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Glück auf!

Roman-Beilage

der

Preußischen Lehrer-Zeitung.

Nr. 112–127 | Spandau, Dienstag, den 19. September – Dienstag, den 24. Oktober | 1911.

 

Glück auf!

 

Roman von Hans Dominik.

(Nachdruck verboten.)

 

 

Erstes Kapitel.

Die Finken schlugen der aufgehenden Maisonne ihren Jubelruf entgegen. Sie schüttelten das vom Nachttau noch feucht Gefieder und hüpften von Zweig zu Zweig in den Kirschbäumen, die im weißen Blütenschmuck zu beiden Seiten der langen Allee standen, die von Tiefensalzach zu den Kaliwerken führte.

Am Ende der Allee, die bergan stieg, erhoben sich auf einem Hügel die schwarzen langgestreckten Umrisse der Zechen mit ihren Fördertürmen, Schornsteinen und Zechenhäusern.

Die Morgensonne, die hinter jenem Hügel eben den Horizont überstieg, kleidete die Schatten in purpurnes Karmin und verbrämte die aus den Schornsteinen dick hervorquellenden Rauchmassen mit goldig funkelnden Rändern.

Das Läutewerk der Zechen Gloria I und Gloria II verkündete kurz vor sechs Uhr früh den Ruf zur Arbeit.

Wie auf den Befehl eines gewaltigen Herrschers strömten auf den Straßen und Gassen von Tiefensalzach Hunderte von Bergleuten und Beamten des großen Kaliwerkes und fluteten wie ein schwarzer Menschenstrom die Allee empor zu den Zechenhügeln.

Zu beiden Seiten der blühenden Kirschbäume befanden sich viele kleine, sauber gepflegte Gärten, in deren Mitte wetterfeste Holzlauben standen, die mit dem lustigen Grün von Bohnen, Erbsen oder Zierranken umkleidet waren.

In den Gärten zeugten kleine farbenprächtige Blumenbeete und sorgsam gepflegtes Gemüse von dem Fleiß ihrer Besitzer. Die Arbeiter, die jetzt ihrem schweren Tagewerk entgegengingen und mit kühnem Mut, jäher Entschlossenheit und muskelstarken Fäusten tief im Schoße der Erde das Kali zutage förderten, waren Besitzer dieser Gärten durch die praktische Güte der Frau Generaldirektor geworden.

Die schöne Frau Trenkmann! Unwillkürlich kam das schmückende Beiwort mit auf die Lippen, wenn irgendwo in Tiefensalzach die Rede auf die Frau des Generaldirektors kam. Nicht nur in den Kreisen, in denen Trenkmann verkehrte, war die Bezeichnung in Gebrauch. Auch die einfachen Bürger von Tiefensalzach, ja selbst die Häuser der Zeche, die tagaus, tagein tief unten in der Finsternis das Salz brachen – – sie alle gebrauchten fast unbewußt jenen Zusatz. Während die Bürger der Stadt und die Arbeiter der Gruben zu dem allmächtigen Generaldirektor hinaufsahen wie zu einem Halbgott, der unermeßlich hoch über ihnen thronte, an dem menschliche Einzelheiten suchen zu wollen, kühn und vermessen gewesen wäre, stand Frau Trenkmann durch ihre sieghafte, blendende Schönheit allen nahe.

Und der Neid mußte ihr lassen, daß sie eine wirklich vollkommen schöne Frau war.

Wohl hatte sie die Dreißiger erreicht. Doch ihre Lebenserfahrungen, die Sicherheit, die sie mit ihren Jahren erworben hatte, hoben ihre vollerblühte Schönheit in ein eigenartiges, reizvolles Licht. Ein fester, gesunder und zielbewußter Geist wohnte in einem gestählten, anmutigen Körper.

Den Sport pflegte sie als das beste Erhaltungsmittel ihrer Schönheit. Eine gewandte Reiterin und geschickt im Tennisspiel betrieb sie leidenschaftlich beide Übungen. Bald führte sie ein Morgenritt durch die waldreiche Umgebung von Tiefensalzach, und bald wieder war sie auf dem im Park des Schlosses gelegenen Lawntennis-Platz mit ihrer jüngern Schwester Margarete zu treffen. Solch Leben war wohl geeignet, dem Körper die Spannkraft und Schlankheit zu wahren. So zeigte Frau Generaldirektor Trenkmann auch jetzt noch die elegante und rassige Figur, die in ihren Mädchenjahren so sehr an ihr bewundert wurde.

Wer sie zuerst sah, dem fiel vor allem das prächtige tizianblonde Haar auf, das sie ebenso wie ihre Schwester nicht nach der gerade herrschenden Mode, sondern völlig nach ihrem Geschmack geordnet trug. Ein loser künstlerisch geschlossener Haarknoten, von prächtigen Wellen gehalten und als Schmuck in ihm vielleicht nur ein mit winzigen Diamanten oder Perlen besetzter Schildkrotkamm.

Frau Trenkmann war eine geborene Baronesse von Gerolsheim, die älteste Tochter eines vermögenslosen Majors von der Linie. Sie hatte als junges Mädchen die vielen Leiden und die wenigen Freuden ihres Standes und ihrer Verhältnisse voll zu kosten bekommen.

Solange ihr Vater aktiv war, solange die Möglichkeit bestand, daß er Regimentskommandeur und sogar General werden konnte, hatten die jungen Herren der Gesellschaft die schöne Baronesse umschwärmt und ihr tausend Schmeicheleien gesagt.

In dem Augenblick aber, da der Major von Gerolsheim den Abschied erhielt und mit bescheidener Pension und noch bescheidenern Privatmitteln in eine stille Pensionsstadt übersiedelte, war diese gesellschaftliche Stellung mit einem Schlage verschwunden. In jenen Jahren hatte die Baronesse den Wert aller dieser Dinge richtig einschätzen gelernt. Hatte sie schon in den Tagen des Glückes alle diese Huldigungen ein wenig skeptisch betrachtet, so lernte sie in den Tagen des Unglücks noch schärfer sehen, und dachte mit redlicher Verachtung an die bunten Schmetterlinge vergangener Jahre zurück.

Und als dann ihr Vater nach wenigen Jahren des Ruhestands starb, da nahm sie die Verwaltung ihres einzigen Kapitals, ihrer Schönheit, selbst kühl abwägend und zielbewußt wie eine praktische Geschäftsfrau in die Hand.

Scharf beobachtend schätzte sie jeden Mann nur nach seinem Können und Vermögen. Nicht nur nach seinem Vermögen allein, – o nein – sie war zu klug, um sich nur von dem Vermögen eines Mannes blenden zu lassen.

Wie oft hatte sie es erlebt, daß schwer vermögende Männer infolge ihrer Spekulationen in kürzester Zeit verarmten.

Waren die Vermögen, wie es in ihren Kreisen meistens üblich, nur ererbt, nicht durch den Besitzer infolge seines Könnens selbst erworben, so ging wohl auch allzu oft durch die lockern Hände des Sohnes in alle Winde, was die Väter erworben hatten.

In der Verwandtschaft ihres Vaters hatte sie mehr als eines solcher Trauerspiele gesehen. Der Mann, an den sie ihre Zukunft ketten wollte, mußte von anderm Schlage sein. Vom Schlage Trenkmanns.

Als der Generaldirektor Trenkmann durch einen Freund ihres Vaters seine Werbung um ihre Hand anbrachte, da gab sie ein festes bestimmtes Ja. Es war gewiß keine Herzensneigung, war von ihrer Seite bestimmt nicht jene alles überwindende Liebe auf den ersten Blick, von der die Dichter so viel zu erzählen wissen.

Aber sie achtete den Generaldirektor Trenkmann wegen seines Könnens. Aus eigner Kraft hatte er sich als rauhe Herrennatur, als gewiegter Geschäftsmann über die Allgemeinheit emporgeschwungen und zum Herrscher über Millionen gemacht. Das war die Bürgschaft, die ihm bei seiner Werbung um ihre Hand von Nutzen war.

Denn aus solcher Achtung kann wohl Liebe entspringen. Und solche Achtung brachte Leonore von Gerolsheim ihrem Manne entgegen, der sie von ganzem Herzen liebte.

Seine Frau nahm diese Liebe wie etwas Selbstverständliches und Wohlverdientes hin. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, daß sie mit ihrer Schönheit, mit ihrem ganzen Sein, nicht ebensoviel geben sollte, wie ihr Mann mit seinem Vermögen und seiner Person.

Ihr Ruf war tadellos.

In ihrer ersten Zeit in Tiefensalzach bei den ersten Gesellschaften, die ihr Gemahl im Schlosse Falkenruh, seiner fürstlichen Besitzung, den Offizieren und höhern Bürgerkreisen der Stadt gab, verliebten sich die Heißsporne Hals über Kopf in die schöne Frau. Da war sie es selbst, die sich nicht genierte, die Herren, die die Gesetze der Gastfreundschaft verletzend ihr zu stark den Hof machten, öffentlich deswegen zu rügen, und zwar in einer Weise zu rügen, die den jungen Hitzköpfen ein für alle Mal die Schranken zeigte.

Auch unter den tausend Arbeitern der Zeche war die schöne Frau Generaldirektor verehrt und allgemein beliebt.

Sie war es, die sich von ihrem Gatten einen Teil seines Besitzes bei der Stadt schenken ließ und diesen Besitz wiederum den Arbeitern zur Verfügung stellte, damit sie sich dort während des Sommers kleine Gärten errichteten. Ja, sie tat noch mehr und gab ein Kapital, von dessen Erträgnissen den Arbeitern Gemüse, Sämereien, Blumen und sonstige Dinge für ihre Gärten geliefert wurden.

Sie stand an der Spitze aller Wohlfahrtsbestrebungen für die Zechenbelegschaft ihres Gemahls und leitete die Wohltätigkeitsfeste im Interesse solcher Bestrebungen.

Bei diesen Festen hatte sie Kurt Graditz kennen gelernt.

Kurt Graditz, der einzige Sohn der verwitweten Frau Stadtrat Graditz, hatte unter seinen Mitbürgern nicht viele Freunde.

Die meisten nannten ihn einen Phantasten, der sich, obwohl er lange Jahre im Auslande gewesen – er war Ingenieur – nicht gebessert habe.

Vielleicht war gerade durch die Erfahrungen, die der junge Graditz in Amerika gesammelt hatte und die weit über den Horizont seiner Mitbürger gingen, zwischen ihm und diesen die breite Kluft des Nichtverstehens entstanden.

Anders dagegen als die Bürger von Tiefensalzach urteilte Frau Trenkmann über den jungen Ingenieur.

Wäre ihr Ruf nicht so untadelhaft gewesen, so hätten die bösen Klatschmäuler der Stadt aus dem heutigen Zusammensein mit dem jungen Ingenieur allerlei Stoff schöpfen können.

Meistens war jedoch bei diesen Zusammenkünften ihre jüngere Schwester in ihrer Begleitung und in der Gemeinschaft dieser drei wurden für die Arbeiter, die Witwen und Waisen der Stadt Tiefensalzach alle jenen Wohltätigkeitsfeste ausgeklügelt, mit deren Ertrag die Frau Generaldirektor viel Tränen und Kummer zu stillen vermochte. Sie selbst dagegen vermied es, mit den Bedürftigen persönlich in Berührung zu kommen und überließ den Verkehr mit ihnen ihrer jüngern Schwester Margarete und dem Ingenieur Graditz.

Sie ahnte wohl nicht, daß sie damit für diese jungen Leute Berührungspunkte schuf, deren Tragweite von so schwerwiegender Bedeutung für das Leben der beiden werden konnte. Glaubte sie doch, daß ihre Schwester Margarete einen ihr ähnlich abwägenden, kühlen, nüchternen Charakter besäße.

Margarete Trenkmann hatte wohl äußerlich große Ähnlichkeit mit ihrer Schwester. Fast fünfzehn Jahre jünger, zeigte sie in der Jugendblüte die wundersame Schönheit, die ihre Schwester vollgereift zur Schau trug. Doch ihr Charakter war nach der Mutter geartet.

Das war eine stille, weichherzige Frau gewesen. Ihre Milde war als Erbteil ihren Töchtern überkommen. Aber bei der jüngern, bei Margarete, beherrschte jene Weichheit das ganze Wesen. Ihr ging wohl einmal das Herz mit dem Kopf durch.

Frau Trenkmann verfolgte die großen Richtlinien des Lebens mit klarem Kopfe und hellen Augen. Aber sie sorgte daneben, sie half, sie legte mit fühlendem Herzen die helfende Hand an, wo immer es not tat. Und den Leuten der Trenkmann’schen Zechen tat mancherlei not.

So waren jene Gärten entstanden. Hier ruhten die Bergknappen von ihrem Tagewerk aus, hier erholten sie sich nach der schweren Arbeit und füllten die von der Grubenluft angegriffenen Lungen mit neuem Sauerstoff. Nach Feierabend oder an Feiertagen weilten sie dort, und wie eine besondere kleine Stadt, farbenweich und luftig aus Blumen, Grünem und leichten Brettern aufgebaut, mutete das gesamte Bild an.

Doch jetzt am Morgen, da sie zur Arbeit zogen, hatten sie nur einen flüchtigen, aber doch zärtlichen, fast liebevollen Blick, wenn sie an dem kleinen Platz ihrer Feierstunden vorüberkamen, und in ihrem Innern sehnten sie sich bereits nach der Minute, da sie der eherne Riese der Arbeit aus dem dunkeln Schoß Mutter Erdes wieder entließ – zu Sonnenlicht, zu Blättern und Blumen.

Wie das riesige Maul eines Ungeheuers verschluckte das große Tor der Zechen die Scharen, und Mann für Mann passierten sie bei dem Pförtner den Kontrollapparat, der genau die Nummer eines jeden und die Zeit des Betretens des Arbeitsplatzes verzeichnete. Da war jede Sekunde kostbar. Keine militärische Organisation verfügte wohl über eine Disziplin, die straffer und schärfer gewesen wäre als die, die der allmächtige Generaldirektor der Kalizechen – Eberhard Trenkmann – hier eingeführt hatte. Es kam mehr als einmal vor, daß der Generaldirektor persönlich am Kontrollapparat stand und die bei ihm vorbeiziehenden Arbeitermassen mit seinem kalten, stets undurchdringlich scheinenden Gesicht beobachtete.

Scheu und doch mit Ehrfurcht zogen die Arbeiter vor ihrem Brotgeber die Mütze, und erst wenn sie aus Seh- und Hörweite von ihm waren, sagten sie untereinander:

„Der Alte scheint überhaupt nicht an Ruhe zu denken. Wir möchten mal wissen, wann der eigentlich schläft.

Denn – entweder war die letzte Nacht bei ihm bis in den frühen Morgen Gesellschaft gewesen, oder aber er hatte mit seinen Beamten bis spät nach Mitternacht zusammen gearbeitet.

Solange die Kalizechen unter seiner Leitung standen, und das waren nun reichlich zwanzig Jahre, konnten sich die Arbeiter nicht erinnern, daß ihr Generaldirektor einmal auf Urlaub gewesen. Mit rastloser, eiserner Strenge leitete er die Arbeit in den Zechen und schien außer der Arbeit kein andres Vergnügen zu kennen.

Alles, was mit der Arbeit und den Arbeitern zusammenhängt, interessierte ihn bis ins kleinste.

Doch nicht etwa so, daß ihm das persönliche Wohl der Menschen irgendwie Nachdenken verursacht hätte, daß er vielleicht um die soziale Besserstellung seiner Untergebenen gesorgt hätte. Nein! Die Menschen als solche waren ihm ganz gleichgültig. Er kannte nur den Wert der geleisteten Arbeit eines Menschen und vor allen Dingen den Wert der geleisteten Arbeit für sein Unternehmen.

Sah er irgendein Mittel die Arbeitsleistung seiner Leute zu steigern, so war es ihm recht und mit gewohnter Rücksichtslosigkeit schritt er zu dessen Anwendung. Geradezu beunruhigen konnte ihn die Vorstellung daß irgendeine zu seiner Verfügung stehende Arbeitskraft nicht voll ausgenutzt würde. Eine Maschine, die unnötig still stand oder leer lief und eine Arbeitskraft, die nicht hergab, was sie nur irgend hergeben konnte, das waren Dinge, die ihn aus seiner Ruhe brachten.

Auch die hübschen Gärten zu beiden Seiten der Kirschenallee hatte er aus solcher Erwägung heraus entstehen lassen.

Seine Arbeiter hielten ihn deshalb für ihren Wohltäter. Sie wähnten, daß er um ihre Person besonders besorgt sei, während er in Wirklichkeit durch sein Geschenk doch nur ihre Arbeitskraft erhöhen und anstacheln wollte.

Aus derselben Erwägung heraus hatte er Arbeiterkolonien errichtet, hatte er seinen Leuten gesunde und hübsche billige Wohnungen geschaffen. An sich betrachtet, war seine Handlungsweise eine wohltuende und humane. Aber er mußte wesentlich von seinem Zauber als Wohltäter der Menschheit verlieren, wenn man seinen Gründen nachging.

Mit derselben ruhigen Selbstverständlichkeit, mit der er seinen Arbeitern Häuser und Gärtchen schuf, hätte er sie auch in den leeren Tonnen wohnen lassen und mit schwedischen Streichhölzern gefüttert, wenn davon irgendeine Erhöhung ihrer Arbeitskraft und Arbeitsleistung zu erwarten gewesen wäre.

Das war Generaldirektor Trenkmann. Zum Verständnis seines Tuns und, wenn man will, auch zur Entschuldigung muß freilich gesagt werden, daß er selbst ein Fanatiker der Arbeit und für seine Person außerordentlich bedürfnislos war.

Er wurde höchst unangenehm, wenn einer seiner Angestellten zu spät zur Arbeit kam. Aber dafür saß er selbst auch spätestens um acht Uhr an jedem Morgen in seinem Kontor und arbeitete mit beinahe übermenschlicher Kraft.

Der Generaldirektor Trenkmann versteuerte ein jährliches Einkommen von rund einer Million Mark. Aber wenn die Frühstücksstunde gekommen war, zog er zwei einfache belegte Brötchen, gewöhnlich in ziemlich durchfettetes Papier gewickelt, aus seiner Tasche. Während er sie verspeiste, ging die Arbeit ununterbrochen weiter, wurden Briefe beantwortet, Anordnungen getroffen und Befehle erteilt. Die Häuer und Schachtmeister der Zeche Gloria frühstückten besser und umfangreicher als ihr Generaldirekter. Sie hatten wenigstens kalten Kaffee zu ihren Brötchen.

Als die Belegschaft nun heut an jenem Maimorgen der Zeche zuströmte, stand Trenkmann wieder einmal auf dem Zechenhofe, umgeben von mehreren fremden Herren.

„Ich habe hier die vereinbarten Bedingungen, wandte er sich jetzt an einen von ihnen. „Ihre Firma, Herr Oberingenieur, übernahm bei der Lieferung und Aufstellung der elektrischen Hauptschachtfördermaschine die folgenden Verpflichtungen. Die Förderschale muß mit einem Zuge 1600 Kilogramm Salz in vier Wagen mit einem Gesamtgewicht von 600 Kilogramm aufnehmen. Sie muß mir ferner in einer Stunde 32 Schleppzüge machen. Sie muß in einer Stunde 42 Tonnen Salz zutage fördern, ich muß durch diesen einen Schacht in der achtstündigen Schicht 336 Tonnen Salz nach oben bekommen.

„Sehr wohl, Herr Generaldirektor, unterbrach ihn der Oberingenieur Fredersen, dessen völlig unerschütterliche Ruhe in Fachkreisen weit bekannt war. „Ganz recht, Herr Generaldirektor. Die Ziffern, die Sie eben nannten, sind von uns verbürgt. Ich bemerke indes schon jetzt, daß sie die untere Grenze darstellen, daß wir bei richtiger Organisation mit der Anlage sehr viel mehr, herausbringen. Es liegt nicht an den Maschinen, sondern an den Menschen, wenn das nicht geschieht.

„Wie meinem Sie das? fiel ihm Trenkmann ins Wort. „Was kann dabei an den Menschen liegen?

„Es würde zu weit führen, Ihnen das jetzt im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich habe meine Montagemannschaft für diese Maschinenprobe auf die Förderung eingeübt, und ich muß von der Grubenverwaltung lediglich verlangen, daß meinen Leuten unten am Füllort so viel volle Wagen zugeschoben werden, wie sie brauchen, daß ihnen hier oben am Abschlageort so viel leere Wagen zur Hand gebracht werden, wie sie verlangen. Wenn die Zechenverwaltung diese Bedingungen erfüllt, werden Sie die volle Leistungsfähigkeit unsrer elektrischen Fördermaschine kennen lernen.

„Einen Augenblick, sagte der Generaldirektor Trenkmann und wandte sich zu einem andern der Herren.

„Herr Betriebsführer, Sie haben gehört, was der Bevollmächtigte der Siemenswerke verlangt. Ich mache Sie dafür haftbar, daß es über Tage erfüllt wird.

„Herr Obersteiger, wandte er sich an einen andern. „Sie sind mir dafür verantwortlich, daß die voll beladen Salzwagen den Leuten des Herrn Fredersen unter Tage in ununterbrochenem Strom zugeführt werden. Und jetzt wollen wir uns die Sache am Füllort betrachten. Wir wollen als die ersten mit der neuen Fördermaschine einfahren.

Mit langen Schritten ging Trenkmann, gefolgt von Fredersen und dem Obersteiger, in das Schachthaus und trat an die neue Anlage heran.

Wer das erstemal in das Schachthaus einer großen Zeche und an eine dieser Riesenmaschinen herantritt, den muten sie wunderlich und bedrückend an.

Die Fördermaschinen sollen ja das unten im Bergwerk gewonnene Gut durch den senkrechten Schacht nach oben fördern. In frühern Jahrhunderten waren diese Anlagen recht einfach. Über dem Schacht war ein kleiner Haspel, eine einfache Winde aufgestellt. Über ihre Trommel war ein kräftiges Seil in mehreren Windungen geschlungen, und an dessen beiden Enden hingen große Tröge oder Zuber. Die Länge des Seiles war so bemessen, daß, ähnlich wie bei den alten Brunnenanlagen, der eine Eimer oder Trog oben bei der Winde war, wenn der andre unten im Schacht auf dem Grunde stand. Ebenso einfach wie diese Maschine war auch der Betrieb.

Man packte Salz, Erz oder sonst gewonnene Dinge in den untern Eimer. Dann drehte man durch Menschenkraft oder auch mit Hilfe von Pferden das Windwerk so lange, bis der volle Eimer oben war und der leere unten. Dann packte man den obern Eimer aus, den untern dagegen voll und zog von neuem hoch.

In unsrer Zeit hat sich diese einfache Vorrichtung zu einer gewaltigen Maschinenanlage ausgewachsen, wenn sie auch nach Zweck und Wesen dasselbe geblieben ist. Aus den alten Eimern oder Trögen sind die riesigen Förderschalen geworden. Das sind käfigartige, zweistöckige, gewaltige Kasten, in die man gleichzeitig vier schwere Grubenwagen oder etwa 50 Leute hineinbringen kann. Aus dem alten einfachen Förderseil ist heute ein schwerer, aus Stahldrähten geflochtener Gurt geworden, den selbst zwei Lokomotiven nicht zerreißen würden. An Stelle der alten einfachen Winde erheben sich riesige Seilscheiben über den Schächten moderner Zechen, die wie Wahrzeichen weithin über das Land ragen. Und nicht mehr von Hand, sondern durch große elektrische oder Dampfmaschinen wird der ganze Mechanismus gedreht.

Im Schachthaus der Zeche „Gloria hing die gerade oben befindliche Förderschale in gleicher Höhe mit dem umgebenden Gebäuderaum, dem sogenannten Abschlageort. Die Tür des Drahtkäfigs, der den Schachtmund umgab, war geöffnet, und Trenkmann trat mit seinen Begleitern in die Schale.

Vier scharfe Glockenschläge gaben dem Maschinisten das Zeichen „Personenfahrt. Klirrend schloß sich die Gittertür, und im selben Augenblick wäre Trenkmann gefallen, wenn ihn der Oberingenieur Fredersen nicht gehalten hätte.

„Was ist das? rief der Generaldirektor erschrocken.

„Das ist die Personenfahrt der elektrischen Fördermaschine, erwiderte Fredersen mit vollster Trockenheit. „Sie geht etwas anders los als Ihre alte Dampfkarre. Im Augenblick, als ich die Gittertür zuschlug, bekam der Maschinist durch einen Türkontakt das Abfahrtszeichen, und jetzt gehen wir bereits mit acht Metern in der Sekunde nach unten. Gleich müssen wir da sein.

Der Generaldirektor schwieg, aber selbst beim Schein der matten Grubenlampen konnte man sehen, wie sein Auge heller leuchtete. Eine solche Präzision und Akkuratesse imponierte ihm. Eine solche Ausnutzung aller Vorteile war nach seinem Geschmack.

Fredersen stand ruhig neben ihm. Er hielt es nicht für nötig, besonderes Aufheben davon zu machen, daß er den Maschinisten, einen alten Monteur seiner Firma, gestempelt hatte, den Generaldirektor mit einem gehörigen Ruck nach unten zu befördern und fieberhaft auf das Türsignal zu achten.

Schon setzte die Schale jetzt unten auf und ihre Insassen traten hinaus in das sogenannte Füllort. Hier war in das kostbare Kalisalz ein saalartiger Raum geschlagen. Nichts von dem Schmutz und der trostlosen Schwärze, die den Aufenthalt in Kohlenbergwerken so traurig und öde machen, war hier zu bemerken. Hellweiß schimmerten im Glanze der elektrischen Bogenlampen die Salzwände des Füllortes, und ohne Staub und Schmutz ging alles vor sich.

Nach vier Richtungen zweigten sich die unterirdischen Gänge, die sogenannten Strecken vom Füllort ab, und tief in sie hinein sah man beim Schein des Glühlichts die mit dem Salz beladenen Wagen auf den Schienensträngen stehen.

Der Oberingenieur Fredersen ging an das Grubentelephon, das ihn mit seinem Obermonteur über Tage in Verbindung brachte. Ein kurzes Gespräch. Dann zog er seine Uhr und trat zu Trenkmann heran.

„Herr Generaldirektor, es ist in dreißig Sekunden sieben Uhr. Um sieben geht es los.

Auch der Generaldirektor hatte das schwere goldene Chronometer aus der Tasche gezogen.

„In 28 Sekunden, sagte er verbessernd.

„Die zwei Sekunden wird meine Firma der Zeche Gloria zugeben, erwiderte Fredersen sehr trocken, ohne sich weiter um einen erstaunten Blick des Generaldirektors zu kümmern. „Ich habe meine Uhr heute früh nach dem Bremer Zeitsignal auf Viertelstunde gerichtet. Sie gibt unbedingte Normalzeit – 57 – 58 – – 60 – Los!

Im selben Augenblick packten zwei von Fredersens Leute je einen Wagen und schoben ihn, von der Hilfsmannschaft unterstützt, auf die Förderschale. Ein Stoß ließ die schweren Wagen in den Förderkorb rollen, und noch ehe sie recht zum Stehen gekommen waren, flog die Tür zu und ehe der Generaldirektor noch recht begriffen hatte, daß die geschlossen war, war die Förderschale auch bereits seinen Blicken entschwunden, nach oben entrückt.

Schon faßten Fredersens Leute zwei neue Wagen und schoben sie an die geöffnete Tür der andern Schachthälfte. Während die eine Förderschale nach oben stieg, mußte ja die andre sich senken. In etwa anderthalb Minuten mußte diese zweite Schale von oben her erscheinen.

Sie kam, in ordnungsmäßiger Weise mit leeren Wagen besetzt. Sie tauchte in das Gesichtsfeld und stand. Im selben Augenblick schoben Fredersens Leute mit Gewalt die vollen Wagen herein. Donnernd stießen sie gegen die leeren Wagen und warfen diese zur andern Seite heraus. Dort rollten sie ein Stück auf dem Schienenstrang weiter, aber niemand kümmerte sich um sie. Fünf Sekunden, nachdem die Schale angekommen war, schlugen die Türen schon wieder zu, und im Augenblick verschwand die Schale nach oben.

„Man zieht doch die leeren Wagen erst heraus und schiebt dann die vollen hinein! rief Trenkmann.

„Wenn man Zeit hat, Herr Generaldirektor, sagte Fredersen und seine Stimme klang so trocken, wie die trockendste Stelle der Wüste Sahara. „Wenn man Zeit hat. Aber wir haben gar keine Zeit – –

Der Donner der in die andre Förderschale hereingestoßenen und herausgeworfenen Wagen unterbrach einen Augenblick seine Ausführungen. Ruhig fuhr er danach fort:

„Sie müßten es oben sehen, Herr Generaldirektor. Da stoßen sie natürlich die vollen Wagen mit den leeren hinaus. Aber es klappt. Diesmal wurden nur vier Sekunden gebraucht, um oben und unten je vier Wagen auszuwechseln.

Wieder wurden in diesem Augenblick die vollen Salzwagen auf die Schale geschoben, während Fredersen und Trenkmann ihre Uhren betrachteten.

„Nicht ganz drei Sekunden, sagte Fredersen, als die Förderschale wieder wegging. „Sie haben stramm geladen, Herr Generaldirektor. Ihre Wagen tragen mehr als acht Zentner. Aber unsre Maschine hat Reserven. – 90 Sekunden, fuhr er fort, als die Förderschale wieder erschien. „Und wir haben reichlich hundert Sekunden für eine Fahrt Zeit. Ich glaube, wir werden die garantierte Leistung um 50 Prozent überschreiten.

Trenkmann antwortete ihm nicht. Abwechselnd sah er auf seine Uhr und auf die Förderschale, die in immer kürzern Pausen auftauchten, mit der Schnelle eines Augenblicks ihre Ladung bekamen und wieder fortsausten.

„80 Sekunden, murmelte Fredersen. „Wir haben im Schacht eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Metern in der Sekunde erreicht. Unsre Förderschalen laufen mit Kurierzuggeschwindigkeit, Herr Generaldirektor.

Noch immer antwortete Trenkmann nichts. Eine volle Stunde blieb er am Füllort stehen, einer Statue gleich, während um ihn her das wilde Leben brandete und die Montagemannschaft Fredersens die Wagen in die Schalen hinein schmetterte.

„8 Uhr, Herr Generaldirektor! unterbrach jetzt Fredersen den Sinnenden. „Unser Rapport gibt genau 45 Schleppzüge. Wir haben in einer Stunde 56 Tonnen Salz anstatt der verlangten 42 gefördert.

„Fahren Sie fort, erwiderte jetzt Trenkmann. „Der Versuch ist vertragsgemäß über acht Stunden ununterbrochen auszudehnen. Die Probeförderung hat bis fünf Uhr weiter zu gehen. Danach erwarte ich sie in meinem Bureau.

„Allright, sagte Fredersen und wandte sich wieder seinen Leuten zu.

Trenkmann schritt dagegen durch die Strecke zu einem andern Schacht, der noch durch die Dampffördermaschine befahren wurde. Unvermutet tauchte er bald bei dieser, bald bei jener Gruppe auf, und erreichte nach halbstündiger Wanderung den andern Schacht. Der Generaldirektor, der sonst mit seiner Zeit so sparsam war, scheute heute den weiten Gang nicht, um die Probefahrt im Schacht I nicht zu stören.

Ruhig und gemächlich ging er, nachdem die Dampfmaschine ihn wieder über Tage gebracht hatte, über das Zechenfeld hin und trat eine gute Stunde später noch einmal an das Abschlagort des Schachtes I, wo der Betrieb nach wie vor in sinnverwirrender Eile vor sich ging.

„Um 9 Uhr neunzig Tonnen, sagte der Betriebsführer, der dort noch auf seinem Posten stand und den Rapport selbst nachprüfte.

„Es ist gut, erwiderte Trenkmann und wandte sich über den Zechenhof hin seinem Bureau zu.

In ebenso musterhafter Form wie der Zechenapparat funktionierte der Bureauapparat. Nur als die Räder einer Riesenmaschine galten die unzähligen Beamten. Mit minutiöser Gewissenhaftigkeit erfüllten sie ihre Pflicht, und in halblautem Flüstern wurde zwischen ihnen das geschäftlich zu Besprechende erledigt.

Keiner von ihnen hatte einen Blick für die glitzernde, lachende Sonnenpracht des Frühlingstages, der mit lockenden Farben und blauendem Himmel vor den großen Fenstern der Bureaus lag.

Sobald der Generaldirektor vor seinem Schreibtisch Platz genommen, trat sein Geheimsekretär, Ernst Brederoff, zu ihm und überreichte ihm sein Tagesjournal, in welchem alle zu erörternden oder zu erledigenden Geschäftsvorfälle eingetragen waren. Dieses Journal nannten die Bureaubeamten das „schwarze Buch. Sie fürchteten seinen Inhalt wie ein Gespenst.

Entlassungen und Kündigungen, Gehaltsaufbesserungen und Urlaub, Unterstützungen oder Strafen, Verweise und Befehle erhielt jede Seite dieses Buches. Wie ein mit tausend Augen und Ohren ausgestatteter Körper teilte dieses Buch dem Generaldirektor alles mit, von der kleinsten Einzelheit des Arbeiterbetriebs bis zu dem Millionenauftrag einer Lieferung. Ein handbreiter Streifen war an der Seite des Buches für die Bemerkungen des Generaldirektors freigelassen.

Während er jetzt las, schrieb er sofort an den Rand seine Anordnung. „Hier fehlt etwas, wandte er sich an den neben seinem Stuhl stehenden Geheimsekretär Brederoff – „bei dem Häuer Wolters, der nun bereits seit drei Wochen immer noch täglich als krank geführt wird, ist es an der Zeit, daß der Arbeitsinspektor die Entlassung ausfertigt, oder soll der Mann bis zu seinem Tode bei uns mit vollem Arbeitslohn als krank geführt werden? – Über 14 Tage darf sich das nicht erstrecken. – Dann muß die Krankenkasse genügen.

„Der Wolters ist einer unsrer ältesten Arbeiter, Herr Generaldirektor.

Generaldirektor Trenkmann blickte mit seinen grauen Augen, die stets einen gewissen stechenden Ausdruck hatten, scharf zu seinem Geheimsekretär und sagte:

„Soll der Begriff: Einer unsrer ältesten Arbeiter etwa eine Auszeichnung für den Mann bedeuten?

Der Geheimsekretär schwieg.

„Unterlassen Sie in Zukunft derartige Bemerkungen. Bei mir gibt es keine ältern Arbeiter, sondern nur Arbeiter. In dem Augenblick, wo die Arbeitskraft eines Menschen aussetzt, verliert er den Anspruch, Arbeiter zu sein. Der Mann wird entlassen!

Während der Generaldirektor schweigend weiter las, sah der Geheimsekretär Brederoff mit anscheinend gleichgültigem Ausdruck zu seinem Chef, und niemand hätte hinter den halbgeschlossenen Augen revolutionäre Gedanken vermutet.

Er kannte seinen Chef und dessen in Grundsätzen der Arbeit brutalen Zug. Er wußte, daß Trenkmann erbarmungslos über Leichen schreiten konnte. Das bewies er jetzt wieder im Falle des erkrankten Häuers Wolter. Der Mann war in der Grube verunglückt und zwar nicht durch eigne Schuld, sondern durch die Nachlässigkeit eines höhern Betriebsbeamten. Seit drei Wochen lag er mit schweren Quetschungen im Krankenhause zu Tiefensalzach.

Generaldirektor Trenkmann hatte die Journalseiten durchgearbeitet, klappte das schwarze Buch zu und sagte kurz:

„Meine Sekretärin.

„Verzeihen Sie, Herr Generaldirektor, sagte der Geheimsekretär, und seine lange, schmalbrüstige Gestalt, die stets wie zusammengesunken aussah, richtete sich gerade und seine Augen blickten den allmächtigen Chef offen und klar an:

„Ich möchte im Falle des Häuers Wolters noch eine Frage an Sie richten. Der Mann ist in unserm Betriebe ohne eignes Verschulden verunglückt. Er ist also in seiner Arbeitstätigkeit nicht durch eigne Schuld behindert worden. Er bleibt ein Krüppel. Was soll mit dem Mann weiter geschehen?

Der Generaldirektor blickte in einem geradezu erstaunten Ausdruck auf seinen Geheimsekretär.

Das war das erstemal, daß sich Brederoff erlaubte, ihm gegenüber zu opponieren oder vielmehr an ihn, ohne aufgefordert zu sein, ein Anliegen zu stellen.

„Was geht Sie Wolters an? fragte er scharf. „Sind Sie mit ihm verwandt?

„Nein, Herr Generaldirektor. Was ich frage, ist rein geschäftlich. Der Mann hat Anspruch an uns. Gesetzlich.

„Das weiß ich. Aber dieser gesetzliche Anspruch richtet sich nicht gegen unsre Lohnkasse. Der Mann ist in der Alters- und Invalidenversicherung, und außerdem kommt die Berufsgenossenschaft für ihn auf. Wir werden später sehen, wie weit der Mann mit leichter Hofarbeit beschäftigt werden kann. – –

„Viel wird das mit den beiden zerquetschten Füßen nicht mehr werden, dachte Brederoff für sich, aber er hütete sich wohl, seine Meinung laut zum Ausdruck zu bringen.

„Also zunächst einmal raus mit dem Mann aus unsern Lohnlisten. Was später wird, werden wir später sehen. Die Zeche ist ihm über und über genug entgegengekommen, wenn sie nun schon drei volle Wochen hindurch den vollen Lohn an ihn gezahlt hat. Und das Weitere, Herr Brederoff, ist Sache unsers Rechtsbeistands. Sie sind dafür nicht zuständig und wollen in Zukunft ihre privaten Meinungen freundlichst für sich behalten.

Der Geheimsekretär verbeugte sich, nahm das schwarze Buch und wollte den Raum verlassen.

„Noch einen Augenblick, rief Trenkmann.

„Herr Generaldirektor befehlen?

„Ich wünsche Ihre Mitteilung wegen der eingegangenen Offerten auf die von uns ausgeschriebene Ingenieurstelle.

„Die Bearbeitung der eingegangenen Offerten liegt in Händen des Arbeitsinspektors, und bei der großen Anzahl – soviel ich weiß, sind über vierhundert Bewerbungsschreiben eingelaufen – wird es nicht vor heute abend möglich sein, Ihnen ein Resultat über die Ihnen zum Vorschlag zu bringenden Bewerber vorzulegen.

Trenkmann stand auf und sagte:

„Ich werde selbst zum Arbeitsinspektor gehen.

Wenige Sekunden später trat er beim Arbeitsinspektor Suttner ein, erwiderte kurz dessen „Guten Morgen“ und fügte hinzu:

„Die Besetzung der Ingenieurstelle eilt. Zeigen Sie einmal her, was Sie bis jetzt aus den Offerten ausgesucht haben.

Er setzte sich an den Arbeitstisch und begann die ihm schweigend gereichten Briefe der sich um die Stelle bewerbenden Ingenieure durchzusehen. Nachdem er mehrere gelesen, zog sich seine Stirn in Falten:

„Legen Sie mir doch nicht in einemfort Verheiratete vor. Es ist doch unmöglich, daß Menschen mit Familie mit einem Gehalt von 250 Mark im Monat auskommen können. Und mehr zahlen wir nicht.

„Es wird auch nicht mehr verlangt, Herr Generaldirektor.

„Wie lautete die Anzeige?

„Ingenieur für ein Kaliwerk für gut dotierte Stellung sofort gesucht.

Das Gesicht des Generaldirektors überflog ein kurzes höhnisches Lächeln:

„Merkwürdig bescheiden –, diese Herren Ingenieure. Ich würde für einen solchen Lohn nicht arbeiten. Da ist doch nicht ein einziger, der über 300 Mark fordert.

„Es ist der übliche Satz, Herr Generaldirektor.

Plötzlich lachte Trenkmann laut auf. Erschrocken betrachtete der Arbeitsinspektor seinen Chef. Er vermochte sich nicht zu erinnern, jemals ein derartiges Lachen bei dem Generaldirektor gesehen zu haben.

„Das ist ja großartig, rief Trenkmann und hielt einen Brief zwischen den Fingern. „Kennen Sie diesen Brief, Suttner?

Der Arbeitsinspektor beugte sich über den Brief und las die mit Blaustift aufgeschriebene Nummer 18.

„Jawohl, Herr Generaldirektor.

„Sagen Sie mal, Suttner, das kann doch Ihr Ernst nicht sein, mir den Brief dieses Herrn Ingenieurs Kurt Graditz vorlegen zu wollen. Das ist ja ein Witz von Ihnen, den man irgendwo in den Fliegenden Blättern veröffentlichen könnte, oder wissen Sie nicht, wer Graditz ist?

„Ich bedaure, ich weiß das allerdings nicht.

„Sie kennen nicht den Graditz, der hier in Tiefensalzach wohnt? – Was, den kennen Sie nicht?

„Ich bedaure, nein. Ich komme nur selten nach Tiefensalzach. Da ich meine Dienstwohnung hier im Verwaltungsgebäude besitze, und da ich erst seit einem halben Jahr die Ehre hatte, bei Ihnen zu arbeiten, habe ich keinerlei Beziehungen zu irgendwelchen Personen in Tiefensalzach. Ich urteile nur nach den Zeugnisabschriften, welche der Ingenieur Graditz seinem Bewerbungsschreiben beifügte.

„Dieser Graditz, damit Sie es wissen, Herr Inspektor, gilt in Tiefensalzach als ein ausgemachter Narr. Ein Mensch, den niemand für ernst nimmt. Was seine Zeugnisse anbelangt, so hat er sie wohl mehr durch Protektion und gute Bekanntschaft erhalten, als durch sein persönliches Können. Seit einem Jahre beschäftigt er sich damit, mit einer sogenannten Wünschelrute über die Felder zu gehen, und den Leuten weiszumachen, daß, wenn diese Rute, die er irgendwo von einer Weide abgeschnitten hat, in seiner Hand zur Erde schlägt, sich an dieser Stelle im Erdboden fließendes Wasser befinden muß. Er wollte mich vor einiger Zeit mit einem Kapital von mehreren Millionen an seinem Unternehmen beteiligen. – Ich halte den Menschen für nicht normal. – Im übrigen werde ich den Brief an mich nehmen. Er wird meine Frau genau so amüsieren wie mich.“

Der Arbeitsinspektor entfernte sich jetzt und Trenkmann vertiefte sich in den Inhalt umfangreicher Aktenstücke. Er machte sich Notizen und entwarf Briefe. Eine kurze Mittagspause führte ihn in seine Villa, aber schon die folgende Stunde fand ihn wieder im Bureau. Unruhig schritt er in seinem Arbeitszimmer hin und her. Bisweilen trat er an seinen Schreibtisch, um sich einige Ziffern zu notieren.

„Fünfzehnhundert Tonnen aus diesem einen Schacht, murmelte er dabei. „Das können aus vier Schächten sechstausend Tonnen Kali am Tag werden, wenn die neuen Förderanlagen das halten, was sie versprechen, so kann es wohl so gehen, wie ich wünsche. Und dann setzte sich der Generaldirektor Trenkmann vor ein amerikanisches Aktenstück, und der Mann, dem hundert Schreibkräfte zur Verfügung standen, nahm den Federhalter zur Hand und begann einen Brief zu schreiben.

Dieser Brief war an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gewerkschaft Gloria, den geheimen Kommerzienrat Ernst Gulgenheimer gerichtet. Nach dem Gesetz war der Aufsichtsrat, von allen Gewerken, das heißt, von allen Kuxenbesitzern der Zeche gewählt, eine dem Generaldirektor übergeordnete Instanz. Aber der Aufsichtsrat wurde eben wie gesagt von den Kuxninhabern der Zeche erwählt, und der Generaldirektor besaß persönlich den dritten Teil dieser Kuxe. Er konnte in der Generalversammlung selber den Aufsichtsrat kontrollieren und Rechenschaft fordern.

So war das tatsächliche Verhältnis ein andres. Trenkmann und Gulgenheimer waren zwei große und großzügige Kaufleute, die zusammen den Geschäftsgang der Zeche leiteten, und der Generaldirektor hatte, wie es auch wohl anderswo vorkommt, genau so viel und oft noch etwas mehr zu sagen als der ganze Aufsichtsrat.

An dessen Vorsitzenden nun begann er jetzt einen Brief zu schreiben, der keinem seiner Angestellten zu Gesicht kommen durfte und von dem auch keinerlei Abschrift zu den Akten genommen wurde.

Der Brief hatte den folgenden Wortlaut:

Mein lieber Gulgenheimer!

Sie wissen ebensogut wie ich, daß das alte Kalisyndikat am 30. Juni dieses Jahres abläuft. Meinen Standpunkt gegenüber einer Verlängerung will ich Ihnen nicht vorenthalten. Was haben wir von diesem Syndikat, von dieser scharf kontrollierten Vereinigung aller Kalizechen zu einer großen Verkaufsgenossenschaft denn bisher gehabt? Nichts, nichts und wieder nichts.

Ich halte das Syndikat ebenso wie jede Zwangsinnung geradezu für eine Prämie auf Unfähigkeit und Schwachheit.

Das Syndikat schreibt uns genau vor, wieviel Kali wir im Monat fördern dürfen. Es gestattet uns weiter noch nicht einmal, über dies geförderte Kali frei zu verfügen. Es nimmt uns dieses viel mehr ab.

Zu einem guten Preis. Das will ich gern zugeben. Aber den wahren Vorteil davon haben doch nur die kleinen und wenig wirtschaftlich arbeitenden Zechen, die ohne das Syndikat überhaupt nicht bestehen könnten.

Für uns Großzechen ist es vollkommen gleichgültig, ob das Syndikat am 30. Juni verlängert wird oder nicht. Wir würden bei einer unbeschränkten Förderung frei verkaufen können und würden noch bei solchem Preise gute Profite machen, bei denen die kleinen Zechen bereits bares Geld zulegen. Die kleinen Zechen brauchen das Syndikat.

Wir können auch ohne dieses existieren. Wenn die alte Übereinkunft in diesem Sommer erlischt, so werden wir zu einem neuen Syndikat nur zu haben sein, wenn die kleinen Zechen mit den Beteiligungsziffern an der Gesamtförderung zufrieden sind, die wir ihnen freiwillig zugestehen.

Ich finde es sogar anmaßend, daß diese Leute, welche durch die Verbindung mit uns großen Zechen überhaupt nur existenzberechtigt geworden sind, sich jetzt erlauben wollen, uns für das Mitte Sommer neu zu begründende Syndikat Vorschriften zu machen. Was mich anbetrifft, denke ich gar nicht daran, mich den Wünschen dieser Herren zu fügen.

Sie würden mich verpflichten, wenn Sie und die andern Herren des Aufsichtsrats sich meiner Anschauung anschlössen und wenn Sie den Vorsitzenden des Syndikats wissen ließen, daß wir nicht daran denken, das in zwei Monaten ablaufende Syndikat zu erneuern, wenn die kleinen Zechen sich nicht unbedingt unserm Willen fügen.

Dann heißt es eben wieder: Kampf aller gegen alle und ich glaube nicht, daß unsre Gruben daher schlecht fahren werden, aber die Kleinzechen-Besitzer bei längerm Einhalten absolut ruiniert.

Ganz im Vertrauen teile ich Ihnen noch mit, daß ich nächste Woche den Besuch des Präsidenten des Amerikanischen Kalitrustes erhalte und hoffe ich, mit Mister Dudley eine weitere Klärung über die Fortdauer des deutschen Kalisyndikats zu erreichen.

Vielleicht kommen Sie auf einige Tage zu mir herüber, so daß wir mündlich die geschäftlich politische Lage eingehender besprechen können.

Ich begrüße Sie als

Ihr ergebener

Eberhard Trenkmann.

Diesen Brief kuvertierte und adressierte Trenkmann selbst, und dann trat er wieder auf den Zechenhof. Er ging zum zweiten Schacht und steckte den Brief unterwegs in den Postkasten. Er ließ sich, als seine Uhr ein viertel nach vier zeigte, durch den zweiten Schacht einfahren und wanderte die Strecke zum Füllort von Schacht I hin.

Das Bild war genau so, wie wir es vor sieben Stunden verlassen hatten. Hier unten verschwand ja jeder Unterschied zwischen Tag und Nacht. Ewig schien hier unten das Licht der elektrischen Sonne, und ewig schien hier unten der Mensch zu arbeiten. Nimmer ruhend und nimmer müde. Was wußte die Tiefe davon, daß die Menschen über Tage schlafen und ruhen. Der Schacht und die Strecke, sie kennen nur die arbeitsfrische und arbeitsgewohnte Schicht, die acht Stunden schafft, um dann einer andern Platz zu machen.

Wie Trenkmann ihn verlassen hatte, so fand er jetzt Fredersen wieder, an derselben Stelle und in derselben Haltung. Auch jetzt hatte er die Uhr in der Hand und bisweilen verglich er ein Notizbuchblatt mit dem Chronometer.

Mit einem kurzen „Glückauf trat Trenkmann an ihn heran.

„Glückauf! erwiderte Fredersen. „Es ist zehn Minuten vor fünf, und soeben geht die fünfhundertste Tonne nach oben. Wir bleiben gut fünfzig vom Hundert über unsrer garantierten Leistung.

Befriedigt nickte der Generaldirektor. Dann schaute er dem unermüdlichen Spiel der neuen Fördermaschine zu und zog auch seine Uhr.

„Dreißig Sekunden vor fünf, Herr Oberingenieur, sagte er.

„Zweiunddreißig Sekunden. Herr Generaldirektor, erwiderte Fredersen. „Aber ich erlaubte mir bereits heut früh zu bemerken, daß meine Firma der Zeche diese zwei Sekunden schenkt. Wir sollen 336 Tonnen Salz fördern, und wir haben 520 nach oben gebracht. Wir haben 184 Tonnen mehr gefördert, als unsre Garantie uns zu fördern nötigte, und sind daher in der Lage auf die zwei Sekunden zu verzichten.

In diesem Augenblick schrillte die Glocke durch den Füllraum, die das Ende der Schicht, den Schichtwechsel anzeigte. Wie mit einem Zauberschlage hörte das fieberhafte Treiben auf. Die Förderschale, die eben am Füllort zur Ruhe kam, blieb stehen und die Belegschaft sammelte sich zur Ausfahrt. Als die ersten bestiegen wiederum Trenkmann und Fredersen die Schale. In zwei Minuten hatten sie eine Teufe von dreihundert Metern durchfahren und trafen von einem kräftigen „Glück auf begrüßt in das Schachthaus.

„Also, sagte der Generaldirektor zu dem Oberingenieur beim Abschiede, „ich erwarte von Ihrer Firma allerschnellstens die Kostenanschläge für die Ausrüstung der drei andern Schächte. Sie wollen noch heut abend abreisen? Die Stunden sind mir bei diesem Auftrag kostbar. – Drei große Fördermaschinen, schrie er förmlich, als Fredersen gänzlich unbewegt blieb. „Mann! rührt Sie denn solch großer Auftrag ganz und gar nicht? Das ist doch auch ein Erfolg für Sie.

„Ihr Auftrag freut mich, sagte Fredersen mit gewohnter Trockenheit. „Aber Sie haben die elektrische Zentrale vergessen, die den drei Maschinen den Strom zuführt. Ich werde Sie Ihnen mitveranschlagen.

„Tun Sie das, sagte der Generaldirektor, „und vergessen Sie nicht, daß ich die fertige Anlage bereits in diesem Sommer haben muß.

 

Zweites Kapitel.

„Bewegen Sie sich etwas leiser, Friedrich, und poltern Sie nicht so laut mit dem Porzellan, sagte in dem Speisezimmer des Schlosses Falkenruh Trenkmanns junge Schwägerin Margarete von Gerolsheim zu einem Diener des Hauses, der beim Decken der Mittagstafel beschäftigt war, während sie in einer hochstieligen Kristallvase einige schwerduftende La France-Rosen ordnete.

