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Die Buschklepper am Kolorado-Spring

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

5. Band:

Die Buschklepper am Kolorado-Spring.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 26, Elisabeth-Ufer 44.

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

 

1. Kapitel.

Hinterlistige Pläne.

An einem warmen Oktobertag ritt ein einzelner Weißer auf einem starkknochigen Schimmel durch eine Furt des Kolorado und dann weiter nach Süden zu, indem er des öfteren einen Kompaß und eine Landkarte zu Rate zog.

Dieser Reiter bildete hier im Westen eine recht auffallende Erscheinung.

Er trug einen grüngrauen, derben Sportanzug, hohe Stiefel mit weichen, gelben Schäften, einen breitbandigen Strohhut, ferner einen weißen Kragen von jener Form, die man mit ‚Vatermörder‛ bezeichnet, und darum geschlungen eine zierlich gebundene schwarzseidene Schleife. Seine Doppelbüchse, seine beiden Pistolen, das Jagdmesser und die Satteltaschen sahen so neu und ungebraucht aus, als wären sie erst vor kurzem irgendwo in einer der östlichen Städte gekauft worden.

Der blonde Schnurrbart dieses merkwürdigen Westmannes war recht gepflegt, wenn er auch nur dünn war und die Neigung hatte, an den Mundwinkeln herabzuhängen. In dem von der Sonne rot gebrannten Gesicht sorgten außerdem noch eine kleine Stupsnase und ein paar lustige Schweinsäuglein sowie eine große Warze auf der linken Wange dafür, der ganzen Erscheinung einen etwas komischen Anstrich zu geben.

Die Sonne stieg immer höher. Es mochte jetzt gegen elf Uhr vormittags sein. Da trug der von Südwest herüberwehende Wind dem Reiter das Geknatter von Schüssen zu.

„Hm,“ murmelte er, „man hat mich in den Ansiedlungen vor den Komanchen gewarnt, die jetzt hier auf Büffel jagen sollen. Ich werde lieber nach links ausweichen. Mit den roten Kerlen soll ja nicht gut zu spaßen sein!“

Er bediente sich der deutschen Sprache und auf deutsch rief er jetzt auch, als von links her sechs Weiße auf schäumenden Pferden auf ihn zusprengten:

„Na nu, die Leute haben’s ja mächtig eilig!“

Er hielt an und schaute den Männern, die recht wildwestmäßig aus–sahen, neugierig entgegen.

Der Vorderste war ein breitschultriger Riese mit schwarzem Vollbart und dunklen, mißtrauischen Augen.

Er parierte dicht vor dem feinen Sonntagsreiter sein Pferd, musterte diesen kurz und lachte dann schallend auf.

„Boys, das ist ein leibhaftiges Greenhorn!“ brüllte er seinen Gefährten zu.

Und fragte hierauf, noch immer grinsend, den Fremden:

„Master, wer seid ihr? Und was treibt ihr hier?“

Das Greenhorn zog höflich den Hut und erwiderte ebenfalls auf englisch:

„Ihr gestattet, daß ich mich vorstelle: Sepp Stieglitz, Berichterstatter der St. Louis-Post, der verbreitetsten Zeitung dortselbst. Ich befinde mich auf dem Weg zum Kriegsschauplatz. Den Herren dürfte bekannt sein, daß die Texaner zur Zeit sich von der Bevormundung durch Mexiko freizumachen suchen. Ich soll nun für meine Zeitung Berichte über die Kämpfe schreiben und beabsichtige, nach Süden, bis Fort Kavett zu reiten, wo ich mich den texanischen Truppen anzuschließen gedenke.“

Die sechs Reiter brachen jetzt wie auf Kommando in ein tolles Gelächter aus.

„Mann!“ rief der Schwarzbärtige darauf, „so ein Greenhorn, wie ihr es seid, ist mir mein Lebtag nicht über den Weg gelaufen! Ihr scheint keine Ahnung zu haben, daß diese Gegend, bis Fort Kavett hinab, jetzt von Rothäuten wimmelt! Die Apachen hatten sich auf die Seite der Mexikaner gestellt, und die Komanchen wieder halten jetzt ihre großen Treibjagden ab. –

Doch – wir haben nicht viel Zeit, Master! Wir sind hinter einer Bande von Buschkleppern her, die da im Norden drei Farmen geplündert haben. Schließt euch uns nur an! Dann hab hier gleich etwas Schutz gegen das rote Gesindel!“

Die fünf Begleiter des Schwarzbärtigen hatten bei dem Wort ‚Buschklepper‛ wieder kurz aufgeladen und sich vielsagende Blicke zugeworfen.

Sepp Stieglitz nickte eifrig. „Master, ich nehme euer Anerbieten mit Dank an. –

Wie heißt ihr, wenn ich fragen darf?“

„Nennt mich nur Tom. Das genügt. Wir sind – hm ja – Farmer, ehrliche Farmer. –

So, und nun weiter! Hoffentlich könnt ihr reiten, Sepp Greenhorn?“

„Und ob! Auch schießen! –

Habt ihr übrigens drüben nach Westen zu die Schüsse gehört? Es war das reine Schnellfeuer –“

„Schüsse– ? –

Verdammt, Boys, das kann ‛ne Komanchenabteilung sein! Da wollen wir uns besser mehr nach links halten.“

Sepp bewies dann wirklich, daß er auf seinem Schimmel auch dieses wilde Tempo, in dem die sechs weiterjagten, sehr gut mitmachen konnte. Sein Pferd war den anderen Gäulen sogar an Schnelligkeit und Ausdauer weit überlegen.

Nach drei Stunden erreichte der Trupp den North Comho. Inzwischen war Sepp Stieglitz immer klarer geworden, daß die sechs angeblichen Farmer unmöglich jemand verfolgen könnten, da es hier keine Fährte gab, die sie etwa im Auge behalten hätten. Der Anführer, der schwarze Tom, wie ihn die anderen nannten, ritt vielmehr aufs Geratewohl nach Süden zu und war lediglich darauf bedacht, recht schnell vorwärtszukommen und jeder Begegnung mit Weißen oder Indianer rechtzeitig dadurch auszuweichen, daß er von Zeit zu Zeit eine besonders hohe Kuppe aufsuchte und Umschau hielt.

Hier am North Comho-Fluß nun erhielt des Berichterstatters Mißtrauen neue Nahrung. Tom erklärte nämlich, man täte gut, der Komanchen wegen im Wasser eine Weile flußabwärts zu reiten, um jede Fährte zu verwischen.

Nach anderthalb Stunden überquerte der Trupp dann den Fluß mit Hilfe einer Furt. Dann ging es im Galopp weiter nach Süden zu. Erst am späten Nachmittag wurde in einem kleinen Tal zwischen dichten Büschen gelagert. Tom und ein anderer der sechs fragwürdigen Gesellen machten sich sofort zu Fuß auf, um einen Büffel zu schießen. Man hatte unterwegs verschiedene kleinere und größere Herden in der Ferne wahrgenommen.

Einer der zurückgebliebenen Männer, ein noch junger Mensch mit kränklichem, bartlosem Gesicht, flößte Sepp noch das meiste Vertrauen ein, war auch im Gegensatz zu den anderen recht gesprächig und behandelte den Berichterstatter nicht mit jener frech-höhnischen Überlegenheit, wie dies die übrigen fünf zu tun beliebten. Er nannte sich Trax. In seinen entzündeten, matten Augen lag stets ein trauriger und verängstigter Ausdruck.

Die beiden Jäger kehrten dann auch nach einer Stunde mit einer Büffellende zurück, die sofort am Spieß gebraten wurde.

Trax mußte währenddessen auf einem Hügel nach Norden zu Wacher halten. Sepp leistete ihm Gesellschaft. Nachdem sie eine Weile schweigend im Gras gesessen hatten, sagte Sepp plötzlich und schaute Trax dabei scharf an:

„Ich halte euch für einen anständigen Charakter, Mann! Es ist doch Schwindel, daß ihr Buschklepper verfolgt. Ich wette, ihr werdet selbst verfolgt! Denn – wozu müßtet ihr sonst auf Toms Befehl gerade hier Ausschau halten?! Von Norden her können nur Leute kommen, die euch gern einholen möchten! So steht die Sache! –

Außerdem habe ich aber auch gemerkt, Trax, daß ihr euch in der Gesellschaft dieser fünf durchaus nicht wohl fühlt! Wie wär’s, wenn wir beide uns heimlich absonderten?“

Trax starrte vor sich hin. Dann seufzte er, schwieg aber weiter und meinte erst nach einer geraumen Weile:

„Ich will’s mir überlegen, Sepp! Laßt euch aber ja nicht dazu verleiten, euer Mißtrauen den anderen irgendwie zu zeigen. Ich warne euch! Morgen reden wir bei guter Gelegenheit näher darüber. Nun kehrt ins Lager zurück. Tom ist ein sehr argwöhnischer Mensch –!“

Sepp Stieglitz schlenderte davon, umging aber das kleine Tal und näherte sich dem Lager von Süden her. Er war plötzlich unternehmungslustig geworden. Vielleicht gelang es ihm, die fünf zu belauschen.

Er ließ seine Doppelbüchse am Rand der Büsche liegen und kroch leise vorwärts, wobei er sich alle Mühe gab, genau so beim Anschleichen zu verfahren, wie es die Westmänner und Indianer machen sollten.

Sepp war ein gewandter Mensch und besaß auch genügend Körperkraft. Es fiel ihm nicht schwer, unbemerkt sich der Lichtung zu nähern, zumal die fünf sich dort recht laut unterhielten.

Er verstand jetzt als erstes folgenden Satz, den der schwarze Tom aussprach:

„Der Bursche hat ja fraglos Geld bei sich, und seine Waffen und sein Pferd sind auch nicht schlecht. Es bleibt dabei: Wenn wir die verdammten Farmer abgeschüttelt haben, wird mit den beiden Schluß gemacht! Dieser blasse Kerl mit dem allzu empfindlichen Gewissen paßt nicht zu uns!“

Ah – damit konnte nur Trax gemeint sein, überlegte Sepp sich blitzschnell. Und der, der Geld bei sich haben sollte, – das war er selbst!

Dann sagte einer der anderen Buschklepper: „Warten wir besser, bis wir wieder in der Festung sind! Die beiden unterwegs abzukehlen, wäre töricht. Es sind immer zwei Büchsen und vier Arme mehr, falls wir das Pech haben, mit den Roten zusammenzutreffen.“

„Hm – hast eigentlich recht, Hilper,“ brummte Tom. „Also gut! Mögen die beiden noch ein paar Tage am Leben bleiben!“

Sepp erstarrte fast das Blut in den Adern, als er diese hartgesottenen Bösewichter mit solcher Rohheit ihre Mordpläne erörtern hörte.

Doppelt behutsam schob er sich nun rückwärts und eilte dann mit seiner Büchse wieder zu Trax hin, dem er Wort für Wort das Erlauschte berichtete.

Der bleiche Trax nickte gleichgültig.

„Hab’ mir Ähnliches schon gedacht!“ flüsterte er. „Na – wir werden uns eben rechtzeitig aus dem Staub machen, Sepp! Hand her – auf ehrliche, treue Kameradschaft! Später erzähle ich euch mal, wie ich unter diese Banditen geraten bin. Jetzt nur soviel, daß wir tatsächlich von einem Dutzend Farmer verfolgt werden. –

So, nun mach, daß ihr ins Lager kommt! Und haltet euch fern von mir. Wir dürfen nicht zu vertraut tun!“

Sepp ging in das Lager zurück, setzte sich zu den fünfen an das Feuer und meinte: „Es war mir draußen in der Prärie zu gleichgültig. Trax ist auch zu maulfaul. Tom, ihr könntet mir mal was Interessantes mitteilen, das ich dann für meine Zeitung niederschreiben würde.“

Die fünf Buschklepper feixten höhnisch, und Tom erklärte:

„Ihr werdet schon noch selbst was erleben, Sepp Greenhorn! Paßt nur auf! In unserer Gesellschaft erlebt man immer was!“ –

Noch anderthalb Tage behielt Tom die südliche Richtung bei. In dieser Zeit ereignete sich nichts von Wichtigkeit. Nur stieß man wiederholt auf Fährten von kleineren und größeren Reitertrupps, so daß Tom jetzt überaus vorsichtig wurde. Am dritten Morgen, nachdem Sepp mit den Buschkleppern zusammengetroffen war, schwenkte Tom dann scharf nach Westen ab –

Die Landkarte verriet Sepp, daß man sich hier etwa einen Tagesritt nördlich von Fort Kavett befinden müsse. Er wäre ja nun am liebsten, da er doch nach Kavett wollte, allein weitergeritten, aber Trax warnte ihn, diese Absicht irgendwie laut werden zu lassen. So tat er denn, als schenkte er den heuchlerischen Worten Toms Glauben, der ihm vorhin versichert hatte, man ändere jetzt nur die Richtung, weil man einer Apachenabteilung aus dem Weg gehen wolle.

