Vergiß mein nicht
Bibliothek der besten Romane
Band 377
Roman von
Swea von Münde.
Verlag moderner Lektüre, G. m. b. H., Berlin 26,
Elisabethufer 44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1912 by Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
Berlin.
I. Teil
„Jan, dreiß dem Benzinstänker den Holt af1!“ rief der alte Rielke durch die pechschwarze Finsternis dem jungen Menschen am Steuer zu.
Und Jan beugte sich vor und drückte den Hebel zur Seite.
Das Geknatter des Motors verstummte sofort. Der große Fischkutter lief noch eine Strecke weiter durch die lange, träge Dünung und schaukelte dann faul auf den matten Wogen, die in dieser windstillen Gewitterschwüle nicht mehr die Kraft aufbrachten, sich zu Schaumkämmen hochzubäumen.
Das ferne, dumpfe Grollen im Süden verstärkte sich; die Pausen zwischen dem drohenden Grollen der heraufziehenden Gewitterwolke verkürzten sich.
Der erste Blitz zerriß die grauschwarze Wand des südlichen Horizonts. Sekundenlang tauchte ein buntes, in der fahlen Beleuchtung seltsam gespenstisch wirkendes Strandbild auf: rechts von dem treibenden Kutter hohe Baumgruppen jenseits des hellen Sandstreifens, aus denen ein schlanker Turm herauswuchs, dessen Spitze unermüdlich des Blinklichts weiße Strahlen wie winkende Hände über die Ostsee hinschickte; und weiter kroch daraus etwas Dunkles, Gesprenkeltes wie eine ungeheure Riesenschlange hervor, die in leichtem Bogen ihren Leib in das Meer gedrückt hat: die Ostmole des Hafens von Braunsande. Geradeaus aber lagerte wie eine finstere Krone auf den hohen Dünen der Hochwald, und links davon wieder waren auf einer großen Lichtung drei niedrige Häuschen sichtbar. – Bernd Rielkes einsames Gehöft, neben dem aus einer tiefen Schlucht der Braune Bach sein spärliches Wasser in die See ergoß.
„Den Düwel2 ok, binoh hädd uns’ ‚Stößer‘ den Lüchtturm ‘n Besock mogt3,“ knurrte der dritte Mann im Boot, der Braunsander Schneidermeister Tornquist. „Jan,“ fügte er für den jungen Menschen am Steuer hinzu, „Jan, schau’ di, holl’ den Kahn längsseit und schmit die Netz taun Barg tausammen4. De Harrens5 vom Zollamt war’n sic waundern6, die oll’ Schnüffelneesen!“
Gleich darauf stieß Jan mit dem hochbeladenen Beiboot vom Kutter ab und ruderte parallel zum Strande nach Osten davon. Der Fischkutter aber verschwand puffend wieder nach Norden zu. –
Auf der Dünenkuppe vor Bernd Rielkes Gehöft saßen in einer von dichtem Strandhafer umgebenen Vertiefung im weichen Sande der so widerwillig aufgenommene Sommergast und die blonde Ebba.
Sie schwiegen und lauschten dem Dröhnen in den Wolken hinter dem Hochwalde, schauten still auf das Meer hinaus, wenn die Blitze die Finsternis vor ihnen mit greller Lichtflut wegwischten, und dachten beide an dasselbe – an den Abschied.
Drei Tage noch – drei kurze Tage, dann mußte Axel Randolf wieder zurück nach Berlin; dann war der Sommerurlaub, den er sich selbst gewährt hatte, zu Ende.
Sie dachten beide daran und sprachen es doch nicht aus; waren überhaupt in letzter Zeit so wortkarg geworden und so scheu voreinander, – wies Menschen werden, die sich selbst nicht mehr recht trauen, ihrer Stärke, ihrer Kraft – zum Verzichteten.
Nach langer Pause sagte Axel Randolf nun leise:
„Sie meinen also, Ebba, es war nicht der Kutter Ihres Vaters, von dem vorhin das Boot abstieß?“
Ebbas Gedanken glitten in die Gegenwart zurück aus dem Rätsellande, das da Zukunft heißt und das den Sterblichen verschlossen bleibt – zu ihrem Glück.
Die Zukunft! Eine Zukunft ohne Axel! – Ebba graute vor diesen Tagen, Monaten, Jahren: vor dem Wiederversinken in das Einerlei des einsamen Lebens, vor Jan Tamm, der dann seine ernsten Augen in stummem Vorwurf sprechen lassen würde; vor des Vaters derben Redensarten, vor der Mutter vorsichtigem Drängen, endlich doch dem Tornquist das Jawort zu geben.
Das war vielleicht Ebbas Zukunft, vielleicht –!
Und die blonde, schlanke Ebba mit dem zarten, feinen Gesicht, das gar nicht recht weder in die Rielkeschen noch in die Koopmannschen Familienzüge, denn Frau Rielke war eine geborene Koopmann von der Insel Usedom, hineinpaßte, drückte die Fingernägel vor trostlosem Herzensweh in die Handfläche und antwortete Axel Randolf:
„Nein – es kann des Vaters Kutter nicht sein. Der fischt unterhalb Rügen und setzt den Fang gleich an die Räuchereien in Stralsund ab.“ Sie sprach’s hastig hin, als wollte sie die eigenen Worte recht schnell an ihrem Ohr verklingen lassen. Sie log ja – mußte lügen! – Jedem anderen gegenüber wär’s ihr leicht geworden. Aber Axel die Unwahrheit zu sagen, fiel ihr so namenlos schwer. Sie war ja seit zwei Jahren eingeweiht in des Vaters heimliche Geschäfte; sie war aufgewachsen in Ansichten, die gewisse Dinge für ein gutes Recht des Strandvolks hielten, die einen Diebstahl für schlimmer ansahen als einen im Zorn geführten Messerstich und die doch für den leichten, wenn auch gefährlichen Verdienst des Schmuggelns jede Entschuldigung fanden.
Axel Randolf hatte ein feines Gehör. Berliner Pflaster und das Parkett eleganter Salons in Berlin W. macht hellhörig. Er ahnte, daß Ebba log. Nein – er wußte es! Wer neun Wochen bei Bernd Rielke gewohnt hat, mußte wohl merken, daß in dem entlegenen Gehöft in dunklen Nächten sich so allerlei abspielte, was vor dem Gesetz verborgen bleiben sollte.
Aber – all das war Axel Randolf sehr gleichgültig. Was ging es ihn an, wenn der alte Rielke Waren von Schweden herüberholte und den Zoll dafür zu bezahlen vergaß?
Nein – ihn ging das nichts an! Eigentlich mußte man ja Rielke noch dankbar sein, daß stets Butter und vieles andere im Überfluß im Hause vorhanden waren und bei dem ein durch die letzte Gesellschaftssaison mit den Nerven arg heruntergekommener Schriftsteller sich so prächtig erholen konnte! –
Die ersten Windstöße fuhren über den Wald hin. Das Rauschen der Bäume mischte sich in das Knattern des Widerhalls eines besonders hellen Blitzes.
Axel hatte da unwillkürlich dem Mädchen ins Gesicht geschaut.
Tränen – Tränen in den langen, dunklen Wimpern, die Ebba Rielkes Antlitz so reizvoll machten; Tränen auf den leicht gebräunten Wangen; und um den Mund ein Zug von unendlicher Angst, von trostlosem Schmerz.
„Ebba!“ flüsterte Axel. „Ebba – Tränen?!“
Er tastete nach ihrer Hand, rückte näher an sie heran.
Die Schwüle der heißen Augustnacht lagerte um die beiden einsamen Menschen.
„Weshalb Tränen, Ebba?“ fragte Axel mit jäh aufquellender Zärtlichkeit.
Beide Hände überließ sie ihm; duldete, daß er sich leicht an sie lehnte, daß sein Mund ihr Ohr in sanfter Liebkosung berührte.
Sie hielt den Kopf gesenkt; schwieg.
Das Gewitter hatte das alte Hindernis gefunden, die Sande, den breiten Fluß, dem Stadt und Hafen den Namen Braunsande verdankten; zog am Strome entlang nach Westen zu, folgte dem großen Flußbogen; würde dann wiederkehren und beim zweiten Angriff das Hindernis bezwingen. So war es stets, wenn das Wetter von Süden heraufzog. –
„Ebba, liebe Ebba!“ flüsterte der Mann. Und sog mit aufflackerndem Begehren den Duft des reichen Blondhaares ein, das Ebba Rielke genau so pflegte, wie sie in ihrer Kleidung stets eigen und geschmackvoll war.
Ein Aufschluchzen neben ihm. Dann – wie ein Schrei, wie eine wilde Anklage:
„Oh – weshalb mußten gerade Sie zu uns kommen, – gerade Sie! Weshalb mußte der Vater gerade Sie als ersten Sommergast aufnehmen, den wir je gehabt, – weshalb – weshalb!“
Er legte den Arm um sie, zog sie an sich.
„Weshalb, Ebba? – Vielleicht, weil das Schicksal uns füreinander bestimmt hatte, weil es uns das Glück zeigen und rufen wollte: Greift doch danach, Ihr beiden törichten Menschenkinder!“
Ebba lauschte nur diesen werbenden Worten; lauschte, hob den Kopf, schaute hinaus über das Meer, hinein in das graue Nichts, zu dem Erde und Wasser und Himmel verschmolzen. –
Die Zukunft! Der Alltag mit all seinen kleinen Bitternissen –!
Nein – nein, – eine – eine einzige selige Erinnerung wollte sie ihr eigen nennen! Dann – dann durfte die Zukunft drohen; dann würde sie alles leichter ertragen.
Ebba Rielke war kein hysterisches Nervenbündel wie die jungen Damen aus Berlin W. Das Meer war ihre Heimat, ihr Freund; das Meer hatte sie stark und zielbewußt gemacht; das Meer ihr das erste große Leid gebracht in der sturmdurchheulten Herbstnacht vor drei Jahren, als es ihr die beiden Brüder nahm und dann dem Vater das Haar weißfärbte. Aber sie hatte ihm nicht gegrollt, dem rauhen Freunde, hatte so lange am Ufer gestanden und dem Rauschen der Wellen gelauscht, bis es wieder ruhig in ihr wurde, bis die Tränen versiegten –
Ebba bog den Kopf zur Seite.
Ein letzter Blitz flammte auf. Und sie blickte Axel Randolf tief in die Augen.
Dann schlang sie ihm die Arme um den Hals, küßte ihn.
Sie küßte ihn. Und ihre Arme ließen ihn nicht los.
In weiter Ferne verklang das Dröhnen der Batterien des Himmels.
Auf der Dünenkuppe rauschte der Strandhafer, wisperte, schüttelte den trügerischen Ährenkopf.
‚Die Zukunft, Ebba, – die Zukunft!‘ raunte das Meer mit schwachem Brandungsgeräusch.
Die blonde Ebba hörte auf nichts.
Hörte nur eine Stimme: „Du – du! Du meiner Seele Seligkeit!“
Sie schenkte sich ihm mit wildem Ungestüm, – wie das Meer, das in Frühlingsnächten seine Wogen miteinander Hochzeit feiern läßt, das gewaltige, große endlose Meer, Ebbas Heimat.
*
Eine Viertelstunde später.
Das Gewitter begann den zweiten Angriff. Die Totenstille in der Natur wurde von dem ersten heftigen Donner unterbrochen. Hinter dem hohen Walde war es wieder so grell aufgeflammt infolge der feurigen Zickzacklinie. Der helle Schein traf Ebbas in Purpurgluten getauchtes Gesicht.
Sie machte sich los aus seinen Armen.
„Axel, leb’ wohl, – gute Nacht!“
Noch ein langer, langer Kuß mit zitternden Lippen, zitternden Nerven. Dann eilte sie davon.
Axel hatte sich wieder in den Sand gesetzt. Und er – er ließ den Kopf hängen, dachte Gedanken, die im Widerspruch miteinander sich bekämpften.
Welch ein Weib –! Wie köstlich ist dieses Naturkind in allem! Ach – ich liebe sie; ich wußte es lange! Wie – wie sehr liebe ich sie!
Und nun – nun ist es doch so gekommen, wie es nie hätte kommen dürfen! Nie –! Was tun, Axel?! Ein Verlöbnis, eine Heirat?! Und – daheim die Eltern, die Schwestern! Und all das andere! Frau Asta – deine Göttin Astarte –!
Neben Axel Randolf hockte die Reue. Ebba Rielke war keine, die man an sich reißt zu kurzem Spiel und wieder von sich stößt; ihr Vater gehörte, obwohl nur Fischer, zu den angesehensten Bürgern der Stadt. Wenn er als Vorstand so und so vieler Vereine oder als Vertreter im Bürgerkollegium öffentlich sprach, lauschte man mit offenen Ohren. Da sprach stets ein kluger, weitsichtiger Kopf, einer, der immer den Nagel auf den Kopf traf, der nie leere Redensarten machte, der seine Sätze mit Scherzen spickte und mit seinen ironischen Nadelstichen. Und wenn seine Einzige durch die Straßen von Braunsande schritt, zogen der Herr Landrat und der Herr Bürgermeister gleich tief die Hüte vor ihr, lächelten ihr zu, gedachten ihrer Jugend und wurden für Minuten jung vor so viel Anmut und Frische.
Axel Randolf war kein Schürzenjäger, überhaupt kein schlechter Mensch; nur schwach, weichlich, ein Spielball der Launen schöner, gewissenloser Frauen, die den jungen, so interessant aussehenden Schriftsteller verhätschelten, weil er eben gerade in Mode war. –
Das, was in dieser Nacht vorgefallen, beunruhigte ihn. Er fühlte, daß diese Neigung zu Ebba mehr war als ein flüchtiger Augenblicksrausch, daß er sie so leicht nicht vergessen würde. Sie war ja so schön, so lieblich trotz allen Ernstes in ihren großen, klaren Augen; sie war mehr, als äußere Schönheit an Wert verleiht: sie war ein Charakter! – Und jetzt – jetzt hätte er die Pflicht gehabt, vor den weißhaarigen, knorrigen Fischer Rielke hinzutreten und zu sagen: ‚Ich liebe Ihre Tochter. Geben Sie mir Ebba zum Weibe!‘
Die Pflicht –! Und – er hätte es wohl auch aus Herzensbedürfnis getan, obwohl er wußte, daß diese Verlobung den Bruch mit seiner Familie bedeuten würde, wenn er imstande gewesen wäre, eine Frau zu ernähren. Aber dazu reichten seine Einnahmen niemals. Er war verwöhnt, und ein Verzicht auf all seine verfeinerten Lebensgewohnheiten hätte für ihn geistigen Ruin bedeutet. Seine Schaffensfreude als Schriftsteller war abhängig von schnell wechselnden Eindrücken, von all dem bunten Treiben, das mit zu der Geselligkeit in Berlin W. gehörte. Sich einschränken, darben vielleicht, – niemals hätte er das ertragen, niemals! –
Er starrte nach der finsteren Wand des Forstes hinüber. Seine Gedanken erhielten jedoch plötzlich eine andere Richtung. Ein neuer Blitz war aufgeflammt, hatte ihm drei – vier Männer gezeigt, die auf Bernd Rielkes Gehöft zuschlichen.
Ein furchtbarer Donnerschlag folgte.
Er hörte ihn kaum. Er überlegte blitzschnell, was er gesehen hatte. Auf seine Augen konnte er sich verlassen. Es waren Leute in Uniform gewesen, wahrscheinlich Zollbeamte, vielleicht auch Landjäger. Was sie vorhatten, war leicht zu erklären; man mußte Verdacht gegen Bernd Rielke geschöpft haben; man wollte ihn beim Einbringen der geschmuggelten Waren abfassen!
Randolf saß sekundenlang regungslos. Ein Gedanke war ihm gekommen, wie er an dem Alten gutmachen könnte, was er an der Tochter heute gesündigt.
Er erhob sich halb, kroch durch die Dünen der Mündung des Baches zu, die Bernd Rielke durch seiner eigenen Hände Arbeit zu einem winzigen Bootshafen ausgebaut hatte. Er paßte genau auf, damit er die Pausen zwischen den einzelnen Blitzen dazu benutzte, einen winzigen Nachen los zu ketten, so ein Ding, das nur aus Brettern zusammengenagelt war.
Da brach der Gewitterregen los. Es goß wie aus Eimern. Axel Randolf lächelte, obwohl er in wenigen Minuten bis auf die Haut durchnäßt war. Er lächelte, denn die Regenflut schuf einen Vorhang zwischen ihm und den Beamten. Mit aller Kraft gebrauchte er die Ruder, steuerte auf gut Glück in die See hinaus. Erst etwa dreihundert Meter vom Lande entfernt fiel ihm ein, wie zwecklos es war, daß er sich der Gefahr aussetzte, bei plötzlich aufkommendem Sturm in diesem gebrechlichen Fahrzeug sein Leben zu verlieren. Aber – etwas wie trotziger Wagemut ließ ihn dann von neuem zu den Rudern greifen. Er wollte den alten Rielke warnen, koste es, was es wolle. –
Der Kutter hatte indessen etwa eine Viertelmeile vom Strande ab Anker geworfen. Rielke und Schneidermeister Tornquist saßen in der engen, stickig heißen Kajüte an dem kleinen Tischchen unter der Petroleumpendellampe und berechneten, was sie bei dieser Schmuggelfahrt wieder verdienen würden.