Ihre Schwester liebte diese Rosen, und den ganzen Winter hindurch mußten die Gärtner in den Treibhäusern die Rosen für sie blühend halten.

Margarete von Gerolsheim besaß eine schlanke biegsame Gestalt. Jeder sah, daß sie die Tochter eines Offiziers war. Ihr feingeschnittenes Gesicht wurde von einer Flut kastanienbraunen Haares umwallt, das fast zu schwer in einem mächtigen Knoten im Nacken des jungen Mädchens lag.

Eine einfache weiße Bluse, ein schlichter schwarzer Rock war die bescheidene Toilette.

Dann und wann lauschte sie in der Richtung eines altgoldenen Samtvorhangs, während sich der Diener bemühte, möglichst geräuschlos die Tafel weiter zu decken.

Der alte Friedrich wußte, warum das junge Mädchen so oft nach jener Seite hinschaute. Im Nebenzimmer pflegte die gnädige Frau, die Gemahlin des Generaldirektors Trenkmann auf einer Ottomane der Ruhe.

Frau Trenkmann wünschte, da sie sich etwas angegriffen fühlte, äußerste Ruhe.

Deshalb mußte heute so lautlos hantiert werden, lautlos und doch pünktlich und schnell.

Denn Generaldirektor Trenkmann liebte, ebenso wie in seinem Arbeitsbetriebe, auch in seinem Haushalt eine peinliche Pünktlichkeit. Nach englischer Tischzeit mußte Punkt fünf Uhr das Essen bereit stehen. Mit dem Glockenschlage fünf trat er in das Speisezimmer, küßte seiner bereits am Tische sitzenden Gemahlin flüchtig artig die ihm entgegengestreckte Hand und setzte sich schweigend an die Tafel nieder. Es war die einzige Mahlzeit bei Tage, bei welcher Trenkmann von seiner Gewohnheit großer Mäßigkeit abwich und ziemlich gut und reichlich zu essen pflegte. Dagegen trank er nur ein leichtes Tafelwasser und verschmähte jede Art von Alkohol. Selten hatte er bei der Mittagstafel irgendein Wort für seine Umgebung.

Heute dagegen brach er sein gewohntes Schweigen, zog einen Brief hervor und sagte zu seiner Frau:

„Ich habe da ein amüsantes Schreiben erhalten, meine Liebe. Es wird Dich interessieren, da Du den Menschen eine lange Zeit begünstigt hast. Es betrifft den Graditz.

„Die Gönnerschaft, welche ich dem Graditz im letzten Jahre angedeihen ließ, war ziemlich selbstsüchtig.

„Selbstsüchtig, inwiefern?

„Sehr einfach. Ich hätte ohne den Graditz unser großes Wohltätigkeitsfest für das Krüppelheim nicht stattfinden lassen können. Er ist der einzige Mensch im ganzen Kreise, welcher genügend Geist besitzt, um ein gutes Theaterstück zu verfassen und auch hübsche Gedichte zu machen. Die Aufführung, welche wir zum Besten des Krüppelheims veranstalteten, ruhte fast ganz auf seinen Schultern. Ich muß offen gestehen, daß mir Graditz außerordentlich hilfreich zur Hand gegangen ist.

„Das will ich nicht bestreiten, daß er derartige Kinkerlitzchen machen kann. Dazu gehört schließlich nicht viel. Er ist eben ein Phantast, und als solcher vermag er sich den Spaß zu leisten. Aber – mit diesem Brief – zeigt er, welch ein Narr er ist: er bewirbt sich um die von uns ausgeschriebene Stelle eines Ingenieurs. Er bildet sich ein, ein Mann fachlicher Tätigkeit werden zu können, oder vielmehr sogar zu sein. Das ist doch wirklich amüsant.

Seine Gemahlin zuckte die Achseln.

„Es macht Dir Spaß, den Graditz in Schutz zu nehmen?

„Möglich, daß Du recht hast, warf sie leichthin. „Im übrigen verstehe ich nicht, warum Du einen so argen Widerwillen gegen Graditz hegst.

„Mir sind Phantasten widerwärtig. Sie sind zu nichts nutze.

„Das bestreite ich.

Der Generaldirektor legte seine Gabel hart hin, so daß sie mit dem Messer zusammen klirrte und sah zu seiner Frau hinüber.

„Wie willst Du das begründen?

„Ich las kürzlich ein Buch, welches der berühmte Amerikaner, der Rockefeller, geschrieben hat. Ich habe viel über dieses Buch nachgedacht. Rockefeller behauptet darin, daß die Grundlage aller großen Vermögen nur durch die Phantasie geschaffen wurde.

„Verzeihung. Ich glaube, Du irrst Dich. Du wirst entweder nicht richtig gelesen haben, oder der Übersetzer wird den amerikanischen Text nicht richtig wiedergegeben haben. Ich bestreite, daß das Gehirn irgendeines Phantasten fähig ist, die wirkliche Grundlage für ein Vermögen zu schaffen. Da gelten nur Ziffern, nüchterne Berechnungen, nackte Tatsachen und sonstige, für Dich als Frau wohl überhaupt schwer verständliche Dinge. Doch lassen wir das Thema. Für mich ist ja Graditz damit abgetan.

„Er hegte große Hoffnungen auf die Stellung, sagte plötzlich Margarete von Gerolsheim, welche an der langen Seite der Tafel saß. Der Blick, welchen der Direktor seiner Schwägerin zuwarf, war noch erstaunter als derjenige, den seine Frau erhalten.

„Erlaube mal, wandte er sich zu ihr, „woher weißt Du das?

Da tauchten purpurne Lichter in dem Gesicht des jungen Mädchens auf. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie ihre Sicherheit verloren.

„Entschuldige, lieber Schwager. Durch Zufall kam ich neulich mit der Mutter des Herrn Graditz zusammen, als ich Einkäufe in der Stadt besorgte. Da die alte Dame sehr gesprächslustig ist, so erzählte sie mir, daß ihr Sohn sich jetzt um eine feste Stellung als Ingenieur bewerben wolle. Ich nehme an, daß er diese Stellung damit meinte.

„Ohne Zweifel, erwiderte Trenkmann, „und es wäre wirklich Zeit, daß der Mensch irgendwo Geld verdient. Die karge Witwenpension, mit welcher seine Mutter sich und ihn erhält, genügt doch keinem zum Sattessen. Es ist eine Schande, daß der Mensch seiner alten Mutter so zur Last fällt.

„Verzeihung, da möchte ich widersprechen. – Soviel ich von seiner Mutter hörte, verdient Kurt Graditz ganz gut.

Trenkmann lachte kurz auf:

„Womit? – – Etwa mit seinen Guck-in-die-Luft-Ideen oder mit einer verrückten Sache, den Leuten weismachen zu wollen, daß man mit einer Rute Wasser in der Erde entdecken kann? – Närrisch!

„Nein, mit derartigen Sachen verdient er allerdings nichts. Aber ich weiß – von seiner Mutter – daß ihm die Mitarbeit an verschiedenen Berliner Zeitungen, für welche er allerlei Artikel schreibt, ein ganz hübsches Stück Geld einbringt.

„Der Mensch wird noch gefährlicher. Jetzt schreibt er für Zeitungen. – Da fehlte ja nur noch, daß er mal eines Tages irgendeinen Angriffsartikel gegen mich vom Stapel läßt. Eine widerwärtige Gesellschaft, diese sogenannten Herren Zeitungsschreiber!

Frau Trenkmann lächelte spöttisch. Sie wußte, warum ihr Mann eine so heftige Abneigung gegen schriftstellerische Elemente besaß. Vor Jahren war er infolge eines Streikes, wegen seiner harten Arbeiterbehandlung von verschiedenen Zeitungen angegriffen worden, und ein langwieriger Beleidigungsprozeß, den er angestrengt, hatte nur das Ergebnis erzielt, daß sich die Behauptungen als wahr erwiesen.

Er erhob sich von der Tafel, küßte seiner Frau die weiche schöne Hand und sagte: „Entschuldige, daß sich heute ein geschäftlicher Ton in unsre Unterhaltung mischte. – Aber dieser Graditz vermag mir geradezu die Stimmung zu verderben. Solltest Du wieder mal irgendeine Wohltätigkeitssache veranstalten, so bitte ich Dich, laß diesen Graditz aus dem Kreise.

Nach diesen Worten begab er sich in sein, im ersten Stockwerk gelegenes Arbeitszimmer, wo selbst er die eingegangenen Berliner Zeitungen las und dazu bei einer Tasse Kaffee eine Zigarre rauchte. Das war seine einzige Erholung am Tage.

Aber selbst diese Spanne Zeit füllte er durch lesen wichtiger handelspolitischer Nachrichten aus.

Plötzlich blickte er starr auf einen Artikel. Seine Augenbrauen zogen sich hart zusammen. Leise knirschte er mit den Zähnen:

„Da ist dieses Subjekt, der Graditz, tatsächlich mit einem Artikel im Handelsblatt und schreibt, wie nur irgendein Eingeweihter und Wissender über die Zukunft des Kalisyndikats. Teufel! – der Mensch ist gut unterrichtet! - Der weiß, daß wir wahrscheinlich nach Ablauf unsers Syndikats keine Einigung, kein Zustandekommen einer neuen Interessengemeinschaft erzielen. Wo mag der Mensch die Kenntnisse her haben?

Er ging, dicke Rauchwolken aus seiner Zigarre ausstoßend, durch das Zimmer hin und her. Dann blieb er wieder plötzlich stehen und fuhr in seinem Selbstgespräch fort:

„Der Mensch kann gefährlich werden. Er vermag mit seinen Kenntnissen alles kopfscheu zu machen und womöglich, falls er die Ablehnung seines Angebots durch mich erfährt, sich zu rächen und mich in der Öffentlichkeit als denjenigen hinzustellen, der das allgemeine Wohl der deutschen Kaliindustrie durch das Nichtzustandekommen eines neuen Syndikats schädigt. Dem muß ich zuvorkommen und meine persönliche Abneigung gegen den Menschen in mein Geheimfach schließen.

Mit einer hastigen Bewegung ergriff er das auf seinem Schreibtisch stehende Telephon und ließ sich durch die Zentralstelle mit dem Arbeiterinspektor Suttner verbinden. Sobald dieser am Telephon war, sagte der Generaldirektor:

„Ich habe noch einmal die Zeugnisse des Graditz geprüft und mich unterrichtet. Schicken Sie einen Boten zu mir. Lassen Sie sich den Brief holen und gleichzeitig die Bestätigung, daß ich den Graditz mit einem Monatsgehalt von 300 Mark auf ein Jahr anstelle.

Der Arbeitsinspektor preßte die Lippen fest zusammen, wie es seine Gewohnheit war, wenn er über etwas ihm nicht gleich Verständliches nachdachte.

Dann sagte er zu dem gerade anwesenden Geheimsekretär Brederoff, der das Gespräch mit angehört hatte:

„Können Sie sich das erklären? – Zuerst sollte für die Stelle nicht mehr als 250 Mark gezahlt werden. Dann sagte der Generaldirektor, dieser Graditz wäre ein amüsanter Narr, und jetzt wird er mit einem Gehalt von 300 Mark angestellt.

Der alte Brederoff dachte einige Sekunden nach und wußte sofort, daß es sich hier wahrscheinlich um Mundtodsache handele. Aber als getreuer Beamter durfte er das seinem Kollegen nicht sagen und so erwiderte er:

„Ich glaube, Frau Trenkmann begünstigt den Graditz.

„Ach so, erwiderte der Inspektor, „freilich, ich erinnere mich. Der Generaldirektor nahm den Brief des Graditz seiner Frau Gemahlin mit.

 

Drittes Kapitel.

Es war Abend geworden.

Eine wunderbare laue, für den Mai fast zu drückende Wärme. In den Arbeitergärten sitzen in der Dämmerung die Arbeiter in Hemdsärmeln, während die Frauen ein Abendbrot für den fleißigen Ernährer der Familie zurechtstellen. Fröhliches Kinderspiel dringt durch die Hecken. Und wie eine große friedvolle Sorglosigkeit liegt es über all den Menschen.

Da, wo die kleinen Gärten enden, erheben sich über sanft gewellten Hügeln Getreidefelder und finden ihren Abschluß gegen den Horizont durch einen dunkeln Wall –, den Park des Schlosses Falkenruh.

Es ist eigentlich kein Park mehr, so weit man bei diesem Worte an einen kleinen gärtnerisch gepflegten Bestand denken mag, sondern ein umfangreicher Wald, dessen natürliche Reize die gärtnerische Kunst noch an vielen Stellen gehoben hat und dessen Wildreichtum das Herz jedes echten Waidmannes mit Freude erfüllt.

Ein Wildgatter umschließt den Park, damit die Felder von einem Einbrechen des Wildes zur Äsung geschützt sind und auch von dem wertvollen Rotwild kein Stück verloren geht.

Hier und da sind in diese Umzäunung kleine Holztüren eingelassen.

Schloß Falkenruh selbst liegt am Anfang dieses mächtigen Waldkomplexes auf einem Hügel, welcher das gesamte Land ringsum weit beherrscht. Ein Teil des schloßartigen Bauwerks enthält noch die Reste einer alten Raubritterburg. Ausgezeichnet hatte der Baumeister von Schloß Falkenruh es verstanden, die wenigen, aber gut erhaltenen trotzigen Türme und Mauern in dem neuen Gebäude einzufügen.

Eine wohlgepflegte Allee mit glattem Fahrdamm führt von dem Schloß in gerader Linie zur Bahnstation von Tiefensalzach.

Vom Schloß aus laufen gut gehaltene Reit- und Fahrwege durch den großen Park strahlenförmig nach allen Seiten, und verschwiegene Fußwege führen zu lauschigen Winkeln.

Eine mächtige Schloßterrasse mit breiter Freitreppe schließt das Schloß zum Parke ab.

An Wintertagen haben die Förster dort auf Befehl der Frau Generaldirektor Fütterungsplätze für die Tiere eingerichtet. Und manches Stück Rotwild ist derart zahm geworden, daß es auch im Sommer zur Freitreppe kommt, um dort aus den Händen der Schloßbesitzerin die Leckerbissen zu äsen.

Es war nach der Abendtafel, als Margarete von Gerolsheim wie zu einer Promenade in den Park ging. Hie und da begegnete sie einem Parkarbeiter oder Forstleuten, die ehrfurchtsvoll die Mütze vor ihr zogen. Alle Angestellten der Zeche und auch die Arbeiter verehrten das stille vornehme junge Mädchen, welches so manchesmal als rettender Engel in den Familien erschien, wenn Krankheit oder Not eingekehrt waren und mit allerlei Erfrischungen, Heilmitteln oder auch mit barem Gelde Linderung zu schaffen suchte.

Sie ging dicht am Rande des Wildparks am Wildgatter entlang und blieb dann und wann stehen, um zu lauschen.

Mehrmals war bereits der lockende schallende Ruf eines Pirols zu ihr gedrungen.

Der Ruf schien ihren Gang zu beschleunigen. Und als sie um eine Ecke des Wildparks bog, sah sie auf dem Wildgatter sitzend Kurt Graditz, der immer wieder in kunstvoller Weise den Pirolpfiff nachahmte.

Als er Margarete zwischen dem Grün der Blüten erkannte, sprang er mit einem Satz von dem ziemlich hohen Wildgatter in den Park, eilte auf sie zu, streckte ihr beide Hände entgegen und rief:

„Guten Abend, Waldnixlein!

Und bevor sie noch antworten konnte, umarmte er sie und küßte sie derart leidenschaftlich, daß sie sich schließlich aus seinen Armen freimachte und rief:

„Du erstickst mich, Kurt. – Du bist wieder unvernünftig. Bedenke nur, wenn uns hier jemand sieht.

„Was schadet es, rief er übermütig, „die ganze Welt kann uns jetzt sehen, denn Dein hochgeehrter. Herr Schwager, der Herr Generaldirektor Trenkmann – dreimal hochwohlgeboren – wir ersterben in tiefster Ehrfurcht vor ihm – hat anscheinend die Kriegsaxt, die er gegen mich stets, soviel ich erfahren, bei sich trug, begraben.

„Was ist mit meinem Schwager? – Ich glaube Du irrst Dich, Kurt. Soviel ich weiß, ist Eberhard Trenkmann Dir heute ebensowenig gut gesinnt, wie jemals früher.

„Stimmt nicht, Liebste, stimmt nicht! rief Kurt Graditz und riß aus seiner Brusttasche eine Karte, welche er mit der Abendpost erhalten. „Schau her, was hier auf dieser Karte steht.

Margarete von Gerolsheim nahm die Karte, führte sie in dem Dämmerlicht dicht vor die Augen und las:

Sehr geehrter Herr Ingenieur!

Herr Generaldirektor Trenkmann ersucht Sie, morgen vormittags um 10 Uhr bei ihm im Bureau vorzusprechen und bietet Ihnen auf Ihr Angebot die Stellung eines Ingenieurs auf Zeche Gloria II an.

Margarete wußte im ersten Augenblick nicht, ob das, was sie da las, Täuschung oder Wahrheit sei.

Das stimmte so ganz und gar nicht zu der Art, in welcher sich noch an der Mittagstafel ihr Schwager über ihren heimlich Verlobten ausgelassen hatte.

„Was gedenkst Du zu tun? fragte sie.

Statt einer Antwort umarmte Kurt Graditz sie von neuem, küßte sie und rief dann:

„Was ich tun werde. Nun, das ist ja ganz klar. Ich werde im Bureau des gestrengen Herrn erscheinen und mit ihm über die Stellung verhandeln. Ich will und brauche gerade diese Stellung.

Kurt Graditz strich das blonde Haar, welches ihm in künstlerischer Weise über die Stirn fiel, mit einer heftigen Bewegung seiner vornehmen schmalen Hand zurück. In seine blauen Augen, welche sonst stets einen träumerischen Ausdruck hatten, blitzte ein Funken auf, welchen seine Verlobte noch nie an ihm beobachtet hatte. Es war, als ob Stahl auf Eisen schlug. Auch sein sonst weiches, schwermütig aussehendes Gesicht veränderte sich zu einem merkwürdig harten tatkräftigen Ausdruck.

„Wie ich mich freue, rief Margarete, „daß es nun endlich zum Frieden zwischen Euch kommt. Ich hoffe, Ihr werdet gut miteinander auskommen, und wir werden dann endlich unser Glück nicht länger vor der Welt zu verbergen brauchen.

„Du irrst Dich! rief Graditz. „Zwischen Trenkmann und mir gibt es nichts als Kampf. Du wirst vielleicht denken, daß ich wieder unsinniges krauses Zeug rede, aber es ist nicht so. Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich diesen Herrn gezwungen habe, einzusehen, daß es außer ihm auch noch mich gibt, – Kurt Graditz.

„Ich verstehe Dich mal wieder nicht. Was willst Du – verzeihe mir, wenn ich vielleicht harte Worte jetzt spreche – aber es ist die bittere Wahrheit.

Kurt Graditz fiel ihr ins Wort und sagte:

„Ich weiß alles, was Du mir erwidern könntest. – Du kannst sagen: Ich bin ein gänzlich unvermögender Mensch, ich besitze nicht mehr, als wie man von der Hand in den Mund braucht, ich habe nicht einen Pfennig Bankkonto, ich habe nicht einmal eine Stellung. – Dagegen besitzt mein Gegner, der Herr Generaldirektor Trenkmann, mehrere Millionen Anteile an den Zechen. Außerdem beschäftigt er eine Armee von Leuten, und ist nach Seiner Majestät der Mächtigste in diesem Kreise, aber – mein liebes Herz – das hat alles nichts zu sagen. – Nicht die Million auf der Bank macht den Mann, sondern die Million, die er in seinem Schädel trägt. – Hier oben –, er gab sich einen leichten Schlag auf die Stirn – „hier liegt das Perpetuum mobile, das die Welt bewegt und unter Umständen aus ihrem Gleichgewicht bringt. Schon der alte Archimedes sagte: Gib mir einen einzigen festen Punkt, und ich will die Erde aus ihrer Bahn heben. Und Du – er legte seine beiden Hände auf ihre Schultern und blickte ihr mit seligem Ausdruck in das liebe Gesicht – „Du bist der feste Punkt für mich in dieser Welt. Du sollst mir Halt und Stütze geben. Sollst mir die Kraft geben, den allmächtigen Generaldirektor Trenkmann aus seiner Stellung zu heben.

Sie blickte ihn mit großen erschrockenen Augen an:

„Wenn man Dein Gespräch hört, Kurt, so kann man es wirklich den Menschen nicht verübeln, wenn sie Dich für einen Phantasten halten.

„Schadet nichts, meine Liebe, mögen sie mich zehntausendmal für einen Phantasten halten, mögen sie es mir sogar von Staats und Rechts wegen bestätigen lassen. – Ich pfeife wie der lustige Pirol darauf. – – Hörst Du – so …

Er pfiff den spöttisch klingenden Ruf des Pirols.

Dann brach er plötzlich ab, warf in hellem Übermut seinen Hut, den er im Genick trug, hoch in die Luft, fing ihn auf und rief:

„Was würdest Du sagen, wenn ich Dir erklärte, daß ich ebenso viel Millionen besitze, wie Dein Schwager, der Generaldirektor Trenkmann? – Ja, wahrscheinlich noch viel mehr.

Sie versuchte zu lächeln und erwiderte:

„Ich glaube, die Antwort würdest Du Dir denken können.

„Gewiß, lachte er, „und zwar mit vollem Recht würdest Du mir antworten: Hör auf, mein Lieber. Der Verstand geht Dir durch. Du bist ein Narr. – Aber komm einmal mit, ich habe meine Botanisiertrommel dort am Wildgatter liegen lassen. Ich will Dir etwas Interessantes zeigen.

Arm in Arm gingen sie zu der Stelle, wo die kleine graue Botanisiertrommel lag, welche Graditz auf seinen täglichen Wanderungen in der Umgebung mitzunehmen pflegte.

Margarete wußte, daß Kurt Graditz geheimnisvolle Forschungsreisen zu machen liebte und auf diesen außer jener Trommel eine gabelförmige Weidenrute mitnahm und die mysteriöse Rutengängerei betrieb. Auch jetzt leuchtete neben der Botanisiertrommel das weiße Holz einer abgeschälten Weidengabel aus dem dunkeln Rasen.

Trotz all ihrer Liebe zu Kurt Graditz mußte Margarete leicht lächeln, als sie die Weidenrute erblickte.

Er bemerkte es wohl und nahm jene Rute zur Hand.

„Ich verstehe es durchaus, begann er, „daß Du über dies unscheinbare Stückchen Holz lächelst und nicht daran glauben willst, daß es mir die Millionen finden soll, die ich haben will und haben werde.

Du stehst mit diesem Lächeln nicht allein. Die ganze gebildete und gelehrte Welt hat gelacht, als einige wenige und mutige Männer die Unfehlbarkeit der Rute verkündeten und hinauszogen, um Wasser damit zu suchen, wo keine Bildung und Gelehrsamkeit es finden konnte. Du hast wohl während des südwestafrikanischen Aufstands von den gräßlichen Durststrecken vernommen, hast gehört, wie unsre Reiter das Wasser für sich und das Pferd auf drei Tage mitnehmen mußten, um von einem schlammigen Wasserloch mit Mühe und Not durch trockene und dornige Wüsten hindurch zum nächsten zu kommen. Du wirst auch gehört haben, wie so manche Patrouille vom rechten Wege abkam oder durch Gefechte aufgehalten wurde und den Qualen des Durstes erliegen mußte.

Margarete schauerte leicht zusammen.

„Ich habe davon gehört, erwiderte sie. Der Hauptmann von Hellow, der in unserm Hause verkehrt, war während des Aufstands drüben. Seine Berichte über die großen Durststrecken sind entsetzlich. Er erzählte, wie die Hereros an jedes Wasserloch einen Hinterhalt legten und die deutschen Reiter, die sich halb verdurstet der Tränkstelle näherten, oft noch im letzten Augenblick niederschossen.

„Dann kannst Du Dir jedenfalls vorstellen, eine wie liebliche Gegend dies Südwestafrika in vielen Teilen ist. Die zünftigen Geologen erklärten es für gänzlich hoffnungslos, dort Wasser zu finden. Und dann ging ein Mann mit der einfachen Weidenrute den Weg. Einen Weg über trockenes Gestein, das seit vielen tausend Jahren kein Tropfen Wasser genetzt hatte, denn selbst der Regen fehlt in vielen dieser zur ewigen Dürre verdammten Striche. Einen Weg auch über sandigen Dünen und durch stachlige Dornenfelder. Und hier und dort gewann die Rute in der Hand jenes Mannes Leben und schlug weithin sichtbar aus. An solchen Stellen errichtete er ein Steinmal, um sie zu zeichnen.

Und dann kamen nach dem Friedensschluß die Bohrkolonnen und begannen an diesen Malen in die Tiefe hinunter zu schachten und zu bohren. Meter um Meter drang das eiserne Rohr hinunter, und bald hier und bald dort sprudelte plötzlich klares und frisches Wasser aus dem Rohrmund.

Mit unfehlbarer Sicherheit hatte die unscheinbare Weidenrute auf die Stelle hingewiesen, unter welcher, oft mehr als 100 Meter tief, eine Wasserader ihren Lauf hatte.

Mit wachsendem Interesse hatte ihm Margarete von Gerolsheim zugehört.

„Wie Du es da erzählst, klingt es wie ein Märchen. Aber ist es denn auch wahr? Ich hörte doch, daß der Rutengänger in Südwestafrika auch Stellen angeschlagen haben soll, auf denen kein Wasser zu finden war.

„Das soll zugegeben sein. Aber auch die Erklärung dafür fällt nicht schwer. Die Zauberrute schlägt nicht nur auf unterirdische Wasseradern aus, sondern auch auf Metallschätze, die in der Tiefe verborgen schlummern. Wir dürfen wohl annehmen, daß an jenen Stellen, die kein Wasser gaben, in noch größerer Tiefe Metallschätze ruhen. Die Rute winkt nicht nur dem Wasser, sondern auch dem Gold und Eisen.

„Ich verstehe das alles nicht, mein lieber Kurt. Und ich möchte nur wünschen, daß Deine Theorien sich auch wirklich in die Praxis umsetzen ließen und Du recht behieltest.

„Ich behalte recht, mein liebes Herz. Ich sage Dir, heute über ein Jahr wirst Du mit mir in einem ebenso schönen Schlosse wie die Frau Generaldirektor wohnen, und ich werde dann noch eine größere Armee von Leuten beschäftigen als Trenkmann. Die schönsten seidenen Kleider, Juwelen, Pferde und Automobile, die prächtigsten Möbel und Gemälde, alles was Du Dir nur irgendwie wünschst, daß will ich zusammentragen. Du sollst wie eine Königin leben.

Margarete erschrak vor dem Ausdruck seiner Gedanken. Sie vermochte ihn nicht zu verstehen.

„Lieber Kurt, sagte sie und streichelte mit ihrer weichen Hand schmeichelnd über seine blonden Haare. „Ich wäre ganz zufrieden, wenn ich mit Dir in einem bescheidenen kleinen Heim und etwas Garten irgendwo leben könnte. Ich würde uns das kleine Heim so behaglich ausstatten, so nett, daß Du Dich gar nicht danach sehnen würdest, in einem Schlosse zu wohnen, von allem Reichtum umgeben.

„Ich nicht, Liebste, sagte Kurt Graditz. „Ich bin der Meinung, daß man all das Schöne, was in der Welt existiert, sich anschaffen soll. Wozu wären denn sonst die kostbaren Dinge da? – Ich vermöchte in Kunst zu schwelgen, mein Kind, ich könnte Unsummen ausgeben –, ich verachte dieses Kleinliche, Sorgenvolle und Eingeschränkte. Nein, – Du, ich will groß heraus. Je größer, desto besser.

Margarete fürchtete im stillen ernstlich für ihren Verlobten. Das, was er sagte, klang so phantasievoll, so ganz unverständlich, daß sie sich vornahm, am nächsten Tage mit der Mutter ihres Verlobten zu sprechen und ihr anzuraten, Kurt Graditz, den sie in seinen Nerven für überreizt hielt, irgend wohin zur Erholung zu schicken.

„Ich denke mir bereits schon alles eingerichtet, sprach Kurt Graditz weiter, „die Arbeiter, welche ich beschäftige, sollen viel besser wohnen als die Arbeiter Trenkmanns.

Ähnlich wie Krupp in Essen werde ich mich bemühen für meine Arbeiter allerlei wirklich gute Einrichtungen zu schaffen. Bibliotheken, freie Apotheken, Bäder, Theater und sonstige Dinge. Die Leute sollen mit Lust in meinem Betriebe arbeiten und nicht wie Knechte um ihr Brot.

„Ich wünsche Dir alles Gute, sagte Margarete und erhob sich.

„Willst Du schon gehen?

„Ja, ich muß. Meine Schwester benötigt meiner Dienste noch heute abend. Sie wünscht mit mir für die morgige Gesellschaft die Anordnung der Tafel festzustellen, und ich sagte ihr, daß ich in einer halben Stunde aus dem Parke zurück sein werde.

Kurt Graditz bückte sich, nahm seine Botanisiertrommel, einige Meßinstrumente und die Weidenrute und begleitete sie noch ein Stück Weg in den Park. Bis zur letzten Sekunde ihres Zusammenseins schwärmte er in phantastischer Weise von ihrer Zukunft, und als sie sich trennten, sagte Margarete:

„Kurt, ich habe heute abend tatsächlich eingesehen, Du bist wirklich kein Ingenieur, kein Mann der Wirklichkeit, sondern ein Phantast, ein Dichter. –

„Ein Dichter? lachte er, „liebste Margarete, ich wäre stolz darauf, ein Dichter zu sein. Aber dazu fehlt mir noch mehr, als zum Millionär.

„Ich glaube nicht, erwiderte sie, und jetzt kurz vor ihrer Trennung sagte sie:

„Du willst also trotz alledem die Stellung bei Eberhard annehmen.

„Ich werde jene Stellung annehmen. Aber es wird –, und zwar demnächst, die Zeit kommen, da ich Trenkmann eine Stelle bei mir anbiete. Mach Dir keine Sorgen. Es kommt alles so, wie ich Dir sagte.

Ein letzter Kuß, den sie tauschten. Dann ging Margarete langsam zum Schloß zurück. Den Kopf zu Boden gebeugt, mit schweren, trüben Gedanken über ihren Verlobten. In ihre Gedanken hinein tönte sein lockender, spottender Pirolruf, der schließlich in ein lustiges Lied ausklang. Singend und pfeifend wanderte Kurt Graditz den schmalen Weg durch die Roggenfelder zur Stadt.

 

 

Viertes Kapitel.

Sobald am nächsten Morgen die Uhr im Privatbureau des Generaldirektors Trenkmann die zehnte Stunde schlug, wandte er sich an Brederoff und sagte:

„Rufen Sie aus dem Vorzimmer Herrn Ingenieur Graditz.

Der Geheimsekretär öffnete die Tür, die von der linken Seite des Bureaus zu dem Vorzimmer ging, in welches die auf den Generaldirektor wartenden Personen geführt wurden. Er betrachtete schnell die dort Sitzenden, sah nochmals prüfend jedes Gesicht an und konnte doch den, vom Generaldirektor Gewünschten nicht finden.

Er schloß die Tür, und wandte sich an seinen Chef und sagte:

„Herr Ingenieur Graditz ist nicht anwesend.

Die Augenbrauen des Direktors zogen sich unmutig zusammen:

„Das dachte ich mir, an Pünktlichkeit scheint dieser Herr nicht gewohnt zu sein. Die wird er erst bei mir lernen müssen. Führen Sie die andern Personen herein.

Eine Reihe von Beamten der Zeche, Privatpersonen, Kaufleute, Unterstützungssuchende, Agenten betraten in schneller Aufeinanderfolge den Raum des Generaldirektors.

Kurz und genau, nach amerikanischer Geschäftsart mußten sie ihre Anliegen vortragen, und sobald irgendeiner nicht fähig war, seine Wünsche in knapper Form dem Generaldirektor zu unterbreiten, so schnitt er ihm die weitere Rede ab und sagte:

„Reichen Sie Ihre Wünsche schriftlich bei der Direktion ein. Meine Zeit ist zu kostbar –, bitte. Eine nicht mißzuverstehende Handbewegung zur Tür zeigte dem Betreffenden den Ort, durch welchen er das Bureau zu verlassen hatte.

Eine Stunde besaß der Generaldirektor an jedem Morgen für diese Sitzung, und Punkt 11 Uhr wurde die Tür des Vorzimmers geschlossen.

Als letzter trat heute kurz vor 11 Uhr Kurt Graditz in den Raum.

„Ah! siehe da –, Herr Graditz –, Verzeihung, Herr Ingenieur Graditz, sagte der Generaldirektor Trenkmann in hochfahrend klingendem Tone –, „ich habe Sie um 10 Uhr zu mir gebeten. Ist die Uhr in Tiefensalzach jetzt erst zehn?

Kurt Graditz blickte den Generaldirektor kühl und ruhig an:

„Ich glaube, ich habe es noch nicht nötig, Herr Generaldirektor, bei Ihnen auf die Minute anzutreten. Eine derartige Verpflichtung würde ich doch wohl erst übernehmen, sobald ich eine Stellung bei Ihnen bekleide.

Geheimsekretär Brederoff war baff über die Abfuhr, welche Graditz dem allmächtigen Chef zuteil werden ließ.

Dieser aber tat, als bemerke er nichts. Das war das Klügste, was er in der Lage tun konnte, denn die Logik von Graditz war derartig, daß sie mit nichts zu widerlegen war.

Er blätterte ruhig in seinem schwarzen Buch und sagte:

„Sie haben sich um die von uns ausgeschriebene Stellung eines Betriebsingenieurs beworben. Wollen Sie mir freundlichst Ihre Zeugnisse über Ihre frühern ähnlichen Stellungen zur Einsicht geben.

Kurt Graditz öffnete seine Brieftasche und legte dem Generaldirektor einige Zeugnisse vor.

„Ich muß dazu bemerken, fügte er erklärend bei, daß ich meine sämtlichen praktischen Stellen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika bekleidet habe. Und da, wie Sie ja wissen, Nordamerika zum Heil und Segen der deutschen Industrie kein Kali besitzt, so war ich nur in Erzminen, vornehmlich Kupfer und Eisen tätig.

Trenkmann blieb einige Zeit sinnend vor den Papieren sitzen.

„Ich will es trotzdem mit Ihnen versuchen und biete Ihnen einen Vertrag auf ein Jahr an. Monatlich 300 Mark.

„Und die Arbeitszeit, Herr Generaldirektor?

„Acht Uhr früh bis sechs Uhr abends, eine Stunde Tischzeit. Sie müßten das eigentlich wissen.

„Allerdings, aber es ist immer angenehm von dem betreffenden Chef persönlich die Arbeitszeit vorgeschrieben zu erhalten. Wann soll ich eintreten.

„Sofort. Sie können morgen früh Ihren Dienst bei uns antreten.

„Ich bin damit einverstanden, Herr Generaldirektor. Wollen Sie die Güte haben, mir den Anstellungsvertrag zu überreichen.

„Das macht der Arbeitsinspektor. Er hat Vollmacht dazu.

„Dann wäre wohl alles zwischen uns erledigt, Herr Generaldirektor.

Trenkmann dachte einige Sekunden nach, wie ein Mensch, der sich unschlüssig ist und nicht weiß, ob er noch etwas sprechen solle. Dann sagte er:

„Warten Sie noch einen Augenblick, Herr Graditz. Ich habe gehört, daß Sie als technischer Mitarbeiter Beziehungen zu verschiedenen Berliner Zeitungen haben.

Ein spöttischer Blick zuckte aus den blauen Augen von Graditz auf Trenkmann, der den Kopf über das schwarze Buch beugte, als suche er in ihm etwas.

„Das ist gelogen, mein lieber Generaldirektor, dachte Kurt Graditz bei sich selbst. „Du hast das nicht gehört, sondern Du hast gestern den Artikel im Handelsblatt gelesen.

Laut sagte er dagegen:

„Ich habe allerdings den Vorzug, daß das Berliner Handelsblatt von mir als Mitarbeiter dann und wann Artikel erhält.

„Hm – lang gedehnt und überlegen kam dieser Ausruf aus dem Munde des Generaldirektors:

„Ich suche zurzeit für das literarische Bureau unsrer Werke einen Ingenieur, der zu größren Zeitungen Beziehungen hat und fähig ist, Artikel zu lancieren, wie ich sie wünsche.

„Betrifft das die Stellung, welche Sie mir anbieten, Herr Generaldirektor?

„Nein, kam es langsam vom Generaldirektor, „diese Stellung sollte erst in den nächsten Tagen veröffentlicht werden und umfaßt ganz andre Pflichten und Bedingungen als der Posten, für den Sie bis jetzt für mich ausersehen sind. Wie gesagt – ich hörte gestern abend von meiner Frau, daß Sie schriftstellerisch tätig sind und wollte deshalb an Sie die Frage richten – ich las auch gestern abend den von Ihnen geschriebenen Artikel über die Zukunft des Kalisyndikats. Also kurz und gut, ich frage Sie, ob Sie die Stellung eines Chefingenieurs in meinem literarischen Bureau annehmen wollen. Die Stellung wird eine der angenehmsten, die ich zu vergeben hätte. Sämtliche Reisen, die Sie im Interesse des Werkes zu unternehmen hätten, würde ich Ihnen gut bezahlen, Ihre Arbeitszeit wäre ohne feste Bestimmung, das Gehalt pro Monat – der Generaldirektor machte eine Kunstpause, damit die Ziffer, welche er jetzt nannte, mit voller Wucht auf Kurt Graditz fiel.

Wie ein goldener Keulenschlag sollte diese Zahl den Gegner zu Boden strecken. – „Fünfhundert Mark. – Fünfhundert Mark? – Geheimsekretär Brederoff hielt den Atem an. – Das war nach den Gepflogenheiten der Zeche geradezu ein unerhörtes Angebot.

Trenkmann blickte Graditz scharf ins Auge. Er glaubte, daß Graditz von der Höhe des Gehalts völlig überrascht und durchaus dienstgefügig vor ihm stehen würde. Er wunderte sich, daß das Gegenteil der Fall war, und daß Graditz ohne auch nur die geringste Überraschung zu zeigen ruhig und still da stand, und es war dem Generaldirektor sogar, als erkenne er um den Mund des jungen Ingenieurs einen leicht spöttischen Zug.

Da Graditz kein Wort hervorbrachte, wurde der Generaldirektor nervös, trommelte scharf mit seinen hagern Knöcheln auf die blank glitzernde Mahagoniplatte seines Schreibtisches und sagte:

„Genügt Ihnen mein Angebot nicht, Herr Ingenieur Graditz. Ich denke, daß Sie diese Aussicht, die sich Ihnen bietet, ausnutzen sollten. Das ist ein Sprungbrett zu einer großen Zukunft, wie es sich sonst wohl selten einem jungen Manne bietet.

„Ich verkenne die Größe Ihres Angebots und den Wert für mich durchaus nicht, Herr Generaldirektor, aber –

Kurt Graditz machte eine Pause und sah den Generaldirektor fest an. –

Und Trenkmann fühlte, daß in dem Blick des bisher von ihm als Phantasten angesehenen Graditz eine seltsam zwingende Gewalt lag. – Eine Kraft, die er noch nie bei andern Menschen, mit denen er zu tun gehabt, zu sehen Gelegenheit besessen. –

Plötzlich wußte er, daß dieser Graditz nicht der von so vielen Leuten spöttisch belachte und als närrisch verschriene Phantast war. Hinter dieser hohen, weißen Stirn, die sich klar und fest, wie gemeißelter Marmor hart und eckig über den stahlblauen Augen wölbte, lag ein Geheimnis, welches der Generaldirektor unwillkürlich als ihm gefährlich erkannte.

Nur die blonden Haare, welche sich à la Boheme um die Stirn und das Gesicht widerspenstig kräuselten, nahmen dem Gesicht den Ausdruck stahlharter Kraft, ließen es bisweilen weich und mädchenhaft erscheinen. Dazu kam, daß Graditz die Gewohnheit hatte, glatt rasiert zu gehen, und dadurch viel jünger aussah, als er tatsächlich war.

„Was für ein ‚aber wollen Sie zu einem Gedanken ausspinnen, sagte Trenkmann.

Kurt Graditz machte eine kurze, ruckartige Bewegung zu dem im Hintergrund des Zimmers stehenden Brederoff und sagte:

„Ich möchte das nur unter vier Augen mit Ihnen besprechen, Herr Generaldirektor.

„Wir sind unter vier Augen, Herr Graditz.

„Verzeihung! Ihr Herr Geheimsekretär ist gleichfalls anwesend.

„Gestatten Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, Herr Graditz, daß mein Geheimsekretär gegen alle Welt ein mit sieben Siegeln verschlossenes Geheimbuch ist. Was ich weiß, darf auch Herr Brederoff wissen.

„Nun wohl! Dann möchte ich Sie fragen, welche Pflichten habe ich für ein derartiges Gehalt zu erfüllen?

Keine andern, als daß Sie das, was ich in die Presse zu lancieren wünschte, in geschickter Form und ohne daß es auffällt, rein als Ihre Privatmeinung zu veröffentlichen versuchen.

„Verzeihung, die Annahme der Artikel habe nicht ich, der Mitarbeiter zu bestimmen, sondern der betreffende Redakteur.

„Das weiß ich, Herr Graditz. Wenn Sie genau zugehört haben, mußte Ihnen auffallen, daß ich sagte: Sie haben zu versuchen.

„Das genügt, Herr Generaldirektor. Unter dieser Bedingung bin ich bereit, die Stellung anzunehmen.

Jetzt wandte sich der Generaldirektor an den Geheimsekretär und sagte:

„Herr Brederoff, gehen Sie in einer halben Stunde mit Herrn Ingenieur Graditz zu Herrn Justizrat Salinger, welchem ich den Text für den zwischen mir und Herrn Graditz abzuschließenden Vertrag bis dahin per Telephon mitteilen werde.

Jetzt wandte er sich wieder an Graditz, reichte ihm die Hand und sagte:

„Ich hoffe, daß wir gut zusammen arbeiten werden.

„Auch ich verspreche mir viel von dieser Stellung in Ihrem geschätzten Betrieb, Herr Generaldirektor, entgegnete Kurt Graditz, und diese Antwort konnte wohl als recht doppelsinnig gelten.

Wenige Sekunden später stand Kurt Graditz in den Parkanlagen vor dem Bureaugebäude und wartete auf den Geheimsekretär Brederoff, um mit diesem zu Justizrat Salinger in die Stadt zu gehen.

Generaldirektor Trenkmann aber teilte dem Justizrat zur selben Zeit durchs Telephon den Vertrag mit, den er aufsetzen sollte.

Trenkmann war wegen seiner Verträge berüchtigt. Man legte ihm das Wort in den Mund, daß Verträge nur dazu da seien, um gebrochen zu werden. Auch jetzt diktierte er dem Stenographen des Justizrats Salinger einen Vertrag für Kurt Graditz, der nicht eine, sondern mehrere Hintertüren hatte. Er legte Wert darauf, stets selber jederzeit aus einem Vertrage herauszukommen, den andern aber desto fester und zwingender zu fesseln.

Dem Justizrat Salinger, der diese Verträge als eigne Ausarbeitungen herausbrachte, pflegte bei seinem ziemlich harmlosen Äußern und etwas verschlafenen Benehmen kein Mensch besondere Abgefeimtheiten zuzutrauen, und so gingen diese Hängeverträge in des Wortes schlimmster Bedeutung denn auch regelmäßig durch. Auch der Vertrag, der jetzt für Kurt Graditz vorbereitet wurde, war eine Mausefalle schlimmster Art.

Kurt Graditz aber, der da im Garten auf und ab ging, lachte still vor sich hin, rauchte eine Zigarette und sagte zu sich:

„Jetzt bin ich im Fuchsbau drin. Ich müßte mich sehr irren, wenn Herr Eberhard Trenkmann mir nicht auch einen seiner beliebten Galgenverträge hinlegt, die ihm das Recht geben, mich jeden Tag wegen eines geringfügigen Anlasses auf die Straße zu setzen. Er soll nicht allzu lange auf den Anlaß zu warten brauchen. Sobald ich von seiner Grube weiß, was ich wissen will, soll er den Anlaß schon bekommen. Und wenn er mich auf den ersten Anlaß nicht hinauswirft, so werden die Anlässe sich häufen und faustdick kommen.

In Kürze werde ich den Apparat, den er besitzt, kennen und ausnützen können. Er glaubt mich mit seinem Geld mundtot, zu einem willenlosen Sklaven in dienstbarer Abhängigkeit gemacht zu haben. Aber er weiß von dem Spiel, das hier getrieben wird, so wenig, wie die Whistkarten etwas vom Whistspiel wissen.

Rauchend, dann und wann einen Pirolruf ausstoßend, auf den die Finken in dem Park lustig antworteten, schritt er auf und ab und wartete, daß Geheimsekretär Brederoff käme.

Beamte, welche auf ihrem Gange zum Bureau den pfeifenden jungen Mann auf und ab promenieren sahen, wunderten sich, welche Kühnheit er sich in nächster Nähe des allmächtigen Generaldirektors heraus zu nehmen erlaubte.

Er pfiff …

 

Fünftes Kapitel.

Zu derselben Zeit, als Kurt Graditz die Konferenz mit dem Generaldirektor hatte, war Margarete von Gerolsheim in einem Wagen zur Stadt gefahren, um bei den Lieferanten des Haushalts die nötigen Einkäufe zu besorgen.

Da Kurt Graditz seinen Weg zu dem Verwaltungsgebäude der Zeche durch die Felder genommen, war er ihr nicht begegnet.

Nachdem sie ihre Angelegenheiten in der Stadt erledigt, gab sie dem Kutscher den Befehl, zu dem in der Karlsstraße gelegenen Hause der Mutter von Kurt Graditz zu fahren.

Bald hielt der Wagen vor dem ehrwürdig aussehenden, altertümlichen, noch aus der Zopfzeit stammenden Hause, dessen Fenster blitzblank im Sonnenlicht glänzten und mit blütenweißen Gardinen und blühenden Levkojen geschmückt waren. Auf dem Porzellanschild neben der Türglocke stand der Name: Frau verw. Stadtrat Amanda Graditz geb. Segler.

Auf das Glockenzeichen wurde die Tür von einem jungen Dienstmädchen geöffnet, das mit einem höflichen Knicks, den sie der Erziehung der Frau Stadträtin verdankte, die Frage, ob die Frau Stadträtin zu sprechen, mit „ja beantwortete.

Margarete von Gerolsheim trat in den mit weißgescheuerten Dielen belegten Flur. Weißer Sand bedeckte ihn, der in dem durch die Tür hereinfallenden Sonnenlicht, wie Schnee schimmerte und leise unter den Fußsohlen knirschte.

Altertümliche, schwere schwarzeichene Friedländer Schränke standen auf der linken Seite des Flures, und ein feiner würziger, labender Duft von allerlei Wäschekräutern, welche die Frau Stadträtin zwischen die in den Schränken aufgestapelte Hauswäsche zu legen liebte, strömte Margarete entgegen.

Auf der andern Seite des Flures befanden sich Kleiderriegel und mehrere hochlehnige Stühle.

Außerdem die weißlackierte Flügeltür zu dem Besuchszimmer der Frau Stadträtin.

In dieses führte das Dienstmädchen Margarete von Gerolsheim und bat sie, bis die Frau Stadträtin erschien, Platz zu nehmen.

Margarete kannte das alte ehrwürdige Möblement. Die vier mit rotem Samt gepolsterten hohen Stühle in den merkwürdigen ausgeschnittenen Holzformen und den hohen vergoldeter Lehnen, die um den blankpolierten Mahagonitisch auf dem großgeblümten, ziemlich verblichenen Teppich standen, – das weit geschweifte mit rotem Samt bezogene Sofa an der Mitte der Längswand hinter dem Mahagonitisch, auf welch letzterm genau in der Mitte unter einer gläsernen Glocke ein aus Seidenstoffen gefertigter Blumenstrauß stand, eine Arbeit der Großmutter der Frau Stadträtin aus dem Jahre 1802. Dann der gläserne Porzellanschrank zur Seite des Sofas, in dem allerlei schöne Tassen, Geschenke aus Urgroßmutters Zeiten bis in die Jetztzeit, Kuchenteller, und schöne Obstschalen, Kannen und fein geschliffene Gläser ausgestellt waren. Die kleinen über dem Sofa an der Wand befestigten Daguerreotypien, darüber einige sehr schöne Pastellporträts, dann an der andern Wand moderne Erzeugnisse der photographischen Kunst, ein aus Venedig von irgendeinem Urahnen einmal mitgebrachter kostbarer, gläserner Spiegel und in der Mitte von der Decke für Kerzen und Petroleum eingerichteten, mit Glas behangenen Kronleuchter.

Und über dem Kronleuchter war zum Schutze gegen die Fliegen, welche der Sommer bringen würde, und gegen Staub sorgfältig weiße Gaze mit bunten Bändern befestigt, so daß er wie ein von der Decke herabhängender umgekehrter Luftballon aussah. Auch über die roten Samtsessel und das Sofa waren Spitzen, gehäkelte Decken und Überzüge gelegt, so daß der rote Samt, der wohl schon über hundert Jahre alt war, gegen Licht und Staub geschützt war.

Vor den Fenstern befand sich eine mit einem kleinen Teppich belegte Erhöhung, ein Podest, auf dem ein Goldtischchen mit einem Bassin mit Goldfischen stand, und zu beiden Seiten endlich zwei kleine Goldstühlchen.

Das war der Platz, auf dem die alte Frau Stadträtin die Besucher zum Sitzen nötigte und sich mit ihnen, wenn sie Zeit hatte, stundenlang über alles unterhielt, was die Stadt und ihre Bewohner anging.

Margaret kannte den Platz und die Gewohnheiten der alten Frau und setzte sich auf eins der Stühlchen. Die Frau Stadträtin hatte ja dieses Stühlchen besonders aufstellen lassen, um die ehrwürdigen Samtmöbel so viel wie möglich zu schonen.

Als sie jetzt eintrat, erhob sich Margarete und ging der alten Dame entgegen, deren jugendliches Gesicht seltsam von dem weißen Haar ihrer Frisur abstach. Beide begrüßten sich mit all der Liebenswürdigkeit zweier gut befreundeter Damen.

„Nehmen Sie Platz, mein liebes Kind, sagte die Frau Stadträtin. „Wie mich das freut, Sie endlich einmal wieder zu sehen. Ich glaube, wir haben uns fast eine Woche nicht getroffen. Wie ich hörte, waren wieder sehr viel Gesellschaften bei Ihnen. Oftmals denke ich an Sie, wie sehr Sie mit Ihren jungen Kräften durch den großen Haushalt in Anspruch genommen werden.

Aus Gewohnheit rückte sie die Gardine ein wenig zur Seite, um aus den vor dem Fenster angebraten schrägen Spiegel, einem sogenannten Spion, einen Blick zu werfen und sagte:

„Ich fühle mich heute wieder recht einsam.

„Ich wollte doch meinen, Frau Stadträtin, daß Sie sich nicht einsam zu fühlen brauchen, da Sie einen so prächtigen Sohn besitzen, erwiderte Magarete.