Eine Stunde später hatte der Trupp einen jener kahlen, felsigen Höhenzüge erreicht, die man in den endlosen Prärien von Mitteltexas so häufig antrifft.

Tom war jetzt stets hundert Meter voraus. Als er den Kamm eines Berges, sein Pferd am Zügel führend, erstiegen hatte, gewahrte er drüben in der Prärie einen mit vier Maultieren bespannten Wagen, der mit einer geölten Leinwand überdacht und von sechs Reitern begleitet war.

Sofort warf er sich lang hin, drückte sein Pferd zurück, damit es nicht gesehen würde, und betrachtete jene Reisenden heimlich weiter, nachdem er den anderen zugewinkt hatte, sich in einer Schlucht zu verbergen und vorher sein Pferd zu holen.

Der Wagen war noch etwa tausend Meter entfernt. Ihm ritten als Späher zwei der ihn begleitenden Männer voraus. Einer dieser beiden war ein Indianer, wie der schwarze Tom deutlich erkannte, – offenbar ein Komanche, dessen Adlerfedern in dem dunklen Haarschopf den Häuptling verrieten. Der andere, blondbärtig und wie ein Trapper ganz in Leder gekleidet, ritt einen Braunen, während das Pferd des Komanchen ein feuriger Rappe war.

Als der Wagen dann näher kam, bemerkte Tom ganz vorn auf dem Lenkersitz einen alten, grauhaarigen Mann und neben diesem ein blondes junges Mädchen, welches die vier Maultieren mit großer Geschicklichkeit lenkte.

Die beiden Reiter, die sich dicht am Wagen hielten, waren zwei noch recht junge Männer und ein kleines, putziges Kerlchen, das auf einem sehr hochbeinigen Maultier saß und eine endlos lange Doppelbüchse quer über dem Sattel trug. Der vierte schien ein anderer Farmer zu sein.

„Pest!“ fluchte Tom leise, als er in dem Kleinen mit dem dürren Kranichhals und der mächtigen Hakennase hier einen alten Bekannten wieder sah. „Pest, – das ist wahrhaftig Ben der Hinkende! Na – wenn der mich vor seinen Flintenlauf bekommt, kann ich getrost mein Testament machen! Dieser kleine Affe schießt ja nie vorbei –!“ –

Der Indianer und der Blondbärtige wandten sich jetzt einer mehr nördlichen Stelle des Höhenzuges zu. Der Wagen folgte. Nach einer Viertelstunde waren die Reisenden in einem steinigen Tal verschwunden.

 

 

2. Kapitel.

Verwundet und gefangen.

Am Ostende dieses Tales gab es eine Stelle, die dem Komanchenhäuptling und seinem blonden Gefährten zum Lagern recht geeignet schien.

„Mein Bruder Felsenherz mag den Wagen hierher führen,“ sagte der Komanche jetzt. „Der schwarze Panther wird inzwischen dort jenen Berg erklettern und Ausschau halten, ob die Prärie ringsum sicher ist.“

Der blonde junge Trapper nickte ernst. „Chokariga, der schwarze Panther, hat recht. Ich wäre froh, wenn wir die Familie Berner mit ihrem Wagen erst glücklich bis zu den Ansiedlungen im Osten gebracht hätten. Bei diesen unruhigen Zeiten mit einem Wagen die Prärie zu durchziehen, ist ein gefährlich Ding!“

Während der Komanche dann zu Fuß den Berg erklomm, ritt Felsenherz nach dem Wagen zurück.

Gleich darauf wurde im Ostwinkel des Tales unter einer steilen, weit überhängenden Felswand das Lager hergerichtet. Die Pferde und Maultiere weideten in der Nähe das spärliche Gras ab, und die Männer schichteten im Lager um den Wagen herum große Steine zu einer Barrikade auf.

Dann kam auch der schwarze Panther und meldete, daß er nichts Verdächtiges wahrgenommen hätte.

„Die Prärie lügt oft,“ fügte er jedoch in der besonderen Ausdrucksweise der Rothäute hinzu. „Ich habe weit und breit nicht einen einzigen Büffel gesehen. Mein Bruder Felsenherz und der kleine Ben kennen die Zeichen der Wildnis. Es wäre besser, wenn ringsum die Büffel grasten. Dann wüßten wir, daß die Ruhe in den Grasebenen nicht trügerisch ist. Felsenherz und der schwarze Panther werden deshalb sofort auch zu Pferd diese Berge umkreisen. In anderthalb Stunden können sie wieder zurück sein. Inzwischen mag mein Bruder Ben für die Sicherheit unserer Freunde sorgen.“

Der schlanke Häuptling schwang sich auf seinen Rappen, und Felsenherz folgte auf seinem Braunen.

Sie ritten zunächst eine halbe Meile Richtung Nordost, spähten stets aufmerksam umher und bogen dann im Halbkreis nach Osten ab –

Die Buschklepper und Sepp Stieglitz hatten sich auf Befehl Toms sofort nach dem Verschwinden der Reisenden in jenem Tal weiter nach Süden zurückgezogen, wo sie jetzt in einer hochgelegenen, schwer zugänglichen Schlucht gleichfalls lagerten.

Sepp entging es nicht, daß Tom mit den vier Banditen, die in seine finsteren Pläne völlig eingeweiht waren, leise flüsterte und dabei verschiedentlich zu Sepp und dem blassen Trax hinüberblickte.

Diese beiden hatten es sich auf ihren Wolldecken bequem gemacht und unterhielten sich scheinbar harmlos.

„Trax,“ flüsterte der Berichterstatter dann leise, „Toms Benehmen kommt mir verdächtig vor! Seht, die fünf stehen dort nun schon eine geraume Weile am Ausgang der Schlucht hinter den Dornbüschen und spähen in die Prärie hinaus.“

Trax meinte: „Keine Sorge, Master! Hab’ das alles gleichfalls wahrgenommen! Es ist für uns die höchste Zeit, daß wir uns heimlich drücken! Tom führt irgend was im Schilde!“

Kaum hatte er den Satz beendet, als die fünf Banditen auch schon in den Hintergrund der Schlucht zurückkehrten.

„Hilper und ihr beide bleibt hier!“ sagte Tom kurz. „Wir anderen vier wollen mal ein Stück zu Fuß in die Prärie hinein. Es treiben sich dort zwei Reiter herum, die mir verdächtig erscheinen.“

Die vier nahmen ihre Büchsen und krochen den Abhang hinab, der in das tiefer gelegene nächste Tal führte.

Der blasse Trax stand auf.

„Was wollt ihr, he?!“ meinte Hilper barsch. „Bleibt sitzen! Ihr könntet gesehen werden!“

Brax zuckte die Achseln. „Ihr habt mir gar nichts zu befehlen, Hilper! Ich möchte doch auch mal nach den verdächtigen Reitern ausschau’n!“

Hilper, ein kleiner, breitschultriger Kerl mit pockennarbigem Gesicht, fauchte Trax wütend an:

„Verdammt – ihr bleibt auf eurer Decke liegen, oder –“

Er hob seine lange Doppelbüchse ein wenig und richtete sie auf den Blassen.

Sepp lachte scheinbar belustigt auf. „Hilper scherzt ja nur, Trax! Wartet, ich werde mich mal hinter die Büsche am Ausgang der Schlucht stellen. Dann kann ich euch melden, was ich sehe!“

Und bevor Hilper ihn noch zurückhalten konnte, war er mit drei Sätzen bei den Dornenbüschen.

Ein Blick genügte ihm –

Dort in der Prärie schlichen Tom und die drei Buschklepper in einer Regenfurche entlang: Und von Osten her nahten auf der Fährte, die der Trupp Toms beim Heranreiten an die Berge hinterlassen hatte, ein Indianer und ein blonder Weißer –

Sepp Stieglitz war das, was man im Westen ein Greenhorn nennt, – ohne Frage war er das! Doch er hatte vorzügliche Augen, hatte Mut und einen scharfen Verstand.

Er begriff sogleich, daß Tom den Indianer und den Weißen überfallen wollte. Und ebenso schnell wurde ihm klar, daß er diese gute Gelegenheit zusammen mit Trax benutzen müsse, um sich von den Banditen zu trennen.

Als ihm diese Gedanken noch blitzartig durch den Kopf schossen, fühlte er sich schon von hinten am Arm gepackt.

Hilper riß ihn von den Büschen zurück –

„Pest!“ fluchte er, „seid ihr verrückt, Sepp Greenhorn! Ihr habt mir genau so zu gehorchen wie Tom! Merkt euch das! Marsch – legt euch wieder auf eurer Decke!“

Sepp spielte den Ängstlichen. „Nur nicht gleich so grob, Hilper! Ich gehe ja schon –“ meinte er und warf sich wieder neben Trax hin, wobei er diesem aber zuraunte: „Wir müssen Hilper sofort unschädlich machen!“

Der Pockennarbige setzte sich, die Büchse im Schoß, den beiden gegenüber. Seine tückischen Augen funkelten vor Wut.

„Wer von euch auch nur eine Hand rührt, kriegt eine Kugel!“ zischte er sie an. „Die Komödie ist aus! –

Daß ihr’s nur wißt, Sepp Greenhorn,“ hohnlachte er, „wir sechs sind alles andere nur keine Farmer! Frag nur die Ansiedler östlich vom Kolorado, wer wir sind! Aber – ihr werdet nicht mehr zum Fragen Zeit haben, fürchte ich!“

Sepp lächelte so recht ungläubig. „Was seid ihr denn, Hilper?! Ihr könnt’s doch ruhig sagen –!“

Der Pockennarbige grinste hämisch. „Ist mir je ein solcher Dummkopf vorgekommen –! –

Buschklepper sind wir, Sepp Greenhorn, und –“

Sepp hatte laut aufgelacht, hielt sich wie vor übergroßer Heiterkeit den Leib und rief:

„Nein – das ist wirklich ein Witz! Buschklepper! Das könnt ihr –“

Hilper hatte sich völlig täuschen lassen, hauptsächlich den bleichen Trax im Auge behalten, der ihm der gefährlichere zu sein schien.

Als jetzt Sepp Greenhorn mitten im Satz sich urplötzlich vorwärtsschnellte und sich auf ihn warf, kam ihm dieser Angriff so überraschend, daß er unter der Last von Sepps Körper hintenüberflog –

Ehe er noch sein Messer herausreißen konnte, hatte Trax schon seine Büchse ergriffen und versetzte ihm einen so kräftigen Kolbenhieb vor die Stirn, daß er für Sekunden die Besinnung verlor.

„Einen Lasso her!“ rief Trax. „So – nun noch einen Zeugfetzen dem Burschen ins Maul, damit er nicht brüllen kann, wenn er erwacht –!“

Hilper lag jetzt gefesselt und geknebelt am Boden.

Trax und Sepp sattelten ihre Pferde.

„Hm, wär’s nicht besser, wenn wir auch die Tiere der anderen mitnähmen,“ meinte Sepp. „Sonst ist uns die Bande sehr bald wieder auf den Hacken!“

Trax war an den Ausgang der Schlucht getreten. Von Tom und den drei Banditen war nichts mehr zu sehen.

„Gut, – wir lassen die Pferde später in der Prärie laufen!“ rief der bleiche Trax. „Machen mir, daß wir verschwinden –! Wir können von Glück sagen, daß wir auf diese Weise entweichen dürfen!“

Sie stiegen mit den sieben Pferden in das Tal hinab, schwangen sich hier in den Sattel und galoppierten am Rande der Berge nach Süden –

Als Felsenherz und der Komanchenhäuptling auf die Fährte der sieben Reiter gestoßen waren, hatte der schwarze Panther nach kurzer Untersuchung der Spuren erklärt:

„Die Fährte ist etwa anderthalb Stunden alt. Es waren Weiße. Ihre Pferde sämtlich beschlagen. Ein Schimmel ist darunter. Hier – sieht mein Bruder Felsenherz an dieser Distelstaude die beiden weißen Schwanzhaare?“

„Ich sehe sie, Chokariga. Und ich frage mich, wo diese sieben Reiter geblieben sein mögen. Wenn sie vor anderthalb Stunden hier entlang gekommen und nach Westen zu dort auf die Berge zu geritten wären, dann hätten wir sie, falls sie die Anhöhen durchquert haben, drüben in der Prärie bemerken müssen. Wir haben jedoch nichts von ihnen gesehen. Mithin stecken sie noch in den Bergen.“

Der Komanche nickte.

Meines Bruders Gedanken sind die meinen. Wir werden die Fährte sehr vorsichtig weiter verfolgen.“

Im Schritt setzen sie dann ihren Weg fort.

Des Häuptlings scharfe Augen glitten dauernd in die Runde. –

Beide Reiter hielten die Büchsen bereit.

Nun gelangten sie auf steinigen Boden, auf die Ausläufer des Höhenzuges.