August Tornquist sah weit eher nach einem wetterfesten Seemann als nach einem Schneiderlein aus. Seine braunen, knochigen Hände lagen zu Fäusten geballt auf der Tischplatte, und seine kleinen Schlitzaugen beobachteten Bernd Rielke, der in seinem Notizbuch lange Rechenexempel aufstellte.
„Dat schmiet7 Geld,“ meinte der Weißbart und schaute den Freund augenzwinkernd an. „So an die fünftausend Märker hat jeder von uns verdient. – August, wir sind reich geworden in diesen letzten Jahren. Du und ich – und der Jan auch. Na – der hatte es nie nötig. Aber uns beiden kam’s so recht zu paß, daß das Pfund Butter bis zu fünfunddreißig Mark hochkletterte und daß wir so allerlei von den Schweden gegen das, was sie übrig hatten, eintauschen konnten. Uns scherte den Deubel kein Valutastand!“ Er schmunzelte und sog an seiner Stummelpfeife.
Mit einem Male reckte er den Hals lang.
„Du – du, das war ein Hilferuf! Bei Gott – es war einer!“
Er sprang hoch, riß die kleine Tür auf.
Und abermals kam über das in Regenschleiern eingehüllte Meer ein schwacher Schrei von irgendwoher.
Tornquist rief ungeduldig: „So laß doch, Bernd. Zum drei Deibel – wir können doch wahrhaftig jetzt keinen Fremden hier auf dem ‚Stößer‘ brauchen!“
Rielke spuckte auf die Treppe. „So – also ersaufen soll einer, nur weil – ah – schon wieder der Schrei. – Los, August, – ich werfe den Motor an! Hol’ den Anker ein –! Sput’ dich!“
Seine dunklen Augen verlangten Gehorsam. Und der Schneider folgte ihm denn auch brummend an Deck.
Der Kutter beschrieb einen Halbkreis.
Da – abermals der Hilferuf. Rielke drückte das Steuer herum, stellte den Motor ab. Und dicht an Axel Randolfs Bretternachen glitt der Kutter vorüber, dicht an dem gekenterten Nachen, an dem Axel, bis zur Brust im Wasser, sich festgeklammert hatte. – –
Bernd Rielke hatte sich weit über den kleinen Tisch gelehnt.
„Herr Randolf,“ sagte er feierlich. „Nie vergesse ich’s Ihnen, daß Sie uns vor den Schnüfflern gewarnt haben – niemals! Ich hab’ bisher – nehmen Sie’s mir nicht weiter krumm! – von Ihnen verflucht wenig gehalten. Diese Fahrt in dem Kahn im Gewittersturm – das war Mannestat, Herr Randolf! Und eine Mannestat noch dazu für Leute, die Sie nichts angehn! Jan und Tornquist kennen Sie kaum. Und ich – ich bin doch nur Ihr Logiswirt – nur! Und dennoch dies Wagnis! Herr Randolf – da hätten tausende sich verdammt lange besonnen! Sie nicht! Das – das verdient Dank, Freundschaft für immer!“
Er griff nach Randolfs Hand. „Herr – sollte es Ihnen mal schlecht gehen im Leben, – dann denken Sie an den alten Rielke. Damit Sie’s wissen – ganz unter uns gesagt: ich den reich! Keiner ahnt’s. Mein Geld liegt daheim im guten Versteck! – Also – Herr, nicht wahr: ich bin der erste, an den Sie sich wenden, falls mal –“
Axel Randolf achtete auf des Alten Worte nicht mehr.
Wie ein helles Licht in trübe Nebel war in seine Gewissensbisse, seine Wünsche und Bedenken das Wort ‚reich‘ als froher, leuchtender Strahl hineingefallen.
Reich – reich war Bernd Rielke! Und Ebba sein einziges Kind! –
Er spürte jetzt den festen Händedruck des Alten; er blickte auf; schaute in die großen Augen des Schmugglers, in diese Augen, die so sehr denen Ebbas glichen.
„Herr Rielke,“ sagte er schnell, „ich – liebe Ihre Tochter. Ich habe mich heute mit ihr verlobt. Und – weil ich in Ihnen meinen Schwiegervater bereits sah, deshalb – warnte ich Sie!“
Der Alte hatte ihm mit einem Ruck seine Hand entzogen, hatte sich wieder ganz weit zurückgelehnt und den Kopf gesenkt.
Minuten vergingen so in drückendem Schweigen.
„Herr Randolf,“ sagte Bernd Rielke dann endlich mit schwerer Zunge, „Herr – Herr, – das gibt nichts Gutes ab! Sie und meine Ebba?! Nein – das ist kein Gespann, das – paßt eben nicht zusammen. Herr – Sie hätten besser getan, rechtzeitig uns zu verlassen. – Ja – und nun, – was nun?! Verlobt haben Sie sich mit dem Mädel – heute! Herr – Sie hören wie das Unwetter tobt –! Das Gewitter steht über uns. Herr – wir von der Wasserkante sind abergläubisch. Sie hätten bei Sonnenschein um mein Mädel freien sollen! – Na – geschehen ist geschehen! Ebba ist dreiundzwanzig – ist mündig. Ich will dem, was sie als ihr Glück betrachtet, nichts in den Weg legen. Aber, Herr,“ – seine Finger tasteten nach Randolfs Hand – „Herr – wenn Sie mir die Ebba je fühlen lassen, daß – daß –“
Er preßte Axels Hand mit eisernem Druck.
„Sie verstehen,“ fügte er dem unvollendeten Satz mit einem ernsten Blick hinzu, „– wenn Ebba unglücklich wird in dieser Ehe, – meine Schuld ist’s nicht! Und – ist’s die Ihre dann, Herr, – der alte Rielke ist – ein – gefährlicher – Feind!“
Wort für Wort betonte er das Letzte.
Axel Randolf lächelte zwanglos. „Aber keine Sorge, Herr Schwiegervater, – wir werden glücklich sein! – So – und damit Sie nun endlich über mich alles wissen: ich heiße nur als Schriftsteller Axel Randolf. Mein eigentlicher Name ist Axel Baron von Randolfström. Meine Familie stammt aus Schweden. Mein Urgroßvater trat in preußische Dienste, wurde General. Und – ich wär’s vielleicht auch geworden, wenn ich fünfzig Jahre früher gelebt hätte. So aber – bin ich der Schriftsteller Axel Randolf jetzt. Und – ich fühle mich leidlich wohl dabei.“
Bernd Rielkes umwölbte Stirn hellte sich nicht auf.
„So – so, – auch das noch!“ knurrte er. „Auch noch Baron! Und – meine Ebba – Baronin!“ Er lachte kurz auf. „Na – was wohl Ihre Sippe zu der Schwiegertochter sagen wird!“
Axel wurde etwas rot. Er trank schnell einen Schluck von dem heißen Grog, den Rielke ihm vorhin gebraut hatte.
„Was die Meinen zu Ebba, zu dieser meiner Wahl sagen werden?“ meinte er dann mit einer Gelassenheit, die nicht ganz echt war. „Ich will ehrlich sein: Meine Sippe ist adelsstolz. Doch Ebba wird mein Weib! Damit haben sie sich abzufinden!“
Die Kajütentür wurde aufgestoßen.
„Bernd – der Blitz hat eingeschlagen am Strande!“ rief der Schneider in einem Tonfall, der den Alten sofort stutzig machte.
„He – am Strande, August? Wo denn?“
„Bernd, Bernd, – ich fürchte, es brennt – bei dir. – Dein Wohnhaus steht in Flammen!“
Rielke taumelte an dem versteckt grinsenden Tornquist vorüber an Deck. Hinter ihm her kam Axel Randolf.
Bernd Rielke stand und stierte hinüber nach dem roten Feuerschein. Der Regen hatte aufgehört. Das Gewitter zog nach Nordost davon.
Und der weißhaarige knorrige Schmuggler flüsterte selbstvergessen:
„Erst die beiden Jungs – die nahm mir die See. Und mein Heim – das nimmt mir nun der Himmel! – Unrecht – Gut – gedeiht – nicht!“ –
Wald, Dünen, Strand, Meer – alles schimmerte blutig rot weithin. Schwarze Gestalten huschten um das brennende Gehöft. Der Sturm trieb die Funkengarben turmhoch, und aus der Scheune, deren Schilfdach längst wie Zunder aufgeflammt war, regnete es glühende Getreidekörner, als ob die Hand eines schadenfrohen Riesen den Weizen und Roggen über das Land ausstreute. Halb verwehte Rufe drangen bis zu dem Kutter hin, der nun selbst rötlich strahlend wie ein Gespensterschiff in den kleinen Hafen einbog.
Am Steuer lehnte Tornquist. Und neben ihm standen Bernd Rielke und Axel von Randolfström, standen Arm in Arm.
Axel preßte Rielkes Hand. „Mut – Mut, – alles läßt sich wieder neu schaffen, was das Feuer dir nahm,“ sagte er tröstend. – Unwillkürlich war ihm das vertraute ‚Du‘ dem zukünftigen Schwiegervater gegenüber zum ersten Male über die Lippen gekommen.
Rielke blieb stumm. In seinem Herzen flackerte die Angst. Hatte wohl Anna den Kasten gerettet? – Wenn nicht, war er ein Bettler fast! –
Der Kutter war bemerkt worden. Ein paar Frauen drängten von der Brandstätte her den schmalen Weg zum Hafen hinab. Eine schlanke Gestalt war allen voraus: Ebba!
Knirschend rieb der Kutter sich am Bollwerk; der Motor verstummte. Rielke stieg schwerfällig an Land.
„Vater!“ schrie Ebba und flog ihm an die Brust, schmiegte sich an ihn, streichelte ihm die bärtige Wange. „Vater –“ flüsterte sie, tapfer die Tränen hinabwürgend.
„Mädel,“ keuchte er hastig hervor, „Mädel – ob die Mutter wohl den kleinen Eichenkasten –“
Er sah, wie sie den Blick scheu senkte. Er verstand. Ein dumpfer Schrei wollte sich losringen aus seiner Kehle. Doch er war stärker als der furchtbare Schlag, den das Schicksal ihm versetzt hatte; nur ein Stöhnen kam aus seiner Brust. Dann legte er seinem Mädel die Hand schwer auf die Schulter.
„Ebba – Mut soll ich haben, meinst du? Das hat mir schon der gesagt, der heute um dich warb und zu dem ich Vertrauen gefaßt habe in dieser Nacht! Ich werde den Mut nötig haben. Ich – bin fast ein Bettler jetzt. Aber – unterkriegen lasse ich mich nicht – gerade jetzt nicht! Den Bernd Rielke halten sie hier in Braunsande für klug. Sie sollen sehen, daß er auch energisch ist – und wie!“
Er reckte sich höher. Seine Gestalt schien zu wachsen.
Ebbas Blicke waren nach dem Kutter geeilt. In ihren Ohren klang nur der eine Satz nach, diese bedeutungsvollen fünf Worte: ‚Der heute um dich warb!‘ – Das konnte nicht Tornquist sein, auch nicht Jan, den der Vater meinte. Das konnte sich nur auf den Mann beziehen, in dessen Armen sie heute geruht, als das Gewitter grollte und die Blitze so fahl über dem Walde aufzuckten.
Sie erkannte Tornquist. Aber der andere Mann, der dort gerade den Kutter vertäute, dieser Mann in dem um seine Glieder schlotternden, viel zu weiten Anzug, – das – das –
Und da gerade richtete Axel sich auf. Sein von den lohenden Flammen rot bestrahltes Gesicht war Ebba zugekehrt. Er hob die Hand, winkte. Und Ebba vergaß das furchtbare Ungemach der letzten Stunden, vergaß alles ringsum vor dieser namenlosen Seligkeit, die in ihrem Herzen aufquoll und alles überflutete – alles, selbst die Gedanken an den Vater, der sich jetzt von ihr losmachte und festen Schrittes den Frauen entgegenging, in deren Mitte sein Weib, gestützt von Jan Tamms Mutter, unsicher daherschwankte.
Ebba hatte nur Augen für den Geliebten; sie gehörte ja zu ihm; sie war sein geworden mit Leib und Seele; und hätte ihn doch ziehen lassen ohne ein Wort der zwecklosen Bitte, sie mitzunehmen in sein ihr fremdes Leben, das ihr nach seinen Schilderungen wie ein phantastischer Roman dünkte. Nein – nie hatte sie erwartet, daß ihre Liebe diesen beseligenden Abschluß finden würde – niemals! Er und sie – ein Brautpaar?! Wer – was war sie denn?! Nur die – Fischerprinzeß! Hier für Braunsande die Fischerprinzeß! Für die Kreise Berlins, in denen Axel verkehrte, nur – eine Fischerdirn, nichts weiter!
Und – als sie sich dies überlegte, beschlich sie die Angst vor der Zukunft, schwand das jubelnde Klingen und Singen in ihrer Brust.
Da war Axel schon neben ihr; legte den Arm um sie.
„Ebba, Liebling,“ sagte er leise. „Ebba – ich habe bei deinem Vater um dich angehalten. Ich verlasse dich nicht. Du bleibst mein Ebba –“
Sie lehnte sich an ihn, schaute zu ihm auf. Ihre Blicke strahlten Liebe, Dankbarkeit, Hingebung. Und doch – in den Tiefen dieser Augen wohnte die heimliche Angst vor der Zukunft.
„Weißt du auch, daß ich – arm bin jetzt, bettelarm?! Daß meines Vaters Vermögen mitverbrannt ist, daß wir nichts – nichts mehr besitzen als den Kutter und den Grund und Boden, auf dem dort jetzt die Trümmer rauchen? Nicht einmal eine Aussteuer werden die Eltern mir geben können –“ Ihre Stimme wurde immer zaghafter. Sie kämpfte mit Tränen.
„Eine – eine Bettelprinzeß hast du gewählt, Axel. Das Gewitter hat uns alles genommen. – Axel – ich kann – ich will nicht dulden, daß du dich an mich kettest. Axel, ich – würde dir vielleicht nur Unglück bringen –“ Ein paar warme Tropfen fielen auf seine Hand. Er hatte den Kopf langsam gesenkt. Ein jäher Schreck preßte ihm das Herz zusammen.
Bettelprinzeß! – Nicht einmal eine Aussteuer! Und – die Seinen daheim! Die Mutter, so kühl vornehm; so unnahbar gegen jeden, den sie nicht für voll ansah oder – von dem sie keine kleinen Vorteile zu erwarten hatte; sein Elternhaus, diese Atmosphäre von veralteten Ideen, von Schein und Trug, vom Glänzen nach außen und Darben und Sparen hinter den Kulissen!
Axel Randolfström zögerte. Er wußte: wenn er jetzt ehrlich war, wenn er Ebba offen eingestand, daß er eine Frau kaum ernähren könnte, daß seine Eltern und Schwestern mit verletzender Kälte die kleine Fischermaid empfangen würden, wenn er sie einen Blick tun ließ in die Schwierigkeiten, die sich dieser Ehe entgegentürmten, – dann würde Ebba verzichten! Sie war ja – ein Charakter, ein reifes, denkendes Weib! – Und – er konnte dann gleich morgen früh abreisen, konnte –
Es sollte nicht sein!
August Tornquists unangenehme Stimme erklang hinter dem Paare:
„He – he, – hab’ schon so was vorhin gemerkt! So was von – Verlobungsluft. Da darf man wohl gratulieren, nicht wahr? – Meinen Glückwunsch also, Fräulein Ebba! Und auch Ihnen, Herr – Herr Baron! – He – he, – ja der August Tornquist wußte längst, was hinter dem Herrn Randolf steckt: ein Baron Randolfström! – Schade nur, daß diese Nacht so – so traurig endet.“ Er blickte auf die rauchende, wüste Brandstätte.
Ebba hatte sich aus Axels Armen schnell frei gemacht. Sie stand mit dem Rücken nach dem Feuer hin, das zuweilen noch immer mit nimmermüden glühenden Zungen hochleckte. Sie schaute den Schneider fest an. Ihre Augen hatten stets schon eine seltsame Macht über die Menschen gehabt. Und August Tornquists Lächeln wurde jetzt immer verlegener, unaufrichtiger. Seine Biedermannsmiene hielt den Blick dieser großen, klaren Augen nicht aus.