Ein Lächeln glitt über die Züge der alten Dame. Sie nickte mehrmals mit dem Kopfe und sagte:

„Sie haben schon recht, mein liebes Kind. Aber Söhne sind keine Mädchen, und bei aller Liebe, die mein Sohn für mich fühlt, versteht er mich doch oft nicht. Es sind zu viele Gegensätze zwischen Mann und Frau, andre Ideen, andre Pflichten, die Sie natürlich, mein lieber Kind, – mit einem gütigen Lächeln blickte sie Margarete in die Augen – „als verliebtes junges Mädchen bei Kurt nicht beobachten. – Das kommt alles erst später. Dann werden Sie finden, daß nicht alles Gold ist, was Sie an Kurt bewunderten, und ebenso wird Kurt dieselbe Entdeckung bei Ihnen machen. – Ja, ja, mein liebes Kind. Da sehen Sie mich wohl ungläubig an und denken, ich sage da etwas Unsinniges, oder wie Kurt meint, ich stoße einen Unkenruf aus. Aber Sie haben sich später erst einmal an diese Gegensätze und aneinander zu gewöhnen und auszugleichen. Das sind dann die Kämpfe, welche keiner Ehe erspart bleiben, wäre sie auch auf noch so viel Liebe gegründet.

„Gnädige Frau, Margaretes Gesicht überschoß ein leiser Schatten, „ich weiß wohl, daß auch bei Kurt nicht alles eitel Gold ist. Manchen Fehler habe ich an ihm entdeckt und mich bemüht, ihn zu verstehen, um ihn zu entschuldigen. Deshalb eben, meine verehrte Frau Stadträtin, kam ich zu Ihnen, um über Kurt mit Ihnen zu sprechen.

„Sie sprechen geheimnisvoll, liebe Margarete.

„Lassen Sie mich erzählen, Frau Stadträtin. Sie als Mutter von Kurt werden unbedingt ein besseres und schärferes Urteil über den Grund meiner Befürchtungen haben, als ich selbst. Sie wissen, daß man hier in der Stadt Kurt wegen seiner absonderlichen Neigungen und Pläne für einen Phantasten hält.

„Das weiß ich, liebes Kind. Ich will Ihnen offen gestehen, daß dieser Zug zur Phantasterei in seiner Familie erblich ist. Ich könnte Ihnen die Familiengeschichte aus meinem Wohnzimmer herüberholen, welche im Jahre 1616 von einem Ahnen Kurts angelegt wurde.

Das war ein großer Handelsherr in Hamburg. Sie können lesen, wie dieser Mann, der Gründer der Familie, als armseliger Mensch ohne jedes Vermögen in jungen Jahren in die mächtige Hansastadt kam, getrieben von der unbegreiflichen Macht seiner Phantasie nach Reichtum und fremden Ländern. Sie können dort weiter lesen, wie die Phantasie, gepaart freilich mit unbeugsamem Willen, die treue Führerin dieses jungen Menschen war und ihn fähig machte, alle Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten, zu überwinden. Wie ihm oftmals bei Krankheit und Sorgen im größten Elend die wunderbar lindernde Kraft seiner Phantasie als gewaltige Helferin schützend und schirmend zur Seite stand. Wie sie ihn schließlich aus allem herausführte und wie er das wurde, was ihm die Phantasie vorspiegelte: der große Handelsherr, der .Dutzende von Schiffen die Meere durchfurchen ließ, der den Reichtum fremder Völker und ihre Erzeugnisse nach Hamburg brachte, der selbst Kolonien anlegte und als einer der mächtigsten Handelsfürsten der Stadt hoch geehrt mit 80 Jahren starb. – Sehen Sie, liebes Kind, das war die Phantasie, die Urheberin aller wahrhaft großen Taten, welche diesen Mann zu dieser hohen Stellung brachte.

Und dann können Sie lesen, mein liebes Kind, wie in der nächsten Generation wiederum die Phantasie eines Sohnes, des Erben des großen Vermögens, die Schiffe und Kolonien vernichtete, weil er noch höher heraus wollte als der Vater und nach der Krone griff. Weil er sich, eine selbständige, kriegführende Macht, mit den Holländern gegen Spanien verbündete und ihnen in ihren damaligen Kämpfen zur See und zu Lande half. Verworrene Ideen, phantastische Pläne, die er hatte, stehen von ihm in der Familiengeschichte verzeichnet. Doch statt des erhofften Fürstenmantels erwarb er Schaden und Armut.

Und in der nächsten Generation war es wieder die Phantasie, die aus einem Sohn des Hauses einen der angesehensten Generale der napoleonischen Armee werden ließ, und den Grundstock zu neuem Wohlstand in der Familie legte. Aber die großen glänzenden Zeiten des Urahnen, des königlichen Kaufmanns sind bis heute von keinem wieder erreicht worden.

Jetzt ist es Kurt, der das köstliche Geschenk des Himmels, die Phantasie, geerbt hat und darum von den Menschen, die einen solchen Geistesflug nicht kennen, für einen Narren gehalten wird. – Wie ich sehe, kommen Sie mit der gleichen Besorgnis.

Vor Margarete waren bei der knappen Schilderung der Familiengeschichte der Graditz, welche die alte Dame vor ihr aufschlug, seltsame wunderbare Bilder aufgestiegen. Sie sah die stolzen Schiffe des Hansafürsten, seine gewaltige Macht. Sie machte im Geiste die Kämpfe der Holländer gegen Spanien mit und glaubte den zu Boden geschmetterten Hansaerben zu sehen.

Dann wieder glitten vor ihren Augen weite schneeglänzende Felder dahin. Ein gewaltiges Menschengetümmel, der Zug der großen Armee zur Moskwa, Kanonendonner und das Geschrei von Sterbenden –, die Kriegszüge des mächtigen Korsen –, Napoleons des Großen Glück und Ende. Und jetzt verstand sie, was ihr noch gestern abend so unmöglich und närrisch erschienen war. Jetzt begriff sie den Erben dieser Familie, den Phantasten Kurt Graditz.

„Sie sind Kurt nicht begegnet, mein liebes Kind, fragte die Frau Stadträtin, um das Gespräch auf andre Bahnen zu bringen.

„Nein, gnädige Frau, auf dem Wege vom Schloß Falkenruh bis zur Stadt sah ich ihn nicht.

„Er ist beim Generaldirektor, Ihrem Schwager.

Ein Erschrecken, ein Schwanken für und wider, unbestimmte Fragen und Antworten bewegten Margarete von Gerolsheim.

„Kurt ist bei meinem Schwager?

„Jawohl, mein liebes Kind. Er erhielt gestern einen Brief, daß er sich um zehn Uhr im Bureau des Generaldirektors einfinden solle, um eine Stellung anzutreten.

„Ich weiß das, gnädige Frau, und Kurt erzählte mir auch gestern abend, daß er die Stellung annehmen wolle, obwohl er doch sonst für meinen Schwager sehr wenig übrig hat. Dann aber schwärmte er mir wieder in der unbegreiflichsten Weise allerlei von seinen zukünftigen Millionen und allerlei andern Dingen vor. Und deshalb kam ich voller Angst um seine Nerven zu Ihnen, gnädige Frau, um mit Ihnen Rats zu pflegen, in welcher Weise Kurt Erholung finden könnte.

„Seien Sie unbesorgt, mein liebes Kind. Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß das Nervensystem Kurts der Erholung bedürfe. Sie haben sich eben von der Kühnheit seiner Phantasien in Besorgnis setzen lassen und werden sich daran gewöhnen müssen.

„Ich verstehe nur nicht, wie Kurt gleichzeitig bei meinem Schwager Stellung nehmen und doch derartige Millionenpläne hegen kann. Denn das leuchtet mir doch ohne weiteres ein, daß er diese Millionen bei meinem Schwager nicht erwerben wird. Ich habe auch davon gehört, daß Eberhard seine Angestellten sehr knapp hält. Wie sich das zusammenreimt, bleibt mir unbegreiflich.

„Auch das, mein liebes Kind, ist ein Charakterzug aller mit Phantasie begabten Menschen, daß sie die verschiedenartigsten Dinge und Strömungen zu vereinigen und ihren Zielen nutzbar zu machen wissen. Kurt wird sich auch durch die glänzendste Stellung und das angenehmste Leben in diesem Betriebe nicht abhalten lassen, seinen letzten Zielen weiter nachzugehen.

„Das freut mich ungemein, gnädige Frau, erwiderte Margarete und atmete befreit auf, als ob eine schwere Sorgenlast von ihrer Brust genommen wäre. „Ich weiß, daß Kurt dort eine ganz angenehme Stellung haben wird, und es liegt mir sehr viel daran, daß er sich mit meinem Schwager verträgt, mit dem er doch schließlich durch seine Heirat mit mir verwandt wird.

„Das, mein liebes Kind, glaube ich Ihnen versprechen zu können.

Damit endigte das Gespräch der beiden Damen.

Als Margarete von Gerolsheim sich von der alten Dame verabschiedete, beugte sie sich über die ihr dargereichten, feingegliederten weißen Hände, küßte sie und sagte:

„Ich werde Ihre Worte beherzigen, Frau Stadträtin.

Nach einem Kuß auf der Stirn begleitete die alte Dame sie bis zur Tür des Hauses und nach einem letzten „Auf Wiedersehen bestieg Margarete von Gerolsheim den wartenden Wagen und fuhr, tief in Gedanken über dieses Zwiegespräch versunken, nach Schloß Falkenruh.

 

 

Sechstes Kapitel.

Am nächsten Morgen um 8 Uhr trat Kurt Graditz seine neue Stellung auf der Zeche „Gloria an. Es schien, als ob aus dem ungezügelten Bohémien, dem regellosen Phantasten über Nacht ein äußerst fehlerfreier und pünktlicher Beamter geworden wäre. Er betrat das besondere Zimmer, welches ihm von einem Diener angewiesen wurde und legte seine schwarze Aktenmappe auf den Tisch.

„Es ist jetzt 8 Uhr, sagte er nach einem Blick auf seine Uhr zu sich selbst. „Pünktlich bin ich gewesen, wie es ein guter Beamter nur sein kann. Denn es würde natürlich wieder den heiligen Geist der Bureaukratie verstoßen, wenn ich eine Minute zu früh kommen wollte.

Nach den amüsanten Schilderungen, die mir mein Freund Jefferson in Ohio vom deutschen Bureauleben gab, könnte ich mir ja nun sehr lebhaft vorstellen, wie die Sache weiter zu gehen hat. Etwa so: Von acht bis neun Lektüre der Lieblingszeitung zwischen ausgebreiteten Akten. Von neun bis viertel zehn Sitzung mit dem zuständigen Laufjungen zwecks Erwerbung eines nahrhaften und dennoch nicht allzu teuern Frühstücks. Diese Knaben sollen wunderbar darüber unterrichtet sein, wieviel man von den jeweiligen Leckerbissen der Jahreszeit für zwanzig deutsche Reichspfennige bekommen kann. Angefangen vom guten laufenden Harzer Käse, der die Leibspeise im Winter bilden dürfte, und weiter geführt zur schwindelnden Höhe so verschwenderischer Genüsse, wie sie etwa Radieschen und frischer Quark im Mai und Kirschen oder Erdbeeren im Juni bedeuten. – O ja, der echte Bureaukrat versteht sein Leben zu genießen und auch Kleinigkeiten zu pflegen.

Ist die Konferenz mit besagtem Laufjungen zur allgemeinen Befriedigung erledigt, so tritt eine Viertelstunde gespannter Erwartung ein. Schon ein Philosoph hat gesagt, daß die Vorfreude das Beste an allen Dingen sei. Aber die Erfahrung straft ihn doch Lügen. Denn hat man sich die Viertelstunde gefreut und kommt um halb zehn das Frühstück, so beginnt erst der wahre Genuß. Bis um halb elf kann man in den Schätzen schwelgen, die für 20 Pfennig erworben wurden.

Dann dürfte es sich wohl empfehlen, etwas Arbeit recht sinnfällig aufzubauen, die Feder stark naß zu machen und danach für ein halbes Stündchen im Hintergrunde zu verschwinden.

Darüber wird es elf, und man darf nun die Hoffnung hegen, daß es mit Gottes und der Menschen Hilfe auch noch zwölf werden wird. Man hat ja in der einen Stunde auch noch viel zu tun. Die Frühstücksverdauungszigarre will geraucht sein. Man muß etwas für Haar- und Nagelpflege tun, wozu die Bureauausstattung geradezu einlädt. Das Blatt vom Kalender muß abgerissen werden und um ein Viertel vor zwölf muß man doch beginnen, sich für den Gang über die Straße wieder ein wenig ansehnlich zu machen.

Ja, Freund Jefferson hatte durchaus recht. Das Leben eines echten Bureaukraten ist ein vielgeschäftiges. Ich denke aber, ich werde es mir trotzdem ein wenig anders einrichten.

Nach diesem Selbstgespräch verließ Kurt Graditz sein Zimmer und ging zu dem Geheimsekretär Brederoff. Er fand den sonst so Vielgeschäftigen jetzt in Abwesenheit des Generaldirektors geruhsam vor einer Zeitung sitzen.

„Sollte meine Feststellung wirklich stimmen, dachte sich Kurt Graditz, und er wurde in seiner Anschauung bestärkt, weil Brederoff ein wenig verlegen zu sein schien und bestrebt war, die Zeitung unter die Akten zu schieben.

„Bitte, mein lieber Sekretär, lassen Sie sich gar nicht stören, begann er. „Ich wollte mit Ihnen einige Förmlichkeiten besprechen, die für meine eigne Tätigkeit notwendig sind. Ich sehe Sie dort bereits mit der Lektüre einer Zeitung beschäftigt. Wir halten doch hier sicherlich die wichtigsten deutschen Zeitungen und sind bei einigen Ausschnittbureaus auf alle in- und ausländischen Artikel und Notizen abonniert, welche die Kaliindustrie angehen.

Nun hatte der gute Brederoff zwar gerade die Unterhaltungsbeilage des Kreisblatts gelesen, die mit der Kaliindustrie verzweifelt wenig zu tun hatte. Aber er sagte doch mit sehr viel Würde:

„Ich bedaure sehr, Herr Graditz, Ihnen keine bejahende Antwort geben zu können. Wir halten hier nur für das Wartezimmer eine Berliner und zwei hiesige Zeitungen. Diese pflege ich in den wenigen freien Minuten auf uns interessierende Nachrichten durchzusehen. Außerdem hält der Herr Generaldirektor noch einige Zeitungen in seinem Privatbureau im Schlosse drüben.

„So, sagte Kurt Graditz, „das muß natürlich anders werden. Wenn man zur Presse Stellung nehmen will, wenn man auf Sachen antworten soll, dann muß man die Dinge zunächst doch kennen. Sie haben doch das hübsche schwarze Buch.

Der Geheimsekretär bekam einen ordentlichen Ruck, als so rücksichtslos vom Allerheiligsten der Zeche gesprochen wurde.

„Freilich, das habe ich, sagte er und blickte sein Gegenüber zweifelnd an.

„Dann schlagen Sie es bitte auf und notieren Sie sich, daß diese Zeitungen, deren Liste ich Ihnen hier gebe, abonniert werden, und daß bei zwei Bureaus Ausschnitte bestellt werden.

Einen Augenblick schien Brederoff zu zögern. Aber unter dem zwingenden Blick von Graditz schlug er das Buch auf und machte die gewünschten Eintragungen.

„Und nun, mein lieber Herr Geheimsekretär, vergessen Sie ja nicht, diese Angelegenheit heut vormittag noch dem Herrn Generaldirektor vorzutragen, fuhr Graditz fort. „Es ist für mich unbedingt notwendig, daß dies schnellstens geschieht, denn ohne diese Unterlagen sitze ich hier müßig. Ich erwarte Ihre Mitteilung heute nachmittag.

Damit verließ er das Zimmer, und Herr Brederoff hatte den dunkeln Eindruck, als ob er vom heutigen Tage an zwei Chefs besäße.

„Das war Nummer eins, murmelte Kurt Graditz vor sich hin. „Nun wollen wir einmal Nummer zwei besuchen. Wir wollen uns einmal den Herrn Obersteiger über Tage ansehen.

Nach kurzem Anklopfen betrat er das Zimmer des Herrn van der Möhlen, dem alles untertan war, was unter der Erde lag oder was sich wie die Bergleute sagen, unter Tage befand.

„Glückauf! sagte Graditz und trat auf den Beamten zu.

„Glückauf! erwiderte dieser den alten Bergmannsgruß, und Kurt Graditz bemerkte mit stillem Amüsement, wie auch dieser eine Zeitung zwischen die Akten zu schieben versuchte.

„Na, ich komme, wie es scheint, wirklich in die Stunde der allgemeinen Lektüre, dachte er bei sich selbst. „Es ist schließlich immer noch besser, als wenn ich die Herren während des Frühstücks gestört hätte.

„Ich habe die Ehre, mich Ihnen vorzustellen, fuhr er laut fort. „Graditz ist mein Name. Ich habe wohl das Vergnügen, Herrn Obersteiger van der Möhlen zu sehen.

„Van der Möhlen ist mein Name, erwiderte der andre, der inzwischen glücklich eine Lohnliste über die Zeitung gezogen hatte.

„Sie haben wohl gehört, Herr Obersteiger, daß ich vom Herrn Generaldirektor für eine besondere Aufgabe verpflichtet worden bin und am heutigen Tage meinen Dienst angetreten habe.

Und ob es der Herr Obersteiger gehört hatte. Er war durch seinen Freund Suttner bereits genauer über die abenteuerliche Anstellung unterrichtet, als die unmittelbar Beteiligten selber. Er wußte auch, daß der Anstellungsvertrag nicht beim Arbeitsinspektor, sondern beim Justizrat abgeschlossen war, und das bedeutet ohne weiteres etwas Besonderes.

Auch das Gehalt des Neuen war ihm bekannt, und da es etwas höher war, als sein eignes und da in allen großen Betrieben immer derjenige recht hat, der das größere Gehalt bezieht, so hielt er es für angebracht, sehr höflich zu sein.

„Gewiß habe ich bereits die erfreuliche Nachricht von Ihrer Anstellung gehört, sagte er. „Aber zuförderst, Herr Graditz, darf ich Ihnen wohl einen Stuhl anbieten.

Graditz setzte sich und fuhr fort.

„Es ist eine Voraussetzung für die Erfüllung meiner Aufgabe, daß ich mich genau über Umfang und Inhalt des Zechenfeldes unterrichte. Nur im Besitz dieser Kenntnis werde ich in der Lage sein, die Anweisungen und Anregungen, welche der Herr Generaldirektor mir gibt, sachgemäß zu verarbeiten. Da nun voraussichtlich noch einige Tage vergehen werden, bis ich die literarischen Unterlagen für meine Arbeiten bekomme, so möchte ich die Zwischenzeit benutzen, um mich selbst in den Zechen unter Tage zu unterrichten. Ich bitte Sie daher, mir einen ständigen Einfahrschein auszustellen. Bei der Eile, welche der Herr Generaldirektor anbefohlen hat, und bei der Wichtigkeit, welche er meiner Aufgabe beilegt, möchte ich keine Stunde verlieren.

Das war nun zwar alles ein ziemlich blauer Dunst. „Bluff hätte man in Amerika gesagt. Der Obersteiger mußte sich bei einigem Nachdenken selber sagen, daß kaum ein Mensch in der Lage ist, sich durch einfaches Befahren einer Zeche ein Bild von der Ausdehnung der unterirdischen Schätze zu machen. Daß man sich darüber vielmehr sehr viel schneller und besser aus Markscheiderkarten und geologischen Darstellungen unterrichten kann und keinen einzigen Schritt in die Teufe hinunter zu tun braucht.

Aber auch hier wirkte die bezwingendende Kraft der Persönlichkeit von Kurt Graditz, und überdies war die Aufmerksamkeit des Obersteigers auf andre Dinge gerichtet.

„Was war das für ein Mensch, der schon um halb neun Uhr an die Arbeit ging, anstatt seine Zeitung zu lesen und noch dazu am ersten Tage seines Dienstantritts.

Der Obersteiger fand die einzige Erklärung dafür in jenem alten Sprichwort, demzufolge neue Besen gut kehren. Schweigend schrieb er den Schein aus und überreichte ihn Kurt Graditz.

„Ich darf mich wohl in Zweifelsfällen und besonders schwierigen Fragen vertrauensvoll an Sie wenden, sagte Graditz, und der Obersteiger, darüber hochgeehrt, nickte glückselig Gewährung.

„Glückauf! verabschiedete sich Graditz, und „Glückauf! klang es ihm aus dem Steigerbureau nach.

Langsam schritt er über den Zechenhof hin zum Schachthaus. Die Maisonne spielte freundlich über das helle Grün, welches auch hier die Bureaugebäude umrankte und sich sogar an eine Ecke des Schachthauses herangewagt hatte.

„Im Werke wird jedenfalls anders gearbeitet, als in den Bureaus, dachte Kurt Graditz für sich. „Wenn ich erst die Leitung eines Werkes in der Hand habe, so werde ich den Herren Bureaukraten schärfer auf die Finger gucken. Selbst der allmächtige und sonst so kluge Trenkmann scheint nicht zu wissen, daß seine Beamten die Hälfte ihrer Zeit mit Frühstücken und Zeitungslesen zubringen. Und man sagt ihm doch nach, daß er der geschworene Todfeind jedes Müßiggangs sei.

Er hatte sich unterdes dem Schachthause genähert, in welchem regste Förderfahrt herrschte. Schon von außen konnte er beobachten, wie die beiden riesigen Seilscheiben, welche den Schachtturm krönten, sich bald nach rechts und bald nach links drehten. Hier scheinen sie weder zu frühstücken noch Zeitungen zu lesen, dachte er und trat in das Maschinenhaus. Der Maschinenmeister empfing ihn mit mißtrauischen Blicken.

Es kam bisweilen vor, daß Neugierige an dem Pförtner mit allerlei List und Tücke vorbeikamen, obwohl schon der recht scharf war. Aber beim Maschinenmeister pflegte der Hinauswurf solche Leute mit tödlicher Sicherheit zu erreichen.

Auch jetzt trat der alte Lorenz dem Ankömmling mit einer Miene entgegen, die eine Mischung von hoher Polizeigewalt und tiefer Verachtung bedeutete. Kurt Graditz sagte ruhig „Glückauf! und hielt ihm den Passierschein des Obersteigers vor die Augen.

„Ja, aber das geht jetzt nicht, und Sie können jetzt nicht einfahren. Wir haben jetzt Förderfahrt und dürfen dazwischen keine Personenfahrt machen, sagte der Maschinenmeister.

„Zunächst einmal habe ich Sie mit dem Rufe ‚Glückauf! begrüßt, und ich bitte mir aus, daß mein Gruß erwidert wird, rief Kurt Graditz und sah den Maschinenmeister durchdringend an. „Zu zweit erzählen Sie gefälligst Ihrer Großmutter oder Waschfrau, daß Sie nicht zwischen zwei Förderfahrten eine Personenfahrt machen können. Mir bleiben Sie mit solchem Unsinn vom Leibe. Ich habe in Pennsylvanien schon die Fördermaschine bedient, als Sie noch mit der Dreckkarre auf dem Hofe arbeiteten.

Ich zeige Ihnen hier den Passierschein Ihres Vorgesetzten, des Obersteigers, und ersuche Sie, Ihren Widerspruch zu unterlassen und sofort eine Personenfahrt nach unten zu melden und mit mir auszuführen.

Der Maschinenmeister war ob solcher Abfuhr ein wenig verdutzt.

„Aber ich darf doch niemand ohne Begleitung eines Beamten der Zeche einfahren lassen, begann er von neuem.

„Ach so, Sie kennen mich noch nicht, hub Graditz wiederum an. „Ich bin der neue Oberingenieur und ebenso Beamter der Zeche wie Sie. Hier ist übrigens mein Anstellungsvertrag, wenn Sie Wert darauf legen. Wenn er Ihnen nicht genügt, so muß ich mir den Obersteiger holen.

Der Maschinenmeister schrak ordentlich zusammen. Er sah die durch den schwarzen Adler verzierte notarielle Anstellungsurkunde. Und dieser Neuling tat so, als könne er sich den Obersteiger wie einen Schuljungen herkommen lassen. So tat denn der Maschinenmeister etwas, was er trotz alledem und alledem nicht hätte tun sollen, er ließ eine ihm immerhin unbekannte Person in den Schacht einfahren und gab zu diesem Zweck das Zeichen auf Personenfahrt nach unten.

„Zur dritten Sohle, befahl Graditz kurz, und diese Vertrautheit mit den Zechenverhältnissen beseitigte das letzte Mißtrauen des Maschinenmeisters.

Die Förderschale versank in langsamer Personenfahrt mit Kurt Graditz in die Tiefe. Sie durchfuhr eine wohl hundert Meter starke Schicht deckenden Gesteins und drang dann in das mächtige Salzlager ein.

Blendendes Licht tauchte auf. Es war die erste Sohle, sozusagen das höchste Stockwerk des Bergwerks, deren Abschlagort die Förderschale passierte. Nach weitern hundert Metern wiederum Lichter. Das Abschlagsort von Sohle II. Und endlich machte die Schale in der dritten und tiefsten Sohle halt. Kurt Graditz verließ die Schale. Er begrüßte die Häuer, welche dort standen, mit einem kurzen „Glückauf! und schritt auf einen Gang, eine sogenannte Strecke zu.

Bevor er jedoch in diesen hineintrat, zog er seine Uhr und schaute nach der Zeit. Das heißt, so mußte es dem Fernerstehenden erscheinen. In Wirklichkeit war das keine Uhr, sondern ein Taschenkompaß, und er informierte sich genau über die Himmelsgegend, nach welcher jener Gang seinen Lauf nahm.

Dann schritt er ruhig seines Weges und marschierte wohl eine Stunde die Strecke entlang.

„Ich möchte wohl wissen, warum sie sich hier die Mühe genommen haben, diese unverschämt lange Strecke in das klare Steinsalz zu schlagen, murmelte er dabei vor sich hin. „Ich würde es verstehen, wenn sie das da oben besorgt hätten, wo das reine Kalisalz, das Karnallit, liegt. Aber hier unten im Kochsalz ist es doch ziemliche Verschwendung.

Sinnend schritt er weiter und dachte dabei der eigentümlichen Entwicklung, die der Bergbau in dieser Gegend genommen hatte. Sein Geist flog Jahrtausende zurück, und er sah hier in einer Bucht mit engem Ausgang die Fluten des Urmeeres stehen. Mit versengender Glut brannte die Sonne jener Vorzeit auf das blaue Wasser. In gewaltigen Mengen zog das verdunstete Wasser in die Luft, und neues Wasser strömte aus dem großen Meer durch die enge Haffmündung ein.

Nur Wasser verdunstete. Das Salz blieb natürlich zurück. So wurde jene Bucht von Jahrhundert zu Jahrhundert versalzener, so etwa, wie das tote Meer in unsern Tagen. Und schließlich kam der Augenblick, da das Wasser alles Salz nicht mehr gelöst halten konnte. Es begann sich derjenige Bestandteil des Seewassers, der am schwersten löslich ist, nämlich das Kochsalz, welches die Chemiker Chlornatrium nennen, in Form von Kristallen auszuscheiden und zu Boden zu sinken. Durch Jahrhunderte dauerte diese Ablagerung, und Kurt Graditz machte sie im Geiste noch einmal mit durch, als er jetzt durch den Gang schritt, den die Menschen viele Jahrhunderttausende später in das Steinsalz geschlagen hatten.

Weiter ging das Spiel seiner Gedanken, während er dahinschritt. Er sah, wie schließlich auch die sehr viel leichter löslichen Meeressalze, zum Beispiel das Karnallit, vornehmlich aus Chlorkalium und Chlormagnesium bestehend, zu Boden fiel, sah, wie sich auf die Natronsalze die Kalisalze lagerten.

Er sah im Geiste, wie schließlich der Zugang des immer salziger und immer flacher gewordenen Meerbusens sich durch eine Barre gegen das Außenmeer abschloß. Er sah, wie der Boden sich in weitern Jahrtausenden langsam hob, wie das Wasser immer mehr verdunstete und nun auch seine tonigen Bestandteile sich wie eine schützende Decke über das Salz in Form einer festen Tonschicht lagerten. Er sah, wie mächtige Winde Staub und Sand darüberwehten, wie vorweltliche Regengüsse den Sand verkitteten und befestigten und wie schließlich hundert Meter über der obersten Salzschicht auf festem Lande grüne Eichen und dunkle Tannen sich ansiedelten.

Und er gedachte der Menschen, die im Mittelalter zu graben begannen, um das so wertvolle Kochsalz in der Tiefe zu finden. Wie sie durch Sand und Ton hindurchschachteten und nicht auf das erhoffte Kochsalz, sondern auf das Kalisalz stießen, welches kein Mensch essen kann. Und er stellte sich lebhaft vor, wie diese mittelalterlichen Bergleute darüber geflucht und gewettert haben mögen und wie sie sich dann anschickten, das unnütze Salz abzuräumen, immer in der Hoffnung, in größerer Teufe doch noch Kochsalz zu finden.

Abraumsalze nannte man ja darum jene Kalisalze und warf sie Jahrhunderte hindurch achtlos zur Seite. Bis das 19. Jahrhundert kam und die Welt erkannte, daß diese Kalisalze ein unschätzbares Gut seien, unentbehrlich für die Landwirtschaft und für tausend Zwecke der Chemie. Und er dachte endlich, wie heute das Steinsalz, durch welches er jetzt dahinschritt, beinahe eine Nebensache geworden sein, ein Erzeugnis, das man auch an tausend andern Stellen fand, während das Kalisalz ein Nationalgut Deutschlands wurde, ein Naturschatz, der sich nur in Deutschland fand, und den doch alle andern ackerbautreibenden Staaten und namentlich Amerika so nötig brauchten, wie das liebe Brot.

Wohl fast eine Stunde war er so dahingeschritten, während seine elektrische Taschenlaterne malerische Spiegelungen auf die marmorweißen glitzernden Wände des Ganges warf.

„Nach meiner Karte bin ich nur noch zwei Kilometer vom Ende der Trenkmann’schen Markung entfernt, murmelte er jetzt und hakte sich die elektrische Taschenlaterne an der Brust fest. Dann faßte er in die Tasche und holte jene gegabelte Weidenrute hervor, welche Margarete von Gerolsheim zwei Tage vorher nicht ohne Lächeln bei ihm bemerkt hatte. Er faßte die beiden Gabelenden mit beiden Händen, so daß die Daumen der Länge nach auf den Gabelzinken lagen und zog die beiden Zinken ein wenig auseinander, während er die ganze Gabel wagerecht hielt.

So schritt er ruhig weiter, und ruhig lag die Gabel in seinen Händen.

„Nichts, murmelte er nach etwa tausend Schritten. „Die Gabel regt sich nicht. Wir werden ja sehen.

Und ruhig setzte er seinen Weg fort. Noch trennten ihn fünfhundert Schritte von der Grenze der Trenkmann’schen Markung, die nach dem Berggesetz auch das Ende dieses Ganges bedeuten mußte, als ein Zittern die Rute zu befallen schien.

Kurt Graditz vermied es jetzt peinlich, an seine Pläne, Ideen und Hoffnungen zu denken. Er wußte wohl, daß nichts gefährlicher und schädlicher für den Rutengänger ist als ein solches Sinnieren, welches nur zu leicht zur Selbsttäuschung führt, und zum Schlagen der Rute, wo sie sonst nicht schlagen würde.

Er dachte mit der Zusammenfassung aller seiner Kräfte an einen einfachen, grauen Eisenleuchter, der in seinem Schlafzimmer neben dem Bett stand. Während er ruhig und stetig weiter schritt, entstand vor seinem Geiste dieser einfache Leuchter mit dem brennenden Licht darauf so deutlich, daß er ihn auch mit dem körperlichen Auge zu sehen glaubte. Er sah, wie der weiße Lichtschaft aus dem Leuchter herausragte, sah die ruhige Kerzenflamme und wußte in Wirklichkeit nicht mehr, ob es das Licht jener eingebildeten Flamme oder der Glanz seiner elektrischen Lampe war, der hier in seine Augen fiel.

Nein willenlos schritt er, das Bild des Lichtes vor sich, weiter.

Da plötzlich schien es ihm, als ob ein Windhauch in jene Flamme fahre und sie zum heftigen Flackern bringe. Und gleichzeitig begann sich die Rute in seinen Händen zu bewegen. Aber sie zitterte nicht mehr, sondern schlug mit Gewalt nach oben, als ob eine unsichtbare Hand daran zerrte und risse. Und während der Rutengänger die Gabel jetzt mit Gewalt zu halten versuchte, während das Licht vor seinen Augen im Sturm zu verlöschen schien, schlug sie noch einmal mächtig nach oben aus und brach dann mit hörbarem Krachen an der Verzweigungsstelle auseinander.

Tief aufatmend blieb Kurt Graditz stehen. Erst allmählich kehrte er zu vollem Bewußtsein zurück und sah die zerbrochene Gabel in seinen Händen. Dann blickte er vor sich und sah, daß der Gang etwa zwanzig Meter vor ihm ein jähes Ende nahm.

Virgula mercurialis seu divina!1 O du Göttliche, du Zauberrute“, flüsterte er vor sich hin. „Deutlicher konntest Du mir nicht zeigen, daß hier das Reich des Salzes aufhört und die Herrschaft des Eisens beginnt.

Mit zufriedenem Lächeln steckte er die beiden Stücke in seine Tasche und schritt den Weg zurück, der er gekommen war.

„Was kümmert mich jetzt noch Herr Generaldirektor Trenkmann mit seinen Kalisorgen, dachte er dabei. „Meinetwegen könnte ich meine neue Stellung noch heute vormittag niederlegen. Aber, nein! Ich muß doch erst sehen, ob die Herren Beamten wirklich von elf bis zwölf Zigarren rauchen und sich die Nägel putzen. Ich muß überhaupt den Scherz noch ein wenig mitmachen. Wenn man einmal im Fuchsbau ist, dann soll man das Leben der Füchse auch gründlich studieren.

Über solche Gedanken sinnend und mit sich selbst scherzend, erreichte Kurt Graditz das Füllort und bestieg die Förderschale. Mit freundlichem „Glückauf! begrüßte er das Licht des Tages und der alte Maschinenmeister Lorenz bekam eine besonders feine Zigarre von ihm, die ihn mit allen Grobheiten und Schroffheiten des neuen Ingenieurs für lange Zeit aussöhnte.

Langsam ging Kurt Graditz über den Zechenhof in sein Bureau und ließ sich auf seinem Stuhle nieder. Dann öffnete er seine schwarze Mappe und zog seinen Flurplan heraus. An einer Stelle markierte er eine rote Grenzlinie und schrieb mit roter Tinte eine zwanzig daran. Dann klappte er die Karte zusammen, schob sie in die Mappe zurück, fügte die zerbrochenen Stücke der Wünschelrute hinzu und schloß die Mappe.

„Es ist in fünf Minuten zwölf, sagte er dabei. „Als ordentlicher Beamter habe ich jetzt das Recht, mich schön zu machen, damit ich um Punkt zwölf nach Hause gehen kann. Pünktlichkeit ist die erste Pflicht eines Trenkmannschen Beamten.

Und die Leute, die um zwölf Uhr unter dem Schrillen der Dampfpfeife von dem Hofe strömten, sahen, daß der neue Oberingenieur ebenso pünktlich ging, wie er gekommen war.

 

 

Siebentes Kapitel.

Am nächsten Vormittag wurde Kurt Graditz zum Generaldirektor gerufen. Als er dessen Bureau betrat, begrüßte ihn der Allgewaltige äußerst freundschaftlich, bot ihm einen Platz an und sagte:

„Mein lieber Herr Graditz, ich habe mit Ihnen einige sehr wichtige Sachen zu besprechen. Da mir aber hier die Wände meines Bureaus nicht genügend schallsicher gebaut erscheinen, so bitte ich Sie, mich in einer halben Stunde in meinem Privatbureau aufzusuchen.

Es war zum erstenmal, daß Kurt Graditz das Schloß betrat.

Obwohl er an verschwenderische und vornehm eingerichtete Räumlichkeiten gewöhnt war, erstaunte er doch über die Pracht, mit welcher der Generaldirektor das Schloß ausgestattet hatte.

Schon die Vorhalle, zu welcher die breite Freitreppe führte, zeugte nicht nur von dem großen Reichtum des Besitzers, sondern auch gediegenem künstlerischen Geschmack.

Wundervoll geschnitzte, altindische Täfelungen zierten die Wände und die Decke, hier und da durch farbige Marmorsäulen unterbrochen, während in der Mitte eine antike Ausgrabung aus dem geheimnisvollen Indusland auf einem Marmorsockel aufgestellt war.

Das farbenprächtige Kolossalgemäle eines Tintoretto, welches den Kampf um Troja darstellte, schmückte die eine Längswand.

Auch das Arbeitszimmer des Generaldirektors welches in altflämischem Stil ausgestattet war, zeigte Kunstsinn und Reichtum in seltener Vereinigung. Außer einigen Nägeln und Schrauben war hier wohl jeder Gegenstand um das Jahr 1600 herum in Antwerpen, Gent oder Brügge gearbeitet.

Merkwürdig stach von dieser wahrhaft fürstlichen Umgebung die ausgesucht einfache Kleidung des Besitzers aller dieser Herrlichkeiten ab. Man merkte wohl, daß sein Anzug von einem erstklassigen Schneider stammte, und daß sein Schuhzeug nicht eben billig sein konnte. Aber peinlich war jede Auffälligkeit, jede, irgendwie aufdringliche Absonderlichkeit vermieden worden. Auch an der hagern, weißen, kräftig gegliederten Hand bildete der Trauring den einzigen Schmuck.

Nachdem beide Herren Platz genommen, schob der Generaldirektor eine Kiste Havanna zu Kurt Graditz hin, bediente sich selbst, und die beiden begannen zunächst zu rauchen, getreu jenem Wahlspruch Bismarcks, daß alle Verhandlungen besser und glatter vonstatten gehen, wenn eine angenehme Nebenbeschäftigung mit der Zigarre die Gemüter beruhigt und dem Geist Zerstreuung bietet.

„Ich möchte Sie bitten, begann danach der Direktor, „morgen nach Berlin zu fahren und dort nach einer persönlichen Rücksprache mit den Ihnen befreundeten Redakteuren eine Reihe von Artikeln anzubahnen, an deren Veröffentlichung mir sehr viel liegt.

Sie kennen ja sehr genau, Herr Graditz, die Erwägungen und Bestrebungen, aus denen heraus seinerzeit das Kalisyndikat gegründet wurde. Ich werde sie Ihnen zu Ihrer völligen Kenntnisnahme noch einmal kurz wiederholen.

Deutschland ist zurzeit das einzige Land, welches Kalisalze in abbauwürdiger Menge besitzt oder doch wenigstens erschlossen hat. Das kapitalkräftige Ausland ist auf den deutschen Kalibau unbedingt angewiesen, genau so, wie die einheimische Landwirtschaft und chemische Industrie.

Die Natur hat uns ein Monopol in die Hand gegeben, wie es schöner und vollkommener kein Trust erfinden könnte. Immerhin bestand die Gefahr, daß die einzelnen Kalizechen im Wettkampf, im Bestreben, sich zu unterbieten und namentlich die großen Aufträge des Auslandes zu erhaschen, zu unwirtschaftlichen Preisen kommen könnten. Deshalb wurde jene Vereinigung, jenes Syndikat geschaffen.

Die Rechnung ist ja klar. Wenn ich 10000 Tonnen fördere, wenn mich die Tonne selbst 50 Mark kostet und wenn ich sie zu 60 Mark verkaufe, so habe ich an einer Tonne einen Gewinn von 10 Mark. Ich verdiene an 10000 Tonnen 100000 Mark. Wenn ich dagegen nur 5000 Tonnen fördere, aber unter dem Einfluß des Syndikats für die Tonne 100 Mark bekomme, so verdiene ich an einer Tonne 50 Mark, an meinen 5000 Tonnen also 250000 Mark, d. h. zweieinhalbmal so viel, als bei der uneingeschränkten Förderung und beim freien Verkauf. Hier liegen die Vorteile des Syndikats.

„Sehr wohl, unterbrach ihn Graditz. „Bis dahin sind mir der Aufbau und das Gefüge des Syndikats durchaus geläufig.

„Nun wohl, fuhr der Generaldirektor fort, während er einen Zug aus seiner Importe tat. „Nun ist nur noch eine Kleinigkeit hinzuzufügen. Bei beschleunigter Ausbeutung, bei schärfster Förderung, bei der ja meine Betriebsanlagen am besten ausgenutzt werden, kostet mich die Tonne Kali noch nicht 35 Mark, während wir viele kleine und unwirtschaftlich arbeitende Zechen im Syndikat haben, die 70, ja 80 Mark Werbungskosten auf die Tonnen rechnen müssen. Es liegt auf der Hand, daß diese auf das Syndikat angewiesen sind, daß sie es für ihre Existenz so notwendig brauchen, wie wir die Atmungsluft, während die großen Zechen, insbesondere meine Werke, auch die Stürme eines freien Wettbewerbs wohl aushalten, ja gekräftigt daraus hervorgehen können.

„Ich verstehe sehr gut, warf Graditz ein.

„Es liegt mir nun aus verschiedenen Gründen, die ich Ihnen nicht erklären möchte, sehr daran, daß eine Verlängerung dieses Syndikats nicht sofort erfolgt. Ich beauftrage Sie daher, nach den Notizen, die ich Ihnen hier übergebe, Artikel zu verfassen, welche die kleinen Kalizechenbesitzer gegen mich aufsässig machen und die glatte Erneuerung des Syndikats aufhalten.

Der Generaldirektor öffnete eine schwarze Ledermappe, die mit allerlei Aktenstücken angefüllt war, und entnahm ihr die für Kurt Graditz bestimmten Aufzeichnungen.

„Lesen Sie bitte, während ich mich mit etwas anderm beschäftigen werde, die Aufzeichnungen durch. Ich muß wissen, ob Sie über den Inhalt derartig unterrichtet sind, daß Sie ohne weitere Fragen an mich auskommen.

Graditz nahm die Urkunden und begann zu lesen. Mit klarer Schärfe bewies Trenkmann in seinen Aufzeichnungen, daß ein Vorteil des Syndikats für die großen Zechenbesitzer nicht bestand, sondern der tatsächliche Gewinn zum größten Teil nur den kleinen Zechenbesitzern zufiel.

Nachdem er das ziemlich umfangreiche Schriftstück gelesen, sagte er:

„Ich habe mich über Ihre Anschauungen unterrichtet. Ich vermag mir aber noch kein klares Bild zu machen, in welcher Weise ich aus diesen Aufzeichnungen den Stoff entnehmen und für die Agitation verwerten soll.

„Sehr einfach, mein lieber Graditz, erwiderte Trenkmann. „Sie brauchen nur in mehreren Artikeln den glatten Nachweis zu führen, daß die kleinen Zechenbesitzer den größern Vorteil vom Syndikat haben. Ein Nachweis übrigens, für den Sie die beweiskräftigen Ziffern ja in meinem Material finden, und den Sie daher beibringen können, ohne Ihrer journalistischen Ehre das allergeringste zu vergeben.

Die Kleinzechen werden sich das natürlich nicht sagen lassen wollen. Sie werden mit allen möglichen und unmöglichen Zahlenspielereien den Beweis zu führen versuchen, daß die Großzechen den größern Vorteil haben, und dann ist die Preßfehde da. Dann werden auch die Syndikatsverhandlungen in erregierer Weise geführt werden, und ich versichere Ihnen, Herr Graditz, ich kenne meine verehrten Herren Kollegen von den großen, sowohl wie von den kleinen Zechen zu genau, um die weitere Entwicklung genau vorauszusehen. Man wird sich in den Sitzungen wegen aller möglichen Dinge, namentlich wegen der Beteiligungsziffern der einzelnen Zechen in die Haare geraten, und das Syndikat wird nicht verlängert werden.

„Ich verstehe, Herr Generaldirektor. Ich verstehe Ihre Taktik. Aber – ich möchte Sie doch um eins bitten – Vertrauen gegen Vertrauen. Ich könnte Ihren Absichten noch besser dienen, wenn Sie mir rückhaltlos mitteilen, warum Sie eine Störung im Syndikat wünschen.

Es wäre doch denkbar, daß während der Syndikatsunterbrechung, während jener Zeit, da niemand gebunden ist, irgendwelche Zechen große Kalimengen zu Schleuderpreisen auf den Markt brächten. Darunter würden doch dann alle andern Kaliherren nach dem neuen Syndikatsabschluß schwer zu leiden haben.

„Allerdings, erwiderte Trenkmann mit kalter Stimme. „Dieser Fall könnte eintreten. Aber ich fürchte ihn nicht. Ich kenne die Leistungsfähigkeit der einzelnen Werke, kenne ihre Selbstkosten und weiß, was ich zu fürchten habe und was ich nicht zu fürchten brauche. Ich bitte Sie nun, nach meinen Absichten vorzugehen.

Kurt Graditz erwiderte nichts. Er legte die Schriftstücke zusammen und erhob sich.

„Sie sind also gut unterrichtet.

„Jawohl, Herr Generaldirektor.

„So gestatten Sie, daß ich Ihnen für die Reise einen Scheck übergebe. Ich wünsche nicht, daß die Zahlung amtlich durch meinen Kassenrendanten an Sie erfolgt. Benachrichtigen Sie mich von allen Ihren Schritten und Erfolgen und senden Sie mir, wenn irgend möglich, Ihre Manuskripte zur Korrektur ein, bevor Sie sie zum Abdruck geben.

Kurt Graditz verbeugte sich und sagte:

„Ich werde nicht verfehlen, Herr Generaldirektor, Ihre Wünsche zu erfüllen.

Sein Chef reichte ihm die kalte Hand, er spürte einen leichten Druck der Fingerspitzen des mächtigen Zechenbesitzers und war entlassen.

Tief in Gedanken versunken, ging er von seinem Bureau zur Stadt.

Er glaubte den Schachzug, den Trenkmann vorhatte, jetzt zu kennen.

Die Zeche „Gloria war zweifellos eine der leistungsfähigsten, wenn nicht gar die leistungsfähigste überhaupt. Sie konnte im freien Wettbewerb gewinnbringend noch zu Preisen verkaufen, bei denen die kleinern Zechen schon bares Geld drauflegten. Hier lag die große Gefahr für das Syndikat. Es war eine Gefahr, die einzig und allein in der Person und in den Betrieben Trenkmanns ruhte.

Deshalb also wünschte er die Artikel in den Zeitungen, um, bevor eine weitere Fortführung des Syndikaks zustande kam, eigne Geschäfte zu betreiben, die nicht unter Aufsicht des Syndikats standen.

Nachdem Graditz sich diesen Schachzug des Generaldirektors klargemacht, stieß er einen lustigen Pirolruf aus, rückte den Hut kecker auf seine blonden Locken und ging mit der Miene eines Menschen, dem eine große Freude widerfahren, den Weg zur Stadt.

Ehrfurchtsvoll blieben die Bürger der kleinen Stadt vor ihm stehen und zogen den Hut. Eben dieselben Leute, die noch vor wenigen Tagen an ihm vorübergegangen waren, entweder ohne ihn überhaupt zu beachten, oder aber mit einem spöttischen Zug um den Mund.

Das machte seine Ernennung zum Oberingenieur in den Trenkmann’schen Betrieben. Wie eine Art von Minister wurde er jetzt von den braven Bürgern angesehen.

Jetzt wollte niemand jemals etwas Nachteiliges über ihn gesagt haben. Jeder beteuerte, von jeher gewußt zu haben, daß Kurt Graditz ein geistreicher Mensch sei, ein Mann, mit den größten Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft.

Ihm war alles recht gleichgültig. Er verfolgte sehr viel höhere Ziele, Ziele, von denen die ehrbare Bürgerschaft von Tiefensalzach sich wenig träumen ließ.

Allerdings amüsierte ihn die Achtung, welche ihm seine lieben Mitbürger plötzlich zeigten. Aber bei sich selber lachte er darüber und dachte sich:

„Bin ich erst der Allmächtige hier im Kreise, dann werden sie wahrscheinlich auf dem Bauche vor mir rutschen.

Als er zu Haus ankam, erwartete ihn die Frau Stadträtin bereits an der Mittagstafel. Sie schlug die Hände vor Erstaunen zusammen, als ihr Sohn den Scheck, den ihm der Generaldirektor gegeben hatte, auf den Tisch legte und sagte:

„Ich habe ihn noch nicht angesehen, liebe Mama. Aber ich benötige ihn nicht, da ich selbst so viel Geld besitze, um meine Reise nach Berlin in anständiger Form zu bestreiten. Ich bitte Dich, lege das Geld zu Deinem Bankkonto.

„Es sind zweitausend Mark, mein lieber Junge, erwiderte die Frau Stadträtin, während sie den Scheck las –, zweitausend Mark –, wofür hast Du so viel Geld erhalten?

„Für eine Reise nach Berlin.

„Du willst nach Berlin, doch nicht etwa schon heute oder morgen?

„Heute nachmittag, liebe Mama. Ich werde den Fünfuhrzug benutzen.

„Aber um Gottes willen, Kurt. Das geht ja gar nicht. Jetzt ist es bereits zwölf Uhr. Es ist doch unmöglich, bis zu fünf Uhr Deine Wäsche und Kleider zu packen und Dich reisefertig zu machen.

Kurt Graditz lächelte:

„Es ist alles möglich. In unsrer Zeit reist man am liebsten ohne Gepäck. Es ist nicht mehr so, wie dazumal, als man für eine derartige Reise wochenlange Vorbereitungen traf. Heute nimmt man ein kleines Handtäschchen, mit der nötigen Wäsche, setzt sich auf die Bahn und fährt nach Berlin oder sonstwohin, so etwa, wie man früher eine kleine Spazierfahrt machte.

„Aber diese Mode ist schrecklich, stöhnte die Frau Stadträtin in aufrichtigem Kummer. „Alles hastet jetzt und eilt. Kein Mensch besitzt mehr Ruhe und Frieden und gesunde Seßhaftigkeit. Eine Unruhe und Unrast ist über alle gekommen.

„Das stimmt, Mama, aber ich glaube, daß es dadurch nicht schlechter in der Welt geworden ist.

„Bleibst Du lange fort?

„Das ist ganz unbestimmt.

„Da habe ich wieder eine rechte Sorge und Angst um Dich, mein Sohn.

„Aber Mama, ich bitte Dich, ich bin doch wirklich kein kleiner Junge mehr. Außerdem – kommt mir die Reise sehr zustatten. Ich wäre nämlich, falls der Generaldirektor mich nicht in seinem Auftrag nach Berlin geschickt hätte, gezwungen gewesen in nächster Zeit um Urlaub zu bitten, um in eignen Geschäften nach Berlin zu fahren.

Leider gestattet mir die Zeit nicht mehr, Margarete v. Gerolsheim Adieu zu sagen. Ich bitte Dich ihr einen Brief, den ich für sie in meinem Zimmer schreiben werde, zu geben und sie zu bitten, an meine demnächstige Adresse nach Berlin zu schreiben.

Nach diesen Worten stand er von der Tafel auf und achtete auch nicht auf den ängstlichen Einwand seiner Mutter, daß er ja so gut wie gar nichts gegessen habe.

Eiligst machte er sich reisefertig und verließ zur rechten Zeit das Haus. Da die Frau Stadträtin bei ihrem Alter und ein wenig Gicht schlecht zu Fuß war, konnte sie Kurt Graditz nicht zur Bahn begleiten. Aber sie sah ihm doch noch lange nach, als ihr die Bäume der Straße den freien Blick verstatteten und lächelte mit Tränen im Auge über den letzten Gruß, den er ihr von einer Biegung der Straße her zuwarf.

Um diese Zeit herrschte auf der Bahnstation von Tiefensalzach ein ziemliches Leben und Treiben.

Fast zu gleicher Zeit kamen zwei große D-Züge in die Station, und die Reisenden, welche von Köln und Paris nach Berlin wollten oder in den andern Zügen von Berlin nach Wien oder Köln, konnten hier in einer zehnminütigen Pause an langgestreckten Tafeln den Nachmittagskaffee zu sich nehmen.