Hier war die Spur vom Sattel aus nur schwer zu erkennen. Deshalb sprang der schwarze Panther ab und warf Felsenherz den Zügel seines Rappen zu, lief nun tief gebückt einige Schritte voraus.

Die beiden kamen in ein weites Tal, dessen Boden mit zahlreichen Felsblöcken, Gestrüpp und einigen Grasflächen bedeckt war.

Felsenherz erschien es plötzlich recht bedenklich, sich in diesem unübersichtlichen Gelände noch weiter vorzuwagen.

„Mein roter Bruder möge umkehren!“ rief er leise. „Felsenherz traut der Stille dieses Tales nicht. Dort links in den Tannen an der Talwand sind die Wildtauben so unruhig.“

Der schwarze Panther schaute nach der Tannengruppe hinüber.

„Kehren wir um,“ meinte er. „Es ist besser, den Höhenzug erst ganz zu umreiten. Dann werden wir feststellen, ob die Fährte der sieben Weißen wieder irgendwo in die Prärie hinausläuft.“

Er wollte sich wieder auf seinen Rappen schwingen. Doch – plötzlich sauste hinter einem Felsblock ein nur zu gut gezielter Stein hervor und traf ihn gerade gegen den Hinterkopf.

Der schwarze Panther taumelte zu Boden –

Im selben Augenblick sprangen rechts und links je zwei Gestalten hinter dem Gestrüpp hervor –

Der schwarze Tom schleuderte einen zweiten Stein. Aber Felsenherz hatte seinen Braunen bereits herumgerissen, wollte zwei der Wegelagerer niederreiten –

Der Stein traf den Braunen gegen das linke Ohr –

Das Tier bäumte hoch, machte einen Satz, raste dann wie toll das Tal hinab der Prärie zu –

Als Felsenherz es endlich zum Stehen brachte und dem Häuptling zu Hilfe kommen wollte, knallten zwei Schüsse. Eine der Kugeln riß dem jungen Trapper die Haut über den Augenbrauen auf, die andere fuhr dem braunen in den linken Hinterschenkel –

Abermals stieg das Tier kerzengerade in die Höhe, schwenkte herum und jagte weiter –

Felsenherz tropfte das rinnende Blut aus der Streifschußwunde in die Augen. Er sah nichts mehr – er hatte alle Mühe, sich im Sattel zu halten –

Der Braune war mit ihm durchgegangen –

Endlich hörte die Blutung von selbst auf. Der junge Trapper wischte sich die Augen frei, suchte sein Pferd zu beruhigen. Er merkte, daß es bereits schwer hinkte, klopfte ihm den Hals, sprach beruhigend zu ihm und zog die Zügel immer fester an.

Felsenherz sprang ab, blickte zurück –

Die Abenddämmerung hüllte die Prärie bereits in ein ungewisses Zwielicht ein.

Dort in der Ferne der dunkle Strich war der verhängnisvolle Höhenzug. Dort war der schwarze Panther ohne Zweifel den weißen Banditen in die Hände gefallen; und dort weiter nach Norden zu lagerten die Familie Berner und der kleine Trapper Ben, die nun vielleicht von den sieben Männern angegriffen werden würden.

Felsenherz’ Angst um seine Freunde zwang ihn zu schnellem Handeln. Er dachte an die überaus wertvolle Ladung, die der Maultierwagen barg. Und blitzartig erinnerte er sich gleichzeitig an die abenteuerlichen Ereignisse der letzten Zeit, besonders an jenes unzugängliche Tal am Rio Pecos, wo der schwarze Panther, Ben, Thomas Balson, der Verlobte Helene Berners, und er selbst in einem halbzerstörten Blockhaus sich gegen die Apachen verteidigt hatten und dann erst, als die Not aufs höchste gestiegen, von den Berners in deren Versteck, eine große Höhle, eingelassen worden waren.

Hier hatte man nachher aus dem goldhaltigen Geröll des die Höhle durchfließenden Baches das edle Metall in großer Menge herausgewaschen. Wohl gegen drei Zentner Gold waren jetzt in dem Maultierwagen untergebracht, und ein Teil davon gehört Ben und Felsenherz, während der Komanche auf jeden Anteil verzichtet hatte.

Der blonde Trapper hing nicht an Gold und Goldeswert. Aber er hatte in der alten deutschen Heimat eine Schwester, die bei Verwandten wohnte und deren Zukunft er durch den Erlös des Goldes sicherstellen konnte. Außerdem sollten jedoch die Berners und Ben nicht um die Früchte monatelanger Arbeit und schwerer Gefahren durch eine Bande von Wegelagerern betrogen werden. Nein – was in seiner Macht stand, die deutschen Landsleute weiter zu schützen, würde er ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben tun.

Zunächst untersuchte er schnell die Wunde des Braunen, so lange es noch genügend hell dazu war. Die Kugel war vom Hüftknochen abgeglitten und saß dicht unter der Haut. Er schnitt sie heraus. Das kluge Tier blieb regungslos bei dieser kleinen Operation stehen. Es wußte, daß sein Herr ihm Linderung verschaffen wollte.

Als Felsenherz ihn dann aber am Zügel weiterführen wollte, hinkte das Tier so stark, daß er sich entschloß, allein nach den Bergen zurückzukehren und den Braunen erst später zu holen. Er brachte ihn in ein nahes Gebüsch, band ihn dort fest, klopfte ihm nochmals zum Abschied den blanken Hals und schritt durch die rasch zunehmende Dunkelheit dem Höhenzug entgegen.

 

 

3. Kapitel.

Die Verbündeten der Buschklepper.

Als Tom und die drei Buschklepper mit ihrem Gefangenen, dem aufs brutalste gefesselten Häuptling, den sie auf seinen Rappen gebunden hatten, nach ihrem Lagerplatz zurückgekehrt waren und hier nun von Hilper erfuhren, daß Sepp und der bleiche Trax mit sämtlichen Pferden entflohen seien, geriet der schwarze Tom in eine so sinnlose Wut, daß er sein Messer aus dem Gürtel riß und es dem Komanchen in die Brust stoßen wollte.

Doch seine Gefährten hielten ihn gewaltsam zurück.

„Mach’ keine Dummheiten, Tom!“ rief der pockennarbige Hilper. „Der Häuptling wird uns mehr Lösegeld einbringen, als unsere Gäule wert sind!“

Tom beruhigte sich. –

Jetzt, da seine Wut verraucht war, überlegte er sich das Geschehene nach allen Seiten hin und kam auch rasch zu einem Entschluß.

„Der Trapper, der mit dem Komanchen zusammen war, hat einen Streifschuß weg, und sein Gaul lahmt ebenfalls,“ sagte er hastig. „Ich werde dem Blonden mit dem Mustang des Häuptlings nachreiten und den Kerl ebenfalls unschädlich machen. Dann haben wir freie Hand gegen die Reisenden, die wir nach Dunkelwerden beschleichen und überfallen können. Auf diese Weise gelangen wir wieder in den Besitz von Pferden, und der Wagen wird wohl auch manches enthalten, was das Mitnehmen wert ist. –

Wartet hier auf mich. Ich hoffe in einer halben Stunde zurück zu sein. Ich werde mich mit dem jungen Trapper schon verständigen –!“

Er nahm den Mustang des Komanchen beim Zügel und verließ die Schlucht.

Als er die Prärie erreicht und die Fährte des infolge Schenkelschusses durchgegangenen Braunen erreicht hatte, galoppierte er auf der Spur entlang, bis er aus der Fährte ersah, daß die Sprünge des Pferdes kürzer und matter geworden waren.

Er benutzte jetzt eine Buschreihe, um nach rechts abzubiegen, ritt dann wieder nach Süden und gelangte so, wie er’s beabsichtigt hatte, von hinten an die Talmulde heran, in der Felsenherz soeben seinen Braunen in den Büschen festgebunden hatte.

Tom sah den blonden Trapper zu Fuß davongehen. Ein grimmes Lächeln verzerrte sein Gesicht. Er wußte jetzt: Dieser Freund des Komanchenhäuptlings war in seiner Hand!

Er merkte sich die Richtung, die der Trapper einhielt, und galoppierte darauf wieder in weitem Bogen den Bergen zu –

Felsenherz rechnete wohl damit, daß die weißen Banditen auf ihn Jagd machen würden, glaubte aber anderseits, daß sie ihn in der immer stärker werdenden Dunkelheit nicht finden könnten. Er hatte ja nach allen Seiten scharf Ausschau gehalten und bisher nichts Verdächtiges wahrgenommen.

Als er jetzt einen weit in die Prärie sich hineinziehenden Ausläufer der Berge, einen flachen, mit Geröll bedeckten Hügel erreicht hatte, wollte er sich nach rechts wenden, um auf dem kürzesten Weg das Lager der Berners, das auf der Westseite der Anhöhe lag, aufzusuchen.

Er blieb hier erst noch eine Weile stehen und lauschte in die Dunkelheit hinaus.

Der Kopf war ihm infolge des Stirnstreifschusses etwas benommen. Die Wunde brannte wie Feuer. Bisher hatte er darauf nicht geachtet. Jetzt aber merkte er, wie ihn ein Frösteln überfiel und eine dumpfe Mattigkeit ihn befiehl. –

Er erschrak. Meldete sich etwa das Wundfieber bei ihm?! Hatte er die Verletzung doch zu wenig beachtet?!

Kurz entschlossen machte er kehrt, da er vorhin an ein paar Büscheln Schlafgras vorübergekommen war.

Er fand die Stelle auch, setzte sich und kaute eine Handvoll Halme, nahm sein Halstuch und stellte sich einen Verband her. Den Hut schob er tief ins Genick.

Während er noch so im hohen Präriegras saß, hörte er von Nordost Pferdegetrappel. Er warf sich sofort lang hin, spannte beide Hähne seiner Doppelbüchse und lugte nach den nahenden Reitern aus.

Sie kamen etwa fünfzehn Schritt entfernt an ihm vorüber. Es waren acht Apachen, ohne Zweifel die vorausgeschickten Späher einer größeren Abteilung.

An dem ganzen Benehmen der Rothäute merkte er, daß sie sich hier durchaus nicht sicher fühlten, vielmehr zu wissen schienen, daß drüben in den Bergen Weiße steckten.

Sie waren bisher in Linie einer hinter dem andern geritten. Jetzt zerstreuten sie sich und ritten im Schritt jenem hügeligen Ausläufer der Berge zu.

Dann mußte irgend etwas ihren Argwohn erregt haben. Sie hielten an. Sieben sprangen von den Pferden und überließen diese dem achten.

Lautlos glitten die sieben davon.

Felsenherz konnte jetzt, wo die Dunkelheit alles ringsum in ihre düsteren Schleier hüllte, nur noch den Pferdetrupp erkennen. Wenn er sich so frisch wie sonst gefühlt hätte, wäre es ihm ein leichtes gewesen, den Pferdewächter durch einen Faustschlag zu betäuben und mit den Indianergäulen das Weite zu suchen.

Doch – die Frostschauer stellten sich immer häufiger ein, und die Mattigkeit lähmte seine Willenskraft.

Trotzdem hätte er es wohl gewagt, den Pferdewächtern zu überrumpeln, wenn er jetzt nicht von dem steinigen Hügel her das wütende Brüllen eines Menschen gehört hätte –

Es war der schwarze Tom, der dort hinter einem Felsblock gelegen und auf den jungen Trapper gelauert hatte. Wäre Felsenherz dort nur noch ein paar Schritte weitergegangen, dann hätte Tom ihn von hinten mit dem Büchsenkolben niedergeschlagen.

Der Buschklepper hatte einen Fluch vor sich hingemurmelt, als der Trapper so unerwartet umgekehrt war. Er hatte sich aufgerichtet und ihm enttäuscht nachgeschaut, wollte dann hinter ihm drein, bemerkte im letzten Augenblick noch die acht Apachen und duckte sich hinter einen Stein zusammen. Hierbei stieß er jedoch mit dem Büchsenlauf ein loses Feldstücke herab. Das Poltern dieses Steines war es, das den Argwohn der Rothäute wachgerufen hatte.

Tom ahnte, daß er die rote Brut sehr bald auf dem Heils haben würde. Er wollte schleunigst diesen Platz verlassen, kroch zurück, kam jedoch nicht weit –

Drei – vier Apachen sprangen ihn an. Ein Tomahawkhieb hätte ihm den Schädel gespalten, wenn er nicht den Roten durch einen Fußtritt zurückgeschleudert hätte –

Dann wurde er zu Boden gerissen –

Ein Messer blitzte über seiner Kehle –

In seiner Todesangst brüllte er:

„Halt – ich habe den Komanchenhäuptling in meiner Gewalt! Halt – ich kann euch zu reicher Beute verhelfen!“

Der Apache, der schon hatte zustoßen wollen, bückte sich tiefer über den wehrlos Daliegenden –

„Ah – mein weißer Bruder Tom!“ sagte der Unterhäuptling der Mescalero-Apachen, zu denen die Späher gehörten, leise. „Der heulende Wolf vergiß nicht den Tag, an dem das Blaßgesicht ihn vor den verfolgenden Komanchen rettete. Mein weißer Bruder stehe auf!“

Tom erhob sich und reichte dem Apachen die Hand.

