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Lonni's Ehemänner

 

Lonni‛s Ehemänner

von

Hans Siegloff

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer. 44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Freund Ricko

Wenn er zu uns kam – er kam oft, denn er verkehrte gern in Familien –, dann ließ er zuweilen durch diese oder jene Bemerkung erkennen, daß er durchaus kein harmloses Knäblein mehr sei. Er zeigte uns auch zuweilen Bilder von jungen Damen, schmunzelte und fragte meine Frau, seine Kusine, mit gemachter Harmlosigkeit:

„Na – wie gefällt sie dir?“

Und meine Frau fand ‚sie‛ natürlich entzückend, und ich desgleichen.

So suchte er den Anschein zu erwecken, daß er bereits ein Lebemann mit mehreren Vergangenheiten sei.

Wir aber hatten bald heraus, daß Freund Ricko – er hieß Richard und war mit sechsundzwanzig Jahren Assessor und Syndikus einer großen Handelsgesellschaft – lediglich renommierte. Sein jüngerer Bruder, Ingenieur mit Vornamen Willi, öffnete uns gänzlich die Augen, nachdem wir wie gesagt schon selbst so allerlei Ungereimtes in seinem Lebenswandel festgestellt hatten.

Zuweilen erzählte er mir nämlich: ‚Gestern Abend war die schwarze Susi bei mir – von acht bis zwei –‛ oder so ähnliches.

Und stets hatte Freund Ricko insofern schon kurz darauf Pech, wenn wir dann bald erfuhren, daß er an dem angeblichen Liebesabend sehr brav bei Onkel August oder Tante Luise ‚Familie gesimpelt‛ hatte.

Er war ein sehr kluger Mensch, der Ricko. Den Assessor hatte er mit Auszeichnung gemacht. Und ein Geheimer Kommerzienrat, den ich hier Feigenbaum nennen will – er hieß so ähnlich – nur ‚vorn‛ war im Namen eine zart duftende Blume und ‚hinten‛ ein Schmuck, mit dem sich die paradiesische Eva als einziges Kleidungsstück auf vielen Bildern begnügt– und dessen Sohn er als Student glücklich durch Privatstunden zum ‚Abitur‛ verholfen hatte, wurde derjenige, der seine Bewerbung richtig einschätzte und den frisch gebackenen Assessor mit sechszehntausend Mark Jahresgehalt in die Syndikusstelle hineinlancierte.

Freund Ricko hatte sich als Referendar – in Berlin! – mit einhundertundzwanzig Mark Monatsgehalt durchgeschlagen. Sein Vater war Gutsbesitzer, aber einer von denen, auf den der Ausdruck ‚notleidender Agrarier‛ wirklich paßte. Kein Wunder, daß Ricko sich nun zunächst mal seinem Einkommen gemäß umkrempelte. Er bewohnte jetzt zwei Zimmer, hatte acht Anzüge, legte die Röllchen ab, schaffte Oberhemden an, erklärte Schlipse mit Schnallen für plebejisch, trug nur noch Selbstbinder, dazu bunte, dünne Socken, Schuhe mit Lackspitze, stets gebügelte Beinkleider, rauchte Fünfzehn-Pfennig-Zigarren – woran der Leser merkt, daß unsere Geschichte im Frieden spielt, wo noch eine Acht-Pfennig-Zigarre von L. & W. durchaus rauchbar war und –

Doch ich will diese Veränderungen nicht bis ins einzelne ausspinnen.

Er krempelte sich eben total um: Nur in dem einen kitzlichen Punkt nicht: In der Liebe!

Da blieb er Schein-Lebemann! Nur insofern nahmen seine mir anvertrauten Abenteuer eine andere Fassung an, als er jetzt – angeblich – mit einer seiderauschenden Fanni oder Toni Weinlokale besuchte, in Sekt und Austern und – Zärtlichkeiten schwelgte und die kleinen Mädchen mit baumwollenen Strümpfen und derben Leinenhemdchen für ‚unschick und sein Feingefühl verletzend‛ erklärte.

Nun – wir wußten Bescheid! Aber – wir ließen ihn nie merken, daß diese Liebesaffären lediglich Phantasieprodukte waren.

So verging ein Jahr. Ricko hätte sich ganz gern verlobt. Aber – er fand nicht, was er suchte. Er sagte gelegentlich zu mir:

„Ich will eine Liebesheirat schließen. Ich kann’s mir leisten. Feigenbaum hat dafür gesorgt, daß ich jetzt neunzehntausend Märker jährlich kriege. Außerdem habe ich für die Gesellschaft einen faulen, sogar oberfaulen Millionenprozeß glücklich in der zweiten Instanz gewonnen, wofür man mir runde fünfzig Mille spendiert hat. Ich bin also auch Kapitalist.“

„Hm – wie wär’s denn mit Kläre Feigenbaum? – Die Eltern laden dich so viel ein, Ricko. Und – sie hat eine Millionenmitgift!“

Er zuckte die Achseln.

„Ich will aus Liebe heiraten,“ sagte er mit scharfer Betonung des himmlischen Wortes. „Gewiß – Feigenbaums stehen noch immer mit gezücktem elterlichen Segen bereit, aber – die Liebe fehlt – auf meiner Seite! Kläre scheint ja – Doch – genug davon.“

Freund Ricko war ein großer, schlanker Mensch. Nur etwas unbeholfen in Gesellschaft war er. Ihm fehlte gerade im festlichen, fremden Kreis jene Sicherheit des Auftretens, die die Geselligkeit erst zum Genuß macht.

Feigenbaums hatten wir durch Ricko zufällig kennen gelernt. Sie waren getauft und – prächtige Menschen; tatsächlich. Die Kommerzienrätin eine feine, gebildete Frau von einer zwanglosen, erwärmenden Liebenswürdigkeit; er ein blonder, würdiger Herr, dem niemand den ‚Feigenbaum‛ ansah; Kläre ähnelte ihm, war blond und hatte von der Mutter die dunklen, klugen und lebhaften Augen. Sie besuchte jetzt die Oberprima, war zwanzig Jahre und wollte später Medizin studieren. Der Sohn, dem Ricko zum Abitur verholfen, war Student in Freiburg.

Kommerzienrats hatten uns aufgefordert, bei ihnen Besuch zu machen. Wir mußten ablehnen. Wir wohnten im Gartenhaus, drei Zimmer, und sie im Tiergartenviertel, eigene Villa. Aber – sie redeten uns unsere Bedenken aus, und es entwickelte sich dann ein zwangloser, wenn auch seltener Verkehr zwischen uns.

Nur Kläre hatte an meiner Frau so großen Gefallen gefunden, daß sie häufiger bei uns erschien. –

Der Winter kam. Und es kam jene Gesellschaft bei Onkel August, dem Herrn Kammergerichtsrat, auf der Rickos Geschick sich erfüllte. Wir waren ebenfalls geladen. Man fütterte uns arme Schriftstellerleute gern mit durch, obwohl wir derartige festliche Fressereien mit sieben Gängen und fünf Weinsorten nicht geben konnten.

Bei August war’s immer sehr gemütlich. Meist war nur Verwandtschaft da und kaum vier fremde Familien außer einigen Heiratskandidaten, denn Tante ‚August‛ hatte eine Vorliebe für die Vermittlung Freiwilliger und gesetzlicher Vereinigung im Ehebett. So nannte August ihre Ehestiftwut. Er hatte stets eine scharfe Zunge und seine Schmeicheleien der junge Mädchen waren wohl die geistreichst verbrämten Zweideutigkeiten, die ich je gehört habe. Die Mädels mit ihrer ‚höheren Töchterbildung‛ merkten nie etwas davon – nie!

Also: Freund Ricko sah Eleonore Karsten und verliebte sich sofort derart, daß er bei Tisch nur vom Wein nippte, um bei ihr einen recht soliden Eindruck zu machen; sie war nämlich seine Tischdame, trug ein lila Kleid, sehr ausgeschnitten, hatte eine pompöse Frisur und ein allerliebstes Koboldgesichtchen.

Für meinen Geschmack war sie zu schlank. Der tiefe Halsausschnitts hätte getrost wegbleiben können. Onkel August meinte, sie wäre bei der Verteilung der oberen Fülle zu schlecht weggekommen. Es stimmte!

Lonni – so ließ sie sich von Tante Augusts Tochter, der Frau Landrichter, ihrer Freundin, offenbar sehr gern nennen, – also Lonni war ganz ohne Anhang und zum ersten Mal in unserem Kreis erschienen. Sie war Waise und lebte bei einer Tante, die eine Fabrik für Chemikalien besaß, Witwe war und – na, sie wird später noch erwähnt werden.

Es war klar, daß Tante August aus Lonni und Ricko ein Paar machen wollte. Ich hörte, wie die ehestiftende alte Dame Lonnis Vorzüge nach Tisch dem braven Ricko in den leuchtensten Farben schilderte: häuslich, tugendhaft, weiches Gemüt, Erbin der Frau Fabrikbesitzer, perfekte Köchin, Schneiderin und so weiter.

