Das Licht der elektrischen Glühbirne zeichnete in das marmorblasse Gesicht der jungen Witwe so scharfe Kontraste. Und ihre von dunklen Ringen umgebenen Augen leuchteten wie die phosphoreszierenden Lichter eines Raubtiers.
„Wußten sie, wie ich sie verachte ‒‒ wie sehr ‒‒‟ Das kam so langsam über die bebenden Lippen, als drängte sich eine Hochflut der Gedanken in diese wenigen Worte. Und dann hob Frau Marie den Arm und wies zur Tür, deren offenstehende Flügel von der schweren, golddurchwirkten Portiere halb verdeckt waren.
‒ „Leben sie wohl gnädige Frau,‟ sagte da müde, heiser vor Erregung der, dessen zusammengesunkene Gestalt sich jetzt aus dem dunklen Sessel emporrichtete. Und zagend, scheu ging er zur Tür, schlug die Portiere zur Seite und dann… wandte er sich nochmals zurück… Ein Stöhnen klang durch die Stille des Zimmers, ein Laut, der ans Herz griff und die Nerven vibrieren ließ. ‒‒ Die Portiere fiel zurück: die Schritte klangen hart auf dem Parkettfußboden des Salons, eine Tür fiel ins Schloß … scheinbar der wehe Schlußakkord einer Liebe, die diese zwei Menschen einst mit jagenden Herzen einander in die Arme getrieben hatte, zwei, die ein ganzes Glück bisher vergeblich gesucht…
Maria Werber war der elegante Offizier auf einer Abendgesellschaft vorgestellt worden. Und schon beim ersten Blick in das frische, gebräunte Gesicht, dem ein paar dunkle, melancholische Augen einen so eigenen Reiz verliehen, hatte sie eine seltsame Teilnahme für den um Jahre jüngeren Mann in sich aufkeimen gefühlt. Sie trafen sich öfters und immer fester redete Frau Maria sich ein, daß sie für Gerhard v. Astra nicht als reinste Freundschaft empfande, bis… bis er ihr dann eines Tages auf einem Spaziergang durch den von Frühlingsdüften und Vogelgesang erfüllten Stadtpark seine Liebe mit Worten erklärte, deren hinreißender Zauber ihre Seele mit ungeahnten Wonnen erfüllte. Sie wurde seine Braut, sollte es bleiben, bis er Hauptmann geworden. Denn von dem Gelde der Geliebten einen eigenen Hausstand zu gründen, das vertrug sich nicht mit Gerhard v. Astras ganzen Lebensanschauungen. So war Frau Marias junge Witwenschaft nach kurzer freudloser Ehe durch einen Frühlingsrausch abgelöst worden, wie ihn kein Dichter berückender schildern kann.
Jahre gingen dahin. Aber das Glück blieb dasselbe. Und der Mann, dem Frau Maria reinste Seligkeit schenkte, dankte ihr täglich auf Knien dafür. Wenn er ihre weißen Hände küßte und trunken vor Innigkeit Worte stammelte, dann war’s als verblaßte die strahlende Frühlingssonne vor dem Leuchten dieses Glücks. Im Bewußtsein, daß ihre Seelen eins waren, daß der Schöpfer nur sie beide für einander geschaffen haben könnte, wuchs ihr Selbstgefühl und ihre Selbstgefälligkeit zu Bergeshöhen an. Blind standen sie in der Welt, die ihr Recht verlangte. Und dieses Recht wird immer Vergänglichkeit heißen. In ihrer Blindheit wehrten sie sich nicht gegen die Schrecken des Erwachens aus diesem von Blütenduft durchwehten Traum… Sie küßten sich die Seele von den Lippen und träumten weiter. Der Rausch mußte verflüchten, die duftigen, rosigen Schleier einst im Sturm verwehen. Und der Tag des Sturmes kam. Wie immer in ein Glück zweier Herzen führte die Windsbraut mit bangem Klagen den Störenfried herbei… ein anderes Weib! Und des Mannes unbeständiger Sinn half der Vergänglichkeit ein Glück zerstören, das neben dem ewigen Schöpfer zu thronen glaubte. Er, der seiner Liebe Seligkeit in glühenden Briefen ein Denkmal gesetzt hatte… er vergaß Frau Maria.
Warum?! ‒‒ Törichtes Menschenkind, frag nicht warum! Es gibt einen Übermut des Glücks, wie es eine Schlechtigkeit des Glücks gibt. Und beides lernte Maria Werber durch den kennen, der ihr Sklave gewesen, der zu ihr wie einer Göttin in gläubiger Verehrung emporgeschaut hatte. Und als der Mann aus dem neuen Traum erwachte, als das Bild der anderen zerrann ‒‒ da war es zu spät… zu spät! Und nur ein qualvolles Stöhnen zeigte die Zerrissenheit eines Mannesherzens, das im Überschwang des Glücks… schlecht, gewissenlos geworden war. ‒‒ Und dem, den sie nicht mehr achten konnte, wies Frau Maria die Tür.