„Ich werde mein Versprechen halten,“ erklärte er. „Meine roten Brüder sollen den schwarzen Panther an den Marterpfahl stellen und die Skalpe meiner Feinde an ihren Gürteln befestigen! Der heulende Wolf soll mir nur die Pferde und den Wagen der Blaßgesichter überlassen, die dort drüben in den Bergen lagern. Ihre Waffen gehören den Apachen.“

Der Unterhäuptlings nickte. „Mein Bruder Tom mag den Wagen nehmen. –

Hat Tom den Trapper Felsenherz nicht gesehen?“

„Felsenherz?!“ rief der schwarze Tom. „Ah – das kann nur der blonde Bursche sein, der mir vorhin entwischt ist. Er machte plötzlich kehrt und schritt nach dorthin in die Prärie hinaus. Sein Pferd ist verwundet. Wenn die Apachen schnell die Prärie absuchen, werden sie ihn finden.“ –

Inzwischen hatte Felsenherz seinen Schwächeanfall überwunden und kroch auf allen Vieren auf die Indianergäule zu.

Dann gewahrte er im milden Lichtschein der jetzt an Himmel erscheinenden Sterne die sieben Apachen und in ihrer Mitte einen Weißen, die nun auf die Pferde eiligst zustrebten.

Er wich sofort zur Seite aus. Er ahnte, daß der Weiße in den Apachen Verbündete gefunden hatte und daß man die Prärie nun nach ihm durchforschen würde.

So glitt er den um die Nahenden herum dem steinigen Hügel entgegen und flüchtete weiter in die Bergwildnis hinein.

Dann zwang ihn ein neuer Anfall von Fieberfrost sich zwischen ein paar Felsblöcke in das Gras zu legen. Er wollte nur einen Moment sich ausruhen. Aber die Willenskraft war schwächer als die Schlafsucht, die jetzt seine Augenlider zufallen ließ.

Er schlief ein. Wilde Fieberträume warfen ihn unruhig hin und her. Zuweilen erwachte er, konnte sich jedoch nicht mehr aufraffen, versank wieder in den Zustand halber Bewußtlosigkeit –

Die Apachen und Tom gaben die Suche nach dem Flüchtling sehr bald auf. Tom führte den heulenden Wolf und dessen sieben Krieger schnell zu seinen Gefährten. Unterwegs nach der Schlucht erklärte er dem Unterhäuptling, daß es nötig sei, die Reisenden drüben in dem nördlicheren Tal sofort anzugreifen, bevor Felsenherz sie warnen könnte.

Der heulende Wolf schickte darauf drei seiner erfahrensten Krieger nach dem Tal als Späher voraus und teilte seinerseits dem schwarzen Tom mit, daß die Hauptabteilung der Apachen, gegen dreihundert Krieger, einen Tagesritt weiter südöstlich lagere und unter dem Oberbefehl des großen Bären, des Oberhäuptlings aller Apachenstämme stehe. Der große Bär habe Fort Kavett überfallen wollen, sei aber von der Besatzung nach Verlust von fünfzig Kriegern zurückgeschlagen worden und beabsichtige nun, erst Verstärkung zu erwarten, bevor er den Angriff erneuere.

Er und seine Krieger aber seien von den großen Bären einem Trupp von sieben Weißen nachgeschickt worden, auf deren Fährte man gestoßen sei –

Tom meinte, diese sieben Weißen habe der heulende Wolf nun hier zum Teil vor sich. –

„Zwei haben sich von uns getrennt,“ fügte er hinzu. „Wir werden sie aber wieder einfangen, wenn wir erst die Reisenden ausgelöscht haben. Und dann kann mein roter Bruder zwei weitere Skalpe im Rauch seines Jagdzeltes trocknen lassen.“

Als der heulende Wolf dann den Häuptling der Komanchen gebunden in der Schlucht bei Toms Gefährten vorfand, versetzte er ihm mit dem Fuß einen Stoß und rief höhnisch:

„Der schwarze Panther hatte sich im Tal der sprechenden Wasser wie eine reudige Ratte vor den Apachen verkrochen und ist jetzt wieder ans Tageslicht gekommen! Der große Bär wird die reudige Ratte in der Glut des Feuers am Marterpfahl rösten, und das Angstgeschrei des Komanchen wird die Kinder der Apachen herbeilocken, daß sie ihn mit Steinen erschlagen! Und neben dem schwarzen Panther wird der Trapper Felsenherz zu Tode gemartert werden. Felsenherz hat den Sohn des großen Bären erschossen, und der Oberhäuptling aller Apachen schwor ihm die furchtbarste Rache! Der heulende Wolf aber wird, weil er diese beiden Gefangenen der Rache des großen Bären auslieferte, nicht mehr Unterhäuptling bleiben! Die Krieger vom Stamm der Mescalero-Apachen werden ihn zum Häuptling wählen –!“

Der schwarze Panther erwiderte auf diese Drohungen und Schmähungen nur verächtlich:

„Der heulende Wolf heult nur nachts, wenn seine Feinde ihn im Finstern nicht sehen! Mein Tomahawk wird ihn fressen. Ich habe gesprochen.“

 

 

4. Kapitel.

Toms Dank für die Apachen.

Im Lager der Reisenden hatte man hinter einer Schutzwand von aufgehäuften Steinen jetzt ein Feuer angezündet, über dem ein großer Kessel hing. Der würzige Geruch von Kaffee verbreitete sich, und Helene Berner, ein blondes, hübsches Mädchen, begann die Zinnbecher für die Männer zu füllen, die sich mit Ausnahme Bens im Halbkreis um das Feuer niedergelassen hatten.

Der kleine Ben hatte freiwillig die erste Wache bis Mitternacht übernommen. Er schlenderte draußen im Tal auf und ab.

Dann kam Thomas Balson, der Verlobte Helenes, zu ihm und brachte ihm einen Becher Kaffee.

„Da, trinkt, Ben –! Das tut dem Magen wohl und verscheucht die Müdigkeit,“ meinte er.

Ben nickte, trank und sagte darauf leise:

„Balson, ich wünschte, der Kaffee verscheuchte auch meine Sorgen um Felsenherz und den Häuptling! Sie müßten längst zurück sein – längst! Sie sind jetzt beinahe drei Stunden fort. Und vorhin war’s mir so, als ob ich dort drüben Schüsse gehört hätte. Ich will’s ja nicht beschwören, daß es wirklich Flintenschüsse waren. Es kann auch das Poltern abbröckelnden Gesteins gewesen sein. Hier in den Bergen narrt einen das Echo ja nur zu oft. Immerhin, Balson, wir werden die Augen gut offenhalten müssen! Sagt den beiden Söhnen Berners, daß sie euch beim Einsammeln trockenen Gestrüpps helfen, damit wir im Notfall Feuer anzünden können. Der Mond geht jetzt erst kurz vor Mitternacht auf, und, falls wir wirklich irgend welche Feinde in der Nähe haben, ist die Zeit bis zum Mondaufgang für uns die gefährlichste. Jetzt sieht man ja kaum fünfzehn Schritt weit.“

Thomas Balson eilte dem Lager wieder zu.

Der kleine Ben war durch den Becher Kaffee wirklich frischer geworden. Sein Geist arbeitete lebhafter. Er überlegte sich, ob er klug daran tue, so weitab von dem Lager hin und her zu patrouillieren. Die Wände waren ja erst im Ostwinkel des Tales so steil, daß niemand daran hinabklimmen konnte. Hier aber brachte es jede Rothaut fertig, über die Felsböschung sich an den vorspringenden Zacken in das Tal zu schleichen, und konnte ihm daher leicht in den Rücken gelangen.

Heute nun wurde Ben, als er langsam und geräuschlos dem Lager zuschritt, plötzlich von einer düsteren Vorahnung befallen, die sich wie lähmend ihm auf die Seele legte.

Er blieb unwillkürlich stehen, fragte sich: ‚He Ben, was fehlt dir denn mit einem Mal?! Sollten das etwa Todesgedanken sein?! Du warst doch noch eben so frisch und so rege?! Und jetzt diese trostlose Mutlosigkeit?! –

Ben, reiß dich zusammen! Du bist doch kein schwachnerviges altes Weib! Und – was soll wohl aus den Berners werden, wenn du –’

Hier zerriß sein Gedankenfaden jäh –

Da vor ihm waren ein paar Steinchen die Talwand hinabgekollert –

Ben war im Augenblick wieder Herr seiner Sinne –

Er reckte den Kopf vor –

Seine Augen bohrten sich förmlich in die Dunkelheit ein, glitten hierhin und dorthin –

Nichts Verdächtiges –!

Und doch – das Gefühl sagte dem kleinen Ben, daß hier nicht alles in Ordnung sei –

Er stand regungslos, schob nur die Büchse höher, legte die rechte Hand um das Schloß und den Daumen auf die Hähne –

Über ihm wölbte sich die Felswand, die gerade hier steil anstieg, etwas vor –

Bens Augen spähten und spähten –

Da – abermals das leise Geriesel von bröckeligem Gestein –

Und nun – nun sah er auch etwas –

Dort am Rande der Talwand hatte sich eine verkrüppelte Kiefer eingenistet, hatte ihre Wurzeln in die Risse und Spalten gekrallt. Neben dem Baum war ein Schatten aufgetaucht –

Der Sternenschimmer traf einen matt aufleuchtenden Büchsenlauf –

‚Ein Roter – ein Apache!‛ schoß es Ben durch den Sinn.

Er erkannte gegen den hellen Hintergrund eines fahlgelben Strauches den bis auf die Skalplocke kahl geschorenen Kopf –

Ben zog langsam das Wurfbeil aus dem Gürtel –

Der Rote war keine acht Schritt entfernt. Und der kleine Trapper wußte, daß er sich auf seinen Tomahawk verlassen konnte –

Er nahm die Büchse in die Linke, holte zum Wurf aus –

Als sein Arm die Rückwärtskurve beschrieb, ließ jedoch ein zweiter Apache, der Ben bereits eine Weile von oben beobachtet hatte, die Schlinge seines Lassos ihm über den Kopf fallen, zog dann den festen Lederriemen mit starkem Ruck an –

Ben wurde in die Höhe gerissen –

Nur ein dumpfes Gurgeln drang noch aus seinem Mund hervor –

Der erste Schreck war jedoch schon nach Sekunden vorüber. Ben faßte nach dem Messer –

Und während der bärenstarke Apache ihn höher und höher zog, während schon ein zweiter sich über die Felswand beugte und mit dem Tomahawk zum tödlichen Hieb ausholte, fuhr Bens Hand mit dem Messer hoch –

Ein Schnitt, – der Lasso riß, da er bis auf eine kleine Stelle von der scharfen Klinge zertrennt worden war.

Ben stürzte drei Meter tief ab –

Aber er war darauf vorbereitet gewesen –

Er sprang sofort auf die Beine, war mit zwei Sätzen hinter einem Felsblock, lockerte die Schlinge.

Ein Messer und ein Tomahawk, von den enttäuschten Apachen geschleudert, klirrten gegen den Stein –

Ben rannte weiter, brüllte aus voller Lunge:

„Feuer an – Apachen!“

Von der anderen Talwand knallten zwei Schüsse –

Tom und der heulende Wolf hatten sie abgefeuert.

Ben fühlte einen Schlag gegen die linke Schulter –

Einen Moment nur schwanden ihm die Sinne. Dann kollerte er scheinbar schwer getroffen in ein Gestrüpp, kroch mit einer letzten Anstrengung tiefer in die Dornenstauden hinein und verlor das Bewußtsein –

Auf Bens Alarmruf hatte Thomas Balson sofort den einen vor der Barrikade aufgetürmten Strauchhaufen durch einen brennenden Ast angezündet.

Die Flammen leckten jedoch nur langsam hoch –

Die beiden Söhne des alten Berner hatten nach ihren Büchsen gegriffen. Bevor sie jedoch noch hinter der Barrikade niederknien konnten, krachten vier weitere Schüsse aus der Dunkelheit heraus –

Die beiden jungen Leute stürzten lautlos über die Barrikade, blieben so liegen, als hätte ein Blitzstrahl sie getötet –

Das gellende Angriffsgeschrei der Apachen trieb auch den alten, grauhaarigen Mann nach vorn –

Auf gut Glück feuerte er auf die heranhuschenden Gestalten –

Selbst das junge Mädchen schoß auf die Angreifer, von denen Balson zwei bereits durch wohlgezielte Kugeln niedergestreckt hatte –

Vor Balson tauchte jetzt das wilde Gesicht des heulenden Wolfes auf.