Vier Wochen später, kurz vor Weihnachten, flatterte uns Rickos Verlobungsanzeige ins Haus. Er hatte sein Glück in Lonni Karsten gefunden. –

Am nächsten Tag, in diesen vier Wochen hatten wir weder Ricko noch sonst jemand von der Verwandtschaft gesprochen, kam Kläre zu meiner Frau. Ich saß und arbeitete in meinem Zimmer, und die beiden Damen plauderten leise nebenan im Eßzimmer. Plötzlich hörte ich weinen und schluchzen. –

Als Kläre gegangen, erschien meine Frau bei mir, setzte sich mir auf den Schoß – wir waren drei Jahren verheiratet, aber noch immer halb in den Flitterwochen und ohne Kinder –, nahm mir den Fehlerhalter aus der Hand und sagte:

„Du, jetzt denk’ mal eine Weile nicht an dein Romankapitel, sondern an den armen Ricko. –

Du – die Kläre ist nur zu mir gekommen, um sich ausweinen zu können. Sie liebt ihn. Und nun hat er sich doch mit der braunen Lonni verlobt. Und – wie verlobt! Er ist regulär ‚geschlängt‛ worden, das heißt, – sie hat sich mit ihm verlobt.“

Ich hörte nun einen ganzen Roman: daß Kläre – Geld besaß sie ja genug – die Lonni hatte durch einen Detektiv beobachten lassen, nachdem sie sie mit Ricko zweimal zusammen gesehen hatte. Und – da war denn so allerhand bei herausgekommen: daß Lonni dem Ricko ständig auflauerte, um ‚zufällige‛ Begegnungen herbeizuführen, daß sie, da Ricko zu schüchtern war, sich zu erklären, mit ihm allein Kinos besucht hatte – und so weiter.

Kurz: die Lonni, die der Detektiv enthüllt hatte, war ein ganz raffinierter Racker, der natürlich in Ricko nur die gute Partie liebte. Auch ihr Vorleben hatte der reichlich bezahlte Spion in allen Stadien aufgedeckt: daß Lonni vier Jahre lang vergeblich von der Tante ‚ausgeführt‛ worden war und Dutzende von Bällen mitgemacht hatte, ohne sich ‚einen‛ ergattern zu können. –

Weshalb die Männer die Lonni flohen, wurde uns erst später klar.

Meine Frau war empört. Sie mochte ihren Vetter gern, der doch ein anständiger Kerl in allem war. –

Aber – ihre Empörung rettete Rico doch vor dieser Ehe nicht. Im April war die Hochzeit; fünfzig Personen; ganz nett; Lonni sah sehr hübsch aus in Kranz und Schleier. Feigenbaums hatten nur ein Geschenk geschickt. Sie waren in Meran.

Gegen elf Uhr hakte meine Frau mich unter und zog mich in den Flur. Dort mußte das junge Paar an uns vorbei.

„Sie brechen schon auf,“ sagte meine Frau. „Du, denk’ dir, diese Schwindelei! Soeben hat mir Lonnis Tante mit Tränen in den Augen mitgeteilt, Lonnichen hätte so gar keine Ahnung davon, was wir nun in der neuen Wohnung bevorstände. –

Du verstehst!“

Ich verstand, tat aber so, als ob ich nicht verstand.

„Bevorstehe?! Was meinst du damit?“

Da gab sie mir einen Kuß.

„Du bist ein gräßlicher Mensch! Soll ich noch deutlicher werden?! Lonnis Tante meinte eben – die Brautnacht!“

„Aha! Na – nu is mir die Jeschichte janz klärchen. –

Also – Lonni soll angeblich totaliter harmlos sein?! Du – da hast du ausnahmsweise mal recht: Das ist Schwindel! Ein Mädel, das in Berlin großgeworden, daß so raffiniert Freund Ricko für sich eingefangen hat, – das soll nicht wissen, daß von nun an für sie Goethes Vers aus Hermann und Dorothea Geltung hat: ‚Auf daß die Nacht Dir werde die schönere Hälfte des Tages –‛ –

Quatsch ist das, Renommiererei von der Witwe Bartel – nischt weiter.“

Meine Frau nickte und schaute träumerisch vor sich hin.

„Ich war doch gewiß noch harmlos, du,“ flüsterte sie und drückte meinen Arm. „Aber – so harmlos war selbst ich nicht.“

Nun gab ich ihr einen Kuß. „Du hast dich sehr verständig benommen – sehr!“ lobte ich. –

Dann gab sie mir wieder einen Kuß.

Da erschien das junge Paar. Wir winkten ihnen nach. Freund Ricko machte ein Gesicht, als hätte er ein Stück Essiggurke im Mund. Und Lonnichen lachte so harmlos und rief: „Kommt doch morgen zu uns. Wir fahren ja erst abends in die Sächsische Schweiz.“

Meine Frau seufzte. „Ich wünschte, Ricko hätte jetzt die Kläre am Arm. – Was wird hierbei wohl rauskommen.“

„Ein Kind!“ meinte ich, rüdig wie immer.

„Es wäre vielleicht sehr gut, wenn’s bald käme,“ sagte meine Frau ernst. „Vielleicht würde ein Kind die beiden Menschen über all die Lügen hinwegtäuschen, mit denen diese Liebesehe begonnen hat –“

Meine Frau ist zuweilen der reine Philosoph –

 

 

2. Kapitel

Die glückliche Ehe

Ein Kind! – Ich hatte mich sehr geirrt.

Doch alles der Reihe nach. –

Natürlich gingen wir am Tag nach der Hochzeit nicht zu Rickos. Wir waren ja doch auch mal so jung verheiratet gewesen. –

Nein, wir sahen Rickos sogar erst vier Wochen später. Ganz überraschend kamen sie abends zu uns. Ich war gespannt, wie sich die beiden geben würden. Nun – Lonni war ganz allerliebster Kobold, saß Ricko viel auf dem Schoß, küßte ihn viel, konnte aber bei ihm doch nur eine gewisse erzwungene Fröhlichkeit wachrufen.

Aha – hier stimmt etwas nicht!

Ich war gewöhnt, abends mit meiner Frau regelmäßig eine Stunde in der Villenkolonie Grunewald spazieren zu gehen. Ich forderte also Ricko auf, mich zu begleiten. Die Damen blieben daheim. –

Auf unserem Gang wurde er immer einsilbiger.

„Na, alter Ricko,“ – ich faßte ihn unter, „Nu mal freiweg von der Leber!“ sagte ich herzlich. „Sprich dir dein Herz frei. Ich fürchte, da gibt’s ‛ne ganze Menge was zu erörtern ist.“

Er schwieg.

„Wie du willst, Ricko,“ meinte ich nach einer Weile. „Ich denke nicht daran, mich in dein Vertrauen eindrängen. Aber du weißt: Ich kenne das Leben! Bevor ich mich verheiratete, hatte ich schon Dinge hinter mir – Dinge! –

Es hat nichts geschadet. Wir sind sehr glücklich geworden – sehr! Und das ist keine Phrase.“

Er seufzte. Und dann platzte er los:

„Du – es ist gräßlich gewesen und noch immer gräßlich!“

„Was denn?“ fragte ich, um ihn zum Reden zu bringen.

Und er begann zögernd:

„Es ist gräßlich, eine so – anständige Frau zu haben, – gräßlich! Als wir am Hochzeitsabend nach Hause kamen, rannte Lonni sofort ins Schlafzimmer, schloß sich ein und öffnete nicht mehr, obwohl ich zwei Stunden lang in Pausen von zehn Minuten immer wieder bat und flehte.

Schließlich setzte ich mich auf den Diwan im Herrenzimmer und schlief ein – natürlich mit Empfindungen, die zumeist Wut und Enttäuschung waren.

Da – als es schon hell war, weckte mich Lonni. Sie hatte den neuen Morgenrock an. Und sie setzte sich zu mir und weinte – weinte.

‚Ach lieber, lieber Ricko, – sei mir nur nicht böse. Aber – ich fürchte mich so vor dir –‛

In dieser Tonart ging’s wohl fünf Minuten lang. Dann – siegte der Mann in mehr, – vielleicht das Tier, das nur brutale Triebe kennt. Ich nahm sie einfach in die Arme, trug sie ins Bett und entkleidete mich schnell.

Es – war – gräßlich! Sie wehrte sich, schluchzte, bat, weinte.

Gräßlich! Und sie weinte noch, als ich – noch bitterer enttäuscht – neben ihr im anderen Bett lag. Ich zog mir das Zudeck über den Kopf. Ich kam mir wie ein – Sittlichkeitsverbrecher vor.

Gräßlich! – Aber ich schlief Gott sei Dank ein. Als ich erwachte, war’s elf Uhr vormittags. Lonni war längst fix und fertig angezogen und drüben im Salon bei Tante Bartel, die natürlich nachfragen gekommen war, wie’s uns ging.“

„Verrückte Schraube!“ warf ich ein.

Ricko nickte. „Ganz recht, so ähnlich dachte auch ich damals. – Ich rasierte mich, zog mich an – sehr langsam. Mir graulte vor dem Wiedersehen mit Lonni. Ich fürchtete, sie würde mich behandeln wie – wie einen Triebtäter.

Sehr zögernd betrat ich den Salon.

Und Lonni flog mir um den Hals, küßte mich, und die Tante weinte vor Glück und Seligkeit.

Ich sag’ dir, du, – ich war sprachlos! Aber – ich faßte mich schnell, wurde riesig vergnügt. Dachte ich doch, Lonni würde nun – vernünftig werden. –

Vorbei gedacht!“

Er lachte bitter auf.

„Nach dem Mittagessen in meinem Arbeitszimmer nahm ich Lonni bei verschlossenen Türen und zugezogenen Fenstervorhängen auf den Schoß und – wurde sehr zärtlich, bewunderte ihre Strümpfe, wagte mich höher, – bis sie mir einen Stoß versetzte und sich aufheulend auf den Diwan warf.“

‚Du – achtest mich nicht. Du behandelst mich wie eine – Dirne,‛ – und so weiter. In dieser Tonart ging’s unter Schluchzen zehn Minuten.

Na – ich war total ernüchtert, wütend, – und tröstete sie trotzdem sehr lieb, sehr zart, flehte, sie solle sich doch beruhigen.