„Sie sind der erste, der uns beglückwünscht, Herr Tornquist,“ sagte sie langsam. „Sie sind Vaters bester Freund. Beweisen Sie, daß Ihre Wünsche für uns beide aus ehrlichem Herzen kommen! Helfen Sie Vater, daß er sich wieder emporarbeitet. Er hat alles – alles verloren.“
Tornquists Herz schlug schneller. Er begriff: Alles verloren! Ja – Bernds berühmter Eichenkasten! So gegen zweihunderttausend Mark hatten darin gelegen! Und – jetzt waren sie Asche geworden – Asche – ein Nichts! – Seine Eifersucht, diese tolle, wahnwitzige Eifersucht eines alternden Mannes, der die frische Jugend begehrte in ungezügeltem Verlangen, – diese heute so plötzlich erwachte Eifersucht, bisher klug verborgen und umhängt mit erlogenen Glückwunschphrasen, sie erstarb ganz plötzlich. Zwei Gefühle hatten nicht Raum in des Schneiders leidenschaftzerwühlter Seele. Er glaubte sich durch Bernd belogen und betrogen; hatte so bestimmt damit gerechnet, daß Bernd ein Machtwort sprechen würde und Ebba zwingen, die Seine zu werden. –
Die Eifersucht erstarb. Aber höher, mächtiger noch wuchs dafür eine andere düstere Giftpflanze in seiner Seele empor, füllte sie aus bis zum letzten, tiefsten Winkel: Rachedurst – heimtückisch, schlau sich versteckt haltend bis zum letzten Schlage, der Bernd Rielke dann vollends vernichten sollte.
„Helfen?“ meinte er und nickte bedächtig mit dem Kopf. „Das ist wohl selbstverständlich, Fräulein Ebba. So weit ich’s vermag, soll alles geschehen –“
Was geschehen sollte, ließ er offen. Und nur in seinem Innern kicherte der rachsüchtige Hohn: ‚Alles geschehen, euch beiden, dir und deinem Vater, heimzuzahlen, daß ich – nicht gut genug war für die Fischerprinzeß!‘
Er reichte Ebba die Hand, dann auch Axel.
„Auf mich ist Verlaß!“ fügte er hinzu.
Axel glaubte an des Schneiders Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit; er war ja überhaupt ein so schlechter Menschenkenner; war so leicht zu täuschen; hielt sich nur für welt- und menschenkundig, weil er in seinen Novellen die Charaktere so scharf zu zeichnen wußte.
„Wir danken Ihnen herzlich für den Glückwunsch,“ sagte er und drückte Tornquists Rechte.
Dann schritten sie zu dreien der Brandstelle zu.
Arm in Arm ging das Brautpaar; trat so unter die Neugierigen, die in Gruppen um die gerettete Habe standen.
Auf einem Küchenstuhl saß zusammengesunken Frau Anna Rielke.
Das Brautpaar näherte sich ihr. Da hob sie vor dem Flüstern und Tuscheln um sie her den Kopf, schaute Ebba an, schaute Axel an. Ihre Blicke blieben auf Randolfström haften. Ihr blasses, verweintes, in dieser Nacht um ein Jahrzehnt gealtertes Gesicht änderte den Ausdruck. Stille Feindseligkeit predigten die zusammengepreßten Lippen, die Falten auf der Stirn.
„Mutter, ich bringe dir meinen Verlobten,“ sagte Ebba laut und fest.
Die grauhaarige Frau verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln.
„Du bringst dein Unglück!“ sagte sie hart. „Ja, das bringst du mir! – Und Sie – Sie –“ – ihre Blicke hatten Axel nicht losgelassen – „Sie hätten unsere Gastfreiheit auch anders lohnen sollen als durch diese – diese Liebelei!“
Müde und schwerfällig erhob Frau Anna sich, reckte den Arm gegen die Verlobten aus.
„Was hier geschehen – nie werde ich es gut heißen, – nie – nie!“ rief sie überlaut. „Mein Segen wird nie –“
„Mutter!“ fiel ihr da ihres Mannes Stimme ins Wort.
Bernd Rielke war mit dem Herrn Bürgermeister soeben von einem Rundgang um das Gehöft zurückgekehrt.
„Mutter – was soll das?!“ fragte der wetterharte Mann fast drohend. „Willst du in dieser Nacht auch noch unser Familienglück zerstören?! Willst du einen Keil treiben zwischen dich und das letzte deiner Kinder?! Ich denke, wir haben schon genug verloren!“
Im Gasthof ‚Zum Winkel‘ bei Johanna Tamms Vater fanden die Rielkes und Axel Unterkunft. Dicht am Leuchtturm lag das Tammsche Anwesen. Vor dem weißgestrichenen, blitzsauberen Hause zog sich ein schattiger Garten, besetzt mit zahlreichen Tischen und Stühlen, bis zum Fischerhafen von Braunsande hin.
Die Nacht war vorüber, die Bernd Rielke zum Bettler gemacht hatte. Dicht am Gartenzaun hatte Mutter Tamm für die neuen Gäste den Frühstückstisch gedeckt, abseits von denen ihrer anderen ‚Herrschaften‘, der zahlenden, alles so teuer bezahlenden Badegäste.
Mutter Tamm war vielleicht die einzige von Rielkes Bekannten, die sich über die ‚feine‘ Verlobung freute. Sie wußte, ihr Jan war ja hinter der Ebba seit Jahren her, ließ den Kopf hängen, weil die Fischerprinzeß in ihm immer nur den Jugendfreund sehen wollte. Sie hatte deshalb manch harten Strauß mit dem eigenwilligen Jan gehabt. Sie fühlte längst mit echt weiblichem Instinkt heraus, daß ihr stattlicher Junge hier umsonst warb. Und – daß er der Ebba wegen sich bei Bernd Rielke als Kuttermatrose in Dienst gegeben, daß er immer so finster und freudlos einherschlich, – das trug sie Ebba nach. Mehr noch – auch sie haßte das blonde Mädchen insgeheim; sie war nie freundlich zu ihr. Denn Schauspielern war nicht ihre Sache. Aber ihre tiefe Abneigung verbarg sie doch. Und – nun war dieser stille Haß weggewischt; nun würde der Jan wieder aufleben, würde die Ebba vergessen. Deshalb war sie so schnell bereit gewesen, den Rielkes Obdach zu gewähren, obwohl sie doch jetzt Anfang August das Haus noch voller Sommergäste hatte. –
Ebba kam aus ihrer Dachkammer herunter, schritt durch die Tischreihen, fühlte die neugierigen Blicke der Fremden, dankte für die Grüße mit verlegenem Kopfneigen und setzte sich neben ihren Verlobten, der bereits mit den Eltern auf sie gewartet hatte.
Hohläugig, übernächtig, stumm und insichgekehrt saßen die vier Menschen da, die nun fortan durch die Bande der Verwandtschaft zusammengeschmiedet waren, – die drei Rielkes und der Baron von Randolfström.
Selbst Bernd Rielke blieb schweigsam. Er hatte bereits mit Hermann Tamm vorhin in der Gaststube über so manches gesprochen, – über ein Darlehn, damit er schnellstens sein Gehöft wieder auferstehen lassen könnte. Und der dicke Tamm, der morgens schon nach Kognak roch und der die Zahnbürste stets durch einen Schnaps ersetzte, hatte so ausweichend mit ‚Na – wollen mal sehen, – viel Bares hab’ ich auch nicht parat‘ geantwortet.
Das ging dem weißbärtigen Schmuggler nun durch den Kopf. Aber – er wollte sich ja nicht unterkriegen lassen! Nein – er wollte nicht –!
Er schlug mit der Faust leicht auf den Tisch.
„Den Deubel auch!“ meinte er und schaute die Seinen nacheinander an. „Macht andere Gesichter! Mit Kopfhängen ist nichts getan! – Besonders ihr beiden. Axel und Ebba, – euch soll das Unheil von gestern nicht das junge Glück vergällen. – Schwiegersohn, was ich sagen wollte, – hm ja; wie denkst du nun eigentlich so über die Zukunft? Ich bin ein armer Mann geworden. Ihr werdet warten müssen, bis ich wieder so weit bin, daß ich die Ebba aussteuern kann. Nach meinem Geschmack sind freilich lange Verlobungen nicht! Im Gegenteil, es kommt nichts heraus dabei. Meist sogar so ‘n kleines Malheur! Ihr versteht wohl!“
Ebba war blutrot geworden. Aber Axel hatte ihre Hand in der seinen, drückte sie zärtlich, als wollte er ihr zeigen, daß er sie nur noch mehr liebe, weil – das kleine Malheur schon geschehen.
„Schwiegervater,“ sagte er fest, „auf die Aussteuer warten wir nicht. Wir bestellen das Aufgebot so bald wie möglich. Dann heiraten wir hier in aller Stille, und dann nehme ich Ebba gleich mit mir nach Berlin.“
Zur selben Zeit saßen in Tamms Wohnstube Jan und Schneider Tornquist neben dem alten Tamm am wachstuchüberzogenen Tisch.
„Der Bernd hofft wohl, durch die nächtlichen Geschäfte schnell wieder hochzukommen,“ meinte August Tornquist achselzuckend. „Na – ich für meine Person mache nie mehr mit. Ich habe genug davon. Und du, Jan, – du solltest dich auch von derlei Dingen fernhalten in Zukunft! Hör’ auf mich!“
Jans finsteres Gesicht wurde noch düsterer. „Werd’ mich hüten, nochmals was zu riskieren!“ sagte er kurz.
Und sein Vater fügte hinzu: „Wärst auch ein Schafskopf, Jan! Wo dir doch die Ebba jetzt gezeigt hat, wie sie dich am Narrenseil rumgeführt hat, dich – dich verliebten Schmachtlappen! War der Lockvogel, die Ebba, mit der der Bernd die Schmugglergenossen warb! Ihr beide, Tornquist und Jan, – ihr seid schöne Narren gewesen!“
Der Schneider hob die Schulter. „Bah – wir waren’s. Aber – der Bernd wird ja erleben, was dabei rauskommt, wenn man nach ‘nem Baron als Schwiegersohn angelt! – Hm – ich hab’ gerad’ kein Geld flüssig für ihn. Du etwa, Tamm? – Jeder ist sich selbst der Nächste! Woraufhin soll man dem Bernd jetzt wohl Geld leihen, he?“
Jan schaute Tornquist prüfend an. Erklärte dann mit offener Geringschätzung: „Du, Tornquist, – das wär’ ‘ne Schuftigkeit, den Alten jetzt im Stich zu lassen! Mit dem Schmuggleln – daß man da nicht mehr mitmacht, – das steht auf ‘nem andern Blatt! Aber – die Taschen zuknöpfen jetzt, wo’s ihm so schlecht geht – das – wär’ ‘ne Gemeinheit!“
Er stieß den Stuhl hart auf und verließ die Stube.
Frau Asta Henning schaute den berühmten Arzt voll an.
„Herr Professor, bitte, die Wahrheit! – Sie kennen mich und die Geschichte meiner Ehe. Ganz Berlin W. kennt sie. Es ist kein Geheimnis, daß Asta Kornelsen vor fünf Jahren als Achtzehnjährige den um dreißig Jahre älteren Kommerzienrat Henning heiraten mußte, um ihren Vater vor dem Ruin zu retten. Ich war damals zu jung, um die ganze Tragweite dieser – dieser Rettungsaktion mir klar machen zu können.“
Sie schwieg einen Augenblick, sprang dann auf und schritt über den seidig glänzenden Perser mit hastigen, gleitenden Schritten dahin, durchquerte mehrmals den mit raffiniertem Luxus ausgestatteten Damensalon, blieb schließlich vor dem würdigen, älteren Herrn mit dem tadellos gepflegten Sudermannbart stehen und flüsterte in mühsam verhaltener Leidenschaftlichkeit:
„Ich habe in dieser Ehe gelitten wie wohl selten ein junges Weib, das an einen zwischen Alkohol und Sinnenlust hintaumelnden Gatten gekettet ist. Meine Seele ist zerfleischt worden von Gedanken einer ohnmächtigen Rachsucht. Der Herr Geheime Kommerzienrat Henning war ein Satan in Menschengestalt – und er war mein Mann!“
„Aber – aber, – meine Gnädige!“ wehrte der Herr Professor mit einer sehr wirkungsvollen Geste seiner schlanken, schönen Hände ab. Er blieb eben immer Komödiant, und nie hätte er es zu einer Professur gebracht, nie wäre er eine Zelebrität auf medizinischem Gebiet geworden, wenn er es nicht verstanden hätte, die Frauen für sich zu gewinnen, – natürlich die Frauen, deren Männer in leitenden Staatsstellungen sich befanden.
Asta stampfte temperamentvoll mit dem Fuße auf. Ihr mageres, bleiches Gesicht mit der messerscharfen, leicht gebogenen Nase, mit diesen wundervollen, leuchtend roten Lippen und den dunklen, lebhaften Augen verriet Ungeduld und Ärger.
„Bitte, – die Wahrheit!“ stieß sie leise hervor. „Mir gegenüber sparen Sie sich dieses bei anderen vielleicht recht wirkungsvolle Gehabe, Herr Doktor Pauli!“
„Was – was heißt das?“ sagte der Professor streng. „Meine Gnädige, es scheint mit Ihren Nerven –“
„– nicht schlechter bestellt zu sein als sonst, – ganz recht! – Also – bitte –!“
Der Professor erhob sich. „Sie gestatten, daß ich mich verabschiede, Frau Geheimrat,“ meinte er eisig. „Der Schlaganfall, an dem Ihr Gatte daniederliegt, hat offenbar Ihre Gemütsverfassung recht nachteilig beeinflußt.“
Er verbeugte sich, schritt zur Tür. Aber Asta Henning vertrat ihm den Weg.
„Herr Doktor Pauli,“ flüsterte sie, und in ihren Augen glomm ein drohendes Funkeln auf, „Sie sind einer der zahlreichen Freunde meines Mannes, vielleicht in vielem sein Vertrauter. Ich – habe an der Tür des Krankenzimmers gelauscht. Mein Mann verlangt einen Notar. Sie sollen den Justizrat Herbesheimer sofort zu meinen Manne führen. Was dieser beabsichtigt, weiß ich: Er will in seiner krankhaften Eifersucht ein Testament aufsetzen lassen, das mir eine zweite Ehe so gut wie unmöglich macht. – Herr Doktor Pauli, wenn Sie den Justizrat wirklich holen, wenn Sie meinem Manne nicht nach einer Stunde erklären, Herbesheimer sei verreist und könne erst nach drei Tagen erscheinen, wenn Sie dann nicht hinzufügen, es eile ja mit dem Testament nicht so sehr, da Sie meines Mannes Zustand jetzt für unbedenklich hielten, dann – dann –“
Sie beugte sich vor, flüsterte weiter.
Professor Pauli prallte zurück. Sein Gesicht verzerrte sich. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
„Wir sind ja alle so etwas Intriganten,“ fuhr Asta dann etwas lauter fort. „Bei mir handelt es sich darum, daß ich einen Mann, den ich über alles liebe, heiraten will und daß ich diesem Manne eine glänzende Zukunft bieten möchte. Ich kenne ihn: Luxus und bis ins kleinste verfeinerten Lebensgenuß braucht er wie der Fisch das Wasser –“
Der Professor hatte einen Namen vor sich hingesprochen.
„Axel Randolf?“ wiederholte Frau Asta. „Vielleicht haben Sie recht –“
Sie blickte den würdigen Herrn durchdringend an.
„Nun – Ihre Entschließung?“ fragte sie langsam.
Der Professor kniff die Lippen zusammen. Dann meinte er gleichgültig:
„Der Scherz vorhin war etwas abgeschmackt, meine Gnädige. Ich empfehle mich.“
Asta lachte leise auf. „Schade, daß Ihre Kenntnis des Strafgesetzbuchs so gering ist! Das – das verjährt erst in dreißig Jahren, Herr Doktor Pauli. Und – es steht Zuchthaus darauf. – Es wird jedenfalls eine ungeheure Sensation geben, wenn unsere Zeitungen morgen berichten: Professor Doktor Gerhard Pauli ist wegen Verbrechen gegen das keimende Leben verhaftet worden. Die gegen ihn sprechenden Beweise sind derart belastend, daß – und so weiter –“
Pauli packte plötzlich Astas Handgelenk. Seine hohe Gestalt schien noch zu wachsen.
„Sie sind wahnsinnig!“ zischte er. „Wissen Sie, was es bedeutet, mich zum Feinde zu haben?!“
Ein girrendes, harmloses Lachen. „Gewiß weiß ich’s! Frauen hoben den Doktor Pauli auf den Lehrstuhl an der hiesigen Universität, Frauen verdankt er alles! Und – da soll eine Frau wie ich ihn fürchten?!“
Er gab ihre Hand frei. Eine knappe Verbeugung.