Auch diesen Aufenthalt der D-Züge verdankte Tiefensalzach dem allmächtigen Generaldirektor und dessen Einfluß bei den befreundeten höhern Stellen der Eisenbahnverwaltung.

Als Kurt Graditz jetzt den Bahnhof betrat, schlug ein Gewirr von internationalen Lauten an sein Ohr, und mit interessierten Augen verfolgte er die fremden Volkstypen, welche auf dem verhältnismäßig kleinen Bahnsteig promenierten.

Die Bürger von Tiefensalzach waren nicht wenig stolz auf ihren Bahnhof und diesen Verkehr. Jene fünfte Stunde, zu welcher die D-Züge sich hier trafen, machte den Bahnhof zum Wallfahrtsort für die Bürgerschaft. Die würdigen Ladeninhaber und Handwerksmeister promenierten im Gefühl ihrer Bedeutung auf den Bahnsteigen umher und waren der Meinung, daß sie für die Fremden zum mindesten ebenso sehenswert wären, wie diese für sie. Eine Meinung, die übrigens zutraf, wenn auch in anderm Sinne, denn schon mancher Reisende hatte sich köstlich über die kleinstädtischen Spießer amüsiert.

Auch die Herren Offiziere, die in Tiefensalzach in Garnison lagen, pflegten sich gern um diese Stunde an besonders belegten Tischen niederzulassen und benutzten gelegentlich die zehn Minuten aufs eifrigste, um mit einer durchreisenden Schönen einen eiligen Flirt anzulegen. Er pflegte mit einer gewissen Regelmäßigkeit damit zu enden, daß irgendeine Hand aus irgendeinem Coupé bei der Abfahrt mit dem Taschentuch Grüße winkte, während sie in kavaliermäßiger Form dem entfliehenden Glück Kußhände zuwarfen. Ein solches harmloses Abenteuer gab dann in jedem Falle für den Rest des Nachmittags und den langen Abend reichlichen Gesprächsstoff und Gelegenheit zu den gewagtesten Vermutungen und Berechnungen, wer wohl die geheimnisvolle Schöne gewesen sein mochte. Meistens ging die Meinung dahin, daß es sich nur um die Tochter eines amerikanischen Milliardärs, eine russische Großfürstin oder die Erbin eines unermeßlich reichen französischen Bankiers handeln könne.

Auch heute war der Bahnsteig dicht besetzt von neugierigen Bürgern Tiefensalzachs, und heute schien sie irgend etwas ganz Besonderes zu interessieren. In dichten schwarzen Schwärmen, wie die Fliegen, klebten sie auch noch an der weißen Schranke, welche die Bahnsteige nach außenhin absperrte.

Heute drehte sich ihr Hauptgespräch um die Person von Kurt Graditz, der vor ihren Augen – – vor den offensichtlichen Augen der Bürger von Tiefensalzach – den D-Zug nach Berlin bestieg. Sie stritten sich hin und her, in welcher Klasse er wohl fahren würde. Auch als ein Wissender, der schon einmal in einem D-Zuge gefahren war, ihnen erklärte, daß man in einem solchen Zuge nicht nur erster, sondern auch dritter Klasse fahren könne, wollten sie sich nicht beruhigen.

Am nächsten Morgen stand die Abfahrt von Kurt Graditz nach Berlin unter den Lokalnachrichten des kleinen Blättchens, und zwar mit dem Vermerk, daß er im Auftrag des Herrn Generaldirektors abgereist wäre.

Als Trenkmann diese Notiz las, ärgerte er sich. Bei dem vertraulichen und unbedingt geheimen Auftrag, den Graditz für ihn zu erfüllen hatte, konnte ihm eine solche Notiz in der Hand eines entschlossenen Gegners recht unangenehm werden.

Er ließ sich also den Redakteur des Lokalblättchens kommen und fuhr ihn mehr deutlich als höflich an:

„Kümmern Sie sich um die Angelegenheiten der Stadt Tiefensalzach, aber nicht um das, was meine Beamten für mich auszuführen haben. In Zukunft unterlassen Sie solche Notizen, wie die, die heute morgen über Herrn Graditz erschienen ist. Es wäre noch toller, wenn Ihre Zeitung sich hier sozusagen als Detektiv gegen mein Unternehmen einrichtete und meinen Angestellten nachspionierte.

Sollte ich noch einmal etwas Derartiges in Ihrer Zeitung lesen, so werde ich dafür Sorge tragen, daß hier in Tiefensalzach eine zweite Zeitung neben der Ihrigen erscheint. Merken Sie sich das.

Der kleine Zeitungsredakteur stand wie ein ausgescholtener Schuljunge vor dem allmächtigen Generaldirektor, machte eine Verbeugung nach der andern und sagte:

„Ich gebe Ihnen die Versicherung, Herr Generaldirektor, daß wir in Zukunft keine Notizen über Ihre Angelegenheiten bringen werden.

„Ausgenommen diejenigen, welche ich Ihnen zuschicke.

„Selbstverständlich, Herr Generaldirektor.

Als er gehen wollte, hielt ihm der Generaldirektor die Kiste Zigarren hin, die er stets im Zimmer zu stehen hatte, und sagte:

„Na, dann rauchen Sie sich mal eine an, lieber Herr Doktor. Ich hoffe, wir verstehen uns.

„Selbstverständlich, Herr Generaldirektor, selbstverständlich.

Und eine solche Rauchfahne hinter sich herziehend, befriedigt von der Güte dieser Zigarre und noch befriedigter von der Güte des Herrn Generaldirektors ging der Redakteur zur Stadt zurück. Er fühlte sich um mindestens zwei Kopf über seine Mitbürger erhaben, weil er die große Ehre genossen hatte, vom Herrn Generaldirektor eine Zigarre zum Geschenk zu erhalten.

Daß der gute Mann mit einer solchen Verbeugung vor dem Generaldirektor eine russische Presse in der Stadt einführte, daran dachte er freilich nicht.

 

Achtes Kapitel.

Knirschend und polternd fuhr der D-Zug in die gewaltige Halle des Anhalter Bahnhofs ein. Mit Gewalt schlugen die Luftdruckbremsen gegen die stählernen Räder, daß das klare Feuer zwischen den Bremsbacken und Radbandagen hervorsprühte. Zusehends verlangsamte sich die Fahrt des Zuges und jetzt kam die riesige Schnellzugmaschine dicht vor den Prellböcken zum Stehen. Nur noch die Bremspumpe auf der Maschine arbeitete, um die Druckluftkessel wieder aufzufüllen, und so schien es, als läge da ein Riese, atemlos von langem und schnellem Laufe. Der keuchte und schnaufte und suchte in mächtigen tiefen Atemzügen wieder Luft in die erschöpften Lungen zu pumpen und schaute mit zwei schimmernden Augen weiter nach vorn, wo die Prellböcke seinem Laufe ein Halt entgegenriefen.

Aber die Reisenden des Zuges, die jetzt in dichter Fülle aus den Ausgängen der langen Wagen drängten, hatten weder Lust noch Muße, solchen Betrachtungen nachzuhängen. In schwarzem Strome schoben und eilten sie über den Bahnsteig dahin, achtlos vorüber an dem schnaufenden eisernen Renner, der sie in rasendem Tempo aus der westdeutschen Ebene in das Herz des Reiches getragen hatte.

Als einer der letzten passierte Kurt Graditz die Bahnsteigsperre und schritt die große Freitreppe des Bahnhofs hinab. In tiefen Zügen atmete er die Luft ein. Eine Luft, an der gesundheitlich sicherlich mancherlei auszusetzen war. Sie war stark mit Benziendunst und Staub verunreinigt. Sie konnte einen Vergleich mit jenen würzigen Walddüften, die Kurt Graditz auf seinen einsamen Entdeckungsfahrten in Tiefensalzach umweht hatten, auch nicht im entferntesten aushalten.

Und dennoch sog er sie mit Behagen ein und fühlte mit Wonne den Atem der Großstadt, fühlte das gewaltige, immer pulsierende, nimmer ruhende Leben der Großstadt, der Reichshauptstadt. Langsam schritt er durch die Bahnhofsvorhalle und gab den kleinen Handkoffer, der sein ganzes Reisegepäck darstellte, an der Aufbewahrungsstelle ab. Dann ging er weiter, über den von Bogenlampen erhellten Schmuckplatz und winkte die erste beste offene Droschke heran.

„Zur Redaktion des Allgemeinen Generalanzeigers, Ecke Post- und Residenzstraße, rief er dem Kutscher zu und ließ sich behaglich in das Polster fallen.

Kurt Graditz hatte einen großen Teil seiner Studienzeit in Berlin zugebracht. Was er studiert hatte, darüber waren sich die biedern Bewohner von Tiefensalzach niemals klar geworden. Sie stellten nur mit heimlicher Schadenfreude fest, daß dieses Studium zu irgendeinem Examen nicht hingelangt hatte.

Aber auch Kurt Graditz hätte die Frage, was er eigentlich studiert habe, schlecht beantworten können. Er hatte auf der Universität mit dem heiligen Jus, der Rechtsgelehrsamkeit begonnen und war dann von dieser trockensten aller trockenen Wissenschaften zur Nationalökonomie abgeschwenkt.

In dem Maße aber, in dem er sich in die Lehren der Volkswirtschaft vertiefte, empfand er auch seinen Mangel an Wissen auf andern Gebieten. Er war sich vorgekommen wie ein Kaufmann ohne genügende Warenkenntnis. Was nützte es ihm, wenn die Volkswirtschaft über die Aussichten und die Wichtigkeit des Bergbaues, der Landwirtschaft oder der Technik diese oder jene Grundsätze aufstellte, und er sie nicht nachprüfen konnte.

So hatte er nicht nur die Universität besucht, sondern war auch Hörer auf der Technischen Hochschule, auf der Bergakademie und auf der Landwirtschaftlichen Hochschule gewesen. Er hatte vielleicht viel mehr Kollegs besucht, als irgendein andrer Student. Er hatte sicherlich viel mehr gelernt, als Tausende, die nach der vorschriftsmäßigen Semesterzahl ihre Staatsexamina bauen und zu Amt und Würden gelangen. Aber sein Studium war ein ganz regelloses, wenigstens scheinbar gewesen. Der faustische Drang nach Erkenntnis hatte ihn dazu geführt, an hundert verschiedenen Stellen aus den Kelchen der Wissenschaft zu nippen und manchmal auch recht kräftig zu schlürfen.

Seinen Kommilitonen war das gänzlich unverständlich geblieben. Als einen unverbesserlichen Phantasten hatten sie ihn angesehen, als einen Menschen, der dazu bestimmt ist, im Kampfe ums Dasein zerrieben zu werden und spurlos unterzugehen.

An jene lange vergangenen Zeiten dachte Kurt Graditz, während die Droschke durch die hell erleuchteten Straßen dahinrollte. Berlin war ihm von jener Zeit her ja noch in allen Teilen wohl bekannt und ein Restaurant hier, eine Buchhandlung dort, löst ihm eine Fülle alter Erinnerungen aus.

Endlich war das Ziel erreicht. Mit liebevoller Vorsicht brachte der Kutscher seinen Gaul vor dem Portal des großen Zeitungspalastes zum Stehen. Graditz amüsierte sich weidlich darüber. Er wußte ja von früher her, daß diese Berliner Droschkenpferde nur mit vieler Mühe in den bekannten Zuckeltrab zu bringen sind, daß aber auch das Abstellen eines solchen Droschkenpferdes gewisse Schwierigkeiten bietet. Behauptet doch ein böser Spott, daß die Pferde bei diesem Trabe ruhig weiter schlafen und umfallen, wenn man sie allzu schroff anhält. Nun war die Probe geglückt. Der Wagen hielt. Kurt Graditz bezahlte und stieg, am galonierten Portier vorbei, die Treppe zu den Redaktionen empor.

„Ich werde meinen alten Schul- und Studienfreund, den Dr. Hegemann aufsuchen, murmelte er dabei vor sich hin. „Er hat mich ja immer für einen unverbesserlichen Phantasten gehalten. Wir wollen einmal sehen, wie ich ihm in meiner neuen Rolle gefalle.

Und er gab einem zweiten Diener seine Karte und ließ sich bei dem Handelsredakteur des Anzeigers, Dr. jur. Carl Hegemann, melden.

Wenige Minuten später führte ihn der Diener in ein vornehm ausgestattetes Empfangszimmer, wo ihm sein alter Freund sofort entgegentrat.

„Nun Kurt, rief er, sobald der Diener den Raum verlassen hatte, „lebst Du auch noch? Ich hörte so durch Zufall, daß Du Dich als Privatgelehrter und Botaniker in Tiefensalzach niedergelassen hast und die tüchtigen Bewohner dieses Ortes durch Deine launenhaften Einfälle in ständiger Aufregung erhältst.

Kurt Graditz hatte sich behaglich in einem der bequemen Klubsessel niedergelassen.

„Hübsche Sessel habt Ihr hier, sagte er jetzt. „So etwas findet man in Tiefensalzach nur im Privatbureau des allmächtigen Generaldirektors Trenkmann. Wirklich nette Sessel. Man kann das Nervenfieber darin durchmachen, ohne hinauszufallen.

„Nun sage mal, Kurt, was weißt Du denn von den Klubsesseln des Herrn Trenkmann, unterbrach ihn der andre. – – „Der gewaltige, am Schnürchen gehende Betrieb Trenkmanns auf der einen Seite und Du unverbesserlicher Phantast und Ideenjäger auf der andern, das paßt doch zusammen wie Eis und Feuer.

Kurt Graditz hatte sich während dieser Worte mit liebevoller Sorgfalt eine Zigarette angezündet.

„Ich weiß, lieber Karl, daß Ihr mich immer verkannt habt. Ich bin dies Schicksal gewohnt und trage es mit christlicher Ergebung. Es lohnt sich auch nicht, mit Worten dagegen zu streiten. Die Tatsachen mögen sprechen. Willst Du Dir einmal bitte diesen Vertrag durchlesen.

Mit diesen Worten griff Kurt Graditz in die Brusttasche und brachte seinen Anstellungsvertrag mit der Gewerkschaft „Gloria zum Vorschein. Mit olympischer Ruhe lehnte er sich in den Sessel zurück, während Dr. Hegemann mit wachsendem Erstaunen den Vertrag las.

„Donnerwetter, rief er endlich mit ehrlicher Freude, „allerlei Hochachtung, mein Junge. Wenn Du freilich hochbesoldeter Oberingenieur der Gewerkschaft „Gloria bist, dann darfst Du Dir schon ein Urteil über die Trenkman’schen Sessel erlauben.

Aber dann bist Du wohl höchstwahrscheinlich nicht nur hierhergekommen, um mir einen ‚guten Abend zu bieten und die alte Freundschaft aufzufrischen, sondern hast irgendeine Aufgabe vor. Dein Vertrag ist ja ganz vorzüglich.

„Na, sagte Kurt Graditz, „wenn Du als Dr. juris den Vertrag schön findest, so wird er es wohl sein. Ich finde ihn2 zwar auch schön, aber ganz gewiß aus andern Gründen, als Du. Im übrigen hast Du mit Deiner Vermutung recht und auch wieder unrecht. Ich bin sicherlich im Auftrage des Herrn Trenkmann hier, um mit Dir über eine Veröffentlichung in Sachen des neuen Kalisyndikats zu sprechen, aber ich habe nachher auch noch einiges ganz Privates und Persönliches mit Dir zu verhandeln.

„Na, also, schieß los, sagte Dr. Hegemann und zündete sich jetzt seinerseits eine Zigarre an. „Ich bin überzeugt, daß Du das, was Du für Trenkmann von uns verlangst, auch persönlich verantworten kannst. Du bist zwar immer ein gräßlicher Phantast gewesen, aber auch immer ein ehrlicher Kerl. Also, was ist es?

„Sehr richtig, rief Graditz. „Ich würde selbstverständlich nichts verlangen, was ich nicht vor mir selber voll verantworten könnte. Diesmal gehen meine Wünsche mit denjenigen Trenkmanns durchaus parallel, wenn auch aus sehr verschiedenen Ursachen. Du weißt ja, daß das alte Kalisyndikat in wenigen Wochen abläuft. Kommt vorher keine Einigung zustande, so haben dann alle Zechen freie Hand, und ich sage Dir, die großen Zechen, die es können, werden eine solche Lage weidlich ausnützen und den Kalimarkt auf Jahre hinaus vernichten. Sie können ja, wenn es sein muß, noch gewinnbringend zu Preisen abschließen, bei denen die kleinen Zechen schon schweres Geld verlieren.

„Das ist freilich zu fürchten, warf Dr. Hegeman nachdenklich ein.

„Allerdings ist es zu fürchten, fuhr Kurt Graditz fort. „Die kleinen Zechen haben das allergrößte Interesse, daß das Syndikat so schnell wie möglich verlängert wird. Anstatt dessen mäkeln sie in den Verhandlungen an den Bedingungen herum, wollen größere Beteiligungsziffern, größere Förderungsfreiheiten für ihre Schächte herauswirtschaften und setzen dadurch die ganze Verhandlung der Gefahr des Scheiterns aus.

„Da hast Du sicherlich recht, mein lieber Kurt, aber anderseits sollen die kleinen Zechenbesitzer doch auch nicht vergewaltigt werden. Man kann von ihnen doch billigerweise nicht verlangen, daß sie die Bedingungen der Großen ohne weiteres annehmen und auf jeden eignen Willen Verzicht leisten.

„So, wie Du da sprichst, Karl, bist Du der beste Freund gewisser Großbesitzer. Die wollen ja gar nichts andres, als daß die Kleinen weiter mäkeln, daß das Syndikat in die Binsen geht, und daß sie dann freie Hand haben. Wer es mit den Kleinen gut meint, der kann ihnen nur dringlich dazu raten, die Verhandlungen in jeder Weise dringlich zu fördern, da sie allein den Schaden haben, wenn das Syndikat nicht zustande kommt.

„Mein lieber Kurt, man kann über diese Dinge verschiedener Meinung sein. Jedenfalls klingt das, was Du zur Begründung Deines Standpunktes vorbringst, so gewichtig und sachlich, daß ich Dir die Spalten unsers Handelsteils gern für Deine Ausführungen zur Verfügung stelle. Bringe Deine Auffassung in passender Weise zu Papier und schicke sie mir morgen vormittag in die Redaktion. Ich verstehe übrigens nicht, was für ein Interesse Trenkmann an dem erscheinen eines solchen Artikels haben kann. Ihm als Großzechenbesitzer muß es doch durchaus gleichgültig sein, ob das Syndikat zustande kommt, oder ob nicht.

„Theoretisch hast Du recht, Karl. Praktisch nicht. Glaube mir, ich kenne diesen Trenkmann ziemlich genau. Während Ihr glaubtet, daß ich in Tiefensalzach spazieren ging und Maikäfer suchte, habe ich unter anderm auch Herrn Trenkmann sehr genau studiert. Er glaubt die Seele des Kleinbesitzers besser zu kennen als alle andern. Er glaubt, daß die kleinen Besitzer durch den Hinweis auf ihre Ohnmacht erbittert sein werden, daß sie sich auf den Standpunkt: ‚Nun gerade nicht, stellen werden, und daß das Syndikat infolgedessen scheitern muß. Ich bin andrer Meinung. Die Zukunft muß ja lehren, wer von uns beiden recht hat, ob ich, der vertrauensselige Phantast dem Ihr alle nicht über den Weg traut, oder ob Trenkmann, der eiskalte und haarscharfe Rechner. Zunächst entspricht es meinem Auftrage und meinem Amte, wenn ich ausführlich auf die Notwendigkeit für die Kleinen hinweise, sich unter allen Umständen zu fügen und ein nettes Syndikat fertig zu bringen.

„Also dieser Wunsch ist Dir gewährt, sagte Dr. Hegemann, „und nun lasse mich wissen, was Du sonst noch auf dem Herzen hast. Das heißt, meine Zeit ist jetzt ein wenig bemessen. Um diese Stunde pflegen unsre Pariser und Londoner Telegramme einzutreffen, die ich für unsern Handelsteil bearbeiten muß.

„Ich verstehe, erwiderte Kurt Graditz. „Ich selbst möchte heute abend auch noch gleich einige andre Redaktionsbesuche erledigen, aber ich werde mir die Freiheit nehmen, Dich in Deiner Privatwohnung aufzusuchen. Auch hätte ich Deinen Vater gern gesprochen. Treibt er denn immer noch seine großartigen Minenspekulationen?

„Das trifft sich gut, fiel ihm Hegemann ins Wort. „Ich bin morgen bei meinem Vater zu Tisch. Ich werde Dich morgen früh sofort mit anmelden. Mein Vater hat sich merkwürdigerweise zu wiederholten Malen nach Dir auf das eingehendste erkundigt, während er für alle andern Studienkollegen aus unsrer gemeinsamen Studienzeit so gut wie gar nichts übrig hat.

Als neulich die Rede auf den dicken Forster kam – Du weißt ja, der jetzt als Hilfsarbeiter im Justizministerium ist und seine sämtlichen Staatsexamina mit einer Eins gemacht hat, wurde mein alter Herr geradezu unangenehm. Er rief, ich solle ihn mit dem faden Kerl in Frieden lassen und kam dann eingehend auf Dich zu sprechen. Eigentlich weiß ich erst von ihm, was Du da für Schildbürgerstreiche in Tiefensalzach verübt hast. Er wird sich sicherlich freuen, Dich morgen um zwei Uhr zu Tische bei sich zu sehen. Komme bitte ohne jegliches Zeremoniell, und dann wollen wir erst ein verständiges Mittagbrot zu uns nehmen und weiter eine Ratsversammlung abhalten.

„All right, also morgen um zwei, sagte Kurt Graditz und verabschiedete sich.

Eine andre Droschke brachte ihn zu einer andern Redaktion, und von dieser führte ihn der Weg zu einer dritten. Die Mitternacht war längst vorüber, als er sich endlich darauf besann, daß er ohne Gepäck und ohne Hotel in Berlin dastand. Aber das focht ihn weiter nicht an. Ruhig schlenderte er zu einem kleinern Hotel in der Nähe des Anhalter Bahnhofs, in welchem er schon früher gelegentlich übernachtet hatte. Der Pförtner erkannte ihn sofort wieder und nahm diensteifrig den Gepäckschein in Empfang, um gleich in der Frühe das Gepäck für den Herrn Doktor zu besorgen.

Kurt Graditz aber saß bis zur Morgendämmerung in seinem kleinen Zimmer und schrieb die Artikel, welche Herr Generaldirektor Trenkmann in der Berliner Presse zu sehen wünschte, von deren Erscheinen sich dieser fein berechnende Spieler so viel für den Erfolg seiner weitern Pläne versprach.

Es schlug bereits die fünfte Morgenstunde, als er endlich die Feder fortlegte und in sein Bett kroch. Und wenige Minuten später schlief Kurt Graditz den Schlaf des Gerechten und ließ sich auch nicht stören, als der treue Johann um sieben Uhr mit etlichem Gepolter seinen Koffer brachte und dabei an der Lampenglocke einen Zettel fand. „Bitte mich um 12 Uhr zu wecken.

* * *

"Wie ich mich freue, Sie einmal wiederzusehen, mein lieber Herr Graditz, rief der Geheime Kommerzienrat Hegemann und schüttelte seinem Gaste die Hand. „Legen Sie bitte ab und betrachten Sie mein Haus als das Ihrige. Ich hörte von Karl, daß Sie auch den sogenannten Ernst des Lebens erkannt haben und in die Dienste des Herrn Generaldirektors Trenkmann getreten sind. Mein Sohn erzählte mir, daß Sie einen vorzüglichen Vertrag mit der Gewerkschaft abgeschlossen haben.

„Verzeihen Sie, Herr Geheimrat, erwiderte Kurt Graditz, während er den Händedruck zurückgab, „daß ich so unangemeldet erscheine. Aber Karl machte mir Hoffnung, daß ich auch so Gnade vor Ihren Augen finden würde.

Die Herren traten in den Salon, wo Kurt Graditz auch der Gemahlin des Geheimrats Hegemann seine Aufwartung machte, einer freundlichblickenden Dame, die ihn schon in seinen Studienjahren ein wenig bemuttert hatte. Dann ließ man sich im Speisesaal nieder, und ein Kenner konnte wohl feststellen, daß hier ein Reichtum herrschte, der sich vor demjenigen Trenkmanns nicht zu verbergen brauchte.

„Mein lieber Graditz, sagte die Frau Geheimrat, während sie auf die reiche Blumenverzierung der Tafel hinwies, „wie Sie sehen, habe ich immer noch meine alte Vorliebe für Blumen bewahrt. Ich liebe es, wenn die Tafel in Blüten schwimmt. Wie finden Sie diese Zusammenstellung in Weiß und Violett. Hier diese violetten Veilchen, Iris und Hyazinthen, dort Maiglöckchen, Flieder und Hyazinthen in weiß.

„Ich bewundere die Zusammenstellung, gnädige Frau, aber ich wundere mich auch weiter darüber, wie Sie diese Blumen so verschiedener Jahreszeiten jetzt im Mai beisammen haben.

Frau Hegemann schwieg einen Augenblick, aber der Geheimrat gab für sie die Antwort:

„Meine Frau hat jetzt auf unserm Sommersitz in Falkenberg drei Treibhäuser. Ich sage Ihnen Graditz, wie Sie sie nirgends in Berlin wiederfinden. Nicht im Botanischen Garten und erst recht nicht im Borsig’schen Privatgarten. Meine Frau legt Wert darauf, im Herbst Maiglöckchen und im Frühjahr Astern zu haben. Sie stellt die Natur auf den Kopf und besoldet ein Heer von Gärtnern, um ihre Wünsche zu erfüllen. Ihre größte Freude ist es, eine Pflanze zu haben, die man wo anders noch nicht kennt, und bisweilen beherbergen unsre Vasen sonderbare Blumen.

„Ich sehe es wohl, erwidert Kurt Graditz und er betrachtete mit innigem Behagen den Luxus, der hier herrschte.

Wie diese Frau sich drei Treibhäuser hielt, um passende Blumen auf dem Tisch zu haben, die man ja schließlich für wenige Mark von jedem Gärtner kaufen könnte, so war auch sonst der Luxus hier unendlich viel gesuchter, als im Trenkmann’schen Hause. Gewiß hatte Trenkmann schönes Silber auf seinem Tisch. Aber es war vom Juwelier gekauft, wie man auch Blumen für die Tafel beim Gärtner kaufen konnte. Bei Geheimrat Hegemann hingegen stammte das Silber aus den Märchenschlössern des unglücklichen Bayernkönigs und war für einen märchenhaften Preis erworben worden. Die Uhr, welche im Rokokozimmer stand, in welchem man jetzt nach aufgehobener Tafel den Kaffee einnahm, stammte nicht nur aus der Zeit Ludwigs des Fünfzehnten, sondern ihr jetziger Besitzer wußte auch bestimmt, daß sie auf dem Schreibtisch jenes französischen Königs gestanden und geschlagen hatte. Herrschte im Hause Trenkmanns der Luxus des Millionärs, so fand man hier denjenigen des Milliardärs. Aber es war kein sinnloses und emporkömmlinghaftes Protzentum. Man hätte dem Geheimen Kommerzienrat Hegemann niemals eine Schnupftabaksdose Julius Cäsars oder eine Taschenuhr des seligen Themistokles verkaufen können, wie das wohl einigen amerikanischen Milliardären passiert sein soll. Er war vielmehr ein kluger und geschmackvoller Kenner und kaufte die Dinge nicht nur, weil sie einen geschichtlichen Wert hatten, sondern weil sie ihm gefielen.

Und der Geheimrat Hegemann konnte sich einigen Luxus gestatten, denn er war wegen seiner glücklichen und großen Minenspekulationen an der Berliner Börse berühmt. Freunde und Feinde bewunderten seine richtigen und zeitentsprechenden Entschlüsse, und man sagte ihm nach, daß er einen Bankrott schon zehn Jahre vorher wittere.

Jetzt saß er mit seinem Sohne und Kurt Graditz zusammen in jenem Rokokozimmer, während die Dame des Hauses sich zurückgezogen hatte.

„Also der wilde Phantast, dem früher die Sterne nicht zu hoch hingen, ist nun auch glücklich eingefangen und auf den Amtsschimmel gekommen? wandte er sich jetzt an Graditz. „Ich freue mich ja aufrichtig, daß Sie wenigstens einen guten Vertrag mit Trenkmann haben, obwohl ich mir Ihre weitere Entwicklung eigentlich anders dachte.

„Es fragt sich, Herr Geheimrat, was Sie unter einem guten Vertrag verstehen, erwiderte Kurt. „Die Verträge Trenkmanns sind für ihn selbst doch im allgemeinen sicherlich immer gut gewesen. Ob der Vertrag, den ich habe, für mich gut ist, darüber wird die Entscheidung von verschiedenen Seiten verschieden lauten.

„Nun, warf der Geheimrat ein, „jedenfalls scheint er, wie mir mein Sohn sagte, doch bei Ihnen die berühmte Hintertür weggelassen zu haben, die er sonst immer einbaut, jene Hintertür, durch die er schließlich in jedem Augenblick aus dem Vertrag heraus kann.

Kurt Graditz schmunzelte auffallend vergnügt.

„Im Gegenteil, Herr Geheimrat, fuhr er fort. „In diesem Vertrag ist selbstverständlich eine wunderschöne breite zweiflügelige Tür eingesetzt. Ich bin auch überzeugt, daß sich Herr Trenkmann gerade auf diese Tür sehr viel einbildet. Leider kennt er nur ihr Gefüge nicht, so genau er es auch zu kennen glaubt. Den Schlüssel zu dieser Tür besitze nämlich ich. Wenn ich aus dem Vertrag hinaus will, brauche ich nur eine ganz einfache Sache zu machen. Solange ich dies aber nicht tue, kann mich Herr Trenkmann auch nicht los werden. Es war ein winziger Zwischensatz, den ich seinem Justizrat noch in den Vertrag hineinkorrigierte. Ein Satz, der mich scheinbar noch mehr verpflichtete und mir in Wirklichkeit die volle Freiheit zurückgab.

„Sie reden von Freiheit. Aber ich denke doch, Sie sind mit voller Absicht und vollem Bewußtsein in Trenkmanns Dienste getreten.

„Zweifellos. Nur waren meine Absichten von ganz besondrer Art. Ich möchte Ihnen, Herr Geheimrat, eine Geschichte erzählen, und wenn Sie daran Interesse finden, so kann die Notwendigkeit für mich sehr schnell eintreten, die eben erwähnte Hintertür selbst zu benutzen.

„Legen Sie los, mein lieber Freund, rief Hegemann und schaute seinen Gast interessiert an.

„Nun wohl! Es war einmal ein mächtiger Zauberer, der saß auf einem Horst und bewachte eifrig einen Schatz. Schönes Silber, Korallen, Bernstein und dergleichen Dinge mehr – –

„Das scheint ja ein Märchen zu werden, unterbrach ihn der Geheimrat. „Sie scheinen immer noch nicht der normale Beamte und Bureaumensch geworden zu sein, für den Sie sich ausgeben.

„Dieser Zauberer, fuhr Graditz fort, „fing allerlei Leute ein und stellte sie in seinen Dienst. Die mußten ihm die silbernen Schätze mit bewachen helfen.

In jenem Walde lief auch ein Menschenkind umher, welches sich die Schätze des Zauberers schon lange mit Neugier und Interesse von weitem angeschaut hatte.

„Sollte dieses Menschenkind vielleicht Kurt Graditz heißen? fragte der Geheimrat lächelnd.

„Der Name tut ja nichts zur Sache. Jedenfalls hatte dieses Menschenkind schon von weitem gesehen, daß unter den Schätzen des Zauberers noch ganz andre Dinge lagen, von denen dieser keine Ahnung hatte und deren Bewachung er sich daher auch nicht angelegen sein ließ. Nicht etwa Silber und Korallen, sondern wenigstens Gold und Diamanten.

„O, o, das scheint ja interessant zu werden, sagte der Geheimrat und schaute Kurt Graditz gespannt an.

Der aber fuhr unbeirrt fort.

„Weil das Menschenkind wissen wollte, wie weit der Zauberer selbst auch auf Gold und Diamanten saß, ging es zu ihm hin und verdingte sich selbst, dessen Schatz zu bewachen. So hatte es Gelegenheit genau zu sehen, wie weit auch da der neue Schatz vorhanden war. Und sobald es alles wußte, was es zu wissen wünschte, da ging es in eine andre Stadt, um hier mutige Männer zu finden, die ihm helfen sollen, jenen Schatz zu heben.

„Einer von diesen Männern wird wohl Hegemann heißen, sagte der Geheimrat und stieß den Rauch seiner Zigarre gedankenvoll von sich.

„Wenn nun das Menschenkind jene mutigen und starken Männer gefunden haben wird, fuhr Graditz fort, „so wird es natürlich auch dafür sorgen müssen, daß es selbst einen Teil des Schatzes bekommt. Es weiß ja nur allein, wo er liegt und es will nicht leer ausgehen, wenn die andern ihre Beute nach Hause tragen.

„Das ist am Ende begreiflich, sagte der Geheimrat. „Man wird also mit diesem Menschenkinde einen Vertrag machen müssen. Vorher wird es freilich notwendig werden, doch etwas Genaueres über diesen neuen ganz wunderbaren Schatz zu erfahren.

„So darf ich wohl annehmen, Herr Geheimrat, daß mein Märchen Sie interessiert, und daß Sie gewillt sind, es weiter zu verfolgen.

„Das können Sie getrost annehmen, mein lieber Freund, sagte der Geheimrat mit einem wohlwollenden Lächeln.

„Das freut mich, entgegnete Kurt Graditz. „Ich bitte um einen Augenblick Entschuldigung.

Mit diesen Worten erhob er sich und ging in den Vorraum, wo er Mantel und Aktentasche abgelegt hatte. Nach wenigen Sekunden trat er wieder in den Solon und entnahm seiner Aktentasche zwei wohl vorbereitete Verträge.

„Es wird nötig sein, Herr Geheimrat, daß ich Ihnen über alles das, was ich ergründet und erkundet habe, ganz reinen Wein einschenke. Ich traue Ihnen und Ihrer Ehrenhaftigkeit unbedingt. Aber man soll Geschäfte bekanntlich nicht vom Kavalierstandpunkt aus betrachten. Deshalb bitte ich Sie, diesen Vorvertrag in zwei Exemplaren mit Ihrer Unterschrift zu versehen. Ich werde dann meinerseits in die offenen Stellen sofort die Art des Schatzes, seine Größe und seinen genauen Fundort einschreiben.

„Hm! machte der Geheimrat ein wenig zweifelnd. „Ich pflege meine Geschäfte sonst ein wenig anders einzuleiten. Aber auch ich habe unbedingtes Vertrauen zu Ihnen, und ich sehe zu meiner Freude, daß der verschrieene Phantast im Ernstfalle ein recht scharfer Kaufmann sein kann. Ich sehe es mit Freude auch, wenn sich diese Schärfe zunächst gegen mich selbst richtet.

Mit diesen Worten lehnte sich der Geheimrat in seinen Sessel zurück und begann den von Graditz entworfenen Vertrag mit Aufmerksamkeit zu lesen. Ab und zu hörte man ihn halblaute Worte murmeln: „Im Falle, daß … verpflichtet sich Herr Geheimrat Hegemann … Für den Fall, daß … soll Herr Geheimrat Hegemann gehaltensein … Im Falle einer Konstituierung … sollen Herrn Graditz … zufallen.

Nachdem der Geheimrat die Lektüre beendet hatte, legte er die Vertragsexemplare auf den Tisch.

„Ich bin bereit diesen Vertrag zu unterzeichnen, sagte er, und ergriff den Füllfederhalter, den er stets bei sich trug. Mit fester Hand setzte er seine Unterschrift unter die beiden Verträge und reichte den Füllfederhalter dann an Kurt Graditz, der ebenfalls unterschrieb.

Nun blätterte Graditz das Vertragsexemplar durch, schlug eine Seite auf, die den Passus enthielt:

Die neue Gewerkschaft wird … und dann eine mehrzellige Lücke enthielt.

Der Geheimrat sah mit Spannnng, wie Graditz hier die Worte einsetzte: die Eisenerzlager erwerben und abbauen, die sich bei Tiefensalzach befinden und auf der beiliegenden Karte angegeben sind. Danach holte er zwei Exemplare einer Markscheiderkarte aus seiner Aktentasche und schob sie in die beiden Vertragsexemplare hinein. Erstaunt betrachtete der Geheimrat die seinige. Da fand er genau ein Erzfeld eingetragen, wie es sonst nur bei Zechen möglich ist, die in ihrer ganzen Ausdehnung bereits von Strecken durchzogen sind, so daß man wirklich genau weiß, wie weit das Erz reicht.

Kopfschüttelnd faltete er seinen Vertrag zusammen und schob ihn in die Brusttasche.

„Ihr Wort in Ehren, lieber Graditz, hub er von neuem an. „Aber woher wissen Sie, daß dort Erz liegt, und woher wissen Sie, wie weit es sich erstreckt? Wie kommen Sie endlich dazu, auch die Tiefe des Erzlagers anzugeben?

Statt der Antwort gab Graditz dem Geheimrat eine einfache gabelförmige Weidenrute in die Hand, die er jetzt aus der Aktentasche genommen hatte.

„Diese Rute ist meine Helferin, sagte er schlicht. „Ich weiß, daß Sie mich in diesem Augenblick wieder für einen unzurechnungsfähigen Phantasten halten und den ganzen Vertrag nicht mehr ernst nehmen. Ich schlage Ihnen daher die folgende Probe vor:

Ich begebe mich jetzt in das andre Zimmer und Sie verstecken in diesem Zimmer irgendwo ein paar Zwanzigmarkstücke. Ich werde dann wieder hinein kommen und sie mit Hilfe der Rute suchen. Wenn ich sie nicht glatt und ohne zu zögern finde, wenn die Rute in meiner Hand nicht sicher auf das verborgene Gold hin ausschlägt, dann brauchen Sie mir auch nicht zu glauben, daß ich das verborgene Eisen damit gefunden habe.

„Die Abmachung soll gelten, rief der Geheimrat, und Kurt Graditz verließ das Zimmer. Nach fünf Minuten betrat er es wieder und begann es, die Rute in der Hand, nach allen Richtungen hin zu durchschreiten. Jetzt fuhr er mit den Armen über den Tisch und vernehmlich begann die Rute zu zucken. Er machte die Bewegung noch einmal und wiederum schlug die Rute aus.

„Hier liegt Gold, rief er und zeigte mit dem Finger auf einen Punkt des Tisches.

Man hob die schwere Brokatdecke auf und das Goldstück fand sich genau auf der bezeichneten Stelle. Graditz begann weiter durch das Zimmer zu schreiten und wieder zuckte die Rute.

„Hier liegt Gold, rief er von neuem und deutete auf eine Stelle des Teppichs.

Der Teppich wurde in die Höhe gehoben, aber es war kein Goldstück zu sehen.

„Sie haben sich wohl geirrt, sagte der Geheimrat, nachdem der Teppich wieder zurecht gelegt war.

„Die Rute irrt nicht, erwiderte Graditz und begann von neuem das Zimmer zu durchschreiten.

Wieder zuckte die Rute und wieder auf genau derselben Stelle wie vorhin.

„Ich lasse es mir nicht nehmen! Hier muß Gold liegen! rief Graditz.

Er selbst schlug jetzt den Teppich zurück und entdeckte einen feinen schrägen Schnitt in der dicken Linoleumunterlage. In diesen Schnitt war ein goldenes Zehnmarkstück eingeschoben worden, so daß man die Stelle nur bei sehr genauer Untersuchung finden konnte.

„Ich glaube Ihnen, mein lieber Freund, rief der Geheimrat nach diesem offenbaren Erfolg voller Begeisterung. „Ich glaube Ihnen und Sie bekommen noch heute von mir alle Vollmachten, um für mich oder besser für uns in Tiefensalzach vorzugehen. Wir müssen, wie Sie wissen, möglichst unauffällig ein Stück Land erwerben, müssen dort schürfen, d. h. einen Fund machen und müssen dann muten, d. h. unsern Fund anmelden und die Berggerechtsame verlangen.

„Ich weiß es wohl, Herr Geheimrat, erwiderte Graditz, „und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich den gefaßten Plan mit aller Entschlossenheit und Schnelligkeit durchführen werde. Ich habe noch etwa drei Tage in Berlin zu tun. Aus einer ganzen Reihe von Gründen halte ich es für angebracht, den Auftrag auszuführen, den Herr Generaldirektor Trenkmann mir für Berlin gegeben hat. Dann aber will ich durch die erwähnte Hintertür aus meinem Vertrag herausgehen und hoffe, daß die Eisenzeche ‚Gloria bald mächtiger und gewaltiger sein soll, als die Salzgewerkschaft ‚Gloria’”.

 

Neuntes Kapitel.
 

Der Generaldirektor Trenkmann legte nachdenklich einen Brief aus der Hand.

„Was haben Sie da für Nachrichten aus Berlin, Herr Brederoff, wandte er sich dann an seinen Geheimsekretär. „Herr Graditz ist jetzt seit drei Tagen verreist, und wir dürfen wohl einiges von ihm erwarten.

„Sehr wohl, Herr Generaldirektor. Herr Graditz schickte uns dieses Bund Zeitungsausschnitte.

„Geben Sie her, sagte Trenkmann kurz und begann sich in den von Graditz eingeschickten Stoff zu vertiefen.

„Das wird wirken, murmelte er dabei, während er einen soeben überflogenen Aufsatz zur Seite legte. „Da ist es ja den Besitzern der kleinen Zechen klipp und klar gesagt, daß es für sie nur die eine Parole gibt: ‚Friß Vogel oder stirb!

Interessiert nahm er den nächsten Aufsatz zur Hand. Aber seine Miene verdüsterte sich zusehends beim Lesen dieses Artikels.

„Die Allgemeine Börsen-Zeitung schreibt hier, daß auch die Großzechenbesitzer den Bogen nicht zu straff spannen sollen. – Was fällt denn dieser Zeitung eigentlich ein, derartig gegen unsre Interessen zu wirtschaften. Herr Brederoff, wie ist unsre Korrespondenz mit dieser Zeitung?

Der allzeit dienstbare Geheimsekretär nahm ein Aktenstück her. Nach kurzem Besinnen erwiderte er:

„Wir hatten schon einmal eine Meinungsverschiedenheit mit diesem Blatt. Die Redaktion schrieb uns damals, daß sie nicht in der Lage wäre, ihren altbewährten Börsenredakteur irgendwie zu beeinflussen oder gar zu rektifizieren. Sie betonte, daß sie die Grenze zwischen dem redaktionellen Teil und dem Inseratenteil streng aufrechterhalten müsse.

„Unverschämtheit! stieß Trenkmann zwischen den Zähnen hervor. „Wir haben dem Blatt doch danach unsern Jahresabschluß nicht mehr als Insertionsauftrag gegeben.

„Nein, Herr Generaldirektor, das Blatt hat den Auftrag nicht bekommen, aber – – –

„Nun, was ist da für ein Aber?

„Ja, es hat den Prospekt auch ohne Auftrag in vollem Umfange abgedruckt und im Börsenteil eine breite Besprechung daran geknüpft. Nach außen hin mußte es übrigens durchaus so scheinen, als ob nach wie vor die besten Beziehungen zwischen der Redaktion und den ‚Gloria-Werken beständen.

„So, na ich danke, rief Trenkmann und warf den Aufsatz beiseite.

Aufmerksam las er ein halbes Dutzend weiterer Aufsätze aus verschiedenen großen Tageszeitungen, die sich sämtlich mit den Kaliverhältnissen und dem Weiterbestande des Syndikats beschäftigten.

„Nein, rief er plötzlich, „das wirkt denn doch zu überzeugend. Hier geht Graditz ja viel zu weit. Noch ein Dutzend solcher Aufsätze und die kleinen Zechen sind wirklich von ihrer Schwäche voll überzeugt und verlängern mir das Syndikat ohne weiteres. Ein wenig müssen sie sich doch sträuben und sperren.

Und nun setzte sich Herr Trenkmann in seinem Lehnstuhl zurecht und diktierte seinem Geheimsekretär einen Aufsatz, der ungefähr das gerade Gegenteil von dem enthielt, was sein Angestellter Kurt Graditz soeben in seinem Auftrage und aus voller Überzeugung vertreten und behauptet hatte. Er setzte auseinander, daß Gerechtigkeit walten müsse, wenn eine solche Interessengemeinschaft, wie das Kalisyndikat auf die Dauer ersprießlich wirken solle, und er machte den Großzechenbesitzern ernstliche Vorhaltungen, daß diese alles Fett von der Suppe schöpfen wollten und allzu wenig Rücksicht auf die schwächern Glieder der Vereinigung nähmen.

Wer diesen Aufsatz las, der mußte unbedingt zu der Überzeugung kommen, daß sein Verfasser der treueste Freund der Kleinzechen sei, und daß die Sache dieser kleinen Betriebe überhaupt gar nicht so schlecht stünde.

Diesen Aufsatz mußte der Geheimsekretär Brederoff sofort aus dem Stenogramm säuberlich niederschreiben, und noch mit der Mittagspost ging er an eine Redaktion ab, die dem allmächtigen Generaldirektor unbedingt ergeben war.

„So, murmelte Trenkmann nach dieser Arbeit befriedigt vor sich hin. „Du bist mir doch zu bieder, mein lieber Graditz, bist mir allzusehr genau. Ich muß Dir ein wenig Unkraut zwischen Deinen Weizen streuen, aber ich denke, das wird es tun.

Der Kampf der Meinungen wird jetzt mit verdoppelter Tatkraft losbrechen, und ich werde meine lieben Freunde nicht so leicht unter einen Hut bekommen.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Ein Diener trat herein und brachte eine Karte.

„Ich lasse bitten, rief Trenkmann, und herein trat der Oberingenieur Fredersen.

„Guten Tag, Herr Generaldirektor, erwiderte er den Gruß Trenkmanns. „Ich schätze Sie bereits im Besitze unsers Projektes für den vollständigen Ausbau Ihrer Zechen mit elektrischen Förderungsanlagen.

„Gewiß, ich erhielt Ihr Projekt, aber es ist ja ganz unmöglich, daß ich mich auf eine derartig lange Lieferzeit einlasse. Sie wollen die Anlage im Herbst übers Jahr betriebsfertig übergeben. Solange kann ich nicht warten.

„Eben deswegen komme ich zu Ihnen, Herr Generaldirektor. Wir hatten einen großen Auftrag für das schwedische Eisenwerk von Lundö. Die Ausrüstung zweier Schächte mit elektrischen Förderanlagen. Alles was dazu gehört, liegt bei uns fix und fertig vorrätig. Wir erfuhren nun gestern, daß diese Zeche in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist und eine finanzielle Sanierung notwendig werden wird, über deren Einzelheiten natürlich noch gar nichts fest steht. Ich würde mich für berechtigt halten, Ihnen diese schwedischen Maschinen zu verkaufen und umgehend aufzustellen, wenn Sie sich zu einem sofortigen Abschluß entschließen könnten. Ich bemerke, daß die Maschinen genau in Ihr Projekt passen. Sie würden dann wenigstens zwei Schächte in etwa 12 Wochen in Betrieb haben können.

Einen Augenblick blieb der Generaldirektor ruhig sitzen und während er scheinbar ins Leere schaute, bedeckte seine rechte Hand ein vor ihm liegendes weißes Blatt mit allerlei Zahlen.

Plötzlich sprang er auf.

„Es ist gut, ich werde den Vertrag sofort abschließen. Haben Sie Ihren Entwurf da?

„Zu Diensten, erwiderte Fredersen und entnahm seiner Mappe zwei Vertragsexemplare. Nach kurzer Prüfung vollzog sie Trenkmann. Nur eine einzige Änderung hatte er eingefügt. Einen einzigen Passus. Der lautete:

Für jeden Tag, um welche sich die Inbetriebsetzung der Fördermaschinenanlagen für Schacht II und III über den 1. August hinaus verzögert, zahlt die Firma Siemens der Gewerkschaft „Gloria eine Konventionalstrafe von 1000 Mark bis zum 1. September. Sollte die Verzögerung sich bis in den September erstrecken, so gilt vom 1. September ab eine Vertragsstrafe von 2000 Mark für jeden weitern Tag der Verzögerung.

„Ich kann diese sehr scharfen Bedingungen annehmen, erwiderte Fredersen auf diese Stelle, „denn ich weiß, daß die Anlagen schon vor dem 1. August arbeiten werden. Ich danke Ihnen für den Auftrag. Meine Firma wird sofort eine kriegsstarke Kolonne ihrer besten Monteure und Montage-Ingenieure in die Gewerkschaft verlegen. Auf Wiedersehen, Herr Generaldirektor.

Ein kurzer Händedruck, und Fredersen verließ den Raum.

Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als Brederoff aufgeregt in das Zimmer stürzte.

„Herr Generaldirektor, rief er mit zitternder Stimme, „ich muß Ihnen die sonderbare Meldung machen, daß Herr Graditz soeben mit dem Vormittagszug in Tiefensalzach eingetroffen ist.

Der Generaldirektor sah seinen Geheimsekretär verwundert an.

„Sie irren sich wohl, Brederoff. Nach meiner Meinung hat Graditz noch wenigstens acht Tage in Berlin zu tun. Wir haben ja auch eben erst seine Post bekommen. Wenn er selbst kommen wollte, brauchte er ja doch nicht erst zu schreiben.

„Ich bitte um Verzeihung, Herr Generaldirektor. Ich bin mit dem Stationsvorsteher des Bahnhofs gut bekannt. Er pflegt mir alle Dinge von Belang vom Bahnhof in mein Zimmer telephonisch mitteilen zu lassen. Vor fünf Minuten sprach er selbst mit mir und berichtete, daß zwei Amerikaner den D-Zug verlassen hätten, um in Tiefensalzach zu bleiben. Gesprächsweise setzte er zum Schluß hinzu, daß Graditz ja auch mit diesem Zuge angekommen sei.

Trenkmann unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

„Wer weiß, wen oder was der Stationsvorsteher da gesehen hat. Viel wichtiger sind mir die Amerikaner. Ich will sie sofort sprechen, wenn sie hierherkommen. Außerdem wollen Sie in meine Wohnung telephonieren, daß man sich dort vielleicht auf Tischgäste einrichtet. Ich danke Ihnen einstweilen.

In diesem Augenblick trat nach leichtem Anklopfen der Diener in das Zimmer und überreichte Trenkmann eine Karte.

„Also doch, rief der Generaldirektor unwillig. „Herr Brederoff, bleiben Sie hier. Der Stationsvorsteher hat richtig gesehen. Herr Graditz ist zurückgekommen und sendet mir soeben seine Karte. Ich lasse bitten, wandte er sich dann an den Diener.

Wenige Sekunden später trat Kurt Graditz mit einer tadellosen Verbeugung in das Zimmer. Ohne den verwundert fragenden und recht kühlen Blick Trenkmanns weiter zu beachten, begann er ohne Umschweife.

„Guten Tag, Herr Generaldirektor. Ich vermute, daß Sie mich so schnell nicht zurückerwartet haben.

„Ich bin in der Tat verwundert, erwiderte Trenkmann.

„Nun wohl, ich schätze Sie im Besitze meiner Post, aus der Sie ersehen haben werden, daß ich meine Aufgabe im allgemeinen bereits gelöst habe.

„Mit Ausnahmen, Herr Graditz. Die ‚Allgemeine Börsenzeitung hat sich noch nicht bemüßigt gesehen, auf unsre Absichten einzugehen.