Aber – erst als ich ihr versprochen hatte, daß ich nie wieder wie in der verflossenen Nacht – und so weiter, – da erst hörte sie zur heulen auf.

Gräßlich! Ich sage dir, du, – ich habe mich und die ganze Heiraterei verwünscht! –

Abends um sieben fuhren wir nach Dresden. Im Hotelzimmer standen die Betten nebeneinander. Ich mußte eine Stunde lang – nachdem ich Lonni mein Ehrenwort dafür geben! – auf dem WC warten. Ich habe dort ein ganzes Bündel Zeitungen gelesen und drei Zigarren geraucht. –

Dann war die Stunde um.

Lonni spielte die fest Schlafende. Ich lag im anderen Bett und kam mir wie ein richtiges Riesenroß vor –

Und wie ich so dachte, daß das nun meine Frau sei, die dort diese Komödie mit mir aufführte, die mir nicht mal gute Nacht gesagt hatte, die aber doch auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin heute in Gegenwart Tante Bartels und meiner Eltern geradezu glänzend die verliebte kleine Frau gespielt hatte, da – regte sich wieder das Tier.

Gräßlich! Die Szene von der vorigen Nacht wiederholte sich – nur flossen etwas weniger Tränen. –

Aber – Liebe – Liebesrausch?! Keine Spur.

Und so blieb’s drei Tage. Jede Nacht dieselbe ekle Heuchlerei! –

Du – meine Nerven waren bereits derart überreizt, daß ich Momente hatte, wo ich Lonni haßte, – wo ich ihr hätte ins Gesicht schreien können:

‚Hier bei Tage tust du, als wärst du ein liebestolles Persönchen! Und – sind wir allein, dann – dann – bist du die – hochanständige mich zurückweisende Frau!‛

Nun – ich beherrschte mich zum Glück. –

Doch jeden Abend mußte ich aufs WC, wenn sie sich auszog. Und morgens stand sie schon immer ganz früh so leise auch, daß ich sie stets fix und fertig angezogen fand.

Am Abend des vierten Tages unserer Ehe fand ich bei der Rückkehr von der WC-Sitzung auf meinem Kopfkissen einen Zettel liegen:

Schone mich. Ich bin nicht ganz wohl.

‚Schwindel?‛ fragte ich mich. – Aber – ich schonte sie. Und morgens bemerkte ich zufällig, daß sie nicht gelogen hatte.

Nun – ich schonte sie – zehn Tage lang. Sie war während dieser Zeit rührend nett, denn – sie war ja – sicher vor mir!

Mein Urlaub war vorüber. Wir kehrten nach Berlin zurück. Und da diese erst Nacht nach der Reise die elfte der Schonzeit war, dachte ich: Jetzt wird die Jagd wieder eröffnet!

Es – wurde genau wie vordem – genau so.

Und – so ist’s heute noch. Nur daß ich Lonni jetzt seltener mit meinen nächtlichen Zärtlichkeiten quäle. Ich – habe – einen zu bitteren Nebengeschmack dabei – gräßlich – dies ewige Vergießen von Krokodilstränen.

So, du, – das ist meine – glückliche Ehe!“

Er war stehen geblieben, starrte zu Boden. „Und das – das muß mir nun beschieden sein, der ich doch – jetzt will ich’s nur zugeben! – rein und unverbraucht meiner Frau mich genaht hatte – ganz rein! Ich habe mit meinen Abenteuern ja stets nur renommiert –“

„Armer Kerl!“ Ich drückte ihm die Hand. Wir gingen weiter. Dann begann er wieder:

„Du bist doch Menschen-, Frauenkenner. Was hältst du von solchem Benehmen? –

Ich werde ja bald verrückt über alledem. Du hast ja gesehen, wie Lonni auch vor euch den Eindruck zu erwecken versucht, wir wären das seligste Pärchen von der Welt –“

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Sie hätte ihn niedergeschmettert. Denn ich hätte ja erklären müssen: ‚Mein lieber Ricko – die Sache ist sehr einfach. Sie hat dich nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil du neunzehntausend Mark Gehalt hast und ein so gescheiter Kerl bist, daß du es fraglos mal zu einer sehr guten Stellung bringen wirst. Ihre Lustsinne schwiegen also – mehr noch, du bist ihr als Ehemann fraglos sogar widerwärtig!‛

Ich log daher so allerlei zusammen, meinte, die Zeit würde alles einrenken. Wenn nur erst ein Kind im Anzug sei, dann würde das Muttergefühl Lonnis Prüderie verdrängen.

Er lächelte etwas.

„Ja – ein Kind! – Ich sehne mich so danach! – Mein Kind! Wie würde ich es lieben. All meine Zärtlichkeit würde ich diesem Kind schenken –“

Wir machten kehrt. –

Bei uns in unserem gemütlichen Heim empfing Lonnichen ihr Rickochen mit tausend Küssen – wieder ganz reizender Kobold. Wer sie so sah, mußte wähnen, Ricko hätte auch nachts den Himmel auf Erden. –

Um elf Uhr ging das ‚glückliche‛ Paar. Dann nahm ich meine Mieze auf den Schoß und erzählte ihr alles.

Und – Mieze weinte ein wenig. So leid tat ihr Ricko, dieser prächtige Mensch.

Nachher meinte sie: „Herr Gott – wenn man da doch nur irgendwie eingreifen könnte – irgendwie!“

„Ne, Miezeken, – Hand von weg! Da läßt sich nichts ändern. Außer vielleicht – ein Kind –“

„Noch ist keine Aussicht, du –“

„Schade. Na – was nicht ist, kann werden.“ –

Aber – ich irrte mich sehr – sehr.

 

 

3. Kapitel

Wir werden ‚kaltgestellt‛

Wir waren bald darauf an die See gereist. Kehrten erst im September nach Berlin zurück. Von Rickos hatten wir nur ein paar kurze Ansichtskarten erhalten. –

Ich war gespannt, was inzwischen aus dieser Ehe geworden sein mochte.

Mitte September fuhren wir eines Abends zu ihnen. –

Tante Bartel war da. Sie war immer da. Sie schien kein eigenes Heim zu haben.

Lonnichen war unverändert; Ricko blaß und schmal, still und nur zuweilen krampfhaft lustig.

Ich tat, als hätte ich mit ihm einige Rechtsfragen zu besprechen. Ich wollte einen Verleger verklagen. –

Die Damen ließen uns also in seinem Arbeitszimmer allein und gingen in den Salon gegenüber.

Ricko zog die Tür ins Schloß und noch den Friesvorhang vor. Wir setzten uns neben das Rauchtischchen in die Klubsessel. Er trank zwei Kognaks. Vorher hatte er schon reichlich Bier sich eingefüllt.

„Ich werde mir das Saufen angewöhnen,“ meinte er mit bitterem Auflachen. „Ich muß es –. Sonst werde ich verrückt.“

„Also – hat sich nichts gebessert?“ fragte ich schnell.

„Gebessert?! Noch gräßlicher ist’s geworden. –

Ich – ich freue mich, du, daß ich mich dir wieder einmal anvertrauen kann –. –

Also: Noch gräßlicher! Denn jetzt – will Tante Bartel ein Kind haben!“

„Wer?! Tante Bartel? – Du meinst wohl –“

„Nein – ich meine ganz richtig: Tante Bartel! –

Das heißt: Tante Bartel hat mir im Juli etwa eines unschönen Tages erklärt, Lonni sehne sich nach Familienzuwachs.

Und – da habe ich denn die Gelegenheit benutzen und ihr reinen Wein eingeschenkt: daß ich Lonni zwar noch immer liebe, daß diese Liebe aber am Erkälten sei, weil – unsere Nächte so eisig kühl wären, so tränenfeucht. –

Und ihre Antwort? –: ‚Mein lieber Richard, Lonni ist eben ein zart besaitetes Wesen! Habe Geduld mit ihr. Wenn erst ein Kind da ist, wird alles sich ändern. Und – Lonni sehnt sich nach einem Kind.‛

So sprach sie etwa. Und ich erwiderte voller heimlicher Wut: ‚Wenn sie sich ein Kind wünscht, soll sie sich auch danach benehmen!‛

Na – Tante Bartel hat mich daraufhin angeschaut, als hätte ich Lonni tödlich beleidigt.

So fing die Kindermachgeschichte an. Tante Bartel muß Lonni wohl wirklich so etwas ins Gebet genommen haben – Lonni hat sich geändert – aber wie!

Du, ich sage dir: Gräßlich war diese Liebesviertelstunde schon immer. Jetzt wurde sie aber – geradezu zum – Davongelaufen.

Lonni weint nicht mehr. Sie bleibt sogar morgens im Bett, bis ich ins Bureau muß. Lonni ist Sonn- und Feiertags so lange – zu meiner Verfügung, als ich’s wünsche. Aber – ihre fest zugedrückten Augen, ihre ebenso fest zusammengepreßten Lippen, ihre leichenähnliche Bewegungslosigkeit – entsetzlich! –

So, so benimmt sie sich, um ein Kind zu empfangen!“

Er trank wieder zwei Kognaks.

Da steckte auch schon Lonnichen den Kopf durch die Tür und rief:

„Süßerchen – seid ihr nun mit eurem Gesetzeskram fertig?“ Dann hüpfte sie ihm auf den Schoß, küßte ihn, – ganz Kobold wie stets.

Mir würgte Ekel in der Kehle.

Gleich darauf erschien noch ein junges Ehepaar, ein Gerichtsassessor, der Lonnis intimste Freundin geheiratet hatte, – vor drei Monaten.

