheit hilft. Ich habe einmal, als ich noch in Altstadt einen Kollegen vertrat, eine Geschichte erlebt, die …“

Die Tür öffnete sich und Referendar Einberger trat ein, machte den beiden eine sehr offizielle Verbeugung und hing dann Hut und Stock an den Kleiderständer. Er hatte einen tadellos sitzenden, weißen Tennisanzug an, trug dazu einen roten Bindeschlips und sah wieder, wie selbst Krakowski sich eingestehen mußte, äußerst vornehm aus. Heute hatte er sogar vergessen, Köhler die Hand zu reichen, was er jetzt von seinem Platze aus gut zu machen suchte, indem er dem dicken Referendar freundschaftlich zunickte.

Der Assessor schrieb schon wieder an einer Verfügung und kümmerte sich um Einberger nicht im geringsten. Er hatte ihm verschiedene Aktenstücke zur Erledigung hingelegt, die dieser zerstreut zu durchblättern begann. Plötzlich lehnte der ‚reiche Doktor’ sich in seinen Stuhl zurück und sagte zögernd:

Es wird die Herren vielleicht interessieren – die 2500 Mark sind schon gefunden!“

Zwei Köpfe fuhren überrascht von ihrer Arbeit auf. Krakowski musterte mißtrauisch Einbergers leicht gebräuntes Gesicht, das den blasierten, spöttischen Zug um die Lippen selbst bei dieser Nachricht beibehalten hatte.

Was sagen Sie da, Herr Kollege? – Dann wäre ja auch der Dieb entdeckt“, fragte er unsicher. Er fürchtete irgend einen unverschämten Kalauer seines Referendars und wollte sich nicht gern blamieren.

Jawohl, Herr Assessor! Der Dieb wird jetzt sogar wahrscheinlich schon verhaftet sein“, beantwortete der die Frage in selten verbindlichem Tone.

Aber – woher wissen Sie denn das?“ forschte Krakowski interessiert, indem er seinen Stuhl etwas herumrückte.

Ich komme soeben von der Polizei – –“

Und wie hat man den Kerl so schnell erwischen können? – Ein Zufall wohl?“ rief Köhler herüber, den es ärgerte, daß Einberger sich jedes Wort einzelnen herausholen ließ.

Wie?“ meinte dieser jetzt lächelnd. „Auf sehr einfache Art – – hierdurch!“ Und damit legte er eine Schlipsnadel, eine ungewöhnlich große Koralle, die er seiner Brieftasche entnommen hatte, vor den Assessor auf den Tisch.

Auf jede andere Antwort waren die beiden wohl gefaßt gewesen, hatten natürlich vermutet, daß irgend ein merkwürdiges Zusammentreffen von Umständen die Polizei bei ihren Nachforschungen unterstützt haben mußte. –

Jetzt schauten beide Einberger fragend an. – –

Vielleicht betrachten Sie sich die Nadel einmal genau, Herr Assessor“, sagte Einberger in demselben liebenswürdigen Tone.

Krakowski tat’s, und auch Köhler, der sich hinter dessen Stuhl gestellt hatte, musterte prüfend das geschmacklose Schmuckstück. Dann zuckte der Assessor ungeduldig die Achseln.

Ich finde nichts besonderes daran – garnichts!“ „Ich auch nicht“, bestätigte Köhler, der jetzt die Nadel in der Hand hielt.

Und doch ist man durch diese Koralle auf die Spur des Täters gekommen“, sagte Einberger wieder mit leisem Lächeln. – „Wenn die Herren genauer hinsehen – zwischen der Fassung und der Koralle haben sich drei lange, dunkle Härchen festgeklemmt. Diese Härchen sind dem Dieb verderblich geworben!“

Nanu!?“ lachte Krakowski auf. „Das hört sich ja wie ein Abschnitt aus einem Sherlock Holmes-Erlebnis an.“

Allerdings – und doch ist an der Tatsache nichts zu ändern. – Damit Sie aber den Zusammenhang verstehen, will ich erzählen, was ich von der Entdeckung des Täters weiß.“ –

Einberger hatte seinem silbernen Zigarettenetui eine Kyriagi entnommen, die er schnell anzündete. Dann fuhr er fort:

Für einen überlegenen Menschen bot doch der scheinbar so einfache Vorfall manches Sonderbare. Schon die Ausführung des Raubes mußte jeden notwendig auf den Gedanken bringen, daß die Sache von einem Manne geplant und vorbereitet war, der eine merkwürdig genaue Kenntnis sowohl von den Vorgängen hier auf dem Grundbuchamt als auch von den Absichten der Witwe Piontowski hatte. Denn – wer wird wohl einer ärmlich gekleideten Frau auf offener Straße ein unscheinbares Körbchen fortreißen und sich dadurch der Gefahr einer schweren Strafe wegen Raubes aussetzen, wenn er nicht eben weiß, daß der Inhalt dieses Körbchens ein solches Wagnis verlohnt. Und auf Grund dieser einfachen Überlegung mußte man den allgemeinen Verdacht schon auf einen bestimmten Kreis von Personen einschränken – auf die, welche auf irgend eine Weise von der heutigen Auflassung des Grundstückes und auch weiter davon erfahren hatten, daß der Besitzer Hubert hier sofort den Kaufpreis bezahlen würde. –

Doch dieser Kreis verringerte sich noch mehr, wenn man in Betracht zog, daß der Täter ebenso gut gewußt haben mußte, was die alte Frau mit dem Gelde zu tun gedachte. Wie sich aus den ganzen Umständen ja sicher schließen ließ, hatte der Dieb mit dem Vorüberkommen der Piontowski so bestimmt gerechnet, daß er sich in dem Hausflur von Nummer 15 auf die Lauer stellte, das heißt, er wußte, welchen Weg sie einschlagen würde – eben nach der Deutschen Kreditanstalt auf der rechten Seite der Gerichtsstraße entlang! Gerade diese Kenntnis so feiner Einzelheiten deutete auf einen Menschen hin, der nur ein sehr guter Bekannter, ein Vertrauter der Alten sein konnte, deutete nach Wischin, dem Heimatdorfe der Witwe. Doch gegen diese Annahme sprach wieder etwas anderes. Der Täter hatte sich gerade das Haus für seine Zwecke ausgesucht, das als einziges einen zweiten Ausgang nach der Nebenstraße besitzt, hatte sich weiter einen schon benutzten Hausschlüssel, keinen Nachschlüssel besorgt, um durch Absperren der Tür Zeit zur Flucht zu finden. Und diese beiden letzten Punkte, die den Plan erst in seiner ganzen Raffiniertheit beleuchten, lenkten den Verdacht in anderer Richtung.

Ein einfacher Bauer wäre nie imstande gewesen, ein solches Unternehmen auszuklügeln und durchzuführen. Dazu gehörte eine Umsicht und Entschlossenheit, die nur – Verbrecher oder Leute von gewisser Bildung besitzen. Der Täter mußte also anderswo gesucht werden, unter Leuten, die irgendwie Gelegenheit hatten, ebenfalls die notwendige Kenntnis von den Absichten der Piontowski zu erlangen. Und da kommen doch außer den Gerichtsbeamten nur noch die Angestellten des Notars in Betracht, bei dem der Kaufvertrag gestern abgeschlossen wurde. Nun – unsere Beamten und – wir selbst scheiden hier von vornherein aus. Blieb also noch das Personal des Notars Naroschin übrig …“

Einberger machte eine Pause und drückte den glimmenden Rest seiner Zigarette in dem Aschbecher aus.

Die Herren haben meine bisherigen Ausführungen verstanden, nicht wahr?“ fragte er dann.

Krakowski nickte nur. Sein Gesicht zeigte deutlich, daß er sich im Stillen ärgerte, weil er nicht selbst auf diese doch so nahe liegenden Kombinationen gekommen war.

Das, was ich bisher vorgetragen habe“, fuhr Einberger langsam fort, „habe ich mir überlegt, während Sie, Herr Assessor, und Köhler der alten Frau tröstend zusprachen und ihr die Ergreifung des Täters mit vielen Worten in Aussicht stellten. Als die Herren dann gegangen waren, verließ ich auch …“

Wie“, rief Köhler dazwischen, „Sie wollen der geistige Urheber all dieser Spitzfindigkeiten sein – Sie ein zweiter – Sherlock Holmes?“ Und er lachte den Kollegen ungläubig an. Auch der Assessor vergaß seine sonstige Zurückhaltung.