Die Geschichte einer Liebe, so alltäglich, daß die hastende Menge kaum den Kopf danach hebt. Und doch in dem Ende dieser Liebe ein Zusammenstürzen des Edelsten und Besten, das Weib und dem Mann sich je geben konnten; etwas, dessen tragische Alltäglichkeit den Glauben zerstört und Falten um den einst so lieblächelnden Mund meißelt wie Mahnzeichen dessen. was die Erde als drohendes Schrecknis überall zeigt: Vergänglichkeit! ‒‒
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Zwei Jahre sind seit jenem Abend ins Land gegangen, als Frau Maria den, der sie betrogen hatte, von sich stieß in verletztem Stolz. Die Zeit hat die, die sich einst alles waren, auseinandergetrieben. Des Mannes Spuren hat die Pflicht verweht… sein Beruf führte ihn fort über das Meer zum Kampf gegen räuberische Horden. Und keine Zeitung brachte Kunde, ob er noch am Leben oder ob seine Gebeine im den öden Sandstrecken der afrikanischen Kolonie bleichten. Verschollen… verweht… ausgelöscht aus Frau Marias Leben für immer.
Für immer ‒‒?! Ein anderer Tag kam und wieder sang der Wind leise, einschlummernd im Kamin, wieder zeichnete das elektrische Licht so scharfe Kontraste in das blasse, so wunderbar schöne Gesicht einer einsamen Frau. Sie sitzt vor dem Kamin, regungslos, zusammengekauert in einem Sessel. Und ihre Augen starren in die glühenden Kohlen, die bisweilen leise knisternd aufflammen.
Frau Maria hält einen Brief in den Händen, den sie soeben gelesen. Einen Brief von dem, den sie einst liebte und ‒‒ der sie belog, betrog ‒‒
Müde sinkt ihr Kopf immer tiefer; die Gedanken eilen in die Vergangenheit. sie facht dieses Einst, dieses Traumbild wieder an; schließt die Augen, erschauert, glaubt seine sengenden Lippen wieder zu fühlen ‒‒ ‒‒ sie will jetzt das Einst wieder aufleben lassen ‒‒ jetzt, da er ‒‒ ‒‒ tot ist.
Tot… Ihr Herz krampft sich zusammen. Was gäbe sie jetzt ‒‒ jetzt, wenn er hier wäre mit seinem glücklichen Übermut, mit den glückschimmernden Augen ‒‒ hier wie einst… und leise spricht sie es vor sich hin: „Wie einst ‒‒‟ Der Brief ist ihr durch das Kommando der Schutztruppe zugestellt worden mit kurzen Begleitschreiben, daß der Hauptmann v. Astra am 18. Juni 19… auf einem Patrouillenritt gefallen sei und beifolgende letzte Aufzeichnung von seiner Hand, adressiert an Frau Maria Werber, ihr hiermit überreicht werde. ‒‒ In ihren schlanken Fingern knitterte das Papier dieses letzten Briefes … Und wie liebkosend strich sie darüber hin, faltet langsam die wenigen Blätter auseinander. Sie beugt sich vor und liest nun zum drittenmale diese mit zitternder Hand geschriebenen Zeilen, den Scheidegruß eines Sterbenden an sie, die einzige Geliebte.
Maria!
Über mir Blinken die Sterne und um mich herum die gespenstische Dämmerung der Tropennacht, unter mir der kalte, kalte Sand, in den die roten Tropfen aus meiner wunden Brust herabfallen, langsam, regelmäßig ‒‒ wie das Ticken einer Totenuhr.
Ich weiß, ich werde sterben, sterben hier allein in der grauen Einsamkeit, für mein Vaterland ‒‒ aber auch für dich, Maria ‒‒ zur Sühne für das, was ich dir antat… Einen ganzen Tag lang haben die Feinde mich gehetzt. Alles bot ich auf, um ihnen zu entkommen. Ich wollte leben, wollte hier in den Sandwüsten unserer Kolonie gut machen, was ich einst in freventlichem Leichtsinn an die verschuldet, wollte dann zurückkehren zu dir und dich anflehen um Vergebung… All die Jahre, seit ich von Dir gehen mußte, habe ich jede Stunde Deiner gedacht, jede Stunde, jede Minute… Und heute wollte ich für Dich, nur für Dich mir mein Leben erhalten. ‒‒ Alles vergeblich. Niedergeknallt haben sie mich, haben mich dann liegen lassen. Lange, lange war ich bewusstlos. Erst die Kälte der Nacht hat mich geweckt. Und jetzt ‒‒ warte ich auf den Tod. Mein Blut tropft immer weiter in den Sand. Ich bin so matt und so schwach, daß ich kaum den Bleistift führen kann. Und doch, ich darf nicht sterben, nicht früher, bis ich Dir gesagt habe, wie sehr ich bereue, wie unendlich ich dich geliebt habe, noch lieb, wie nur du mir wahres Glück gegeben hast. ‒‒
Stunden sind vergangen, seit ich die letzten Worte schrieb. Ohnmacht umfing meine Sinne.‒‒ Und jetzt steigt drüben über dem graugrünen Dornenfelde die Sonne in leuchtender Pracht empor… Ihre ersten Strahlen spiegeln sich wieder in meinem Blute, das mich umgibt wie ein tiefrotes Bett… Vor meinen Augen beginnen Funken zu sprühen ‒‒ das Ende naht ‒‒ ‒‒ Verzeih’ mir, Maria, verzeih’ ‒‒ ich habe ja nur Dich geliebt, nur Dich!
‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒ ‒‒
Die Kohlen knistern im Kamin, fallen polternd nach…
Da schrickt die einsame Frau zusammen. Die Blätter in ihrer Hand rascheln. Und Träne auf Träne tropft darauf nieder. Sie waschen alle Schuld von dem Toten ab. Marie Werber, die einsame Maria, die jetzt stets einsam bleiben wird, hat vergeben…