Band 10
Von
Wilh. v. Berg.
Verlag moderner Lektüre
Berlin S. 14
Dresdnerstraße 88-89
„Nun komm einmal her, mein Junge, hast Du mich nun verstanden?“
„Gewiß, Herr Baron! Mit Einbruch der Dämmerung wird Jemand zu Rade hier vorbeifahren, der plötzlich Hülfe brauchen wird. Er wird vermutlich mit dem Rade in die Grube einbrechen, die wir ausheben mußten, um das Wasserleitungsrohr zu reparieren und die wir, anstatt sie wieder zuzuschütten, nur mit etwas Reisig bedeckt haben. Aber die paar Bund Stroh, die darunter liegen, werden den Fall mildern —“
„Ganz recht, mein Junge. Nur weiter erzählen!“
„Der Betreffende, der den Fall tut, wird schreien, ich springe zu und leiste ihm Hülfe. Dann bringe ich ihn herein —“
„All right — doch sage mal, was hast Du Dir denn aber nun eigentlich dabei gedacht?“
„Ich — oh —“
„Na — hör mal, Du bist doch sonst nicht ein so harmloses Gemüt! Du siehst auch jetzt viel zu pfiffig und spitzbübisch aus, als daß Du über nichts nachgedacht haben solltest!“
„Nun, wenn ich denn mit einiger Phantasie sagen soll, was ich so eigentlich vermute — ja, dann meine ich zunächst, daß es kein Kunstradfahrer von Beruf sein wird, dessen Ankunft hier erwartet wird — dem würde das kleine Hindernis wenig ausmachen. Ebenso erscheint es mir ausgeschlossen, daß es sich um irgend einen biederen Landmann handelt, der seine Geschäfte in der Stadt besorgt hat und nun unsern Weg passieren muß. Oder bin ich überhaupt auf dem Holzwege?“
„Keineswegs, mein Junge — im Gegenteil! Nur weiter!“
„Auch handelt es sich meiner unmaßgeblichen Ansicht nach überhaupt nicht um einen Mann. Dem zu Ehren hätte ich wohl die Tafel nicht so fein mit Blumen zu schmücken brauchen. — Und der Herr Baron hätten sich dazu kaum so in Wichs geworfen!“
„Na — weiter!“
„Es wird sich nun wohl auch nicht um eine korpulente alte Matrone oder eine spindeldürre alte Jungfrau von hmzig Jahren handeln — also um eine junge — niedliche — hübsche —“
„Ausgezeichnet, mein Junge. Jetzt aber vermute nichts weiter, sondern sei einmal gegen Deine Gewohnheit ein argloses Gemüt. Meinetwegen setz’ auch Dein pfiffiges, spitzbübisches Gesicht wieder auf! Aber nur bis der Schrei ertönt! Dann verschwindet mir das, hörst Du? Und Du setzt wieder die undurchdringliche Amtsmiene auf! Verstehst Du mich?“
„Zu Befehl, Herr Baron!“
„Na, dann also: Marsch, auf Deinen Posten!“
Die Unterhaltung wurde zwischen dem jungen Baron von Lingen und seinem Diener Franz geführt, der, angetan mit Frack, Kniehosen und seidenen Strümpfen, Schnallenschuhen, soeben das Zimmer verließ. Der Baron musterte noch einmal mit prüfendem Blick die Tafel und nickte dann mit zufriedenem Lächeln — Franz war doch ein tüchtiger Kerl! Auf den konnte man sich schon verlassen!
Dann klemmte der Baron das Einglas in das rechte Auge, trat vor den Spiegel und musterte seinen äußern Menschen. Einfach tadellos, Frack und weiße Weste saßen wie angegossen, das feine, etwas fade Gesicht rief im Verein mit der Gardenie im Knopfloch und einem milden, diskreten Parfüm den Eindruck des echten, aristokratischen Lebemanns hervor.
Als von Lingen in diese scheinbar angenehmen Selbstbetrachtungen vertieft war, trat der Diener Franz wieder ein — diesmal völlig Amtsmiene, und meldete:
„Herr von Holtzendorff“
„Zum Henker — hast Du ihm denn nicht gesagt —“
„Daß der Herr Baron nicht zu Hause seien? selbstverständlich — aber —“
„Nun — aber? Ging er denn da nicht fort?“
„Nein, Herr Baron, im Gegenteil, Herr von Holtzendorff geruhten zu lächeln, mich am Ohrzipfel zu fassen und zu befehlen: „Nun, mein Sohn, dann gehe hinein und frage, ob Herr Baron auch für mich nicht zu Hause ist?“
„Ah — verwünscht! Was mag er denn noch so spät wollen?“
„Das haben der Herr Baron mir nicht mitzuteilen geruht. Er ist im Reitanzug —“
„So, so — na, hoffentlich geht er bald wieder — laß ihn ein!“
Holtzendorff ließ nicht lange auf sich warten, in wenigen Augenblicken stürmte er ins Zimmer, staubig und echauffiert. Er warf die Reitpeitsche auf einen Fauteuil, den Hut auf einen Polsterstuhl und trat dann in seiner raschen, frischen Art auf den Freund zu, dem er beide Hände entgegenstreckte.
„Alfons! sieh mal, mein Junge, das freut mich doch, Dich zu Hause zu treffen! Nun wollen wir mal gemütlich eins schwatzen und — vor allen Dingen — gib mir zu essen — ich habe einen Löwenhunger!“
„Walter, Du! — Guten Abend! Wo in aller Welt kommst Du denn her?“
„Zu Pferde, wie Du wohl siehst —“
Dabei warf er sich ungeniert, staubbedeckt wie er war, auf den nächsten Polsterstuhl mit dem feinen, geblümten Seidenbezug. „Sieh mal, so nach der Herbstbestellung kann man sich schon ein paar Tage Erholung gönnen! Da ließ ich mir denn meinen Balder satteln und hinaus gings in den herben, frischen, klaren Herbsttag —“
Alfons von Lingen hatte nervös nach der Uhr gesehen, dann sagte er mit dem mißglückten Versuche, zu scherzen:
„Ja, ja, da kommt bei Dir immer noch der alte Kavallerist zum Durchbruch —“
„Mensch — und das sagst Du so lau so — ich weiß gar nicht — — und Du bist doch noch in der Reserve der Garde-Ulanen!“
„Ja — aber, siehst Du, mein Lieber, Alles zu seiner Zeit! Man kann nicht immer gleich —“
„Na ja — das begreife ich schließlich? Aber Du wirst nun auch Deinerseits begreifen, daß man bei einem solchen Ritt einen Löwenhunger bekommt. Balder flog wie ein Pfeil, er schien sich lange nach einem solchen Ritte gesehnt zu haben. Bis Neu-Hettstadt bin ich geflogen und wieder zurück auch nicht in der sanftesten Gangart. Ich ließ dem Braunen die Zügel, er tobte sich ordentlich aus. Jetzt bedarf er aber dringend einer kurzen Rast, denn ich kann ihm nicht die zwei starken Stunden bis zu Hause ohne Unterbrechung zumuten. So, und nun sei so gut —“
„Ja — aber lieber Freund — ich —“
„Was? Ist das die Gastfreundschaft, die eine der ersten Tugenden unserer Vorfahren war? Aber sieh mal — was ist denn los? Du bist ja in großer Toilette! Du hast wohl Gesellschaft heute Abend —“
„Ja“, rief der Andere, erfreut über diesen Ausweg, „ganz recht, ich habe heute Abend Gäste —“
„Gäste? Ja — sage mal, es sind ja nur zwei Gedecke — also ist es doch wohl nur ein Gast, und wenn ich die Sitten unseres Vaterlandes richtig kenne, woran ich nicht zweifle, so wirst Du doch ohne Zweifel mithalten wollen?“
„Allerdings – aber —“
„Nun — ein Souper unter ein paar Freunden — ist denn das so furchtbar zeremoniell, daß ein dritter, ebenso intimer nicht mithalten darf?“
„Ja, weißt Du — das —“
„Du, hör mal, dahinter steckt etwas, was ich nicht wissen soll —“
„Bewahre —“
„Sieh mich mal an, mein Junge -—
„Was fällt Dir ein?“
„Siehst Du — Du weichst meinem Auge aus — Du verbirgst mir etwas — Du hast etwas vor, das nicht ein Jeder wissen soll? —“
Der Andere warf den Kopf trotzig zurück.
„Nun — und wenn dem so wäre — bist Du etwa mein Beichtvater, dem ich Rede und Antwort zu stehen habe?“
„Das nicht. Aber Du wirst mir doch zugeben, daß Du mir eine Erklärung darüber schuldig bist, warum Du mich hier unter einem Bruch des Gastrechts ohne weiteres an die Luft setzen möchtest?“
„Gut — ja. Ich habe etwas vor, was nicht ein Jeder wissen soll. Und das gibst Du doch zu, daß Du etwas — nun etwas sehr mitteilsam bist —“
„Ist das ein Fehler?“
„Nicht immer. Aber solche liebenswürdigen Gesellschafter pflegen nicht immer die diskretesten Leute zu sein! — A propos um auf etwas Anderes zu kommen! Ist Dir vielleicht bekannt, daß ich mich demnächst zu verloben gedenke?“
„Nein, mein Junge. Aber sieh mal, das interessiert mich trotz meines Hungers! Ah, dann nimm meinen herzlichsten Glückwunsch!“
„Danke — danke!“
„Aber was machst Du denn eigentlich für ein Gesicht dazu. Sieht so ein glückstrahlender Bräutigam aus —“
„Glückstrahlender Bräutigam? Ach Du lieber Gott!
„Nanu? Willst Du mir nicht erklären —?“
„Mein Himmel, errätst Du es denn nicht? Es ist eine sogenannte Vernunftheirat, wie sie in unsern Kreisen doch täglich geschlossen werden — lediglich ein finanzielles Arrangement!“
„Was —?“
„Um es kurz zu machen — ich habe meine Leutnantszeit bei den Gardeulanen etwas reichlich ausgekostet — verstehst Du wohl?!“
„Ich will nicht hoffen —“
„Ja, sieh mal: Das Leben ist schön — — aber sehr kostspielig. Allerdings kann man sich auch nach der Decke strecken, aber dann … danke! Das heißt, man kann es nicht, wenigstens nicht ein jeder. Und ich? Ich am allerwenigsten, so habe ich denn auch etwas — na etwas kostspielig gewirtschaftet, nachdem ich die Ulanka an den Nagel gehängt hatte —“
Jetzt fuhr der Andere schier entrüstet in die Höhe.