Assessor Lenz war ein netter Kerl. Nur – er wagte nicht recht, aus sich herauszugehen. Seine Frau war eine von der ganz vornehmem Sorte, die jedes laute frohe Lachen für plebejisch und jedes freiere Wort für gemein hielt. Ein Eiseshauch umgab diese dürre junge Frau Lenz, – ausgerechnet mußte sie noch Lenz heißen. Sie hatte ein mageres Gesicht, ganz dünne Lippen und sprach nur von Onkel Exzellenz, Tante Geheimrat, Vetter Major, Nichte Generalstochter und ihrer Villa in Dahlem. –

Lenz hatte hier nur das Geld geheiratet, und ihn, den verschuldeten, armen Teufel, hatte seine vornehme Gattin nun bereits so eingeschüchtert, daß er kaum zu sprechen wagte. Wenn er etwas redete, so waren’s meist haarscharfe, ironische Nadelstichworte, – der gelegentliche Ausbruch des in ihm hausenden Wutvulkans. –

Als wir mit der Straßenbahn heimfuhren, meinte meine Mieze zu mir:

„Du, – diese Thea Lenz paßt ganz zu Lonni! Beides vollständig gefühllose Weiber.“

„Stimmt, Mieze-Maus!“

Und meine Mieze schmiegte sich an mich und flüsterte:

„Ach, du, – was würdest du wohl mit mir machen, wenn ich auch so – so wäre?!“

„Rausschmeißen – scheiden lassen!“

Sie nickte. „Armer, armer Ricko. Und – er liebt seine Lonni wohl noch immer –“

„Na, Miezeken, – das bildet er sich nur noch ein.“

Und die Dinge nahmen ihren Lauf. –

Zwei Wochen drauf waren wir mit Rickos Sonntags in Potsdam. Herrliches Wetter. Wir bummelten durch den Park von Sanssouci, fuhren weiter bis Kaputh, aßen dort sehr gut zu Mittag, und – nach dem Essen beichtete Ricko das Allerneueste, als wir durch den Wald am Seeufer entlang nach Potsdam zurückgingen.

„Du, – jetzt hat Tante Bartel uns beide ärztlich untersuchen lassen,“ begann er.

Ich war platt.

„Ärztlich unter –“

„Ja – daraufhin, wer von uns beiden an dem Versagen des Storches Schuld ist. Wir sind jeder – Lonni und ich – bei einem berühmten Professor gewesen. Ich allein. Lonni mit Tante Bartel. Und – der Besuch ergab, daß der Storch bei richtiger Behandlung sich erweichen lassen müßte. –

Du verstehst: Wir sind beide total gesund und normal –!“

„Tante Bartel ist ja rein versessen auf das Kind!“

Ricko schwieg eine Weile. Dann: „Du – ich glaube jetzt zu wissen, weshalb. Mit Tante Bartels Reichtum ist’s nämlich gar nicht weit her. Im Gegenteil. Die Fabrik wird wohl demnächst verkrachen. Und da ich nun doch im September von der Gesellschaft wieder für eine besonders glückliche Einigung mit dem Konkurrenzunternehmen – die beiden haben sich ja nun verschmolzen – runde hunderttausend Mark erhielt, dürfte das Kind nur der erbrechtlichen Fragen wegen so dringend von Tante Bartel herbeigesehnt werden.“ –

Er erklärte mir diesen seinen Verdacht genauer. Und – der Verdacht war fraglos nur zu sehr berechtigt.

Am liebsten hätte ich nun gerufen: ‚Armer Ricko, dann bist du also mit dieser Ehe noch mehr hineingefallen, als wir schon fürchteten. Die Erbtante löst sich in blauen Dunst auf, und vielleicht wird sie sehr bald deiner Börse zur Last fallen!‛

Aber – ich brauchte gar nichts zu sagen, denn – er legte schon selbst los, und dies mit einer gewissen ironischen Wut, wie man sie wohl erkennen läßt, wenn der Gegenstand dieser Wut, die Ursache, einem einer echten Aufregung nicht mehr wert erscheint.

„Überhaupt du, – auch mit Lonnis ‚perfektem‛ Kochen, ihren Schneiderkünsten, ihrem Fleiß usw. hält es sich sehr. Das habe ich längst gemerkt. Aber ich tue so, als ob ich nichts merke. Vom Kochen hat sie keine Ahnung. Wenn ich sonntags daheim bin, rennt sie alle Augenblicke mit einer großen Schutze über dem Kleid in die Küche, – sie markiert aber bloß! –

Und schneidern?! Nicht mal ‛n Knopp versteht sie richtig anzunähen oder ist zu pfuschrig dazu. Na – und der Sinn für Häuslichkeit?! Prost Mahlzeit! Wenn sie irgend kann, fährt sie mit der Thea Lenz nach der Leipziger Straße und läuft durch die Konfektionshäuser. –

Sie muß mich nur nicht für so dämlich halten, daß ich all so was nicht sehe! Sie irrt sich! Ich fürchte, es wird hier bei uns bald mal zum Krach kommen. Und dann fliegt als erste die Tante Bartel raus.“

Ich sagte nichts, machte nur „Hm hm!“ Da packte er mich unter.

„Du, – du denkst wohl, ich habe vor der Tante Bartel ‚Schedder‛ alias Angst?! – Ne – das war mal. Sie imponiert mir nicht mehr. Diese sogenannte Ehe hat mir über vieles die Augen geöffnet. –

Na – lassen wir das Thema jetzt – Sieh nur, wie Lonni da wieder zu Mieze zuckersüß tut. Und dabei habe ich letztens noch zufällig mit angehört, wie sie zu ihrer Busenfreundin – die beiden sind völlig gleichwertig! – sagte: ‚Du – Rickos Kusine und deren Mann, – ein wenig angenehmes Verwandtschaftsanhängsel. Die beiden sind so unfein, so – plebejisch verliebt, und er macht zuweilen geradezu schamlose Bemerkungen. Na – ein Schriftsteller! Die Sorte kennt man doch! Er soll vor der Ehe dutzendweise Verhältnisse gehabt haben. Sogar mit verheirateten Frauen! Wenn Ricko diese Mieze nicht so verehrte, hätte ich das Paar längst vergrault!‛ –

Du, – ich bin ehrlich, wie du siehst. Und ich bitte mir aus, daß dies unter uns Männern bleibt! Ich wollte dir Lonni nur eben zeigen, wie sie wirklich ist. Dann brauche ich dir nicht, wenn’s bei uns zum Knalleffekt gekommen ist, die Ursache dafür erst lange zu erklären.

Übrigens habe ich auch so das Gefühl, als hättest du Lonni längst durchschaut.“

Ich schwieg hierzu. Und er fing von anderem zu reden an.

Als ich meiner Frau von diesem Gespräch Mitteilung machte, weinte sie wieder ein wenig, weil Ricko ‚so scheußlich reingelegt‛ worden sei und weil er nun vielleicht sein Leben lang ein unglücklicher, unbefriedigter Mensch bleiben werde. –

Acht Tage bekamen wir Rickos nicht zu sehen. Dann traf ich ihn in der Untergrundbahn. Er war wie ausgewechselt. Wir konnten uns ungestört unterhalten. Der Zug war wenig besetzt. Und der gute, strahlende Ricko erzählte:

„Alles ist anders geworden. Lonni ist wie ausgewechselt seit vorgestern. –

Denk’ dir: Sogar über Mittag in meinem Arbeitszimmer leistet sie mir Gesellschaft, und – im Morgenkleid noch ohne Mieder! –

Du, wir haben ihr doch bitter unrecht getan. Unter Tränen hat sie mir gestern eingestanden, daß sie es bisher für unfein gehalten habe, wenn eine Frau sich nicht – so etwas sträubte –“

In dieser Tonart ging’s zehn Minuten mit allerlei Variationen. –

Ich drückte ihm stumm die Hand, spielte den vor Mitfreude Gerührten.

Aber daheim sagte ich zu meiner Frau:

„Mieze, – merkst du was! Der Schrei nach dem Kind! Die Lonni hat eben eingesehen, daß der Storch bei dieser Art Wohlanständigkeit ihrerseits sich nicht einstellt und hat daher die Taktik geändert!“

„Natürlich!“ nickte Mieze. –

Und wieder eine Woche später spürten wir, daß Lonni und Tante Bartel den braven Ricko nun total eingewickelt hatten.

Von anderen Verwandten erfuhren wir nämlich folgendes: Ricko hatten ein kleines Tanzfest gegeben. Als Onkel August an dem betreffenden Abend Lonni gefragt hatte, weshalb den Mieze und ihr Mann – das waren wir! – nicht anwesend seien, war Lonnichens Antwort gewesen:

‚Ach, Onkel Augustchen, – Ricko hat so das Empfinden, daß Mieze und ihr Mann mich nicht recht leiden mögen. Wir drängen uns niemandem auf.‛

Onkel August ist nun tatsächlich ein hervorragender Menschenkenner, hatte die Misere dieser Ehe längst durchschaut und auch mit mir darüber gesprochen, wobei er den klassischen Ausspruch tat, ohne daß ich ihn etwas in Rickos ‚gräßliche‛ Nächte eingeweiht hätte:

‚Du, diese Ehe scheint mir die reine Polarnacht zu sein: eisig kalt, finster und grausig eintönig.‛ –

Als wir diese Antwort Lonnis an Onkel August brühwarm von anderen lieben Verwandten aufgetischt bekamen, da beschlossen wir, zumal doch Lonni fraglos beabsichtigt hatte, daß wir’s hören sollten, uns gleichfalls Rickos nicht aufzudrängen.