„Gut, Frau Asta, – wie Sie wollen. Axel Randolf wird eine vierzigfache Millionärin zur Frau bekommen. Ihr Gatte erlebt den Abend nicht mehr. Das Herz ist zu schwach.“ –
*
Vier Tage drauf kam Frau Asta von der Beerdigung in Begleitung ihrer Eltern und ihres einzigen Bruders in die Grunewaldvilla zurück.
Sie sah blendend schön in der Witwentracht aus. Erwin Kornelsen, der jüngste Handelsredakteuer vom Berliner Kurier, meinte scherzend: „Asta – Du solltest dich als Reklame in das Schaufenster des Bergmannschen Trauermagazins stellen! Das würde ziehen!“
Aber Asta war in sehr ungnädiger Laune, klingelte nach der Zofe und fragte heute schon zum dritten Male nach eingegangenen Briefen.
Und – endlich – endlich ein Schreiben von ihm, – endlich, seit Wochen wieder das erste Lebenszeichen!
Sie ging in den Damensalon, riß den Trauerumschlag auf, faltete den großen schwarzumränderten Bogen auseinander.
Schon nach den ersten Zeilen weiteten sich ihre Augen. Ihre Zähne gruben sich mit so starkem Druck in die Unterlippe ein, daß ein Blutstropfen hervordrang.
Sie setzte sich ans Fenster auf einen der vergoldeten Stühle; las nochmals von Anfang an, las ganz langsam, Wort für Wort abwägend, prüfend –
Braunsande, den 16. August 19..
Asta !
Du wirst nicht verlangen, daß ich Dir zu dem Tode Deines Mannes mit den üblichen Phrasen mein Beileid ausspreche. Wir beide stehen nicht so fremd miteinander, daß in diesem Falle der Gesellschaftsmensch den mitfühlenden Freund verdrängen müßte.
Du bist jetzt frei. Dein Brief an mich war wie ein Schrei der Erlösung. Niemand kann Dich deswegen anklagen. Du bist frei, und ich will Dir in dieser Stunde, wo ich nur an Dich denke und mir all das ins Gedächtnis zurückrufe, was Du mir geschenkt, nochmals von Herzen danken für alles – alles! Du verstehst; nur Du weißt, was dieses ‚Alles‘ umfaßt! – Als ich mich von Dir im Juni verabschiedete vor meiner Sommerreise hier nach Braunsande, hast Du so lieb meine Hände in die Deinen genommen und gesagt: ‚Axel, – diese Wochen, in denen wir getrennt sind, sollen uns beiden helfe, uns an den Gedanken zu gewöhnen, daß es nach Deiner Rückkehr zwischen uns nur noch Freundschaft geben darf. Mein Mann hat fraglos Verdacht geschöpft. Meine Bemühungen, bei den Zeitungsredaktionen günstige Besprechungen Deiner Novellenbände durchzusetzen, geschahen vielleicht mit allzu viel Eifer und – Kosten. – Kurz; wir müssen verzichten lernen!‘
So sagtest Du. – Daß das Schicksal mit uns beiden dann ein so herzloses Narrenspiel treiben würde, wie es jetzt geschehen, ahnten wir nicht.
Asta – ich habe mich vor wenigen Tagen hier verlobt. Mit einem schlichten Naturkinde, mit einer Fischerstochter. Und – ich kann und will dieses Verlöbnis nicht lösen. Ich möchte nicht vor mir selbst als Lump gelten. – Wozu soll ich Dir schildern, wie dieses Verlöbnis zustande kam?! – Jedenfalls: ich bin nicht mehr frei! Meine Zukunft gehört Ebba Rielke. Und meine Zukunft wird – Arbeit sein, angestrengteste Arbeit, um sie und mich zu ernähren.
Leb’ wohl, Asta, – leb’ wohl, meine Göttin Astarte, die so oft meiner Phantasie Flügel verliehen hat! Ich werde Dich nicht vergessen! Bleib’ mir Freundin, Gönnerin! Der Kampf ums Dasein wird hart für mich werden. Halte Deine wohlwollende Hand weiter über mir – und vergiß, daß – und wie ich Dich küssen durfte!
Axel
– Frau Asta hob den Bogen. Eine schnelle Bewegung der Hände. Und in das Geräusch des mitten durchreißenden Briefes mischte sich ein Auflachen, vor dem auch Männern der Herzschlag gestockt hätte.
*
Herbst – –
Der Abendwind jagte die welken Blätter und allerlei Papierfetzen über den Nikolsburger Platz, schüttelte die kahlen Sträucher und Bäume und rüttelte an den Fenstern der beiden Vorderzimmer, die zu Axel Randolfströms Wohnung im vierten Stock eines älteren Hauses gehörten.
Ebba hatte den Abendbrottisch schon vor einer Stunde gedeckt, wartete nun auf Axel, saß im Dunkeln in seinem Arbeitszimmer in dem tiefen, weichen Klubsessel und – sehnte sich nach irgend etwas.
Nach Axel? – Sie dachte darüber nach. – Nein – nach der Heimat sehnte sie sich; nach ihrem Freunde, diesem oft so launischen, ungebärdigen Freunde, – nach der weiten, rauschenden See.
Ebba saß und hielt die Augen geschlossen.
Ein Regenschauer prasselte jetzt gegen die Scheiben.
Und – jetzt würden daheim in Braunsande die Herbststürme toben, würden die Wogen anrennen gegen die steinerne, endlose Schlange, gegen die Ostmole, würden ihren Gischt hinübersenden bis in das Wasser des Flusses hinein, würden ihr gewaltiges Toben weithin schicken in das Land und mit dem hochstämmigen Walde um die Wette rauschen und raunen in gewaltiger Melodie.
Ebba seufzte. So einsam fühlte sie sich hier in dem großen Berlin – so furchtbar einsam. Zwei Monate lag ihre Hochzeit nun zurück, diese bescheidene Hochzeit in Tamms Gasthof, diese Feier, bei der Axel still und blaß an der ärmlichen Hochzeitstafel neben ihr gesessen hatte. Erst in der Eisenbahn war er gelöster geworden. Mit dem Morgenzuge, der Braunsande um vier Uhr verließ, waren sie damals abgereist; waren gegen neun Uhr vormittags dann in Axels bisherigem Junggesellenheim angelangt, wo nichts – nichts zum Empfang des jungen Paares vorbereitet war. Wo keine Blume, kein blühender Strauß sie erwartete, sondern nur der Geruch der eingemotteten Möbel und Teppiche stickig die Zimmer füllte.
So hielt Ebba ihren Einzug. Axels Eltern und Schwestern hatten ihre Drohung wahrgemacht: Axel existierte für sie nicht mehr! Und – wer hätte sonst wohl noch dafür sorgen sollen, daß die junge Frau nicht sofort an die Arbeit gehen mußte, um in der Wohnung Ordnung zu schaffen?! Den Hauswart hatte Axel hiermit nicht betrauen wollen. Die Leute hatten fünf Kinder, und man sagte ihnen nach, daß sie nicht ehrlich seien. Und Axels bester Freund, der Amtsrichter Gruber, war auf Sommerurlaub in Thüringen.
Nachmittags waren sie dann in einem Möbelgeschäft gewesen und hatten zwei eiserne, weißlackierte Betten gekauft, – die billigsten, die sie fanden.
Billig! Sparen! – Die beiden Worte waren das Motto dieser Ehe vom ersten Tage an! Deshalb saß Ebba jetzt auch im Dunkeln. Das elektrische Licht war so teuer; deshalb fröstelte Ebba auch. Denn das Heizmaterial war noch teurer. –
Ebbas Gedanken glitten unwillkürlich rückwärts in diese junge Vergangenheit, umspielten nun Axel, – den Ehemann Axel! Und – da wurde es Ebba wieder etwas leichter ums Herz. Da glaubte sie, daß ihr Sehnen jetzt doch ihrem Manne galt.
Ja – lieb war er stets zu ihr; so nachsichtig, so gütig; ein so zartfühlender Lehrer in all den Dingen, die sie sich aneignen mußte, um seiner würdig zu werden. Sie wollte nicht, daß er sich ihrer irgendwie einmal schämen müßte. Er sollte sich überall mit ihr zeigen können.
Lieb und zärtlich war er! Darüber hatte sie wirklich nicht zu klagen. Nur – nur verheimlichen tat er ihr vieles. Dahinter war sie sehr bald gekommen. Oft fühlte sie, daß er sie belog, wenn er ihr sagte, er sei da und dort gewesen. Immer waren es Zusammenkünfte mit einflußreichen Zeitungsredakteuren, mit Verlegern und dergleichen. Und – doch hatte Ebba in seinem Mantel häufig Straßenbahnfahrscheine gefunden, die bewiesen, daß er in Steglitz gewesen, wo – seine Eltern wohnten.
Sie wußte längst, wie stark das Familiengefühl bei ihm entwickelt war, wie sehr er an den Seinen hing. Hatte er sich heimlich mit seinen Eltern ausgesöhnt? Und – was wollte er so oft bei ihnen? Weshalb – belog er sie, weshalb hatte er nicht den Mut, ihr offen zu gestehen, daß er seine Eltern besucht habe?
Mehr noch an Heimlichkeiten. Er mußte schwere Enttäuschungen mit seinen Arbeiten, seinen Novellen erlebt haben!
Er hielt Ebba wohl für kurzsichtiger, als sie es in Wirklichkeit war. Er nahm an, sie wüßte nicht, was es bedeutete, wenn so und so oft dicke Briefe ‚eingeschrieben‘ vom Postboten gebracht wurden.
Oh – sie ahnte nur zu gut, daß man ihm seine Manuskripte zurückschickte; daß diese eingeschrieben Briefe der Grund für seine trübe Stimmung, seine Wortkargheit waren; daß er in diesen acht Wochen ihrer Ehe so gut wie nichts an Einnahmen erzielt hatte und daß – seine goldene Uhr nebst Kette seit vier Tagen wahrscheinlich auf einem Leihhaus lagen.
Ebba erkannte alles, was um sie her vorging, sehr gut in seiner wahren Bedeutung. Und so häufig packte sie dann, wenn sie nachts mit offenen Augen dalag und nicht einschlafen konnte, eine quälende, mit Selbstvorwürfen vermischte Angst, daß sie vielleicht an diesen Fehlschlägen Axels schuld sei, daß er jetzt, wo er so ganz zurückgezogen lebte, wo sie beide nur nachmittags einsame Spaziergänge machten, nicht genug Anregung hätte, um etwas Gutes schaffen zu können.
In den letzten drei Wochen war es auch immer häufiger vorgekommen, daß er erst gegen Morgen von seinem Schreibtisch aufstand, daß Ebba ihm abends starken Tee aufbrühen mußte, damit er sich munter hielt. Er war blaß und mager geworden. Aber ihre Bitten, diese gesundheitsschädliche Nachtarbeit einzustellen, hatte er stets mit einem leicht bitter klingenden ‚Kind – ich muß! Wir wollen doch leben!‘ zurückgewiesen. –
Ebba prüfte in dieser Stunde sein Benehmen ihr gegenüber zum ersten Male wie eine dieser Ehe Fernstehende; schaltete sozusagen ihre Liebe zu Axel aus, damit dieser nie ermüdende Zärtlichkeitshunger ihr den klaren Blick nicht trübe.
Zum ersten Male an diesem regnerischen, kalten, unfreundlichen Herbstabend. Und – sah nun plötzlich zu ihrem eigenen Entsetzen die Dinge in ganz anderem Lichte, stellte sich aus Kleinigkeiten in seinem Verhalten ein Bild von Axels wahrer Gemütsverfassung zusammen, das so trostlos grau in grau schimmerte, wie sie es bis dahin nie gesehen.
Er litt – er litt unter dieser Ehe! Er litt, weil er zu plötzlich sich losgesagt hatte von all seinen früheren Lebensgewohnheiten, die er aufgeben mußte, da er nun für zwei Menschen zu sorgen hatte, da sein Weib nicht hineinpaßte in die Kreise, in denen Axel Randolf stets ein gern geladener Gast gewesen. –
Ebba hatte die Hände im Schoße gefaltet; starrte hinein in das Dunkel des großen Zimmers, sah die Marmorbüste des Dichters Dante dort in der Ecke auf der schwarzen Säule wie ein Geisterantlitz matt leuchten als einziges, das sich aus der Finsternis abhob.
Und die Tränen kamen, die ersten Tränen in dieser Ehe, – Tränen und Schluchzen, ein Beben des ganzen jungen Leibes, ein wachsendes Gefühl des Verlassenseins, ein niederdrückendes Schuldbewußtsein.
Sie – nur sie trug hier die Schuld! Nur sie! Er hatte als Ehrenmann gehandelt! Sie aber hätte – verzichten müssen, sie hätte die Verständige, Weitsichtige sein müssen!
Verzichten – verzichten bei all dem Übermaß von Liebe, das damals ihr Herz erfüllt hatte?! Ach – das war selbst für sie zu schwer gewesen! Nur zu gern hatte sie alle Bedenken mit den besten Vorsätzen verscheucht, ihm als sein Weib mehr zu sein, mehr zu werden als jede andere es gekonnt hätte! So mutig, so selbstbewußt war sie die Seine geworden und auch gewesen – vielleicht fünf – sechs Wochen lang. Dann war die Angst herangeschlichen wie ein drohendes Gespenst; dann waren Ebbas Küsse matter geworden, dann drängten sich selbst in seinen Armen allerlei quälende Gedanken in ihre Seele und machten ihre Liebkosungen, ihre Leidenschaftlichkeit schal und nahmen ihnen jene lodernde Glut, die Axel so oft stammelnde Worte köstlichen Entzückens hatte finden lassen. –
Ebba horchte auf. Die Standuhr holte surrend zum Schlagen aus, schlug dumpf und doch so klangvoll die neunte Stunde.
Neun Uhr bereits! Und – Axel noch immer nicht zurück.
Sie trocknete die feuchten Wangen, erhob sich, schaltete die Schreibtischlampe mit der grünen Glocke ein, ließ sich müde in den Sessel fallen.
Seit fünf Uhr war Axel unterwegs. Zum Harmonie Verlag hatte er fahren wollen. – Und um sechs war dann der Postbote gekommen mit drei Briefen, darunter wieder ein eingeschriebener, ein zweiter mit steiler Damenhandschrift auf dem Umschlag, parfümduftend, und der dritte von Amtsrichter Doktor Gruber, wie auf der Rückseite vermerkt stand – von Gruber, den Ebba noch immer nicht kennen gelernt hatte.
Von daheim kein Brief. Trotz der dringenden Karte, die sie doch vor fünf Tagen an die Mutter geschrieben hatte.
Der Vater schrieb nie. Er hatte keine Zeit; er half bei dem Neubau, der nun wohl schon bezogen worden war. Die Mutter mit ihrer ungelenken Hand beschränkte sich auf karge Mitteilungen im Depeschenstil; daß nur der Jan Tamm und der als Wucherer verschrienen Getreidehändler Jakob dem Vater Geld vorgeschossen hätten; daß August Tornquist sich von ihnen ganz zurückgezogen und ein großes Wäschegeschäft eröffnet habe; daß der Vater bereits wieder dreimal ‚unterhalb Rügen gefischt‘ habe, – das hieß, nach Schweden hinübergefahren sei, – daß er zwei neue Matrosen jetzt für den Kutter hätte, junge Leute, die Tod und Teufel nicht fürchteten. –
Frau Anna Rielkes letztes Schreiben war vor anderthalb Wochen eingetroffen. Seitdem hatte Ebba aus Braunsande keinerlei Nachricht mehr erhalten. –
Sie nahm den schwarzumränderten Brief in die Hand und sog den Parfümduft ein. Wer – wer mochte wohl die Absenderin sein? Eine Frau – das verriet die Schrift.
Ebba wußte nichts von Asta Henning; nichts von den anderen Frauen, die Axel näher gestanden hatten. Er hatte ihr nie gebeichtet, wie dies andere Ehemänner wohl tun. Ebba hatte auch nie nach seiner Vergangenheit gefragt. Sie hätte nie begriffen, daß all das wahr sein könnte, was sie hier in den Romanen gelesen, die in Axels Bücherschrank standen, – daß Frauen ihre Männer betrogen, daß es Frauen gab, die die Liebhaber jeden Monat wechselten.
Der parfümierte Brief regte die ersten eifersüchtigen Gedanken an. Sie erinnerte sich jetzt, daß Axel, bevor er ihr damals nach ihrem Ein–treffen in der Wohnung die Zimmer gezeigt hatte, allein in sein Arbeitszimmer gegangen war und daß sie nachher an den Staubspuren gemerkt hatte, wie viele Bilder er schnell noch entfernt hatte. Fünf waren’s gewesen, fünf Bilder in Rahmen! –
Ebba hätte zu gern gewußt, was dieser eine Brief wohl enthielt; dieses Schreiben von Damenhand.