„Und da soll Dich eine reiche Heirat wieder auf die Beine bringen? Du machst eine solche unwürdige Komödie auch mit? Pfui, Alfons, das hätte ich nicht von Dir gedacht!“
„Na, nun sei so gut! Willst Du mir etwa Moral predigen? Da frage ich Dich denn doch: Mit welchem Rechte?“
„Mit dem Rechte des Freundes! Ich sage Dir, das führt zu nichts, zu gar nichts! Darf man denn wenigstens wissen, wer die Unglückliche ist?“
„Warum denn nicht? Es ist die Tochter eines Kameraden meines verstorbenen Papas, Irmentraut von Waltersdorff —“
„Oh — das ist empörend — eine Dame aus unsern Kreisen auf diese schändliche Art zu betrügen. Zwar ist es ja hübsch, daß Du das blaue Blut derer von Lingen rein erhalten willst, denn ich war immer am meisten empört, wenn irgend eine Miß Tailor aus Newyork oder Glover aus St. Franzisko, deren Väter vielleicht Schweinehändler und deren Großväter vielleicht Schweinetreiber waren, sich mittelst ihrer Dollar-Millionen einen Weg in die alten Stammsitze unseres Adels, ja sogar unserer Reichsunmittelbaren erzwingen. Aber solche Damen machen sich wenigstens keine Illusionen darüber, warum sie geheiratet werden. In Deinem Falle indessen — —“
„Weißt Du, lieber Walter, wir wollen uns über die Berechtigung Deiner Anschauungen oder gar Dein Recht, hier Moral zu predigen, nicht streiten. Die Zeit drängt — mein Gast muß bald erscheinen — also will ich Dir etwas sagen: Iß und trink, soviel Du willst — aber ein bißchen1 schnell. Daß ich Dirs gern gebe und unter andern Verhältnissen danach tüchtig mir Dir pokulieren würde, das brauche ich Dir ja wohl nicht erst zu versichern. Nachher ziehst Du Dich in mein Schlaf- oder Arbeitszimmer zurück und ruhst Dich dort tüchtig aus, bis Du den Heimritt antreten willst. Aber das eine mußt Du mir versprechen, nämlich, daß Du dieses Zimmer nicht mehr betrittst und Dich diskret zurückziehst!“
„Wie ein Dieb in der Nacht? Nein, mein Lieber, was fällt Dir ein? Wann kommt Dein Besuch?“
„Sobald es völlig dunkel zu werden beginnt — also etwa in einer halben Stunde.“
„Gut, so will ich Dir einen andern Vorschlag machen. Ich esse rasch ein paar Happen und ziehe mich dann sofort zurück, wenn Du — mir sagst, wen Du erwartest. Willst Du das?“
„Nein.“
„Ich danke Dir!“ sagte Walter, dem Freunde die Hand reichend, „nämlich dafür, daß Du mich nicht belogen hast. Das ist ja immerhin etwas. Deshalb will ich mir auch überlegen, ob ich von meiner eben ausgesprochenen Bedingung abgehen und den Rückzug auch antreten kann, ohne erfahren zu haben, was hier vorgehen soll!“
„Nun, dann setz Dich in Gottes Namen und iß!“
Der Freund genierte sich auch nicht im geringsten, schlug eine tüchtige Klinge und plauderte dabei behaglich und witzig, während der Andere wie auf Kohlen stand, zuweilen unruhig hin und her lief und fortwährend nach der Uhr sah.
Da plötzlich erschien Franz wieder im Zimmer, in der Hand ein Tablett, auf welchem ein Telegramm lag.
„Das ist soeben abgegeben worden, Herr Baron!“
„Ein Telegramm — für mich?“
Es klang nur Befremden aus dem Tone dieser Frage, nicht das Erschrecken des gewöhnlichen Mitteleuropäers, soweit er nicht dem Handelsstande oder der Öffentlichkeit angehört. Als er aber die Eilbotschaft erbrach und einen Blick hineinwarf, da zuckte er doch zusammen, und seine Brauen zogen sich unmutig zusammen. Walter, der sich mit einem kalten Hähnchen angelegentlichst beschäftigte, blickte zufällig auf.
„Hast Du unangenehme Nachrichten erhalten, mein Sohn?“ fragte er teilnehmend.
„Na, es scheint heute Alles zusammenzukommen! Ich muß hinüber zu meiner Mutter, nach Groß-Krähenfelde. Fräulein von Waltersdorff hat sich dort zum Tee angesagt — wahrscheinlich will meine Mutter den feierlichen Akt dort heute Abend in Szene setzen und ruft mich deshalb telegraphisch herbei!“
„Gut, so läßt Du anspannen, machst Dich unterdeß fertig und ich reite eine ganze Tour neben Deinem Wagen her! Wir haben ja ein gutes Stück denselben Weg!“
„Ja — das geht ja eben nicht so ohne weiteres — Du weißt doch, daß ich hier Jemanden erwarte —“
„Ja, aber nicht wen. Und dann, Mensch, bist Du denn wirklich ganz von Stein? Dir muß doch Dein Herz höher schlagen, wenn Du daran denkst, daß Du noch heute Abend ein schönes, jugendfrisches Geschöpf in die Arme schließen sollst. Donnerwetter, Junge, das würde mich elektrisieren, und wenn sie noch so viel Geld hätte und ich es noch so notwendig brauchte!“
„Das wäre ja Alles ganz gut und schön. Aber die Kleine ist nicht danach — ein vornehmes, kühles, etwas sehr temperamentloses Geschöpfchen, dessen gesellschaftliche Sicherheit nicht gerade dafür birgt, daß ein stetes Zusammenleben mit ihr allzu interessant sein wird. Sie gleicht der Frau, die ich mir erträumte, ungefähr wie ein Glas matter Limonade einem Kelch feurigen Champagners!“
„Du, das ist ein recht netter Vergleich und sehr schmeichelhaft für Deine Zukünftige. Dann begreife ich um so weniger…“
„Mein Himmel, unsere beiderseitigen Eltern haben das arrangiert, als die ihrigen und mein seliger Vater noch lebten —“
„So sind ihre beiden Eltern tot —“
„Ja, seit einigen Jahren. sie lebt jetzt in der Stadt bei einer Schwester ihres Vaters, die sehr kurzsichtig ist, viel Tee trinkt, Tabak schnupft und ihr Haus zu einer Heimstätte für invalide Hunde und Katzen gemacht hat —“
„Und eine solche elternlose Waise willst Du betrügen? Pfui, Alfons — das macht Deine Handlungsweise doppelt unschön!“
„Im Gegenteil, ich erlöse sie aus der vierbeinigen Gesellschaft und gebe ihr eine Position in den besten Kreisen. Heute bin ich ja nun ein wenig — äh — echauffiert und ägriert — — wie Du mich aber im Übrigen kennst, bist Du wohl überzeugt, daß ich es ihr nicht werde entgelten lassen, daß ich sie nicht liebe!“
„Sieh mal — das ist ja edel — ja sogar rührend von Dir!“
„Spotte, soviel Du willst — ich werde sogar der aufmerksamste, ritterlichste und liebenswürdigste Gatte sein, den sie sich nur wünschen kann. Kann man noch mehr von mir verlangen?“
„Na, weißt Du — Du bist ein Gemütsmensch —“
„Ja, weißt Du, lieber Walter, dazu ist jetzt wirklich keine Zeit mehr! Ob ich nun entzückt davon bin, mich heut Abend mit Fräulein von Waltersdorff zu verloben oder nicht, darauf kommt es gar nicht an! Jedenfalls bin ich dadurch, daß ich hier Besuch erwarte, in die gräßlichste Verlegenheit geraten.“
„Ach ja — Dein Besuch! Der geht natürlich vor! Den kannst Du unmöglich versetzen! So schreib doch rasch ein Telegramm an Deine Frau Mutter, oder schick ihr einen reitenden Boten mit einem Briefchen. Sie wird schon eine andere Gelegenheit zur Verlobung ausfindig machen.“
„Ja — das sagst Du so — aber das geht ja gar nicht — das darf ich ihr ja gar nicht schreiben — davon darf sie ja gar nichts wissen —“
„Du — dann habe ich recht, dann ist es etwas Unrechtes!“
„Hör’ bloß damit auf — der Besuch muß nämlich völlig improvisiert, ja sogar scheinbar gänzlich wider Willen kommen —“
„Scheinbar — wider Willen — ein improvisierter Besuch, auf den Du Alles so sorgsam vorbereitet hast —? Das verstehe ich nicht!“
„Herrgott, hast Du denn gar kein bißchen Kombinationsvermögen? Es handelt sich um eine — nun — um eine — eine äußerst diskrete — sehr intime Angelegenheit.“
„Hör mal — ich könnte da — ach, aber nein — das ist nicht möglich —“
„Was ist nicht möglich — und warum nicht?“
„Das, was ich schließlich argwöhnen könnte; — ja, wenn Du nicht im Begriffe ständest, Dich zu verloben —“
„Nimm mal an, das wäre nicht der Fall —“
„Du hast von einer diskreten Angelegenheit gesprochen — das könnte sich um ein Geldgeschäft handeln — aber Du sprichst von etwas Intimen — dahinter könnte dann eigentlich nur ein Frauenzimmer stecken!“
„Ist es auch, mein Bester, — und wenn Du mir Dein Wort gibst, daß Du reinen Mund halten willst, so sollst Du es auch wissen: Ja, ich erwarte hier eine junge Dame!“
„Wa — a — eine — eine junge Dame? — — — Ja, bist Du denn Muselman geworden oder willst Du es noch werden —“
„Keins von beiden! Höre weiter, und unterbrich mich nicht. Die Zeit drängt! Es ist eine junge Dame, die sehr auf ihren guten Ruf hält —“
„Kann ich mir denken, wenn sie in Nacht und Nebel zu Dir kommen will.“
„Es soll so aussehen, als ob sie gar nicht die Absicht gehabt habe, hierher zu kommen. Sie ist eine leidenschaftliche Radlerin — und darauf haben wir unseren Plan aufgebaut. Sie wollte am heutigen Nachmittag eine weitere Radtour unternehmen und sich dabei scheinbar verirren oder verspäten. Ich habe nun den Weg mit einer kleinen, harmlosen Grube versperren lassen, bei deren Passieren sie mit dem Rade verunglücken wird.“
„Was —? Sie wird verunglücken —?“
„Nun scheinbar. Sie springt gewandt ab, wenn es soweit ist — sie stößt einen Schrei aus, man kommt ihr zu Hilfe —“
„Aber Mensch — das ist ja ein ganz entsetzlich gefährliches Unterfangen. Wenn sie nun aber nicht zeitig genug abspringt —“
„Keine Sorge — dafür ist alles geschehen. Aber unnütz ist die ganze Sache, wenn sie hier eintrifft und niemanden vorfindet. Deshalb mußt Du mir den großen Gefallen tun und sie hier empfangen —“
„Ich? — Ich danke!“
„Aber bedenke doch — es ist doch nur eine ganz kleine Gefälligkeit, die Du mir erweisen sollst. Du empfängst sie, erzählst ihr der Wahrheit gemäß, daß Du hier bei mir eingekehrt seist und meine Gastfreundschaft im Anspruch genommen habest. Dann dichtest Du hinzu, wie herzlich Du von mir aufgenommen worden seist.“
„Ja — da muß ich allerdings dichten — und zwar mit Aufgebot aller meiner Phantasie —“
„Werde nicht anzüglich, Walter. Wie ich eine Tafel hätte herrichten lassen und wie ich mitten in unserer angeregtesten Unterhaltung durch das Telegramm meiner Mutter abgerufen worden sei, die — die —“
„Na ja — sage was Du willst — —“
„Die Dich mit Irmentraut v. Waltersdorff verloben wollte —“
„Nein — um Gottes Willen! Was fällt Dir ein! Erfinde irgend etwas Passendes —“
„Mir fehlt die nötige Routine im Lügen. Verschone mich also mit dergleichen —“
„So gern ich möchte — es geht nicht! Du bist nun schon mal hier und mußt mir diesen unter Freunden doch gewiß geringen Dienst erweisen.“
„Na — denn los! Aber sage mir zunächst einmal, wie sie heißt und wer sie ist.“
„Es ist Signora Lucretia Vetturini?“
„Wer?“
„Na, Herrgott — kennst Du denn die Vetturini nicht?“
„Keine Ahnung! Und außerdem ist nun die Sache völlig zwecklos, denn ich kann kein italienisch!“
„Ist auch nicht nötig — wer weiß, ob sie es selber kann! Sie ist nämlich eine Hamburgerin und heißt eigentlich Luise Fuhrmann na, unter diesem Namen konnte sie natürlich nicht auftreten —“
„Auftreten — Mensch, mir ahnt Entsetzliches!! Ist sie etwa von den Brettern oder vom Brettl —“
„Ja, aber sage mal, besuchst Du denn nie die Oper, kennst Du denn nicht die göttliche Vetturini, die Prima — Ballerina —?“
„Adieu —“
„Wohin, Mann, um Gottes Willen,“ rief der Baron, den Freund erschrocken zurückhaltend.