Unser Verkehr schlief also ein. Trafen wir uns anderswo, so machte Ricko immer ein Gesicht wie ein schuldbeladener Sünder. Wir behandelten ihn jedoch nicht anders als bisher. Lonnichen war natürlich zuckersüß zu uns. Wir ließen sie’s jedoch merken, daß wir sie – wirklich nicht leiden mochten.

So kam der Dezember heran. Wir hatten Rickos drei Wochen nicht gesehen, auch niemanden von der Verwandtschaft. Ich hatte viel zu arbeiten, und meine Mieze nähte sehr kleine Hemdchen und Ähnliches, denn – bei uns war der Storch im Anzug. Er hätte längst – längst sich gemeldet. Aber wir hatten immer abgewinkt. Wir wollten erst mal drei Jahre uns allein leben.

Eines Nachmittags kam Tante August, die gute Seele, und brachte außer einer entzückenden Erstlingsgarnitur noch die traurige Nachricht mit, daß Ricko vor vierzehn Tagen etwa auf einem Neubau ausgeglitten sei und sich schwer verletzt habe.

Wo und wie – das flüsterte sie meiner Mieze ins Ohr.

Nachher quetschte ich aus meiner Frau dann allmählich dies Geheimnis heraus. Ricko hatte sich derart bei dem Sturz beschädigt, daß er zwar noch Ehemann spielen konnte, aber auf Kinder nicht mehr rechnen dürfte, wie ihm der Professor in der Klinik offen erklärt hatte.

Wir setzten uns sofort hin und schrieben lange, liebe Briefe an ihn. Er war bereits daheim, antwortete kurz und höflich, und – damit war wieder Schluß zwischen uns.

Doch – die Zeit und Lonnichen arbeiteten für uns.

Kurz vor Weihnachten klingelte es. Ich ging öffnen, ahnungslos. Es war ja bereits halb neun abends. Ich dachte eigentlich, es würde der Hauswart sein, denn unsere Wasserleitung im Badezimmer war nicht in Ordnung.

Aber – es war Ricko. Der Ricko, wie er vor Lonnichens Liebeserwachen gewesen, das heißt: still, bedrückt, scheu.

Wir begrüßten ihn so herzlich, daß sein gedrücktes Wesen nicht etwa auf einen schlechtes Gewissen wegen des Abbruchs der freundschaftlichen Beziehungen zurückzuführen sein konnte.

Mieze ahnte, daß er mich wohl allein sprechen wolle, entschuldigte sich und ging ins Schlafzimmer zu ihrer Nähmaschine und der Kinderwäsche.

Wir rauchten, tranken Rotwein und redeten vom Wetter, bis er plötzlich dicht neben mich mit seinem Sessel rückte, meine Hand ergriff und ganz heiser sagte:

„Du – jetzt ist bei uns wieder alles beim alten, alles! –

Nein – es ist noch schlimmer geworden! Lonni weint jetzt nicht nur, – nein, sie heult, schreit und flieht ins Eßzimmer, schläft dort auf dem Paneelsofa. –

Ich – ich rühre sie nicht mehr an, diese – diese –“

Lange Pause. Nun wurde er ironisch.

„Jetzt sind auch die letzten Schleier gefallen: Ich durchschaue meine Lonni! Es war nur – der Schrei nach dem Erbkind, – nichts anderes. Das Kind sollte kommen! Und das trieb sie in meine Arme. Ich war nur sozusagen der – Erbschaftshelfer! Solange kein Kind da, erben ja meine Eltern noch mit trotz des gemeinsamen Testaments! –

Jetzt, da der Prof. Lonni gleichfalls zart vorbereit hat, sich keinerlei Hoffnungen auf Nachwuchs hinzugeben, – jetzt, da diese Art Liebe als Erbschaftsvermittlerin zwecklos wäre, hat Lonni wieder – die ganz anständige, feine Dame in sich entdeckt. –

So liegt die Sache!“

Es wurde ein trüber Abend für mich. Ricko verlangte von mir, ich solle ihm einen Rat geben. Er habe schon an Scheidung gedacht. Es seien nur keine Gründe dafür vorhanden.

Ich redete ihm gut zu, doch noch eine Weile zu warten, bevor er einen Gewaltstreich unternehme. Vielleicht irre er sich; vielleicht ändere Lonni sich wieder.

Da brauste er auf. „Du heuchele doch nicht! Du hast Lonni doch längst bis in den geheimsten Winkel ihrer Seele durchschaut!“

Ich schwieg. Dann holte ich Mieze. Wir zeigten Ricko die Erstlingswäsche. Er stand da und stierte ins Leere, ein innerlich zerbrochener Mensch.

Er bat dann, wir sollten doch zu ihnen kommen. Wir erklärten, das würde wohl ein sehr gezwungener Besuch werden. Er sah das ein und ging noch gedrückter, als er gekommen war, davon.

Meine Mieze setzte sich mir auf den Schoß und ließ sich alles erzählen.

Ich will hier verschweigen, mit welchem schmückenden Beiwort sie Lonnis belegte. Es hätte für zwei Wochen Gefängnis – grobe Beleidigung – genügt.

Silvester sahen wir Rickos bei Onkel August. Lonni war wie immer: Kobold, zärtlich, ausgelassen.

Und Ricko? – Ich staunte! Er war wieder scheinbar in ein Himmelreich versetzt.

Auf einem verschwiegenen Ort, im Badezimmer, flüsterte er mir nach sehr reichlichem Weingenuß zu:

„Du hast recht gehabt! Sie ist in sich gegangen. Sie ist noch zärtlicher als damals. Und ihr Vetter sechsten Grades, der Dr. Fuchs – du weißt: Reklame – Geschlechtsleiden in drei Tagen heilbar! – hat mir vorgestern erklärt, der Professor, der mich in der Klinik behandelt habe, sei ein totaler Ignorant und habe mir Blödsinn vorgeredet. Ich brauche die Hoffnung auf Kindersegen noch lange nicht aufgeben. Derartige Mängel verlören sich oft ganz von selbst. Die Natur ergänzte dazu ganz heimlich, was verloren gegangen. –

Du, – und Lonni weiß davon noch nichts, daß vielleicht doch noch Erben sich einstellt. Nichts ahnt sie – nichts. Trotzdem ist sie so lieb und – entgegenkommend.“

Ich freute mich – scheinbar – sehr, machte viele Worte und sagte auf dem Heimweg zu Mieze:

„Du – ich wittere hier Unrat! Hier ist irgend etwas im Anzuge! Warten wir ab!“

 

 

4. Kapitel

Der Befund

Acht Tage darauf besuchte Kläre Feigenbaum wieder einmal meine Frau. Sie war in letzter Zeit immer seltener erschienen. Da sie sich von allen geselligen Zerstreuungen angeblich ihrer Studien wegen zurückgezogen hatte, war sie Ricko seit seiner Verheiratung nicht mehr begegnet.

Mir fiel ihr schmal gewordenes Gesicht auf. Auch eine gewisse müde Gleichgültigkeit beobachtete ich an ihr, die ich früher nie bemerkt hatte. –

Sie erzählte dann so nebenbei, daß sie Oktober das Abiturium bestanden habe und bereits Medizin studiere.

Wie immer gingen die beiden Damen nachher ins Eßzimmer, um mich bei der Arbeit nicht zu stören. Ich ahnte schon, daß Kläre etwas Besonderes auf dem Herzen habe. Ich hatte mich nicht getäuscht.

Meine Frau war sehr aufgeregt, als Kläre gegangen. Ich hatte sehr wohl deren verweinte Augen gesehen. Es mußte also wohl wieder von Ricko die Rede gewesen sein.

„Schrecklich,“ meinte Mieze. „Ganz schrecklich. Sie kann ihn nicht vergessen. Oh – wie glücklich wäre Ricko mit ihr geworden! –

Mehr kann ich dir nicht sagen, Männe, denn ich habe feierlich gelobt, gegen jedermann zu schweigen.“

„Das mußt du auch halten, ein solches Versprechen, Mieze. Nur nicht mir gegenüber. Denn Weib und Mann sind eins. Auf mich bezieht sich also dieser Schwur nicht.“

„Hm – eigentlich hast du recht. – Also, denk’ dir, Kläre hat Lonni zweimal mit einem Herrn zusammen im Tiergarten gesehen.“

„Weiter nichts?“

„Du – mit einem Herrn, der schon früher ihr Verehrer war und mit dem sie sehr vertraut tat. Nachher sind die beiden in einem geschlossenen Auto nach der Gneisenaustraße gefahren, Nr. 61, – beide Male!“

„So – und das will Kläre festgestellt haben? Aber Dummchen! Das hat doch wieder ein Detektiv ausgeknobelt – fraglos!“

„Ja – das mag wohl stimmen. Kläre wird sich nur gescheut haben, einzugestehen, daß sie wieder so einen Menschen in Nahrung gesetzt hat. Übrigens, du: die Hauptsache kommt noch. Der Herr nämlich ist ein leibhaftiger –“

„Teufel etwa?“

„Nein – laß die Witze! – leibhaftiger Graf, ein Attachée von der österreichischen Botschaft.“

„Attachée – acht nee! – Hm – die Sache will mir nicht sehr gefallen. So ‛n Graf stellt zuweilen Fallen in denen, wenn sie zufallen, junge Frauen böse reinfallen.“

„Du – die Geschichte ist wirklich zu ernst, um –“

„Ganz recht. Aber ohne einen Schuß Galgenhumor ist dieses gottesjämmerliche Leben wirklich nicht auszuhalten, Miezemaus. Wenigstens nicht das Leben, zu dem andere verdammt sind. Ich für meine Person bin ja leidlich, nein, ehrlich, sehr – sehr zufrieden. Aber der bedauernswerte Ricko! –

Hm – ob etwa dieser Attachée – ach nee – richtiggehende Flitterwochen durchmacht?!“

Mieze und ich grübelten nach. Aber wir kamen nicht auf das Richtige. Wie sollten wir auch?! Wir hatten Lonnichen bisher noch immer unterschätzt, wie sich bald zeigte. –

Unsere Beziehungen zu Rickos blieben dieselben, das heißt, blieben äußerst lockere. Nur die Verwandtschaft vermittelte sehr selten ein Wiedersehen. Und bei diesem lieben Anhang hatte Lonni jetzt auch bereits so ziemlich verspielt. Onkel August gab dort den Ton an. Er konnte so ganz harmlose Bemerkungen machen, aus denen doch jeder sofort erkannte, wie er über den Betreffenden dachte. Hatte man zuerst für dieses ‚frische, herzige, fröhliche Wesen‛ geschwärmt, so konnte man jetzt immer mehr eisige Mienen sehen, wenn mal die Sprache auf Lonni kam.