Es war nicht Neugier. Es war mehr: es war Eifersucht. Und Eifersucht ist verstecktes Mißtrauen; ist der Argwohn, die Liebe mit einer Anderen teilen zu müssen.
Ebba prüfte den Poststempel.
Grunewald! – Also die Villenkolonie Grunewald, wo sie so oft schon spazierengegangen waren und wo –
Frau Ebbas Augen weiteten sich einen Moment.
Ja – wo eines Abends eine sehr elegante, schlanke Dame in Trauer gerade unter einer Laterne ihnen begegnet war!
Und – damals hatte Axel plötzlich seine Schritte beschleunigt, war verstummt, hatte auf Ebbas Frage kurz entgegnet: ‚Eine Frau Geheimrat ist’s. Ich kenne sie flüchtig –‘
Ebba fühlte, daß jetzt der Versucher hinter ihr stand, daß ihre Finger zuckten, nach dem Brieföffner greifen wollten.
Und – der Versucher flüsterte ihr zu: ‚Siehst du denn gar nicht, daß die Briefklappe so schlecht zugeklebt ist?! Daß sie sich schon öffnen wird, wenn du den Umschlag nur etwas biegst?!“
Da – war der Brief auch schon offen. Hastig zog sie den gefalteten Bogen hervor. –
Berlin – Grunewald, den 29. Oktober 19..
Lieber Baron !
Zu meinem aufrichtigen Bedauern muß ich Ihnen mitteilen, daß ich bei dem Verleger Schinkler nichts ausgerichtet habe. Schinkler erklärte mir – bitte, nehmen Sie meine Offenheit als von einer alten Freundin kommend so hin, wie sie gemeint ist, – als Mahnung, rechtzeitig wieder in die frühere Lebenskurve einzubiegen! – daß Ihre letzten sechs Novellen nur allzusehr den Stempel handwerksmäßigen Schaffens trügen und sich zur Veröffentlichung in Buchform nicht eigneten. Schinkler meint, Sie lebten jetzt wohl zu sehr als Eremit, oder besser als Flitterwochen-Ehemann.
Falls Sie mir Ihre Gattin nun nicht endlich zuführen, komme ich eines Tages uneingeladen zu Ihnen. Sie wissen, ich drohe nie umsonst.
Ich hätte gewünscht, dieser erste Brief nach jener nach Braunsande gerichteten Todesanzeige hätte für sie Angenehmeres enthalten!
Ich bleibe Ihre wohlmeinende Freundin
Astarte
Astarte – Astarte?! – Noch nie hatte Ebba diesen Namen gehört. Oder doch?! – Dunkel besann sie sich auf irgend etwas, daß diesen Namen mit irgend einer heidnischen Religion verband.
Sie klebte schnell den Brief sorgfältig zu. Dann suchte sie im Lexikon nach ‚Astarte‘, las –
‚Größte semitische Göttin, Gemahlin des Baal, des Lichtgottes, der verkörperten Sonne, oft dargestellt mit einer Mondsichel auf dem Kopf. Wurde verehrt als Göttin der Liebe, der schrankenlosen Hingabe.‘
Sie stellte den Lexikonband zurück, trat vor eine große, künstlerische Photographie in breitem Goldrahmen, die rechts neben Axels Schreibtisch an der Wand hing. Sie nahm die Schreibtischlampe und beleuchtete das Bild.
Ein nacktes Weib war’s, nur umhüllt von einem dünnen Schleier, der jedoch das Gesicht in mehrfacher, gefälliger Umschlingung vollständig verbarg. Und – aus dem dunklen, hochgetürmten Haar ragte eine – Mondsichel heraus.
Astarte! – Ebba ahnte plötzlich, daß diese Frau mit dem klassisch schönen Körper Axel nahe gestanden hatte; argwöhnte, daß diese Photographie kein im Handel käufliches Bild sei, sondern – vielleicht ein Geschenk der Briefschreiberin!
Wie gebannt schaute sie auf das Bild. Ihre Eifersucht wuchs; sie haßte diese Photographie plötzlich; sie grollte Axel, der das Bild noch immer so dicht vor sich hatte, wenn er am Schreibtisch bei der Arbeit saß.
Und – unwillkürlich verglich sie sich selbst mit diesem Weibe; prüfte, ob ihre eigenen Reize es wohl aufnehmen könnten mit dieser Göttin der Liebe, die vielleicht hier irgendwo in Berlin wohnte, für Axel jede Stunde erreichbar.
Ebba fiel plötzlich jene Begegnung mit der Trauergewänder tragenden Frau im Grunewald ein. Und – in dem parfümduftenden Briefe war eine Todesanzeige erwähnt! Und weiter: der Brief kam aus der Villenkolonie Grunewald!
Ebba stellte die Lampe auf den Tisch zurück, setzte sich wieder in den Schreibsessel, hielt den Kopf tief gesenkt.
Wo – wo war Axel?! Um halb acht Uhr hatte er zurück sein wollen. Und jetzt war’s fast halb zehn!
Wo war er?!
Das Mißtrauen verstärkte sich, trieb Ebba hoch, trieb sie unruhig durch das Zimmer in erregtem Auf und Ab.
Und durch ihr Hirn schwirrte all das, was er ihr an kleinen Geheimnissen verhehlte; all das, woran er sie nicht teilnehmen ließ. Aber sie war doch sein Weib; sie hatte Anspruch, alles zu wissen, was ihn bedrückte; noch mehr Anspruch darauf, daß er nur ihr gehörte – nur ihr!
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Schämte Axel sich ihrer?! – Sie schaute auf ihre Hände. Ja – die waren verarbeitet. Und die Fingernägel ohne Glanz, wenn auch peinlich sauber. – Sie hielten keine Bedienung. Alles erledigte Ebba allein in der Wirtschaft, – alles; hatte es bisher so freudig getan; war stolz darauf gelesen, daß sie keine Hilfe brauchte.
Aber – in letzter Zeit hatte Axel zwei– dreimal gesagt, wenn sie sich an ihn schmiegte: ‚Der ganze Küchendunst haftet deinen Kleidern an!‘
Ebbas Tränen rannen langsamer, versiegten aber nicht. Röteten die Lider und netzten die im Schoße verschlungenen Hände.
Dann – endlich das Klappen der Flurtür – endlich!
Hastig trocknete sie die Augen, die Wangen, erhob sich, ging müde in den Flur, um Axel zu begrüßen. So geschah es immer. Heute jedoch tat sie’s gezwungen.
Die rote Ampel hatte er eingeschaltet, hing gerade den Mantel an den Haken der Flurgarderobe, wandte den Kopf, nickte ihr zu mit einem seltsam gequälten Lächeln.
„Nur nicht schelten, Liebes, weil ich so spät komme,“ meinte er leichthin. Dann nahm er ihre Hände, drückte seinen Mund flüchtig auf ihre kühlen Lippen.
Er stutzte. Ebba umschlang ihn nicht wie sonst; Ebba schaute ihn so ernst, so fragend an.
Ihm wurde unbehaglich zumute. Er zog sie in sein Arbeitszimmer, sagte überstürzt:
„Die Besprechung hat länger gedauert, als ich voraussehen konnte. Du hast hoffentlich schon gegessen. – Ah – Briefe eingegangen. – Entschuldige – will nur mal schnell –“
Ebba hatte plötzlich seine Rechte ergriffen, hielt sie zwischen ihren beiden vor innerer Erregung kalten Händen.
„Axel – wo warst du?“ fragte sie kurz und bestimmt. Sie war jetzt nicht mehr das durch die Millionenstadt, durch die neue Umgebung verschüchterte Strandkind. Sie war wieder Ebba Rielke, die wußte, was sie tat, die Ebba, die in jener Gewitternacht in den Dünen sein geworden, weil sie reich sein wollte durch eine einzige selige Erinnerung.
*
Axel wich ihren Blicken aus und schwieg.
„Bin ich keine Antwort wert?“ fragte sie, schon wieder mit weicher, von versteckter Zärtlichkeit durchwehter Stimme. Sie konnte ihm ja nicht zürnen. Hatte ja bereits wieder allerlei Entschuldigungsgründe für ihn.
„Axel,“ bat sie weiter. „Sag’ wir die Wahrheit, – was es auch sei! Nur keine Unaufrichtigkeiten, Axel. Das ist feige. Und ein Mann soll nicht feige sein.“
Er kämpfte mit sich. Wie alle schwachen Naturen, die im Grunde ihres Herzens doch ein Gutes bewahren, eben eine anständige Gesinnung, vermochte er jetzt nicht etwa durch erkünsteltes Aufbrausen, scheinbares Verletztsein sich ihr zu entziehen. Er gab sich so, wie es seinem Charakter entsprach, machte sich frei von ihren Händen, schritt in die dunkle Ecke, ließ sich in den Klubsessel fallen und sagte schuldbewußt:
„Ebba – Ebba, ich konnte nicht anders. Ich hänge an den Meinen. Ich – ich war bei meinen Eltern in Steglitz.“
Ebba atmete auf! Also nicht Astarte! – Sie ging und setzte sich auf die Sessellehne, legte Axel den Arm um den Nacken.
„Ich ahnte es,“ meinte sie mit leiser Wehmut im Ton. „Weshalb hast du mir das verschwiegen, Axel? Du bist doch schon öfters bei deinen Eltern gewesen, – dort, wo man mich, dein Weib, nicht – empfängt!“
Bitterkeit färbte die letzten Worte. Ebbas Stimmung war plötzlich wieder eine andere geworben. Der Gedanke, daß Axel sie so und so oft belogen hatte, wenn er in Wahrheit seine Eltern aufgesucht hatte, verdrängte alle Versöhnlichkeit.
„Ich verstehe dich nicht,“ fuhr sie in leichter Erregung fort. „Aus welchem Grunde bist du überhaupt zu den deinen gegangen? Hast du etwa um Verzeihung gebeten, weil du ihnen die Schmach antatest, ein Fischermädchen zur Baronin Randolfström gemacht zu haben? – Nein – ich verstehe dich nicht!“
Axel Randolfströms Kopf war immer tiefer gesunken. Ein Seufzer kam nun über seine Lippen, dann ein klägliches:
„Ach – wodurch habe ich all das verdient?!“
„Was?“ fragte Ebba laut. „Was denn?! Verdient?! Hat dir das Schicksal denn so harte Prüfungen in letzter Zeit auferlegt. Welche denn? Oder – bin ich vielleicht die – härteste Prüfung?! – Axel, weshalb kamst du nicht mit deinen Sorgen zu mir? – Du hast Sorgen! Du hast böse Enttäuschungen erlebt in deinem Beruf! Du weißt nicht mehr, wo du das Geld hernehmen sollst, uns zu ernähren. – Axel – bin ich dir nur Geliebte? Soll ein Weib nicht teilhaben an allem, was ihren Gatten angeht, soll er sie nicht als seine Kameradin betrachten?! – Sprich dich aus mir gegenüber! Erleichtere dein Herz! Und – sei offen, Axel! Schone mich nicht! Leidet deine Schaffensfreude durch diese Ehe, durch dieses stille, zurückgezogene Dasein? – Oh – wenn es so ist, Axel, – ich lege dir kein Hindernis in den Weg! Suche Zerstreuung und Anregung, verkehre wieder dort, wo du früher heimlich warst. Ich – ich bin fähig, auf vieles zu verzichten um deinetwillen.“
Er hatte sich etwas aufgerichtet, sich an sie gelehnt, nahm nun ihre Hände, flüsterte verzagt:
„Ebba – Ebba, – ich habe den – Mut verloren zur Arbeit, den Glauben an mich, an mein bißchen Talent. – Ich – schäme mich vor dir. Wir – wir Künstler sind ja alle eitel. Das liegt so im Blut bei den frei Schaffenden. Ich wollte nicht zugeben, daß plötzlich niemand mehr meine Novellen für – bessere Ware hält. Niemand!“
„Ja – die eingeschriebenen Briefe!“ sagte Ebba leise und strich ihm tröstend über den blonden Scheitel. „Axel – dort auf dem Schreibtisch liegt wieder einer –“
Er ergriff sofort die Gelegenheit, diese ihm so peinvolle Aussprache zu beenden.
„So? Wieder einer!“ meinte er mit einem jetzt stark übertriebenen Aufstöhnen und stand schnell auf, ging zum Schreibtisch, ahnungslos, daß auch ein Schreiben von Asta Henning dort seiner wartete.
Ebba beobachtete ihn. Den parfümierten Brief mit dem Trauerrand warf er achtlos beiseite.
„Eine Todesanzeige wohl,“ meinte er.
Ebba durchschaute ihn. Er mußte ja die Handschrift erkannt haben, aber –! – Widerwille, Empörung quollen in ihr hoch. Nein – daß er so heucheln könnte, hätte sie doch nicht geglaubt.
„Sieh doch nach, ob es wirklich eine Todesanzeige ist,“ sagte sie und trat neben ihn.
„So laß doch, Kind! – Da ist ja auch ein Brief Grubers.“ Er nahm ihn, schnitt den Umschlag auf und las.
‚– Du kennst meine Verhältnisse. Ich habe meine gelähmte Mutter zu unterhalten. Könnte ich dir Geld vorschießen – wie gern täte ich’s! Immerhin: dreihundert Mark habe ich übrig. Es ist nicht viel. Ich sende sie dir per Anweisung. –
Was den sonstigen Inhalt Deines Schreibens anbetrifft, so ließen sich darüber unzählige Seiten füllen. Nur eins – wenn Du Ehrlichkeit verträgst: Du hättest Dich nie, niemals von Frauengunst abhängig machen sollen. Jetzt, wo Frau Asta die Reklametrommel für Dich nicht mehr rührt, wo sie ohne Zweifel – denn ich kenne diese Sorte Weiber! – Deine heimliche Feindin geworden, war der Rückschlag unausbleiblich. Wenn Du Geld verdienen willst, Axel, – und du mußt es ja! – dann stelle Deine Arbeit anders ein, dann verzichte auf den Ruhm des Novellendichters und – schreibe Familienromane, die sicher gut bezahlt werden.‘
Axel schleuderte den Brief von sich.
„Ah, prostituieren soll ich meine Kunst! Niemals!“ rief er und vergaß ganz, daß Ebba neben ihm stand.
„Darf ich lesen, was Gruber schreibt?“ fragte sie und streckte die Hand nach dem Briefbogen aus.
Doch er riß ihn an sich. Flammend rot war er geworden.
„Gestatte – auch die Rechte einer Ehefrau haben ihre Grenzlinien!“ sagte er barsch.
Sie zog die Hand zurück. „Gut – du magst recht haben, was – Herrenbriefe angeht! Aber – jenes parfümierte Schreiben dort, dessen starker Duft kaum auf eine Todesanzeige hindeutet, – der Brief, Axel, geht mich als Frau doch wohl etwas an! Ich bitte dich, mir zu erklären, mit welcher Dame du korrespondierst.“
Er duckte sich scheu zusammen. Er sah voraus, daß es zu einer bösen Auseinandersetzung kommen würde. Er merkte, daß Ebba argwöhnisch geworden. – Was tun – was tun?! Wie ein dummer Schulbub kam er sich vor, den der Lehrer bei einer Lüge ertappt hat. Seine seit Wochen ohnedies durch all die Fehlschläge gereizten Nerven spielten ihm jetzt einen argen Streich, verführten ihn zu etwas, das seiner ganzen Natur sonst fremd. Er reckte sich hoch, trat zurück, schaute Ebba finster an.
„Meine Korrespondenz lasse ich nicht überwachen – auch nicht von dir!“ brauste er auf. „Also auch das willst du mir nehmen, die persönliche Freiheit! Ich denke, du nahmst mir schon genug! Weshalb leiste ich nichts mehr, weshalb soll ich jetzt nach Grubers Rezept – Familienromane schreiben?!“ –
Er lachte auf, so schneidend und bitter, daß er selbst vor diesen Tönen zur Besinnung kam und wieder in seine wehleidige Art verfiel. „Ebba – sieh, wir Künstler dürfen nicht mit dem Maße des Alltags gemessen werden. Wir denken, fühlen anders als gewöhnliche Sterbliche. Wenn man uns zwingt, wider unsere Natur zu leben, dann – dann gehen wir zu Grunde! Ach Ebba – habe doch Geduld mit mir! Gib mir Zeit, mich daran zu gewöhnen, daß ich als oberste Pflicht jetzt die habe, dein Gatte zu sein, nur für dich zu leben.“
Er seufzte. Ein inhaltloser Phrasenschwall folgte. Dann wollte er Ebba an sich ziehen, küssen, wollte Zärtlichkeiten herbeizwingen, die Ebba den – den Brief vergessen ließen.