„Nach Hause! Mit solchen Damen kannst Du mich jagen, soweit Du mich haben willst — ich habe niemals mit derartigen Kreisen verkehrt — mir fehlen alle choreographischen Vorkenntnisse. — —“
„Das ist ja ein wahres Glück! Du darfst sie nur behandeln wie eine Dame aus unseren Kreisen. Mit irgendwelcher Anspielung auf ihren Beruf würdest Du alles verderben!“
„So — das wäre ja ein Vorteil. Ob es mir aber gelingen wird, mich in dieser Weise zu verstellen, das ist eine andere Frage, und ich glaube nicht, daß ich die mit Ja beantworten kann.“
„Na, so gib Dir alle mögliche Mühe und nimm’ meinen herzlichsten Dank. Aber nun muß ich fort — Adieu, Walter! Mach’ Deine Sache gut, — übrigens ist Franz instruiert und der wird Dich schon unterstützen — Adieu!“
„Adieu — geh zum Kuckuck — und fall nicht in die Grube, die Du anderen gegraben hast —“
„Keine Sorge! Sie versperrt nur einen einzigen Weg und den kann ich leicht vermeiden, nämlich einen Richtweg, der von der Stadt herführt, aber nicht einem jeden bekannt ist —“
Weg war er, und Walter v. Holtzendorff blieb ziemlich ratlos zurück. Er ärgerte sich über den Freund, der zuerst nicht übel Lust gehabt zu haben schien, ihn hinauszuwerfen und ihn dann mit Gewalt zurückhielt, noch dazu zu einer so verhaßten Mission.
Er klingelte, Franz trat ein und unterdrückte nur mit Mühe ein etwas maliziöses2 Lächeln, denn sein Herr hatte ihm draußen das Nötige mitgeteilt, und fragte dann nach Walters Befehlen.
Da aber drang von draußen der Schrei einer weiblichen Stimme herein, und mit dem Rufe: „Da ist sie schon?“ eilte Franz hinaus.
Der Unfall war wohl etwas zu früh geschehen, denn Baron Alfons hatte seinen Wagen noch nicht bestiegen und war gerade aus der Tür getreten als er den Schrei vernahm. Walter v. Holtzendorff aber enteilte ins Nebenzimmer, um seinen Anzug ein wenig in Ordnung zu bringen. Als Lucretia Vetturini, alias Luise Fuhrmann, das luxuriös eingerichtete Speisezimmer betrat, lehnte sie sich zwar fest auf oder beinah in Alfons Arm, aber ihrem ganzen Gebaren3 war es doch anzusehen, daß ihr die Verletzung nichts oder nur wenig geschadet hatte.
„Nichts, nichts, lieber Alfons,“ flüsterte sie an seiner Schulter, „nur das Rad — das wird wohl dahin sein!“
„Aber darum mach’ Dir doch keinen mein Herz, das werden wir doch sofort —“
„O nein, davon sprich nicht,“ erwiderte die Dame, nachdem sie Baron Alfons in einen Sessel sanft hatte niedergleiten lassen, „vor allen Dingen sage mir, warum Du selber herauskamst, um mir beizuspringen? Und was bedeutet der Wagen vor der Tür? Auch warst Du ja in Hut und Paletot.“
Alfons klingelte und flüsterte Franz dann zu:
„Sage Herrn von Holtzendorff, er möge so lange im Toilettezimmer bleiben, bis Du ihm Bescheid sagst — ich hätte plötzlich noch einen Besuch erhalten, der — na ja, der auch verunglückt sei — und vom Empfang der bewußten Dame dispensierte ich ihn für heute.“
„Schön, Herr Baron!“
Dann wendete sich v. Lingen an die Dame und erklärte ihr, warum er im Begriff gestanden hatte, wegzufahren — er ließ, was er Walter gegenüber hatte vermeiden wollen, seine Mutter plötzlich krank geworden sein.
„Und siehst Du, Schatz,“ sagte er dann, den Arm um sie schlingend, „es wird dort nicht so lange dauern, so werde ich wieder hier sein. Wir werden jetzt ein wenig miteinander soupieren und dann —“
„Dann wirst Du anspannen lassen und mich nach Hause fahren.“
„Um Gottes Willen, Liebste — einzige — mach’ mich doch nicht unglücklich! Wenigstens mußt Du warten, bis ich wiederkomme — —“
„Was? So lange? Sapristi — was denkst Du von mir? Meinst Du, ich will mich zu Tode langweilen?“
„Aber wer verlangt denn das von Dir?“ er preßte sie in seine Arme und flüsterte an ihrem rosigen Ohr: „Drüben auf meinem Zimmer, mein Herz — da findest Du alles, was Du willst: Bücher, Zigaretten, Näschereien, ein Klavier, einen Diener, der Dir alles herbeischaffen wird, dessen Du bedarfst.“
„Einen Diener? Ist er jung — hübsch?“
„Ein Prachtexemplar von einem Jungen — Du wirst ihn gleich sehen.“
Er klingelte und Franz trat ein. Er sah auch wirklich „patent“ aus und dabei so frisch und gesund! Wer sich nur an die körperlichen Eigenschaften hielt, der konnte in der Wahl zwischen diesen beiden Männern wohl kaum zweifelhaft sein. Lucretia musterte den hübschen Jungen mit Wohlgefallen und ihre dunklen Augen warfen einen begehrlichen Blick auf ihn. Er tat, als merkte er nichts und begann zu servieren, so gewandt, graziös und geräuschlos, wie man es nur in diesen besten Häusern lernt. Nach einigen Minuten winkte ihm Alfons, wieder zu gehen, da der Schmaus fast zu Ende war. Beim Nachtisch rückte man fest aneinander und nahm die süßen Leckerbissen unter Flüstern und Küssen ein.
Und Du willst mich wirklich kompromittieren, Schatz,“ fragte sie, das reiche schwarze Haar sich aus der Stirn streichend, „wie soll ich denn eigentlich mein Ausbleiben motivieren. Da ist Ninette, mein Kammermädchen, Olga, die Köchin, und Anton, der Diener. Alle sind mir ergeben — gewiß — aber die Skandalsucht ist ihnen angeboren. Sie hecheln mich ordentlich durch, wenn sie unter sich sind und ärgern sich, daß sie mir so gar nichts nachreden können — ich habe es verschiedentlich gehört, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. Aber sie sind nicht mit mir verheiratet — — und wenn sie mal aus meinem Dienst scheiden —“
„Na ja — Du wirst doch Dein Fernbleiben diese Nacht genügend motiviert haben?“
„Das habe ich allerdings; da ist doch die gute Enckhausen, die jetzt als reiche Witwe des alten Freiherrn, der sie von den Brettern weggeheiratet hatte, auf dem schönen Bocksberg sitzt. Es ist immer noch so eine Art Kameradschaft zwischen uns geblieben. Nun — und da habe ich denn gleich gesagt, ich würde eventuell bei der bleiben, falls ich mich verspäten sollte.“
„Na, siehst Du, das ist ausgezeichnet! so — und nun komm!“ Er bot ihr den Arm und führte sie in ein reizend gemütliches Zimmer auf der anderen Seite des Korridors, welches mit raffiniertem Luxus ausgestattet war. Ein Ruhebett, zu dessen Haupte eine große Säulenlampe ihre elektrischen Strahlen spendete, lud geradezu zum Träumen — oder zum dolce far niente ein. Auf einem Tischchen daneben lag in zierlichem Lederband eine Novelle von Guy de Maupassant und das Neueste von Heinz Tovote. Ein Duft von Ambra durchwogte das Gemach, von dessen Wänden einige gute Ölgemälde herabschauten, während in einer Ecke aus dem dunkeln Hintergrunde von Blattpflanzen hervor, sich die weißen Glieder der Venus von Milo plastisch abhoben. Das Schlafkabinett, nicht minder luxuriös und behaglich ausgestattet, war von diesem Zimmer durch eine Portiere abgeschlossen.
Alfons trug seine hübsche, zierliche Freundin nach dem Ruhebett, stellte den Sektkühler, der eine bauchige Flasche mit silbernem Kopfe enthielt, zu Häupten des Lagers, holte Näschereien herbei, zierliche Bonbonieren und Obst in geschliffener Krystallschale.
„So, Mausi,“ sagte er, „nun iß und trink und sei süß. Wie gesagt, ich bin bald wieder hier.“
Er küßte sie, ging, kehrte sich an der Tür um, warf ihr eine Kußhand und verschwand. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, drehte sie ihm mit allerliebster Drolexie eine Nase. Dann summte sie den Refrain irgend eines leichtfertigen Soubretten-Couplets vor sich hin:
„L’amour, l’amour — ich lieb’ so lang ich kann!