Tatsächlich, Kollege – Sie haben – –?“

Doch Einberger winkte nur etwas von oben herab mit seiner wohlgepflegten Hand Schweigen und sprach dann ruhig weiter:

„… verließ auch ich das Gericht, um weiteres Material zu sammeln. Und der Zufall führte mir da den Bureauvorsteher Schindler in den Weg, mit dem ich mich dann in ein Gespräch einließ. Unter anderem erzählte er mir auch mit großer Harmlosigkeit, daß er selbst im Hofgebäude von Nummer 15 wohne und daß er die gute alte Frau Piontowski von Herzen bedaure, besonders da sie ja eine alte Klientin seines Notars sei. Und in demselben Moment, meine Herren, wo Schindler dieses sagte, da ist mir heute vormittag plötzlich siedend heiß geworden! Denn da dachte ich an die Beschreibung, die die Alte uns von dem Täter gegeben hatte. Sie kennen den Bureauvorsteher ja auch! Er ist lang, dünn, blaß – – alles stimmte! Nur – der Vollbart nicht, den die Witwe als besonderes Kennzeichen noch hervorhob. Denn Schindlers’ spärlichen, blonden Schnurrbart kann man selbst bei flüchtigem Hinschauen nicht für einen langen, schwarzen Vollbart ansehn! Und an diesem Bart glitt, wenn ich so sagen darf, die bereits geworfene Schlinge unschädlich ab. –

Da wurden meine Blicke zufällig auf die unglaublich geschmacklose Krawatte des Bureauvorstehers gelenkt, deren Farbenpracht mir direkt Schmerzen bereitete. Dazu steckte noch in diesem Regenbogen-Schlips eine Nadel, eine Koralle – – diese Koralle hier! Und während meine Augen noch diese trostlose Zusammenstellung musterten, sah ich in der Krawattennadel eingeklemmt zwischen Fassung und Stein vier – – ja, ich hielt es zuerst für Fäden, kurze Fäden, die irgend ein Zufall dorthin gebracht hatte. Dann aber glaubte ich bei genauerem Hinschauen doch zu bemerken, daß diese Fäden – verzweifelte Ähnlichkeit mit Barthaaren zeigten. Sofort wurde auch mein Argwohn wieder wach. –

Wie waren diese vier Härchen an die Schlipsnadel gekommen, wo doch Schindler gar keinen Vollbart trug? Und nur ein langer Vollbart ließ das Einklemmen dieser Haare natürlich erklären! –

Aber, überlegte ich weiter, konnte der Bureauvorsteher sich nicht einen falschen Bart bei Ausführung der Tat umgenommen haben?! –

Und dieser Gedanke, der mir so plötzlich durch den Kopf zuckte, ließ mich schnell handeln. Die Nadel mußte ich haben … und bekam sie auch für zehn Mark, ohne daß Schindler auch nur den geringsten Argwohn geschöpft hätte! Wie sollte er auch …?! Im Gegenteil, seinem Gesicht sah ich’s so recht an, daß er mich gründlich mit dem 50 Pfennig-Ding angeschmiert zu haben glaubte. –

Als die Nadel erst wohlverwahrt in meiner Brieftasche lag, war mein nächster Gang zu meinem Friseur, den ich eins der Härchen prüfen ließ. Dieser Sachverständige behauptete nun, allerdings uneidlich, daß das Haar zweifellos von einem falschen Barte stamme. Er begründete auch sein Gutachten sehr verständlich, hielt mir einen Vortrag über Fabrikation falschen Haarschmucks und die Eigenschaften des aus China importierten, sogenannten chinesischen Haares, das besonders hart und dick sein soll. –

Und diese vier Härchen sind chinesisches Haar, wie er durch eine einfache Brennprobe feststellte. –

Hiernach hegte ich selbst an der Täterschaft des Bureauvorstehers keinen Zweifel mehr.“

Mir hätten die Indizien auch genügt!“, warf der Assessor eifrig ein.

Na – dem Kommissar mußte ich allerdings erst ein Privatkolleg über Logik lesen, bevor ihm so langsam ein Lichtlein aufging. Aber schließlich willigte er doch in meinen Vorschlag ein. Es handelte sich nun darum, das geraubt Geld zu finden. –

Das war dann der erdrückendste Beweis! Und wo es zu suchen war, glaubte ich auch mit ziemlicher Sicherheit angeben zu können. Schindler hatte mir selbst erzählt, daß er vom Bureau kam, als ich ihn traf. Und das konnte auch sehr gut möglich sein! Er war eben nach dem Raube und nachdem er den falschen Bart schnell entfernt hatte, harmlos durch den zweiten Ausgang hinausgegangen und hatte sich wieder in das Bureau begeben, das kaum drei Minuten entfernt liegt. Da er nun aber in der kurzen Zeit den Beutel mit dem Gelde kaum anderswo verstecken konnte, so … hatte er ihn eben mitgenommen und dort irgendwo verborgen, wo ihn kaum ein Mensch suchen würde – bei dem Notar Naroschin! –