„Bis gestern nacht, Herr Generaldirektor, dann ist es mir gelungen, auch deren Handelsredakteur von der unbedingten Notwendigkeit einer Syndikatsverlängerung zu überzeugen, und im heutigen Morgenblatt befindet sich ein langer, darauf bezüglicher Aufsatz. Ich habe heute früh in Berlin noch einen Bürstenabzug aus der Druckerei mitgenommen, den ich Ihnen hier zur gefälligen Kenntnisnahme unterbreite. Ich glaube damit die übernommene Aufgabe vollkommen erfüllt zu haben.

„Wir wollen einmal annehmen, es wäre so, entgegnete Trenkmann. „Dann brauchten Sie aber doch nicht so Hals über Kopf hierher zurückzukehren. Sie konnten doch unsre Post und meine weitern Wünsche abwarten.

„Das konnte ich, Herr Generaldirektor. Aber es gefiel mir, von diesem Können keinen Gebrauch zu machen.

Befremdet schaute Trenkmann auf, während Brederoff, der sich im Hintergrunde mit allerlei Papieren zu schaffen machte, erschreckt zusammenfuhr.

„Ich habe es für meine Pflicht gehalten, fuhr Graditz ruhig fort, „denjenigen Auftrag getreulich durchzuführen, den ich einmal übernommen habe und für den ich Bezahlung erhielt. Ich bin aber nicht in der Lage, solche Geschäfte, die doch auf die Dauer ein wenig anrüchig werden können, weiter zu führen, und ich bin deshalb hergekommen, um unsern Vertrag zu lösen.

„Nun erlauben Sie aber mal, mein Lieber, fuhr jetzt Trenkmann unwillig auf. „Wir sind hier nicht Kinder, die Kindereien treiben, sondern erwachsene Männer. Ich habe mit Ihnen einen festen Anstellungsvertrag auf ein Jahr geschlossen, und jetzt kommen Sie nach kaum einer Woche und wollen diesen Vertrag einfach aufheben. Ich sage Ihnen, daß mir das nicht paßt. Ich habe auch weder Lust noch Laune, Ihnen meine Gründe dafür zu erklären. Sie halten mich, wie Sie gelegentlich äußerten, für einen Tyrannen. Gut, dann nehmen Sie an, daß es mir Spaß macht, eine mir mißliebige Person gegen eine Entschädigung von 6000 Mark zu einem Jahr Einzelhaft zu verurteilen. Begeben Sie sich gefälligst jetzt in Ihr Bureau und verlassen Sie es während der Dienststunden nicht.

„Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre freundlichen Absichten, sagte Kurt Graditz mit vergnügtem Lächeln, und es fehlte nicht viel, so hätte er hier im Allerheiligsten gepfiffen. „Sie haben nur leider die Rechnung ohne den Wirt gemacht, oder richtiger gesagt, Sie haben durch einen Mann, den der liebe Gott in seinem Zorn zum Justizrat machte, mit einem andern Mann einen Vertrag schließen lassen, der sich auch ein wenig auf den Einbau von Hintertüren versteht.

Und während Trenkmann erstaunt aufsah, zog Graditz seinen Vertrag aus der Tasche.

„Sie gestatten, daß ich Ihnen diesen seltsamen § 13 vorlese, sagte er. „Hier steht: Falls Herr Graditz eine Arbeit über Kaliverhältnisse in der Presse veröffentlicht, ohne vorher die Genehmigung des Herrn Trenkmann einzuholen, soll dieser Vertrag null und nichtig sein. Sie sehen wohl ein, daß ich jetzt nur irgendeinen Aufsatz zu schreiben brauche und ohne ihn Ihnen zu zeigen, zu veröffentlichen, dann ist der Vertrag sofort null und nichtig.

„Doch nur, wenn ich Sie darauf entlasse, warf Trenkmann ein.

Wiederum ging ein vergnügtes Lächeln über das Gesicht von Graditz.

„Ich möchte Ihnen doch empfehlen, Herr Generaldirektor, diesen schönen § 13 in Ihrem eignen Vertragsexemplar durchzulesen. Sie werden dann sofort einsehen, daß von Ihrer Seite gar kein Einfluß auf die Aufhebung oder Fortsetzung des Vertrags genommen werden kann. Der Paragraph besagt klipp und klar: Wenn ich einen Aufsatz veröffentliche, ohne vorher Ihre Genehmigung einzuholen, so erlischt der Vertrag.

„Diese Abfassung ist ja unglaublich, murmelte Trenkmann vor sich hin, während er das ihm von Brederoff gereichte Vertragsexemplar studierte. „Diesen Passus habe ich doch nie3 und nimmer diktiert. Welcher Narr hat denn den Paragraphen in den Vertrag gelassen.

„Ich fürchte, daß dieser Titel an dem Herrn Justizrat Salinger hängen bleiben wird, sagte Graditz. „Er war offenbar mit dem Entwurf, den Sie ihm ins Telephon diktierten, nicht ganz zufrieden, sondern wollte mich noch mit eignen Künsten einwickeln. Da habe ich ihm denn so langsam diesen schönen Paragraphen eingesetzt, durch den er mich ganz in die Hand bekommen wollte.

„Hm, sagte Trenkmann, der bis jetzt immer noch auf seinen Vertrag geschaut und jedes Wort jenes Paragraphen, Buchstaben um Buchstaben verschlungen hatte. „Ich gebe Ihnen also hier in Gegenwart des Herrn Brederoff die amtliche Genehmigung für alle Artikel, die Sie im Laufe des kommenden Jahres schreiben werden. Damit ist ja nun die Vorbedingung des § 13 erfüllt, und der Vertrag besteht zu Recht weiter.

„Ich danke Ihnen für diese Nachgiebigkeit, erwiderte Graditz, und jetzt ging sein Lächeln in ein breites Lachen über. „Sie sind sich doch klar darüber, daß Sie in spätestens vierzehn Tagen die Gelbsucht haben würden, wenn ich von dieser allgemeinen Genehmigung wirklich gebrauch machen wollte.

Nervös hatte Trenkmann während dieser Auseinandersetzung mit der Hand auf seinem Schreibtisch gespielt und auf verschiedene Knöpfe gedrückt. Jetzt trat wiederum der Diener ein, legte eine Mappe vor ihn hin und flüstere ihm eine Meldung zu.

„Ich bitte sehr, rief Trenkmann kurz, und im nächsten Augenblick trat der Justizrat Salinger in das Zimmer.

„Bitte, Herr Justizrat, wollen Sie sich gefälligst diesen § 13 durchlesen und mir dann freundlichst sagen, wie Sie dazu kommen, solche Ungeheuerlichkeiten in meine Verträge hineinzusetzen.

„Aber der Paragraph ist doch sehr schön, erwiderte der Justizrat ein wenig verwirrt. „Wir haben doch dadurch Herrn Graditz unbedingt in der –

„Wir haben ihn? Er hat uns, Herr Justizrat. Wie können Sie diesen Elementarfehler begehen und einen Paragraphen entwerfen, in welchem die Aufhebung des Vertrags von einer Sache abhängt, die Herr Graditz tut. Wie können Sie eine solche hahnebüchene Unvorsichtigkeit begehen. Wir müssen etwas tun können, und dann muß der Vertrag aufhören, aber nicht anders. Jetzt hat es Herr Graditz unbedingt in der Hand, den Vertrag zu jeder Stunde erlöschen zu lassen.

Erstaunt betrachtete der Justizrat den jungen Mann.

„Ja – ja –, wenn Herr Graditz das will, rief er, „aber daran konnte doch kein Mensch denken. Wenn ein Angestellter mit Gewalt fort will, wird man ihn kaum halten können.

„Man muß an alles denken, Herr Justizrat, schrie Trenkmann in höchster Erregung und wenn ich Herrn Graditz jetzt nicht die grundsätzliche Genehmigung zu allen Aufsätzen gegeben hätte, so wäre er schon aus dem Vertrag hinaus. Natürlich bin ich dadurch geradezu in seine Hand gegeben. Sie werden also bleiben, Herr Graditz, denn ich brauche Sie noch.

„Verzeihen Sie gütigst, Herr Trenkmann, aber ich werde nicht bleiben, denn ich werde an andern Stellen nötiger gebraucht.

Während dieser Erwiderung hatte Trenkmann die soeben vom Diener gebrachte Mappe aufgeschlagen. Sie enthielt die Berichte eines Berliner Detektivinstituts über Graditz. Der Generaldirektor pflegte seine Leute überwachen zu lassen. In diesen Berichten las er jetzt, daß Graditz wiederholentlich im Hause des Geheimen Kommerzienrats Hegemann ein und ausgegangen sei.

„So – also Sie werden anderweitig gebraucht, sagte er jetzt kalt und scharf. „Herr Geheimrat Hegemann zahlt wohl mehr als ich. Sie haben entschieden kaufmännische Talente, mein Lieber. Aber nun gerade nicht. Sie werden Ihr Jahr so pünktlich bei mir abdienen, wie irgendein sogenannter Freiwilliger bei den Soldaten. Ich werde auch Mittel finden, Ihre Aufsätze unwirksam zu machen, wenn mir deren Absicht nicht paßt.

„Ich muß außerordentlich um Entschuldigung bitten, Herr Generaldirektor, sagte Kurt Graditz mit sanftem Augenaufschlag, „daß ich Ihrem freundlichen Angebot nicht nähertreten kann. Ich bemerkte bereits, daß ich anderweitig sehr nötig gebraucht werde. Lassen wir also den Paragraphen 13 unsers Vertrags einstweilen aus der Besprechung und wenden wir uns dem Paragraphen 25a zu, den in den Vertrag aufzunehmen Herr Justizrat Salinger so gütig war, als ich ihm sagte, daß ich ein ziemlich unpünktlicher Mensch sei. Dieser Paragraph lautet: Herr Kurt Graditz ist verpflichtet, die allgemeinen Dienststunden der Zechenbureaus innezuhalten. Wenn er im Laufe eines Monats dreimal zu spät kommt, so soll dieser Vertrag erloschen sein. Ich werde also –

„Hören Sie auf! schrie Trenkmann mit vor Wut heiserer Stimme. Er knüllte seinen Vertrag zusammen und warf ihn in die Ecke.

„Lassen Sie sich das Ding einrahmen, Herr Justizrat. Und Sie, Herr Graditz, können sich meinetwegen zum Teufel scheren. Sie brauchen nicht erst dreimal zu spät zu kommen. Ich lasse Sie auch so aus dem Vertrag.

„Das freut mich außerordentlich, mein verehrtester Herr Trenkmann,“ sagte Graditz. „Es hätte mir leid getan, im Unfrieden von Ihnen zu scheiden. Ihre Abschiedsworte klangen zwar ein wenig barsch. Aber ich fasse sie nicht allzu tragisch auf. Es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß ein gewisser Rittmeister von Blücher seinen Abschied aus der preußischen Armee ein wenig stürmisch forderte. Friedrich der Große gab ihn mit den Worten: der Rittmeister von Blücher hat seinen Abschied und kann sich zum Teufel scheren.

Nun, Sie wissen, daß besagter Blücher es nachher doch noch zu einigem gebracht hat und als Feldmarschall gestorben ist. In diesem Sinne habe ich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.

Er machte eine Verbeugung und verließ den Raum.

Auch der Justizrat ging hinaus, und Brederoff zog sich als vorsichtiger Mann zurück. Wenn der Herr Generaldirektor derart schlechter Laune war, bekam leicht auch einmal ein weniger Beteiligter etwas auf den Hut.

Trenkmann blieb allein im Zimmer zurück. Tief atmend ging er ein paar Mal im Zimmer auf und ab. Dann suchte er sich eine Zigarre heraus und zündete sie mit vieler Umständlichkeit an.

„Das Gesindel ist es wirklich nicht wert, daß man sich darüber ärgert, murmelte er vor sich hin, während er die ersten Züge aus seiner Zigarre tat. „Dieser Narr von einem Rechtsverdreher baut Verträge, die jeder Schreiber von einem Rechtsanwalt besser macht, und dieser Graditz dieser Bohémien und Phantast entpuppt sich als ein ganz ausgekochter Gauner und läßt sich von Hegemann kaufen. Natürlich gibt das wieder eine Ultimospekulation in Kalikuxen, die dem Hegemann mehrere Hunderttausend einbringt. Natürlich wird der Kunde die kleinen Werke zum niedrigen Stand der Wertpapiere nehmen, und ich muß mich vorsehen, daß diese Strudel mir nicht meine eignen Linien verwischen. Ich fürchte nur, mein lieber Hegemann, Du hast für Dein teures Geld ziemlich wertloses Zeug gekauft, denn was ich schließlich will, das weiß dieser Graditz ja nun erfreulicherweise doch noch nicht.

Ein Lächeln flog bei diesem Gedanken über sein Gesicht, und ruhig griff er jetzt zu einer Zeitung und vertiefte sich in den Inhalt eines politischen Leitartikels. Die Bestrebungen der aufsässigen Kreter und das ziemlich uneinträchtige Benehmen der Schutzmächte schienen ihm in diesem Augenblick vollkommen in Anspruch zu nehmen. Kali und Kalisalze schienen in dieser Viertelstunde, die ihm noch bis zur Tischzeit blieb, für den Generaldirektor Trenkmann nicht vorhanden zu sein.

 

 

Zehntes Kapitel.

Die alte Frau Stadtrat Graditz saß in ihrem Erkerstübchen und ließ unaufhörlich die Maschen über die Stricknadeln gleiten. Obwohl ihr von wohlmeinenden Bekannten des öftern vorgerechnet worden war, daß das Garn, das sie da verstrickte, teurer war, als die fertigen Strümpfe, wenn man sie im Laden kaufte, konnte sie doch von dieser alten liebgewordenen Gewohnheit nicht lassen.

„Ich muß Beschäftigung haben, pflegte sie zu sagen.

„So untätig umhersitzen, wie unsre jungen Leute das jetzt machen, das gab es zu meiner Zeit nicht. Wir nahmen als junge Mädchen auch auf die Sonntagslandpartie ein Strickzeug mit. Die Arbeit wird einem schließlich zur zweiten Natur. Wenn ich ein Buch mit Genuß lesen will, so muß ich dabei stricken können.

Und so saß sie denn auch jetzt und fügte Masche an Masche, während ihre Augen auf das Buch aus der Leihbibliothek gerichtet waren, welches aufgeschlagen auf dem Nähtisch vor ihr lag.

Ab und zu schaute sie auch über die Brille hinweg, in jenen Fensterspiegel, den sogenannten Spion, der ihr jede Person zeigte, welche die Straße entlang kam, ohne daß sie selbst irgendwie gesehen werden konnte und sich von ihrem Platz auch nur zu erheben brauchte.

Jetzt ließ sie das Strickzeug plötzlich in den Schoß sinken. Täuschten sie denn ihre Augen oder war das wirklich die Wahrheit. Da kam ja ihr Sohn, kam Kurt Graditz die Straße entlang, von dem sie erst heute früh eine Ansichtskarte aus Berlin erhalten hatte. Immer näher kam die Gestalt, und jetzt schellte auch schon die Glocke der Außentür. Zitternd setzte die Frau Stadtrat ihren Fuß auf einen eisernen auf der Diele befindlichen Hebel und betätigte dadurch einen uralten Drahtzug, welcher die Tür öffnete.

Und dann stürmte Kurt Graditz in das Zimmer.

„Guten Tag, Mütterchen! rief er schon von der Tür her. „Nun bin ich wieder aus Berlin zurück, und für die nächste Zeit wirst Du mich nicht mehr zu entbehren brauchen. Ich denke, ich werde die nächsten Monate genug und übergenug in Tiefensalzach zu tun haben.

„Aber, mein lieber Sohn, stammelte die alte Dame, die noch ganz fassungslos war, „Du hättest mir deine Ankunft doch in einem Brief mitteilen können. Nun habe ich gar nichts Verständiges zu Mittag für Dich da. Ich selbst habe schon gegessen. Ich hatte Bohnen mit Hammelfleisch und da ist nur wenig übriggeblieben. Aber ich werde Dir ein Rührei mit Bratkartoffeln machen lassen. Du mußt doch etwas in den Magen bekommen.

„Laß das nur Mutter, unterbrach sie Graditz. „Ich habe bereits gegessen, und wenn Du ebenfalls gespeist hast, so wollen wir heute nachmittag eine schöne Spazierfahrt zusammen machen. Ich habe den Wagen so bestellt, daß er in einer halben Stunde hier sein muß. Mach’ Dich nur recht schnell fertig.

„Aber das geht doch gar nicht, hub nun die Frau Stadtrat zu jammern an. „In einer halben Stunde kann ich doch unmöglich fertig sein und dann muß ich doch auch den Kaffee hier trinken.

„Diese Notwendigkeit sehe ich nicht recht ein. Ich meine, wir können den Kaffee auch irgendwo unterwegs trinken. Ich denke, es ist wirklich nicht notwendig, daß wir uns den ganzen Nachmittag zerreißen, weil Du hier ein paar Kaffeebohnen aufgebrüht hast. Beeile Dich nur mit dem Anziehen und wenn Du in einer halben Stunde noch nicht fertig bist, so wird der Wagen eben noch ein wenig warten müssen.

„Ach Gott, ach Gott, jammerte die alte Dame. „Keinen Kaffee zu Hause trinken und so plötzlich wegfahren und der teure Wagen. Das kostet doch ein sündhaftes Geld. Ich weiß wirklich nicht, wie wir dazu kommen. Mußt Du denn überhaupt heut nachmittag nicht ins Bureau?

„Heute nachmittag nicht, Mutter. Aber nun mach’ Dich fertig. Wir werden eine wundervolle Fahrt machen. Ich denke, Du wirst viel Schönes sehen und auch manches Schönes erleben.

Immer noch seufzend und klagend ging die Frau Stadtrat in ihr Schlafzimmer, während Kurt Graditz sich in einen uralten Sessel aus massivem Mahagoniholz warf, daß das wurmstichige Möbel in allen4 Fugen knackte.

Während die Frau Stadträtin sich ihrer Toilette widmete, zog er einen Brief aus der Tasche und begann dessen Inhalt zu studieren.

Es war ein Brief auf grobem schlechten Schreibpapier, wie man es wohl in den Dorfläden zu kaufen bekommt, die gleichzeitig Heringe und Tabak, Bindfaden und Papier in ihren Auslagen führen. Die Tinte war dieses Briefbogens würdig. Sie war offenbar an manchen warmen Sommer zur harten Kruste zusammengetrocknet und wieder mit Wasser angerührt worden, wenn ihr Besitzer einmal in die seltene Lage kam, etwas schreiben zu müssen. Und als dritte im Bunde muß die Feder genannt werden, mit welcher auf diesem Panier und mit dieser Tinte geschrieben war. Auch sie schien nur selten in Betrieb genommen zu werden, schien arg gespalten und dann wieder von schwerer Hand zusammengebogen zu sein.

Doch trotz dieser mangelhaften Äußerlichkeiten betrachtete Kurt Graditz jenen Brief wieder und immer wieder mit Interesse.

Da stand in schweren und ungelenken Buchstaben:

„Hochwohlgeboren Herr Graditz!

Ich habe Ihren Brief gelesen, daß Sie einen guten Bauernhof für einen Verwandten kaufen wollen. Ich habe Ihren Brief gelesen, daß der geehrte Herr Graditz einen Hof mit ordentlich viel Land brauchen tut, und daß der Herr Graditz wohl meinen Hof kaufen wird wo gar nicht teuer ist. Mein Hof hat zwanzig Morgen gutes Weizenland wo man aber auch Rüben drauf bauen kann, bloß das die Zuckerfabrik so weit ab ist und so hohe Prozente verlangen tut. Denn is noch Wiese da, auch zwanzig Morgen, die wo gar nicht sauer ist. Und denn eine Koppel Wald wo auch Hasen drin sind. Ich würde nicht verkaufen tun, wenn mich meinen ältesten Sohn, der wo in Amerika is, in Milwokee nicht geschrieben haben täte, daß ich verkaufen und zu ihm kommen tue. Ich bin den geehrten Herrn Graditz sein geehrter

Herr Mathias Schmidt

auf den Schmidthof bei Tiefensalzach.

Während Kurt Graditz noch mit der Lektüre dieses grammatikalisch nicht ganz einwandfreien Schreibens beschäftigt war, rollte bereits ein hübsches Lohnfuhrwerk vor, und der Kutscher knallte bescheiden mit der Peitsche.

Kurt Graditz trat an das Fenster, öffnete es und rief dem Kutscher zu:

„Sie werden ein wenig warten müssen.

Dann trat er wieder in das Zimmer zurück und begann hin und her zu wandern. Aber nur wenige Minuten verstrichen darüber. Auch die Frau Stadträtin hatte das Peitschenknallen gehört. Und unnötig wollte sie den schönen Wagen, der gewiß sündhaft viel Geld kostete, auch nicht warten lassen. So hatte sie sich so viel wie irgend möglich beeilt und trat jetzt mit gerötetem Gesicht, aber fix und fertig zur Ausfahrt in das Wohnzimmer.

„Nun höre einmal zu, Mütterchen, begann jetzt Kurt Graditz. „Wir werden zusammen nach dem Schmidthof hinfahren. Du kennst doch das hübsche kleine Bauerngut.

„Ach ja, ich weiß wohl, erwiderte die Frau Stadtrat. „Früher, als ich noch besser zu Fuß war, sind wir ja öfter draußen gewesen. Es war immer mein Wunsch, auf solchem hübschen Hof einmal den Sommer zu verbringen.

„Nun, der Wunsch soll Dir erfüllt werden. Höre mich jetzt weiter an. Wir werden jetzt zusammen herausfahren, und ich werde mit dem Besitzer wegen des Verkaufs verhandeln.

„Ja, aber um Gottes willen, begann nun die Frau Stadtrat wieder zu jammern, „Du hast doch dazu gar kein Geld. Den Schmidthof kann doch nur ein sehr reicher Mann kaufen. Das sind doch wenigstens fünfzig Morgen. Und für den Morgen gibt man hier bei diesem Boden wenigstens tausend Taler. Fünfzigtausend Taler! Um Himmels willen, das wird ja ein großes Vermögen, viel mehr als ich und Du jemals haben werden. Wie kannst Du nur auf eine derartige vermessene Idee kommen?

„Liebe Mutter, nun versuche einmal auf das einzugehen, was ich Dir sage, fuhr Kurt Graditz fort. „Was zunächst das Geld anbetrifft, so bitte ich Dich einmal dieses hier anzusehen.

Bei diesen Worten öffnete er seine Brieftasche und hielt der Frau Stadtrat ein Papier hin. Mit zitternden Händen setzte sich diese die Brille auf die Nase und las:

Kreditbrief.

Die Deutsche Bank zu Berlin akkrediert hierdurch den Überbringer dieses Briefes, Herrn Kurt Graditz aus Tiefensalzach, nach Prüfung seiner Legitimation bei der Gewerbebank von Tiefensalzach bis zum Betrage von zweihundertfünfzigtausend Mark und haftet der Gewerbebank von Tiefensalzach bis zu diesem Betrage für jede Summe, die Herr Kurt Graditz nach Deponierung dieses Prima-Kreditbriefs bei der Gewerbebank gegen seine Quittung und Unterschrift abheben wird.

Die Sekunda liegt auf der Gewerbebank, die Tertia auf der Deutschen Bank.

„Weißt Du, wieviel dies Papier wert ist? fragte Kurt Graditz seine Mutter, als diese es zu Ende gelesen hatte. Nun ich will es Dir lieber gleich selber sagen. Dies Stückchen Papier ist genau eine Viertelmillion Mark wert. Du wirst mir also wohl zugeben, daß ich wohlhabend genug bin, um den Schmidthof zu kaufen. Warum ich mein Geld gerade dort anlege, warum ich mich gerade dort ankaufe, das soll und muß vorläufig mein Geheimnis bleiben, das ich auch Dir nicht verraten kann. Dem Besitzer gegenüber werde ich jedenfalls sagen, daß es Dein sehnlichster Wunsch ist, auf eignem Grund und Boden auf dem Lande zu wohnen, und daß ich Dir diesen Wunsch erfüllen möchte.

„Aber Kurt, ich bitte Dich um alles in der Welt, wozu denn nur diese Heimlichkeiten und Unwahrheiten. Ich verstehe das alles nicht, aber ich fürchte, das führt zu einem bösen Ende.

„Liebe Mutter, Du kannst darüber ganz ruhig sein. Es wird nicht zu einem bösen, sondern zu einem sehr guten Ende führen. Aber nun laß uns den Wagen besteigen und losfahren.

Bald saßen die beiden auf den Polstern, und das Fuhrwerk rollte durch die Straßen dahin, aus Tiefensalzach hinaus, jenem Wald entgegen, den Kurt Graditz so oft mit seiner Botanisiertrommel durchstreift hatte.

Die wackern Bürger von Tiefensalzach blieben kopfschüttelnd stehen, als der Wagen durch die Hauptstraße dahinrollte. Was waren das nun wieder für neue Moden. Da fuhr der Herr Oberingenieur der „Gloria-Gewerkschaft mit seiner Mutter am Nachmittag stolz durch die Stadt, anstatt noch dort zu sein, wo die meisten ihn wähnten, nämlich in Berlin oder anstatt wenigstens in sein Bureau zu gehen, wie alle andern anständigen Beamten das machten.

Kurt Graditz kümmerte sich wenig um das Getuschel hinter ihm. Mit stillem Amüsement dachte er daran, wie es wohl heute abend am Honoratiorenstammtisch im Gasthof „Zur Stadt Braunschweig zugehen würde. Das wußte er zwar, daß Brederoff, der dort gelegentlich verkehrte, kein Wort über die Vorgänge des heutigen Vormittags und über seinen gewaltsamen Austritt aus dem Verband der „Gloria-Gewerkschaft verlieren würde. Brederoff war ja das mit sieben Siegeln verschlossene Geheimbuch der Zeche, ein noch größerer Schweiger, als weiland der Generalfeldmarschall Helmut von Moltke. Brederoff hätte jedenfalls verschiedene Grade der Folter überstanden, ehe er ein einziges Wort über vertraute Zechenvorgänge erzählt hätte.

Aber fraglich war es schon, ob der Justizrat Salinger an eben demselben Stammtisch dicht halten würde, dem Trenkmann heute vormittag so sehr übel mitgespielt hatte. Es war sehr wahrscheinlich, daß der über Graditz Ausscheiden einiges verlauten lassen würde. Und dann vor allen Dingen der erste Prokurist der Gewerbebank von Tiefensalzach. Zwar verpflichtete den sein Amt zur völligen Verschwiegenheit. Aber Kurt Graditz war bereit, jede Wette anzunehmen, daß die Geschichte von dem Kreditbrief auf eine Viertelmillion Mark heute abend unter dem Siegel der Verschwiegenheit ganz sicher am Stammtisch ausgepackt werden würde. Dann aber wußte sie morgen gewiß die halbe Stadt und übermorgen die ganze.

Während Kurt Graditz diese Entwicklung überdacht hatte, war der Wagen in flottem Trabe weiter gefahren und näherte sich jetzt bereits dem Schmidthof. Nun bog er von der Kreischaussee ab auf einen Waldweg, und wenige Minuten später tauchten die roten Ziegeldächer des Schmidthofes aus den grünen Baumkronen auf.

Mit kräftigem Griffe hielt der Kutscher die Pferde an. Gewandt sprang Graditz aus dem Wagen und half nun auch der Frau Stadtrat heraus, die vom Sitzen ein wenig steif geworden war.

Beide schritten auf das Hauptgebäude zu, auf dessen Treppe jetzt der Besitzer des Hofes erschien, ein kräftiger niedersächsischer Bauer, der sich trotz seiner schneeweißen Haare noch die volle Rüstigkeit gewahrt hatte.

„Mein Name ist Graditz, sagte Kurt auf ihn zutretend. „Und das hier ist meine Mutter, die Frau Stadtrat Graditz, fuhr er fort.

„Das freut mich sehr, sagte der alte Bauer mit einer linkischen Verbeugung, die in einem richtigen Kratzfuß auslief. „Ich bin der Mathias Schmidt vom Schmidthof. Denn kommen Sie nun man rein.

Die drei Personen gingen durch die geräumige, mit roten Ziegeln ausgelegte Diele des Wohnhauses und traten zur andern Seite wieder heraus auf eine Vorhalle, auf welcher schon ein hübsch gedeckter Kaffeetisch bereit stand. Dort ließen sie sich nieder und mit freudigem Interesse blickte die Frau Stadtrat auf den duftigen Heidehonig und die selbstgebackene Stolle, die hier neben der dampfenden Kaffeekanne stand.

Eine Wirtschafterin trat hinzu, schenkte den Kaffee ein und entfernte sich dann wieder.

„Wir haben ein schönes Wetter dieses Jahr, leitete nun der alte Schmidt diplomatisch das Gespräch ein.

„Ein sehr schönes sogar, mein lieber Herr Schmidt, erwiderte ihm Kurt Graditz, während er sich vergnüglich schmunzelnd ein dickes Stück Rosinenstolle mit Honig beschmierte. „Das Wetter ist geradezu prachtvoll. Wenn wir uns über alle seine Herrlichkeiten unterhalten wollen, so brauchen wir nicht nur den Nachmittag, sondern auch noch den Abend dazu, und kommen niemals dahin, wohin wir kommen wollen.

Sie wollen doch nach Amerika, lieber Herr Schmidt. Da heißt es aber quick sein, wenn man nicht zu kurz kommen will. Es ist gut, wenn Sie sich auf solche Quickneß oder Fixigkeit schon in Europa ein wenig einüben, und daher wollen wir schleunigst auf unser Ziel lossegeln.

Nach diesen Worten tauchte er sein Stück Stolle in den Kaffee und biß ein mächtiges Stück ab.

„Hm, hm! – – Na, ja – also nach Amerika wollt ich ja wohl, sagte der alte Schmidt zögernd.

„Bevor Sie aber nach Amerika fahren können, müssen Sie den Schmidthof hier vernünftig verkaufen.

„Ja, das müßt ich wohl, nickte der alte Schmidt, „und ich hab ja auch schon Käufers.

„Nun brauchen Sie aber, fuhr Kurt Graditz fort, ohne sich durch diese bäuerliche Taktik irgend wie beirren zu lassen, „nun brauchen Sie aber einen Käufer, der Sie bar auszahlt. Denn es ist natürlich kaum möglich, daß Sie nach Milwaukee gehen, und hier irgendeinen unsichern Kantonisten mit einer kleinen Anzahlung und großen Hypothekenlasten hinsetzen, der Ihnen den Hof erst in Grund und Boden wirtschaftet und dann kopfheister geht.

„Ja, das wird nun wohl so sein, nickte der alte Schmidt zustimmend.

„Na, also, wenn wir erst so weit sind, werden wir wohl auch weiter kommen, fuhr Kurt Graditz ruhig fort. „Daß Sie Interessenten und Liebhaber für Ihren Hof haben, das will ich Ihnen ohne weiteres zugeben, daß sich aber darunter außer mir noch ein andrer befindet, der in der Lage und gewillt ist, Ihnen den gesamten Kaufpreis beim Notar in schönen blanken Zwanzig-Markstücken auszuzahlen, das glaube ich Ihnen nun wieder nicht.

Der alte Bauer wußte nicht rechte was er darauf erwidern sollte. Verlegen kratzte er sich hinter den Ohren. Aber Kurt Graditz hatte wohl gemerkt wie es in seinen Augen aufleuchtete, als er von den blanken Zwanzig-Mark-Stücken reden hörte.

„Wenn wir also so weit einig sind, fuhr Kurt Graditz mit unerschütterlicher Ruhe fort, „daß ich besonders, ja ausschließlich für Sie als Käufer in Betracht komme, weil ich Ihnen sofort beim Kaufabschluß vor dem Notar, vielleicht schon morgen, die gesamte Kaufsumme in blankem Golde auf den Tisch zahle, dann können wir ja weiter unterhandeln.

„Hm, ja! – – Hm, ja! machte der Bauer wiederum und fuhr sich von neuem durch das Haar. „Wenn Sie allerdings bar zahlen, hm – – dann könnte man das ja versuchen. Aber schriftlich möchte ich das haben.

„Natürlich bekommen Sie das alles schriftlich, fuhr Kurt Graditz ruhig fort. „Und außerdem bekommen Sie Ihr Geld bar in die Hand gezahlt. Wenn Sie wollen und ein bißchen verständig sind und mir die Verhandlungen nicht unnötig erschweren und in die Länge ziehen, können Sie Ihr Geld morgen mittag schon in der Hand haben. Sie können morgen nachmittag ein Telegramm an Ihren Sohn nach Amerika senden, und sich in acht Tagen in Hamburg nach New York einschiffen.

„Hm, ja – hm, ja – machte der Bauer von neuem und begann sich geradezu verzweifelt den Kopf zu kratzen. „Denn könnte man ja nu wirklich verkaufen.

„Na denn also weiter, fuhr Kurt Graditz fort. „Was wollen Sie denn für Ihren Hof haben?

„Ja, was wollen Sie denn geben? sagte der Bauer, indem er nach einer geschickten alten Taktik auf eine Frage mit einer Gegenfrage antwortete.

„Ich würde dreißigtausend Taler geben, sagte Kurt Graditz.

„Nä, dat ist zu wenig, dat is vill zu wenig, schrie der alte Bauer und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Tassen klirrten. „Dat doppelte wär wohl recht.

„Nun hören Sie mich einmal verständig an, sagte Graditz. „Ich kenne selbstverständlich Ihr Besitztum ganz genau, denn ich denke gar nicht daran, die Katze im Sack zu kaufen. Und da ich weiter mit barem Geld in der Hand auftrete, kein Restkaufgeld stehen lasse, sondern den ganzen Betrag auf den Tisch des Hauses auszahle, so bin ich ein Käufer, um den sich alle die, die hier in der Gegend verkaufen wollen, einfach reißen. Ich habe also keinerlei Ursache, irgend etwas über Kopf und Kragen zu bezahlen. Wenn Sie nicht verkaufen oder mir unsinnige Preise stellen, so verkauft Ihr Nachbar mit Vergnügen.

„Ja, aber dreißigtausend Taler, das geht doch nicht, rief der alte Bauer ein wenig kleinlauter, „das ist doch viel zu wenig.

„Hören Sie meine Aufstellung, fuhr Kurt Graditz fort. „Sie haben 20 Morgen Ackerboden. Daß jemals Zuckerrüben auf diesem Boden wachsen können, werden Sie mir wohl nicht erzählen wollen. Es ist im besten Falle guter Weizenboden und mit 800 Talern für den Morgen gut bezahlt. Das sind also 160005 Taler.

Ihre 20 Morgen Wiese sind ein sehr zweifelhaftes Gelände. Wirklich heufähig sind kaum 5 Morgen. Der Rest ist durch das Elsenbruch vollkommen verwässert und gibt teils gar kein Heu, teils scharfe Riedgräser, die keine Kuh fressen kann und teils saures Heu. Wenn ich diese ganzen 20 Morgen mit 2 000 Talern bezahle, so ist das ganz ungeheuer.

Die Waldkoppel von 10 Morgen ist ein altes Sandloch, auf dem nur einige hungrige Kiefern ihr Leben fristen und die mit 1 000 Talern über und über bezahlt ist. Das sind zusammen 19 000 Taler. Ihre gesamten Baulichkeiten sind mit 11 000 Talern versichert. Ich bin sehr nobel, wenn ich diese Versicherungssumme auch als Kaufpreis auszahle. Das sind also 30 000 Taler. Das ist mein erstes und letztes Gebot.

Es ist jetzt 4 Uhr nachmittag. Ich gebe Ihnen eine Stunde Bedenkzeit. Um Punkt 5 Uhr fahre ich hier fort. Entweder mit Ihnen zum Notar, um sofort den Kaufvertrag aufzusetzen, oder aber ohne Sie zum Fichtenhof, der ebenfalls zum Verkauf steht.

„Und mein Vieh, hub der Bauer von neuem an, „10 Kühe, 20 Schafe, 30 Schweine, 6 Pferde und die Hühner und Enten?

„Sie meinen Ihr lebendiges Inventar. Das will ich in Gottes Namen aus dem Kaufpreis auslassen, ebenso wie Ihre landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte, sowie Ihre Getreide- und Futtervorräte. Diese Dinge wollen wir durch einen Sachverständigen abschätzen lassen, und Sie sollen den Betrag dafür besonders bekommen.

„Und wie hoch würde dieser Betrag denn werden? fragte der alte Schmidt jetzt begierig.

„Im allgemeinen rechnet man auf solch Inventar 10 v. H. des Gesamtpreises, entgegnete Kurt Graditz. „Es kann sich also um etwa 3 000 Taler handeln.

„Aber nein, schrie jetzt der Bauer ganz entrüstet. „Denken Sie doch! – Allein 10 Kühe, von denen jede 200 Taler wenigstens wert ist. Die 6 Pferde sind mit 1000 Talern billig bezahlt. Wollen Sie denn die Schweine, Schafe und Hühner und alles Gerät geschenkt haben.

„Warum nicht, wenn Sie es mir schenken wollen, entgegnete Kurt Graditz ziemlich trocken. „Entweder wir lassen alle diese Dinge durch einen Sachverständigen abschätzen, oder wir einigen uns auf den ortsüblichen Preis von 10 v. H., so daß Ihr gesamter Hof mit allem Inventar für 33 000 Taler auf mich übergeht.

Der alte Bauer druckste eine Weile.

„Mein lieber Herr Schmidt, Ihre Rosinenstolle ist wirklich vorzüglich, sagte Kurt Graditz, der sich inzwischen wieder mit aller Behaglichkeit über den Kaffee und Kuchen hergemacht hatte.

„Nu eben deswegen, Herr Graditz, begann der Bauer wieder. „Son schönen Kuchen. Und aus dem Weizen gebacken, der hier gewachsen ist, da können Sie doch wirklich etwas mehr geben.

„33000 Taler voll, sagte Graditz. „Es ist übrigens jetzt halb fünf. Wenn Sie mit uns mitfahren wollen, so tun Sie gut, sich ein wenig zurechtzumachen.

Wiederum druckste der Bauer eine Weile vor sich hin.

„Nun, mein letztes Wort, Herr Graditz, rief er schließlich. „33000 Taler ist kein Preis. Das sind 99000 Mark. Geben Sie 100000 Mark, und ich fahre mit und schließe gleich ab.

Kurt Graditz sah auf seine Uhr.

„33000 Taler, das heißt 99000 Mark, entgegnete er ruhig, während er der goldgelben Stolle von neuem mit dem Messer zu Leibe ging. „Es geht übrigens stark auf dreiviertel fünf Uhr.

Der Bauer sprang auf und lief aus dem Zimmer.

„Quäle doch den armen alten Mann nicht so, mischte sich jetzt die Frau Stadtrat ins Gespräch. „Er ist ja dicht am Weinen.

„Du bist ein harmloses Gemüt, liebes Mutterchen, erwiderte Graditz. „Wenn ich den Schmidthof wirklich für landwirtschaftliche Zwecke erwerben wollte, wäre ich böse begaunert und würde nie zurecht kommen. Und wenn ich jetzt auf die 100000 Mark eingegangen wäre, hätte der alte Fuchs sofort irgendwelchen Unrat gewittert und mehr haben wollen. Laß ihn nur ruhig zappeln. Der kommt von allein wieder.

Danach schaute Kurt Graditz aus dem Fenster und beobachtete mit stillem Amüsement, wie der alte Schmidt durch den Garten trottete, sich bald am Kopf kratzte, bald die Hände auf dem Rücken zusammenfaltete, bald in einen kleinen Dauerlauf verfiel, und bald wieder sinnend stehenblieb.

Doch über solche Beobachtung vergaß er seine Uhr nicht. Mit dem Glockenschlage fünf trat er selbst in den Garten hinaus.

„Mein lieber Herr Schmidt, rief er dem Alten zu. „Ich muß jetzt weiter. Es ist fünf, und der Fichtenhof liegt eine halbe Stunde entfernt. Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufnahme. Wenn Sie nach Tiefensalzach hineinkommen, besuchen Sie mich doch wieder und trinken eine Tasse Kaffee bei mir.

Der alte Bauer stand in offensichtlicher Verlegenheit da.

„Aber Kurt, begann jetzt wieder die Frau Stadtrat. „Ich habe mich doch so darauf gefreut, hier auf dem Schmidthof zu wohnen. Lege doch die 1000 Mark noch zu. Dann ist alles in Ordnung.

„Aber ich denke ja gar nicht daran, entgegnete Kurt Graditz. „Wie komme ich denn dazu, 1000 Mark zu verschenken. Wir wollen jetzt mal erst zum Fichtenhof rüber fahren und sehen, was der Besitzer dort haben will. Wenn ich Dir einen hübschen Bauernhof für 70000 Mark kaufen kann, so ist das schließlich auch kein Fehler, denn ich spare eine Menge Geld.

Der alte Bauer trat von einem Bein auf das andre, während Graditz seiner Mutter in den Wagen half.

„Adieu, lieber Herr Schmidt, sagte Kurt und hielt ihm die Hand hin.

„100000 Mark, Herr Graditz, schrie der Bauer. „100000 Mark und Sie haben den Schmidthof, mit allem was drum und dran hängt.

„33000 Taler, sagte Kurt Graditz. „Im übrigen müssen wir uns beeilen. Es ist schon fünf Minuten nach fünf. Adieu Herr Schmidt!

„Höre doch noch einen Augenblick, rief jetzt die alte Frau Stadtrat. „Ich werde die 1000 Mark aus meinen Ersparnissen zulegen. Dann kommt Ihr doch zusammen, und das Geschäft wird klar.

„Wenn Du Herrn Schmidt tausend Mark schenken willst, kann ich Dir das natürlich nicht verbieten. Ich selbst kaufe jedoch den Schmidthof nur für 99000 Mark.

„Das kannst Du ja auch, mein lieber Junge, aber ich lege 1000 Mark drauf, so daß Herr Schmidt seine 100000 Mark bekommt.

„Wenn das Herrn Schmidt recht ist, so habe ich nichts dagegen, sagte Graditz kühl bis ans Herz hinan.

„Also es gilt, schrie der alte Bauer, „dann wollen wir es so machen.

„Meinetwegen, erwiderte Graditz. „Dann nehmen Sie bitte hier neben meiner Mutter Platz. Ich werde mich auf dem Rücksitz niederlassen. Und nun Kutscher zum Notar Sartorius, Hauptstraße 15.

Kräftig griffen die Pferde aus, um das Gefährt nach Tiefensalzach zurückzubringen.

Als der Abend an diesem Tage ins Land kam, da war Kurt Graditz, der Bohémien und Phantast, der flatterhafte und erfolglose junge Mann, wohlbestallter Grundbesitzer. Inhaber eines schönen Bauernhofes. Am Stammtisch im Hotel „Zur Stadt Braunschweig aber hatten die Honoratioren an diesem Tage bis nach 12 Uhr reichlichen Gesprächsstoff.

 

Elftes Kapitel.

„Bitte sei so gut und schicke uns den Kaffee und Kognak in mein Arbeitszimmer, sagte Trenkmann am Nachmittag desselben Tages zu seiner Frau. „Darf ich bitten, Mr. Dudley und Mr. Browmiller, wir wollen uns bei mir gemütlich niederlassen und eine Friedenspfeife rauchen.

With pleasure, my dear, sagte der lange phlegmatische Dudley, der amerikanisch ausgesehen hätte, auch wenn er nicht eine abgehackte Bürste als Schnurrbart getragen hätte und wenn seine Füße nicht in Stiefeln gesteckt hätten, in denen man die meisten deutschen Ströme nur bei gutem Wasserstande befahren konnte, wobei dann freilich auch jeder weitere Kahn überflüssig war.

„Well, sagt auch Mr. Browmiller, dem man den deutschen Typus ansah, obwohl seine Familie seit drei Menschenaltern in den Vereinigten Staaten ansässig war.

Die Herren verabschiedeten sich von den Damen des Hauses und folgten Trenkmann in sein Rauchzimmer, welches unmittelbar an sein Privatbureau stieß, aber doch in keiner Weise an Geschäfte, an Akten oder Papier erinnerte. Behaglich ließen sie sich in die schwellenden Klubsessel nieder und begannen ein Rauchopfer vorzubereiten. Trenkmann wählte eine gute Importe. Browmiller folgte seinem Beispiel. Dudley dagegen holte aus einer Seitentasche seines Rockes die kurze Shaghpfeife und einen Gummitabaksbeutel von der Art, wie ihn die Seeleute zu führen pflegen.

Schon stiegen die blauen Rauchwolken empor, als der Diener Kaffee und Kognak brachte.

„Well, eröffnete Mr. Dudley nach einigen Minuten erwartungsvollen Schweigens die Unterhaltung. „Wie wird denn das nun mit Ihrem famosen Syndikat werden? Ich denke, heute in vier Wochen ist es abgelaufen? Werden Sie eine neue Vereinigung zustande bringen?

„Es ist natürlich heute ganz unmöglich, etwas Bestimmtes darüber zu sagen, entgegnete Trenkmann.

„Das ist eine wenig erfreuliche Auskunft – very infavorably indeed, pflichtete Herr Browmiller bei.

„Wenig erfreulich, in der Tat, echote Mr. Dudley. „Sie wissen, Mr. Trenkmann, fuhr er fort, „daß wir als Direktoren der ‚Agricultural Company das allergrößte Interesse an der weitern Entwicklung der deutschen Kaliverhältnisse haben. Wir sind hier von Frisco und Chicago hergekommen, um an Ort und Stelle etwas Handgreifliches zu erfahren.

„Der Grund Ihrer Reise, meine Herren, ist mir sehr wohl bekannt, erwiderte Trenkmann, während er gedankenvoll seinen Kaffee umrührte. „Und Sie können überzeugt sein, daß von meiner Seite aus alles geschehen wird, um diese Reise zu einer ersprießlichen zu machen, und zwar ersprießlich sowohl für Sie, meine Herren, wie auch für mich, wie ich hoffe.

„Das klingt ja schon erfreulicher und zuversichtlicher, sagte Mr. Dudley, während er einen ziemlich großen Kognak mit jähem Ruck verschluckte.

„Vielleicht sind Sie so gut und geben uns eine Schilderung der gegenwärtigen Lage und teilen uns Ihre Auffassung der Lage mit, warf Mister Browmiller ein.

„Gut, sagte Trenkmann. „Sie kennen ja die gegenwärtigen Verhältnisse, wie sie durch das Syndikat bedingt sind. Sie wissen, daß wir ein Abkommen haben, wonach jede einzelne Zeche keineswegs blind in den Tag hinein fördern und so viel Kali auf den Markt bringen kann, wie ihre Anlagen nur eben zu schaffen vermögen.

„Leider, rief Mr. Dudley, „Wir wissen.

„Dann wird Ihnen auch bekannt sein, daß das Syndikat jeder angeschlossenen Grube, und das sind sie heute alle, eine sogenannte Beteiligungsziffer gewährt. Meine Werke dürfen z. B. im Jahre nur 50000 Tonnen fördern (berechnet auf den reinen Kaligehalt), obwohl meine Maschinen wahrscheinlich das Fünffache herausbringen könnten. Das ist die unangenehme Seite des Syndikats. Anderseits haben wir aber auch keine Sorgen um den Absatz. Wir verkaufen unser Salz nicht an irgendwelche Kunden und brauchen uns infolgedessen auch von keinem Kunden Preisvorschriften machen zu lassen. Unser einziger Abnehmer ist das Syndikat, welches einen hochanständigen Preis bewilligt.

„Beim Himmel, er ist mehr als anständig, seufzte Browmiller. „Er kann es sein, fuhr Trenkmann fort, „denn dieses Syndikat ist nun die einzige Stelle in der ganzen Welt, welche Kalisalze in größerer Menge zur Verfügung hat. Alle Verbraucher, alle Stellen, welche Kali brauchen, müssen zu diesem Syndikat kommen, auch die ‚Agricultural Company mußte bisher ihren Bedarf von dort beziehen.

„Well, sagte Mr. Dudley. „Bis hierher kennen wir die Geschichte so ziemlich allein. Bis hierhin hat uns Ihre Darlegung eigentlich kaum etwas Neues gebracht. Aber fahren Sie nun bitte fort, wie wird es denn nun nach Ihrer Meinung weiter gehen.

„Sie wissen, auch noch zweifellos, daß das jetzige Syndikat am 30. Juni nachts um zwölf Uhr abläuft, erläuterte Trenkmann ruhig weiter.

„Auch das ist uns bekannt, warf Mr. Dudley ziemlich ungeduldig ein. „Was uns interessiert, Mr. Trenkmann, das ist lediglich die Frage, ob dies Syndikat verlängert werden wird oder nicht.

Trenkmann rührte wenigstens eine Minute in seinem Kaffee. Er nahm behutsam einige Schluck des feinen und besonders starken Mokkas und ließ sie mit dem Geschmack eines genußfrohen Kenners über die Zunge gleiten.

„Ich glaube sicher, sagte er dann, „daß wir ein neues Syndikat bekommen werden.

Tiefe Enttäuschung malte sich bei diesen Worten auf den Zügen der Amerikaner.

„Wenn das Ihre Meinung ist, Mr. Trenkmann, sagte Dudley schließlich, „dann war unsre Reise freilich ziemlich überflüssig. Dann müssen wir ja doch vom Syndikat weiter kaufen. Wenn das Syndikat verlängert wird, hätten wir ruhig in den Vereinigten Staaten bleiben können.

„Sie haben mich nicht recht verstanden, erwiderte Trenkmann mit leichtem Lächeln. „Ich habe keineswegs gesagt, daß das Syndikat verlängert wird. Ich habe vielmehr behauptet, daß wir zweifellos ein neues Syndikat bekommen werden.

„Das sind Haarspaltereien, die ich nicht verstehe, knurrte Mr. Dudley und suchte vergeblich seiner kalt gewordenen Shagpfeife einige Dampfwolken zu entlocken.

„Dann will ich es Ihnen erklären, sagte Trenkmann. „Verlängern kann man doch nur eine Sache die noch da ist. Sie können beispielsweise an ein noch vorhandenes Tauende ein neues Tau anknoten. Dann würde dies Tauende eben eine Verlängerung erfahren. Wenn aber gar kein altes Tau mehr vorhanden ist, dann ist es auch mit der Verlängerung nichts. Dann kann man nur ein neues Tau besorgen, wenn man eben eins braucht.

„Sehr interessante Sache! Sie sollten Professor an der Hochschule in Boston werden, knurrte Mr. Dudley, dem es inzwischen gelungen war, seine Pfeife wieder in Brand zu setzen. „Aber verstehen tue ich Sie ganz und gar nicht. Ob nun das Syndikat erneuert oder verlängert wird, in jedem Falle werden wir von ihm kaufen müssen.

„Mr. Dudley hat sicher recht, warf Browmiller ein. „Ich glaube, wir vergeuden unsre Zeit mit philologischen und philosophischen Untersuchungen, die uns keinen Schritt weiter bringen.

„Ich sehe, meine Herren, fuhr Trenkmann fort, „daß meine Darlegungen Ihr Interesse und Ihren Beifall nicht finden. Ich bedaure das um so mehr, als ich selbst zu allen meinen Geschäften auf dem Wege derartiger haarscharfer Begriffsbestimmungen gekommen bin. Die meisten meiner Transaktionen, und ich versichere Ihnen6, es sind einige darunter, die auch in Wallstreet helles Entzücken hervorgerufen hätten – die meisten meiner Transaktionen habe ich mit ganz genauen philosophischen Beweisen begonnen, und plötzlich verwandelte sich die Philosophie in blankes Gold. Aber ich sehe, ich muß mich Ihnen deutlicher erklären.

„Ich bin gespannt, sagte Mr. Dudley, und trank einen neuen nicht unerheblichen Kognak.