L’amour, l’amour — auf ein bissl, da kommt mir’s nicht an!“
Dann klingelte sie dem Diener.
Franz war gerade im Begriff gewesen, Herren v. Holtzendorff Bescheid zu sagen, daß er nun wieder herbeikommen dürfe. Er fand den guten Herrn auf dem Sofa des Toilettezimmers, fest eingeschlafen. Holtzendorff hatte zunächst einmal seinen Anzug, der vom Reiten ein wenig derangiert war, in Ordnung gebracht, dann den glänzenden Scheitel des dichten, goldblonden Haares gebürstet, den langen, prächtigen Schnurrbart ausgezogen und den wohlgepflegten Händen noch einige Aufmerksamkeit zugewendet. Reinlichkeit und Akkuratesse war bei ihm das halbe Leben, soweit er auch davon entfernt war, ein Zierbengel zu sein.
Die Konferenz da im Speisezimmer dauerte ein wenig lange und er wäre am liebsten mit französischem Abschied aufgebrochen, allein Hut und Reitpeitsche, die er dort abgelegt hatte, konnte er nicht bekommen, ohne den Freund zu stören. Er ließ sich auf dem Sofa nieder und nun taten die momentane Langeweile, die Ermüdung von dem langen Ritte in der frischen Herbstluft und der gute, schwere Wein des Freundes ihre Wirkung — sein Haupt sank auf das Kissen und er entschlummerte süß. Franz stutzte, als er dies sah und lächelte zufrieden. Wozu den Mann wecken, wenn er der Ruhe bedurfte! Der war originell genug — und was würde er nun erst anstellen, wenn er aufwachte und gewährte, daß er fest und womöglich recht lange geschlafen habe. Eben schloß Franz das Zimmer wieder, als der helle Ton der Klingel ihn in das Zimmer rief, wo der zweite Gast des Hauses seiner bedurfte. Im nächsten Augenblick stand er auf der Schwelle, verneigte sich devot und fragte bescheiden:
„Gnädiges Fräulein befehlen?“
„Befehlen?“ fragte sie lustig, — „ah, na, — i befehl’ Ihnen gar nix, aber i langweil mi halt, und sie sollen mir Gesellschaft leisten. Gehen s’ her, setzen’s Ihna da auf den Puff und erzählen’s mir halt was!“
„Gnädiges Fräulein, das würde sich nicht schicken! — ein Diener —!“
„Schicken — a warum net gar? Genieren s’ Ihna net — tun’s akurat, als wenns daham wär’n!“
„Wenn gnädiges Fräulein befehlen,“ sagte er, trat an das Ruhebett heran, auf dem sie ausgestreckt lag, ergriff ihre Hand und küßte sie galant.
„Sehen sie,“ lachte sie amüsiert, „sie finden sich in ihre Rolle schon ganz vortrefflich! Sie haben Routine!“ Und sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger.
Er faltete die Hände, schlug die Augen schmachtend empor und sah dabei so drollig aus, daß sie laut auflachte.
„Ja,“ — sagte er dann, „man sieht sehr viel und bildet sich — aber — aber — man geht immer leer aus!“
Warum? Das liegt doch nur an einem selber! Halten, was man hat — und vorher zugreifen, wenn sich was bietet.“
„Ganz schön, ganz nett! Aber,“ fuhr er seufzend fort, „Sie wissen doch, was Leporello singt:
Wenn er tändelt mit der Schönen,
Muß ich hier als Schildwach’ stöhnen?“
Er machte dabei ein so komisch verzweifeltes Gesicht, daß sie hell auflachte.
„Aber warum?“ fragte sie dann, nachdem sie sich ein wenig erholt hatte, „warum denn immer gerade Schildwach’ stehen und — o Gott wie tragisch! Dabei stöhnen? Es läßt sich doch auch eine Situation denken, wo das Schildwachstehen nicht nötig, — wo der Gebieter grade nicht anwesend —“
„Gewiß, meine Gnädige,“ sagte er, während seiner Rede die Handschuhe abstreifend und die kleinen Händchen der schönen Jüngerin Terpsichorens in seine Hände nehmend und wiederholt sehr ausführlich küssend, „ich hatte nämlich bei den Garde-Ulanen einen Kameraden — — doch Vergebung — ich bin wahrhaftig arrogant genug, zu glauben, daß sie das interessiert —“.
Aber ich bitte, hier, Herr — Herr —“
„Franz“ heiße ich.
„Mit Vatersnamen?“
„Nein — aber ich bitte sie, nennen sie mich so. Ich muß mir’s von allen Leuten gefallen lassen und — und,“ setzte er mit gut gespielter Schüchternheit hinzu — von Ihnen, gnädiges Fräulein, höre ich es ganz besonders gern.“
„Ah,“ sagte sie lächelnd, „sehr schmeichelhaft, lieber Herr Franz —.“
„Nicht Herr Franz, wenn ich bitten darf!“
„Nun denn, meinetwegen, lieber Franz!“ sie durchschaute ihn, und er gefiel ihr ungemein. Plötzlich faßte sie ihn bei den Ohren, zog seinen Kopf zu sich herab und küßte ihn herzhaft ab. „Du lieber, süßer Junge!“ sagte sie dann — „nun also, was wars mit Deinem Kameraden?“
Er hatte sich indessen vor dem Divan auf die Knie niedergelassen und hielt die schöne Sirene fest umschlungen. Dabei sagte er, aber immer noch ganz den Schüchtern spielend:
„Ach gnädiges Fräulein, wollen sie nicht so gut sein und das noch einmal machen?“
Er wartete aber gar nicht ab, daß sie seiner Aufforderung nachkam, sondern löste den Arm von ihrer Hüfte, schlang ihn um ihren Hals und schmatzte sie derb ab.
Sie gab ihm einen Klaps.
„Halt!“ sagte sie, „nicht so ungenügsam — alles mit Maßen! Und alles muß seine Ordnung haben. Da — fülle die Gläser. Eins ist, wie ich sehe, nach da, und, wie es scheint, für den Baron bestimmt. So,“ fügte sie hinzu, das Glas zur Hand nehmend, „und nun nimm Du auch das Deine.“
Sie schlang den Arm mit der Hand, die das Kelchglas hielt, in den Seinen und trällerte:
„Brüderlein — Brüderlein und Schwesterlein! Laßt das traute Du uns schenken! Voller Seligkeit, Immer so wie heut’ — Wenn wir morgen noch dran denken! Erst ein Kuß, Dann ein Du! Du — Du — Du — — immerzu —!“
Und als die zum Liede nötige Mimik gewissenhaft ausgeführt war, sagte sie:
„Ich hoffe, Du wirst mich verstehen, mein Junge: ‚Wenn wir morgen noch daran denken’!“
„Gewiß, süße Lucretia —!“
„Nenne mich Lucy, wie mich meine guten Freunde nennen, wenn wir allein sind!“
„Gewiß, süße Lucy — wenn wir allein sind — oh — ich weiß — Du bist die vorsichtigste aller Königinnen der Bretter. Kein Mensch kann Dir das geringste nachsagen, einige, die Dir abgefallen sind, behaupten sogar, Du machtest Deinem Namen alle Ehre. Aber damit Du weißt, daß Du meiner Diskretion völlig vertrauen darfst, so höre die Geschichte von meinem Kameraden bei den Garde-Ulanen, die ich mir zum Muster genommen habe. Der war sehr oft in der Lage, junge Damen empfangen zu müssen, die die seinem Herrn eine Visite machen wollten. Er machte sich bei ihnen angenehm, und weil er ein bildhübscher Junge war, so hatte er immer die besten Chancen. Er nahm sie zuletzt in seine Arme und herzte und küßte sie ab,“ er begleitete seine Worte sehr vernehmlich mit der dazu gehörigen Mimik, sprang dann plötzlich in die Höhe, stand stramm und fuhr fort: „Und wenn die Schöne später einmal wiederkam, wenn der Herr zu Hause war, dann war er wieder ganz im Dienst, öffnete die Türen und stand so.“
Er hatte den kleinen Finger an der Hosennaht und machte ein unverfälschtes Kommißdienstgesicht. Sie lachte laut auf:
„Du bist ja wirklich ein Genie!“ rief sie, „Du machst das so täuschend, wie ein direkt importierter Kaschube oder Wasserpolacke! Und dann das nächste Mal — wenn man wieder unter vier Augen war?“
„O, dann ging’s schon rascher,“ sagte er, sich auf den Rand des Divans niederlassend, „dann sparte man die Präliminarien.“
Und wie um ihr den Vorgang ins Wirkliche zu übersetzen, nahm er plötzlich ihren Kopf zwischen seine Hände und preßte seine glühenden Lippen auf ihren weißen Hals.
„Du wirst jetzt unartig,“ wehrte sie sanft ab und sprang auf. „Laß mich dafür eine kleine Genußprobe für Dich aussinnen. Ich hab’s! Leg’ Dich mit dem Gesicht auf den Divan — aber daß Du gehorchst und nicht eher aufblickst, bis ich Dich rufe. Franz gehorchte, und sie schritt zunächst einmal rekognoszierend zur Portiere, die sie ein wenig zurückschlug. Dann hörte er ein Rascheln und wenige Minuten später ein lustiges „Kuckuck“.
Ihr pikantes Soubrettengesichtchen blickte aus den übrigens dicht zusanmengehaltenen Falten. Dann fiel die Portierre zu, er eilte nach und wenige Augenblicke später hielt er sie abermals in seinen Armen und küßte und herzte sie, als wollte er sie erdrücken.
Da gab es draußen ein Geräusch, ein dumpfer Fall, splitterndes Glas, das ängstliche Schnauben von Pferden, ein gellender Schrei einer Frauenstimme und ein kräftiger Fluch eines tiefen Basses.
Lucretia schreckte zusammen.
„Himmel, was war das?“
„Sapperlot,“ rief Franz zu Tode erschrocken, „da ist jemand in Deine Grube gefallen — ich sollte sie zuschütten und statt dessen —“
Er stürzte hinaus.
Auch Walter von Holtzendorff war durch das Geräusch aufgeweckt worden. Na — da war sie also! Er schnellte vom Sofa empor, warf einen Blick in den Spiegel und mußte nun wieder von frischem beginnen, Haar und Bart zu ordnen und seinen Anzug in Schick zu bringen. Dabei fiel ihm eins auf: Hatte er nicht vorher schon, als ihn Franz bat, er möge sich noch einen Augenblick gedulden, einen Schrei gehört? War es ihm nicht gewesen, als habe er eine Frauenstimme reden gehört? Aber nein, er war ja so müde gewesen — er war ja eingeschlafen — konnte er sich irren — konnte das alles nur im Schlafe gehört haben. Einerlei — jedenfalls war sie nun da, und er mußte sich des Auftrags des Freundes erledigen und sie empfangen. Er öffnete die Tür und sah ins Speisezimmer. Franz geleitete eine große, blonde, hübsche Dame in das Zimmer, die auffallend blaß war, vermutlich infolge des ausgestandenen Schreckens. Walter zog sich geräuschlos zurück, er mußte sich erst sammeln.