Der Apache schleuderte dem Verlobten Helenes den Tomahawk gegen den Kopf. Doch Balson sprang zur Seite – das Wurfbeil trennte ihm die linke Ohrmuschel halb ab –

Der schwarze Tom hatte seinen weißen Gefährten schon vorher einen Wink gegeben, sich beim Angriff zurückzuhalten –

Mehr noch, als der heulende Wolf jetzt, vom Feuerschein hell beleuchtet, Balson das Messer in die Brust stoßen wollte, legte Tom blitzschnell an und schoß den Apachen von hinten nieder –

Der alte Berner hatte inzwischen eine zweite Doppelbüchse ergriffen –

Diesmal zielte er ruhiger. Der Tod seiner beiden Söhne sollte gerächt werden –

Ein Jagdmesser eines Apachen, das mit großer Kraft und Geschicklichkeit geschleudert worden war, fuhr ihm durch das Jagdhemd mitten in die Brust –

Trotzdem drückte er beidläufig ab –

Wieder sanken zwei Apachen zu Boden –

Noch lebten zwei von ihnen, beides ältere Krieger, die jetzt auf Thomas Balson erneut eindrangen –

Helene hatte den Vater langsam nach hinten taumeln sehen. Regungslos lag der alte Mann nun zwischen den Rädern des Wagens.

Das junge Mädchen flog mit wildem Schmerzensschrei zu ihm hin, warf sich über den Sterbenden –

Balson wurde jetzt von der Wut der Verzweiflung gepackt – Der Kolben seiner Büchse zersplitterte auf dem nackten Schädel eines der wilden Krieger –

Den anderen sprang er wie ein Tiger an, schlug ihm die Faust ins Gesicht, stieß dann mit dem Messer zu –

Doch auch der Apache hatte dem Farmer im selben Moment von unten her die Klinge seines Skalpiermessers in die Brust gebohrt –

Balson knickte in die Kniee – Rote Nebel trübten ihm den Blick. Schwer sank er auf die Seite, regte sich nicht mehr –

Tom ließ ein gellendes Lachen hören. Er war auf die Barrikade gestiegen, rief triumphierend:

„Boys – das haben wir fein gemacht –! Alles ging nach Wunsch! –, Hilper, dort die beiden Roten regen sich noch! Gib ihnen das Messer –!“

Helene Berner war plötzlich hochgeschnellt –

Ihr halb irrer Blick ruhte auf ihrem Verlobten –

„Tot – tot!“ schrie sie auf. „Das unselige Gold!“

Dann sank auch sie, überwältigt von Schmerz und Entsetzen, neben Thomas Balson bewußtlos nieder –

Tom hatte aufgehorcht.

„Boys – Gold?!“ brüllte er. „Gold?! – Hinein in den Wagen! Suchen wir!“

Bald flogen die schweren Ledersäcke mit den Goldkörnern heraus –

Ein förmlicher Freudentaumel ergriff die vertierten Buschklepper.

Der schwarze Tom faßte sich zuerst.

„Boys – Vernunft!“ warnte er. „Denkt daran, daß Felsenherz noch frei ist! Wir müssen machen, daß wir hier wegkommen! Packt die Säcke auf zwei Maultiere! Wir haben dann noch genug Reittiere für uns! Je schneller wir verschwinden, desto sicherer ist uns die reiche Beute –!“

„Und der Komanchen, und der Apache, der ihn bewacht?“ meinte Hilper.

„Was scheren uns die beiden! Mögen sie tun, was sie wollen! Erst noch nach der Schlucht zurückkehren, diese eine Stunde Zeit nutzlos vergeuden – nein!“ –

Helene wurde auf des kleinen Bens Maultier gebunden. Die Buschklepper ließen sich nicht einmal Zeit, noch nach Ben zu suchen. Die Angst vor den Folgen dieses ungeheuren Schurkenstreiches, dem die Apachen ebenso wie die Reisenden zum Opfer gefallen waren, saß ihnen im Nacken. Das Verlangen, mit der Beute schleunigst diesen Ort des Schreckens zu fliehen, trieb sie von dannen.

Kaum zehn Minuten nach dem Gemetzel ritten sie im Trab davon, in die nächtliche Prärie hinaus –

Nach einer halben Stunde erreichte der Trupp ein steiniges, ausgetrocknetes Flußbett.

Tom hatte sämtliche Wolldecken der Reisenden mitgenommen. Er ließ nun halten.

Die Decken wurden zerschnitten und den Pferden und Maultieren um die Hufe gebunden.

„So!“ lachte Tom. „Nun wird auch die feinste Spürnase unsere Spuren von hier aus nicht weiter verfolgen können!“

Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung, hielt sich dauernd in diesem meilenlange Tal, dessen fester Boden keinerlei Spuren der jetzt so weichen Tierhufe annahm.

 

 

5. Kapitel.

Hinter den Buschkleppern her.

Felsenherz erwachte abermals aus seiner Fieberbetäubung –

Verwirrt blickte er um sich. Er mußte sich erst besinnen, wo er sich eigentlich befand und wie er hierher geraten war –

Der Mond schien hell in das Tal hinein. Die milchig-bläuliche Dämmerung zeigte Felsenherz eine ihm völlig unbekannte Örtlichkeit –

Dann klärte sich sein Geist. Die Erinnerung an die Erlebnisse der letzten Stunden erwachte in ihm, rief ihm jede Einzelheit in Gedächtnis zurück –

Die weißen Banditen –! Und dann die Apachen –!

Ein jäher Schreck durchzuckte ihn – Er hatte doch seine Gefährten warnen wollen –! Und jetzt – jetzt hatte er stundenlang hier gelegen –!

Er stand auf, taumelte vor Schwäche, setzte sich auf einen Stein –

Der Durst hatte ihm den Mund und die Kehle ausgedörrt –

‚Wasser!‛ dachte er. ‚Wenn ich nur einen Schluck Wasser hätte!‛

Da – waren das nicht Schüsse in der Nähe –?!

Felsenherz horchte –

Da – wieder diese dumpfen Knalle, die der Nordwestwind von irgend woher herüber trug –

Felsenherz erhob sich, stützte sich auf seine Büchse, wollte dem Ausgang des Tales zuschreiten –

Plötzlich vor ihm in der verschwommenen Dämmerung eine Bewegung – irgend eine Gestalt –

Der junge Trapper hob die Büchse –

Und – ließ sie wieder sinken –

„Brauner – mein braver Brauner!“ rief er leise.

Das Pferd hinkte näher. Die Zügel schleifen halb am Boden. In den Zügeln hatte sich der Ast verfangen, an den Felsenherz ihn festgebunden gehabt hatte – draußen in der Prärie –

Der Hengst wieherte, rieb die Nase an der Schulter seines Herrn –

„Brauner!“ sagte Felsenherz gerührt. „Hast du wirklich meine Fährte gefunden?! Hat es dir zu lange gedauert, bis ich dich holen kam –?“

Er klopfte dem treuen Tier den Hals. Dann besichtigte er die Schenkelwunde –

Und – er traute seinen Augen nicht. Die Wunde war sauber ausgewaschen, roch nach Karbol, trug einen richtigen Pflasterverband –!

Felsenherz starrte auf diesen Verband hin und glaubte erst, er träume noch –

Wer in aller Welt konnte das Pferd verbunden haben?! Und noch so sachgemäß?! Wer schleppte sich hier in der Wildnis mit Karbol herum?! Wer hatte Pflaster und Verbandszeug bei sich?! Und – wo waren die Leute, die dem Tier diese sorgsame Behandlung hatten angedeihen lassen?! –

Da – abermals von fernher ein paar Schüsse –

Felsenherz vergaß jetzt alles andere über der Sorge um das Wohl seiner Freunde –

Er nahm den Braunen am Zügel, faßte mit der rechten Hand den Sattelknopf und hatte so eine Stütze gefunden, die ihm das Gehen erleichterte –

Mit jedem Schritt wurde sein Kopf freier und klarer.

An der einen Satteltaschen hing eine große Feldflasche. Felsenherz vernahm darin ein Gluckern, als ob sie gefüllt sei –

Er machte halt, schüttelte die Flasche –

Vorhin war sie leer gewesen! Jetzt enthielt sie Wasser –!

Er trank – trank –!

Und den Rest des Wassers goß er seinem Reittier in das Maul –

Dann eilten sie weiter. Der Braune hinkte nicht mehr so stark, offenbar hatten die Schmerzen in der Wunde nachgelassen.

Auf dem weichen Grasboden der Prärie versuchte Felsenherz zu reiten. Es ging. Das Tier sträubte sich nicht, seinen Reiter zu tragen –

Der blonde Trapper hatte nach einer halben Stunde die Nordecke des Höhenzuges erreicht. Nun bog er nach Westen, dann nach Süden ab; da lag der Eingang des Tales endlich vor ihm –

In demselben Moment krachte in der Ostecke ein Schuß, dem ein gellender Schrei folgte –

*

Der Wächter des Komanchenhäuptlings war ein alter, bereits grauhaariger Krieger, der nur Lederhosen und den von Narben bedeckten Oberkörper nackt trug.

Der Apache hatte ein kleines Feuer in einem geschützten Winkel der Schlucht angezündet, um den Gefangenen besser im Auge behalten zu können.

Er war auch sonst sehr vorsichtig gewesen und hatte den schwarzen Panther mit den Armen noch an einen Steinblock gefesselt.

Der Komanche saß so halb aufrecht da, die mit Riemen zusammengeschnürten Füße nach dem Feuer hin ausgestreckt.

Ihm gegenüber saß jenseits des Feuers der Apache, der den Tomahawk in der Rechten hielt und kein Auge von ihm ließ.

Der schwarze Panther sann auf nichts anderes, als auf seine schleunige Flucht –

Aber sein Wächter machte es ihm schwer, sich zu befreien.

Die Blaßgesichter und die Apachen waren nun bereits über eine halbe Stunde unterwegs nach dem Lager der Berners. Der Häuptling hatte aus ihren Reden leicht entnehmen können, was sie planten.

Mit jeder dahineilenden Minute vergrößerte sich seine Angst um das Leben derer, die ihm in dem Tal der sprechenden Wasser vor einem Monat selbst das Leben gerettet hatten –

Er begann vorsichtig an seinen Fesseln zu zerren –

Aber der alte Apache paßte nur zu gut auf, versetzte ihn sofort mit dem flachen Tomahawk einen Hieb vor die Stirn und rief drohend:

„Wenn der Hund von Komanche sich nochmals bewegt, spalte ich ihm den Schädel –!“

Er setzte sich dann wieder, warf ein paar trockene Zweige in die Glut.

Das Feuer flackerte höher auf –

Plötzlich schnaubten die Indianergäulen, die etwa zehn Meter weiter nach dem Eingang der Schlucht zu standen, so laut, daß der Apache blitzschnell hochfuhr und nach seiner Steinschloßflinte griff –

Er spähte argwöhnisch nach den Tieren hinüber –

Auch der Häuptling schaute gespannt dorthin. –

Dann – unter den Beinen der Pferde hervor sprang ein roter Blitz auf –

Der Apache warf die Arme in die Luft und fiel nach vorn auf das Gesicht –

Seine Glieder zuckten noch ein paarmal krampfhaft. Dann lag er still –

„Mein Bruder Felsenherz!“ rief der Häuptling.

Die Indianergäulen keilten aus, beruhigten sich dann wieder.

Niemand erschien –

Abermals rief der schwarze Panther.

Keine Antwort –

Dann wälzte er sich mitsamt dem Stein vorwärts, bis er den erschossenen Apachen mit dem Kopf herumdrehen und mit den Zähnen dessen Messer aus dem Gürtel ziehen konnte.

Gleich darauf war er frei, nahm seine Waffen auf, führte seinen Rappen in das Nachbartal hinab, sprang in den Sattel und galoppierte davon.

Er schlug genau dieselbe Richtung ein, die kurz nach ihm auch Felsenherz wählte. –

Am Eingang des Tales ließ er zur Vorsicht seinen Rappen in einem Busch zurück.

Dann schlich er zu Fuß weiter, immer dicht an der rechten Talwand entlang –

Jetzt erblickte er dort im Ostwinkel den hellen Schein eines Feuers, das außerhalb der Barrikade brannte.

Er kroch auf allen Vieren näher, sah nun zwei Pferde vor der Barrikade stehen, von denen eins ein Schimmel war –

Ein Schimmel! Also gehört es einem der Buschklepper!

Der schwarze Panther spannte seine Büchse.

Dort bewegten sich hinter der Barrikade zwei Blaßgesichter. Einer von den beiden hob gerade einen über dem Steinwall liegenden Toten auf –

Der Häuptling erkannte die Leiche: Es war die des jüngsten Berner!

Und – er handelte nun so, wie jeder Westmann hier nach dem ehernen, erbarmungslosen Gesetz der Wildnis gehandelt hätte – nach dem Gesetz: Auge um Auge, Zahn um Zahn!

Er glaubte einen der Mörder vor sich zu haben –

Legte an, drückte ab –

Und drüben stieß der blasse Trax einen gellenden Schrei aus und sank mit der Leiche im Arm zu Boden.