Wieder durchschaute sie ihn, wehrte ihn ab, sagte hart und kalt:
„Ich weiß jetzt; ich bin die Mörderin deiner Schaffensfreude! – Ich wiederhole, Axel: Du bist frei! Du kannst tun und lassen, was du willst! Nur – in demselben Augenblick, wo ich Beweise deiner Untreue erhalte, ist zwischen uns alles aus – alles! – Ich will nicht mehr wissen, von wem jener Brief ist. Ich merke, du hast Gründe, es mir zu verschweigen. – Du bist frei, Axel! Ich werde darüber hinwegkommen, daß du nur in mir die Geliebte siehst, die deine Sinnlichkeit reizt, daß meine Seele dir nicht begehrenswert erscheint. – Bitte – kein Wort mehr! Ich sehe ein: du brauchst Anregung! Suche sie, – suche sie, ohne an mich zu denken! Ich werde für das, was ich dir nahm, indem ich einwilligte dein Weib zu werden, dich als – Hausfrau entschädigen.“
Sie wandte sich ab und schritt zur Tür. – Und Axel? – Er fühlte, daß er irgend etwas sagen müßte, daß er sie so nicht von sich lassen dürfte.
„Ebba!“ rief er. „Ebba – du bist ungerecht! Du kannst dich nicht hineindenken in mein Innenleben, du –“
„Du irrst,“ unterbrach sie ihn. „Ich kenne dein Innenleben!“
Dann schloß sich die Tür hinter ihr.
Und Axel Randolfström ballte die Fäuste, reckte die Arme hoch, dachte: ‚Ich Narr – ich Narr! Meine goldene Freiheit!‘ – Und er kam sich so bemitleidenswert vor, so – so einsam, so abgeschnitten von der Welt, die er so geliebt hatte, von strahlend hellen Salons, eleganten Frauen.
Als dann Astas Brief gelesen und verbrannt war, als der Inhalt dieses Schreibens ihn daran erinnert hatte, wie Gruber ihn vor Asta warnte, – da überwältigte ihn die Mutlosigkeit, da saß er in seinem Schreibsessel, hatte die Hände vor das Gesicht gedrückt und – schob alle Schuld auf sein Weib, diese Frau mit dem engen Horizont des Naturkindes, diese – lebende Fessel, die ihn nie – nie begreifen würde.
Und wie er eine Stunde später das Schlafzimmer betrat, wie Ebba die fest Schlummernde spielte und selbst dann nicht die Augen öffnete, als er an ihr Bett trat und sich räusperte, da vergaß er sich abermals, lachte auf, meinte:
„Du schläfst ja gar nicht. Du willst also wirklich, daß wir jeder unsere eigenen Wege gehen! Nun – es sei!“
Geräuschvoll öffnete er den Kleiderschrank, warf den Anzug ab, zog den Smoking an. Er hoffte, Ebba würde ihn bitten, bei ihr zu bleiben. Er hoffte umsonst. Und der törichte Groll in seinem Herzen war stärker als die mahnende Stimme der besseren Einsicht. Er ging – ging – tanzte im Palais de Danse mit Halbweltdamen bis zum Morgen, fand Bekannte, die ihn wie einen Wiederauferstandenen feierten, betäubte sein Gewissen mit Sekt, schlich dann fröstelnd im Regen heim, schämte sich vor sich selbst.
Bis auf die Haut durchnäßt kam er nach Hause, scheute sich, das Schlafzimmer zu betreten, legte sich auf den Diwan in sein Arbeitszimmer, fror, stand wieder auf, trank drei Liköre, lag trotzdem dann unter der Decke mit klappernden Zähnen, verfiel in einen unruhigen Halbschlaf, bis Ebba ihn weckte, bis sie ihn, dessen Gesicht bereits in Fieberhitze glühte, ohne ein Wort des Vorwurfs liebevoll zu Bett brachte. –
*
Vier Tage später. – Der junge Arzt, der Axel behandelte, wollte die Verantwortung nicht länger allein tragen.
„Gnädige Frau, es wäre vielleicht besser, wir zögen noch einen Kollegen zu,“ meinte er zu Ebba im Schlafzimmer und schrieb ein neues Rezept aus. „Grippe, – und der andere Lungenflügel ist bereits ebenfalls angegriffen –“ Er hob etwas die Schultern. „Ich möchte auch raten, eine Pflegerin zu nehmen. Sie allein, Frau Baronin, bewältigen die Nachtwachen nicht länger. Sie sehen schon so elend aus, daß –“
„Sie unterschätzen mich, Herr Doktor! Ich besitze auch nicht die Mittel, eine Pflegerin zu bezahlen,“ sagte sie leise und starrte ihn in heißer Angst an. „Herr Doktor, steht es so schlimm um meinen Mann?“ fragte sie nun und stützte sich schwer auf den Tisch.
„Grippe und beiderseitige Lungenentzündung, da ist Vorsicht, größte Vorsicht nötig, Frau Baronin.“ Und er dachte weiter, denn er war ja nur ein Anhänger ohne Praxis und arm dazu: ‚Ich werde hier wohl lange auf die Begleichung meiner Liquidation warten können.‘ –
Als er in seine nahe Wohnung zurückkehrte, fand er dort im Sprechzimmer eine tief verschleierte Dame in Trauer vor.
„Sie behandeln den Baron Randolfström, Herr Doktor,“ meinte die Dame, ohne ihren Namen zu nennen. „Ist Gefahr vorhanden? – Ich bin eine Bekannte der Baronin.“
Der junge Arzt nickte. „Ich fürchte das Schlimmste.“
Und als die Dame in Trauer dann ging, ließ sie fünfhundert Mark zurück, – „Als Anzahlung für Ihre Rechnung, Herr Doktor,“ hatte sie kühl erklärt. „Ich werde auch für eine Pflegerin sorgen und Professor Pauli zu Randolfströms bestellen. Er hat bei der Behandlung schwerer Grippefälle überraschend gute Erfolge gehabt.“ –
Als der Arzt gegangen, hatte Ebba schnell die Frau des Hauswarts geholt, hatte diese gebeten, sofort telephonisch einen Händler, dessen Namen sie in der Zeitung gefunden, zu benachrichtigen, daß sie das Piano im Herrenzimmer zu verkaufen gedenke. – Sie mußte ja Geld beschaffen, – irgendwie! Sie durfte nichts versäumen, Axel zu retten. Sie fühlte sich schuldig, daß er damals noch mitten in der Nacht verärgert das Haus verlassen hatte und mit dem Keim der Krankheit heimgekehrt war. Sie zermarterte sich mit Selbstvorwürfen; sie vermochte in ihre Gedanken keine Klarheit mehr zu bringen; sie war ungerecht sich selbst gegenüber; die Furcht, Axel könnte ihr genommen werden, hatte alles andere in ihr zurückgedrängt. Er durfte nicht sterben – durfte nicht! –
Sie – sie hätte damals in jener Gewitternacht, als die feurige Lohe Himmel, Meer, Strand und Wald rot färbte, seinen Antrag zurückweisen müssen; sie hätte fest bleiben sollen; sie hätte als reifes Weib sich sagen müssen, daß diese Ehe für Axel nie ein Glück werden könnte! –
Nun saß sie wieder neben dem Bett des teilnahmslos daliegenden, röchelnden Kranken, hielt die Hände gefaltet und betete inbrünstig zu Gott um sein Leben. Sie betete – –
Bis draußen die Flurglocke, der sie mit einem Stück Schleier den grellen Ton gedämpft hatte, kurz anschlug. Sie ging und öffnete.
Zwei Frauen standen sich gegenüber, die denselben Mann liebten, der hier mit dem Tode rang.
Asta Henning nannte leise ihren Namen. „Frau Geheimrat Henning. – Darf ich eintreten? Ich hörte, daß Ihr Gatte krank ist. Er hat früher bei uns viel verkehrt.“
Ebba sah die Trauerkleidung. – Astarte – sie war’s! –
Dann saßen sie in Axels Arbeitszimmer im hellen Lichte der Vormittagssonne. Frau Asta schlug den Schleier hoch.
Ebba dachte nicht mehr daran, daß diese Frau Axel einst nahe gestanden haben könnte; dachte nur, sie hat sich in jenem Brief Axels wohlmeinende Freundin genannt; sie wird dir raten, helfen. Du bist ja so fremd hier, hast niemanden, der mit dir fühlt! Bei dieser Frau wirst du Verständnis für deine Herzensangst finden.
Asta begann zu sprechen, sie würde einen berühmten Arzt und eine zuverlässige Pflegerin bestellen; Ebba sollte Mut fassen; sie beide würden nun gegen den Tod kämpften; nur – eins müsse Ebba ihr feierlich geloben: daß ihr Gatte nie erführe, wer ihr in diesen Tagen beigestanden hätte – nie!
Ebba schluchzte, sagte alles zu. Und die Frau Geheimrat, die noch so jung aussah und doch schon Witwe war, hielt ihre Hände und fragte, ob Ebba womöglich gar zu allem anderen auch noch pekuniäre Sorgen habe. – „Ich bin reich, liebe Baronin, sehr reich. Mein Mann und ich haben an Ihrem Gatten stets einen treuen Freund gehabt. Seien Sie ehrlich: Fehlt es Ihnen an Geld?“
Ebba hatte die Lüge stets verachtet, wußte nichts von den kleinen Unaufrichtigkeiten, die mit zum ‚guten Ton‘ gehören; konnte nur denken, daß ihr hier eine gütige Dame gegenübersaß, die aus Mitgefühl zu ihr gekommen war; erzählte offen, daß sie das Klavier habe verkaufen wollen. –
Und auch hier ließ Frau Asta Geld zurück, als sie sich herzlich verabschiedete: zehntausend Mark! –
Frau Asta war mit ihrem Auto sofort zu Professor Pauli gefahren; dann in die Universitätsklinik. Dort traf sie ihn in seinem Zimmer allein an.
„Oh – meine verehrteste gnädige Frau, – – welch unverhoffte Freude!“ Beide Hände streckte er ihr hin.
‚Komödiant – Intrigant!‘ dachte Asta angeekelt, übersah die Hände, sagte kalt:
„Ich komme, um Ihnen ein Geschäft anzubieten. Ich besitze fünf Briefe, die die Beweise enthalten, daß Sie vor zehn Jahren drei Frauen in einer Weise geholfen haben, die das Strafgesetz mit Zuchthaus ahndet. Wenn Sie den an Grippe und Lungenentzündung schwer erkrankten Baron Randolfström durchbringen, wenn Sie mir versprechen, ihm gegenüber zu verschweigen, daß ich während der Krankheit seiner Gattin beigestanden habe, wenn Sie ihn nach der Genesung zwingen, zur Nachkur allein ohne seine Frau nach Ägypten zu gehen auf vier bis fünf Monate, dann – erhalten Sie an dem Tage, an dem der Baron Berlin verläßt, vier Briefe ausgehändigt, den fünften nach Jahresfrist. Dies gelobe ich Ihnen bei dem Andenken an meine Mutter, die ebenfalls – nun, Sie wissen ja wohl Bescheid!“ –
– So kam es, daß Axel auf des Professors Drängen noch an demselben Tage in die Privatklinik Paulis geschafft wurde. Ebba hatte sich erst dagegen gesträubt und nur eingewilligt, als der Professor ihr gestattete, am Krankenbett tagsüber mit zu wachen.
Axel genas. Schon nach acht Tagen war jede Gefahr beseitigt gewesen. Die Zeitungen berichteten darüber, und Professor Paulis Ruf als Spezialist für schwerste Grippefälle verbreitete sich immer weiter. –
*
Es schneite draußen. Der erste Schnee in diesem Jahre.
Ebba stand am Fenster von Axels Arbeitszimmer und schaute mit frohen Augen auf die herabtänzelnden großen Flocken. – Morgen würde Axel in sein Heim zurückkehren – zu ihr, – morgen – morgen! Sie hatte schon bei der Portiersfrau Tannengirlanden für den Eingang zum Flur bestellt. Und der Hauswart wollte über der Tür auch eine große Papptafel mit ‚Willkommen‘ anbringen. – Sie würde Blumen kaufen, alle Vasen füllen, würde auf den Schreibtisch den Brief des Verlegers Schinkler legen und Rosen darum, diesen Brief, daß die Novellen nun doch als Buch erscheinen würden.
Ach – Ebba hätte heute alle Welt umarmen mögen! Das Glück würde mit Axel wieder Einkehr halten in diese Räume! Ein neues, wahres Glück, ein Eheglück, wie Ebba es sich nun ausmalen durfte, nachdem Axel noch gestern ihr so innig die Hände gestreichelt und gesagt hatte: ‚Liebling – ich bin gesundet, – auch innerlich! Jetzt schreibe ich Familienromane – jetzt stelle ich meine Arbeit ganz auf Verdienen ein!‘ Und so heiter hatte er das gesagt, so schaffensfroh, so erwerbsfreudig.
Die weißen Flocken schwebten zur Erde, hüllten den Nikolsburger Platz schnell in ein reines Wintergewand ein.
Und – dann kam Asta; kam ernst, feierlich fast. So ganz anders als bisher.
„Der Professor schickt mich,“ begann sie und hielt wieder Ebbas Hände in den ihren, drückte sie sanft. – Und sie sprach weiter – von der Notwendigkeit, daß Axel zur Nachkur nach Ägypten müsse. Der Professor fürchte, die angegriffene Lunge würde sonst nie ganz ausheilen.
„Pauli wünscht nun, daß der Baron allein nach dem Süden geht, meine liebe Frau Ebba. Allein – ohne Sie! – Wissen Sie weshalb, kleines Frauchen? Weil – weil es sonst in Ägypten für ein gewisses junges Paar unter dem heißen Himmel Afrikas neue Flitterwochen geben könnte. Und – das würde Ihres Gatten Tod sein! Weil niemand, kleines Frauchen, so fest bleiben kann, Gott Amor auszuschalten, wie es hier unbedingt nötig ist. – Sie verstehen, Frau Ebba! Die Gefahr liegt in Ihrer Begleitung! – Pauli hat mich gebeten, Ihnen dies vorzuhalten. Sie müssen in diesem Falle die Verständigere sein. Sie müssen fest bleiben, selbst wenn Ihr Mann ohne Sie nicht reisen will.“
Ebba senkte den Kopf. Alle Freude erlosch in ihr. Ein banges Angstgefühl ließ ihr Herz unruhig klopfen.
Aber – was von Frau Asta an Ratschlägen kam, nahm sie jetzt als Evangelium hin! Sie war so fest von der selbstlosen Güte der jugendlichen Geheimrätin überzeugt, daß nichts fähig gewesen wäre, diesen Glauben an die aufrichtige Freundschaft dieser Frau zu erschüttern.
Sie weinte ein paar Tränen, versprach dann alles – alles, weinte wieder ohne Scheu, weinte wehmütig:
„Ach – und Axel sagte noch gestern, daß er sich so sehr auf sein Heim freue – so sehr, daß er jetzt auf den Ruhm als Novellendichter gern verzichte und –“
Da war Frau Asta schnell aufgestanden und ans Fenster getreten.
Ebba schwieg.
„Frau Geheimrätin?“ meinte sie nach einer Weile schüchtern. „Weshalb –“
Asta setzte sich wieder.
„Liebe Baronin,“ sagte sie langsam und zögernd, „es wird mir nicht leicht, Ihnen diese Illusionen zu zerstören. Es sind Illusionen, in denen der Gerettete schwebt; es sind grobe Selbsttäuschungen. Wer wie er dem Tode ins Auge geschaut hat, betrügt sich selbst nur zu leicht, glaubt die Zukunft ganz auf neue Voraussetzungen aufbauen zu können. Ich will offen sein, Frau Ebba, – rücksichtslos offen. Ich meine es gut mit Ihnen und Ihrem Manne. Das wissen Sie. Ich kenne Randolfström. Glauben Sie wirklich, daß ein Mensch wie er, der einmal den Ruhm eines Novellendichters gekostet hat, der einmal in den Berliner Salons gefeiert wurde, der dieses Weihrauchduftes bedurfte wie der Falter des warmen Sonnenscheins, – glauben Sie, daß ein solcher Charakter wie der aus adelsstolzer Familie stammende Baron auf die Dauer sich glücklich fühlen wird, wenn er – zum Akkordschreiber, zum Kitschfabrikanten aus – Erwerbssinn herabgesunken ist?! – Nie – nie wird Randolfström dies ertragen, nie! Für kurze Wochen mag er sich vielleicht selbst belügen, sich erfreuen an den Einnahmen, die fraglos größer sein werden als je zuvor. Dann – wird eines Tages der Ekel vor sich selbst erwachen. Kein Künstler, der seine Kunst zum Geschäft herabdrückt, entgeht diesem Ekel!“
Ebba hörte nichts mehr von dem, was die Geheimrätin sprach. In ihrem Herzen dröhnte nur der Satz wie mahnende Glockenstimmen ‚Reich – wäre er reich!‘ in allerlei Variationen nach.
Ihr Entschluß war gefaßt. Sie blickte auf, begegnete den Augen Frau Astas, in denen heimlich ein fernes Hoffen lag – die Hoffnung auf den Sieg!