Das war also die erste Solotänzerin, die viel umschwärmte Prima Ballerina der Hofoper? Tausend ja, da verlohnte es sich ja, ab und zu auch mal eine Oper anzuhören in der Ballett vorkommt.
Die Dame schien sich indeß von ihrem Schrecken erholt zu haben. Sie schob den stützenden Arm des Dieners beiseite, verachte allein auf ihren Beinen zu stehen und als ihr das ohne weiteres glückte, sagte sie mit weicher Stimme von vollem Alt-Timbre:
„Ich danke Ihnen — es geht schon —“
Franz schob eilfertig einen Sessel zurecht.
„Wollen Gnädigste sich nicht ein wenig setzen?“
„Der Herr dieses Hauses wird mir das schon gestatten müssen. Wer ist es?“
„Es ist der Herr Baron Alfons von Lingen, Euer Gnaden zu dienen.“
„Ah, das ist ein höchst sonderbares Zusammentreffen. Bitte, setzen sie den Herrn Baron von dem Geschehenen in Kenntnis und erkundigen sie sich bei dem Kutscher nach dem Zustande meines Fuhrwerks.“
„Zu Befehl, Euer Gnaden, — der Herr Baron sind indessen — —“
„Schon gut, ich kann warten. Hoffentlich ist an meinem Fuhrwerk nichts geschehen und ich kann bald weiter.“
„Das hoffe ich auch,“ brummte Franz, nachdem er mit einer tiefen Verbeugung das Zimmer verlassen, „denn die da — und die andere dort, — das könnte eine schöne Bescherung werden. Wer weiß, was das nun für ‘ne Nummer ist.“
Nunmehr hielt es aber Walter an der Zeit, sichtbar zu werden.
„Meine Gnädigste, — ich habe die Ehre,“ sagte er, sich galant verneigend.
Die Dame stutzte.
„Ein Herr hier? Und nicht der Baron? dachte sie, während sie seinen Gruß mit einem leichten Neigen des Hauptes erwiderte.
Alle Wetter! dachte er, stolz ist so etwas auch noch? Wie ist das möglich? Laut aber sagte er, indem er sich wieder verbeugte:
„von Holtzendorff!“
„Sehr angenehm, sie sind vermutlich ein Freund des Herrn Baron?“ fragte sie und streifte ihn prüfend mit einem kaum bemerkbaren Blick. Die Prüfung schien zur Zufriedenheit ausgefallen zu sein, denn ein leises Lächeln glitt über ihr klassisch-schönes Angesicht, das jetzt, nachdem der Schreck einigermaßen überwunden war, wieder von zartem Rot überhaucht erschien.
„Allerdings, meine Gnädigste, wir sind sehr intime Freunde. Und da der Herr Baron nun heute abend plötzlich ausfahren mußte — —“
„Ah,“ sagte sie, „der Herr Baron ist nicht anwesend?“
„Nein — allerdings nicht, das ist ja jammerschade — nicht wahr, meine Gnädigste. I.g. müssen sie halt mit mir vorlieb nehmen.“
„O, ich denke, es soll nicht so lange dauern. Sobald ich weiß, daß mein Gespann und mein Fuhrwerk intakt ist —— „
„Wie meine Gnädigste — Gespann? Fuhrwerk? Ja, sind sie denn nicht per Rad hier?“
Jetzt sah sie ihn äußerst erstaunt an.
„Per Rad?“ fragte sie ihn befremdend, — ich — per Rad — ja, wie meinen sie denn das?“
Er stutzte. Hatte er sich verraten? War es ihr per Rad so am späten Abend zu unsicher gewesen? Na, ihm konnte das egal sein.
„O — ich meinte nur so, meine Gnädigste,“ sagte er dann laut — „die jungen Damen radeln ja jetzt alle — es ist ja auch ein ganz herrliches Vergnügen, — finden sie es nicht auch?“
„Geschmacksache — ich würde das Reiten vorziehen —!“
„Ah, — da schlagen sie eine Saite in mir an, die nachklingt. Reiten ist meine Leidenschaft. Wie sie mich hier sehen, bin ich den ganzen Tag im Sattel gewesen.“
„Nun, dann müssen sie aber doch sehr müde sein und sind dann hier, wenn Herr v. Lingen abwesend ist.
„Ja, — er hat mich damit beauftragt. Sie zu empfangen und — so unangenehm mir das zuerst war — —“
Er brach ab und biß sich auf die Lippen, denn er sah zwei große, blaue Augen in maßlosem Erstaunen auf sich gerichtet.
„Was? Mich empfangen? Ja — hätte denn der Herr Baron wissen können — —?“
„Nein — nein — nein!“ machte er im Brusttone der Überzeugung und doch eine große Verlegenheit niederkämpfend, bewahre, bewahre — das hätte er nicht wissen können.“
Sie biß sich auf die Lippen und streifte ihn lächelnd mit einem verstohlenen Seitenblick. War er nicht recht gescheit. Das war schade um den hübschen schneidigen Menschen. Er seinerseits schielte auch zu ihr herüber.
Sie scheint mich für verrückt zu halten, sagte er zu sich selbst und ich kann es ihr nicht verdenken. — Die Dummheit muß wieder ausgeglichen werden. Und er wandte sich zu ihr und sagte:
„Ja, meine Gnädigste, wenn ich sagte — er — er habe mich beauftragt, sie zu empfangen — so habe ich damit sagen wollen: Etwaigen Besuch zu empfangen —.“
„So? Also der Herr Baron empfängt häufig Besuch?“
„Je — nun — und bei den schlechten Wegen — sie können sich doch denken. Und besonders hier vor der Pforte die Grube —?“
„Eine Grube —?“
„Na gewiß doch, in die sie hineinstürzen sollten.“
„Was ich — ich sollte in eine — Grube hineinstürzen — —.“
„Ach nein, — Unsinn — — pardon! Ich habe mich natürlich versprochen — ich habe gemein: in die sie hineingestürzt sind!“
„Also eine Grube war es — ja — das konnte ich nun freilich im Dunkeln nicht sehen — hoffentlich ist meinen Pferden nichts passiert — —.“
„Sehen Sie, wie gut es gewesen wäre, wenn sie her geradelt wären!“
„Was haben sie nur immer mit dem Radeln!“
„Nun ich meine doch, wenn man einem solchen Sturz entgegengeht — man fällt doch leichter vom Rad und in das Stroh hinein als in einem Wagen, wo man sich an den Glasscheiben die Pulsadern entzwei schneiden kann! Na, und dann, was ist Ihnen ein Sprung aus dem Sattel des Rades — und was ist Ihnen das Treten der Pedale, die sie doch immer leichtfüßig durchs Leben tanzen — —“
„Leichtfüßig — durchs Leben tanzen?“
Er erschrak.
„Oh — Verzeihung, Gnädigste,“ stotterte er, „daß ich da was gesagt habe, was sie nicht gerne hören. Es sollte aber durchaus keine taktlose Anspielung sein — verlassen sie sich darauf.“
„Eine Anspielung — —?“
„Nun,“ sagte er treuherzig, „hoffentlich glauben sie mir das, wenn ich Ihnen dabei offen und gerade in die Augen blicke.“
Und er richtete seine ehrlichen, blauen Augen mit so biederem Ausdruck auf sein Gegegenüber, daß sie gar nicht mehr wußte, was sie von der Sache halten sollte, ihre Sympathie für ihn aber wachsen fühlte.
Schade, schade um ihn, dachte sie, aber hier steckt irgendwo ein Geheimnis — und da ich darin verwickelt zu sein scheine, so habe ich wohl das Recht dieses Geheimnis zu ergründen. Wohlan.
„Nun, mein Herr von — von — —“
„von Holtzendorff — Walter von Holtzendorff, meine Gnädigste.“
„Danke sehr. Also, Herr von Holtzendorff, sie meinen, ich hätte es übel nehmen sollen, daß sie sagten, ich tanze leichtfüßig durchs Leben?“
„Aber freilich, freilich, meine Gnädige. Alfons hatte mich je so deutlich darauf aufmerksam gemacht —“
„Alfons — ja aber — er? Wie konnte der denn wissen, daß sie mich hier treffen würden — —“
„In — in der Tat, meine Gnädigste das ist wunderbar — und er hat — nun vielleicht hat er sie ja auch gar nicht gemeint.“
„Das scheint mir sogar ganz gewiß! Denn wie hätte er sonst darauf anspielen können, daß ich gerne tanze? Weiß er doch ganz genau, daß ich mir aus dem Tanzen gar nichts mache und nur notgedrungen mal einen Walzer oder einen Polka riskiere.“
„Gewiß — das ist zu begreifen, — denn bei Ihrem Beruf —“
„Bei meinem — Berufe — —?“
„O Verzeihung — nein — das habe ich nicht sagen wollen!“
„Wieder nicht? Meinetwegen! Aber jetzt will ich etwas sagen, was ich nicht wieder zurücknehme. Sie verbergen mir etwas.“
„Ich — Ihnen?“
„Sie leugnen — aber sie machen das nicht eben geschickt. Sie sagten vorher, der Baron habe mich wohl gar nicht gemeint — so hat er doch jemanden anders gemeint. Über diese Person hat er mit Ihnen gesprochen er hat sie also erwartet. Und nun sagen sie mir mal offen und ehrlich: Wen hat er erwartet?“
„Meine Gnädigste, bitte, lassen wir das und plaudern wir gemütlich eins — ich mag nicht immer den Eiertanz aufführen —“
„Eiertanz?“
„O pardon! Bitte werden sie nicht böse, — das sollte wirklich keine taktlose Anspielung sein!“
„Bitte, — ich wüßte aber doch nicht —“
„Also — nicht wahr, wir lassen das? Warum wollen wir denn immer miteinander Versteck spielen? Wir wissen beide ganz genau, worum es sich handelt. Kommen sie — setzen wir uns an den Tisch und verplaudern wir ein wenig die Zeit, bis — bis Ihr Wagen wieder intakt ist.“
Er drückte auf den Knopf der elektrischen Glocke und setzte sich dann der schönen Unbekannten gegenüber. Franz trat ein, etwas erhitzt, etwas zerstreut, seine Krawatte etwas schief und überhaupt nicht so adrett, wie man ihn zu sehen gewohnt war. Auf einen Wink Holtzendorffs faßte er sich jedoch sogleich und servierte einige kalte Gerichte, die auf dem Anrichtetisch standen. Dabei musterte er die Dame zwar unbemerkt, aber sehr genau.