„Also hören Sie mich an. Am 30. Juni, Schlag Mitternacht, wird das alte Syndikat erlöschen. Ich versichere Ihnen, daß das neue vor ein Uhr morgens am ersten Juli nicht zustande kommen wird. Ich werde selbst in jener Versammlung zugegen sein und genügend Öl ins Feuer gießen, damit die Flamme der Zwietracht nicht vorzeitig erlischt. Lassen Sie es selbst ganz schief gehen, so wird das neue Syndikat nicht vor halb ein Uhr abgeschlossen werden. Eine halbe Stunde wird uns in jener kurzen Sommernacht unter allen Umständen bleiben, in der wir freie Herren unsrer Entschließungen sind und kaufen und verkaufen können, wie wir wollen. Haben Sie mich jetzt verstanden?

Mr. Dudley war die Pfeife zum zweitenmal ausgegangen und er traf keinerlei Anstalten, sie wieder anzuzünden. Bei den letzten Worten Trenkmanns waren seine Augen immer größer geworden, und zuletzt hatte er noch den Mund aufgesperrt.

„Ein verdammt schlauer Plan, rief er jetzt und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten. „Die halbe Stunde ohne Syndikat kann uns genügen, um den Kalibedarf der ‚Agricultural Company für die nächsten zehn Jahre zu decken. Selbst fünf Minuten würden dazu hinreichen, denn unsre Unterschrift dauert noch nicht fünf Sekunden. Natürlich müssen wir die Verträge mit allen Einzelheiten vorher bis ins kleinste klarstellen. In jenen wertvollen Minuten der syndikatsfreien halben Stunde darf kein Augenblick mit Nebensächlichkeiten verloren gehen.

„Das ist Ehrensache und selbstverständlich, erwiderte Trenkmann. „Ich halte es für mathematisch sicher, daß am 1. Juli dieses Jahres morgens eine Minute nach zwölf Uhr ein Vertrag zwischen der ‚Agricultural Company und der ‚Gloria-Gewerkschaft unterzeichnet wird, der die Kalilieferung der Gewerkschaft an die Company für die nächsten zehn Jahre regelt.

„Allright! rief Mr. Dudley. „Selbstverständlich müssen wir die Preise, die Lieferfristen und alles andre schon jetzt bis ins kleinste festlegen, und ich schlage vor, daß wir uns sofort an diese Arbeit heranmachen. Mr. Browmiller und ich, wir haben unbedingte Vollmacht für die Company, Sie, Mr. Trenkmann, können doch unbeschränkt über die ‚Gloria-Gewerkschaft und ihre Förderung verfügen.

„Das kann ich, sagte Trenkmann kurz und trocken,und ich gedenke sogar so ausgiebig darüber zu verfügen, daß meinen Spezialfreunden, den Kleinzechen, eine ganz gehörige Zeit hindurch anders und keineswegs besser ums Herz sein soll. Ich anerkenne es gern, Mr. Dudley, daß Sie mit bewundernswerter Schnelligkeit die konkrete Seite unsers Geschäfts begriffen haben. Aufrichtig freuen würde es mich aber, wenn Sie sich auch ein wenig mit rein philosophischen Beweisführungen anfreunden könnten. Sie würden dadurch manchen Genuß und manchen Gewinn mehr haben.

„Ich werde es versuchen, Mr. Trenkmann,” erwiderte Dudley. Sie haben Beispiele gegeben, die wirklich Appetit machen.

„Nun bitte ich die Herren, mich einen Augenblick zu entschuldigen, sagte Trenkmann. „Ich will mir einmal Feder und Tinte holen und mir außerdem meinen unbedingt zuverlässigen Geheimsekretär gleich mit der Schreibmaschine hier herüber bestellen. Wir wollen den Vertrag hier gleich fix und fertig machen.

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und schloß die Tür hinter sich.

„Ein Riesenbluff, sagte Dudley. „Aber uns kann er nur recht sein. Wir bekommen, was wir haben wollen, nämlich billiges Kali.

„Ja, glauben Sie denn, schrie Browmiller, „daß die deutsche Kaliindustrie, daß die deutsche Regierung sich diese wahnsinnige Unverschämtheit so ohne weiteres gefallen lassen werden?

„Ist das etwa meine Sorge, Mr. Browmiller? Wir schließen einen zivilrechtlich einwandfreien und zivilrechtlich bindenden Vertrag mit dem bevollmächtigten Vertreter der Gloria-Gewerkschaft. Für die Erfüllung dieses Vertrags haftet uns das gesamte Vermögen der Gewerkschaft.

„Dieser Trenkmann setzt entsetzlich viel aufs Spiel, murmelte Browmiller.

„Well, sagte Dudley. „Er geht ein bißchen sehr hart an den Wind. Ich glaube, daß er mit seinen viel gepriesenen philosophischen Beweisgründen noch einmal ganz gehörig in die Tinte geraten wird. Aber das ist wirklich nicht unsre Sorge. Wir wahren die Interessen der Company und schließen ab.

In diesem Augenblick kam Trenkmann wieder. Er trug Schreibblocks und Bleistifte. Hinter ihm folgte Brederoff, selbst seine Schreibmaschine tragend.

Und nun setzten sich diese vier Personen zusammen hin und machten, während allmählich die letzte Mainacht hineinbrach, bis in alle Einzelheiten einen riesigen Lieferungsvertrag fertig.

Einen Vertrag, der für die nächsten vier Wochen noch unbedingtes Geheimnis bleiben mußte. Einen Vertrag, dessen vorzeitige Veröffentlichung sämtliche Börsen der Welt in größte Unruhe versetzt haben würde. Einen Vertrag endlich, dessen spätere wirkliche Vollziehung weite Kreise der deutschen und amerikanischen Handelswelt in Unruhe und Schrecken versetzte, und das Deutsche Reich zwang, ein besonderes Gesetz mit rückwirkender Kraft zu schaffen.

 

Zwölftes Kapitel.

Herr Albert Neubert, der Redakteur des Lokalblatts von Tiefensalzach, hatte seinen freien Tag. Einen freien Tag im schönen Junimonat. Den wollte er aber auch gehörig genießen und ausnutzen.

Schon am frühen Morgen verließ er seine Wohnung. In der Rechten einen markigen Knotenstock. Über dem Rücken ein Ränzel, welches eine recht erhebliche Anzahl von Butterbroten aller Sorten und Arten enthielt. An der Seite eine Feldflasche, die mit jenem herzerquickenden Bittern gefüllt war, dem der Gasthof „Zur Stadt Braunschweig eine gewisse Berühmtheit verdankte.

So schritt Herr Albert Neubert wohlgemut durch die Straßen von Tiefensalzach. Nichts erinnerte an seinen Beruf als Pressemensch, wenn man nicht etwa Notizbuch und Bleistift als Zeichen dieses Berufs nehmen will.

Von Notizbuch und Bleistift trennte sich Herr Neubert niemals. Sie lagen des Nachts neben seinem Bette bei den Streichhölzern und des Tages führte er sie in der Brusttasche bei sich.

„Man kann nie wissen, wozu es notwendig ist, pflegte der Redakteur zu sagen. „Das Neue, das Wichtigste kann einem an unvermuteter Stelle entgegentreten, und dann muß man gewappnet sein, es festzuhalten und zu verarbeiten.

Herr Albert Neubert hatte in seiner Jugend größern Ehrgeiz gehegt. Er hatte davon geträumt, Redakteur und womöglich Chefredakteur einer der großen führenden Zeitungen zu werden. Noch heute wurde er an seinem Stammtisch höchst beweglich, wenn er das Gespräch auf seinen berühmten Kollegen, den Chefredakteur der Londoner „Times, bringen konnte und erzählte, daß dieser Mann mehr Geld verdiente, als der deutsche Reichskanzler, daß Könige sich um seine Gunst bewarben.

Nun hatte er selbst zwar alle Hoffnungen längst begraben. Als kleiner Redakteur saß er seit fünfzehn Jahren in Tiefensalzach und trug mehr Leiden als Freuden. Nur in stillen freien Stunden wurden seine alten Ideale lebendig.

So auch jetzt, während er auf dem schattigen Waldweg unter dem Geäst breiter saftgrüner Tannen dahinschritt.

Während die Finken im Gebüsch schlugen und die Amseln ihren schnatternden Ruf vernehmen ließen, begann Herr Albert Neubert während seines Marsches zu träumen. Er stellte sich vor, daß er der allmächtige Chefredakteur der Londoner „Times wäre. Er sah sich im Geiste in einem wunderbar ausgestatteten Arbeitszimmer sitzen, so ähnlich etwa wie er es neulich bei Trenkmann gesehen hatte. Auf seinem Tisch stand ein Telephon, durch daß er unmitttelbare Verbindung mit sechzig Unterredakteuren hatte. Außerdem waren zwölf Klingelknöpfe da, und je nach Wunsch konnte er den ersten Pförtner und den zweiten Pförtner, den ersten Diener, den zweiten Diener und so weiter herbeiklingeln.

Und Herr Albert Neubert träumte weiter, wie er dort auf seinem Platze saß und wie der Diener ihm den Herrn Generaldirektor Trenkmann meldete. Er stellte sich lebhaft vor, wie er diesen erst eine Viertelstunde warten lassen wollte, wie er ihn dann in sein Zimmer führen ließ. Er dachte sich, wie der gefürchtete Generaldirektor als Bittender vor ihm stehen und demütig einen Zettel abgeben würde, an dessen Veröffentlichung in der „Times ihm sehr viel gelegen war.

Während der Wanderer so seinen Gedanken nachhing und ein harmloser Idealist hier seine Rache für all die Unannehmlichkeiten und Demütigungen nahm, die der Alltagsberuf ihm brachte, war er rüstig vorangeschritten und in die Nähe des Schmidthofes gelangt.

Plötzlich fuhr er aus seinen Träumereien auf. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit drang das Geräusch kräftiger Hammerschläge an sein Ohr. Neugierig lauschte er in jene Richtung, aus welcher die Laute herzukommen schienen.

„Aha, das ist ja der berühmte Schmidthof, den sich Herr Graditz so plötzlich gekauft hat, murmelte er vor sich hin. „Ich möchte wohl wissen, was da eigentlich los ist. In der „Stadt Braunschweig erzählt man ja Wunderdinge. Der Graditz soll sich von der Gegenpartei haben kaufen lassen. Er soll eine Viertelmillion Mark bekommen haben, und man sagt, daß er dem allmächtigen Trenkmann seinen Vertrag vor die Füße geworfen hat.

Einen Augenblick ließ Herr Neubert den Kopf hängen. „Wer das doch auch könnte, seufzte er. „Wenn man doch auch einmal eine Viertelmillion in die Hand bekäme und als freier Mann seiner Wege gehen könnte. Wie wollte ich den Leuten in Tiefensalzach dann die Meinung sagen.

Einmal wollte ich dann meine Zeitung noch redigieren. Und ich wollte den Leuten darin die Meinung sagen. Ich wette, das Blatt würde mit dieser Nummer eine gewaltige Auflage erleben. Einen Leitartikel wollte ich schreiben, über Herrn Generaldirektor Trenkmann, der sollte sich gewaschen haben. Und alle die Klagen der Bergleute, die ich jetzt unter den Tisch fallen lassen muß, die würde ich fett drucken und unterstreichen.

„Aber man bekommt ja keine Viertelmillion, schrie er ganz verzweifelt und blieb vor dem Seitenwege stehen, der sich hier von dem Hauptweg nach dem Schmidthof hin abzweigte. „Man muß schon so ein Glückspilz, wie dieser Graditz sein, um etwas Derartiges zu erreichen. Wie lange ist es her, daß ich mit ihm noch gemütlich beim Schoppen gesessen habe. Damals hatte er so wenig wie ich. Aber er trank seinen sauern Kutscherwein mit der Würde eines Königs. Heute ist er Gutsbesitzer und kennt mich wohl gar nicht mehr.

Aber nein. Stolz ist er eigentlich nie gewesen. – – – Oder ist er es am Ende jetzt geworden, fuhr er zweifelnd fort. „Da steht ja eine ganz merkwürdige Tafel.

In der Tat erhob sich am Eingang dieses Seitenwegs eine Warnungstafel, welche die folgende Inschrift darbot:

„Das Betreten dieses Weges ist Unbefugten bei Strafe sofortiger Pfändung verboten.

Der Besitzer.

„Wer ist hier befugt, und wer ist unbefugt, brummte Herr Albert Neubert vor sich hin. „Wenn ich als fremder Wanderer diesen Weg beschreite, bin ich zweifellos ein Unbefugter. Aber wenn ich als alter Freund und Kneipgenosse des Besitzers jenen Pfad entlang schreite, so wird man mich nicht pfänden können.

Und kurz entschlossen machte sich Herr Neubert auf den Weg und schritt jenen Pfad nach dem Schmidthofe zu. Er mochte etwa fünf Minuten gegangen sein, als die Hammerschläge in seiner nächsten Nähe ertönten. Gleichzeitig sah er auf einer seitlich gelegenen Wiese ein eigenartiges Gestell in die Luft ragen. Drei kräftige Rundhölzer, jedes wohl 20 Meter lang, waren hier zu einer Art von Pyramide zusammengestellt.

Der Redakteur hatte zu lange in Tiefensalzach gelebt, war zu lange mit allem, was Bergbau heißt und den Bergbau angeht, verbunden gewesen, um nicht sofort zu wissen, was er da vor sich hatte. Das war ja ein typischer Bohrturm. Er besann sich vergangener Jahre, da der Generaldirektor Trenkmann den vierten Schacht der Gewerkschaft „Gloria anlegen wollte und vorher auch bohren ließ, um sich zu vergewissern, ob an dieser Stelle auch noch wirklich Kali lag. Er dachte an das Feuilleton, welches er damals in seinem Blatte veröffentlicht hatte, und welches in siebzehn verschiedenen Zeitungen nachgedruckt worden war. Jenes Feuilleton war Albert Neuberts journalistische Glanzleistung gewesen, und heute noch konnte er es beinahe Wort für Wort auswendig.

„Wenn man wissen will, so fing es etwa an, „ob abbauwürdige Salze unter Tage liegen, so muß man ein Bohrloch in die Tiefe treiben. Zu diesem Zweck errichtet man zunächst den sogenannten Bohrturm. Drei kräftige lange Rundhölzer werden aufgerichtet und mit ihren obern Enden fest verbunden, so daß eine Art Dreibein entsteht. Oben hängt man zwischen diesen drei Bäumen eine kräftige Rolle auf, über welche ein Seil läuft.

An dieses Seil wird der Erdbohrer gebunden. Ein eigentümliches Ding. Ein 2 Meter langer schwerer runder Eisenbarren, der unten hohl ist und mit löffelartigen Ansätzen und mit Klappen ausgerüstet. Fällt dieser Bohrer mit seinem Gewicht auf weiches Erdreich, so kratzen die Löffel Erde auf, und diese Erde dringt durch die Klappen in den hohlen Teil des runden Barrens ein.

Nachdem nun der Erdbohrer aufgehängt ist, nimmt man ein Stahlrohr von etwa einem Fuß lichter Weite, dessen Wandung am untern Ende angeschärft ist. Dies Rohr stellt man so auf die Erde, daß das scharfe Ende auf der Erdoberfläche steht und der Erdbohrer von oben her frei in das senkrecht stehende Rohr hineinhängen kann. Man stützt es zunächst durch Seitenhölzer ab, so daß es nicht umfallen kann. Dann klemmt man eine Art Plattform daran, die es von allen Seiten wie eine große Halskrause umgibt und packt schwere Bleibarren auf diese Form.

Durch das gewaltige Gewicht des Bleies beginnt das Rohr in die Erde einzusinken. Gleichzeitig gießt man nun von oben Wasser in das Rohr und läßt mit Hilfe des Seiles den Erdbohrer in das Rohr hineinfallen, hebt ihn an, läßt ihn wieder fallen und so weiter. Dadurch wird die Erde im Rohr herausgeholt. Bisweilen muß man den Erdbohrer heraushissen und seine Kammern wieder von der eingedrungenen Erde befreien.

Dabei sinkt das etwa 10 Meter lange Rohr sehr schnell in die Tiefe. Nach acht Tagen schaut kaum noch ein halber Meter heraus. Nun wird auf das Rohr mit Hilfe eines Schraubengewindes ein zweites, ebenso langes Stück geschraubt, und die Arbeit geht weiter.

Natürlich muß auch die Plattform jeden Tag ein paar Meter höher angeschraubt werden, und es müssen immer mehr Bleibarren darauf gepackt werden, um den riesigen Druck zu erzielen, der nötig ist, um dies Rohr in die Tiefe zu treiben. Während zu Anfang vielleicht 20 Zentner Blei auf der Plattform lagen, befinden sich zum Schluß bis zu 1 000 darauf.

So wird nun ein Stück Rohr auf das andre geschraubt und verschwindet in die Tiefe. Beim zwölften oder dreizehnten Rohr endlich, wenn das unterste Rohrstück also 130 Meter unter der Erdoberfläche ist, dann ist endlich der weiche Schwimmsand durchfahren, und das Rohr stößt auf Ton. Und dann nach weitern zwei bis drei Metern, dann kommt festes Gestein. Dann wird der Erdbohrer zum letztenmal an seinem Seil herausgewunden und alles Wasser aus dem Bohrloch gepumpt. Dann geht es im trockenen Gestein mit dem Diamantbohrer weiter. Dann kostet jeder weitere Meter in die Tiefe ungeheure Summen. Dann zeigt es sich aber auch bald, ob man auf toten Sandstein oder Mergel oder aber auf nutzbringendes Salz gestoßen ist.

An diese, seine Beschreibung einer Kalibohrung dachte Albert Neubert, während er hier den Bohrturm erblickte. Er sah weiter, daß das Bohrloch noch nicht bis zum Gestein vorgedrungen sein konnte. Sein Blick fiel auf Stahlrohre, die dort lagen. Er zählte deren zehn und schloß daraus, daß höchstens erst drei in der Tiefe verschwunden sein konnten, daß dieses Bohrloch erst dreißig Meter tief sein konnte.

Langsam schritt er weiter, an dem Bohrplatz vorbei, dem Schmidthof zu.

In diesem Augenblick trat ein Arbeiter, offenbar einer von der Bohrmannschaft, auf ihn zu.

„Wie kommen Sie auf diesen Weg, herrschte dieser ihn barsch an. „Haben Sie nicht gelesen, daß das Betreten bei Pfändung verboten ist?

„Nur Unbefugten, mein Lieber, nur Unbefugten, suchte der Redakteur zu erklären. „Ich habe aber die Absicht, Herrn Graditz, einen guten Freund von mir, zu besuchen und da bin ich wohl am Ende befugt.

„Das ist ja Schwindel, sagte der Arbeiter grob. „Herr Graditz ist überhaupt seit vierzehn Tagen verreist. Im übrigen hat er Telephon, und seine Freunde pflegen vorher anzuklingeln. Kommen Sie jetzt mit in die Baubude. Ich muß Ihre Personalen feststellen, und außerdem müssen Sie ein Pfand dalassen, das Ihnen wieder zugestellt wird, wenn Sie die dreißig Mark Geldstrafe bezahlt haben.

Herr Albert Neubert begann sich höchst unbehaglich zu fühlen. Die Knie zitterten ihm. Das konnte ja eine schöne Bescherung werden. Kurt Graditz verreist, und er hier diesem Menschen, diesem Kuhbauern, wie er bei sich selber sagte, auf Gnade und Ungnade überliefert. Bänglichen Herzens folgte er dem Manne in die Polierbude. Hier mußte er seinen Namen angeben und seine Uhr dalassen. Ein schönes wertvolles Stück. Ein Erbteil von seinem Vater in einer schweren goldenen Kapsel, aber noch mit dem alten Schlüsselaufzug versehen.

Herr Albert Neubert war überaus stolz auf diese Uhr, und er ließ sich gern von Kindern und Erwachsenen in Tiefensalzach nach der Zeit fragen. Er mußte die Tränen gewaltsam unterdrücken, als er dieses Stück gegen eine Quittung des fremden Mannes diesem überließ.

Nachdem diese Förmlichkeiten erfüllt waren, brachte ihn der Mann auf den Nebenweg und führte ihn auf diesem bis zu der Warnungstafel dicht beim Hauptwege.

„Ich muß mit Ihnen so verfahren, Herr Neubert, sagte er jetzt. „Wenn Sie wirklich ein guter Freund des Herrn Graditz sind, so werden Sie Ihre Uhr auch ohne die Geldstrafe wiederbekommen. Wir werden heute noch an Herrn Graditz schreiben. Er verlangt sowieso jeden Tag einen Bericht nach Berlin über alle Vorkommnisse hier. Aber wir müssen uns hier gegen Neugierige schützen.

Damit ließ er den Redakteur stehen und ging selbst den Nebenweg zurück. Dem Redakteur war die Freude an seinem Ausflug und an seinem freien Tage gründlich verdorben. Er vergaß sogar eine Zeitlang seine Butterbrode und seinen Bittern, während er den Weg zur Stadt trübsinnig zurückschritt. Nach zehn Minuten blieb er tief ausatmend stehen. Gedankenlos faßte er nach seiner Flasche, schraubte sie auf und tat einen tiefen Zug.

„So eine verfluchte Schweinerei! schimpfte er dann ingrimmig vor sich hin. „Diese schändliche Bande. Mich einfach feftzuhalten und auszupfänden wie einen Strolch. Bin ich nicht ein angesehener Redakteur? Habe ich nicht die besten Beziehungen zum Generaldirektor Trenkmann – – Trenkmann – – Trenkmann, murmelte er vor sich hin, während er rein gedankenlos den letzten Rest seiner Feldflasche austrank. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Da bohrte dieser Graditz in aller Heimlichkeit nach Kali. Diese Nachricht mußte ja für Trenkmann von allergrößter Wichtigkeit sein. „Ich werde meine Uhr wiederbekommen und noch etwas dazu, murmelte er ganz vergnügt vor sich hin, während er in flottem Tempo der Stadt zu marschierte.

* * *

Der Generaldirektor Trenkmann saß mit seinem Geheimsekretär im Bureau. Er war gerade damit beschäftigt, diesem Aufträge in das schwarze Buch zu diktieren, als der Diener eine Karte hineinbrachte.

„Ich habe jetzt keine Zeit, sagte Trenkmann kurz und schob die Karte beiseite.

„Verzeihen Sie, Herr Generaldirektor, entgegnete der Diener, „der Herr draußen ist entsetzlich aufgeregt und behauptet, er müsse Sie unbedingt sprechen. Er hätte soeben eine Sache entdeckt, die von ungeheurer Wichtigkeit für Sie wäre.

„Was fällt Ihnen denn ein, erwiderte Trenkmann schroff. „Ich verbitte mir Ihre Erzählungen. Wenn Sie hier Reden halten wollen, dann stellen Sie sich doch gleich auf einen Stuhl. Und mit einer kräftigen Handbewegung bedeutete er dem Diener, das Zimmer zu verlassen.

Nach etwa zehn Minuten war auch Brederoff abgefertigt und verließ den Generaldirektor. Doch bereits nach einer Minute kam er wieder zurück.

„Herr Generaldirektor, der Herr draußen, der Redakteur Neubert, will sich nicht abweisen lassen. Er drückte mir eben diesen Zettel in die Hand, und was da draufsteht, ist allerdings nicht ohne – –.

„Geben Sie her, rief Trenkmann und riß ihm den Zettel aus der Hand. Kaum aber hatte er die wenigen Worte, die auf dem Zettel standen, überflogen, als er sich wieder an Brederoff wandte.

„Führen Sie den Herrn herein, befahl er kurz.

Der Redakteur trat in das Zimmer des Gewaltigen. Diesmal nicht im schwarzen Gehrock, sondern in dem nachlässigen Anzug, in dem er seine Fußwanderung unternommen hatte, die Feldflasche noch an der Seite.

Trenkmann blickte ihn fragend an, und gleichzeitig huschte ein Lächeln über seine Züge.

„Sie behaupten da, daß hier in der nächsten Umgebung von andrer Seite nach Kali gebohrt würde, begann er das Gespräch.

„Jawohl, Herr Generaldirektor, man bohrt nach Kali. Ich weiß doch, wie ein Bohrturm aussieht und wie man die Rohre in die Tiefe bringt. Wir nehmen hier doch immer dreizehn Rohre von je zehn Metern Länge. An der Stelle lagen nur noch zehn Rohre neben dem Turm. Die Leute sind also schon bei dem dritten Rohre.

Trenkmann pfiff durch die Zähne und schien einen Augenblick zu überlegen.

„Sie scheinen sich die Sache ja sehr genau angesehen zu haben. Wo ist denn die Bohrung nun eigentlich?

„Herr Generaldirektor, hub der Redakteur von neuem an, „ich werde Ihnen alles haarklein erzählen.

Und nun begann er sein Abenteuer zu berichten. Wie er seinen Ausflug gemacht habe, wie er zu der Graditz’schen Besitzung abgebogen sei, wie er den Bohrturm beobachtet hätte und wie man ihn dann grausamerweise gepfändet und um seine schöne goldene Uhr gekränkt hätte.

Während dieser Erzählung hatte Trenkmann auf einen Knopf gedrückt.

„Kommen Sie, sagte er kurz, als der Redakteur mit seinem Bericht zu Ende war.

Und von ihm gefolgt schritt er aus dem Bureau, stülpte sich eine Mütze auf und ging die Treppe hinunter, vor welcher bereits sein sechzigpferdiges Automobil hielt.

„Fahren Sie zur Stadt raus, die Braunschweiger Chaussee bis zu dem Seitenweg zum Schmidthof, sagte er dem Chauffeur. „Fahren Sie schnell und brauchen Sie die Hupe nur, wenn es nötig ist.

Mit einem Sprung saß Trenkmann darauf im Wagen und zog den Redakteur hinter sich her. Im nächsten Augenblick faßte die Motorkupplung das Wagentriebwerk, und mit starkem Ruck setzte sich das schmucke, blendend weiß lackierte Gefährt in Bewegung und schoß mit einer Geschwindigkeit durch die Straßen von Tiefensalzach, die jedem andern, als dem allmächtigen Trenkmann ein saftiges Strafmandat eingebracht hätte.

„Husch – husch – husch, sagten die Chausseebäume, an denen der Wagen vorüberflog. Neubert konnte die Geschwindigkeit des Wagens nicht annähernd abschätzen. Er saß zum erstenmal in seinem Leben in einem wirklich starken und schnellen Kraftwagen. Ein Kenner hätte ihm erzählen können, daß die Bäume erst zu reden anfangen, wenn ein Wagen mit mehr als sechzig Stundenkilometern fährt, und daß dieser Wagen hier jetzt eine Geschwindigkeit von rund hundert Kilometern entwickelte.

Das alles wußte Herr Albert Neubert nicht, und da seine Uhr ihm abgenommen worden war, konnte er auch keinerlei Zeitmessungen vornehmen. Er stellte nur fest, daß der Lastwagen des Generaldirektors die Chausseestrecke, an der er vorhin gut zwei Stunden marschiert war, in einer maßlos kurzen Zeit zurücklegte, in einer Zeit, die ihm nicht mehr als fünf Minuten zu sein schien und in Wirklichkeit auch kaum mehr war.

„Wir müssen gleich am Seitenweg sein, stammelte er jetzt, und Trenkmann drückte auf einen Gummiball. Sofort mäßigte der Chauffeur die Geschwindigkeit. Noch einmal ein Zeichen von Trenkmann, und der Wagen stand, genau an jenem Seitenweg. Aus buschigem Grün schimmerte die unheilvolle Warnungstafel herüber.

„Von hier aus können wir den Bohrturm aber nicht sehen, hub der Redakteur wiederum an.

„Das glaube ich, knurrte der Generaldirektor ingrimmig vor sich hin. „Mußjö7 Graditz wird ihn natürlich nicht als Wahrzeichen für vorüberfahrende Automobilisten an die Landstraße pflanzen. Wir werden schon ein Stück in den Seitenweg hineinfahren müssen.

„Um Gottes willen, Herr Generaldirektor, schrie der Redakteur. „Ich habe genug von einem Mal. Die rohen Menschen werden wiederkommen und mich noch einmal pfänden und Sie auch, Herr Generaldirektor.

Trenkmann lachte geringschätzig vor sich hin.

„Man pfändet mich nicht so leicht, mein lieber Herr Neubert. Man müßte dabei mit der unangenehmen Möglichkeit rechnen, einen sechzigpferdigen Kraftwagen über die Knochen zu bekommen. Chauffeur, drehen Sie den Wagen hier auf der Chaussee um und fahren Sie rückwärts in den Seitenweg hinein. Fahren Sie langsam und vorsichtig. Sowie Sie einen Menschen bemerken, schalten Sie sofort um und gehen mit Volldampf wieder auf die Hauptchaussee zurück.

Herzklopfend verfolgte der Redakteur dies Manöver. Er wünschte sich in diesem Angenblick hundert Kilometer von Trenkmann fort, so sehr er sonst die hohe Ehre zu schätzen wußte, mit dem Herrn Generaldirektor zusammen im Automobil zu fahren. Jeden Augenblick fürchtete er den entsetzlichen Vorarbeiter auftauchen zu sehen. Aber nichts dergleichen geschah.

Deutlich und in allen Einzelheiten gut sichtbar erhob sich jetzt in einer Waldlichtung der Bohrturm, und deutlich sah er die Rohre liegen, sah Arbeiter an Winden und Maschinen hantieren.

„Halt, sagte Trenkmann zum Chauffeur. „Schalten Sie gleich auf Vorwärtsgang um und passen Sie auf. Sowie Sie jemand sehen, Volldampf zurück.

Dann stellte sich Trenkmann auf einen der Wagensitze, nahm aus einer Wagentasche einen guten Feldstecher und betrachtete noch einmal und in aller Ruhe die Anlage, die da im Glanze der Junisonne vor ihm lag. Wohl zwei Minuten verstrichen darüber, Minuten in denen Albert Neubert alle Ängste und Qualen der Hölle durchlebte.

Plötzlich sprang Trenkmann vom Sitz herunter.

„Vorwärts! aber schnell! rief er dem Chauffeur zu. Im nächsten Augenblick machte der Wagen einen förmlichen Satz noch vorn.

Da Trenkmann ihn schon auf der Chaussee hatte drehen lassen, so zeigte sein Vorderteil ja jetzt in die richtige Fahrrichtung und in sausender Fahrt schoß er dahin.

„Gebrauchen Sie die Hupe, aber kräftig, schrie Trenkmann und gellend durchbrach der Doppelton einer mächtigen Sirene die Stille des Waldes.

Keinen Augenblick zu spät. Denn im Vorbeifliegen sah der Redakteur, wie zwei mächtige Flamländer Gäule vor einem schweren Steinwagen dicht am Wege scheuten.

„Wir sind vorbei, jetzt langsam und vorsichtig an der Ecke zum Hauptweg, rief Trenkmann von neuem.

„Diese Gauner, sagte er zu dem Redakteur. „Sie haben uns natürlich schon einfahren gehört. Ein sechzigpferdiger Motor ist schließlich doch zu hören, und nun wollten sie uns diesen schweren Steinwagen quer über den Weg stellen. Dann waren wir ihnen allerdings auf Gnade und Ungnade überliefert.

Die Herrschaften hatten nur nicht mit meinem guten Feldstecher gerechnet. Ich sah gerade noch das letzte Stück des abfahrenden Wagens. Eine gerissene Gesellschaft und gute Strategen. Kein Mensch läßt sich hier vorne sehen, und dafür versuchen sie dahinten mit dem Steinwagen ein japanisches Umgehungsmanöver. Den Kerl, den Vorarbeiter, könnte ich bei mir gebrauchen. Der hat Grütze im Schädel!

Während dieser Auseinandersetzung flog der Kraftwagen bereits wieder auf der Hauptchaussee nach Tiefensalzach zu. Jetzt zog Trenkmann eine Besuchskarte aus der Brusttasche. Mit Tintenstift schrieb er die Worte darauf:

„Dem Überbringer dieser Karte, Herrn Redakteur Neubert, sind gegen seine Quittung tausend Mark zu zahlen, und auf Konto S. B. zu verbuchen. Trenkmann.

„Hier nehmen Sie diese Karte und lassen Sie sich tausend Mark an der Hauptkasse auszahlen, sagte er zu dem Redakteur. „Ich selbst habe jetzt keinen Augenblick weiter Zeit für Sie. Wenn Sie wieder etwas haben, sprechen Sie bei mir vor. Aber noch eins. Kein Wort über diese Dinge in die Zeitung. Völliges Schweigen. Sollte man Sie fragen, ob Sie mit mir im Automobil noch einmal dagewesen sind, ebenfalls gänzliches Leugnen.

In diesem Augenblick hielt der Kraftwagen wieder vor dem Zechenbureau. Mit einem Satz war der Generaldirektor aus dem Wagen gesprungen und bereits die Treppe hinaufgeeilt, während der Redakteur sich erst allmählich aus den Polstern herausschälte.

Feierlich schritt der Redakteur durch die Geschäftsräume des Verwaltungsgebäudes der Zeche. Würdevoll zeigte er die Anweisung Trenkmanns an der Hauptkasse vor.

Kopfschüttelnd betrachtete sie der alte Kassierer.

„Konto S. B., brummte er vor sich hin, „das heißt doch Konto Schutzbohrung. Das Konto haben wir doch vor fünf Jahren abgeschlossen. Na! dann werden wir es wohl wieder aufmachen müssen. – Wünschen Sie Gold oder Papier? wandte er sich dann an den Redakteur.

„O – ganz gleich, gerade wie es Ihnen paßt.

Mit einer einzigen vornehmen Handbewegung legte der Kassierer fünfzig blanke Zwanzigmarkstücke vor ihn auf den Tisch. „Wollen Sie bitte quittieren, sagte er und hielt ihm Feder und Quittung hin.

Und dann schob Herr Albert Neubert die Goldstücke zusammen und verließ das Zechenhaus.

Die Bürger, die ihn vorhin mit Trenkmann zusammen im Automobil gesehen hatten, grüßten ihn heute unterwürfig und tief.

 

 

Dreizehntes Kapitel.

Eine Landkarte ist ein ganz interessantes und anschauliches Ding. Wer sie zu lesen versteht, der sieht bei ihrer Betrachtung die ganze Gegend leibhaftig vor sich stehen.

Diese blaue Linie verrät ihm ein idyllisch dahinrauschendes Bergflüßchen. Jene hellgrünen Flächen erzählen ihm, daß um den Bach herum sich eine blumige feuchte Wiese erstreckt, auf der wohl Wiesenschaumkraut und Sumpfporst ihre Doldenblüten emporrecken. Jene bräunlichen Umrisse zeigen eine andre Stelle, an welcher tannenbewachsene steile Abhänge dicht und dunkel an das Bächlein herantreten.

Wer wirklich die Landkarte zu lesen versteht, dem erzählt jeder Strich auf ihr eine ganze Geschichte. Der kann nach ihr ein naturgetreues Landschaftsbild malen, auf dem keine romantische Windmühle und kein alter Ziegeleischornstein vergessen wird.

Aber noch interessanter ist bisweilen eine Katasterkarte, eine Karte, auf der die Eigentumsverhältnisse des Bodens eingetragen sind. Eine Katasterkarte ist nicht leicht zu beschaffen, wird regelrechter Weise überhaupt nicht in die Hände von Privatleuten gegeben.

Aber wer eine solche Karte der Umgebung von Tiefensalzach vor sich gehabt hätte, der hätte darauf mancherlei Interessantes gefunden.

Er hätte die erstaunliche Entdeckung gemacht, daß Herr Generaldirektor Trenkmann einen ganz erheblichen Grundbesitz sein eigen nannte. Er hätte auch zu seiner Verwunderung gesehen, daß Herr Brederoff, Herr van der Möhlen und zahlreiche andre Oberbeamte der Zeche verschiedene Felder besaßen.

Merkwürdiger Grundbesitz war das. Keine großen zusammenhängenden Flächen. Hier ein Morgen und dann dort wieder ein Morgen und so weiter. Landwirtschaftlich waren diese Stücke geradezu minderwertig. Flugsandstrecken, unfruchtbare Waldkoppeln und nasse Wiesen. Es waren Ländereien, die man sicherlich für ein Butterbrot gekauft hatte und nun ruhig brachliegen ließ.

Eine Betrachtung der Katasterkarte hätte aber gezeigt, daß diese Landkäufe offenbar ganz ordnungsmäßig vorgenommen worden sein mußten. Jene Landstücke waren ziemlich gleichmäßig über die ganze Umgebung von Tiefensalzach verteilt. Hätte man sie etwa rot angetuscht, so wäre ein ziemlich gleichmäßiges Schachmuster herausgekommen. In jedem Falle gab es auf zwei Meilen in der Umgegend von Tiefensalzach keinen Punkt, der weiter als einen Kilometer von einem Landstück der Gloriagruppe entfernt gelegen hatte. Einen Kilometer von jedem beliebigen Punkte entfernt mußten die Zechenleute eignen Boden vorfinden.

Auch in das Gebiet des Schmidthofs zog sich ein solcher Trenkmann’scher Besitzteil hinein. An einer Stelle trat ein kleiner Gebirgsbach in das Gebiet des Schmidthofs, und die Wiesen zu beiden Seiten des Baches gehörten ein Stück den Bachlauf entlang nicht zum Schmidthof. Die Grenze war durch einen groben hölzernen Gatterzaun markiert.

Kurt Graditz hatte sich beim Ankauf nicht weiter darum gekümmert. Die Katasterkarte seines Besitztums, die er als Interessent natürlich bekam, zeigte dort als Eigentümer einen Herrn Karoli eingetragen. Daß dieser Karoli einer der Großaktionäre der Zeche war, konnte Graditz nicht wissen, und in den letzten zwanzig Jahren hatte man von Karoli nichts gehört und nichts gesehen. Jene nasse Wiese, deren Gras selbst als Viehstreu zu schlecht war, blieb sich selbst überlassen, und nur das Holzgatter wurde jedes Jahr wackliger und vermorschter.

So war es die letzten zwanzig Jahre gewesen. Aber jetzt -, drei Tage nach dem Besuch des Herrn Neubert bei Trenkmann, sah es hier ganz anders aus.

Eine Kolonne von 150 Mann stand hier in fieberhafter Arbeit. Wie im bergmännischen Betriebe waren drei Schichten von je acht Stunden eingerichtet. 50 Mann arbeiteten von 12 Uhr mitternachts bis 8 Uhr morgens. 50 andre von 8 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags und die letzten 50 von 4 Uhr nachmittags bis zur nächsten Mitternacht.

Auch hier erhob sich ein Bohrturm. Aber hier stand weiter eine gewaltige Lokomobile. Bei Anbruch der Dämmerung setzten sich deren riesige Schwungräder in Bewegung. Sausend und pfeifend zogen sie die mächtigen Treibriemen, die zu elektrischen Dynamomaschinen führten.

Und sobald die Dämmerung stärker wurde, flammten glänzende Bogenlampen auf und beleuchteten den Arbeitsplatz tageshell.

Und auch eine andre Dampfmaschine, ein ruppiges russiges schwarzes Ungetüm war in diese landschaftliche Idylle hineingefahren worden. Eine mächtige Dampfpumpe. Die saugte gierig das Wasser aus dem kleinen Gebirgsbach und drückte es durch Rohrleitungen zu allerlei merkwürdigen Apparaten.

Auch hier stand unter dem dreibeinigen Bohrturm das Brunnenrohr. Aber hier arbeitete nicht der einfache Erdbohrer. In sinnverwirrender Hast wurden hier die Werkzeuge gewechselt. Bald wurde das Druckwasser der Dampfpumpe durch ein feines Rohr bis auf den Grund des Brunnenrohrs geleitet. Dann quoll aus dem obern Ende dieses Brunnenrohrs eine trübe lehmige Flut, und man konnte verfolgen, wie dies Rohr Fuß um Fuß in die Tiefe sank, oft einen Meter in einer Stunde.

Dann wieder wurden blanke, durch Maschinen getriebene Spiralbohrer in das Brunnenrohr heruntergelassen und begannen knirschend und kreischend ihre Arbeit in der Tiefe.

Kurt Graditz war in der vergangenen Nacht aus Berlin zurückgekommen. Die Berichte seines Schachtmeisters hatten ihn beunruhigt. Daß der harmlose Narr, der Neubert, sein Geheimnis durch Zufall entdeckt hatte, das war ihm schon recht unangenehm gewesen. Schon wollte er auf jenen Bericht hin einer ersten Eingebaut folgen und an Neubert unter Bezugnahme auf die frühere Bekanntschaft ein langes Telegramm aufgeben, als der zweite Bericht seines Schachtmeisters ankam, der nur eine halbe Stunde nach dem ersten zur Post gegeben worden war und von den gewaltsamen Erkundungen Trenkmanns erzählte.

Und wieder 48 Stunden später war eine geradezu aufgeregte Schilderung des Schachtmeisters nach Berlin gekommen. Der Mann hatte geschrieben, daß sich auf dem Karoli’schen Felde eine riesige Tätigkeit abspiele, und hatte alle Einzelheiten geschildert.

Kurt Graditz wußte, was das bedeutete.

Das Konto S. B. war wieder in Betrieb. Was dort arbeitete, das war die Schutzbohrkolonne Trenkmanns.

Nach dem Bergrecht wird eine Berggerechtsame nicht so ohne weiteres demjenigen verliehen, der darauf mutet. Es genügt nicht, daß man in einer Eingabe an die Bergbaubehörde, die Vermutung ausspricht, daß an irgendeiner Stelle bestimmte Bodenschätze ruhen, und nun das Abbaurecht für diese verlangt.

Vielmehr hat derjenige, der diese Schätze zuerst auch wirklich findet, der erfolgreich schürft, das Vorrecht.

Jetzt ging es an ein Wettbohren. Wenn Trenkmann auch nur 24 Stunden vor Graditz wirklich Kali erbohrte, und seinen Fund meldete, so mußte ihm die Berggerechtsame auf Kalibau erteilt werden, und Graditz ging leer aus.

Jetzt mußte es auf jeden Meter ankommen, den der eine oder andre schneller bohrte. Und daß Trenkmann mit seinen drei Schichten, mit vierundzwanzigstündiger Arbeitszeit, mit modernsten Werkzeugen schneller bohren würde, als Graditz, das war am Ende wohl vorauszusehen.

Das Konto S. B. hatte in frühern Jahren eine gewichtige Rolle im Betriebe der Gewerkschaft „Gloria gespielt. Der Herr Generaldirektor Trenkmann. wünschte keinen Nebenbuhler in seiner Nähe. Er hatte sich aus seinen besten Leuten die Schutzbohrkolonne zusammengestellt und hatte sich die ausgesuchten Werkzeuge aus Amerika kommen lassen.

Wenn irgendein Konkurrent in seiner Nähe zu schürfen begann, dann trat jene Kolonne in die Aktion. Und sie pflegte gründliche Arbeit zu machen. Wenn der Konkurrent einen Meter bohrte, bohrte Trenkmann wenigstens zwei. Wenn der Konkurrent sich noch im Schwimmsand quälte, durchfuhren Trenkmanns Bohrer bereits die Mergelschicht, fraßen den Ton und holten das vielbegehrte Kalisalz aus der Tiefe. Und wenn die Konkurrenz daran dachte, dem Tone endlich näher zu kommen, dann pflegte Trenkmann bereits seine Gerechtsame zu besitzen, auf Grund deren er dem Konkurrenten überhaupt das weitere Schürfen untersagen lassen konnte.

Die Schutzbohrkolonne war eine feine Sache. Mit ihr hielt sich Trenkmann jeden Gegner vom Leibe. Zuerst hatte er noch bis zum Kali gebohrt und seine Vorrechte herausgeholt. Später war das nicht mehr nötig gewesen. Wo seine Schutzkolonne anrückte, wo sich auf einem der vorher erwähnten Zechenländereien wie ein drohendes Gespenst der dreibeinige Bohrtum erhob, da verschwand sofort jede Konkurrenz. Wozu sollten die Leute auch unnötig ihr Geld für die teuern Bohrarbeiten ausgeben, da Trenkmann ihnen doch zuvorkam.

Er hatte seine Gegner schließlich allein durch den Schreck und durch die Furcht im Zaume gehalten. Seit fünf Jahren war das Konto S. B. geschlossen gewesen.

Jetzt war es wieder in voller Blüte.

Kurt Graditz kannte dies Verfahren Trenkmanns sehr wohl. Schon während der Eisenbahnfahrt nach Tiefensalzach hatte er sich alle Möglichkeiten und Aussichten für und wider überlegt.

Im Grunde seines Herzens konnte ihm diese Bohrerei Trenkmanns ziemlich gleichgültig sein. Er durfte ja sicher sein, daß Trenkmann von den Eisenerzen keine Ahnung hatte, daß er einzig und allein auf Salz schürfen und auf Salz muten würde. Immerhin konnte der Teufel seine Hand im Spiele haben. Infolge irgendwelcher Zufälligkeiten konnte Trenkmann kein Salz finden, konnte wild in die Tiefe bohren und schließlich auf Eisen stoßen.

Einige Vorsicht war also immerhin am Platze. Unter allen Umständen mußte er den Wettkampf scheinbar mit allem Ernst aufnehmen und mit allen Mitteln schnell in die Tiefe zu kommen versuchen. Erstens war das aus einfachen Gründen der Vorsicht geboten. Zweitens aber hätte auch der kluge Trenkmann sofort Verdacht geschöpft, sobald Graditz auch nur die geringste Lässigkeit gezeigt hätte.

So hatte Kurt Graditz schon während der Bahnfahrt den Entschluß gefaßt, seine Bohrkolonnen sofort zu verstärken, ebenfalls mit Nachtschichten zu arbeiten und verbesserte Bohrverfahren zur Anwenduug zu bringen.

Heute früh nun hatte er bereits eine lange Besprechung mit seinem Schachtmeister gehabt. Zunächst war die goldene Uhr als eingeschriebenes Wertpaket an Herrn Albert Neubert zurückgegangen. Es lag ihr ein Begleitschreiben bei, in welchem Graditz von einer Pfandstrafe absah und den Redakteur höflich einlud, ihn gelegentlich zu besuchen, vorher aber telefonische Meldung zu machen.

Zu zweit hatte Graditz die Aufstellung von Lichtmaschinen für die Nachtarbeiten mit seinem Schachtmeister besprochen. Drittens endlich hatte er ihm die Ankunft ganz neuer Bohrwerkzeuge für den zweit nächsten Tag angekündigt.

Jetzt gelüstete es ihn, sich auch ein wenig die Arbeiten seines Gegners anzusehen. Lässigen Schrittes schlenderte er durch die Waldkoppel, die in der Richtung auf die Tremmann’sche Arbeitsstelle zu lag. Weiter führte ihn sein Weg an den Bach entlang und jetzt sah er den fremden Bohrturm vor sich liegen und trat bis an das Holzgatter heran, welches sein Land von dem Trenkmann’schen Besitztum trennte. Interessiert haftete sein Blick an dem Bild, welches sich ihm hier bot.

„Alle Wetter, dachte er bei sich, „dieser Trenkmann ist wirklich ein fixer Kerl. Der Schachtmeister hat in seinen Berichten nicht übertrieben. Die arbeiten ja hier wie die Teufel.

In der Tat wurde am Trenkmann’schen Bohrturm mit Hochdruck geschafft, und zwar mit Hochdruck im wahrsten Sinne des Wortes. Das Brunnenrohr trug eine Bleilast, die es beinahe zu zerknicken drohte und es mit Gewalt in die Erde hineintrieb. Unaufhörlich auch spülte das Druckwasser die Erde aus dem Rohr und schaffte ihm so aufs neue Luft, ermöglichte ihm ein schnelles Weitersinken.

Wohl eine Stunde stand Graditz hier und schaute zu, und während dieser Stunde drang das Rohr um beinahe einen Meter in die Tiefe.

„Wenn das so weiter ginge, dann würde der Herr Generaldirektor in hundertfünfzig Stunden die Kalizone erreichen, sagte Graditz zu sich selber. „Aber es ist wohl dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und die Bohrlöcher nicht in die ewige Teufe.

Die ersten Meter bohren sich leicht. Aber je weiter man kommt, desto schwerer geht es. Wenn ich an jenes schlesische zweitausend Meter Tiefe Bohrloch denke, pfui Teufel, da kostete der letzte Meter beinahe fünftausend Mark, und dann mußte man doch aufhören, weil der nächste wahrscheinlich zehntausend gekostet hätte.

In diesem Augenblick ließ sich der harmonische Zweiklang einer Automobilhupe vernehmen. Von der Chaussee her bog ein blendend weiß lackierter Kraftwagen ab, nahm seinen Weg quer durch Feld und Wald und fuhr zur Trenkmann’schen Arbeitsstelle hin.

„Aha, der Herr Generaldirektor in höchsteigner Person, lächelte Graditz vor sich hin, als er Trenkmann aus dem Automobil steigen sah. „Na, Höflichkeit ist noch niemals eine Untugend gewesen und Unhöflichkeit sicher keine Tugend.

Und da Trenkmann in diesem Angenblick zu ihm hinsah, und ihn auf die kurze Entfernung von dreißig Metern sicher erkennen mußte, so zog er seinen Hut und begrüßte den allmächtigen Herrn sehr höflich.

Trenkmann gewahrte den Gruß nicht ohne Erstaunen und erwiderte ihn zunächst mit großer Förmlichkeit. Dann aber schien er sich auf etwas zu besinnen. Plötzlich trat er an das Gitter heran, gerade auf Graditz zu.

„Guten Tag, Herr Graditz, hub er an. „Sagen Sie mal, warum machen Sie Hegemann und mir eigentlich diese Unkosten. Sie wissen doch, daß ich im Umkreise von dreißig Kilometern keine andre Kalizeche dulde und jedem bezüglichen Versuch durch eine Schutzbohrung ein jähes Ende bereite.

„Ich weiß es, Herr Generaldirektor, erwiderte Graditz mit größter Sorglosigkeit. „Sie haben mit diesem Verfahren bisher sogar unzweifelhafte Erfolge gehabt. Ich muß Ihnen auch meine unbedingte Verbeugung über die Zielbewußtheit und Schneidigkeit machen, mit der Sie die Schutzbohrung hier in Angriff genommen haben. Ich wäre geradezu unglücklich, wenn ich von heute an nicht auch mit drei Schichten ununterbrochen arbeiten könnte.

„So, erwiderte Trenkmann, „Sie wollen von heute ab auch mit Nachtschichten arbeiten. Dazu braucht man aber Licht.

„Zweifelsohne, Herr Trenkmann. Die Lichtmaschinen werden bei mir drüben soeben fertiggestellt. Um sechs Uhr abends soll bereits die Brennprobe sein.

Der Generaldirektor war einen Augenblick ein wenig betroffen. Dann aber zeigte sich auf seinen Zügen ein hämisches Lächeln, welches allmählich in ein breites Grinsen überging.

„Aber dann noch eins, Herr Graditz, sagte er dabei, „Sie benutzen für Ihre Bohrung Erdbohrer, die sicherlich einen recht bedeutenden historischen Wert haben. Nach der Völkerwanderung dürften ähnliche Bohrlöffel nicht mehr allzu häufig in Benutzung genommen worden sein. Ich empfehle Ihnen, diese Apparate zur gegebenen Zeit dem technischen Museum in München zu überweisen.

„Sie haben durchaus recht, erwiderte Graditz. „Diese Bohrer sind alte gemütliche Würmer. Sie waren gut, solange ich hier in aller Heimlichkeit, aber auch in aller Gemütlichkeit billig bohren wollte. Nachdem mein bescheidenes Unternehmen Ihre Aufmerksamkeit erregt hat, werde ich vom heutigen Tage an natürlich mit andern Mitteln arbeiten müssen.

„Das einzusehen ist nicht eben schwer, meinte Trenkmann, „aber außer mir besitzt wohl niemand in Europa diese modernen hydraulischen Bohrer. Sie werden etwas Ähnliches erst anfertigen lassen müssen, und bis Sie die Apparate haben, vergehen kostbare Wochen. Wochen – –! Herr Graditz, Wochen – – und in drei Tagen habe ich hier bereits Kali.