Und leise, mit Tränen oft kämpfend, erklärte sie, was sie tun würde, um Axel nicht seelisch zu verderben.
„Ich werde zu meinen Eltern zurückkehren; meine Briefe an Axel werden seltener und seltener werden; dann werde ich ihn bitten, in eine Scheidung zu willigen, werde lügen – etwas erfinden, mich – schlecht machen! Er – soll frei sein. Durch mich soll er nicht –“
Da war’s vorbei mit ihrer Fassung. Sie vergrub das Gesicht in die Hände. Herzzerreißend war ihr Schluchzen.
Und Asta Henning saß und kam sich wie eine Verbrecherin vor. Wollte schon den Mund öffnen, wollte dieser blonden Frau, die eine so große Seele besaß, die Wege zum Glück ebnen, – hätte ihr ja nur von ihren vielen Millionen eine einzige zu spenden brauchen –
Wollte, – konnte nicht! Axel war ihre einzige Liebe, ihr einziger Gedanke. Seinetwegen hatte sie intrigiert, spielte sie noch die Intrigantin.
Leise stand sie auf, schlich hinaus, verließ das Heim des Mannes, dem sie nun das Weib rauben wollte, damit er ihr gehöre – für immer, ihr und ihren Millionen – dem sorglosen Leben, dem tollen Genießen in Astartes Armen – wie einst! –
Ebba waren die Neugierigen auf dem Bahnsteig so gleichgültig. Mochten sie zuschaun, wie hier ein Paar für ewig Abschied nahm.
Für ewig! Es war ja ein Abschied für die Ewigkeit!
Und – Ebba war trotzdem so tapfer, konnte sogar lächeln; hing nur für Sekunden an Axels Brust, preßte ihn an sich, küßte ihn, wie man einen geliebten Toten küßt, den man nie vergessen wird.
Der Zug rollte davon. Axel winkte mit dem Taschentuch.
Und Ebba winkte. Jetzt – jetzt durfte sie weinen. Er sah es ja nicht mehr.
III. Teil
Das sogenannte Fischerbollwerk in Braunsande war der abendliche Treffpunkt der Fischer und Matrosen. Dort wurden die Tagesereignisse besprochen, dort wurden auch Geschäfte erledigt.
Es dunkelte bereits. Die Abendröte lag auf Fluß und Stadt und auf den Gruppen der heute erregter denn je disputierenden Männer. Ein eisiger Wind kam von der großen See her. Im Westen hatte eine schwarze Wolkenwand die Sonne verschluckt.
Jan Tamm rieb sich die Hände, ballte sie zusammen, trat den Zigarettenstummel aus, schob die Fäuste tief in die Hosentaschen und schaute den Motorbootführer Jantzsen ernst an.
„Es ist wahr – er hat sich aufgehängt,“ sagte er dann. „Der Gerichtsdiener Helmke hat’s mir erzählt.“
„Und den ‚Stößer‘ hab’n sie ihm beschlagnahmt,“ meinte Jantzsen. „Ja, ja – wer erst mal im Pech sitzt, kommt nicht mehr raus.“
Jan Tamm ging langsam am Leuchtturm vorüber, bog in den Weg nach Rielkes Besitzung ein und – stutzte.
Da stand eine Frauengestalt oben auf der nächsten Düne; neben ihr ein Koffer.
Jans Herz schlug schneller. – ‚Unsinn!‘ dachte er dann. ‚Sie kann’s ja nicht sein! Sie kann noch nicht wissen, was hier geschehen. Frau Rielke weiß das Schlimmste noch nicht einmal!‘
Jan stand und starrte. Seine Gedanken raunten ihm zu: ‚Es kann Ebba nicht sein!‘ Aber sein ungestüm pochendes Herz behauptete gebieterisch das Gegenteil.
Jetzt wandte die Frau den Kopf. Ihr Profil ward sichtbar. Jans Falkenaugen genügte ein Blick.
Ebba – Ebba! Sie war’s! Und – sie war allein! Der Koffer neben ihr –? Ob etwa diese Ehe bereits zerbrochen war? Ob bereits das eingetreten, was hier in Braunsande alle Welt vorausgesagt, ob Ebba ihren Gatten verlassen hatte?
„Ebba!“ – Wie ein Stöhnen kam der Name der Jugendgespielin über seine Lippen.
Dann – ein hartes Auflachen. – Er hatte zu Frau Anna Rielke gehen und ihr vorsichtig beibringen wollen, was keiner ihr mitteilen wollte. – Was – was scherten ihn aber die Rielkes! Noch dazu jetzt, wo Ebba heimgekehrt war.
Er wandte sich, schritt schnell den Weg zurück. Doch – nur bis zur nächsten Biegung kam er.
Er ging schneller. Nun hatte sie ihn bemerkt, stand still, setzte den Koffer hin.
Abenddämmer umgab die beiden Menschen, die sich stumm die Hände reichten. Jan war verlegen. Wie sollte er Ebba anreden? Frau Baronin?
Trotz des ungewissen Lichtes sah er ihr blasses, schmales Gesicht, die dunklen umschatteten Augen. Und das Mitleid verscheuchte jedes andere Gefühl. Er ahnte: eine seelisch Gebrochene, eine Unglückliche war heimgekehrt.
„Jan – Jan, – ich freue mich, daß ich gerade dich hier zuerst begrüßen kann,“ sagte Ebba plötzlich mit zaghafter Stimme. Sie konnte ja nicht wissen, wie Jan sich zu ihr stellen würde.
Er drückte ihre Hand. – Was sollte er sprechen – was nur?! Er nahm hastig ihren Koffer. Sein Gesicht brannte; sein Puls jagte. Und die Wunden des Herzens glühten förmlich. Ach – wie schön sie war! Schöner als früher jetzt, wo der Seelenschmerz ihrem Antlitz die Züge einer Heiligen verlieh.
„Komm’, Ebba,“ sagte er nun endlich. „Komm’! Deine Mutter wird dich brauchen in diesen Tagen.“
Ebba horchte auf. Ihre Finger umkrallten in eisigem Schreck seinen Arm.
„Jan – Jan, – was ist geschehen?“
Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Ebba,“ meinte er mit schwerer Zunge, „Ebba, damals als die See dir deine Brüder genommen hatte, durfte ich dich trösten – als erster. Dann liefst du hinüber zum Strande, weintest dich dort aus. Die See ging so hoch damals. Auch heute wird die Nacht Sturm bringen, Ebba. Auch heute muß ich dir Trauriges berichten –, werde wieder trösten müssen. Vergangene Nacht haben die Zollwächter den ‚Stößer‘ abgefaßt. Seife, Fett, Öl und anderes hatte dein Vater geladen. Und – und sie haben ihn eingesperrt, deinen Vater, weil er – auf die Grünen geschossen hat! Er traf zum Glück niemand. Er hätt’s also nicht nötig gehabt, sich die Sache so – so zu Herzen zu nehmen.“
Ebba schrie leise auf. „Mein Gott, Jan, was – was heißt das?“
Jan senkte den Kopf. „Er – er ist tot, Ebba. Vor drei Stunden hat – hat er sich in seiner Zelle – aufgehängt.“
„Auf – ge – hängt –“, wiederholte Ebba geistesabwesend und ließ Jans Arm los, stand mit hängenden Händen da, als müßte sie jeden Augenblick kraftlos umsinken.
„Ebba!“ Jans Stimme war weich und schmeichelnd. „Ebba – ich bin dein Freund. Ich – helfe euch, deiner Mutter und dir!“
Die schlichten Worte gingen zu Herzen. Ein Tränenstrom befreite Ebbas vor Grauen erstarrte Seele. Grauen war’s gewesen, das sie gepackt hatte, Grauen vor dieser Heimkehr in das Vaterhaus, wo es keinen Vater mehr gab.
Sie lehnte sich an Jans Schulter, weinte – weinte.
Ihr Schluchzen wurde leiser, verstummte. Sie lauschte. Der Freund, der gewaltige Freund sprach zu ihr – das Meer! Sie lauschte. Und wie einst suchte sie aus dem Brausen und Donnern einzelne Worte aufzufangen. – Worte, die ihr eigenes Hirn gebar, die sie selbst zum Trost für sich ersann.
„Komm’!“ sagte sie nach einer Weile und hob den Kopf von Jans Schulter, richtete sich auf.
Dicht vor ihnen bog der Weg in den Hochwald ein. Die schlanken Kiefern rauschten, neigten sich, begrüßten die Fischerdirn – die Fischerprinzeß.
„Erzähle mir alles genau,“ bat Ebba. Und Jan erzählte –
„– Es muß einer deinen Vater verraten haben, Ebba,“ sagte er zum Schluß. „Er war so vorsichtig geworden. Ich traue dem Schuft, dem Tornquist nicht –“
Sie verließen den Wald. Zu ihren Füßen lag das neue, kleine Häuschen Bernd Rielkes, daneben der armselige Bretterstall. Hinter einem Seitenfenster schimmerte Licht.
Ebba stierte auf das Gehöft, das sie in dieser Gestalt noch nicht gesehen. – Die Heimat –! Und wie – wie kehrte sie nun heim?! Als eine, der das Leben nichts mehr geben konnte – nichts! Der das Leben alles genommen – nun auch den Vater! –
Eine Stunde später. Ebba hatte die völlig gebrochene Mutter zu Bett gebracht, hatte so lange neben ihr gesessen und der Verzweifelten Mut zugesprochen, bis der Schlaf als bester Tröster gekommen war.
Nun saß sie mit Jan an dem wachstuchüberzogenen Tisch in der Wohnstube. Über ihnen hing die Petroleumlampe. Im Ofen knisterte das Feuer, das Jan frisch angefacht hatte. Der Sturm rüttelte an den Fenstern. Die nahe See tobte.
„Ebba, du mußt etwas essen,“ sagte Jan und sog an seiner Zigarette.
Ebba nickte. Ihre Gedanken waren weit fort – im Süden, in Afrika, in Kairo. Heute mußte Axel dort eingetroffen sein.
Jan stand auf. „Ich weiß hier besser Bescheid als du,“ meinte er und ging in die Küche, wärmte Kaffee, brachte Teller, Messer, Gabeln, dann ein paar weich gekochte Eier, Schinken und kalten Bratbars.
„Iß, Ebba!“ Er setzte sich zu ihr. Da erwachte sie, schaute ihn an.
„Gib mir deine Hand, Jan. Du und das Meer – ihr seid die Heimat. – Du willst mein Freund sein, Jan. Nur du sollst wissen, daß ich – für immer jetzt hierbleibe.“
Sie schilderte ihre Ehe. Sie betonte, daß sie allein schuld sei, wenn diese nicht von Bestand sein konnte. Sie erklärte, weshalb sie nach einiger Zeit Axel bitten würde, in eine Scheidung zu willigen.
„Ich muß ihn freigeben, Jan, – das wirst auch du verstehen. Ich muß! Er soll nicht durch mich zum – Lohnschreiber werden. Wäre ich reich –“
Das Weh überwältigte sie. Sie legte den Kopf auf die auf dem Tisch ruhenden Arme. Ihr Leib bebte, daß die Tassen leise klapperten.
Jans Augen waren dunkel. Er drückte die Fingernägel in die Handflächen. In seiner Kehle würgte das Mitleid.
„Ebba!“ Er strich ihr über das Blondhaar.
„Sterben will ich – sterben!“ schrie sie auf und reckte plötzlich die Arme hoch. „Ich kann nicht leben ohne ihn – kann nicht – kann nicht!“
Ihr tränenfeuchtes Gesicht glänzte geisterhaft im Lampenlicht.
Jan sprang auf, schritt hin und her, blieb neben ihr stehen.
„Ebba – du sollst mit ihm leben, du sollst nicht sterben!“ Er hatte seine beiden Hände auf ihre Rechte gelegt. „Ebba – man wird den ‚Stößer‘ wieder freigeben –“ Er beugte sich tiefer und flüsterte: „Wir – werden auf den Winterfang fahren, Ebba. Mein Freund Karl ist jetzt wieder hier, der Karl Korgel. Dem kann man Vertrauen schenken. Und ich – ich kenne doch die Verhältnisse in Schweden drüben –“
Mit einem Ruck flog Ebbas Gesicht hoch. Ihre Blicke hingen an seinem Munde.
Er nickte ihr zu. „Du verstehst mich, Ebba! Ich weiß hier in Braunsande jemand, der uns Waren liefern kann, die der beste Tauschartikel für drüben sind. – Stahlwaren, Instrumente – anderes noch. Tausende verdient man mit Leichtigkeit. Wenn wir in den Kutter heimlich einen stärkeren Motor einbauen – Karl Korgel ist ja Maschinenschlosser –, wenn wir dem ‚Stößer‘ noch eine zweite Schraube geben, dann könnten wir fischen und doch auch – schmuggeln, könnten jede zweite Nacht –“
Ebbas Hände packten Jans dicke, blaue Flauschjacke an der Brust.
„Du, – du Jan, willst – willst Axel für mich retten?!“ sagte sie mit bebender Stimme. „Du willst helfen, daß ich reich werde, damit –“
„Laß nur, Ebba,“ unterbrach er sie. „Wir sind Jugendfreunde, Ebba. Was ist also dabei, wenn ich sorge, daß du glücklich wirst!“ Er machte sich los von ihr, lehnte sich an den Kachelofen, sprach ganz sachlich weiter; daß der ‚Stößer‘ zum Schein an ihn verkauft werden solle und wie alles andere eingerichtet werden müsse, damit niemand Verdacht schöpfe.
Ebba trat vor ihn hin, legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Ja – ich bin einverstanden. Aber – eine Bedingung: Ich mache die Fahrten mit! Der Kutter gehört uns zum Schein halbpart. Und der Verdienst geht in drei gleiche Teile.“
Sie war nicht mehr die trauernde, verzagte Ebba. Sie war das Weib, das den geliebten Mann sich erkämpfen wollte.
„Nein,“ sagte Jan ruhig. „Nicht in drei Teile, Ebba. Zwei Teile dir, einer Karl und mir. Anders mache ich’s nicht. Daß du mit willst – gut! Wir brauchen drei Mann an Bord. Und du verstehst genug vom Handwerk.
Er hielt ihr die Hand hin. „Schlag’ ein, Ebba! Entweder so wie ich will, oder – gar nicht!“
Da reckte sie sich hoch, küßte ihn schnell, während Tränen ihre Wangen netzten.
„Freund Jan – das ist mehr als ein Händedruck,“ sagte sie gerührt.
Jan Tamm stand wie gelähmt. Seine Pulse flogen. Seine Muskeln strafften sich. Ihre Lippen hatten einen Aufruhr in ihm entfacht, dessen er kaum Herr wurde.
„Ich muß jetzt gehen,“ sagte er mit veränderter Stimme. „Gute Nacht, Ebba.“
Er nahm seine Mütze. Er war bleich. Seine Stirn lag in Falten. Schnell schritt er hinaus in die dunkle Nacht, ohne sich umzuschauen.
Ebba stand an der Hausecke.
„Auf Wiedersehen, Jan!“ rief sie ihm nach.
Der Sturm verwehte den Ruf. – Und Ebba hatte noch immer Jans bleiches Gesicht vor Augen; dachte mit einem tiefen Seufzer: ‚Er liebt mich noch immer! Ich wünschte, ich wäre häßlich, und Jan wäre mein leiblicher Bruder.‘
*
Am Stammtisch im Hotel ‚Drei Kronen‘ sagte zwei Wochen später der Bürgermeister zum Steuerdirektor Kuhrt:
„Schneid hat die Baronin, weiß Gott! Das macht ihr so leicht kein anderes Weib nach, hier tagaus, tagein zum Winterfang hinauszusegeln, nur um ihrem Manne die Nachkur zu ermöglichen. Sie taten recht daran, den Kutter freizugeben, Kuhrt!“
Der Steuerdirektor ließ nur ein sehr gedehntes „Hm – hm!“ hören, so daß der Landrat sofort fragte:
„Aber bester Herr Steuerdirektor, reut Sie etwa diese hier doch nur angebracht gewesene Nachsicht?“
„Warten wir ab –!“ meinte der große, stattliche Mann ernst.
Alles schaute ihn fast erschrocken an. Jeder fühlte: Hier war irgend etwas nicht in Ordnung!