„Das ist prima Qualität, — sagte er zu sich selbst mit Kennermiene — die gehört nicht zu den „kleinen Mädchen“, wie meine süße Lucy.“
Die Dame indeß sah von dem hübschen Franz gar nichts. Es gibt, ja es gab sogar Damen aus alten und ältesten Geschlechtern, die sich einmal mit ihren Kammerdienern oder Reitknechten vergessen haben sollen, und man schreibt diesen Damen sogar das Verdienst zu, den unabwendbaren Verfall solcher Geschlechter um Jahrzehnte, ja sogar um Jahrhunderte aufgehalten zu haben.
Um so aufmerksamer betrachtete sie dagegen Herrn von Holtzendorff und er gefiel ihr immer mehr, je länger sie ihn beobachtete. Er hatte so gar nichts Überkultiviertes, Abgelebtes, — war so ganz Frische und Natur, wie sie es liebte.
„Herr von Holtzendorff,“ begann sie, „wofür sie mich auch vorher gehalten haben mögen — es sollte mir leid tun, wenn ich jetzt Ihre gute Meinung zerstören sollte. Aber es muß heraus: ich bin neugierig — neugierig, wie nur jemals eine Evastochter es gewesen ist. Also antworten sie mir einmal: sie halten mich für eine bestimmte Persönlichkeit —“
„Lassen wir das, meine Gnädigste —“
„Ich esse keinen Bissen, trinke keinen Tropfen, wenn sie mir die Frage nicht beantworten — —“
„Dann geben sie mir Ihr Wort darauf, meine Gnädigste, daß Alfons ja nichts davon erfährt —“
„Nun denn — auf Kavaliersparole!“ dachte sie und reichte ihm die Hand über den Tisch.
Er führte die kleine, schmale, sorgsam gepflegte Hand an seine Lippen und sagte: „Ich danke Ihnen, meine Gändigste, nun ja — ich halte sie für eine bestimmte Person.“
„Und für wen?“
„Oh nein, meine Gnädigste, pardon — das müssen sie mir doch gütigst erlassen. Ich weiß ja doch gar nicht, ob sie’s sind. Entweder sie spielen ganz vortrefflich Komödie, oder sie sind wirklich die Dame nicht, für die ich sie halte, die hier erwartet wurde und für die der ganze Apparat draußen aufgebaut wurde — —“
„Der Apparat — aufgebaut —“
„Na ja — sehen sie — sie spielen meisterhaft — aber gesetzt den Fall, sie wären nicht — so würde ich sie doch vor der andern, dann vor mir säße, kompromittieren, falls ich Ihren Namen nennte!“
„Hahaha!“ lachte sie nun herzhaft, „die Sache klingt etwas sehr verwickelt, Herr von Holtzendorff, — aber so entkommen sie mir nun doch nicht! Den Namen müssen sie mir doch sagen! Weshalb brauchte ich Ihnen sonst meinen Namen zu nennen. Und denn — die Dame kompromittieren? Es ist doch wohl annehmen, daß ich sie gar nicht kenne.“
„Im Gegenteil, meine Gnädige, — es fast anzunehmen, daß sie sie allerdings kennen!“
„Nun — dann kennen sie sie doch aber sicher! Sie können mir also ganz genau sagen, ob ich es bin oder nicht —“
„Doch nicht, meine Gnädigste, — ich komme zu selten nach der Residenz. Ich bin in simpler Landjunker, der fest auf seiner Scholle sitzt und leider sehr schwer — —“
Sie horchte auf. Er sagte das so treuherzig, daß er sogleich ihre ganze Teilnahme erregte.
„Oh,“ sagte sie aufrichtig, „Sollten sie auch unter der allgemeinen Kalamität leiden? Das sollte mir wirklich leid tun —“
„Nein — so ist das nicht, Gnädigste, erwiderte er lebhaft, „sondern ich leide an meinen Vorfahren.“
„Was — woran?“
„Nun ich kann davon sprechen, ohne pietätlos zu sein. Ich stamme aus einer armen Seitenlinie unseres Hauses. Das Gut erbte ich von einem entfernten Vetter meines Vaters in einem schauderhaften Zustande! Die paar Groschen, die ich vom Vater erbte, waren rasch hineingebuttert. Na — und da sagte ich mir: so kann das nicht bleiben, Du mußt klein anfangen. Ich bebaute ein Viertel und verpachtete das übrige. Und jedes Jahr bringe ich etwas mehr unter den Pflug — da heißt es aber, die Ohren steif halten. Im Sommer habe ich keine Sekunde für mich und im Winter muß ich die neuesten Werke der landwirtschaftlichen Literatur studieren — um auf der Höhe zu bleiben. Ja — und sehen sie, wenn ich mal nach der Residenz komme, dann ist da soviel anderes; Landwirtschaftlicher Verein. Landwirtschaftliche Ausstellung — ja, ja da bleibt dann für’s Theater wenig Zeit.“
„Das sehe ich allerdings ein, aber was hat das Theater — —“
„Und außerdem, was ich gern sehen möchte, wird ja nicht gegeben. Ich bin immer noch altmodisch genug, meine Klassiker hochzuhalten — von Musik verstehe ich nichts, deswegen interessiert mich die Oper nicht — und verzeihen sie, — das Ballett am wenigsten!“
„Na ja mein verehrter Herr — diese Geschmacksrichtung ist ja nur äußerst lobenswert und ich versichere Ihnen, daß sie meine äußerste Sympathie hat — aber —“
‚Aha‘ — dachte er, ‚vom Ballet will sie also nichts wissen — so ist sie’s doch — fast wäre ich irre geworden.‘
„Sehen sie, meine Gnädigste, nun habe ich die Gewißheit, daß sie’s sind — sie haben sich selbst verraten. Sprechen wir nicht mehr darüber — — und somit: Prosit!“
„Gut — also, wer bin ich?“
„Oho,“ lachte er schlau, — „sie wollen mich fangen? Nein, meine Verehrteste — so leicht geht das denn doch nicht! Also sie sind Sie.
„Sehr hübsch gesagt. Also, nehmen wir an, es stimmte: „Ich bin ich! Dann bin ich also die Dame, die hier erwartet wurde!“
„Sie habens erraten.“
„Und für diese ist eine Grube aufgeworfen worden?“
„Allerdings — und zwar hat man diese Grube einfach offen gelassen, als ein Wasserleitungsrohr repariert worden war. Und damit sie recht weich fiel, wurden einige Bunde Stroh neben der Grube platziert.“
„Ah—!“
„Ja, sehen sie — ich habe sie bewundert, wie sie das mit dem guten Alfons zusammen so schlau ausgedacht haben.“
„Gewiß — es war auch nicht so leicht, darauf zu verfallen, und wir haben uns alle mögliche Mühe geben müssen, um es auszusinnen. Und nun, sagen sie mal — was glauben sie wohl, warum wir einen solchen komplizierten Apparat aufgebaut haben Ihrer Meinung nach?“
„Sollten sie das nicht selber wissen, Gnädigste?“
„Freilich weiß ich es — aber ich möchte es auch einmal aus Ihrem Munde hören. Sie erzählen das so drollig — —.“
„Das ist aber doch merkwürdig — wie sich der gute Alfons aber in Ihnen geirrt hat! Behauptet da ganz keck, — sie möchten so etwas nicht hören — und nun fordern sie mich noch beständig auf, davon zu reden —“
„Ja — aber wie gesagt, — ich fordere auch nur sie dazu auf —“
„Nun gut — dann gestatten sie aber, daß ich von Ihnen wie von einer dritten Person spreche — sonst — sonst kann ich Ihnen das doch — — nein, es geht aber doch nicht. Sagen sie mir aber um Gottes Willen — wie konnten sie sich denn zu so etwas entschließen —?“
„Ja, was tut man nicht alles — —“
„Aus Liebe, wollen sie sagen. Ja ich weiß. Aber gab es denn, wenn es durchaus sein mußte, kein anderes Mittel? Und warum in aller Welt änderten sie denn Ihren Entschluß, per Rad zu kommen. Es muß doch ein schauderhaftes Gefühl sein, so zu wissen: Jetzt geht es los — jetzt verunglückst Du — so darauf zu warten — — von Minute zu Minute — —.“
„Nun, — so schlimm war es nicht — ich dachte an so vieles andere.
Na, sehen sie, Herr von Holtzendorff ich gebe jetzt ja alles zu — und sie werden doch nun wohl einsehen, daß ich — eben ich bin. Nun, daran ist ja nichts mehr zu ändern — also sagen sie mir auch getrost meinen Namen.“
„Wenn sie es durchaus wissen wollen: sie sind Signora Lucretia Vetturini, alias Luise Fuhrmann, Prima Ballerina am königlichen Opernhause — —“
Er wurde unterbrochen — ein schmetterndes Lachen ließ ihn aufhorchen.
„Nein, meine Gnädigste — wie sie lachen! Das ist ja geradezu bezaubernd und wenn —“
Aber er hielt wiederum ein. Sie hatte die Gabel hingelegt und war aufgesprungen. Das Lachen war aus ihrem Gesicht verschwunden und die kleine, weiße Hand ballte sich zur Faust.
„Um Gottes Willen, meine Gnädige, unterbrach er sie — sehen sie, nun werden sie ja doch wütend. Ich hatte sie doch so sehr gebeten, das Thema nicht weiter zu behandeln, da ich ja von Alfons weiß —“
„Nein, nein bewahre — bin ja gar nicht wütend — es fiel mir plötzlich etwas ein. Aber sagen sie mir doch, der Herr Baron ist also weggefahren?“
„Ja“
„Und wohin?“
„Zu seiner Mutter —“
„Ah — —“
„Sie sagten?“
„O — nichts. Wissen sie zufällig, was er da so wichtiges zu tun hat, daß er darum die Dame, die er sich mit Fallgrube, Fußangeln und Selbstschüssen — daß er also mich einfach versetzt?“
„O — nehmen sie sich das nicht so zu Herzen, mein Kind. Ich kann Ihnen gar nicht schildern, wie schwer es ihm geworden ist, wegzufahren und wie dringend er mir die Sache für sie ans Herz gelegt hat.“
„Na ja — das ist ja sehr schön — äußerst rührend — allein, wissen sie nicht, was für eine Veranlassung — —“
„Ja — ja — natürlich — ganz recht — seine Mutter hat sich den Fuß über dem Knöchel — oder wo — ich weiß nicht recht gebrochen — sie liegt seit — seit heute früh zu Bette. Erst wollte sie ihn nicht beunruhigen, aber als die Schmerzen gegen Abend zu groß wurden, da verlangte sie schließlich doch, ihren Sohn zu sehen.“
Sie sah ihn schelmisch lächelnd an.