Jetzt lächelte Kurt Graditz.

„Sie werden nicht von mir erwarten, Herr Generaldirektor, daß ich Ihnen das Geheimnis meiner Maschinerie verrate. Sie werden die dreißig Meter, die ich Vorsprung hatte, aufholen …

„Die habe ich schon, sagte Trenkmann trocken.

„Sie werden dann weiter auf die nächsten dreißig Meter noch Vorsprung haben. Aber dann komme ich Ihnen wieder nach und bei hundertzwanzig Meter Teufe werde ich Ihnen weit vor sein.

„Es ist schade, daß Sie sich das einbilden, erwiderte Trenkmann. „Wenn Sie das Vergebliche Ihrer Bohrerei einsehen wollten, so könnten wir uns beide mancherlei Mühe und Unkosten ersparen. Aber da Sie nicht wollen, so werde ich Sie eben zwingen, ich werde vor Ihnen Kali gefunden haben und vor Ihnen als Finder muten.

„Glück auf! zu Ihrem Unternehmen, Herr Trenkmann. Aber Sie nehmen es mir doch nicht übel, wenn ich vielleicht vor Ihnen finde und vor Ihnen mute.

„Also Sie wollen wirklich weiter bohren, obwohl Sie meine Fortschritte hier vor Augen sehen? schrie Trenkmann nun wirklich erregt.

„Ich will, Herr Generaldirektor, und nun nochmals Glück auf!

Mit diesem alten Bergmannsgruß empfahl sich Kurt Graditz und wanderte seiner eignen Arbeitsstelle zu.

 

 

Vierzehntes Kapitel.

Der Sonntag war ins Land gekommen. Ein sonnenklarer warmer Junisonntag, ein Sonnentag, an dem der Himmel noch einmal so blau zu sein scheint als gewöhnlich, ein Tag, an dem die Wälder in bläulichem Dufte liegen und die roten Häuschen und schmucken Kirchen der Walddörfer auf meilenweit sichtbar in wundervoller Klarheit daliegen.

Ein Sonntag, der vielen Hunderttausenden nach der angestrengten Wochenarbeit Ruhe und Erholung brachte. Ein Tag, an dem der einfache Zechenarbeiter ebenso wie der gut bezahlte Prokurist zu vollen Zügen die Freude genoß, einmal los und ledig zu sein von des Arbeitstages Bürde und Last.

Auch für Margarete von Gerolsheim bedeutete dieser Sonntag einen frohen Tag.

Ihrer Schwester war bereits am Donnerstag-Nachmittag nach Berlin gefahren, um größere Einkäufe zu machen. –

Das tat die Frau Generaldirektor öfter als zweimal im Jahre. Sie nahm dann ihr Scheckbuch mit und reiste auf vier bis fünf Tage in die Reichshauptstadt, wo einer ihrer nächsten Verwandten, ein Oberst a. D., eine hübsche Wohnung am Lützowplatz innehatte. Dort war sie stets ein gern gesehener Besuch, denn bei den ausgedehnten Wanderungen durch die großen Berliner Modemagazine fiel auch für die vermögenslose Verwandtschaft mancherlei ab, und es ging schließlich auf dasselbe Scheckbuch.

Die Frau Generaldirektor also weilte in Berlin, und diesen Sonntag konnte Margarete für sich verwenden. Schon vor dem Mittagessen, welches sie mit Trenkmann gemeinsam einzunehmen hatte, hatte sie unzähligemal ein Briefchen aus der Tasche gezogen und überflogen. Ein kleines unscheinbares Briefchen, welches sie in beinahe rätselhafter Weise bekommen hatte. Es lag am Sonnabend-Morgen nicht unter den gemeinschaftlichen Postsachen, die beim Frühstück vom Diener mit hineingebracht wurden. Margarete hatte es vielmehr bereits eine volle Stunde früher in ihrem Zimmer auf den Schreibtisch gefunden, und noch jetzt fehlte ihr jede Erklärung dafür, wie es dort wohl hingekommen sein mochte.

Oder richtiger gesagt, es gab eigentlich nur eine Erklärung. Der Absender mußte irgendwie unter dem Hauspersonal einen Bundesgenossen haben.

Der Inhalt dieses Briefes war nur kurz. Da stand in der ihr wohlbekannten kräftigen Schrift ihres Verlobten:

Liebste!

Ich höre, daß die hohe Dame verreist ist. – Herzi, seit Wochen versuche ich Dich zu sprechen. – Diese Schreiberei ist gräßlich. – Liebes – Gutes – Goldiges – heut nachmittag um 4 Uhr auf dem Wege zur Stadt. – Ich erwarte Dich auf dem Wege.

Es küßt und umarmt Dich in größter Sehnsucht

Dein Kurt.

Wieder und immer wieder hatte Margarete diesen Brief gelesen, und auch jetzt dachte sie an ihn und an den Schreiber, als sie ihrem Schwager an der Mittagstafel gegenüber saß.

Trenkmann schien heut ziemlich zerstreut zu sein. Während er nachlässig seine Suppe löffelte, weilten seine Gedanken in den Stapelräumen der amerikanischen Agricultural Company und er überschlug im Geiste, wieviel Schiffe der Hamburg–Amerika-Linie man wohl chartern könne und müsse, um die gewünschten Kalimengen möglichst schnell über den Ozean zu bringen.

Dann wieder, während Margarete ihm das Roastbeef vorlegte, überflog sein Auge den Bohrbericht seiner Kolonne, der neben ihm auf dem Tische lag. Mehrmals hatte er auf allerlei Fragen seinem Gegenüber höchst zersteute Antworten gegeben. Jetzt endlich brach er selbst das Schweigen:

„Also der Herr Kurt Graditz, Euer Graditz, wie meine Frau und Du Dich auszudrücken belieben, der dürfte ja nun wohl endgültig erledigt sein.

„Was weißt Du denn von ihm? fuhr Margarete erschrocken auf.

„Ich dachte eigentlich, Du wüßtest mehr als ich, erwiderte Trenkmann spöttisch. „Aber weil Du Deine Darstellungen vielleicht ein wenig gefärbt bekommst, kann ich Dir ja auch etwas erzählen. Dieser Musjö wollte mir hier ins Handwerk pfuschen. Durch irgendwelche Tricks und Schliche hat er Hegemann veranlaßt, ganz gehörig in seinen Beutel zu greifen, und die Herrschaften haben da auf dem Schmidthof in aller Stille und Heimlichkeit ein Bohrtürmchen errichtet und angefangen, auf Kali zu bohren.

„Davon hörte ich allerdings, unterbrach Margarete.

„Ich aber auch, meine Teure, obwohl Herr Graditz es natürlich nicht für angebracht hielt, mir etwas davon zu erzählen. Man hat schließlich auch seine Quellen. Na, das Vergnügen dürfte ja nun morgen oder spätestens übermorgen zu Ende sein.

„Ja, wieso denn? fragte Margarete.

„Wieso? Nun, sehr einfach. Morgen, spätestens übermorgen wird meine Bohrkolonne am Schmidtbach auf Kali stoßen, und dann wird der gute Hegemann wohl seine Trottelei einsehen und sich von dem Unternehmen mit einem Verlust von einer Viertelmillion zurückziehen. Dann kann Monsieur Graditz ja wieder unter die Naturforscher gehen und Schmetterlinge fangen. Daß er jedenfalls bei mir keine Stellung wieder bekommt, das kann er jetzt schon schriftlich von mir haben, wenn er Wert darauf legt.

Margarete wußte auf diese Bemerkung nichts zu erwidern, und sie tat es um so weniger, als jede Erwiderung unnötig den Zorn Trenkmanns erregt haben würde. Da der Generaldirektor sich jetzt wieder dem Studium seines Berichts zuwandte, so verlief das Mahl schweigend, und Margarete atmete erleichtert auf, als Trenkmann sich mit dem Kaffee in sein Rauchzimmer zurückzog.

Eilig gab sie der Dienerschaft die nötigen Befehle und ging dann auf ihr Zimmer, um sich dort umzukleiden. Sofort fiel ihr ein neues Briefchen auf, das dort auf ihrem Schreibtisch lag. Sie erbrach es mit zitternden Händen und las nur die wenigen Worte:

„Also bestimmt um 4 Uhr.

Gruß, Schluß, Kuß.

K. G.

Hastig vollendete sie ihre Toilette und eine Viertelstunde vor vier Uhr verließ sie das Haus und schlenderte gemächlich durch die Stadt, nach dem Braunschweiger Tor hin und durch dieses hinaus auf die Braunschweiger Landstraße.

Sie mochte ungefähr fünf Minuten vom Tor entfernt sein, als vom Kirchturm des Städtchens vier Glockenschläge ertönten.

„Gerade vier Uhr, sagte sie vor sich hin und blieb stehen. „Aber von Kurt ist ja weit und breit nichts zu sehen.

In diesem Augenblick ertönte hinter ihr ein Hupensignal, und zwar ein mächtiger Kraftwagen kam in sausender Fahrt näher.

Erschreckt war Margarete zusammengefahren. Sollte Trenkmann ihr auf der Spur sein? Sollte er irgend etwas bemerkt haben und seine beinahe auffällige Zerstreutheit bei Tisch heute nur Mache gewesen sein? War doch Trenkmann der einzige Mensch, der in Tiefensalzach einen Kraftwagen besaß.

Aber nein, der Wagen, der dort in nächster Nähe heranbrauste, trug ja eine dunkle stahlfarbige Karosserie. Es schimmerte und glänzte von weitem wie blankes Eisen, während Trenkmanns Wagen so weiß lackiert war, so schneeig schimmerte, wie das Kalisalz aus seinen Gruben.

„Wohl der Wagen irgendeines durchfahrenden Reisenden, wie das ja öfter vorkommt, dachte Margarete und trat auf die Böschung zur Seite der Landstraße.

Jetzt ließ der Führer des Wagens dicht hinter ihr noch einmal die Hupe ertönen. Es war ein fröhliches Dreiklangsignal, und es erinnerte sie merkwürdig an den Pirolpfiff, den Kurt Graditz als Signal zu benutzen pflegte.

Und jetzt hielt dieser Kraftwagen unmittelbar neben ihr, und der, der aus dem Wagen sprang, das erkannte sie trotz der fürchterlichen Automobilbrille und Lederkappe, das war niemand anders als Kurt Graditz. Mit einem kräftigen Ruck schob er Brille und Kappe zurück.

„Guten Tag, liebe Margarete, rief er fröhlich und fiel ihr kräftig um den Hals. „Es ist lieb von Dir, daß Du so pünktlich gekommen bist.

„Aber Kurt, rief sie verlegen, „was sollen die Leute denken, wenn sie uns hier so auf der Landstraße sehen.

„Laß sie denken, was sie wollen, erwiderte er vergnügt. „Vielleicht kommen sie sogar auf die richtige Idee, daß der neue Generaldirektor von Tiefensalzach mit seiner Braut ein wenig spazieren fährt. Und nun steige bitte ein. Der Kaffee bei meiner Mutter wird sonst kalt.

Mit artiger Handbewegung half er ihr in den Wagen, und schon im nächsten Augenblick flog das schwere Gefährt mit Schnellzugsgeschwindigkeit davon.

Die ersten Minuten vergingen Margarete von Gerolsheim wie im Traume. Behaglich in das schwellende Lederpolster gelehnt, ließ sie das wohltuende Gefühl der schnellen Fahrt auf sich wirken.

„Wie kommst Du denn zu diesem Wagen, hub sie schließlich an.

„Wie ich dazu komme? Nun, ich sagte Dir doch bei unserm letzten Zusammensein in Eurem Park, daß ich den Luxus, den unser modernes Leben bietet, auch haben will und für mich brauche, wie ein andrer die Lebensluft. Ich sagte Dir damals, daß Du an meiner Seite allen Luxus genießen würdest, den die Frau Generaldirektor Trenkmann nur jemals gehabt und beansprucht hat. Ich erzählte Dir von einem schönen Schloß mit wunderbaren Möbeln und von Automobilen und Equipagen.

„Aber das war doch alles Unsinn, Kurt, das habe ich doch keinen Augenblick ernst genommen. Ich freute mich damals, daß Du eine so schöne Stellung bei Trenkmann hattest. Und nun tust Du mir den Kummer an, gehst hin und wirfst diese Stellung fort und stürzt Dich in Dinge, die doch sehr schlimm enden müssen.

„Das ist wohl die Meinung des Herrn Trenkmann, die sie Dir dort so lange vorgebetet haben, bis Du selbst beinahe daran glaubst.

In diesem Augenblick ließ die Hupe wieder den frohlockenden Pirolschlag ertönen, und Kurt Graditz pfiff ihn kräftig mit. Der Chauffeur verlangsamte die Fahrt und bog dann in jenen Seitenweg ab, auf dem die Herren Neubert und Trenkmann ihr Abenteuer erlebt hatten.

Weiter ging die Fahrt, und der Bohrturm wurde sichtbar. Wieder pfiff Graditz sein Zeichen.

„Siehst Du dort den Turm, begann er dann „Dort ist die Stelle, wo sie mir aus der Erde bohren, was ich brauche. Reichtum, Ansehen und Macht. Du denkst sie holen dort nur Schlamm und Sand empor. Aber ich sage Dir, es ist das reine Gold, was dort gehoben wird. Von dieser Stelle aus will ich jenen Palast erwerben. Und der Kraftwagen – nun, in dem sitzen wir ja bereits drin. Du wirst also nicht mehr sagen, daß alle meine Pläne Unsinn sind. Hätte ich jene Stellung behalten, könnten wir jetzt zu Fuß auf der staubigen Chaussee promenieren. So fliegen wir im Automobil dahin, und fahren über meinen eignen Grund und Boden. Wir sind jetzt auf meinem Land, über das ich in Bälde herrschen werde, wie Trenkmann über die Gewerkschaft Gloria.

Jetzt führte der Weg über ein Stückchen lichten Feldes, und einen Augenblick sah Margarete einen andern Bohrturm.

„Was ist denn das? fragte sie.

„Das ist ein Versuch Trenkmanns, mir die Macht zu entreißen, ein Versuch übrigens mit untauglichen Mitteln.

„Bist Du dessen so sicher? fragte Margarete angstvoll. „Trenkmann sprach vorhin anders darüber.

„Ich will Dir beinahe wörtlich wiederholen, was er gesagt hat, entgegnete Kurt Graditz sorglos. „Er gedenkt morgen oder übermorgen Kali zu finden, und dann soll es mit meiner Herrlichkeit zu Ende sein. Dann soll sich Hegemann von mir zurückziehen, und dann soll ich nicht einmal mehr die kleinste Stellung bei Trenkmann bekommen.

Margarete hatte ihn mit weitgeöffneten Augen angestarrt.

„Wie kannst Du das wissen, rief sie jetzt aufs höchste erstaunt. „Das hat er ja freilich wörtlich gesagt.

„Nun, wenn ich es weiß und mich nicht darüber ängstige, so brauchst Du Dich auch nicht darüber zu ängstigen, mein Lieb, und nun sind wir da und wollen es uns bequem machen.

Der Wagen hielt jetzt vor dem Wohnhause des Schmidthofes und ließ sein wohlbekanntes Signal ertönen. Die Frau Stadtrat trat auf die Freitreppe und hieß Margarete herzlich willkommen. Sie führte ihren Gast durch die mächtige Diele. In wenigen Wochen war hier eine bedeutende Veränderung vorgegangen. Zwar baulich war alles dasselbe geblieben. Aber geschmackvolle Ausschmückungen und Möbel, Leuchter aus wunderbaren Geweihen zierten den Raum und ließen ihn wie die Halle eines Schlosses und nicht wie die Diele eines Bauernhauses erscheinen.

Hier legte Margarete ab und folgte dann der Frau Stadtrat zu den breiten zweiflügeligen Fenstertüren, die auf der andern Seite des Raumes in den parkartigen Garten führten.

Unter einer mächtigen Linde war hier ein einladender Kaffeetisch angerichtet. Hier ließen sich die drei nieder.

„Ich habe wirklich tüchtigen Hunger, Mutterchen, begann Kurt Graditz. „Ich bin heute noch nicht zum Mittagessen gekommen.

„Aber das ist ja fürchterlich, Kurtchen, klagte die alte Dame. Du wirst Dich durch solche unregelmäßige Lebensweise ganz zugrunde richten. Davon kann man Nervenschwäche und solche schlimmen Krankheiten bekommen.

„Na, zunächst bekommt man Hunger davon. Ich habe zwar schon oft das Mittagbrot ausfallen lassen und durch stramme Haltung ersetzt. Wenn man dann aber so arbeiten muß, wie ich heute an der Bohrstelle, dann gibt das weidlichen Appetit.

„Aber heute ist doch Sonntag, heute wird doch nicht gearbeitet, warf Margarete erstaunt ein.

„Bei Freund Trenkmann drüben allerdings nicht. Da haben sie heute um Mitternacht aufgehört und fangen die kommende Mitternacht erst wieder an. Ich hatte dazu keine Zeit. Trenkmann ist schon weit über hundert Meter tief gekommen, und ich bin erst einige achtzig weit. Das muß ich an diesem Sonntag einbringen. Darum arbeitet man bei mir.

„Ja, aber das ist doch verboten, ließ sich jetzt die Frau Stadtrat vernehmen. „Um Gottes willen, Kurt, da wird man Dich ja bestrafen.

Kurt lachte über das ganze Gesicht.

„Jawohl, Mutterchen, erwiderte er dann, so weit ein mächtiges Stück Kuchen ihm dazu Zeit ließ. „Und dann hast Du ein vorbestraftes Subjekt zum Sohn und Margarete ebendasselbe zum Bräutigam. Ich denke, die Sache wird sich aber mit einigen Jahren Zuchthaus erledigen lassen.

Die Frau Stadtrat fuhr entsetzt zusammen.

„Um Gottes willen, Kurt, was machst Du da für Redensarten. Das wäre ja geradezu entsetzlich.

„Nun, tröste Dich, Mutterchen, beruhigte Kurt sie gutmütig. „Wahrscheinlich kommt gar nichts nach der Sache, denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Im schlimmsten Falle brummen sie mir 50 Mark Geldstrafe auf. Und die muß das Geschäft abwerfen.

„Aber ist denn so etwas überhaupt nötig. Ein solcher Widerspruch gegen die Obrigkeit, das ist doch gräßlich, meinte Frau Graditz.

„Es ist nötig, erwiderte Kurt jetzt plötzlich ernst werdend. „Wo man Holz haut, da fallen Späne. Aber das sind überhaupt nur Kleinigkeiten. Hier handelt es sich um unendlich viel wichtigere und größere Dinge. Ich habe heute diese Zusammenkunft mit Dir vereinbart, Margarete, um Dir die Gewißheit zu geben, daß ich meine große Sache zum Siege führe. Es paßt mir nicht, daß Herr Trenkmann auch nur in einem einzigen Stücke mir gegenüber seinen Willen behält. Und deshalb arbeiten meine Kolonnen seit 24 Stunden mit ganz neuen, von mir selbst entworfenen und in Berlin in fliegender Hast hergestellten Werkzeugen und schaffen heute das Anderthalbfache der Trenkmann’schen Kolonne. Bis zur kommenden Mitternacht werde ich seinen Vorsprung wettgemacht haben. Von da an bringt mir jede Stunde dreißig Zentimeter Gewinn. Ich werde Kali vor ihm schürfen und vor ihm muten.

Kurt Graditz hatte sich selbst an seinen Worten begeistert. Jetzt stand er auf.

Er ergriff ihre Hand und drückte sie kräftig und lange. Dann setzte er sich wieder ruhig auf seinen Platz.

„Und nun, Margarete, weißt Du, wie die Dinge stehen. Sie treiben in den Tagen zur Entscheidung. Wir stoßen vielleicht schon in der kommenden Nacht auf Kali. Es wird ein kurzer, aber heftiger Kampf sein. Eine scharfe Woche. Solltest Du die geringste Unannehmlichkeit im Hause Deines Schwager haben, steht Dir das Haus meiner Mutter sofort offen. Jetzt aber weg mit allen diesen Gedanken und Befürchtungen. Wenn die Schlacht da ist, werden wir kämpfen. Heute wollen wir diesen Sommernachmittag so genießen, als ob ich noch der kleine Beamte von Trenkmann wäre.

 

 

Fünfzehntes Kapitel.

Trenkmann hatte eine recht aufregende und unangenehme Woche hinter sich. Am Montag-Mittag war der Oberingenieur seiner Schutzbohrkolonne atemlos zu ihm gekommen und hatte ihm die unerfreuliche Meldung gemacht, daß eine Art Breccie, ein sehr hartes Gemisch von Feuersteinen, durch eine Art von Zementmörtel miteinander verbunden, vor dem Rohr seines Bohrlochs läge.

Im ersten Augenblick hatte Trenkmann an einen Streich seiner Konkurrenz gedacht, hatte die Möglichkeit erwogen, ob ihm nicht Graditz am Ende irgendwelches Hindernis in das Rohr geworfen hätte. Doch dann mußte er sich von seinem Oberingenieur überzeugen lassen, daß solche Hindernisse wohl vorkommen, und daß dies eine ganz natürliche Sache wäre.

Nun hieß es die Diamantenbohrer herunterbringen, und dies Hindernis erst in aller Ruhe aus dem Weg bohren. Das war eine böse Zeit gewesen. Volle achtundvierzig Stunden war die mit Diamanten besetzte schwere Bohrkrone, die an einem kirchturmlangen Gestänge in das Rohr hineinhing, auf dem bösen Hindernis hin und her gefahren. Dann erst war das etwa einen halben Meter starke Steingemisch durchbohrt. Schließlich ist ja natürlich Diamant härter als Feuerstein, und das Ende dieses Hindernisses war vorauszusehen.

Aber es hatte Zeit gekostet. Es hatte dem Generaldirektor achtundvierzig kostbare Stunden geraubt, und in jeder dieser Stunden war das Rohr von Graditz um rund einen Meter in die Teufe gegangen. Das war mehr als Kurt Graditz gebraucht hätte.

Am Donnerstag endlich war die Bohrkolonne Trenkmanns auf das Abraumsalz gestoßen. Sie durchfuhr die Karnallitschicht in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag und stellte ein sehr minderwertiges Lager fest. Schon am Freitag früh waren die Bohrer im Steinsalz, und am Freitag-Mittag hatte Trenkmann selbst seine Mutung auf dem Oberbergamt persönlich eingereicht.

Die formelle Erledigung seines Gesuchs mußte natürlich Tage und Wochen dauern. Aber ein guter Freund hatte ihm schon auf dem Amte vertraulich mitgeteilt, daß eine Mutung auf dasselbe Feld und ebenfalls auf Kali, durch Funde belegt, von Hegemann und Graditz eingebracht worden sei. Graditz war vor ihm fündig geworden.

Trenkmann knirschte, als er diese Nachricht bekam. Er verwünschte die Feuersteine in alle Tiefen der Hölle und verfluchte sein eignes Mißgeschick.

„Im übrigen, so hatte ihn jener Freund im Oberbergamt getröstet, „brauchen Sie sich darüber wirklich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Die Gerechtsame auf das Kalifeld wird zwar mit beinahe völliger Sicherheit Hegemann bekommen. Sie wissen ja, daß hier die frühere Zeit des Fundes ausschlaggebend ist, und Hegemann beziehungsweise Graditz haben das Kali nun einmal achtundvierzig Stunden vor Ihnen gefunden.

Aber Sie sehen ja aus Ihrer eignen Bohrung und Mutung, daß die Lagerung dort ganz schändlich ist. Sie haben in Ihren eignen Zechen eine mehr als hundert Meter starke Karnallitschicht, während hier stellenweise nur drei Meter liegen, die auch noch einen sehr geringen Kaligehalt besitzen. Wir zweifeln geradezu, ob dies Kalifeld überhaupt abbauwürdig ist, und es ist möglich, daß die Gerechtsame deshalb nicht erteilt wird, weil das Feld eben nicht abbauwürdig ist.

Sie wissen ja, Herr Generaldirektor, schloß jener Freund seine Ausführungen mit leisem Lächeln, „daß wir Ihnen gern gefällig sind, soweit wir es mit Recht und Pflicht irgendwie vereinbaren können. Es wird unter allen Umständen sehr lange dauern, bis diese neue Kaligerechtsame herauskommt, wenn sie überhaupt jemals herauskommt.

Durch diesen Bescheid nur wenig getröstet, war Trenkmann in sein Haus zurückgekehrt.

Zum erstenmal in seinem Leben hatte er eine offenkundige Niederlage erlitten. Zwar war es gewiß ein Pyrrhussieg für seinen Gegner. Er war sicher, daß Kurt Graditz an diesem Kalifeld nicht viel Freude haben würde. Aber daß es diesem Unverschämten überhaupt gelang, sich hier in Trenkmanns unmittelbarer Nähe derartig breit zu machen, sich gewissermaßen in seiner ureigensten Herrschaft festzusetzen, das wurmte ihn schwer.

So war das Mittagsmahl in gedrückter Stimmung vorübergegangen, und am Nachmittag hatte Trenkmann den D-Zug bestiegen, der ihn nach Berlin bringen sollte. Trennten doch nur noch zweiundsiebzig Stunden diesen Freitag vom ersten Juli.

Und noch immer war keine Einigung erzielt, noch immer kein neues Syndikat gebildet!

Hundertweis waren in diesen letzten Tagen die Briefe hin- und hergegangen. Zu einer ganzen Bibliothek war die Korrespondenz und das Aktenmaterial über das neue Syndikat angeschwollen.

Vermittler waren aufgetreten, ehrliche Makler, die sich redlich bemühten, den Zwiespalt zu bannen und die Interessengegensätze anzugleichen.

Aber es schien, als ob eine feindliche Macht im verborgenen tätig wäre, die den Friedensschluß immer wieder hinfällig machte. War man sich eben über gewisse Hauptgrundsätze einig, so erschien gewiß morgen oder übermorgen in dieser oder jener Zeitung ein Aufsatz, der haarscharf bewies, daß es für die Großzechen, oder ein andermal, daß es für die Kleinzechen der bare Unsinn und Selbstmord sei, auf diese Bedingungen einzugehen.

So drohte der Friede endgültig unmöglich zu werden. Der erste Juli stand vor der Tür, und mit ihm begann dann der Kampf aller gegen alle, wenn sich nicht noch in letzter Stunde eine Einigung ermöglichen ließ.

Es fehlte nicht an ehrlichen Kaufleuten, die einen solchen Krieg als ein Unheil für die ganze Industrie betrachteten und bestrebt waren, ihn mit allen Mitteln zu verhindern. Auch Hegemann gehörte zu diesen, und seiner einflußreichen Gruppe war es gelungen, die Vertreter der allermeisten Zechen zu einer Konferenz nach Berlin zu berufen, die am 29. Juni, einem Montag, ihren Anfang nehmen und gütlich den Frieden herbeiführen sollte.

Der Herr Generaldirektor Trenkmann hatte sich der Einladung zu dieser Konferenz nicht entziehen können. So fuhr er bereits am Freitag nach Berlin, um dort auch noch mancherlei andres zu erledigen.

Man schrieb den 30. Juni, und die zehnte Abendstunde war herangekommen.

„Meine Herren! sagte der Geheime Kommerzienrat Hegemann. „So kommen wir nicht weiter! Seit gestern früh stehen wir in den Verhandlungen! Die meisten von uns sind vollkommen erschöpft und noch immer ist kein Ende abzusehen.

Es handelt sich doch nur noch um geringe Unterschiede in den Beteiligungsziffern. Wenn die Großzechen ein klein wenig von ihren Forderungen ablassen, und wenn die Kleinzechen sich mit etwas weniger begnügen, so wird die Einigung ja doch möglich sein.

Ich lasse soeben noch einmal die von mir entworfene neue Beteiligungsliste durch meine Sekretäre übersichtlich zusammenstellen. In einer kleinen Stunde muß sie fertig sein. Ich schlage vor, daß wir die Sitzung bis dahin unterbrechen. Wir haben dann Zeit, uns ein wenig zu erholen und zu restaurieren und können mit frischen Kräften in die Nachtsitzung gehen. Fertig werden, meine Herren, muß das neue Syndikat heute, denn sonst hat morgen jeder freie Hand, und der Krieg aller gegen alle beginnt zum Schaden unsrer deutschen Industrie.

Lauter Beifall lohnte dem Redner, und schnell leerte sich der Saal. Die Teilnehmer der Konferenz waren nach der zweitägigen Aussprache mehr tot als lebendig und erwarteten sehnsüchtig irgendein endgültiges Abkommen.

Es war bereits ein Viertel nach elf, als der Saal sich allmählich wieder füllte. Die Teilnehmer hatten sich erfrischt, und die Kräfte waren wieder gestiegen.

„So will ich also hoffen, meine Herren, daß diese unsre letzte Sitzung der deutschen Industrie zum Segen gereichen möge, eröffnete der Vorsitzende die Versammlung. „Wir sind uns doch alle darüber einig, daß ein solches Syndikat eine Lebensnotwendigkeit ist.

Sobald Geheimrat Hegemann seine Ansprache beendigt hatte, meldete sich Trenkmann zum Wort.

„Ich erteile dem Herrn Generaldirektor der Gewerkschaft ,Gloria das Wort, sagte Hegemann.

Trenkmann erhob sich und schritt schwer und langsam zum Rednerpult. Einige Sekunden stand er dort wortlos. Dann begann er:

„Meine Herren! Es ist seitens des Herrn Vorsitzenden die Bemerkung gefallen, daß das Syndikat eine Lebensnotwendigkeit sei. Ich will diese Tatsache dem Herrn Geheimrat nicht bestreiten. Nur hat er leider versäumt hinzuzufügen, für wen es eine Lebensnotwendigkeit ist.

Für die Besitzer der kleinen Zechen ganz sicher. Es ist ja doch einleuchtend, ich möchte beinahe sagen gerichtsnotorisch, daß die kleinen Zechen ohne die Hilfe des Syndikats nicht marktfähig sind, daß sie im freien Wettbewerb einfach erdrückt werden würden …

Während dieser Ausführungen Trenkmanns ließen sich von der Seite der Kleinzechenbesitzer her Rufe des Unwillens vernehmen, die immer lauter wurden, immer mehr anschwollen.

„Ich bitte, mich ausreden zu lassen, meine Herren, sagte Trenkmann eisig kalt. „Nachher haben Sie ja Gelegenheit, Ihre schätzbare Meinung vorzubringen. Also wir sind uns darüber einig, daß das Syndikat für die Kleinzechen eine Lebensnotwendigst ist.

Für die Großzechen ist das Syndikat ganz sicher nicht als eine solche Notwendigkeit anzusehen. Das sage ich hier als Fachmann und kann es Ihnen ziffermäßig belegen. Wenn also der Herr Vorsitzende gemeint hat, daß das Syndikat für die deutsche Industrie eine Lebensnotwendigkeit sei, um bei diesen seinen Worten zu bleiben, so will er damit wohl sagen, daß die kleinen Zechen, die ohne das Syndikat sicher zugrunde gehen müssen, für die deutsche Industrie notwendig sind …

Wieder schwoll das Getöse im Saal bedenklich an, und wieder wurden unwillige Rufe laut. Doch Trenkmann fuhr ruhig fort:

„Darin aber kann ich dem Herrn Vorsitzenden nun ganz und gar nicht beipflichten. Ich bin der Meinung, daß diese Kleinzechen gar keine wirtschaftliche oder industrielle Notwendigkeit darstellen, daß sie vielmehr ebenso, wie jeder andre unwirtschaftliche und unfähige Betrieb, verdienen, zugunsten der stärkern und gut eingerichteten zugrunde zu gehen …

Laute Pfuirufe unterbrachen den Redner und machten ihm das Weitersprechen unmöglich. Jeder Versuch von ihm, noch ein Wort hervorzubringen, wurde durch Schreien und Trampeln übertönt.

Es dauerte wohl fünf Minuten, bevor es dem Vorsitzenden endlich gelang, die Ruhe wieder herzustellen und sich selbst mit Hilfe seiner Glocke Gehör zu verschaffen.

Trenkmann war ruhig neben das Rednerpult getreten und hatte seine Uhr gezogen. Sie zeigte in zehn Minuten zwölf. Ein befriedigendes Lächeln glitt bei dieser Feststellung über seine Züge, während er gleichzeitig den um ihn tobenden Lärm beobachtete.

Jetzt hatte sich Hegemann endlich Gehör verschafft.

„Ich muß es sehr bedauern, begann er, „daß der Herr Generaldirektor der Gewerkschaft ,Gloria die Aussprache auf einen derartigen persönlichen und feindlichen Ton gestimmt hat. Ich bitte ihn, bei seinen weitern Ausführungen tunlichste Sachlichkeit walten zu lassen, und ich bitte die verehrliche Versammlung, seinen weitern Ausführungen möglichst ruhig zu folgen.

„Meine Herren, fuhr Trenkmann fort. „Ich bedauere es gleichfalls, wenn meine Ausführungen irgendwie persönlich genommen worden sind. Ich habe dabei lediglich an die Sache gedacht, und ich wollte die Sachlage in voller Klarheit beleuchten, weil das für die Begründung meiner weitern Entschlüsse notwendig ist, die ich Ihnen nun kurz aussprechen werde.

Höher schien sich der Redner zu erheben, während er jetzt die folgenden Worte mit harter metallisch klingender Stimme wie eine Fanfare durch den Saal schmetterte.

„Meine Herren, ich bin nicht in der Lage, bin nicht gewillt, und habe es auch nicht nötig, auch nur um einen Deut von meiner bisherigen Beteiligungsziffer herunterzugehen. Ich kann ohne Syndikat existieren, und ich werde ohne Syndikat bestehen, ich werde ohne Syndikat große und gute Geschäfte machen, wenn Sie nicht unbedingt meine Forderung annehmen, meine Forderung auf unveränderte Beteiligungsziffern für mich. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe.

In diesem Augenblick begann die Wanduhr zum Schlage auszuholen. Langsam und tief dröhnend gab ihre Gongfeder zwölf dumpfe Schläge kund.

Die wenigsten der Anwesenden achteten darauf. Laute Rufe wie: „Unerhört! – schroffe Behandlung der Schwachen – – unglaubliche Überhebung und dergleichen schwirrten durch den Saal. Wiederum hatte der Vorsitzende seine liebe Not, die weitere Verhandlung möglich zu machen und Ruhe zu stiften.

Als endlich Stille eingetreten war, blickte Geheimrat Hegemann vergeblich im Saale nach Trenkmann umher. Der Bevollmächtigte der Gewerkschaft „Glori war verschwunden.

„Laßt den Kerl laufen, schrien einige besonders unwillige Kleinzechenbesitzer. „Er wird schon wiederkommen.

Und Trenkmann kam in der Tat wieder. Die Uhr zeigte zehn Minuten nach zwölf, als er wieder im Saal erschien. Irgendein Kleinzechenbesitzer hatte gerade das Wort und gab seiner Meinung Ausdruck, daß die Kleinzechen bei den von Hegemann aufgestellten Zahlen viel zu schlecht wegkämen.

Trenkmann hörte ihn in aller Ruhe an. Dann meldete er sich nochmals zum Wort.

„Meine Herren! begann er von neuem. „Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur noch einmal auf ganz kurze Zeit in Anspruch nehmen.

Ich möchte Ihnen die Tatsache mitteilen, daß die Uhr jetzt viertel eins ist. Seit einer Viertelstunde existiert kein Syndikat mehr. Seit einer Viertelstunde können wir alle Kali kaufen und Kali verkaufen, wie wir wollen.

Ein Raunen und Flüstern ging durch den Saal. Plötzlich wurde allen klar, daß das alte Dach, welches ihnen so lange Schutz und Hut gewährt hatte, nicht mehr bestand, daß es ja vertragsgemäß mit dem Glockenschlag zwölf zusammengefallen war.

Man hatte immer davon gesprochen, daß der nächste Tag ein syndikatsfreier Tag sein würde. Aber niemand hatte ernsthaft an jene juristische Auslegung gedacht, derzufolge jener Schutzverband mit dem zwölften Schlage der Mitternachtsstunde erlöschen würde.

„Meine Herren, fuhr Trenkmann ruhig fort. „Ich weiß nicht, wozu Sie Ihre Zeit hier in der letzten Viertelstunde benutzt haben. Ich vermute, Sie haben viele und schöne Reden über die Anmaßung der Großzechenbesitzer gehalten.

Aber es wird Sie trotzdem vielleicht interessieren, was ich in jener Viertelstunde getan habe. Es ist bald gesagt! Ich habe an das mir befreundete amerikanische Syndikat um fünf Minuten nach zwölf für eine Million Mark Kali verkauft.

Wieder durchtobte ein wilder Lärm den Saal. Man schrie – – man nannte Trenkmann einen Verräter an der guten gemeinsamen Sache und wollte ihm ernstlich zu Leibe.

Der Generaldirektor der Gewerkschaft „Gloria blieb unbeweglich neben dem Rednerpult stehen. Ruhig betrachtete er seine Uhr.

„Meine Herren, rief er plötzlich mit lauter, wohltönender Stimme, die jeden Lärm übertönte, „es ist zwanzig Minuten nach zwölf. Ich schließe die zweite Million ab.

Und wiederum verließ Trenkmann den Saal.

Jetzt wurde kein Laut mehr hörbar. Wenigstens eine Minute lastete schwüle Stille im Raum. Dann ging ein Getuschel und Geflüster los, wie in einem aufgescheuchten Bienenschwarm.

Hätten diese Leute, die ja jetzt in größter Erregung und Bestürzung durcheinander sprachen, freilich dem tatkräftigen Generaldirektor einen Boten nachgesandt, so würden sie gesehen haben, daß er ruhig in das benachbarte Restaurant ging und dort einen Kognak trank.

Trenkmann hatte es nicht mehr nötig, millionenweise abschließen. Er hatte zwei Minuten nach zwölf jenen wohl vorbereiteten Vortrag in Gegenwart eines zu dem Zweck in Bereitschaft gehaltenen Notars unterzeichnet, jenen Vertrag, der von der Lieferung von Kalisalzen im Werte von zweihundert Millonen Mark handelte. Er hatte durch jenen geistreichen aber gewissenlosen Schlag seinen Zechen den Hauptteil der amerikanischen Kalilieferung für die nächsten zehn Jahre gesichert. Jetzt lag ihm daran, das Syndikat für Deutschland in Gang zu bringen, wo es auch seiner Zeche nützte, und darum bluffte er gegen die Versammlung.

Als er wieder in den Saal trat, hielt er ein Papier in der Hand.

„Meine Herren, der Schlußschein über die zweite Million, sagte er. „Ich mache Sie nun darauf aufmerksam, daß ich um halb eins die dritte Million, um zwanzig Minuten vor eins die vierte Million und so weiter verkaufen werde. Ich bitte Sie aber, sich in Ihren Reden in keiner Weise durch mich stören zu lassen.

Jetzt wurde die Lage bedenklich. Bedenklich auch für die Großzechen. Dieser Höllenhund, dieser Trenkmann hatte sich offenbar vorzüglich eingedeckt und nahm ihnen das beste Geschäft vor der Nase fort. Eine kurze Besprechung der führenden Leute. Trenkmann stand ruhig beiseite und betrachtete seine Uhr.

„Entschuldigen Sie, meine Herren, aber ich muß … wollte er eben beginnen, als Hegemann auf ihn zutrat.

„Herr Trenkmann, Sie bekommen Ihre volle Beteiligungsziffer. Bitte wollen Sie nun den Vertrag unterschreiben?

„Es ist vierzig Minuten nach zwölf, Herr Geheimrat. Meine amerikanischen Freunde werden mich unehrlich nennen, wenn ich ihnen nicht die dritte Million verkaufe.

„Aber lieber Trenkmann, nun sperren Sie sich schon nicht, rief der Geheimrat und drückte ihm seinen Füllfederhalter in die Hand. „Unterschreiben Sie als erster den Vertrag und wir andern folgen sofort.

„Es ist wirklich eine Unehrlichkeit gegen meine amerikanischen Freunde, wiederholte Trenkmann. „Es ist zweiundvierzig Minuten nach zwölf, und sie könnten wohl verlangen, daß ich ihnen die dritte Million verkaufe, da das Syndikat um vierzig Minuten nach zwölf noch nicht bestand. Aber weil Sie es sind, mein verehrter Herr Geheimrat, weil ich weiß, daß auch Sie mir gern manchen Gefallen tun, so will ich jetzt den neuen Syndikatsvertrag unterschreiben, obwohl es schon zwei Minuten vor dreiviertel eins ist. Ich hoffe, Sie werden es den Amerikanern nicht verraten, daß ich erst nach zwölf Uhr vierzig unterschrieben habe.

Und mit fester Hand setzte der Generaldirektor und Generalbevollmächtigte seinen Namenszug unter den neuen Syndikatsvertrag. Der Notar, der auch hier unentbehrlich war, ließ in schneller Reihenfolge die andern Kaliinteressenten unterschreiben, und es war noch nicht halb zwei Uhr morgens, als die letzte Unterschrift vollzogen war und die Versammlung sich zum Aufbruch rüstete.

Trenkmann verließ den Saal als einer der letzten. Er wußte, er hatte heute um seine Existenz gespielt und etwas getan, was kaufmännisch nicht anständig war. Aber er glaubte, daß der Preis wohl den Einsatz wert sei. Er hatte für seine Werke den größten Teil der amerikanischen Kalieinfuhr gesichert, und er hatte sich danach für Deutschland weiter die angenehmen und ruhigen Absatzverhältnisse unter dem Schutze eines neuen Syndikats besorgt.

Auch der Herr Generaldirektor pfiff, als er nun als letzter den Versammlungssaal verließ. Aber es war nicht der fröhliche Pirolpfiff, den Kurt Graditz wohl zu pfeifen pfegte, sondern das Halali der Jäger, das geblasen wird, wenn das Wild erlegt ist.

 

 

Sechzehntes Kapitel.

Der Geheimrat Hegemann wollte sich gerade aus seiner Privatwohnung in sein Bureau begeben. Er hatte bereits den Hut in der Hand, und der Motor seines Automobils rasselte vor der Tür, als ein schriller Telephonruf ihn aufhorchen ließ. Es war 1½ Uhr mittags, und sein Privattelephon war für diese Zeit unmittelbar auf den Stand seines Börsenverkehrs in der Burgstraße geschaltet. Wenn der anrief, war etwas Besonderes los.

Der Geheimrat nahm den Hörer ab. „Hier Hegemann, sagte er kurz. „Hier Kunert, tönte es ihm aus dem Apparat entgegen. „Herr Geheimrat! es werden ganz unglaubliche Gerüchte an der Börse verbreitet. Trenkmann soll in der Nacht zum ersten Juli, während das Syndikat nicht bestand, für zweihundert Millionen Mark Kali an die ‚Agricultural Company‘ verkauft haben.

„Aber Sie irren sich, beschwichtigte der Geheimrat. „Wir alle wissen ja, daß er für zwei Millionen Mark verkauft hat. Da hat wohl irgendein unbeteiligter zweihundert Millionen draus gemacht.

„Aber nein, Herr Geheimrat, daß wissen wir ja alle von den zwei Millionen. Aber das soll ja gerade der Riesenbluff von ihm gewesen sein, daß er in Wirklichkeit über zweihundert Millionen abgeschlossen hat. Wir haben unmittelbare Kabelnachrichten aus New York. Die Aktien der ‚Agricultural Company sind an der gestrigen Börse in New York auf diesen Abschluß hin um hundert Prozent gestiegen, und die Kuxe der Gewerkschaft ‚Gloria steigen seit einer Stunde andauernd, während sämtliche andern Kaliwerke zurückgehen.

„Wie stehen die Gloriakuxe augenblicklich, fragte Hegemann.

„Sie werden eben mit 4800 angeboten und glatt genommen. Beim Beginn der Börse standen sie noch 3800.

„Ich komme selbst zur Börse, Schluß, rief Hegemann.

Er hängte den Apparat an und eilte zu seinem Kraftwagen.

Eine Viertelstunde später trat Hegemann zu seinem Börsenvertreter.

„Wie steht es? fragte er ihn.

„Die Gloriakuxe steigen andauernd. Sie stehen jetzt 4800. Es hat sich in vollem Umfang bewahrheitet, daß Trenkmann für zweihundert Millionen nach Amerika abgeschlossen hat.

Der Geheimrat Hegemann setzte sich in den bequemen Sessel seines Börsenvertreters und während um ihn her der Lärm von tausend Geboten und Verkäufen durch den Raum schwirrte, begann er ruhig zu rechnen und zu überlegen. Er wußte, daß die „Gloria-Gewerkschaft in 5000 Kuxe zerfiel. Es ist ja das Eigentümliche im Bergrecht und im Bergwerksbetrieb, daß dort für die Kapitalsbeschaffung nicht Papiere auf einmalige feste Beiträge, d. h. Aktien, ausgegeben werden. Irgendeine Aktiengesellschaft, welche mit einem Kapital von fünf Millionen Mark beispielsweise arbeiten will, gibt fünftausend Aktien aus, deren jede über tausend Mark lautet. Die bergbautreibende Gewerkschaft hingegen gibt Kuxe aus, die auf keinen festen Betrag, sondern auf einen bestimmten Anteil an der Gewerkschaft lauten. Solange Gewinn da ist, bekommen die einzelnen Gewerken, d. h. die Besitzer der Kuxe, davon ihren Anteil. Sobald aber Verlust eintritt oder sobald die Gewerkschaft neues Kapital braucht, müssen die Gewerken auch Zubußen leisten. Zubußen, deren Höhe in keiner Weise beschränkt ist.

So ist der Kux ein gefährliches Ding. Er kann wohl viel bringen. Er kann aber auch viel fressen.

Das alles überlegte Hegemann in diesem Augenblick, und dann überschaute er die weitere Entwicklung. Die Börse bewertete jetzt den einzelnen Kux von der „Gloria-Gewerkschast mit 4800 Mark. Sie schätzte also die fünftausend Kuxe, d. h. das gesamte Trenkmann’sche Unternehmen auf 24 Millionen Mark ein. Er war sich klar, daß diese Schätzung sicher noch steigen würde. Wenn Trenkmann an diesen zweihundert Millionen Mark auch nur zehn v. H. verdiente, dann hatte er einen Gewinn von 20 Millionen Mark. Dann bekam jeder Kux den fünftausendsten Teil davon, d. h. 4000 Mark, und dann war ein Kursstand von wenigstens sieben bis achttausend Mark durchaus gerechtfertigt.

Dann aber sah Hegemann weiter. Er glaubte fest annehmen zu dürfen, daß sich die deutsche Industrie und die deutsche Regierung diesen Streich nicht gefallen lassen würden, daß sie Mittel und Wege zur Abwehr finden würden. Dann aber traten schlimme Verhältnisse für Trenkmann und seine Gewerkschaft ein. Dann stand er zwischen den Amerikanern und den deutschen Verhältnissen wie zwischen Baum und Borke und mußte irgendwie notleidend werden. Dann mußte auch der Kurs seiner Kuxe gewaltig heruntergehen.

Und als Hegemann dies alles erwogen hatte, da stand er auf und sagte zu seinem Vertreter:

„Warten Sie noch ein bis zwei Tage und verkaufen Sie dann ultimo September zu möglichst hohen Kursen, unter allen Umständen zu wenigstens 7000.

Es war ein gewagtes Differenzgeschäft, welches Hegemann hier unternahm. In der Tat war es nichts andres als eine Wette.

Hegemann verpflichtete sich seinen Kontrahenten gegenüber, Gloriakuxe, die er einstweilen noch gar nicht besaß, am letzten September zum Preise von 7000 zu liefern. Seine Kontrahenten verpflichteten sich, diese Kuxe zum Preise von 7000 am letzten September abzunehmen, obwohl sie heute über den wirklichen Kurs an jenem letzten September natürlich noch gar nichts wissen konnten.

Was war das anders als eine Wette. Hegemann wettete eben, daß die Kuxe Ende September billiger sein würden, etwa nur 3000 oder 4000, stehen würden. Dann konnte er sie ja zu diesem Preise am vorletzten September kaufen und am letzten September mußten sie ihm seine Kontrahenten für 7000 abnehmen.

Diese Kontrahenten dagegen gingen von der Meinung aus, daß die Kuxe am letzten September höher als 7000 stehen würden. Dann mußte sie ihnen Hegemann für 7000 liefern, und sie konnten sie noch denselben Tag für 9000 oder 10000 verkaufen.

Ein solches Differenzgeschäft auf den letzten Septembertermin gab der Geheimrat seinem Börsenvertreter in Auftrag. Dann kehrte er in sein Bureau zurück.

Es waren noch nicht drei Tage ins Land gegangen, da hatte Hegemann in diesem Sinne 3000 Kuxe verkauft. Unter den Käufern stand an erster Stelle und mit dem weitaus größten Betrage der Generaldirektor Trenkmann.

* * *

In Tiefensalzach ging die Welt ihren gewohnten Gang weiter. Soweit die ehrsamen Bürger auswärtige Zeitungen lasen, und dem Handelsteil und Börsenbericht ihre Aufmerksamkeit widmeten, fanden sie jetzt den Namen ihrer guten Stadt, denjenigen der „Gloria-Gewerkschaft und endlich auch den des Generaldirektors Trenkmann auffallend oft erwähnt. Das eigne Blättchen dagegen hatte bis jetzt noch nicht ein Sterbenswörtchen davon gebracht.

Aber Herr Albert Neubert fühlte selbst, daß das so nicht weiter gehen könne. Sein Blatt mußte in Verruf kommen, wenn es offenkundige Dinge so weiter unbeachtet ließ. Schon jetzt behaupteten einige Spötter und Leckermäuler in Bezug auf das Verhältnis der Redaktion zum allmächtigen Generaldirektor, daß das Blättchen es allzu sehr mit der russischen Regierung halte. Das mußte anders werden.

Deswegen stand Herr Albert Neubert heute im Schmuck eines ein wenig widerhaarigen Zylinderhuts und eines Bratenrocks, den der Dichter mit Recht als ein glänzendes Kleidungsstück bezeichnen konnte und ganz besonders in der Nähe der Nähte, im Bureau des gewaltigen Trenkmann.

„Also, mein Lieber! sagte Trenkmann. „Es ist gut von Ihnen, daß Sie über diese Dinge bis jetzt nichts gebracht haben. Zur Belohnung dafür gebe ich Ihnen jetzt hier diesen Artikel. Sie können ihn wörtlich mit der hier angegebenen Spitzmarke bringen: ein genauer Kenner der Verhältnisse, der selbst zu den Großgewerken der Gloria-Gewerkschaft gehört, schreibt uns über die Amerikaverkäufe der Gewerkschaft wie folgt: …

Sie können sicher sein, lieber Neubert, daß dieser Aufsatz durch die ganze Presse gehen und Ihrem Blatt zu bedeutendem Ansehen verhelfen wird.

„Ich danke Ihnen tausendmal, Herr Generaldirektor, erwiderte Neubert mit einer tiefen Verbeugung … Und dann hätte ich noch eine Frage: wie sollen wir es mit der Mutung von Graditz halten?

„Schweigen Sie den Kerl heute noch tot. Ich werde Ihnen übermorgen auch darüber ein Feuilleton geben. Es ist natürlich lächerlich, daß der Mensch da ein elendes Kalilager erbohrt. Ich hätte ihm ja die Mutung wegnehmen können, da ich natürlich früher als er im Kali war. Ich war am Sonnabend im Karnallit. Graditz kam erst am Mittwoch hin. Da ich die Sache aber gar nicht abbauwürdig fand, habe ich es vorgezogen, erst gar nicht zu muten.

Das war nun zwar eine ganz gemeine, knüppeldicke Lüge, und Herr Albert Neubert wußte sehr wohl, daß der Gewaltige jetzt zu schwindeln geruhte.