„Sprechen wir von anderen Dingen,“ meinte der Steuerdirektor dann. – Und die Stimmung am Stammtisch war für diesen Abend gründlich verdorben. Man ahnte, weshalb das Gesprächsthema gewechselt werden sollte: der alte Rielke war Braunsandes Schmugglerheld trotz seines freiwilligen Endes, und der ‚Stößer‘ fuhr jetzt die Tochter des Schmugglers – vielleicht zu ähnlichen dunklen Geschäften über das Meer. – Man ahnte – und man fürchtete für Ebba, die in Braunsande sich jetzt allgemeiner Sympathie erfreute. –
Draußen in den Straßen lag Schnee. An den Dachrinnen hingen Eiszapfen. Und am Strande zu beiden Seiten der Mole und der Flußmündung hatten sich die Eisschollen angehäuft, die der Eisbrecher der Strömung übergeben hatte. –
Eine klare Frostnacht; schwacher Nordwest. – Als der Steuerdirektor sein ‚Hm – hm!‘ hören ließ, sagte zur selben Zeit draußen auf See in der Kajüte des Kutters Jan Tamm zu Ebba, die an Bord stets Männerkleidung trug:
„Der Tornquist umschnüffelt das Haus, Ebba. Es ist so. Aber – er soll sich nur inachtnehmen!“
Ebba saß auf einer Kiste. Denn auch die Kajüte war vollgestaut mit allerlei Ware. – Ihre Augen suchten angstvoll in Jans Gesicht zu lesen.
„Du meinst, er könnte wieder den Verräter spielen?“ fragte sie zögernd.
Jan lachte unbesorgt. „Er möchte es! Aber – so leicht wird’s ihm diesmal nicht werden!“
Die Kajütentür wurde handbreit geöffnet.
„Jan – gar vor uns seh’ ich so was wie ein Boot,“ rief Karl Korgel. „Komm’ mit dem Glas nach oben.“
Ebba ging mit an Deck. Jan stellte das Fernglas ein, blickte hindurch, meinte dann:
„Es ist die Polizeibarkasse. Rum mit dem Steuer, Karl. Und volle Kraft voraus. Wir sind ihnen dann bald außer Sicht!“
Der Motor ratterte; der ‚Stößer‘ änderte den Kurs; das Großsegel füllte sich wieder prall.
Ebba hatte das Fernglas an den Augen. Die Barkasse wurde kleiner und kleiner.
Mitternacht war’s, als Ebba die Wohnstube nach kurzem Abschied von Jan und Korgel betrat. Sie steckte die Petroleumlampe an. Ihr erster Blick glitt über den Tisch, wo die Mutter ihr stets die Briefe hinlegte.
Und – ein Brief war da, – ein Brief von Axel. – Ebba las ihn stehend. Ihre Augen strahlten.
„ – Ich fühle mich geradezu unverschämt gesund, mein Liebling, und deshalb grolle ich dem Professor auch immer mehr, der uns getrennt hat. Wüßte er, wie unendlich ich mich nach Dir sehne, würde er nicht so streng verlangt haben, daß wir volle vier Monate uns nicht sehen sollen! – Liebling – und eine Schaffensfreude fühle ich nebenbei noch, wie ich sie in meinen besten Zeiten nicht gehabt habe. Denk’ Dir: zwei Novellen sind fix und fertig! Ich sende sie morgen ab. Und ich habe die feste Zuversicht, daß die ‚Jahresrevue‘ sie annimmt. Dann – dann mein Liebling, – weißt Du, was dann vielleicht geschehen wird? Dann komme ich vielleicht ganz heimlich zu Dir –“
Ebba ließ den Brief sinken, dachte traurig: ‚Dann – dann könnte ich hier für uns beide nicht weiter kämpfen, Axel, – dann blieben wir arm! Und die Armut ist der Fluch Deines Berufs! Ich – ich will ihn bannen!‘
Um die gleiche Stunde kehrte Frau Asta Henning von einer Abendgesellschaft bei Exzellenz Stahlheimer in ihre Grunewaldvilla zurück, rief ihrem Chauffeur noch ein ‚Gute Nacht, Klemke‘ zu und ging in ihr Schlafzimmer hinauf, entkleidete sich, zog den wattierten Morgenrock an und betrat den behaglich warmen Damensalon, setzte sich an den Schreibtisch und entnahm dem Geheimfach der Mittelschublade ein dünnes Päckchen Briefe. Es waren im ganzen fünf. Asta hatte sie nach dem Tode ihrer Mutter in einer Kassette gefunden, hatte sie gelesen, obwohl auf dem gelben großen Umschlag stand: ‚Ungelesen verbrennen. Maria Kornelsen‘.
Asta überlegte. – Sie hatte ihr Versprechen Pauli gegenüber nicht gehalten, hatte ihm nicht vier der Briefe sofort nach Axels Abreise ausgehändigt. Heute bei Exzellenz Stahlheimer war Pauli ihr Tischherr gewesen, hatte abermals die Einlösung dieser Zusage verlangt und – gedroht: ‚Ich weiß, Sie wollen mich weiter als Schachfigur benutzen! Deshalb trennen Sie sich von den Briefen nicht! Hüten Sie sich, meine Gnädige!‘
Gleich darauf war er zu einem Patienten abgerufen worden. – Asta überlegte. Ob sie nicht doch besser ihr Wort hielt und die vier Briefe – hier riß der Gedankenfaden jäh ab. Sie glaubte ein Geräusch gehört zu haben, erhob sich schnell, wandte sich um. – Nein – sie hatte sich doch wohl getäuscht. Sie setzte sich wieder. –
Der Chauffeur Klemke hatte gerade die Tür der Garage verschlossen, als er auf dem Wege nach dem Hinterausgang des Gartens einen Mann erblickte, der in wilder Hast davonstürmte. Er lief ihm nach, kam aber zu spät. Der Mensch war verschwunden. Es konnte nur ein Dieb gewesen sein, und da Klemke oben bei der gnädigen Frau noch Licht sah, klopfte er den Diener heraus.
Am nächsten Mittag hatte Berlin ein neues Sensationsverbrechen: die Geheimrätin Asta Henning war vor dem Schreibtisch ihres Salons erschossen aufgefunden worden durch ihren Chauffeur und den Diener. Ihre Juwelen waren geraubt; der Schreibtisch erbrochen und durchwühlt. – Die Nachforschungen der Polizei blieben ohne Erfolg.
*
August Tornquist war jetzt ein ganz feiner Herr geworden, spielte den Kaufmann mit Geschick, wußte die Schaufenster seines Geschäfts stets am gefälligsten zu dekorieren.
Es war am Tage vor dem Christfest. – Frau Anna Rielke hatte ihren Schreck kaum verhehlen können, als Tornquist noch so spät abends bei ihr erschienen. Er legte den Pelz über einen Stuhl, lächelte süßlich. –
„Wir haben uns lange nicht gesehen, liebe Frau Rielke. Wie geht’s denn?“ Er setzte sich unaufgefordert. „Gut, hoff’ ich, – natürlich gut! Wo die Ebba so fleißig ist –! Kein Wunder, daß das Geld scheffelt, – der Winterfang – ha– ha! – Na – wir beide wissen ja Bescheid! Ebba ist nicht umsonst Rielkes Tochter, des Schmugglerkönigs Kind, – ha – ha –! Nun – eigentlich ist sie‘s ja nicht. Das bleibt aber unter uns, Frau Anna. Ja – ja, der gute Bernd sollte geahnt haben, daß er eine Frau sich nahm, die es mit dem Heiraten verdammt eilig hatte. Wie hieß doch eigentlich der Landmesser, der patente Kerl, Frau Anna, der damals – hm ja –!“
Die weißhaarige Frau lehnte am Ofen, stierte ihren Peiniger entsetzt an. – „Was – was wollen Sie von mir?“ fragte sie angstvoll. „Wo nehmen Sie nur all diese Boßheit her, mich so – so zu foltern?!“
Tornquist stand auf. „Was ich will?! – Ebba das Spiel verderben, – das will ich! Sie verdient Geld – für ihren kranken Mann, damit er gesund werde, damit sie ihn gesund wieder bekommt! Oh – ich habe das alles längst durchschaut! – Und – wo ich die – die Bosheit hernehme? – Anna – ich bin fünf Jahre jünger als Sie. Ich liebte Sie. Sie lachten mich aus. Ich war für Sie stets nur der dumme Junge, das magere, kleine Schneiderlein! – Und als ich Ebba dann liebte, die Ihnen in vielem so ähnlich ist, da – mußte ich wieder verzichten.“ Er hatte in seiner wachsenden Erregung immer lauter gesprochen.
Und draußen am Fenster stand einer, der atemlos lauschte, der jetzt hörte, daß der ‚Stößer‘ in dieser Nacht von den Zollwächtern bestimmt abgefangen werden würde. –
Es war eine bitter kalte Nacht. Der alte Tamm hatte gerade die letzten Gäste aus der Wirtsstube hinausgelassen, wollte nun Feierabend machen, ärgerte sich, daß da plötzlich noch ein Fremder eintrat. Als er ihn nun im Lampenlicht erkannte, rief er überrascht: „Herr Baron, – Sie, Sie sind’s?“ –
Doch Randolfström winkte erregt ab, begann zu flüstern. Seine Worte überstürzten sich.
„So ein Lump verdammter!“ knurrte der alte Tamm, griff nach der warmen Jacke und eilte mit Randolfström zu Jochem Schmidt, der mit einem gedeckten Motorboot den Winterverkehr nach den Dörfern aufrecht erhielt.
„Der Jochem ist verschwiegen,“ meinte Tamm. „Und – – wir haben Glück! Es ist eine windstille Nacht.“ –
Jochem Schmidt war bald herausgetrommelt. – „Tausend Mark erhalten Sie!“ flüsterte der Baron. „Nur schnell – schnell, sonst kommen wir zu spät.“
Eine Viertelstunde drauf ratterte das Motorboot der offenen See zu. Als es am Molenkopf vorüberkam, erschien der Mond hinter dem Strandwalde, warf nach Nordost zu eine breite Silberbahn über das leicht bewegte Meer. –
Randolfström hatte Jochems Kieker an den Augen, erspähte inmitten des silbernen Streifens drei dunkle Punkte, die sich nach Osten zu bewegten. Es konnten nur die Polizeibarkassen sein. –
Ebba saß neben dem kleinen, eisernen Ofen in der Kajüte des Kutters. Soeben hatte Karl Korgel Jan am Steuer abgelöst. Jan schlürfte den heißen Tee und schaute mitleidig auf Ebba hinab. – Mit den Schwedenfahrten war’s nun vorläufig nichts. Die schwedischen Zöllner hatten Wind bekommen von den Besuchen des ‚Stößer‘ in den Skargner-Schären. Ein Fischerboot hatte den Kutter erwartet und gewarnt.
Leer kehrte der ‚Stößer‘ zurück, nur mit einem Korbe Fische an Bord. Nun hieß es, erst wieder drüben neue Verbindungen anknüpfen. Darüber konnten Wochen vergehen.
Jan tröstete Ebba. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Ebba. Ich werde schon zusehen, daß wir das Geschäft wieder flott kriegen.“
Ebba starrte vor sich hin. „Jan,“ sagte sie dann zaghaft, „Jan – gestern schrieb er mir wieder, daß er’s nicht mehr aushielte so allein dort im Süden. Ich solle mich nicht wundern, wenn er eines Tages hier erschiene. Er wolle auch einer Begegnung mit der – Geheimrätin aus dem Wege gehen, die ihm eine Karte geschickt hätte, daß der Arzt ihr gleichfalls einen längeren Aufenthalt in Ägypten verschrieben habe. Jan, du weißt, es ist die Frau, die es so gut mit uns meinte. Aber – sie hat Axel sicherlich einst geliebt. Jan, ich habe solche Angst um Axel, solche Angst! Ich wünschte, er käme her. Und – kommt er, Jan, dann – dann ist’s vorbei mit diesen Fahrten, dann – wird das eintreten, was Frau Asta vorausgesagt hat: er wird – seelisch verkümmern –“ Ein leises Aufschluchzen. „Ja – ich wünschte, ich wäre tot! Ich habe kein Glück im Leben.“
Jan lauschte schon eine Weile mehr dem Geräusch des Kuttermotors als Ebbas wehen Worten. Jetzt verstummte der ganz. –
Jan griff nach seiner Mütze. „Ebba – da ist was los oben –“ – Ein Stoß erschütterte den Kutter. Laute Stimmen draußen. Dann flog die Tür auf. Zwei Zollbeamte traten ein. –
„Wir sollen den Kutter durchsuchen,“ erklärte der eine und streifte Ebba mit scheuem Blick. Sie taten’s ungern, die Zöllner; sie wußten, weshalb die blasse Frau so viel wagte. Aber – sie fanden nichts, nichts, gingen freundlich grüßend wieder von Bord.
Der ‚Stößer‘ strebte dem kleinen Hafen zu, legte an. Ebba reichte Jan und Korgel die Hand. „Gute Nacht. Ich danke euch. Es war dies unsere letzte Fahrt nach Schweden. Wir sind verraten worden. Ich will nicht, daß ihr je wieder meinetwegen eure Freiheit aufs Spiel setzt.“
Sie schritt durch den Schnee dem Häuschen zu. Sie dachte: Morgen ist Weihnachten. Und – morgen ist Axel frei! – Ihr Entschluß war gefaßt. – Die Mutter war noch wach, erzählte von August Tornquists Besuch, weinte dann vor Freude, weil alles so glücklich abgelaufen war.
Ebba wartete, bis die Mutter eingeschlafen, verließ das Haus wieder, kettete den kleinen Nachen los, ruderte langsam auf die mondbeschienene See hinaus.
Jochem Schmidts Motorboot hatte weit draußen in See vor dem einsamen Bauerngehöft gekreuzt, um den ‚Stößer‘ hier abzufangen. Unermüdlich hatte Axel den Kieker an den Augen. Der Kutter kam nicht. Die drei Männer wurden immer schweigsamer. Sie fürchteten, daß das Unheil doch geschehen, daß der Kutter vielleicht von Osten das Gehöft angelaufen hatte und den Zöllnern leichte Leute geworden war. –
Jochem bat sich das Glas aus. „Meine Augen sind besser, Herr Baron,“ meinte er.
Nach einer Weile setzte er den Kieker ab. „Dort treibt ein leeres Boot,“ sagte er und deutete nach Nordwest. „Ob wir’s ins Schlepptau nehmen? Es muß irgendwo abgetrieben sein.“
Der alte Tamm steuerte darauf zu. Dann Jochem Schmidts Stimme: „Den Düwel ook – do sett ‘n Weib drin!“ –
Das Motorboot lief langsamer. Jochem hatte den Bootshaken bereit, zog den Nachen längsseit.
„Ebba!“ Ein gurgelnder Schrei war aus Axels Kehle gekommen. Dann kletterte er in den Nachen, beugte sich über sein Weib, sank in die Knie.
„Tot – tot! Erfroren!“ heulte er mit Tönen heraus, daß Tamm und Jochem ein Eisesschauer über den Rücken ging.
Jochem trug Ebba in die Kajüte. Hinterdrein taumelte Axel.
„Schnaps her!“ brummte Jochem. „Sie lebt ja. Da – sie schlägt schon die Augen auf.“
*
Am nächsten Vormittag brachte der Postbote eine Depesche zu Rielkes, die erst nach Kairo gegangen und dann dem Baron hierher nachgeschickt worden war. Sie enthielt die Mitteilung von dem Millionenvermächtnis der ermordeten Frau Asta Henning an den Baron von Randolfström.
Axel saß neben Ebbas Bett, reichte ihr die Depesche.
Ebba traten Tränen in die Augen. „Wie – wie lieb muß sie dich gehabt haben!“ meinte sie wehmütig. Er nickte ernst. – Und beide ahnten nicht, weshalb Frau Asta hatte sterben müssen. Niemand ahnte es. Der Mörder wurde nie entdeckt. –
Für August Tornquist gab’s traurige Weihnachten. Ein paar maskierte Kerle hatten ihm im Stadtpark aufgelauert und ihn derart durchgebleut, daß er vierzehn Tage nicht liegen, nicht sitzen konnte. Der war jetzt in Braunsande unmöglich geworden. Überall begegnete er schadenfrohen Gesichtern. Kein Mensch kaufte mehr bei ihm. Da verließ er die Stadt, zog nach Berlin. –
Im Fischerhäuschen zwischen den Dünen brannte der Christbaum. Ebba und Axel saßen Hand in Hand und schmiedeten Zukunftspläne. Eine Villa sollte hier anstelle des Häuschens erstehen und ein großer Garten nach dem Walde hin.
„Das Glück wird drin wohnen,“ sagte Ebba laut und fest. Sie hatte Vertrauen zu ihrem alten Freunde, dem weiten, starken Meere, das auch Axel stark machen würde.
Ebba hatte sich das Glück vermählt; ihr gehörte jetzt die Welt, die Zukunft, – ihr und ihrer großen Liebe.
* *
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Fußnoten:
1 „Jan, dreh’ dem Benzinstänker den Hals zu!“
2 Teufel
3beinah hät unser ‚Stößer‘ (Raubvogel, gewöhnlich für den Taubenhabicht gebraucht) dem Leuchturm einen Besuch gemacht
4 Jan, spute dich, hohl den Kahn längsseit und schmeiß die Netze zu einem Berg zusam-men.
5 Herren
6 wundern
7 schmeißt