Mieze meinte: „Du, die ist jetzt beim ‚Anhang‛ unten durch. Gründlich! Sie wird’s bald merken. Und dann –“

„– dann wird sie Ricko von dem ‚Anhang‛ genau so trennen wie von uns. Eine schlaue Frau, – in gewissen Dingen, die mit Intrigen-Anzetteln zu tun haben, seid ihr alle auffallend gerissen, selbst die sonst Minderbegabten! – kann alles von ihrem Ehegespusi erreichen, wenn sie nur eben ihn stets im Flitterwochentaumel zu erhalten weiß –“

„Stimmt, Männe! Als wir noch in den Flitterwochen waren, da hast du nie Zigarrenasche neben, sondern immer in den Aschenbecher gestreut, während jetzt –“

„Entschuldige, ich werde jetzt weiter arbeiten.“

„Du – du bist ein Feigling! Der Asche gehst du stets aus dem Weg!“ –

Worauf Miezemaus hinausrauschte, richtig ‚rauschte‛ – denn Tante August hatte ihr einen seidenen Unterrock geschenkt.

Dieses Gespräch fand nach dem Abendbrot statt. Kaum hatte ich am Schreibtisch Platz genommen, schrillte auch schon die Flurglocke.

Es war Ricko – ernst, fast feierlich, wie ich ihn in dieser Stimmungsschattierung noch nicht kannte. Ich führte ihn in mein Zimmer. Mieze kam. Er küßte ihr die Hand, war herzlich, aber wie gesagt unheimlich feierlich. Daß er wieder seinem übervollen Herzen hier bei uns Luft machen wollte, daran zweifelte ich nicht.

Er rauchte sich mit größter Umständlichkeit eine Zigarre an. Wir fragten nach dem Ergehen seiner Eltern. Die Antworten waren zerstreut. Er überlegte offenbar, wie er beginnen solle.

Dann wandte er sich an meine Frau:

„Noch immer so fleißig an der Nähmaschine? – Hm Lonni fängt jetzt auch an –“

„Sie arbeitet sich wohl eine Bluse?“ meinte Mieze.

„Nein – Erstlingswäsche soll es werden.“

Er sagte es mit sehr mäßigem zukünftigen Vaterstolz, fand ich.

Jedenfalls aber waren Mieze und ich so baff, daß wir zunächst gar kein Wort herausbekamen.

Wir dachten beide genau dasselbe: nämlich an den berühmten Professor, der doch Ricko jede Hoffnung genommen hatte. Daß der Vetter fünften Grades, der Dr. Fuchs – Heilung in drei Tagen! – anders behauptet hatte, darauf gaben wir sehr wenig. Dieser Doktor war kein Arzt, sondern mehr ein gerissener Geschäftsmann.

Ricko schaute uns ernst prüfend an.

„Hm – auch euch scheint hier so ein kleines Wunder vorzuliegen,“ erklärte er unsicher. „Aber – an der Tatsache ändert das nichts. Lonni hat sich bei zwei Ärzten und vier Hebammen ihre Hoffnung bestätigen lassen. Also hat der Vetter doch wohl recht gehabt. Die Natur hat sich bei mir allein geholfen.“

Auch das alles klang so merkwürdig, so, als ob er selbst nicht recht an dies Wunder glaubte.

Wir gratulierten nun; Mieze sehr begeistert; ich etwas zurückhaltender. Denn Rickos Benehmen gab mir zu denken.

Unsere Standuhr im Speisezimmer schlug acht. Wieder schrillte die Flurglocke. Und – diesmal war’s Kläre.

Ich mochte sie sehr gern, dieses frische, natürliche Mädel, das so gar nichts Kommerzienrätliches an sich hatte, das so selten das väterliche Auto benutzte und nicht einen einzigen Brillantring trug. Kläre war die Einfachheit selbst. Das stille Herzensweh hatte ihrem intelligenten Gesicht einen noch stärkeren Schimmer von geistiger Reife gegeben. Das sage ich jetzt abermals.

Sie sah an der Flurgarderobe Rickos Stock mit Silberkrücke hängen, stutzte, flüsterte hastig:

„Ich will doch lieber ein andermal kommen. Sie haben Besuch –“

Ich nahm sie bei der Hand. „Fräulein Kläre, ich schicke Ihnen meine Frau ins Schlafzimmer. Ich behaupte dem Gast gegenüber, es sei nur der Hauswart gewesen.“

Sie schlüpfte denn auch sofort in das Allerheiligste, drehte sich selbst das Licht an und schloß die Tür. Sie war bei uns ja so bekannt, daß ich mich nicht zu scheuen brauchte, ihr gerade dies Gemach vorzuschlagen.

Ricko und meine Frau glaubten an den Hauswart. Dann bat ich Mieze, mir ein reines Taschentuch zu holen. Sie brachte es mir, blinzelte mir zu und erklärte Ricko, sie haben noch Arbeit in der Küche.

Nun waren wir beiden Männer allein. –

Ricko trank den dritten Eiskümmel. Er druckste und druckste. Es wurde sehr schwer, das über die Lippen zu bringen, was ihn hergeführt hatte. Er rückte seinen Sessel mehr in den Schatten.

Und dann kam’s, – sehr leise – sehr zaghaft:

„Du – ich weiß nicht recht, wem ich nun mehr glauben soll: dem Professor oder Lonnis Vetter. –

Ich – ich befinde mich jetzt in einem Zustand der Ungewißheit, der geradezu unerträglich ist.“

„Aber ich bitte dich, Bester: Die Tatsachen sprechen doch für den Dr. Fuchs!“ meinte ich allzu sehr mit dem Brustton der Überzeugung.

Er lachte auf. Das Lachen tat mir weh.

„Du – heuchelst ja, – mir zu Liebe! – Genau so wie es Schwindel ist, daß der Hauswart vorhin geklingelt hat. Es war eine Dame. Ich möchte fast behaupten: Kläre Feigenbaum.“

„Vielleicht, lieber Ricko –“

„Weshalb weicht sie mir eigentlich aus, du? – Wir waren doch früher ganz gut Freund, die Kläre und ich. –

Ein kluges Mädel. Schade, daß sie nicht heiraten will und Studentin, Blaustrumpf, geworden ist.“

„Vielleicht hat sie den nicht gekriegt, den sie liebte.“

„Unsinn! – Bei vier Millionen Mitgift würde jeder sie nehmen.“

„Hm – das trifft nicht zu.“

Da wurde er aufmerksam, beugte sich vor.

„Du – rück’ endlich mit der Sprache heraus! –

Weshalb meidet sie mich, weshalb geht sie überhaupt nicht mehr auf Gesellschaften und Bälle?“

„Ricko, du bist ein tadelloser Jurist! Aber – Menschen- oder besser Frauenkenner bist du nicht!“

Er stand jäh auf, ging im Zimmer auf und ab, blieb dann hinter meinem Sessel stehen, legte mir die Hand auf die Schulter.

„Du – jetzt ist mir alles klar! – Und – ich war damals ein veritabler Esel. Ich – ich hatte sie recht gern, die Kläre. Aber ich fürchtete das Urteil der Welt: Geldheirat! – Tatsache – ganz gern –“

Er ließ sich in den Sessel fallen.

Lange Pause; dann:

„Lassen wir dies Thema. Vorbei ist vorbei! Die Gegenwart macht mir genug zu schaffen. –Ich verlange von dir jetzt ein offenes Wort: Was hältst du von dieser Geschichte? – Du verstehst, was ich meine.“

Oh ja – ich verstand. Und – ich dachte jetzt schon eine ganze Weile an den Attachée – ach nee, an den Grafen, an Fallen, fallen und so weiter. Sollte hier etwa –?!

„Bitte, rede, du!“ sagte Ricko schroff. „Du bist doch stets ein ehrlicher Kerl gewesen. Du brauchst mich nicht so schonen.“

Ah – also auch er schien Argwohn zu hegen!

Ich überlegte. Dann erklärte ich:

„Wir wollen zusammen zu dem Professor gehen, Ricko. Er soll dich nochmals untersuchen. Wir brauchen ihm ja nichts zu sagen, weshalb du ihn nochmals konsultierst.“

Wieder lange Pause.

„Genau dasselbe habe ich tun wollen,“ sagte er jetzt leise. „Du, – ich fühle, ein – Verhängnis schleicht auf mich zu –“

Plötzlich stand er auf. „Tu’ mir einen Gefallen. Komm’ mit. Wir wollen unter Menschen, in ein Cafee, – Musik – Trubel –! Sonst – sonst! – Und – – Mieze und Kläre müssen mit. – Warte – ich klopfe mal an. Sie sitzen im Schlafzimmer, nicht wahr?“

– Ich will diesen Abend nicht eingehender schildern. Kläre sträubte sich erst. Dann schloß sie sich uns doch an. Ricko war von einer gekünstelten Munterkeit, die die Stunden im ‚Cafee des Westens‛ für uns zur Qual machte. Kläre hatte sich sehr in der Gewalt. Sie war ganz wohlerzogene Dame, die weiß, wie sie sich zu benehmen hat.