„Hören sie, Herr von Holtzendorff, wenn sie — lügen wollen, dann müssen sie das doch etwas — etwas schlauer anfangen. Sonst sieht man’s gleich, — und übrigens steht es Ihnen auch nicht gut —“
„Aber — meine Gnädigste,“ stotterte er und wurde dunkelrot, „ich habe — —“
„Sie haben — dem Freunde zu Liebe — die Wahrheit gesagt — selbstverständlich! Schade nur, daß ich die würdige alte Dame heute Mittag noch in der Stadt gesehen habe — und sie war ganz, ganz rüstig zu Fuße.“
„O weh —“
„Ja, — sehen sie? Lügen haben kurze Beine. Ich muß sie dafür bestrafen. Also sagen sie mir, was ist das mit dem guten Alfons?“
„Ja — na — — aber — bitte, erschrecken sie nicht, — er ist heimgefahren, um sich unter dem Segen seiner Mutter mit Fräulein Irmentraut von Waltersdorff zu — verloben.“
„Ah —“
„Sehen sie, nun erschrecken sie doch. Ich hatte sie doch so sehr gebeten, sich nicht zu alterieren. Aber ich kann Ihnen zur Beruhigung mitteilen, daß dieses Ereignis seinen Gefühlen für sie keinen Abbruch tun wird.“
„Was — wie wäre das möglich?“
„Nun — er liebt die ihm zugedachte Braut nicht —“
„Was?“
Wieder war sie aufgesprungen und jetzt durchmaß sie mit großen Schritten das Gemach.
„Aber, so beruhigen sie sich doch, nehmen sie nur wieder Platz. Ich kann es Ihnen ja schließlich nachfühlen, daß sie das angreift — allein, ich gebe Ihnen die Versicherung, es ist nur ein Finanzmanöver, das er da vor hat.“
„Woher wollen sie das wissen, mein Herr?“ fragte sie scharf, beinahe feindselig.
„Du mein Gott, — hätte ich das geahnt,“ rief er, ängstlich hinter ihr herlaufend, — „sie können versichert sein, ich hätte —“
„Woher wissen sie’s?“ fragte sie noch einmal.
„Na, Du mein Gott, er hat mir’s doch selbst gesagt —“
„Ihnen?“
„Ja — gewiß, Gnädigste, mir, — und zwar, weil er weiß, daß ich eher sterben als etwas ausplaudern würde — —“
Sie blieb plötzlich vor ihm stehen, sah ihm ganz baff ins Gesicht und brach in ein lautes Gelächter aus. Dann setzte sie sich wieder.
„Armes Kind,“ sagte er teilnehmend, trat neben sie, nahm ihre Rechte in die seine und klopfte ihr mit der Linken tröstend die Wangen, „es hat sie doch hart angegriffen, sie sind nervõs — aber sehen sie, — sie müssen es ja doch vorher gewußt haben, als — nun als sie die zarten Bande mit dem lieben Alfons knüpften — da müssen sie’s doch gewußt haben, daß dergleichen nicht ewig währt, daß es einmal ein Ende nimmt — —“
Wieder sah sie ihn erstaunt an, dann aber erhellte ein liebes Lächeln ihre eben noch so ernsten Züge, sie entzog ihre Hand sanft der seinigen, befreitet ihr schönes Haupt mit einer graziösen Wendung den tätschelnden Liebkosungen seiner Linken und deutete auf den Sessel, von dem er aufgesprungen war.
„Wollen sie sich nicht wieder setzen, Herr von Holtzendorff,“ fragte sie dann, „es plaudert sich ja doch viel gemütlicher im Sitzen. — Also, er verlobt sich heute abend?“
„Na ja — gewiß doch, liebes Kind —“
„Bitte, mein Herr — nicht diese Anrede ——“
,Aha — sie kriegt ihre Mucken.‘ — „Pardon, Gnädigste. Das sollte keine Insolenz sein! Ich glaubte nur, Ihr Schmerz habe uns einander näher gebracht — —
„Gewiß — hat er auch — aber ich bitte doch — —“
„Aber natürlich — ich werde mich nicht mehr vergessen. Und zum Zeichen der Vergebung reichen sie mir Ihre Hand —“
„Herzlich gern — —“
„Ah — das ist aber nett von Ihnen,“ sagte er, ihre Hand an die Lippen führend — „überhaupt — darf ich mal ein freies Wort zu Ihnen reden?“
„Aber bitte!“ sagte sie sichtlich amüsiert.
„Ich muß Ihnen sagen, mein Gnädigste, — vorher — als ich nicht wußte, — oder nicht genau wußte, wer sie waren, da hielt ich sie für eine Tänzerin — weil mir gesagt wurde, daß die Dame, die kommen würde, eine Tänzerin sei. Jetzt aber, da ich die Bestätigung aus Ihrem eigenen Munde habe — zweifle ich fast, daß sie eine Tänzerin sind.“
„Und warum —“
„Nun — ich will es Ihnen erklären. Ich habe einmal als Student im Opernhause als Statist mitgewirkt. Es war in den Hugenotten. Ich hatte da das Vergnügen, das ganze Korps de Ballett, in nächster Nähe zu sehen. Voran die Prima Ballerina — oh eine Dame — ihre eigene Großmutter hätte sie sein können —“
„Kostbar — weiter — —“
„Na — und alle die anderen auch, durch die Schminke hindurch konnte man ihren Mangel an — — Jugend und Schönheit erkennen. Na — ich danke!“
„Ach, und da dachten sie, ich müßte auch so sein!“ lächelte sie belustigt.
„Aber wie äußerst angenehm war ich enttäuscht,“ fuhr er fast begeistert fort, „als ich sie nun vor mir sah in Ihrer ganzen Natürlichkeit, Ihrem Liebreiz, Ihrer — echten — ja Ihrer echten Weiblichkeit — —“
„Sie — Sie, Herr von Holtzendorff!“ drohte sie ihm schalkhaft mit dem Finger, „Sie sind ja ein ganz gefährlicher Don Juan.“
„Ich?“ sagte er ehrlich, „ach Du lieber Gott.“
Er machte dabei ein so ehrlich verblüfftes Gesicht, daß sie, wie schon so oft am heutigen Abend, laut auflachte.
„Ja, sehen sie, das ist ganz unbewußt, sie haben davon selbst keine Ahnung — und Ihr Freund am allerwenigsten. Also, er liebt seine Braut nicht?“
„Bewahre!“ sagte er treuherzig, „zum Troste kann ich Ihnen seine eigenen Worte sagen: Sie gleicht dem Weibe, das ich mir denke, wie ein Glas matter Limonade einem Kelche feurigen Champagners.“
„Ah —“
„Sie meinten?“
„Recht hübsch gesagt.“
„Nicht wahr — —?“
„Ja — und für mich recht, recht schmeichelhaft. Denn ich darf mir doch wohl einbilden, daß ich der Kelch feurigen Champagners bin.“
„Das dürfen sie, — wenn ich persönlich auch vielleicht anders urteilen würde.“
„Sie? und darf man wissen?“
„Freilich — es geht sie ja nahe genug an. Ich würde sie, wenn es einmal ein Vergleich mit Wein sein muß, nicht mit dem Sekt vergleichen — der braußt, brüsselt und zerplatzt — man bekommt einen kurzen Rausch und am anderen Tage — der Rest ist schweigen! Nun, — ich würde sie vergleichen mit einem Glas echten deutschen Weines, mit einem Kelche echten feurigen Rüdesheimer, der uns erwärmt, aber nicht erhitzt, begeistert und zu hohen Taten treibt, der ein Sorgenbrecher ist im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, meine Gnädigste, mögen sie nun lachen oder nicht — ich empfinde das so — und muß es Ihnen sagen. Wenn ich verzagt die Hände in den Schoß fallen ließe, — Ihre Worte könnten mich begeistern, das Unmögliche zu vollbringen — und wenn mich die Sorgen niederdrückten — ein Blick in Ihre klaren, blauen Augen würde sie von meiner Stirn scheuchen —“
Er war ihr um den Tisch herum mit seinem Stuhle näher gerückt, hatte ihre Hand ergriffen und zuletzt ganz begeistert gesprochen. Diesmal ließ sie ihm ihre Hand, aber sie sah ihn aus großen, erstaunten Augen an.
„Aber Herr von Holtzendorff!“ sagte sie dann — „wie sprechen sie denn da — das ist —“
„Verzeihung — aber ich sprach nur aus, was mir das Herz voll war — eine schlechte Angewohnheit.“
„Im Gegenteil — eine geradezu unschätzbare — als Prima Ballerina — hört man dergleichen selten —.“
Er ließ ihre Hand los und rückte wieder von ihr ab.
„Werden sie mir übel nehmen, was ich Ihnen da gesagt habe — —?“
„Ich —? Wie käme ich denn dazu —?“
„Weil ich vergessen hatte — — nein — nun sagen sie mir mal wirklich — was wollten sie nun eigentlich hier bei Alfons?“
„Ich — nun — sein Landhaus sehen, wovon er mir soviel erzählt hat — vielleicht eine kleine Erfrischung nehmen — und dann weiterfahren — nach Hause —“
„So — ist — ist das auch wahr?“
„Es ist so — so wahr ich Lucretia Vetturini heiße —“
Er atmete auf.
„Na — Gott sei Dank —“
„Was haben sie denn?“
„Das — das darf ich Ihnen nicht sagen.“
„Und warum nicht?“
„Weil ich ein armer Landwirt bin — und sie eine verwöhnte Theaterprinzessin.“
Wieder faßte er nach ihrer Hand. sie waren beide so in ihrer Unterhaltung vertieft, daß sie nicht hörten, wie eine Tür im Hintergrunde des Speisezimmers, die in einen jetzt dunklen Salon führte, leise geöffnet wurde. Zwei Köpfe wurden einen Augenblick in dem Spalt sichtbar und dann die Türe ganz leise, ganz leise wieder angelegt.