Er machte aber trotzdem eine unterwürfige Verbeugung und sagte: „Sehr wohl, Herr Generaldirektor, es ist eine große Ehre für unser Blatt, daß Sie uns mit Ihren so wertvollen und sachkundigen Unterweisungen beehren.

„Aber das geschieht gern, geschieht sehr gern, lieber Neubert, erwiderte Trenkmann und wollte damit die Audienz beschließen.

Aber der Redakteur zögerte noch.

„Ich hätte noch eine Frage oder Mitteilung, Herr Generaldirektor, hub er wiederum an. „Sie bestätigten meine Eigenkenntnis davon, daß Graditz am Mittwoch … und zwar wäre das vergangenen Mittwoch vor vierzehn Tagen gewesen, das Kali geschürft und sofort gemutet hat.

„Allerdings, so ist es, entgegnete Trenkmann ein wenig befremdet.

„Dann brauchte er doch nicht weiter zu bohren, meinte Neubert. „Dann könnte er doch aufhören.

„Aber fragen Sie doch nicht so unklug, rief Trenkmann unwillig. „Natürlich hat er sofort aufgehört. Denken Sie etwa, es ist ein Vergnügen für Herz und Portemonnaie, in hundertdreißig Metern Teufe zu bohren? Da kostet jeder Meter eine Stange Gold. Der hat natürlich aufgehört, sobald er sein Kali hatte.

„Verzeihen Sie gütigst, sagte jetzt der Redakteur und er konnte trotz aller Mühe die Freude darüber nicht verbergen, daß er mehr wußte, als der allmächtige Generaldirektor …

„Verzeihen Sie gütigst, aber ich weiß bestimmt, daß Graditz bis vorgestern weiter gebohrt hat. Das sind gerade vierzehn Tage über jenen Mittwoch hinaus.

„Ganz unmöglich, rief Trenkmann.

„Ich würde es nicht sagen, beteuerte der Redakteur, „wenn ich es nicht so genau wüßte. Herr Graditz schrieb mir vor einigen Tagen, daß ich mir meine Uhr bei ihm abholen solle. Da habe ich selbst die Bohrleute noch bei voller Arbeit gesehen. Und dann hörte ich heute morgen, daß seit Mittwoch nicht mehr gebohrt wird.

Trenkmann ging ein paarmal kopfschüttelnd im Zimmer auf und ab.

„Mein lieber Herr Neubert, sagte er endlich, „Sie wissen, daß ich mich für wertvolle Nachrichten stets erkenntlich zeige. Ich werde Ihren Mitteilungen auf den Grund gehen. Wenn sie zutreffen, so sollen Sie nicht zu kurz kommen.

Er hielt dem Redakteur eine seiner Importzigarren hin, und damit war diese Besprechung nun endgültig erledigt.

Eine Weile blieb Trenkmann sinnend vor seinem Schreibtisch sitzen. Dann trat Brederoff hinein und brachte ihm die Nachmittagspost. Alles private Briefe, die an ihn persönlich und privatim adressiert waren und daher von den Beamten der Zechen nicht geöffnet werden durften.

Der erste Brief, das sah er schon am Monogramm des Kuverts, kam vom Vorsitzenden seines Aufsichtsrats. Schnell zerriß er den Umschlag und faltete den Brief auseinander. Während des Lesens verfinsterte sich seine Miene.

In der Tat war der Inhalt nicht allzu erfreulich. Er las:

Mein lieber Trenkmann!

Ich fürchte allen Ernstes, daß sie mit der Agricultural Company zu weit gegangen sind. Die Aufregung in der ganzen Industrie ist ungeheuer. Und was noch schlimmer ist, die Ministerien sind empört, die Reichsämter, soweit sie die Sache betrifft, sind aufgeregt, und im Reichstag sind böse Anfragen zu erwarten. Aus vertraulichster Quelle erfahre ich, daß die Regierung ein besonderes Gesetz an den Reichstag bringen will, durch das ein neues Syndikat zwangsweise eingeführt werden soll. Man will dabei so weit gehen, auf Lieferungen, die außerhalb des Syndikats abgeschlossen wurden, eine besondere und ziemlich hohe Steuer zu legen. Das Gesetz soll dem Reichstag als erste Vorlage sofort im Oktober zugehen. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, in den kommenden zwei Monaten zu fördern und nach Amerika zu schicken, was Sie überhaupt aus den Gruben herausholen können. Denn ich fürchte, nach der Annahme des Gesetzes, die jedenfalls noch im Oktober erfolgen wird, dürfte die Extrasteuer jeden Nutzen aus diesem Geschäft verschlingen. Sie haben es gut gemeint, mein lieber Trenkmann, aber Sie haben das alte Wort vergessen, daß allzu scharf schartig macht. Falls Sie etwa Hausse-Engagements in Gloriakuxen zu laufen haben, empfehle ich Ihnen, sich beizeiten einzudecken.

Ich verbleibe in alter Freundschaft Ihr

Gulgenheimer.

Mißmutig warf Trenkmann diesen Brief zur Seite.

„Angsthasen, sagte er dabei. „So schnell schießen die Preußen nicht. So schnell beschließt auch der Reichstag nicht. Und ob er überhaupt solch unsinniges Gesetz beschließt, wollen wir erst abwarten.

Er ergriff einen zweiten Brief und erbrach ihn. Das Schreiben kam von jenem Freunde im Oberbergamt, der ihm bereits in der Angelegenheit der Graditz’schen Kalimutung jenen wohlwollenden Bescheid gegeben hatte. Es lautete:

Sehr geehrter Herr Generaldirektor!

Ich bin heute in der Lage, Ihnen eine erstaunliche und für uns alle aufs höchste überraschende Mitteilung zu machen. Die Herren Hegemann und Kurt Graditz haben heute auf dasselbe Feld, auf das sie bereits Kali gemutet hatten, eine neue Mutung auf Eisen vorgebracht. Sie legten Schürfproben bei, die geradezu großartig sind.

Die Herren hatten bekanntlich von hundertfünfzig bis hundertsiebzig Meter Salze geschürft. Sie haben dann bis zweihundertfünfzig Meter weiter gebohrt und sind dort auf ein Eisenerzlager gestoßen, dessen Mächtigkeit noch nicht bekannt ist, aber jedenfalls sehr bedeutend sein wird. Die Schürfproben zeigen ein vorzügliches, von Phosphor und Schwefel gänzlich freies Eisen.

Diese Mutung dürfte jedenfalls sehr schnell zur Erteilung einer Berggerechtsame auf Eisenbau führen, und dann bedeutet die Gruppe Hegemann-Graditz eine neue mächtige Gewerkschaft. Ich gebe Ihnen diese Nachrichten ohne jede Erläuterung.

Stets gern zu Ihren Diensten zeichne ich

als Ihr sehr ergebener

E. Schmidt.

Trenkmann war beim Lesen dieser Zeilen abwechselnd rot und blaß geworden. Jetzt lehnte er sich in seinen Sessel zurück, während seine Rechte gedankenlos den Brief zerknüllte.

Traf diese Nachricht zu, und sie mußte wohl zutreffen, da sie von bestunterrichteter Quelle kam, dann war die Sachlage gründlich verschoben. Dann waren die Herren Hegemann und Graditz allerdings auch in Tiefensalzach eine Macht, mit der man sehr stark rechnen mußte. Dann baute sich neben der Salzgewerkschaft eine Eisengewerkschaft auf, und alle Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß das Eisen den ersten Platz vor dem Salz beanspruchen würde.

Verzweifelt faßte sich Trenkmann an die Stirn. Wer hätte auch auf diese geologische Unwahrscheinlichkeit verfallen sollen, daß hier Eisen dicht neben dem Salz vorkommen würde. Wer hätte daran denken sollen, daß dieser Graditz etwas ganz andres suchte, als er zu suchen schien.

„Und doch hätte man daran denken müssen, stöhnte Trenkmann, während er mit der Faust auf den Tisch schlug „Nach dieser Erfahrung mit dem Vertrage hätte ich auf etwas Besonderes gefaßt sein müssen. Hätte ich doch nur weiter gebohrt.

Als Trenkmann an diesem Abend sein Bureau verließ, um zu seinem Schloß zu gehen, schien er um Jahre gealtert zu sein.

 

 

Siebzehntes Kapitel.

 

Man schrieb den 28. August des Jahres 19…

In Tiefensalzach hatte sich in den letzten acht Wochen mancherlei geändert. Wenn die Abende am Stammtisch im Braunschweiger Hof früher bisweilen ein wenig stumpfsinnig gewesen waren, so brauchten sich die Honoratioren jetzt um den Gesprächsstoff nicht zu sorgen.

Beinahe jeder Tag brachte neue Überraschungen. Da war zuerst die wundersame Kunde gekommen, daß die Herren Hegemann und Graditz auf ein gewaltiges Eisenerzfeld gemutet hatten.

Kurt Graditz, jener Bohémien und Phantast, jener unbegreifliche Mensch, dem die biedern Spießbürger früher das allerschlechteste Ende geweissagt hatten, war mit einem Schlage ein hochangesehener Zechenherr und ein Gewerke geworden, der ebenso mächtig dastand, wie Trenkmann.

Und auf jene Eisenmutung war wenige Wochen später die offizielle Gründung der neuen Eisengewerkschaft erfolgt. „Gloria hatte man sie genannt, so daß jetzt zwei Gewerkschaften des gleichen Namens in Tiefensalzach bestanden. Die Salzgewerkschaft und die Eisengewerkschaft.

Eine ganze Seite hatte der Gründungsprospekt eingenommen, den das Blättchen von Tiefensalzach ebenfalls zur Veröffentlichung erhielt. In 10 000 Kuxen hatte die neue Gewerkschaft ein Gründungskapital von 10 Millionen Mark. Aber von diesen Kuxen war kein einziger in fremde Hände gekommen. Hegemann und seine Gruppe hatten die Gründung in sich gemacht. Jene neuen Kuxe lagen in Berliner Geldschränken, und die neue Gewerkschaft besaß ein glattes Bankguthaben von 10 Millionen Mark.

Und dieses Geld kam jetzt unter die Leute.

Auf dem Schmidthof draußen hatte die Idylle aufgehört. Hunderte von Arbeitern wohnten dort in Wellblechbaraken. Deutsche, aber daneben auch Rumänen, Italiener und Polen.

Unter der Oberaufsicht von Kurt Graditz wurde dort der erste große Förderschacht der neuen Eisengrube abgeteuft. Und über Tage waren Maurer und Zimmerleute an der Arbeit, die Bureaugebäude der neuen Grube zu errichten, die Maschinenhäuser aufzubauen und die Grundmauern zu fünf gewaltigen Hochöfen zu legen, in denen das hier gewonnene Eisenerz sofort auf Roheisen verhüttet werden sollte. Fieberhaftes Leben pulsierte dort draußen, wo noch vor wenigen Monaten ein paar Kühe und Pferde geweidet hatten. Schon stand ein Teil der elektrischen Zentrale, und auch zur Nachtzeit erhellten Hunderte von Bogenlampen das weite Zechenfeld der neuen Gewerkschaft.

Wenn der Generaldirektor Trenkmann an diesen schon merklich kürzer werdenden Augustabenden sein Bureau verließ, um in sein Schloß zu gehen, dann leuchtete von dort drüben, von der Eisengewerkschaft her ein heller Schein am Himmel, ein weithin sichtbares Feuerzeichen, daß auch dort die Arbeit in der Nacht nicht ruhte, daß dort Männer am Werke waren, die unabhängig von Trenkmann großen Zielen nachgingen und im Begriff standen diese Ziele auch wirklich zu erreichen.

Aber auch Trenkmanns Betriebe gaben dem Stammtisch im Braunschweiger Hof gar mancherlei zu erzählen. Seit dem Juli arbeiteten dort die Siemens-Kolonnen ununterbrochen mit Tag- und Nachtschichten. Ein Schacht nach dem andern bekam die neuen elektrischen Fördermaschinen, die so sehr viel mehr schaffen sollten, als die Dampf-Fördermaschinen.

Wenn das Gespräch am Stammtisch auf diese Maschinen kam, dann wurde Herr Albert Neubert geradezu wehmütig.

„Meine Herren, pflegte er dann zu sagen, „meine Herren, wie gerne möchte ich Ihnen Näheres von diesen Maschinen erzählen. Aber leider habe ich meinem lieben Freunde, dem Generaldirektor Trenkmann, das Versprechen gegeben, über das Geheimnis dieser Anlagen tiefstes Stillschweigen zu bewahren.

Und während sich die Anwesenden von der Wucht dieser gewaltigen Großtuerei nur langsam erholten, tat der geschäftige Redakteur einen tiefen Zug aus seinem Glase, zündete sich eine seiner Zigarren an und fächelte sich den Rauch wohlgefällig in die Nase.

„Mein Freund Trenkmann führt ein gutes Kraut, fuhr er bedeutungsvoll fort, „ja aber, was ich über diese elektischen Fördermaschinen sagen wollte. Das ist eine großartige Erfindung. Während die Dampfmaschine sich noch besinnt, und schwer keucht und ganz langsam puff puff sagt und die Förderschale so allmählich in die Höhe zu winden beginnt, gehen diese elektrischen Fördermaschinen los wie die leibhaftigen Teufel. Ich sage Ihnen, meine Herren, eine leichte Bewegung des Maschinisten an einem winzigen Hebel, und im selben Augenblick rast die Schale schon mit Kurierzugsgeschwindigkeit den Schacht entlang. Es ist geradezu wundervoll, die Anlagen in Betrieb zu sehen.

Und dann strich sich Herr Neubert wohlgefällig den Bauch und prostete seinem Nachbar, dem Apotheker, zu.

Die am Tisch Sitzenden glaubten ihm unbedingt. Hatte ihn doch neulich erst einer zum Schachthause der Gewerkschaft „Gloria gehen sehen. Das sprach entschieden für die Wahrheit seiner Erzählung. Daß freilich der alte Maschinenmeister Lorenz ihn gleich darauf abgefaßt und zum Tempel hinausgeworfen hatte, das war nicht sichtbar geworden, und Herr Neubert legte keinerlei Wert darauf, es selbst zu erzählen.

Denn Trenkmann wünschte nicht, daß über den internen Betrieb seiner Gewerkschaft irgend etwas bekannt würde. Der Zechenhof war strenger denn je verschossen. Nur aus Zeichen konnte man mancherlei deuten.

Tag und Nacht waren die gewaltigen Seilscheiben der neuen Fördermaschinen hoch oben auf den vier Fördertürmen in kreisender schwindelerregender Drehung. Unaufhörlich tauchten im wahnwitzig schnellen Spiel die Förderschalen nieder, um schwer mit Karnallit beladen wieder über Tage zu erscheinen.

Der Oberingenieur Fredersen von der Firma Siemens hatte die vierte und letzte Fördermaschine bereits am 20. Juli übergeben. Er hatte Übermenschliches geleistet und seine Leute waren dem Zusammenbrechen nahe, als er in jener Nacht gegen 11 Uhr die Anlage dem Generaldirektor übergab. Trenkmann hatte kaum ein Wort des Dankes gefunden. Er hatte ein paar kurze Probefahrten machen lassen und dann dem Obersteiger den kurzen scharfen Befehl gegeben, die volle verstärkte Förderung auch auf diesem Schacht bereits mit der um 12 Uhr anfahrenden neuen Belegschaft aufzunehmen.

„Schlafen Sie sich aus, Herr Fredersen, hatte er sich dann an den Oberingenieur gewandt. „Sie und Ihre Leute. Sie bleiben die nächsten Tage auf Rechnung der Gewerkschaft mit der ganzen Kolonne unter allen Umständen noch hier, damit wir Ergänzungsmannschaften haben. Die Förderung darf keine Stunde ruhen.

Seit jenem Tage war der Betrieb auf allen vier Schächten Tag und Nacht in einer Weise gegangen, als ob ein Fieber die ganze Gewerkschaft ergriffen hätte.

Der Kundige konnte es an dem rasenden Spiel der Förderscheiben auf den Turmkronen lesen.

Und auch das Rasseln der unendlich langen Güterzüge sprach eine beredte Sprache. Tag und Nacht kamen Züge von 150 und mehr Achsen mit doppelter Maschinenbespannung in den Zechenhof gefahren. Tag und Nacht kippten die Arbeiter von den Ladebühnen die Grubenwagen, welche die Fördermaschinen zutage gebracht hatten, in die offenen Güterwagen.

10000 Kilo Karnallit nahm jeder Wagen mit, und wenigstens 50 Wagen hatte jeder Zug. Wenn nach wenigen Stunden die schweren Güterzugmaschinen sich stöhnend und keuchend in Bewegung setzten, und beim blassen Scheine der Bogenlampen oder unter den hellen Strahlen der Augustsonne die lange Wagenreihe vom Zechenhof herunter und auf die Gleise der Staatsbahn schleppten, dann zogen sie eine halbe Million Kilogramm Kalisalze hinter sich her.

Und solcher Güterzüge kamen gar manche an jedem Tag.

Tiefensalzach war mit fremden Arbeitern überfüllt. Trenkmann hatte die Belegschaft seiner Grube reichlich vervierfacht. Aus allen Teilen der Welt hatte er durch tüchtige Agenten Bergleute werben lassen, und er, der sonst in Lohnfragen unerbittlich war und um Unterschiede von Pfennigen einen Streik nicht scheute, hatte anstandslos die sämtlichen Forderung seiner alten und neuen Belegschaften gewährt.

Ja, er war noch weiter gegangen und hatte ein fein ausgeklügeltes Prämiensystem eingeführt, so daß der Verdienst der Leute nicht nur mit der Förderung stieg, sondern daß es für besondere Leistungen darüber hinaus noch Sonderbelohnungen gab. Dies System spornte die Leute an, die letzten Kräfte herzugeben, den letzten Hauch an die Arbeit zu setzen.

In diesen letzten zwei Monaten war mehr Kali aus dem Felde der Gewerkschaft „Gloria gebrochen und gefördert worden, als sonst wohl in einem Jahre.

Draußen auf dem Schmidthof arbeiteten die Belegschaften der Eisengewerkschaft mit voller Anstrengung. Aber in der Kaligewerkschaft schaffte man wie im höchsten Fieberanfall.

Wer die Schiffslisten von Hamburg und Bremen verfolgte, der fand immer wieder den ständigen Satz:

„Mit Kali nach New York.

Wohl wechselten die Namen der vorhandenen Firmen, aber die Schiffskanossemente jener Frachten, die amtlichen Papiere lauteten immer auf die Agricultural Company als Empfängerin auf die Gewerkschaft „Gloria als Absenderin.

Man mußte zugeben, daß Trenkmann den Rat Gulgenheimers befolgte und seine Zeit weidlich ausnutzte.

Aber er hatte auch allen Grund dazu. Schon ballten sich für ihn bedrohliche Gewitterwolken zusammen. Die gewaltige Erregung, die sein amerikanischer Abschluß überall hervorgerufen hatte, hatte sich zu einem Gesetzentwurf verdichtet, der einstweilen zwar noch im Reichsamte ruhte, dessen Einzelheiten ihm aber durch gute Freunde unter der Hand bekannt geworden waren. Da fand sich ein ganz böser Satz. Die gelieferte Kalisalzmenge, die aus solchen außersyndikatlichen Verträgen herrührte, sollte jedem Mitglied auf die Beteiligungsziffer angerechnet werden. Und noch mehr. Für Kalimengen, die über die regelrechte Beteiligungsziffer hinaus geliefert wurden, sollte das Werk eine Vergütung an das Syndikat zahlen. Dieser Paragraph konnte recht bösartig werden. Ging das Gesetz im Herbst in dieser Form durch, und alle Anzeichen sprachen dafür, daß es durchgehen würde, dann befand sich die Gewerkschaft „Gloria in einer schlimmen Lage. Dann ging ihr nicht nur jeder Gewinn verloren, sondern sie mußte unter Umständen derartige Bußen zahlen, daß der Fortbestand der Gewerkschaft überhaupt gefährdet erschien.

Es war eine böse und aufregende Zeit für Trenkmann.

Während er noch mit allen Kräften bemüht war, durch eine übernatürliche Anstrengung aller Kräfte und Betriebsmittel wenigstens einen großen Teil seines Abschlusses vor dem Inkrafttreten des Gesetzes nach Amerika zu verschiffen, zog die Gefahr auch von einer andern Seite herauf.

Die Börse hatte längst aufgehört, die Gloriakuxe so überschwenglich zu bewerten, wie in jenen ersten Tagen nach dem Abschluß. Der Kurs war trotz der glänzenden Verschiffungsberichte der Zechen langsam, aber sicher zurückgegangen, weil man auch an der Börse die große Gefahr erkannte, welche das kommende Gesetz gerade für die „Gloria-Gewerkschaft bedeutete. Wenn es nun am Ultimo August schon so schlecht um die Kurse aussah, so war zu fürchten, daß es am letzten September noch viel schlimmer werden könnte, und darüber war sich Trenkmann vollkommen klar: Gingen die Kurse der Gewerkschaft „Gloria in diesem Monat auch nur noch um weitere tausend zurück, dann kostete ihm die Regelung seiner Verpflichtungen an Hegemann die größere Hälfte seines Vermögens, dann war er nicht mehr der reiche Mann wie bisher.

Kein Wunder, wenn die Stimmung des Generaldirektors in jenen Augusttagen nicht eben rosig war.

 

 

Achtzehntes Kapitel.

Schon seit einer Stunde befand sich Frau Generaldirektor Trenkmann mit ihrer Schwester Margarete in einer Konferenz, bei der sie beide in gleich starker Weise interessiert waren.

Margarete hatte in den letzten Wochen mit Kurt Graditz nur brieflich im Verkehr gestanden. Bei der großen Arbeitslast, die Graditz zu bewältigen hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, sie zu sehen.

In einem Briefe, den Margarete von Gerolsheim am verflossenen Abend erhielt, hatte er ihr mitgeteilt, daß er hiermit offiziell um ihre Hand anhalte und sie bäte, diesen Brief ihrer Schwester zu zeigen.

„Du bist zwar mündig, Margarete, lautete der letzte Satz in diesem Briefe, „aber der Liebe wegen, welche Du zu Deiner ältern Schwester hegst, und dann auch der Verehrung wegen, die ich der prächtigen Frau entgegenbringe, wollen wir beide bei ihr um das Jawort für unsre Verbindung bitten.

Diesen Brief hatte Margarete am frühen Morgen ihrer Schwester überreicht.

Über das schöne Gesicht der ältern Schwester huschte r einen kurzen Augenblick ein schwerer Schatten. Gleich darauf aber schüttelte sie unmutig den Kopf und sagte:

„Lächerlich, daß ich mir soeben einen Vorwurf machte, daß ich eigentlich Euch beide zusammen gebracht habe. Nein – im Gegenteil – ich beglückwünsche mich, daß ich das getan habe.

Margarete erstaunte.

Sie verstand den Gedankengang ihrer ältern Schwester nicht. Sie hatte sich auf bittere Vorwürfe gefaßt gemacht, und statt dessen sagte die Schwester, daß sie sich glücklich schätze, daß sie Kurt Graditz mit ihr bekanntgemacht habe.

„Du siehst mich verwundert an, mein Kind, sprach die schöne Frau weiter, „aber wie die Dinge jetzt liegen, kommt mir das sehr erwünscht. Dieser Kurt Graditz ist eine Persönlichkeit, die mir Achtung einflößt, sogar mehr Achtung einflößt, als mein eigner Mann.

Streichelnd fuhr sie mit ihrer weichen Hand über den Arm Margaretens, sah ihr mit liebevollem Blick ins Gesicht, das von wechselnder Röte bedeckt wurde, und sprach dann weiter:

„Brauchst nicht eifersüchtig zu sein, mein Kind.

„Aber liebste Lore – – – …

„Sieh mal, was ich da sagte, hat seine volle Berechtigung. Eberhard Trenkmann, welcher ähnlich wie Kurt Graditz sich aus eigner Kraft emporgearbeitet hat, fand im Gegensatz zu Kurt Graditz bedeutend günstigere Bedingungen. Er hatte nicht gegen den Unverstand einer großen Menge zu kämpfen. Mein Gott! ich leugne es gar nicht, so angenehm, wie mir Kurt Graditz mit seinen künstlerischen Ideen war, ich empfand doch oft eine Belustigung, wenn ich die Hoffnungen und Wünsche, die er für die Zukunft hegte, mit anhören mußte. Ich hätte ihn wohl ausgelacht, hätte nicht aus seinem Gesicht, nicht aus seinen Augen mir ein glühender Ernst edelster Begeisterung für seine Sache entgegengeleuchtet. Meine liebe Margarete, Kurt Graditz ist heute ein Mann. Ein Mann, der, soweit ich alles übersehe und soweit ich mich aus den Äußerungen von Eberhard unterrichtete, auf dem besten Wege ist, in kürzester Zeit aus diesem Boden unter uns Schätze zu heben, die Millionen schwer wiegen. Ich gebe also meine volle Zustimmung zu einem Verlöbnis zwischen Kurt Graditz und Dir.

Margarete drückte die Hand der Schwester so fest, daß diese leise über das Ungestüm lachen mußte.

„Es macht mich um so glücklicher, mein liebes Kind, da Ihr beide Euch aus vollem Herzen liebt.

Ein leiser Seufzer entrang sich bei diesen Worten ihren Lippen.

Ohne es zu wollen, hatte sie selbst eine schmerzliche Stelle eignen Seelenlebens getroffen. Denn in all ihrem Glück war ja das Fehlen herzinnigster Liebe der tiefe Schatten, den nicht einmal das helle Strahlen des Reichtums ihres Gatten, all seine ritterliche Zuvorkommenheit und Zuneigung fortbringen konnte.

„Aber was wird Eberhard sagen?

Margarete sah die älteste Schwester mit nervösem Ausdruck an.

„Gar nichts.

Das klang hart und schroff, fast kalt wie Metall aus dem Munde der schönen Frau.

„Er wird es nicht hindern können, daß bei all seiner Feindschaft gegen Deinen Verlobten, wir beide als Schwestern miteinander verkehren. Schließlich, meine liebe Margarete, wird er einsehen lernen, daß es das Beste ist, mit einem mächtigen Nachbarn in Frieden zu leben. Dieser mächtige Nachbar wird Kurt Graditz sein. Er, ein Herr des Eisens und hier, mein Gatte, ein Herr des Kalis. Ihre Interessen sind so verschieden in geschäftlicher Beziehung, daß es ja närrisch wäre, wenn sie in ewiger Feindschaft nebeneinander wohnen wollten, wo sie die Töchter derselben Familie zu ihren Frauen gemacht haben. Ich werde mit Kurt Graditz noch heute sprechen und dafür sorgen, daß Deine Verlobung mit ihm in den Zeitungen veröffentlicht werden wird.

Bereits eine Stunde später erhielt Kurt Graditz einen kleinen wappengeschmückten Briefbogen der Frau Generaldirektor auf dem sie ihn ersuchte, sie in der Zeit zwischen vier und fünf Uhr aufzusuchen.

Das war die Zeit, an der Generaldirektor niemals anwesend war.

Die Zeit der Tag- und Nachtgleiche war bereits ins Land gekommen. Wie das nahende Alter eines Menschen sich ganz leise durch ein graues Haar hier und durch ein weißes Fädchen dort bemerkbar macht, so zeigte auch der Wald um Tiefensalzach ganz leise und scheinbar noch ganz bedeutungslos eine veränderte Färbung. Das sattgrüne Sommerlaub, das auf die lichten Blüten und Blätter des Maimondes folgte, trug jetzt im September einen bräunlichen Schimmer, und hier und da sank bereits ein gelbes oder rotes Blatt in leisem Fall.

Noch schien die Natur in voller Kraft und Pracht, und doch mischte sich hier und dort ein Zug von Müdigkeit, die schwermütige Stimmung des nun bald beginnenden großen Sterbens in das heitere Bild der Natur.

In seinem Automobil fuhr Kurt Graditz, welcher für seinen Besuch bei der Frau Generaldirektor sorgfältig Toilette gemacht hatte, bis in die Nähe des Schloßparks.

Dort stieg er aus und ging zu Fuß zum Schloß empor.

In schlichter Liebenswürdigkeit trat ihm hier die Herrin des Hauses entgegen.

Artig führte Kurt Graditz die Hand der schönen Frau zum Munde, hauchte den gesellschaftlich vorgeschriebenen Kuß darauf und nahm dann, ihrer leichten einladenden Handbewegung folgend, auf einem bequemen Sessel ihres Arbeitszimmers Platz.

Erst jetzt bemerkte Kurt Graditz, daß ihn die Frau Generaldirektor nicht in ihrem Salon, sondern in ihrem Arbeitszimmer empfangen hatte.

Sie selbst nahm vor dem kleinen Empireschreibtisch Platz, öffnete ein mit Elfenbein und Edelsteinen geschmücktes Ebenholzkästchen, in dem sich Zigaretten befanden, und schob dieses Kästchen nach der Seite des Schreibtisches hin, wo Kurt Graditz saß.

„Ich weiß, Sie rauchen gerne, mein lieber Freund, begann sie das Gespräch, „und ich selbst bin eine Verehrerin des aromatischen Duftes einer guten Zigarette. Es plaudert sich auch gemütlicher, wenn die feinen Rauchwölkchen sich wie ein mildernder, alles umspinnender Schleier zwischen zwei Parteien legen.

„Parteien, gnädige Frau?

Kurt Graditz griff zu einer Zigarette und zündete sie an dem Benzinfeuerzeug, das sie ihm persönlich bedienend hinüberreichte, an.

Während er die Zigarette in Brand setzte, sagte sie:

„Jawohl, mein Freund. – Wir sind augenblicklich Parteien. Ich glaube, jeder von uns hat ein Anliegen an den andern und weiß noch nicht, wie der Ausgang unsrer Unterhaltung wird. Lassen wir alle Förmlichkeiten beiseite und reden, Sie auch, mein lieber Freund, so wie es mir stets an Ihrer Person gefallen hat oder wie mein Vater stets sagte, wie uns der Schnabel gewachsen ist.

Sie selbst zündete sich jetzt gleichfalls eine Zigarette an, lehnte sich dann in dem bequemen, mit rotem Leder bezogenen Arbeitsstuhl zurück, und blickte mit halbgeschlossenen Augen auf Kurt Graditz.

Es war wie ein letztes scharfes Fühlen und Prüfen seiner Person, das ihn unruhig und nervös machte.

„Gnädige Frau haben meinen Brief bekommen?

„Ja. – Eine Rauchwolke folgte. – –

Auch Graditz rauchte.

„Gnädige Frau wollen mir eine Antwort geben.

„Ja, - – wieder eine Rauchwolke. – –

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo sie sich äußern mußte. Ihre halbgeschlossenen Augen öffneten sich und blickten voll und groß Kurt Graditz an.

„Bevor ich Ihnen die Antwort gebe, die Sie wahrscheinlich nervös erwarten, möchte ich mit Ihnen über etwas andres sprechen. Sie wissen, wie es mit meinem Gatten steht.

Jetzt klang ein ebenso kurzes „Ja aus dem Munde von Kurt Graditz.

„Schön, erwiderte sie, „dann brauchen wir uns wohl nur ganz kurz darüber zu unterhalten, und zwar weil ich ganz als Geschäftsfrau spreche. Nehmen Sie meinetwegen an, mein Gatte wäre verreist, unfähig seine Geschäfte hier zu vertreten, und hätte mich, die ich im Laufe der Jahre eine geschulte Kaufmannsfrau geworden bin, damit beauftragt, ihn zu vertreten. Ich habe gestern – in schwierigen Lagen ist es unter guten Eheleuten üblich, daß einer dem andern seine Sorgen mitteilt, erst erfahren, daß mein Gatte sich in einem Börsenkampf gegen Ihren Freund Hegemann befindet, und daß er pro Ultimo September eine große Anzahl Stücke Gloriakuxe seiner Zeche zum Preise von siebentausend Mark zu übernehmen hat.

Auf dem Schlußschein nun entdeckte ich folgenden Satz:

Unterzeichneter verkauft Ultimo September x y z Stück Gloriakuxe zum Preise von siebentausend Mark pro Stück. Er zahlt oder nimmt Differenz gegen den Tagespreiskurs. Ich möchte einmal sehen, ob Sie, mein Freund, dasselbe entdecken, was in diesem Falle, ich sage es offen heraus, nicht einmal der geübte Großkaufmann und Börsianer, mein Gatte, entdeckt hätte.

Kurt Graditz strengte sein Gehirn aufs äußerste an und erwiderte nach sekundenlangem Überlegen:

„Gnädige Frau, ich sehe, daß Ihr Herr Gemahl per Ultimo September, und zwar heute in neun Tagen für eine Sache, die er an der Börse infolge Kursrückgangs für zweitausend Mark kaufen kann, siebentausend Mark wird zahlen müssen. Das heißt, er hat die Wahl. Er kann auch in seiner Spekulation auf die Annahme der Kuxe verzichten und sich auf das Vergnügen beschränken, für jeden derartigen Kux, der zweitausend Mark wert ist, die Differenz von fünftausend Mark an den Gegenkontrahenten, in diesem Falle an meinen Freund Hegemann, zu zahlen.

Ein silbernes spöttisches Lachen klang durch den Raum. Die schöne Frau warf die halb gerauchte Zigarette in den Aschbecher, schnellte von ihrem Sessel etwas empor, lachte nochmals etwas lauter und noch etwas spöttischer und sagte:

„Es gibt wirklich Dinge, in welchen das große Gehirn von Euch Männern, auf das Ihr uns Frauen gegenüber immer Anspruch erhebt, doch versagt. In diesem Falle, mein lieber Freund, bin ich die Frau – die Schlange des Paradieses, wie sie oft so schön genannt wird – klüger als Ihr – die Großkaufleute.

„Sie machen mich gespannt, gnädige Frau. Ich wüßte wirklich nicht, wie ich mir Ihre Worte deuten sollte.

„Einfach das, was sie wirklich meinen. Nun will ich Ihnen etwas sagen, mein lieber Graditz. Ich verspreche Ihnen hiermit feierlichst, Sie als meinen Schwager anzuerkennen und Ihnen alles Glück für die Ehe mit meiner Schwester Margarete zu wünschen, wenn Sie sich in diesem Punkte als Familienmitglied stellen und als mein Schwager mir zur Seite stehen, und mir helfen, ein Vermögen zu gewinnen.

Kurt Graditz wurde bis zu den Schläfen rot.

„Gnädige Frau, Sie machen mich überglücklich, sagen Sie mir, was Sie von mir verlangen, und ich bin bereit, alles das zu erfüllen, bis auf eins, und das hieße den Posten auf meiner Zeche zu verlassen.

„So etwas würde ich auch nicht im entferntesten von Ihnen verlangen. Das wäre ja wahnsinnig. Wovon wollten Sie meine Schwester standesgemäß ernähren. Nein. Sie warf den schönen Kopf stolz in den Nacken.

„Hier haben Sie meine Hand, Kurt Graditz. Schlagen Sie ein. Sagen Sie ja, und damit ist das Verlöbnis zwischen Ihnen und Margarete besiegelt.

Sekundenlang ruhten die beiden Hände zusammen. Ein fester kräftiger Druck war es, den die zarte Hand der schönen Frau Kurt Graditz gab, und er erwiderte ihn, und nur langsam lösten sich ihre Hände voneinander.

„Gut, dann gestatten Sie jetzt, daß ich Sie zur Einleitung unsrer zukünftigen Verschwägerung Kurt Graditz nenne, und ich gebe Ihnen das Recht, zu mir Frau Lore zu sagen. Also hören Sie zu, Kurt Graditz.

„Ich höre, Frau Lore.

„In dem Schlußschein sah ich das, daß mein Gatte die Wahl hat.

Durch ein leichtsinniges Versehen der Makler sind die Schlußscheine nicht auf ein reines Differenzgeschäft, sondern auf ein Geschäft nach Wahl, Differenz oder Effektionierung ausgestellt worden, und zwar nach Wahl für meinen Mann.

Jetzt wurde Kurt Graditz nachdenklich.

„Ich sehe das ein, gnädige Frau – –

„Bitte, Frau Lore.

Kurt Graditz verbeugte sich entschuldigend.

„Aber wie sollte ihm das helfen, Frau Lore.

Wieder lachte sie laut auf.

„Aber mein lieber Kurt Graditz. Ich kenne Sie in diesem Augenblick wirklich nicht wieder. Ich habe von Ihrem Können und Ihrer zielbewußten Tatkraft in den letzten Wochen so unumstößliche Beweise bekommen, daß mich dieses Versagen jetzt geradezu befremdet, vielleicht ist es die Entschuldigung, daß Sie in diesem Augenblick zu sehr an meine Schwester denken.

„Möglich, Frau Lore.

„Aber ich bitte Sie. Lassen Sie meine Schwester einmal fort jetzt. Es handelt sich um Millionen für die Familie! Für die Familie, zu der Sie jetzt gehören, Kurt Graditz.

„Ich werde mich bemühen, Frau Lore.

„Haben Sie den festen Willen jetzt und hören Sie weiter. Gehen wir einmal ganz vernünftig vor. Mein Mann kann die Lieferung der Effekten zum Preise von siebentausend Mark pro Kux in Natura pro ultimo im September verlangen.

„Das kann er allerdings, erwiderte Kurt Graditz.

„Das heißt, mein lieber Kurt Graditz, mein Mann zahlt siebentausend Mark und bekommt die Effekten in natura. Dann aber müssen die Gegner Hegemann und Konsorten diese Effekten kaufen.

„Das stimmt auffallend, Frau Lore. Aber verstehen tue ich Sie trotzdem nicht.

„Sie scheinen heute wirklich für Logik ganz und gar nicht zu haben zu sein. Also will ich Ihnen zu Hilfe kommen und Ihnen den weitern Gang der Handlung schildern. Sie sollen durch Ihre Preßverbindungen helfen, daß über die Geschäfte meines Mannes, über den Stand der Kalizeche, über die verräterische Spekulation meines Mannes, über den furchtbaren Schlag des kommenden Kaligesetzes Trauernachrichten über Trauernachrichten in der Presse erscheinen.

Die logische Folge davon wird sein, daß in der Börse Kuxe der Zeche, die heute zweitausend Mark stehen, immer tiefer stürzen, so etwa bis tausend oder womöglich bis fünfhundert. – – –

„Ja, aber um Gottes willen, Frau Lore, dann würde ja der Verlust für Ihren Gatten, falls er die Stücke zu siebentausend Mark kaufen muß, von Tag zu Tag größer.

Sie schlug ihm leicht mit der Hand auf den Arm.

„Aber mein lieber Kurt, lassen Sie mich doch aussprechen. Wenn nun jener Zusammenbruch der Kuxe der Gewerkschaft ,Gloria an der Börse erfolgt, werden Sie – mein Makler sein, und in unauffälliger Weife so viel Kuxe kaufen, wie Sie überhaupt erlangen können. Ich persönlich stehe Ihnen mit meinem Vermögen, das gerade eine Million Mark beträgt, zur Verfügung und werde Ihnen einen Scheck auf die Summe geben, damit Sie für die Spekulation, die wir beide jetzt ausführen wollen, flott sind.

Ich hoffe, Sie haben jetzt endlich eingesehen, daß es besser ist, dreitausend Kuxe, die, soviel ich erfahren habe, an der Börse im Handel sind zu kaufen, und zwar für je tausend Mark, statt zweitausend für je siebentausend Mark.

Hat aber Trenkmann die sämtlichen überhaupt existierenden Kuxe der Gewerkschaft ,Gloria in seinem Tresor, so ist er der völlige Herr der Lage. Er kann dann die Lieferung der Kuxe in natura verlangen, und da solche Lieferung natürlich nicht mehr möglich ist, so müssen seine Gegner sich ihm auf Gnade oder Ungnade ergeben. Ich erinnere mich wohl, daß etwas Ähnliches vor Jahren mit den Aktien der Northern Pacific Bahn geschah, und daß die Vertreter einer mächtigen deutschen Spekulantengruppe persönlich nach New York kamen und sehr de- und wehmütig um gut Wetter bitten mußten. Wissen Sie jetzt, worauf ich hinaus will?

Kurt Graditz atmete tief auf.

Diese Spekulation seiner zukünftigen Schwägerin war ein geradezu geistreicher Schachzug.

Nervös griff er wieder zu einer Zigarette, dasselbe tat die Frau Generaldirektor. Mehrere Sekunden sprachen sie kein Wort, sondern rauchten nur und hingen ihren Gedanken nach.

Endlich sagte Kurt Graditz:

„Ich kann Sie mit gutem Gewissen gegen meinen Freund Hegemann unterstützen, Frau Lore. Ich weiß bestimmt, daß er sein Börsenengagement gegen Ihren Gatten schon vor Wochen mit gutem Nutzen an eine Großbank verkauft hat. Ich werde bereits heute abend einige überzeugende Feuilletons über die schlechte Lage der Gewerkschaft „Gloria und die unverantwortliche Spekulation des Generaldirektors mit den Amerikanern in die mir offenstehende Presse bringen.

Die Frau Generaldirektor erhob sich. Wieder reichte sie ihm die Hand und sagte.

„Dann habe ich nur noch einige Worte mit Ihnen zu wechseln, bevor ich Sie mit meiner Schwester allein lasse. Ich möchte Sie bitten, das Verlöbnis mit meiner Schwester offiziell in Berlin heute über zehn Tage bekanntzugeben. Ich werde alle nötigen Vorkehrungen treffen. Und nun seien Sie nochmals von mir herzlichst beglückwünscht zu der Wahl meiner Schwester als Ihre zukünftige Gattin. Ich habe die sichere Überzeugung, daß Sie an der Seite meiner Schwester Margarete glücklich sein werden.

Voller Dankbarkeit beugte sich Kurt Graditz über die ihm zum zweitenmal zum Abschied gereichte Hand.

Eine Stunde später gingen Margarete und Kurt Graditz Arm in Arm durch die Wege des Parkes und sprachen von einer goldigen Zukunft. Als Kurt Graditz sich trennen mußte, sandte er, bevor er am Ende des Weges verschwand, seinen lustigen Pirolruf als Abschiedsgruß zurück. Und statt Margarete, die ihm wohl gern geantwortet hätte, schmetterte ein in einer Buche sitzender Pirol dem anscheinend fremden Vogel seinen Jubelruf zu.

* * *

Während in den nächsten Tagen Generaldirektor Trenkmann von Tag zu Tag nervöser wurde und trotz allen Rechnens und Grübelns keinen Ausweg aus der ihm drohenden Klemme seiner Börsenspekulation mit Hegemann sah, wunderte er sich oftmals, daß in seinem Hause das Fluidum eines hohen Glückes lag.

Ihn selbst erfrischte dieses Fluidum wie ein kostbares Nervenheilmittel. Die Stunden, welche er an der Seite seiner Gattin und seiner Schwägerin verlebte, waren imstande, all die schweren Sorgen, welche von Tag zu Tag näher zur Verwirklichung herankamen, zu zerstreuen.

Am Tage vor dem Ende seiner Börsenspekulation äußerte die Frau Generaldirektor, daß sie ihn nach Berlin mit Margarete begleiten würde.

Einen Augenblick stutzte Trenkmann. Dann erkannte er den Sinn dieser Mitreise. Aber anders, als wie es tatsächlich war.

Er glaubte, seine Frau hegte Furcht für ihn, und er müsse sie beruhigen.

„Es wäre wirklich nicht nötig, sagte er, „daß Du mich nach Berlin begleitest. Ich verspreche Dir, heil und gesund, trotz des Verlustes von Millionen, zurückzukehren.

„Nicht wahr, Eberhard, fragte ihn seine Frau, „es sieht geschäftlich sehr schlimm mit Dir aus?

„Ich will keinen Hehl Dir gegenüber daraus machen. Es kann mich wohl mein Vermögen kosten.

„Eberhard, erwiderte Frau Lore mit leiser Stimme. „Falls nun jemand käme und Dir diese Millionen rettete, ja, sogar einen großen Nutzen brächte, würdest Du ihn als Deinen guten Freund betrachten?

Zum erstenmal während ihrer ganzen Ehe verstand Eberhard seine Frau nicht. Er glaubte, es wäre eine Laune von ihr und sagte:

„Ich würde den Mann in Gold einfassen. Ja, ich würde mich anheischig machen, ihn wie einen Bruder hier bei mir zu behalten und mich ihm, was noch kein Mensch von mir sagen kann, so untertänig erweisen, als wäre ich sein Angestellter.

„Ist das Dein Wort, Eberhard?

„Das ist mein festes Wort. Jawohl, Lore.

Er begriff nicht das glückliche Lachen, das über das Gesicht von Frau Lore zog und fuhr den Tag nach seiner Unterredung mit ihr und Margarete nach Berlin mit einem Gefühl, als ob ihn der Zug mit rasender Geschwindigkeit zu seiner Hinrichtung führe.

Als er am nächsten Morgen zu seinem Makler wollte, hielt ihn Frau Lore ab.

„Ich habe Wolfson persönlich gesprochen, während Du noch schliefst und ihn gebeten, zu einem kleinen vertrauten Frühstück zu Dressel zu kommen. Du kannst Dir den Weg sparen. Er sagte, daß er Punkt zwölf Uhr dort sein wollte.

„Hast recht, Lore, erwiderte Trenkmann, der in dieser schweren Stunde all seine Härte verloren und nichts weiter als ein ruhebedürftiger Mann geworden. – „Ich werde den bittern Geschmack des Verlustes meines Vermögens bei einem guten Rheinwein leichter überwinden.

Punkt zwölf Uhr fuhr er mit Frau Lore und Margarete vor Dressel vor, und in seinen schweren Sorgen achtete er gar nicht darauf, daß seine beiden Damen äußerst gewählte Toilette gemacht hatten.

Wundervolle Echarpes, die neuste Pariser Mode, hatten beide Damen um die Schulter geschlungen, und alle Besucher des vornehmen Lokals wandten sich zu den vornehmen schönen Erscheinungen der beiden Schwestern, als sie zu dem für sie belegten Tische gingen.

Jetzt erst staunte Eberhard Trenkmann.

Dort stand eine blumengeschmückte Tafel, Gäste standen herum, welche ihn begrüßten – Gesichter, welche er seit langem nicht mehr gesehen, die Verwandten seiner Frau, einige befreundete Bankiers, ein Schulfreund, ein Rechtsanwalt, und als letzter sein Makler Wolfson. Verwundert beugte er sich kurz zu seiner Frau.

„Ja, aber Lore – sollen diese Menschen alle Zeugen meines Niederbruches sein?

Da lachte Frau Lore leise auf.

„Nein, mein Lieber, wie kannst Du nur so etwas denken. Wir wollen ein glückliches, ein fröhliches Fest hier feiern. Dir will ich den Freund schenken, von dem ich vor vierundzwanzig Stunden sprach und meiner Schwester ihren Verlobten – ihren baldigen Gatten.

Eberhard Trenkmann wußte nicht, ob der Boden, auf dem er stand, schwankte, oder fest sei. Er wußte nicht, welche Worte er mit den ihn begrüßenden Freunden seines Hauses wechselte. Er brachte nichtssagende Redensarten und Phrasen vor. Er nahm gedankenlos auf dem Stuhl Platz, den ihm seine Frau zugewiesen und wurde erst aufmerksam, als Makler Wolfson zu ihm trat, ihn als letzter begrüßte und sagte:

„Ich beglückwünsche Sie, mein lieber Generaldirektor – Sie haben einen erstaunlichen Schachzug vollführt, wie ein Napoleon der Börse.

Mit unsicher flackernden Augen blickte Eberhard Trenkmann auf seinen langjährigen Makler.

„Einen Schachzug – ja aber – – Herr Wolfson – – Er sah zu seinem langjährigen Geschäftsfreunde.

„Ja, wie soll ich es anders nennen, Herr Generaldirektor.

Da legte Frau Lore ein verschnürtes Paket, das sie soeben von dem Geschäftsführer des Lokals, bei dem es hinterlegt worden war, erhalten hatte, vor den Generaldirekter hin und sagte:

„Hier ist die Rechnung eines Mannes, der Dir die Börsenoperation ausgeführt und dem Du dafür, daß er Dir Dein Vermögen rettete, ewig in Freundschaft verbunden sein wolltest. Es sind alle die im Handel gewesenen Kuxe der Kalizeche Gloria und Du brauchst für sie nicht einen Pfennig an irgend jemand zu zahlen.

Eberhard Trenkmann mußte sich, während all die Freunde seines Hauses zu ihm hinübersahen, von dem Inhalt des ihm vorgelegten Paketes überzeugen. Er schnitt es hastig mit einem Messer auf und sah tatsächlich sauber zusammengelegt Kux auf Kux vor sich liegen.

Während er noch mit zitternden Fingern in den Kuxen blätterte, trat Kurt Graditz, welcher bis dahin in einer Nische gesessen, auf einen Wink von Frau Lore, ganz wie sie es in ihrem Programm bestimmt hatte, an den Tisch.

Frau Lore erhob sich, ging ihm entgegen, nahm seine Hand und führte ihn zu ihrem Gatten.

Wie vor einem bösen, ihn erdrückenden Schatten war Eberhard Trenkmann, als er Kurt Graditz mit seiner Frau auf sich zukommen sah, aufgesprungen, hielt sich an einem Stuhl fest, und lehnte mit halbgeschlossenen Augen sich soweit rückwärts, daß ihn Makler Wolfson stützen mußte.

Wie aus weiter Ferne klang die Stimme seiner Frau:

„Hier, Eberhard, führe ich Dir unsern Kurt Graditz zu, Deinen Freund, den Verlobten meiner Schwester Margarete, Deinen zukünftigen Schwager.

Eine lähmende Stille herrschte für einige Sekunden an der Tafel. Niemand hatte etwas derartig Aufsehenerregendes erwartet.

Da wurde das Schweigen durch Frau Lore gelöst:

„Jetzt, Margarete, gebe ich Dir das Recht, Dich öffentlich an der Seite Deines Kurt allen Freunden unsers Hauses vorzustellen, und die Wünsche, welche Euerm jungen Glücke von uns allen aus vollem Herzen mit auf Euern Lebensweg gegeben werden, entgegenzunehmen.

Sie selbst trat zu ihrem Gatten, und ohne daß er wußte, wie es kam, hatte sie die Hände der beiden Männer zusammengelegt, und als Eberhard Trenkmann von ihr nochmals leise hörte:

„Bedenke, Eberhard – Dein Wort – hier steht Dein Freund, – da löste sich die gewaltige Spannung, die den Mann bis dahin fast zu Boden gedrückt hatte, wieder reckte sich seine breite Gestalt hoch empor. In seine Augen trat die alte kalte, harte Tatkraft und mit festem Ton in der Stimme, mit kräftigem Druck seiner Hand sagte er zu Kurt Graditz:

„Es geschehen Zeichen und Wunder. Ich löse meine Worte ein und erkläre Ihnen hiermit feierlichst, daß ich Dich von nun an wie meinen teuersten Freund im Herzen tragen werde.

Bald darauf klangen die gefüllten Sektgläser und immer wieder von neuem die Glückwünsche über die Tafel zu den Neuverlobten: Margarete und Kurt Graditz.

Als sich Kurt Graditz zu einer Tischrede erhob, vermochte er vor tiefer Bewegung nur immer wieder zu sagen:

„Frau Lore, ich danke Dir.

Ende.

 

 

Fussnoten:

1 Richtige Schreibweise: Virgula divina seu mercurialis

2 Vorlage: ich - durch ihn ersetzt

3 Vorlage: nun - durch nie ersetzt

4 Vorlage: alle - in allen ersetzt

5 Vorlage: 1600 Taler - reell aber 16000 Taler

6 Vorlage: Sie - durch Ihnen ersetzt

7 Mußjö: eingedeutscht, gemeint ist Monsieur