Am nächsten Vormittag gingen wir zu dem berühmten Professor. Ricko bat um eine nochmalige genaue Untersuchung.

Der Professor klopfte ihm auf die Schulter, meinte herzlich:

„Wozu wollen Sie unnötig Geld ausgeben? So leid es mir tut: Ich werde mein Urteil von damals nicht abändern können.“

Ricko bestand trotzdem darauf, von neuem ganz genau untersucht zu werden. –

Es geschah, dauerte eine Viertelstunde. –

Der Professor drückte Ricko fest die Hand: „Lieber Herr Syndikus, – ich kann Ihnen keinen anderen Bescheid geben. Auf Nachwuchs müssen Sie verzichten. Denn – Wunder gibt es heutzutage kaum. Und bei Ihnen wäre es ein solches Wunder, wenn –“

Ricko, der sehr bleich war, unterbrach ihn hier. „Herr Professor, – ehrlich: Dr. Fuchs hat mir Hoffnungen gemacht, die Natur würde sich bei mir selbst helfen.“

Der alte Herr lächelte ein wenig. „Dr. Fuchs? – So so! – Nun: Die Folgezeit wird ja beweisen, wer recht behält. – Immerhin: Geheimrat Merkel ist mein Duzfreund und Spezialist für solche Fälle. Gehen Sie zu ihm, bestellen Sie einen Gruß von mir und bitten Sie ihn um sorgfältigste Untersuchung.“

Wir mußten ein Stück durch den Tiergarten gehen auf dem Weg zum Geheimrat. In der Siegesallee kam uns ein geschlossenes Auto entgegen. Ich beachtete es nicht. Aber Ricko packte plötzlich meinen Arm, stotterte, dem Kraftwagen nachschauend:

„Lonni? – Lonni – mit einem fremden Herrn? –

Ich muß mich getäuscht haben –“

„Natürlich hast du dich getäuscht.“

Aber er schien das Auto nicht vergessen zu können. Nach einer Weile meinte er:

„Sie war’s doch, – oder ich leider an Halluzinationen –“

Zum Glück hatten wir die Villa des Geheimrats bereits erreicht.

Und dessen Urteil? –

„Seien Sie froh, daß Ihr Unfall damals noch so abgelaufen ist,“ sagte er zu Ricko. „Kinder bringen nicht immer Segen. Trösten Sie sich damit. Und – wenn Ihre Gattin sich wirklich so nach einem Kind sehnt: nehmen Sie doch eins an! Sie tun noch ein gutes Werk damit.“ –

Wir schritten dem Lützowplatz zu. Ricko schwieg und starrte auf die Steinplatten des Bürgersteiges. Dann hakte er mich unter.

„Du,“ meinte er hastig, „ich weiß jetzt Bescheid! –

Du kennst doch den berühmten Kwilecki-Prozeß: Kindesunterschiebung! – Tante Bartel und Lonni planen was Ähnliches – fraglos! Ein Erbe soll – soll kommen um jeden Preis! Also – wollen sie mich hinters Licht führen –“

Daran – an eine solche Möglichkeit! – hatte ich noch gar nicht gedacht. Der Verdacht Rickos war nicht unbegründet, – wenn man eben von dem Attachée nichts wußte.

„Möglich!“ sagte ich sehr vorsichtig.

„Du heuchelst schon wieder! Verdammt – so laß doch diese Redensarten! –

Möglich! Was heißt möglich! Die Sache ist ganz klar. –

Was – was tue ich nun aber?!“

„Nichts! – Ich warne dich: Nur keinen Krach etwa! – Warte ab! – Ist Lonni denn noch immer so lieb zu dir?“

„Leider – ja, leider, denn – ich wäre froh, wenn ich sie nicht mehr zu sehen brauchte. Sie – sie hat ja so unglaublich Komödie vor mir ge–spielt – widerlich geradezu! Ihre Tränen, ihr stetes Sträuben, – alles Getue, alles Schein! Jetzt zeigt sie sich so anders, daß sie, wie sie jetzt ist, auch stets gewesen sein muß. So schnell ändert sich kein Weib.

Niemals! Sie ist aufdringlich, raffiniert in ihrer Sinnlichkeit, – ach, nur noch – Ekel! Jetzt bin ich der, der – den hochanständigen Mann markiert –“

Als wir uns trennten, gab er mir das Versprechen vorläufig nichts zu unternehmen und mich auf jeden Fall vorher um Rat zu fragen. –

Mizzi schüttelte zu der ‚Kindesunterschiebung‛ mit Recht den Kopf.

„Du, Männe, – daß der Ricko gar nicht auf das Nächstliegende kommt?!“ meinte sie. „Aber – es mag ja für einen Ehemann wirklich schwer sein, überhaupt an so etwas zu denken. Und dann noch unser Ricko, der von Frauen so gar keine Ahnung hat!“

Wir setzten uns zu Tisch. Plötzlich die Flurglocke. Ich fuhr zusammen. Ich war wirklich schon ganz nervös durch dieses Ehedrama geworden.

Da wir keine Bedienung hatten, ging ich wieder selbst öffnen. Draußen stand ein jüngerer Herr mit ein paar Schmissen. Sehr anständig angezogen.

„Gestatten: Wiedner, Detektiv,“ sagte er mit leichter Verbeugung. „Könnte ich Sie ein paar Minuten sprechen?“

Ich ahnte: Lonni! – und führte ihn in mein Arbeitszimmer.

 

 

5. Kapitel

Die wahre Lonni

„Sie erlauben, daß ich etwas weiter ausholen,“ begann er dann, nachdem wir uns gesetzt hatten. –

„Ich bin Gerichtsreferendar gewesen, bevor mich besondere Umstände zwangen, einen anderen Beruf zu ergreifen. Diese ‚Umstände‛ möchte ich kurz schildern.

Ich arbeitete als Referendar vor vier Jahren etwa am Amtsgericht in Kolberg. Daß die alte Festung gleichzeitig Seebad ist, wird Ihnen bekannt sein. Im Juni lernte ich dort ein junges, sehr fesches Mädchen kennen, eine Waise hier aus Berlin, die in Kolberg mit ihrer Tante den Sommer zubrachte. Ich verliebte mich in sie. Damals besaß mein Vater noch ein berühmtes Exportgeschäft in Stettin, galt für schwerreich. Ich war das einzige Kind, verfügte über viel Geld und trat danach auf. –

Jenes Mädchen schien meine Liebe zu erwidern. Wir verlobten uns zunächst heimlich. Wir waren viel allein, und sie gewährte mir so allerlei – nicht alles! Es war ein zärtliches Spiel mit stark französischem Beigeschmack.

Ende Juli sagte mein Vater Konkurs an und – erschoß sich. Ich stand urplötzlich vor dem Nichts. Meine Mutter mußte in – eine Nervenheilanstalt gebracht werden. –

In dieser schweren Zeit hoffte ich nun bei meiner Braut Trost und Aufmunterung zu finden. Aber – jetzt enthüllte sie ihren wahren Charakter. Sie – gab mir kurzerhand den Laufpaß. In meiner Liebestollheit hätte ich sie an liebsten gemordet. Tatsächlich: ich hatte ihr acht Tage lang mit dem Revolver in der Tasche aufgelauert. –

Aber gerade diese Versuche, sie unbeobachtet niederschießen zu können und mir dann selbst eine Kugel in den Kopf zu jagen, zeigten mir ihr wahres Bild in solcher Häßlichkeit, daß ich auf jedes Attentat verzichtete.

Ich – überraschte sie nämlich über Mittag verschiedentlich in den Dünen mit einem sehr eleganten Herrn, einem Grafen, – das heißt, – ich ließ mich natürlich nicht sehen, wurde nur Zeuge, daß sie diesem Mann – alles – alles erlaubte.

Sie verstehen mich – alles – und bald täglich mehrmals – auch abends.

Ich mußte mich dann nach einer Beschäftigung umsehen. Mit der Juristerei war’s vorbei. Ein Bekannter empfahlen mich dem Kriminalkommissar a.D. Berting in Berlin, dem Inhaber des oft genannten Detektivinstituts ‚Hydra‛. So wurde ich Privatermittler. Und – ich habe es nicht bereut, mich für diesen Beruf entschieden zu haben. Mir geht es gut. Die Arbeit ist interessant und auch einträglich.

Da ich nun in Berlin heimisch wurde und da ich jenes Mädchen trotz allem nicht so schnell vergessen konnte, benutzte ich meine freie Zeit vielfach dazu, ihr nachzuspüren.

So bekam ich heraus, daß ihre Liebschaft mit jenem Grafen nicht ohne Folgen geblieben war. Sie suchte nämlich immer wieder Hebammen auf, die für Geld zu Eingriffen sich verstehen, durch die –“ – „na, Sie wissen ja wohl Bescheid: Abtreibung!

Aber – offenbar hatten selbst diese häufigen Besuche bei den weisen Frauen nicht den gewünschten Erfolg. Die Tante brachte meine einstige Liebe daher nach einem entlegenen Bauerngehöft in der Lüneburger Heide. Die Frau dieses Bauern war einst Köchin bei der Tante gewesen. –

Dort gebar das Mädchen ein Kind, einen Knaben, der dann als Sohn der Bauersleute standesamtlich gemeldet wurde.