„Sehen sie,“ fuhr Walter nun fort, „wir Landwirte sind schlimm dran! Ohne Kapital gehts bei uns nur langsam oder gar nicht — und wenn der Besitz nun erst verschuldet ist —“
„Ich weiß, ich weiß!“
„Sie?“
„Ja — doch weiter!“
„Nun, sehen sie, so muß der arme Alfons sich aufopfern — anstatt heute abend mit Ihnen hier ein paar glückliche Stunden zu verleben, muß er sich mit der jungen Dame verloben, die ihm herzlich gleichgültig ist, weil er ihr Geld braucht. Ist das nun nicht einfach — einfach tragisch?“
„Allerdings ist es das! Und sie — sie werden über kurz oder lang auch die Zahl dieser tragischen Helden vermehren — sich nach einem hübschen Goldfischchen umsehen.“
„Meine Gnädigste — da tun sie mir aber unrecht! Das hätte ich schon lange haben können. Es hat mir, ich möchte beinahe das harte Wort gebrauchen, an Offerten nicht gefehlt — aber ich bin nicht — —“
„Warum nicht —? Hatten sie nicht genug — —?“
„Doch — übergenug — aber das kommt hierbei gar nicht in Betracht — ich heirate nur diejenige Frau, die ich liebe — und wenn sie keinen Pfennig hätte — das wäre ganz egal. Nur gedulden müßte sie sich in diesem Falle eine kleine Weile — vielleicht auch eine große, — nämlich so lange, bis ich wenigstens die Hälfte meines Gutes selbst bewirtschafte. Dann nämlich langt es erst für zwei. Deswegen muß ich zwei Anforderungen stellen an die Frau, die mein eigen werden soll: sie muß die Landwirtschaft lieben und muß keine allzu hohen Ansprüche ans Leben stellen. Na und — jetzt — ich glaube, ich werde niemals heiraten —“
„Ach, gehen sie doch — —“
„Ja — ja — das ist nun mal so —“
„Übrigens sagten sie vorhin, ich sei eine verwöhnte Theaterprinzessin. Na, da tun sie mir aber Unrecht! Ich lebe mit meiner alten Tante zusammen — und einer alten Dienerin — das ist alles — und wenn ich des abends — wenn ich abends zu Hause bin, dann lesen wir gemeinschaftlich ein gutes Buch, wir lesen einander vor, halten eine Anzahl guter Zeitschriften und besuchen die Gemäldegalerien — das bildet den Geist und erfrischt den ganzen Menschen — halten sie das für übertriebene Ansprüche —?“
„Nein — wahrhaftig nicht, gnädiges Fräulein. Ich versichere sie, ich hätte mir derartiges nicht träumen lassen: Sie eine Tänzerin — oder eine Tänzerin — wie sie!“
„Ja — sehen sie —doch — Verzeihung — hörten sie denn nichts — ich meine, ich hätte einen Wagen rollen hören. Es wird der meine sein — ich muß fort — —“
„Oh — mein gnädiges Fräulein, werden sie mir’s glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es mir unendlich leid tut?“
In diesem Augenblicke wurde die nach dem Flur führende Tür geöffnet und Baron Alfons von Lingen erschien auf der Schwelle. Neben ihm schritt Franz, eifrig auf ihn einsprechend. Die junge Dame sah die beiden Männer zwar eintreten, aber sie tat, als bemerke sie dies nicht, reichte Walter herzlich die Hand und sagte dann:
„Ich glaube es Ihnen, denn mir geht es ebenso — und, wenn ich eine Bitte aussprechen darf: Fürchten sie sich nicht, sich zu kompromittieren, wenn sie einmal nichts besseres zu tun wissen, die Tänzerin aufzusuchen. Meine Tante wird sich herzlich freuen, wenn sie an unserer Lektüre teilnehmen wollen. Und der Abwechslung halber klimpere ich auch ein wenig und singe wohl dazu — —“
„Ah, das ist ja herrlich!“ rief er ganz begeistert, „ich spiele und singe ja auch ein wenig —“
„Also — ich nehme sie beim Wort, und nun kommen sie, geleiten sie mich, bitte, zu meinem Wagen.“
„Verzeihung, Gnädigste,“ ließ sich da Alfons Stimme vernehmen, — „es war mein Wagen — Ihre Pferde, die ebenso wie das Fuhrwerk unbeschädigt sind, werden soeben eingespannt.“
„Aha — Herr Baron — das ist ja hübsch, daß ich sie auch noch begrüßen kann und wohl als glücklicher Bräutigam. Denn ich darf wohl annehmen, daß die geniale Finanzoperation nunmehr geglückt ist — —“
„Mensch,“ murmelte Alfons, „hast Du etwa das Geringste verlauten lassen?“
„Bewahre — sie muß das schon gewußt haben — sie hat mir Wort für Wort, fast ohne daß ich es merkte, heraus gelockt — —“
„Du bist wahrlich ein diskreter Freund — Du hast mir eine schöne Suppe eingebrockt.“
„Aber wieso? — Ich habe Dich wie ein Freund verteidigt und Deine Handlungsweise nach Kräften motiviert —“
„Ha, — Du bist ein diplomatisches Genie, das ist nämlich gar nicht Signora Vetturini — —“
„Wa — — nicht — die Vetturini? Ja wer denn, um Himmelswillen?“
„Ich bin Irmentraut von Waltersdorff, die Ihnen, Herr von Holtzendorff, herzlichst für die angenehme Stunde dankt, die sie ihr bereitet haben und die ihre Einladung zum Tee wiederholt — da ich nun des abends nicht tanze und auch wenig gesellschaftliche Verpflichtungen habe, so ist wohl ein jeder Abend recht. Zur Sicherheit aber schreiben sie uns dann wohl vorher eine Karte — und nun — kommen sie —?“
„O — gnädiges Fräulein — sie nicht Signora Vetturini. Natürlich — oh tausendmal Verzeihung — war ich denn blind?“
„Durchaus nicht, sie haben mir ja noch vor wenigen Minuten gesagt, daß sie mich eigentlich nicht für eine Tänzerin halten —“
„Ja — aber — die Signora — die ist dann nicht gekommen —“
„O ja — die ist hier!“ rief da eine Stimme aus dem Hintergrunde des Zimmers, „sie hat sich eingestellt und freut sich sehr darüber, denn sie verläßt dieses Haus weit klüger, als sie es betrat.“
Irmentraut tat, als sähe sie die andere nicht, sondern wandte sich nunmehr an Alfons, der vor Verlegenheit nicht wußte, wohin er blicken sollte.
„Sie haben recht getan, Baron — und der Zufall fügt es glücklich: Lassen sie ruhig die schale Limonade stehen und greifen sie zu dem feurigen Champagnerkelch! — Die Limonade empfiehlt sich, kommen sie Herr von Holtzendorff!“
„Was?“ rief Lingen empört, „auch das hast Du kolportiert —“
„O — nein, lieber Alfons — verzeih’ mir — ich wußte jedoch nicht — daß — —“
„Na, — Dir habe ich ja viel zu danken.“
„O verzeih mir —“
„Ach — geh zum Kuckuck —“
Sie verschwanden und Franz sprang behende voran, um den Wagenschlag zu öffnen.
„Nun, mein Freund,“ sagte jetzt Lucretia, indem sie mit boshaftem Lächeln auf ihren gänzlich geknickten Anbeter zutrat, „das war eine hübsche Lektion, die Dir da Deine verflossene Zukünftige gegeben hat. Ich kann sie nicht leiden, sie scheint ein hochmütiges Geschöpf zu sein — aber Dir hätte ich sie gegönnt — Du hättest sie verdient —“
„Aber Lucy —“
„Laß mich — mit Dir bin ich fertig, ein für allemal — aber, das muß ich doch noch sagen, daß ich diese Person da hätte applaudieren mögen, als sie Dich so ordentlich abkanzelte, wie einen Schulbuben! —“
„Aber, mein Gott, Lucy — höre mich doch — ich liebe diese Dame ja doch nicht ich hätte sie nur des Geldes wegen genommen —“
„Und mich der Ehre gewürdigt — Deine linke Hand zu bekommen! Dank. Ich hatte nicht die Prätension, von Dir geheiratet zu werden — das weißt Du — aber wenn ich mich schon einem Manne gebe — dann will ich ihn schon ganz haben — entweder für eine Stunde oder für längere Zeit!“
„Du hast ja aber doch gehört, es ist aus — ich bin frei.“
„Aber Du durftest nicht gehen — durftest nicht mich hier sitzen lassen — mußtest Dich unbedingt bei Deiner Mutter entschuldigen.“
„Aber Lucy —“
„Und wenn ich so töricht wäre, Dir nachzugeben, morgen würdest Du hingehen und Dich nach einem anderen Geldsack umsehen denn Du brauchst Geld — sogar dringend arme Verehrer oder solche, die meine Freundschaft nicht vertragen können ohne sich zu ruinieren — die kann ich nicht gebrauchen das merke Dir —“
„Und so soll das der Abschied sein?“ fragte er betrübt, nahe an sie herantretend, „bekomme ich zum Abschied nicht wenigstens —“
„Nichts bekommst Du, mein Freund, — gar nichts —ich bin nicht so grausam, Dir den Mund wässrig zu machen. Und wenn der Herr Baron darob erzürnt sein und mir den Wagen verweigern sollte, wenn vielleicht mein Rad entzwei sein sollte, so will ich lieber zu Fuß nach Hause laufen.“
„Aber — ich bitte Dich — —“
„Halt — wir sind fertig — ich bin nicht mehr Ihr Du. Franz haben sie sich vielleicht überzeugt, wie es mit meinem Rade steht?“
„Verbogen, gnädiges Fräulein, — die Lenkstange ist hin, auch ein paar Speichen des Vorderrades — das gnädige Fräulein werden es für den Heimweg wohl nicht mehr benutzen können — —“
„Nun dann fahre ich, wenn der Herr Baron erlauben, mit Ihrem Wagen — —“
„Gewiß, — das bedarf doch keiner Erlaubnis.“
„Sehr gütig — aber bemühen sie sich, bitte auch nicht, mich zum Wagen zu geleiten — Franz macht das ebenso gut —“
„Zu Ihren Befehlen, gnädiges Fräulein.“
Er öffnete die Tür, sie schritt mit leichter spöttischer Verneigung gegen Alfons hinaus und stand im nächsten Augenblick am Wagen, dessen schlag Franz geöffnet hatte. Sie zog ihr Portemonnaie.
„Lucy!“ — flüsterte er entrüstet „willst Du mich beleidigen?“
„Franz“ — sagte sie leise aber streng, „was fällt Dir ein? Denk an die Geschichte von Deinem Kameraden bei den Garde-Ulanen —“
Damit stieg sie in den Wagen.
„Ja — darf ich Dich denn gar nicht wieder sehen — —?
„Ah — Dschapperl — was denkst?
Bis in Ewigkeit — —
Immer so wie heut‘, —
Wenn wir morgen noch dran denken —“
„Also, sollte es damit alle sein?“
„Ganz alle — tröste Dich — denke es war eine Blume am Weg, — wir haben sie halt gepflückt —“
„Und das ist alles — nicht einmal zum Abschied bekomm ich etwas — —“
„Da faßte sie ihn bei den Ohren und gab ihm einen herzhaften Kuß.
„Da Dschapperl — dummer — und nun wirklich: B’hüt di Gott — und sei net bös, es kann ja nicht sein.“
Der Schlag fiel zu — ein paar Augenblicke stand er noch wie im Traum. Dann hob er die Hand gegen das davonrollende Gefährt.
„Hexe“ murmelte er und ging in das Haus zurück.
Anmerkungen:
1 Vorlage: bischen
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3 Vorlage: Gebahren