Sepp Stieglitz hatte gerade neben dem noch leise atmenden Thomas Balson gekniet –

Und das war seine Rettung! Sonst hätte die zweite Kugel des Komanchen auch ihn niedergestreckt.

So aber warf er sich sofort lang hin, kroch bis an die Barrikade und sah undeutlich die Gestalt eines Indianers an der Talwand stehen, zielte kurz, feuerte –

Auf den Schuß hin schien der Rote wie in den Erdboden zu versunken –

Felsenherz hatte sowohl den ersten Schuß, den Todesschrei des blassen Trax als auch den zweiten Schuß gehört, hatte dem Braunen die Hacken gegeben und jagten nun dem Lager zu –

Da – von rechts ein Anruf –:

„Halt – mein Bruder Felsenherz möge abspringen!“

Felsenherz riß den Braunen zurück –

Aber Sepp Stieglitz hatte das Pferd schon erkannt, brüllte jetzt:

„He, Master, hier liegt ein Irrtum vor! Wir beide sind nicht die Mörder dieser Leute! Im Gegenteil, wir wollten sie warnen, sind aber leider zu spät gekommen!“

Der schwarze Panther zog Felsenherz hinter einen Steinblock, flüsterte:

„Das Blaßgesicht lügt! Dort steht ein Schimmel!“

Felsenherz nickte nur. Dann hob er den Kopf, legte die Büchse auf den Stein, zielte –

Er konnte hinter der Barrikade gerade den Strohhut des Mannes erkennen, der soeben gerufen hatte.

Sepps Leben hing an einem Spinnwebfädchen –

„He Master!“ brüllte er abermals. „Ich bin Zeitungsberichterstatter und nur durch einen Zufall in die Gesellschaft der Buschklepper geraten. Ich war’s, der euer Pferd verbunden hat, und Trax, der hier soeben niedergeknallt worden ist, erschoß den Apachen drüben in der Schlucht, der den Komanchenhäuptling bewachte. –

Mein Name ist Sepp Stieglitz, Master, und – wenn ihr mir noch nicht glaubt, dann kommt bitte her. Ich war soeben dabei, einen der Überfallenen zu verbinden –“

Felsenherz war froh, daß er noch nicht abgedrückt hatte –

„Mein roter Bruder merkt wohl auch, daß der Mann die Wahrheit spricht?“ sagte er zu dem schwarzen Panther. „Wir wollen trotzdem vor–sichtig sein –“

Und er rief laut zu Sepp hinüber:

„Legt eure Büchse weg, wenn ihr ein gutes Gewissen habt, und tretet vor die Barrikade hin!“

Sepp gehorchte sogleich.

Felsenherz und der Häuptling näherten sich ihm.

Sepp zog den Hut –

„Ich bedaure, daß wir hier bei einer so traurigen Gelegenheit miteinander bekannt werden,“ meinte er höflich.

Felsenherz genügte ein Blick in dieses harmlose Gesicht des Fremden. Er streckte ihm die Hand hin –

„Master, ihr habt recht: Es ist eine traurige Gelegenheit!“ sagte er schmerzlich bewegt. „Ich nenne mich Felsenherz, und dies hier ist mein roter Bruder Chokariga, der schwarze Panther –“

Dann sprang er über die Barrikade und untersuchte die Körper der fünf Weißen.

Die beiden Berners und Trax waren tot. Balson lebte noch.

„Wo mag der kleine Ben geblieben sein – und Helene Berner?“ meinte Felsenherz nun. „Ob die Buschklepper die beiden als Gefangene mit sich genommen haben?“

„Nein, Master,“ erklärte Sepp rasch. „Wir, der Trax und ich, haben ja den Abzug der Männer beobachtet. Die fünf Banditen hatten nur das Mädchen bei sich und auf zwei Maultieren verschiedene Ledersäcke. Wir wollten den fünfen dann nach, vorher aber wenigstens hier noch Umschau halten, ob nicht einer der Daliegenden nur verwundet sei. Ich verstehe mich auf das Verbinden von Wunden und will auch sofort den Mann dort, der den Messerstich dicht über dem Herzen hat, in Behandlung nehmen.“ –

Der schwarze Panther drehte jetzt die Leiche des heulenden Wolfes um und zeigte Felsenherz das Schußloch im Hinterkopf.

„Die Blaßgesichter haben die Apachen als Mörder vorgeschickt,“ sagte er dumpf. „Und dieser Apache hier ist von hinten niedergeschossen worden. Mein Bruder mag erkennen, wie viele Schurken es unter dem Weißen gibt! Der Häuptling der Komanchen wird diese fünf in den Dörfern der Komanchen an den Marterpfahl stellen.“

„Sie haben’s verdient!“ nickte Felsenherz.

„Sie werden tausendfach den Tod erleiden,“ bestätigte der Komanche grimmig. „Jetzt aber wird der schwarze Panther nach Ben auf die Suche gehen. Seine Leiche muß hier im Tal liegen. Ben wollte die erste Wache übernehmen und dort weiter vorn ausgelöscht worden sein.“

Er schlug von einer nahen Kiefer mit dem Tomahawk einen starken Ast ab, benutzte ihn als Fackel und schritt davon.

Mit seinen scharfen Augen hatte er auch bald die Stelle in dem Dornengestrüpp gefunden, in die Ben sich hineingedrängt hatte.

Als er nun die Zweige auseinanderbog, schaute er gerade in die Mündung einer Doppelbüchse hinein –

Dann rief Ben auch schon matt:

„Ah – ihr seid’s, schwarzer Panther! Um ein Haar hätte ich euch ein Loch in den Schädel gepustet! Ich habe verdammt viel Blut verloren – kann mich nicht rühren. In der linken Schulter steckt ein Klumpen Blei, der dort nicht hingehört. Schneidet die Zweige weg, Häuptling. Ich habe gerade schon genug Dornenspitzen im Gesäß und auch in den Händen –!“

Der Komanchen trug den verwundeten kleinen Trapper zum Lagerplatz hin, wo Sepp ihm dann sofort die Kugel aus der Schulter entfernte und ihm einen Verband angelegte.

Am Morgen waren die Leichen der Weißen bereits beerdigt und auch die der Apachen mit einem hohen Haufen von Steinen bedeckt worden.

Der Komanche hatte auch die Indianergäulen aus der südlichen Schlucht nach dem Tal gebracht und den toten alten Apachenkrieger ebenfalls in einer Felsspalte mit seinen Waffen bestattet.

Als die Sonne aufging, lagerten die vier Weißen und der Häuptling in einer anderen Schlucht des Höhenzuges. Ben und Thomas Balson waren beide von leichtem Wundfieber befallen worden. Felsenherz, der Häuptling und Ben berieten nun, wie man am besten unverzüglich die Verfolgung der Buschklepper aufnehmen könne.

Man entschloß sich, für die beiden Verwundeten Tragbahren herzustellen, die je zwischen zweien der Indianerpferde befestigt werden sollten.

Die Öltuchbespannung des Bernerschen Wagens lieferte für die Bahren den nötigen Leinwandstoff. Sepp zeigte sich bei der Anfertigung dieser Tragbahren so geschickt, daß Felsenherz und der schwarze Panther ihm diese Arbeit allein überließen.

Gegen zehn Uhr vormittags waren alle bereit aufzubrechen. Man nahm auch das Pferd des toten Trax mit; die überflüssigen Apachengäule wurden in die Prärie hinausgetrieben.

Der schwarze Panther ritt als Fährtensucher weit voraus. Die Verwundeten lagen leidlich bequem in ihren Tragen, deren Pferde Felsenherz und Sepp am Zügel führten.

Der Deutsche und der junge Trapper hatten sich nun längst auch als Landsleute erkannt, und der Berichterstatter erzählte jetzt Felsenherz kurz die Ereignisse, die sich nach seiner und Trax’ Flucht abgespielt hatten.

„Wir wollten zunächst immer weiter nach Süden fliehen. Dann hielten wir es aber doch für unsere Pflicht, die Reisenden vor dem schwarzen Tom und seinen Leuten zu warnen. Wir ritten also in großem Bogen nach Osten zu und dann wieder nach Westen. Trax, der durch Leichtsinn bis zum Banditen herabgesunken war, aber noch so viel Charakter besaß, seine Schandtaten zu bereuen, fand nachher Ihr Pferd auf, Felsenherz.

Ich verband es. –

Wir schlichen darauf zu Fuß weiter nach den Bergen hin und sahen die fünf Buschklepper und die Apachen die Schlucht verlassen. Trax wollte dann feststellen, ob noch mehr Rote in der Schlucht steckten. Er erschoß den Wächter des Komanchen, wollte sich aber nicht zeigen, da er sich vor dem Häuptling als Mitglied der Bande Toms fürchtete.

Wir beeilten uns nun, die Berners noch rechtzeitig zu warnen. Aber – es war zu spät. Wir konnten nur noch den Abzug der Bande beobachten, wie ich Ihnen schon mitgeteilt habe, Landsmann.“

„Und Sie waren es auch, Sepp, der meine Feldflasche füllte,“ meinte Felsenherz. „Noch eine Frage: Hat Trax Ihnen nicht anvertraut, wo die Buschklepper ihren Schlupfwinkel haben?“

„Nein – denn er wußte es selbst nicht. Er gehörte erst drei Wochen zu den Banditen, die als ich sie traf, gerade drei Farmen geplündert hatten. Trax hat nur mal zufällig eine Bemerkung Toms aufgeschnappt, aus der er schloß, daß der Schlupfwinkel an einem Kolorado-Spring genannten Ort sich befinden müsse.“

Ben, dem es weit besser als Balson ging, hatte dieses Gespräch mit angehört und erklärte nun:

„Habe mein Lebtag nichts von einem Kolorado-Spring gehört! Die Bezeichnung ist mir ganz fremd. Es kann sich dabei aber wohl nur um einen Ort in der Nähe der Quellen des Texas-Kolorado handeln.

Denn Spring bedeutet ja Quelle, kleines Gewässer oder was ähnliches.“

„Dann müssen wir eben der Bande auf der Fährte bleiben,“ meinte Felsenherz.

„Was nicht leicht sein dürfte,“ sagte Ben zweifelnd. „Ich kenne diesen schwarzen Tom von früher her, als er gerade anfing, ein Lump zu werden. Er hat mich bestohlen – um einige fünfzig Felle, und mich dann noch den Apachen in die Hände gespielt, denen ich nur durch meine Schlauheit wieder entwischte. Kriege ich Tom vor mein Visier, dann kann er getrost sein Testament machen!“ –

Als die Reiter und die beiden Verwundeten kaum in der Ferne verschwunden waren, näherte sich von Südost jenem Höhenzug, wo die Berners ein Opfer der Buschklepper und ihrer Verbündeten geworden, ein Trupp von einigen vierzig Apachen.

Voran ritten fünf Späher. Dann folgten zwei Indianer, von denen der eine Adlerfedern und eine Kette von Bärenzähnen in der Skalplocke trug. Dies war der berühmte und berüchtigte Oberhäuptling der Apachen, der große Bär.

Der schlanke, junge Krieger neben ihm aber war seine Tochter Tuma Lapi, die singende Schwalbe, mit der Felsenherz schon einmal am Rio Pecos zusammengetroffen war, wo er ihr gegenüber sich so großmütig gezeigt hatte, daß sie ihm eine Kette aus Nuggets hatte schenken wollen.

Er hatte dieses Geschenk damals abgelehnt. Die junge Indianerin zürnte ihm deshalb jedoch nicht. Im Gegenteil, sie hatte den blonden Jäger nicht vergessen können, und sie war heimlich von Freude erfüllt gewesen, als er damals den Apachenkriegern glücklich entwischt war.

Ihr Vater dagegen hatte jetzt nur einen Gedanken: Felsenherz in seine Gewalt zu bekommen! –

Der junge Trapper hatte ihm, freilich in der Notwehr und in ehrlichem Kampf, den einzigen Sohn erschossen, und dies verlangte blutige Rache!

Das Herz des großen Bären war auch noch aus einem anderen Grund von blinder Rachgier gegen alle Weißen erfüllt. Seine Krieger hatten Fort Kavett nicht erstürmen können! Und jetzt war ein Teil der Besatzung sogar noch hinter den geschlagenen Apachen her, um sie vollends zu zersprengen und ihnen für alle Zeit die Lust auszutreiben, sich in den Krieg zwischen Texas und Mexiko einzumischen.

Einer der fünf Späher kam jetzt zurückgejagt und meldete dem Häuptling, daß man frische Fährten entdeckt hätte.

Der große Bär ließ darauf die Berge absuchen.

Eine Stunde später hatten die Rothäute das Grab ihrer Stammesgenossen in jenem Tal entdeckt und auch die Leichen der Blaßgesichter gefunden, ebenso die ganz frische Fährte, die nach Norden führte.