Ich hätte mich nun ja leicht an jenem herzlosen Weib rächen können. Doch – ich verzichtete darauf. –

Zwei Jahre vergingen. Da erhielt unsere Detektei von einer jungen Dame den Auftrag, ein Mädchen namens so und so –“

Hier unterbrach ich den Detektiv. „Ich bin bereit ganz im Bilde, Herr Wiedner. Das Mädchen hieß Lonni und ist die jetzige Frau –“

Er winkte ab. „Schön – nennen wir sie also Lonni. –

Wir sollten diese Lonni also überwachen. Ein Kollege wurde hiermit betraut. Ich hörte zufällig erst vor einer Woche davon.

Und – da habe ich die Beobachtung Lonnis freiwillig übernommen. Sie verkehrt jetzt wieder mit demselben Grafen, dem Vater ihres Kindes. Sie treffen sich täglich, halten Schäferstündchen in seiner Wohnung ab und setzen dem Herrn Syndikus Riesenhörner auf. –

So – das wollte ich Ihnen mitteilen. Denn der jungen Dame, die diese Beobachtung bezahlt, wollte ich das Vorleben Lonnis doch nicht enthüllen. Ich weiß, Sie sind mit dem so schamlos betrogenen Ehemann verwandt und eng befreundet.

Handeln Sie nun nach Gutdünken. Meines Erachtens müßte diesem Weib endlich mal das Handwerk gelegt werden. Sie ist das gefühlloseste, berechnendste Geschöpf, das ich kenne.“

Er stand auf und verabschiedete sich. –

*

Mieze hatte an der Tür gelauscht. Sie weinte wieder aus Mitleid mit Ricko. Ich beruhigte sie.

„Natürlich wird jetzt Schluß gemacht,“ erklärte ich. „Ich werde nachmittags zu Ricko in sein Bureau gehen und ihm reinen Wein einschenken. Diese Lonni verdient keine Schonung. Eine solche –!“

Diese Beleidigung hätte sogar für drei Monate Gefängnis gereicht. –

Ricko nahm all das Schändliche mit weit größerer Fassung hin als ich gedacht hatte.

„Sie ist für mich schon vorher erledigt gewesen,“ meinte er. „Ich hätte eine Scheidung erzwungen. So oder so. Ich durchschaue sie jetzt vollständig: Sie hat mich nur als gute Partie geheiratet! Nichts weiter.“ –

Gegen sieben Uhr abends langten wir in seiner Wohnung an.

Tante Bartel und Lonni saßen im Salon. Lonni kam in den Flur geeilt, wollte Ricko um den Hals fliegen.

Ich werde nie ihr Zurücktaumeln und Erbleichen vergessen, als er sie von sich stieß und verächtlich sagte:

„Dirne!“

Dann nahm er sie am Handgelenk, zog sie in den Salon.

Hier sank Lonni aufweinend in den nächsten Sessel, schluchzte:

„Tante – Tante, – er muß den Verstand verloren haben!“

Ricko und ich stellten uns neben den Flügel; Lonni hatte gerade einen Walzer geklimmpert, als wir erschienen.

Tante Bartel saß stocksteif, auch leichenblaß, da. Sie merkte wohl, daß die Komödie hier ein Ende hatte – zur Tragödie wurde.

Ricko begann mit unheimlicher Ruhe:

„Ihr beide werdet sofort diese Wohnung verlassen – für immer! Ich weiß jetzt: Lonni hat ein uneheliches Kind von einem Grafen, zu dem sie auch jetzt wieder in ehebrecherischer Beziehung steht und der promt aufs neue ihren Bauch anschwällen ließ!

Lonnis Verhalten mir gegenüber in all seinen Schattierungen ist mir jetzt endlich enträtselt worden. Ihre ekelhafte Keuschheitskomödie gleich nach der Hochzeit sollte jeden etwa in mir aufsteigenden Verdacht, sie könne vielleicht nicht mehr rein sein, sofort wieder ersticken.

Dann – der Schrei nach dem Kind, dem Erben, – nichts als kalte Berechnung, und aus dieser Berechnung heraus dann ihr Entgegenkommen.

Weiter: meine Verletzungen, die Kindersegen ausschloß, genügte vollständig, Lonni wiedererkalten zu lassen.

Aber – bald fühlte sie sich Mutter, abermals durch den Grafen. –

Da wurde schleunigst der Herr Vetter als Arzt beredet, mir meinen Zustand anders zu schildern, und so wurde Lonni wieder die ‚liebende‛ Gattin! –

Dies genügt wohl! –

Dort ist die Tür – bitte! –

Ich gebe euch fünf Minuten Zeit. Seid ihr dann nicht aus dem Haus, so werde ich euch der Staatsanwaltschaft anzeigen – wegen Verheimlichung jenes Kindes, Beihilfe zur Urkundenfälschung und so weiter.“

Lonni lag ihm plötzlich zu Füßen. Es gab eine widerliche Szene, der Ricko jedoch dadurch schnell ein Ende bereitete, daß er seine Uhr zog und eisig sagte:

„Zwei von den fünf Minuten sind um. –

Wollt ihr wirklich Bekanntschaft mit dem Gefängnis machen?“

Dann gingen wir ins Herrenzimmer hinnüber. Und bald wurde die Flurtür heftig ins Schloß geworfen. Tante und Nichte hatten das Feld geräumt.

Ich nahm Ricko mit zu uns. Ich fürchtete, er würde sich diesen traurigen Ausgang seiner Ehe sehr zu Herzen nehmen.

Aber – dem war nicht so. Gewiß – er war still und ernst, taute aber doch langsam auf und sprach über seine Zukunft. Als hätte Lonni nie existiert. Er würde die Wohnung schon morgen aufgeben und sich wieder zwei Zimmer mieten.

Dann wollte er die Scheidung einleiten; ‚Lonni muß ja den Ehebruch zugeben,‛ meinte er. ‚Sie wird sich hüten, mir Schwierigkeiten zu machen.‛

Die Nacht behielten wir ihn bei uns. Er schlief auf dem Diwan in meinem Zimmer. Auch am nächsten Abend war er unser Gast bei einer einfachen Mahlzeit. Wir hatten uns dann kaum in mein Arbeitszimmer gesetzt, als Kläre erschien.

Sie wußte noch nicht, was inzwischen vorgefallen. Aus Höflichkeit fragte sie Ricko, wie es seiner Gattin gehe.

„Kaum gut, denke ich,“ sagte er ernst. „Sie dürfte jetzt genügend Zeit haben, darüber nachzudenken, daß alles ans Licht kommen. – Sie sind jetzt ja Medizinstudentin, Fräulein Kläre. Da darf ich wohl auch Dinge erwähnen, die man sonst mit jungen Damen nicht durchspricht. Im Vertrauen, meine Frau ist nicht nur eine Ehebrecherin, sondern hat bereits vor unserer Verheiratung ein Kind gehabt.“

Kläre wurde bleich, – lief dann hinaus. Mizzi ging ihr nach ins Schlafzimmer. Kläre ließ sich vor uns an diesem Abend nicht mehr sehen. Meine Frau berichtete, sie hätte sie kaum beruhigen können. Kläre fürchtete, sie sei schuld daran, daß dies alles nun Ricko zu Ohren gekommen. –

Die Scheidung war in sechs Wochen erledigt. Lonni wurde für die allein Schuldige erklärt. Da Tante Bartels Fabrik inzwischen verkracht war, verschwanden die beiden aus Berlin.

Kläre hatte Berlin gleichfalls verlassen und war – schon zwei Tage nach der großen Abrechnung bei Rickos – nach München gereist, ohne sich von uns persönlich zu verabschieden.

Sie schrieb dann aus München an uns einen langen, sehr lieben Brief; sie würde dort nun ihr Studium fortsetzen; – von Ricko und Lonni kein Wort.

Ricko war nun fast täglich bei uns. Selbst als unser Stammhalter einpassierte, machte er sich nützlich und leistete mir Gesellschaft. Zum Glück! Denn sonst wäre ich wohl vor Angst um Mieze – eine Kognakleiche geworden. Er nahm mir schließlich die Flasche fort und meinte: „Du bist ein Waschlappen! Man ersäuft seine Herzensangst nicht in Schnaps bei solchen Gelegenheiten. Mieze ist doch wahrlich kräftig und wird alles gut überstehen.“

Er behielt recht.

Ich hatte grundlos zehn Kognaks getrunken. Mieze lächelte mich, als alles vorüber, sehr glücklich an und flüsterte:

„Du – es war gar nicht so schlimm. Wenn ich bestimmt wüßte, daß das nächste ein Mädel würde, so –“ –

Ricko und ich tranken dann eine Flasche Sekt auf dem Balkon. Es war ein köstlicher Juniabend. Und plötzlich erklärte Ricko:

„Ich habe an Kläre geschrieben. Ich will mit ihr zunächst einen Briefwechsel anfangen. Das weitere wird sich finden.“–

Kläre antwortete jedoch nicht. –

Was tat Ricko da? –

Er fuhr nach München, blieb fünf Tage dort, kehrte zurück, kam zu uns und sagte nichts als:

„Wir sind einig. Wir wollen nur noch bis zum Herbst warten.“ –

Gestern waren wir mit Rickos, den neuen Rickos, die bereits ein süßes Mädel haben, im ‚Metropoltheater‛.

In einer Loge uns gegenüber saßen zwei stark geschminkte Halbweltdamen. Die eine war – Lonni!

Anderthalb Jahre hatten genügt, aus der geschiedenen Frau das zu machen, was sie stets gewesen: eine Dirne! – dazu noch eine Dirne, der jede Spur von Gemüt fehlt, was man nicht von allen Halbweltlerinnen behaupten kann.