Auch diese Vermutung sprach ich dem Kommissar gegenüber aus. Er begriff auch das langsam, aber er begriffs wenigstens! So bezog er denn in aller Stille mit seinen Truppen vor Gerichtsstraße Nummer 15 und vor dem Hause Naroschins Posten, wie ich es ihm vorgeschlagene hatte. Ich selbst – es war inzwischen doch vier geworden – ließ mich bei dem Notar melden und bat ihn mir behilflich zu sein, erzählte ihm natürlich auch, wodurch sein Bureauvorsteher sich verdächtig gemacht hatte. Naroschins Gesicht hat schon geistreicher als in dem Augenblick ausgesehen! –

Aber die Hauptsache … er schrieb auf mein Anraten einen Brief an den Rechtsanwalt Hannow, den er dann von Schindler persönlich hinbringen ließ – unter der Begründung, daß die Antwort streng vertraulich und sehr wichtig sei. –

Ahnungslos machte sich dieser auch auf den Weg. Aber nicht allein. Denn ich hatte mit dem Kommissar alles verabredet und einer der schleunigst in Zivil gesteckten Polizisten blieb jenem auf den Fersen. Dann durchsuchten wir beide, Naroschin und ich, das kleine Zimmer, in dem Schindler allein arbeitete. Zunächst fanden wir nichts, obwohl vom Wasserkasten unter dem Fensterbrett bis zum eisernen Ofen in der Ecke alles umgekehrt wurde. Schließlich gab es in dem Raume kein Fleckchen mehr, das wir nicht auch beklopft hätten. Da fiel mir zum Glück das Stück Eisenblech ein, das man zum Schutz vor den Ofen auf die Dielen genagelt hatte. Ich kniete mich hin – meine grauen Beinkleider sind dadurch so ausgebeutelt, daß ich mich nachher umziehen mußte – und versuchte mit der großen Papierschere die Nägel zu lockern und – es ging über Erwarten leicht! Als ich das Blech dann anhob, war auch das Versteck gefunden. Denn darunter ließ sich ein kurzes Dielenstück, das sehr sauber eingepaßt war, leicht herausnehmen. In der Höhlung aber lag nicht nur der Leinwandbeutel mit den 2500 Mark, sondern auch … neben einer hübschen Kollektion von Einbrecherwerkzeugen eine Menge goldener Uhren und anderer wertvoller Schmuck, der wahrscheinlich von dem letzten noch unaufgeklärten Einbruch bei dem Uhrmacher Levy herrührt. –

So meine Herren, das ist die Sherlock Holmes–Geschichte, passiert in Stranddorf in der Saison 1907. Ich will nur noch hinzufügen, daß Schindler sofort bei seiner Rückkehr verhaftet werden sollte. Das habe ich nicht abgewartet. Inzwischen wird’s aber wohl geschehen sein …“

Da streckte Krakowski ihm die Hand hin. „Das haben Sie geradezu großartig gemacht, Kollege!“ Und in dem festen Händedruck lag ehrlichste Anerkennung. –

Und auch der dicke Köhler, der seinen Kollegen jetzt mit ganz anderen Augen ansah, meinte aufrichtig:

Sie sollten Kriminalist werden, Einberger! Da könnten Sie’s mit Ihrem Scharfsinn weit bringen!“

Kriminalist?“ – Einberger zog die Lippen geringschätzig hoch. – „Ich bin Gott sei Dank schon zur Regierung angenommen. Eine andere Karriere dürfte meinen Ansprüchen kaum genügen!“

Unverbesserlich!‘ dachte der Assessor. Laut aber sagte er:

Ich sehe ein, daß die Menschen so verbraucht werden müssen, wie sie eben sind! Damit schenke ich Ihnen auch das, was ich mir für die angekündigte Besprechung vorbehalten hatte, Herr Kollege!“

Oh – bitte, Herr Assessor, wenn Sie …“

Lassen Sie nur, die Sache ist erledigt!“, unterbrach ihn Krakowski ärgerlich. – Daß der Mensch ihm nun auch noch diese Freude verderben mußte …!!