Und wieder eine halbe Stunde darauf verließ der große Bär mit der singenden Schwalbe und fünfzig seiner besten Krieger, die sämtlich mit Büchsen bewaffnet waren, die Berge und jagte auf der frischen Spur entlang. Inzwischen war nämlich auch die Hauptabteilung der Apachen bei dem Höhenzug angelangt, so daß der Häuptling sich die tüchtigsten seiner Krieger hatte auswählen können.

 

 

6. Kapitel.

Felsenherz opfert sich für seine Freunde.

In dem steinigen Flußbett, wo der schwarze Tom die Hufe der Tiere hatte mit Decken umwickeln lassen, bewies der Komanchenhäuptling so recht seinen Spürsinn, der sich selbst durch diese List nicht täuschen ließ.

Er fand genug aus ihrer bisherigen Lage verschobene Steinchen und auch genügend Wollfasern der Decken, die in dem grauen Felsboden haften geblieben waren, um sich sofort über die weitere Fluchtrichtung der Buschklepper klar zu werden.

Als man nun das ausgetrocknete Flußbett hinter sich hatte, konnte der schwarze Panther in der Prärie genau so deutlich die Fährte erkennen. Der Strich, der sich durch das Gras hinzog, war sogar noch von weitem zu bemerken.

Die Reiter mit den beiden Verwundeten kamen dann gerade über eine langgestreckte Bodenwelle, als Felsenherz zufällig wieder einmal einen Blick nach rückwärts warf –

Er brachte seinen Braunen sofort zum Stehen, rief auch dem Komanchen ein lautes „Halt!“ zu.

Er hatte sich nicht geirrt: dort hinter jener Buschreihe waren soeben noch fünf Indianer zu Pferde undeutlich zu sehen gewesen!

Jetzt waren sie freilich verschwunden. Aber Felsenherz konnte sich auf seine scharfen Augen verlassen.

Der schwarze Panther zügelte seinen Rappen dicht neben dem Freund.

„Was hat mein weißer Bruder erspäht?“ fragte er.

„Fünf Apachen – dort an den langgestreckten Büschen etwa achthundert Meter hinter uns!“ erwiderte der junge Trapper besorgt. „Es können nur die Späher eines größeren Trupps sein, denn wir befinden uns hier ja im Jagdgebiet deines Stammes, Chokariga, und hierhin wagen sich nicht fünf einzelne Apachen.“

Der Häuptling nickte. Sein Blick schweifte in die Runde, blieb dann halb rechts auf einem einzelnen, mächtigen Felsen haften, der in Würfelform, wohl acht Meter hoch, sich aus dem Sand- und Grasmeer der Prärie erhob.

Um auf diesem Granitwürfel lagen eine Menge Steine, die zu einem spitzen Hügel aufgehäuft waren, und in diesen Steinen steckten ein paar Lanzen, wie sie die Komanchen noch vor fünfzehn Jahren als Waffe geführt hatten, bevor sie von den Blaßgesichtern Flinten, Pulver und Blei einhandeln konnten.

„Vorwärts – dorthin!“ rief der Häuptling jetzt. „Der Fels ist das berühmte Grab des größten Häuptlings aller Komanchenstämme, des weißen Adlers, der vor zwanzig Jahren dort von Apachen zu Tode gemartert wurde. –

Folgt mir! Wir müssen uns zunächst in Sicherheit bringen und dann feststellen, mit wie vielen Feinden wir es zu tun haben.“

Der Zug setzte sich wieder, jetzt nach Nordost hin, in Bewegung.

Kaum aber hatten die Apachen die Absicht der Flüchtling bemerkt, den Felsen erreichen zu wollen, als sie in langer Kette hinter den Büschen hervorbrachen –

„Galopp!“ brüllte der junge Trapper. „Ohne Rücksicht auf die Verwundeten! Es geht ums Leben!“

Die Apachen versuchten, den Fliehenden den Weg abzuschneiden.

Fünf ihrer bestberittenen Krieger, darunter der große Bär, waren den übrigen weit voraus.

„Sepp, ihr bringt die Verwundeten zum Felsen hin!“ rief der Trapper. „Der Häuptling und ich werden euch die Apachen vom Leibe halten.“

„Das Blaßgesicht wird nach Norden zu dicht neben dem Grabfelsen einen zweiten Steinblock bemerken,“ fügte Chokariga im vollen Jagen hinzu. „Zwischen den beiden Felsen ist eine Ausbuchtung, in der die Pferde geschützt stehen – Dann mag Sepp auf den einen Felsen klettern und auf die Apachen feuern. Er mag auch die Büchsen Bens und Balsons mit hinaufnehmen.“

Sepp galoppierte mit den Tragpferden schon weiter.

Der große Bär war jetzt bis auf fünfzig Meter herangekommen.

„Felsenherz, Mörder meines Sohnes!“ brüllte er. „Die Apachen werden deinen Skalp –“

Da – des Trappers Büchse war hochgeflogen –

Der Schuß krachte, und mit einer Kugel in der Stirn brach der Mustang des großen Bären zusammen.

Der Häuptling war sofort wieder auf den Füßen –

Auch der schwarze Panther feuerte zweimal.

Die nächsten beiden Apachen sanken aus dem Sattel.

Chokariga stieß den Schlachtruf der Komanchen aus, wollte vorwärtsspringen, um den Apachen lebend zu fangen –

Doch Felsenherz war diesmal der ruhigere, überschaute die Lage besser als der Komanche –

„Zurück, Chokariga, sonst erreichen wir des Häuptlings Grab nicht mehr!“ warnte er und drängte seinen Braunen dem Komanchen in den Weg.

Der schwarze Panther blickte sich um –

Etwa zehn Apachen nahten bereits von rechts, waren den beiden schon halb im Rücken.

Da riß auch Chokariga seinen Rappen herum –

Im Bogen ging’s auf die beiden Felsblöcke zu. Schüsse knallten hinter ihnen drein; das Wutgebrüll der Apachen verstärkte sich, denn von der Höhe des Häuptlingsgrabes herab blitzte es jetzt in kurzen Zwischenräumen auf.

Sepp Stieglitz schoß hier zum ersten Mal in seinem Leben auf Menschen, auf Indianer. Und er schoß nicht schlecht. Vier Mustangs knallte er nieder – Das schaffte Felsenherz und dem Komanchen Luft. Auf keuchenden Pferden ritten sie in den schmalen Gang zwischen den beiden Blöcken hinein, sprangen ab und erklommen den nördlichen Granitwürfel, luden die Büchsen, fanden aber kein Ziel mehr für ihre Kugeln –

Die Apachen waren zurückgeflutet –

Sepp, der auf dem südlichen Felsen lag, sah dann den Häuptling neben sich auftauchen.

„Der Geist des berühmtesten Häuptlings der Komanchen wird es uns verzeihen, daß wir seine Ruhe stören und die Steine seines Grabes als Brustwehr benutzen,“ sagte Chokariga ernst. „Mein weißer Bruder hat bewiesen, daß er ein Krieger ist. Er möge mir helfen, die Brustwehr zu bauen. Felsenherz bewacht den anderen Block. Man kann leicht hinüberspringen. Die Spalte ist kaum anderthalb Büchsen breit.“ –

Die Apachen hatten das Häuptlingsgrab jetzt umzingelt.

Gegen Mittag trafen dann weitere einhundertachtzig Apachen ein. Es war nun hier die ganze Abteilung versammelt, mit der der große Bär den vergeblichen Angriff auf Fort Kavett unternommen hatte.

Eine doppelte Linie von Wachen zog sich um die beiden Felsblöcke herum. In einem Tal nach Westen zu hatten die Apachen ihr Lager aufgeschlagen –

Um die Belagerten stand es schlecht. An eine Flucht war nicht zu denken, schon der Verwundeten wegen. Ohne diese hätte man vielleicht sich durchschlagen können. So aber waren die kampffähigen Männer gezwungen, hier auszuharren. Und – wie das Ende dieser Belagerung sein würde, das war jetzt schon vorauszusehen.

Die Apachen würden, um Verluste zu vermeiden, keinen offenen Angriff wagen, sondern die vier Weißen und den Komanchen einfach aushungern. Der Mangel an Lebensmitteln und der Durst mußten die drei Verteidiger in kurzem ebenfalls unfähig machen, Widerstand zu leisten.

Man hatte Ben und Thomas Balson unten bei den Pferden in der grottenartigen Verbreiterung zwischen den beiden Blöcken gelassen und ihnen bequeme Lagerstätten hergerichtet. Hier unten war es leidlich kühl. Oben aber, wo die drei Gefährten, die Büchse im Anschlag, auf dem nackten Gestein in der prallen Sonne lagen, litten sie sehr bald derart unter Durst, daß sich ihnen schier die Sinne zu verwirren drohten.

Der Herbst gleich ja in diesen südlichen Prärien, was die Wärme betrifft, vollständig dem deutschen Hochsommer. Einen Winter kennen diese Gegenden kaum.

Außerdem war keine Wolke am Himmel. Seit Tagen hatte es nicht geregnet. Das Gras war halb verdorrt und lechzte genau so nach Feuchtigkeit wie die drei Verteidiger nach einem einzigen Schluck Wasser.

Was man in den Feldflaschen und in den zwei Schläuchen an Wasser mitführte, mußte für die Verwundeten verbleiben. Darüber waren die drei sich einig, und deshalb lie0 auch nicht einmal Sepp, der doch an Strapazen nicht gewöhnt war, irgend ein Wort der Klage laut werden

Der Abend kam. Die Apachen zündeten an die zwanzig Wachtfeuer an. Im übrigen kümmerten sie sich um die Belagerten nicht.

Diese hatten für die Nacht die Verwundeten nach oben auf das Häuptlingsgrab geschafft.

Ben, der dank seiner robusten Natur bereits fieberfrei war, schaute lange zu den hell lodernden Wachtfeuern hinüber.

Dann sagte er plötzlich zu Felsenherz und dem schwarzen Panther, die neben seinem Lager saßen:

„Freunde, ich verlange von euch drei Gesunden, daß ihr in dieser Nacht eine Durchbruchsversuch unternehmt und Balson und mich hierlast! Wir beide werden dann von den Roten schnell in die ewigen Jagdgründe befördert werden.

Was liegt daran?! Dann sterben doch nur zwei von uns, während andernfalls wir alle fünf verloren sind! Übermorgen seid ihr drei mit euren Kräften bei dieser Tageshitze fertig! Und die Gäule sind dann gleichfalls schlapp!

Also – flieht ohne Rücksicht auf uns! Der Ben wird zu sterben wissen, und Balson wieder hat so böses Wundfieber, daß ihm ein Messerstich mehr oder weniger gleichgültig ist.“

Der Komanche erwiderte kurz:

„Mein Bruder Ben spricht mit dem schwarzen Panther und nicht mit einem heulenden Weib!“

Und Felsenherz sagte ebenso ablehnend:

„Lieber Ben, auch ich rechne mich nicht zu den Schuften, die ihre verwundeten Gefährten im Stich lassen!“

Kaum hatte er den Satz beendet, als ein einzelner Apache sich den Steinblöcken näherte, indem er einen grünen Zweig über dem Kopf schwenkte.

Dann rief er herüber:

„Hier ist der große Bär! Die Blaßgesichter und der Komanche mögen hören, was der Häuptling der Apachen ihnen befiehlt. Liefert mir Felsenherz aus, der meinen einzigen Sohn erschossen hat, und die anderen sollen freien Abzug und einen Vorsprung von sechs Stunden gewährt erhalten. Ich gebe euch eine Stunde Bedenkzeit.

Liefert ihr Felsenherz nicht aus, so werden wir warten, bis die Sonne euch das Gehirn ausgedörrt hat. Nach einer Stunde kehrte ich zurück.“

Der große Bär schritt wieder davon.

Ben lachte heiser auf –

„Der rote Halunke hält uns für das, was Felsenherz soeben mit ‚Schuft‛ bezeichnete!“ meinte er. „Er kann lange warten!“

„Ben, ihr irrt!“ erklärte Felsenherz da. „Ich werde freiwillig zu den Apachen ins Lager gehen.“

„Mein Bruder spricht, als hätte er den Verstand verloren!“ rief der Komanche dazwischen.

„Und mein Bruder Chokariga kennt meine Gedanken nicht!“ sagte Felsenherz gelassen. „Die Apachen werden mich mit nach ihren Dörfern am Rio Pecos nehmen und mich dort zu Tode martern wollen. Tagelang werde ich also Zeit haben, ihnen irgendwie zu entfliehen. Und wenn mir die Flucht nicht allein gelingt, wird der schwarze Panther mich befreien. Die Hauptsache ist, daß wir Zeit gewinnen. –

Ich werde auf jeden Fall mich freiwillig den Apachen stellen. An diesem Entschluß ändert ihr nichts mehr. Ich werde mit dem großen Bären die Bedingungen meiner Auslieferung auch so vereinbaren, daß keine Hinterlist von Seiten der Apachen zu fürchten ist. Der große Bär muß mit euch für die Zusprache der sechs Stunden Vorsprung die Friedenspfeife rauchen. Dann sei ihr sicher, daß er uns nicht betrügt. Diese sechs Stunden benutzt ihr dazu, möglichst weit nach Norden zu reiten. Ich hoffe, daß ich noch in dieser Nacht entfliehen kann.

Wie – das wird meine Sache sein! –

Mein Bruder Chokariga mag mir einen Ort im Norden beschreiben, wo wir uns bis morgen Mittag treffen können. Bin ich bis Mittag nicht dort, so ist meine Flucht mißglückt, und mein roter Bruder mag dann zusehen, ob er mich anderswie befreien kann.“ –

Felsenherz ließ sich von diesem Entschluß nicht abbringen. –

Als der Häuptling einsah, daß sein weißer Bruder fest in seinem Entschluß blieb, bezeichnete er ihn ein Wäldchen im Norden als Treffpunkt und beschrieb es ihm so genau, daß der junge Trapper sich leicht bis dorthin würde durchfinden können –

Zwei Stunden darauf war der große Bär, nachdem er die drei Ältesten seiner Krieger mit zum Häuptlingsgrab gebracht hatte, bereit, feierlich mit Ben und dem Komanchen für sechs Stunden unbehelligten Vorsprung das Kalumet, die Friedenspfeife, zu rauchen –

Dann schritten die vier Apachen, nachdem diese besondere Art von Waffenstillstand abgeschlossen war, ihrem Lager wieder zu.

Felsenherz folgte ihnen sehr bald. Der Abschied von seinen Freunden war kurz; ein paar Händedrücke, und der mutige Mann verließ den Steinblock, ging ohne Waffen, nur seinen Braunen am Zügel führend, vielleicht dem sicheren Tod entgegen.

 

 

7. Kapitel.

Alles findet seinen Lohn.

Mitternacht war’s. Der Mond stand hoch im Westen. Ein kräftiger Nachtwind fuhr über die ausgedörrte Prärie hin.

Im Lager der Apachen war nach der ersten Aufregung über die Gefangennahme des jungen Trappers Ruhe eingetreten.

In der Mitte des Lagers zwischen den doppelten Reihen der Lederzelte lag Felsenherz lang ausgestreckt am Boden. Seine ausgebreiteten Arme waren an je zwei in die Erde gerammte Pflöcke mit Riemen festgebunden, seine Füße in gleicher Weise an zwei weitere Pfähle. –

Neben ihm brannten zwei Feuer, und an diesen saßen mit untergeschlagenen Beinen seine vier Wächter.

Felsenherz wußte, daß er hier ein überaus gefährliches Spiel wagte. –

Nachmittags hatte er sich auf dem Häuptlingsgrab von Sepp Stieglitz dessen kleines Federmesser geborgt gehabt, um an seinem Sattelzeug etwas in Ordnung zu bringen. Dieses Messerchen hatte er Sepp zurückzugeben vergessen und erst wieder daran gedacht, als der große Bär seine Auslieferung verlangte. –

Nun hatte er das winzige Ding mit geöffneter Klinge heimlich in den rechten Ärmelaufschlag seines Jagdrockes gesteckt –

Das war der eine Helfer, auf den er rechnete.

Und der zweite war Tuma Lapi, die singende Schwalbe. Er hatte sie schon mittags bei den Apachenwachen stehen sehen, und sie hat lange nach den Felsblöcken hinübergeschaut. Der blonde Trapper hoffte insgeheim auf die Dankbarkeit der jungen Indianerin –

Die vier Wächter neben den Feuern saßen so, daß Felsenherz’ rechter Arm im Schatten lag. Außerdem mußte der Feuerschein die Apachen auch derart blenden, daß sie kaum bemerken konnten, wenn er die rechte Hand bewegte.

Er krümmte die Hand jetzt nach innen. Er hatte durch einen kleinen Kniff es erreicht, daß der rechten Ärmel, als er gefesselt wurde, weit über die Hand rutschte.

So konnte er denn jetzt mit dem Zeige- und Mittelfinger in den Ärmelaufschlag hineinlangen. Als er das Messerchen erst in der Hand hielt, war’s ihm bereits so, als könnte sein kühner Plan gar nicht mehr mißlingen. –

Er wartete, bis die vier Wächter noch nachlässiger wurden. Sie konnten ja kaum annehmen, daß der Gefangene schon jetzt auf seine Befreiung bedacht war, unterhielten sich leise und rauchten ihre langstieligen Tonpfeifen.

Felsenherz schob die Klinge dann zwischen die Handgelenkfesseln. Das Messer war haarscharf.

Ein Riemen ward durchschnitten, der zweite ebenfalls. –

Nun kam die Fesselung des Ellbogengelenks heran. Zu diesem Zweck mußte er den Unterarm von dem Pflock entfernen.

Das konnte sehr leicht auffallen.

Da – trat plötzlich hinter einem nahen Zelt Tuma Lapi hervor, schritt auf die Wächter zu und sprach mit ihnen.

Felsenherz merkte, daß sie nur gekommen war, um die Aufmerksamkeit der vier Krieger von ihm abzulenken.

Und er benutzte die Gelegenheit sehr geschickt. Sein rechter Arm war frei –

Dann hatte er gewonnenes Spiel!

Die Indianerin huschte wieder davon. Aber ihr Blick suchte für einen Moment des Gefangenen und glitt dann nach dem etwa dreihundert Meter entfernten Häuptlingsgrab hinüber. Felsenherz verstand. Er sollte sich dorthin zuerst wenden, sobald er fliehen konnte! –

Wieder wartete er eine halbe Stunde. Die Wächter saßen jetzt zeitweise mit geschlossenen Augen da.

Felsenherz überlegte. Zwei konnte er niederschlagen. Seiner Faust widerstand kein Apachenschädel. Der dritte würde durch einen Boxhieb in die Herzgrube stumm gemacht werden können. Aber der vierte fand fraglos Zeit, aufzusprengen und das Lager zu alarmieren.

Doch – diese Gefahr mußte er mit in Kauf nehmen! Er durfte nicht länger zögern. Die Ablösung der vier Wächter würde sehr bald erfolgen, und dann wurden ohne Zweifel auch seine Fesseln untersucht.

Er ballte die Faust. Das Messerchen hatte er zugedrückt und wieder im Ärmelaufschlag verborgen.

Dann eine halbe Drehung des Körpers – zwei dumpfe Hiebe, ein Stoß, – ein Griff in den Gürtel des vierten Wächters –

Er hatte dessen Jagdmesser in der Hand. Die Klinge fuhr durch die Riemen der Füße, des linken Armes –

Der Apache hatte seine drei Stammesgenossen lautlos umsinken sehen. Der Schreck lähmte ihm die Zunge.

Dann schnell er hoch, begann zu brüllen –

Ein Fausthieb unter das Kinn warf ihn rückwärts zu Boden. –

Felsenherz glitt zwischen den Felsen hindurch, kroch in die Prärie hinaus. Hinter ihm im Lager erhob sich ein wahnwitziges Wutgeheul.

Er begann zu laufen – tief gebückt, erreichte die beiden Steinblöcke –

Dort – da stand sein Brauner, gesattelt, an eine Zacke des Gesteins festgebunden – Das war der Dank der singenden Schwalbe für seine Großmut!

Schon jagte Felsenherz nach Norden zu. Er wußte: Bevor es nicht Tag geworden, konnten die Apachen seine Fährte nicht finden –

Mittags traf er wie verabredet mit seinen Gefährten an jenem Wäldchen zusammen. Nach herzlicher Begrüßung ging es sofort weiter.

Der schwarze Panther behielt die nördliche Richtung bei. Er wollte so die Quelle des Kolorado erreichen, in dessen Nähe er den ‚Kolorado-Spring‛ und den Schlupfwinkel der Buschklepper vermutete.

*

Zwei Tage später passierten die drei Reiter mit den Verwundeten den North Combo, der hier so nahe seiner Quelle kaum dreißig Meter breit war. Der schwarze Panther bog jetzt nach Nordwest ab. Diese Gegend kannte er ganz genau. –

Wieder verging ein Tag. Man näherte sich nun bereits den Randbergen der Llano Estacado, an deren Ostseite der Texas-Kolorado entspringt.

Die Landschaft änderte ihr Aussehen. Die Grasflächen wurden buschreicher, steiniger, und die Felspartien immer häufiger.

Mittags lagerte man in einer von Gebüsch umstanden Talmulde. Felsenherz ging dann, die Büchse im Arm, nach einer Quelle oder einem Bach zu suchen. Das Gelände war sehr unübersichtlich.

Doch schon nach zehn Minuten entdeckte er in einer Schlucht ein Bächlein, stieg die Böschung hinab und wollte die mitgenommenen Schläuche und Feldflaschen füllen.

Da stutzte er plötzlich –

In dem Ufersand des Baches sah er den Abdruck eines zierlichen Frauenschuhs mit Absätzen. Und dicht daneben gewahrte er an einem Distelbusch ein paar lange blonde Haare. –

Vorsichtig schaute er sich nach weiteren Fährten um. Bald entdeckte er auch untrügliche Zeichen, daß die Buschklepper hier vorübergekommen waren und kurze Zeit gelagert hatten. Die Asche des Feuers, das mit Steinen erstickt worden war, fühlte sich noch warm an.

Er folgte den Spuren durch die Schlucht und einen kleinen Wald. Mit einem Mal befand er sich am Rand einer zweiten Schlucht – und dort, etwa sechs Meter unter ihm, saß Helene Berner und neben ihr einer der Buschklepper. Weiter links standen die Pferde und die beladenen Maultiere –

Felsenherz zögerte nicht lange. Ein besonderer Gedanke trieb ihm zu einem schnellen Entschluß: Vielleicht hatten die Banditen das Nahen der drei Reiter mit den beiden Verwundeten bemerkt, vielleicht wollten sie jetzt den Komanchen und Sepp hinterrücks niederknallen –

Er kroch um die Schlucht herum, so daß er nun den Kerl, der Helene bewachte, mit einem Steinwurf aus nächster Nähe betäuben konnte.

Der Buschklepper saß mit dem Rücken nach ihm hin. Felsenherz nahm einen runden Stein, zielte kurz – warf –

Der Bandit sank lautlos um –

Helene Berner schnellte hoch. Sie erkannte Felsenherz sofort, rief angstvoll:

„Die anderen vier wollen Sie und Ihre Gefährten überfallen –! Eilen Sie zurück!“

Felsenherz jagte schon mit großen Sprüngen davon –

Der schwarze Panther unterhielt sich mit Sepp Stieglitz, der ihm von seinen Seefahrten als Schiffsjunge erzählte. Ben war heute zum ersten Mal, auf seine Büchse sich stützend, ein wenig auf und ab gegangen und hatte sich jetzt außerhalb der Talmulde auf einen vom Blitz gefällten Baumstamm gesetzt, dessen Äste ihm wie eine Laube Schatten spendeten.

Plötzlich raschelte es rechts von ihm in dem Gesträuch. Dann erschien der Kopf eines schwarzbärtigen Mannes, der nun auch den Oberkörper vorschob und nach rückwärts winkte.

Bens Augen weiteten sich. –

Der schwarze Tom –!

Und – da tauchte auch schon ein zweiter Kerl auf –

Bens Mund umspielte ein grimmes Lächeln. Ganz langsam hob er die Büchse –

Tom und Hilper krochen weiter der Talmulde zu –

Dann – eine laute Stimme – die herrschende Stille durchdringend :

„Schwarzer Tom, die Stunde der Abrechnung ist da!“

Zwei Schüsse kurz hintereinander, und zwei der Banditen waren ausgelöscht.

Die beiden anderen hatten sich von der Westseite an die Talmulde heranschleichen wollen. Bens Anruf und die Schüsse scheuchten sie hoch.

Sie wollten entfliehen, als vor ihnen plötzlich die hohe Gestalt Felsenherz’ auftauchte.

Der eine legte an –

Ein Tomahawk fuhr ihm in den Hinterkopf – Der schwarze Panther sprang hinterdrein – Sein Jagdmesser blitzte –

Gleich darauf schwenkte er zwei blutige Skalpe in der Luft –

Als Felsenherz dann nach der Schlucht zu Helene Berner zurückeilte, fand er diese zwar unverletzt vor, aber der fünfte Buschklepper war inzwischen entflohen –

Die Verlobten feierten hier ein schmerzliches Wiedersehen. Der Komanchenhäuptling ließ sie dann samt den Goldschätzen durch fünfzig seiner Krieger nach den östlichen Ansiedlungen geleiten. Er selbst, Felsenherz, Ben und auch Sepp Stieglitz, der jetzt fest entschlossen war, Trapper zu werden, hatten etwas anderes vor.

Es galt, auch den Rest von Toms Bande, die aus zwanzig Köpfen bestehen sollte, wie Helene Berner aus den Gesprächen der Buschklepper entnommen hatte, unschädlich zu machen –